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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Helioplan
Die Meyer'sche Objektivbauanstalt in Görlitz hatte eine lange Tradition im Bau von Doppelanastigmaten. Aber allein der Typus des Helioplans hat dabei den Sprung in das Zeitalter der Kleinbildkamera geschafft.
Das Meyer'sche Helioplan gehört zu den klassischen Doppelanastigmaten, wie sie im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts aufkamen. Neue Glassorten mit bisher nicht gekannten Eigenschaften ermöglichten es, neben Abbildungsfehlern, die aus der Kugelgestalt der Linsen herrühren (sphärische Aberration) und solchen, die durch die Aufspaltung des Lichtes in seine Regenbogenfarben verursacht werden (chromatische Aberration) auch endlich den bisher nicht beherrschbaren Bildfehler des Astigmatismus zu beheben. Der symmetrische Aufbau brachte dabei den Vorteil mit sich, daß weitere Abbildungsfehler wie die Koma oder die Verzeichnung von selbst verschwanden, weil gewissermaßen die von der vor der Blende stehenden Linsengruppe verursachten Fehler durch die hinter der Blende stehenden Gruppe wieder kompensiert wurden.
Dabei gab es mehrere grundsätzliche Möglichkeiten, derartige Doppelanastigmate zu konzipieren. Sehr erfolgreich waren diejenigen Typen, deren Hälften aus je drei, vier oder gar fünf miteinander verkitteten Linsen bestanden. Nach dem Pionier dieser Bauart werden sie Dagor-Typ genannt. Bald etablierten sich aber die noch besser auskorrigierbaren Doppelanastigmate mit vier einzeln stehenden Linsen. In diesem Sektor hatte die Firma Hugo Meyer in Görlitz traditionell zwei verschiedene Ausführungsformen im Angebot. Während beim Aristostigmat die Linsen allesamt meniskenförmig zur Blende hin durchbogen waren (also konvex-konkav), waren beim Helioplan sogenannte Bi-Linsen zugrundegelegt (also bikonvex, bikonkav). Die Aristostigmate ermöglichten bei mittlerer Lichtstärke recht große Bildwinkel, die Helioplane für mittlere Bildwinkel ein sehr gutes Zurückdrängen der Bildfehler bis zur Erfüllung der Anforderungen für Reproduktionszwecke.
Eine gewisse Unübersichtlichkeit bei Meyer-Optik ergibt sich nun daraus, daß diese Objektivbauanstalt gleich alle drei Typen an Doppelanastigmaten gleichzeitig am Markt hatte und nicht immer eine klare Unterscheidung aus der Objektivbezeichnung ableitbar ist. Aus dem unten gezeigten Ausschnitt aus dem Katalog von 1952 wird deutlich, daß man in Görlitz auch nach 1945 noch einen Doppel-Anastigmat 1:6,8 nach dem Dagor-Typ gefertigt hat. Diese mittlerweile veraltete Objektivkonstruktion dürfte aber recht bald aus dem Programm genommen worden sein, während jedoch Aristostigmate noch 1958 in einer Zusammenstellung auftauchen, die in der Fachzeitschrift "Die Fotografie" veröffentlicht wurde.
Interessant ist nun der untenstehende Auszug aus einem Katalog von 1939. Hier werden die besagten Meyer'schen Doppel-Anastigmate mit der Lichtstärke 1:6,8 nach dem Dagor-Typ aufgelistet. Darüber sind aber zwei Spezial-Objektive als Weitwinkel-Doppel-Anastigmat verzeichnet, die als Weitwinkelobjektive für die Standard- und Kiné-Exakta geliefert wurden. Man kann nun mit großer Gewißheit davon ausgehen, daß zumindest der "Weitwinkel-Doppel-Anastigmat 1:4,5/4 cm" mit dem später gelieferten Helioplan identisch ist. Weshalb aber zu jener Zeit der Markenname "Helioplan" nicht verwendet wurde, erscheint schleierhaft.
In der Zeit um 1930 wurde das Helioplan 1:4,5 als gehobenes Normalobjektiv für 9x12-Laufbodenkameras der mittleren Preisklasse angeboten. Als Vierlinser zeigte es eine bessere Leistung als die üblichen Triplets, hatte aber den Nachteil der etwas höheren Streulichtempfindlichkeit aufgrund der acht Glas-Luft-Grenzflächen.
Denn dieses Weitwinkel war nicht nur nach dem Helioplan-Typ aufgebaut, sondern wurde nach dem Kriege nun auch explizit unter der Bezeichnung Helioplan 4,5/4 cm bzw. 4,5/40 mm vertrieben. Mit der zunehmenden Verkleinerung der Aufnahmeformate erlebten klassische Doppelanastigmate während der 20er und 30er Jahre eigentlich einem schleichenden Bedeutungsverlust als Massenobjektiv. Vor allem für das Kleinbild-Format waren nun Objektivtypen gefragt, die deutlich höhere Lichtstärken erlaubten. Damit wäre das Helioplan eigentlich ebenso wie die anderen Doppelanastigmate in Vergessenheit geraten, wenn man in den späten 30er Jahren nicht das Problem gehabt hätte, für den neuartigen Typus der Einäugigen Kleinbild-Reflexkamera ein möglichst kurzbrennweitiges Objektiv zu schaffen, das weitwinklige Aufnahmen gestattet. Bei diesem Kameratyp gab es schließlich das Problem, daß für den Klappspiegel hinter dem Objektiv stets genügend Luftraum verbleiben mußte, damit dieser ungestört ablaufen kann.
Bei Meyer besann man sich daher auf den Helioplan-Typ, da dieser mit seinem gedrängten Aufbau und seinen flachen Linsen eine verhältnismäßig lange Schnittweite einzuhalten gestattete. Eine große Lichtstärke war für diesen Anwendungsfall hingegen entbehrlich und der sich bei 40 mm Brennweite ergebende Bildwinkel von 56 Grad stellte für einen Doppelanastigmaten ohnehin keine Herausforderung dar. Wie aus der obigen Tabelle ersichtlich, war für die Kiné-Exakta zunächst ein Typ mit den Daten 6,8/3,8 cm vorgesehen, der aber recht bald durch den besagten "Doppel-Anastigmaten 4,5/4 cm" ersetzt wurde. Durch den großen Nachfrageschub an Kleinbild-Spiegelreflexkameras wurde dieses Objektiv auch recht bald nach dem Kriege wieder gefertigt – nun als Helioplan 4,5/40 mm.
Dieses Helioplan 4,5/40 mm ist trotz seiner betagten Konstruktion ein erstaunlich leistungsfähiges Objektiv. Ähnlich dem aus denselben Gründen für die Kleinbild-Spiegelreflex geschaffenen Zeiss Tessar 4,5/40 mm besticht es durch ein sehr feines Auflösungsvermögen und eine erstaunlich kontrastreiche Abbildung. Zu letzterem trug auch bei, daß die acht Glasoberflächen nach 1945 mit Entspiegelungsschichten versehen wurden. Wie unten aus der Gegenüberstellung von Ausschnitten aus den Katalogen von 1952 und 1953 zu sehen ist, wurde in diesem Zeitraum die Fassung von der Normal- auf die Vorwahlblende umgestellt, was die Bedienung ein wenig erleichterte. In dieser Version wurden ganz offenbar die meisten Stückzahlen gefertigt. Das ist insofern bemerkenswert, weil das Helioplan 4,5/40 mm bereits zwei Jahre später aus dem Programm genommen wurde. Der Grund lag darin, daß Hubert Ulbrich für den Görlitzer Hersteller das Neuland der Retrofokus-Konstruktionen betreten hatte, woraus das neue Primagon 4,5/35 mm hervorgegangen war, das mit 63 Grad Bildwinkel endlich ein wirkliches Weitwinkelobjektiv für die sehr erfolgreichen Reflexkameras darstellte.
Ein symmetrisch gebautes Doppelobjektiv kennt aber noch ein anderes Metier, in dem es mit ausgezeichneter Leistung glänzen kann. Aus den optischen Gesetzen heraus ergibt sich, daß ein solches Objektiv vollständig verzeichnungsfrei arbeitet, wenn Objekt und Abbildung annähernd dieselben Ausmaße haben; der Abbildungsmaßstab also im Bereich 1:1 liegt. Das ist der Grund dafür, weshalb Reproduktionsobjektive vorwiegend symmetrisch aufgebaut waren. In dieses Feld der endlichen Abbildungsmaßstäbe fallen auch die Bedingungen, die vorliegen, wenn von Kleinbild- oder Mittelformatnegativen Abzüge angefertigt werden sollen. Während bei photographischen Aufnahmen mit einer Kamera die Gegenstandsweite üblicherweise mehrere tausend mal größer ist als die Bildweite, so liegen bei Vergrößerungsarbeiten beide Werte etwa im Bereich 1:10 bis 1:1.
Die in der DDR in den 50er Jahren von Filmosto bzw. Aspecta hergestellten Vergrößerungsgeräte waren serienmäßig meist mit sehr einfachen Triplets aus Rathenow ausgestattet, zum Beispiel dem Orthan 4,5/55 für den Adjutar oder gar dem Alan 5,6/55 für den Multifoc S (vorher Minimat). In der Fachpresse wurde mehrfach die Diskrepanz kritisiert, daß Kameras oft mit sehr teuren Markenobjektiven ausgerüstet werden, während die Abzüge dann mit leistungsmäßig recht fragwürdigen Vergrößerungsobjektiven angefertigt würden. Im Vergleich dazu waren die Helioplan-Vergrößerungsobjektive ein wahrer Lichtblick. Sie wurden für die Formate 24x36 mm sowie 6x6 und 6x9 cm hergestellt und vornehmlich an den Aspecta-Geräten Multifoc II und IIA, Manufoc II sowie Autofoc II und III verwendet. Für das Spitzengerät Multifoc M wurden gleich alle drei Helioplan-Versionen benötigt.
Marco Kröger
letzte Änderung: 29. Januar 2023
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