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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Prakticar 2,8/200
Obwohl dieses hochwertige Teleobjektiv im Gegensatz zu vielen Konkurrenzprodukten ohne teure Spezialgläser auskam, verhinderten Schwierigkeiten in der Fertigung höhere Stückzahlen.
Ein ähnliches Schicksal, wie das Prakticar 2,4/28 mm, erlitt auch das Prakticar 2,8/200 mm. Während von ersterem offenbar nur eine Nullserie und danach lediglich wenige Dutzend Serienobjektive gefertigt wurden, waren es beim diesem 200er Prakticar immerhin einige Hundert Stück, bis die Weiterführung des Auftrages vorzeitig abgebrochen werden mußte. Neben einer Nullserie von 30 Exemplaren im Sommer 1980 sollen nämlich laut Thiele ab 17. November 1980 500 Prakticare 2,8/200 in zwei Fertigungslosen montiert worden sein. Bei drei anderen Losen lauten die Anmerkungen jeweils "Beleg fehlt", "geplant" und "Fertigung z.T.", sodaß die Anzahl von weiteren 460 Objektiven nicht nachweisbar ist. Eine letzte Auflage dieses Objektivs von 100 Stück ab Februar 1982 scheint es aber wirklich gegeben zu haben (Seriennummern über 11 Millionen).
Ganz gleich, wieviele Prakticare 2,8/200 also wirklich hergestellt wurden, es ist und bleibt selten anzutreffen. Aber gerade was dieses Teleobjektiv betrifft, ist die ausgebliebene (Groß-) Serienproduktion besonders schade, denn es war mit gerade einmal 14 cm Länge sehr kompakt gebaut. Die Rechnung stammt vom 31. Oktober 1979. Patentiert wurde es am 3. März 1980 im DDR-Patent Nr. 149.427. Harald Maenz, Volker Tautz und Christine Thiele wurden als Urheber benannt.
Problematisch bei langbrennweitigen Objektiven, wenn sie gleichzeitig lichtstark sein sollen, ist die ausgeprägte chromatische Aberration. Insbesondere das Anwachsen des sekundären Spektrums bereitet große Probleme. Genügt es gemeinhin für normalbrennweitige Objektive, Farbquer- und Farblängsfehler für blaues und grünes Licht streng zu beheben und den roten Spektralanteil nebenher "mitlaufen" zu lassen (sogenannte aktinische Korrektion), so ist diese Vorgehensweise für lichtstarke Objektive mit Brennweiten, die das vierfache der Bilddiagonale überschreiten, längst nicht mehr hinreichend.
Oben die sogenannten Queraberrationen (Querabweichungen) Δy' des Prakticars 2,8/200 in Abhängigkeit von der Apertur A bei anwachsendem Bildwinkel. Bei dieser Form der Darstellung werden sphärische Aberration, meridionale Koma und Krümmung des Bildfeldes miteinander verzahnt, was die Interpretation der Kurven für den Laien schwierig macht.
Andere Hersteller bewältigten diese Probleme dadurch, indem sie zum Teil ausgesprochene Spezialgläser mit anomaler Dispersion zum Einsatz brachten, wie hochbrechende Lanthanflintgläser, wie beim Pentax Takumar 4/300 [US3502393 vom 21. September 1967] und beim Nikkor 4,5/300 ED [DE2163430 vom 21. Dezember 1971] oder sogar Linsen aus kristallinem Flußspat, wie beim Canon FD 2,8/300 L [DE2339461 vom 3. August 1973]. Solcherlei Gläser ließen allerdings die Material- und Fertigungskosten für Photoobjektive immens ansteigen. Beim Prakticar 2,8/200 konnte jedoch eine vergleichbare Leistung unter Verzicht auf solcherlei Spezialgläser erreicht werden. Trotzdem scheint dieses Objektiv im Endeffekt immernoch viel zu aufwendig gewesen zu sein in Anbetracht der Tatsache, daß die neue Praktica B-Reihe allenfalls als gehobene Amateurkamera vom Weltmarkt aufgenommen wurde.
Wie die obige Abbildung aus einem zeitgenössischen Prospekt erkennen läßt, wurde beim neuen Prakticar 2,8/200 gegenüber den bisherigen Sonnaren 2,8/180 und 2,8/200 vor allem eine deutliche Verschlankung des Objektives erreicht
Mittlerweile kann ich sogar genauer sagen, weshalb das Prakticar 2,8/200 mm nur so sporadisch gefertigt wurde. Dazu muß man wissen, daß das Prakticar 2,8/200 vom Grundaufbau her eng verwandt ist mit der ersten Serienversion des Prakticar 4/300. Dieses wurde nämlich auch nur reichlich 1000 mal gefertigt und anschließend durch einen einfacher gebauten Sechslinser ersetzt. Interessant ist nun, daß genau im Patent zu dieser "Ersatzversion" des Prakticar 4/300 mm mit der Nummer DD206.240 vom 1. Juni 1982 der Grund herauszulesen ist, weshalb Teleobjektive nach dem vorigen Patent [Nr. DD149.724 vom 3. März 1980] in der Produktion offenbar so ungünstig waren. Volker Tautz und Günther Benedix schreiben:
"Es sind auch Objektive bekannt, die vor der Aperturblende aus einem ersten positiven, einem negativen und einem zweiten positiven Glied aufgebaut sind. Die Korrektion der Bildfehler wird hierbei wesentlich durch die starke Strahlenablenkung an dem ersten positiven und dem negativen Glied erreicht. Bedingt durch die starke Strahlenabknickung sind diese Linsen sehr zentrierempfindlich und die Objektive fordern für die Herstellung einen hohen technologischen Aufwand."
Das Zentrieren einer Linse ist einer der kritischsten Schritte in ihrem Herstellungsprozeß. Hierbei geht es darum, gegen Ende der Fertigung die mechanische Mitte der Linse mit ihrer optischen Achse zusammenzulegen, indem die Linse in einer Vorrichtung eingespannt und die Linsenränder anschließend abgefräst werden. Das heißt erstens, die optische Achse muß um wenige zehn Mikrometer genau im Radius zum Linsenrand zu liegen kommen. Mit Zentrierfehler in engerem Sinne meint man aber, daß die Linse nicht verkippt sein darf, also eine durch beide Krümmungsscheitel gezogene Linie möglichst genau parallel zur optischen Achse verlaufen muß.
Man kann nun aus den obigen Ausführungen nur schließen, daß es sich für den Fertigungsprozeß des 200er Prakticars als sehr ungünstig erwiesen hat, wenn zwei Linsen mit großem Durchmesser den Hauptteil der Brechkraft tragen, bei denen dadurch die Anforderungen an die Zentriergenauigkeit besonders hoch, das Einhalten dieser Präzisionsanforderungen aber gleichsam ziemlich erschwert sind. Möglicherweise war der Anteil derjenigen gefertigten Linsen zu groß, die nicht durch die strenge Qualitätskontrolle kamen. Daraus würde sich auch erklären, weshalb einige geplante Fertigungslose des Prakticars 2,8/200 nur zum Teil erfolgten oder gar völlig gestrichen wurden.
Nachtrag vom Mai 2024:
Prakticar 2,8/200 – Das Objektiv der maximalen Verwirrung
Der oben zu lesende Aufsatz beschreibt das Prakticar 2,8/200 mm als eigenständige Konstruktion, deren Grundlage das Patent DD149.427 vom 3. März 1980 bildete und sich daher vom zuvor schon produzierten MC-Sonnar 2,8/200 mm deutlich unterscheidet. Die Grundlage für diese Aussage beruhte auch auf einem Linsenschnitt, der in Egon Brauers "Foto-Optik, Eine Warenkunde für den Fachverkäufer und den Fotoamateur" abgebildet war. Doch schauen Sie sich den unten gezeigten Ausschnitt aus diesem Buch einmal ganz genau an!
Man kann sich kaum offensichtlicher selbst widersprechen, als dies hier geschehen ist. Denn der darunter stehende Text, es entspräche im optischen Aufbau dem Zeiss MC Sonnar 2,8/200, wird durch zwei völlig unterschiedliche Linsenschnittbilder ad absurdum geführt. Da dieses Buch aber noch an anderen Stellen etliche Nachlässigkeiten enthält, die teils daraus resultieren, daß bei den vielen Auflagen, die über zwei Jahrzehnte hinweg erschienen waren, immer nur einzelne Bereiche nach dem neusten Stand umgeschrieben wurden, habe ich diese Diskrepanz einfach ignoriert.
Diese Form des Ignorierens offensichtlicher Fehler wurde plötzlich drastisch gestört, als ich kurz hintereinander von Lesern unserer Seite zwei Prospekte zum Prakticar 2,8/200 mm geschickt bekam, die allesamt einen Linsenschnitt zeigen, der demjenigen des älteren Sonnars 2,8/200 mm entspricht. Nun war die Verwirrung groß, denn diese Tatsache stand im völligen Widerspruch zu all dem, was im obigen Artikel in Bezug auf die Entwicklungsgeschichte dieses Objektives gesagt und als Grund für die abgebrochene Serienproduktion hergeleitet wurde. Wiederum verdanken wir es den vom Zeiss-Konstrukteur Günther Benedix vor der Vernichtung bewahrten Fertigungsunterlagen, daß diese Frage nach 45 Jahren endlich geklärt werden kann. Um die Lösung vorweg zu nehmen: Alle Prospekte zum Prakticar 2,8/200 mm sind fehlerhaft!
Oben sind die drei Versionen des Prakticar 2,8/200 mm gezeigt. Nur das Objektiv nach Sachnummer 550530:002.25 mit Rechnungsabschluß vom 31. Oktober 1979 wurde tatsächlich produziert. Wie beim Prakticar 4/300 existierte ein Vorserienobjektiv Nr. 001.25, das so höchstens als Messe-Muster gebaut wurde. Sehr interessant – und bis heute völlig unbekannt geblieben – ist der Umstand, daß mit einem Prakticar 2,8/200 mm nach Zeichnungsnummer 003.25 eine Ablösung geschaffen worden war, die wie beim Prakticar 4/300 mm ohne die zentrierempfindliche Frontgruppe auskam. Doch dieses Objektiv, das in der hintersten Linse das damals neuartige LaK 75n enthielt, ging im Gegensatz zur dritten Version des 300er Prakticars nicht mehr in die Serienfertigung.
Wie gezeigt werden konnte, hatte Herr Brauer also den korrekten Linsenschnitt angegeben, ohne freilich, daß er sich dessen wirklich bewußt gewesen ist. Für den bei ihm zu lesenden Widerspruch, daß das Prakticar wie das Sonnar aufgebaut sei, ist dagegen wohl Helmut Dämmrich als Zuständiger für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich zu machen; auch wenn ihn Günther Benedix als sehr korrekt arbeitenden Kollegen in Erinnerung hat, der seinen Sitz im Konstruktionsbüro hatte und der sehr eng mit den Konstrukteuren zusammenarbeitete. Trotzdem sind die zum Prakticar 2,8/200 mm existierenden Prospekte in Hinblick auf den Linsenschnitt, die Angaben der Linsenzahl und zum Teil auch der Objektivmasse bis hin zum Durchmesser des Filtergewindes fehlerhaft. Ganz verwundern sollte dies nicht, dann die meisten dieser Prospekte sind gedruckt worden, bevor die dann überhaupt in die Serienfertigung gebrachte Version überhaupt gerechnet worden war. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch darauf hinweisen, daß der weiter oben dargestellte Größenvergleich der Objektive Sonnar 180, Sonnar 200 und Prakticar 200 möglicherweise so nicht stimmt, denn das Prakticar 2,8/200 ist in Wahrheit noch einmal deutlich kompakter als des 200er Sonnar.
Der obige Auszug aus dem Brigadebuch der Abteilung Photo aus den 80er Jahren zeigt uns abgesehen von Herrn Dämmrich noch die Konstrukteure unseres Prakticars 2,8/200. Neben Volker Tautz und Christine Thiele möchte ich insbesondere Harald Maenz (1929 - 2002) hervorheben, der in den 60er Jahren wesentlich an den Pancolaren 1:1,4 gearbeitet hat. Dr. Tautz ist als Miterfinder übrigens nur deshalb erwähnt, weil er die Version dieser Konstruktion für das Prakticar 4/300 mit erarbeitet hat. Diese ist jedoch bei der Erteilung des Patentes gar nicht mehr Teil der Schutzschrift gewesen. Die genauen Gründe dafür sind heute nicht mehr nachvollziehbar.
Um doch noch ein Prakticar 4/300 anbieten zu können, hatten Günther Benedix und Volker Tautz im August 1981 eine völlige Neukonstruktion geschaffen, bei der im hinteren Glied für die Zerstreuungslinse neuartiges Lanthan-Schwerkron LaSK3 zum Einsatz kam. Auch für das Prakticar 2,8/200 war eine ähnliche "Ersatzversion" geschaffen worden, die sich im Grundaufbau sehr ähnelte (mit dem Unterschied, daß bildseitig Sammel- und Zerstreuungslinse vertauscht sind). Hier kam für die negative Komponente das ebenfalls neu geschaffene Lanthan-Kron LaK75n zum Einsatz. Im Gegensatz zum 300er Prakticar gelangte dieses 200er jedoch nicht in die Serienproduktion, sodaß diese Brennweite schon Anfang der 80er Jahre wieder ersatzlos entfiel. Auch dafür ist der genaue Grund nicht mehr zu ermitteln. Günther Benedix erinnert sich nur noch, daß dieses Objektiv sogar Thema in der monatlichen Rechenschaftslegung vor dem Generaldirektor Biermann gewesen ist, der sich normalerweise ganz und gar nicht für Photoobjektive interessierte. Danach verschwand das Prakticar 2,8/200 endgültig in der Schublade.
Oben ist noch einmal die Parallelität der Entwicklungsstufen der beiden Prakticare 2,8/200 und 4/300 aufgezeigt. Eine erste Version wurde unter Umständen auf der Messe gezeigt, ging aber nicht in die Serienfertigung. Eine erste Serienversion beider Objektive verursachte Fertigungsschwierigkeiten und verschwand deshalb nach kurzer Zeit wieder. Eine zweite Serienversion wurde für beide Objektive geschaffen, aber die Variante für das Prakticar 2,8/200 ging aus unbekannten Gründen nicht in die Serienfertigung.
Dieses Prospekt von 1978 gibt eine zu große Baulänge und ein um 150 Gramm zu hohes Gewicht, sowie mit M77 statt M72 auch ein falsches Filtergewinde an. Die Daten wurden wohl einfach vom Sonnar 2,8/200 übernommen. Beim weiter oben zu sehenden Prospekt von 1979 war zwar das Filtergewinde richtig angegeben und offenbar auch die Masse einigermaßen korrekt, die Anzahl der Linsengruppen und der Linsenschnitt jedoch immer noch falsch.
Vielen Dank für die Materialien, die Günther Benedix, Michael Dümmel, Reinhard Kuttner, Felix Heil und Volker Tautz zur Verfügung gestellt haben.
Marco Kröger
Letzte Änderung: 31. Mai 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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