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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Pouva Start
"Die Kamera der Millionen"
Dieser Franz Karl Pouva (1903 - 1989) und seine kleine Firma sind schon etwas Besonderes. So eine Verknüpfung aus tüftelndem Konstrukteur und Privatunternehmer erscheint uns heute für die DDR recht untypisch. Uns ist aus der späteren Honecker-Zeit vielleicht noch geläufig, daß eine Konsumgüterfertigung den Großbetrieben staatlicherseits aufgezwungen wurde und auf der anderen Seite seit Anfang der 70er Jahre Privatunternehmen nun ganz und gar verunmöglicht wurden, während Institutionen wie "Komplexannahmestellen" zum Inbegriff der Servicewüste DDR gerieten. In den 1950er Jahren wies der mitteldeutsche Raum hingegen noch weitgehend diejenige klein- und mittelständische Prägung auf, die sich hier gewissermaßen bereits seit der Frühindustrialisierung herausgebildet hatte. Dazu gehörte der typische Unternehmergeist gekennzeichnet von Innovation, Prosperitätsstreben und anschließender Reinvestition der Gewinne zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Um es kurz zu sagen: Genau das stand im Gegensatz zur kommunistischen Wirtschaftsauffassung der herrschenden SED. Als Folge wurden solche Privatunternehmer zeitweise wie Staatsfeinde behandelt und ihnen wurden alle erdenklichen Steine in den Weg gelegt. Abertausende verließen daher bis zum Mauerbau das kleine Land. Karl Pouva ist jedoch ein Beispiel dafür, daß es auch Ausnahmen gab und man mit viel Fingerspitzengefühl trotzdem als Privatmann in der jungen DDR wirtschaften konnte. Pouva, der vor 1933 offenbar der KPD nahegestanden hatte und nach dem Kriege der Blockpartei LDPD beigetreten war [Vgl. FP besuchte in Freital "Bändi"-Vater Karl Pouva, 29. Oktober 1963], kam dabei zugute, daß er zwar als Unternehmer angesehen wurde, nicht aber als Kapitalist. Ja, so schmal war damals der Grat zwischen Wohl und Wehe, liebe Leserinnen und Leser!
Karl Pouva fasziniert bis heute, weil er mit seiner auf das Jahr 1938 zurückgehenden "Spezialfabrik für Bildwurfgeräte" in seinem Metier einen bis in unsere Zeit anhaltenden Eindruck hinterlassen hat. Der begeisterte Photo-Enthusiast hatte sich einem wichtigen Konsumgüterbereich gewidmet: Der Amateurphotographie. Dabei gab es in Freital bereits eine langjährige Photogerätetradition mit den Kamerawerken Welta und Beier. Auch das Reflekta-Kamerawerk war nicht weit entfernt. Doch mit seiner Amateurkamera Pouva Start wandte er sich zu Beginn der 50er Jahre einem Marktsegment zu, das preislich noch einmal eine ganze Stufe unter dieser Ebene angesiedelt war: Seine Kamera sollte ein dezidiertes Einsteigergerät sein, was schließlich auch in ihrem Namen unverkennbar zum Ausdruck kommt. Daß diese Kamera, was die Bildqualität betrifft, in irgendeiner Weise mit den Erzeugnissen der obengenannten Firmen konkurrieren sollte, das war dabei von Anfang an nicht angepeilt worden. Die Pouva Start war die Fortführung der altbekannten einfachen Boxkamera, was man ihr nur nicht auf den ersten Blick ansah, weil sie von ihrem Schöpfer die Bauform der modernen Tubuskamera mit einem herausschraubbaren Objektiv mitbekommen hatte. Die Boxkamera, wie man sie bislang gekannt hatte, war damit endgültig passé.
Bei diesem eleganten Herrn handelt es sich um Karl Pouva persönlich. Auf dem ersten Bild ist er mit dem neuesten Modell seiner Pouva Start zu sehen, die gerade einen fest ins Gehäuse integrierten Sucher und Blitzsynchronisation bekommen hatte. Auf dem zweiten begutachtet er zusammen mit einem Mitarbeiter Kondensorlinsen für den bekannten Amateurprojektor "Pouva Magica". Die Pouva KG Freital hat also nicht nur Preßlinge aus Bakelit hergestellt, sondern besaß sogar eine eigene Linsenschleiferei. Photographiert wurde diese Szene von Richard Peter jun. [Deutsche Fotothek, Datensatz 71301473 und 90038199]
Denn als diese Boxkameras in der Zwischenkriegszeit in großen Massen auf den Markt gebracht wurden, stellten sie tatsächlich noch derartige nüchterne, schwarze, eckige Blechkästen dar – daher die Gattungsbezeichnung. Initiatoren waren die Filmhersteller, die möglichst billige Knippsapparate unter die Leute bringen wollten, um den Absatz ihrer Rollfilme anzukurbeln. Erst in einem zweiten Schritt sprangen dann die Kamerahersteller auf diesen gut rollenden Zug auf und lancierten eigene Modelle, die manchmal ein wenig besser ausgestattet waren. Trotzdem war die Technik dieser Kameras durchweg spartanisch: Einfacher Schleuderverschluß mit Moment und Zeit, keine Entfernungseinstellung, billige "Objektive" in Form von Periskopen, Achromaten oder meistens gar nur einzelnen Meniskuslinsen. Diese waren weit abgeblendet, um ein leidlich scharfes Bild liefern zu können. Der Vorteil lag aber darin, daß bei gutem Licht einfach nur ausgelöst werden mußte. Eine Einstellung von Entfernung und Belichtung erübrigte sich. Genau das richtige für Lieschen Müller – so jedenfalls dachte man damals. Und von den meist 6x9 cm großen Negativen ließen sich auch ohne Vergrößerungsgerät per Kontaktkopie leicht "albumfertige" Papierbilder gewinnen. Nach genau diesem Muster ist auch die Pouva Start gestrickt; auch wenn sie eben gänzlich anders aussieht als die Boxkameras der 30er Jahre.
Sehr frühe Pouva Start, bei der der Drahtauslöseranschluß, die Tragschlaufen-Knöpfe und der Ring am Objektiv noch aus Metall sind. Der Transportknopf besteht dagegen aus Pertinax. An diesen Stellen führte Herr Pouva in der Folgezeit Vereinfachungen und Materialeinsparungen durch, die mit dazu beitrugen, daß er den anfänglichen Preis der Kamera im Jahre 1955 um ein Drittel senken konnte.
Mit der Produktion der Pouva Start wurde nach verschiedenen Angaben bereits 1950 [Vgl. u.a. Krause, Ulrich: FP besuchte in Freital "Bändi"-Vater Karl Pouva, Freie Presse vom 29. Oktober 1963.] oder dann 1951 begonnen. Karl Pouva hatte dabei in eine offen stehende Marktlücke gestoßen, was auch der obige Ausschnitt aus einem Artikel in der Berliner Zeitung vom 24. Mai 1952 bekräftigt. Angesichts der hohen Nachfrage wurden aber die zu geringen gelieferten Mengen beklagt. Wie fast im gesamten Konsumgüterbereich änderten allerdings die Ereignisse des 17. Juni 1953 diese Lage mit einem Schlag. Auch wenn die SED Führung den Volksaufstand offiziell als einen vom Westen initiierten faschistischen Putsch deklarierte, so war der Führung um Walter Ulbricht klar, daß sie in Wahrheit den Bogen der Zumutungen deutlich überspannt hatte. Als eine der Gegenmaßnahmen wurde deshalb beschlossen, der Bevölkerung etwas zum Kaufen in die Läden zu stellen. Dazu brauchte die SED nun freilich auch dringend die Privatbetriebe. Im "Neuen Deutschland" vom 6. August 1953 war daher folgende Verlautbarung zu lesen:
"Im kommenden Jahr werden 100 000 der beliebten 'Pouva Start'-Photoapparate den Herstellerbetrieb in Freital verlassen. Der Hersteller Karl Pouva äußerte sich erfreut über die Ministerratsbeschlüsse, die es ihm ermöglichen, die Produktion des von ihm entwickelten Photoapparates zu verdoppeln."
Wie die obige Meldung aus der Berliner "Neuen Zeit" vom 30. September 1954 wissen läßt, hatte dieser "Neue Kurs" der DDR-Regierung bereits binnen Jahresfrist eine positive Wirkung gezeigt. Etwa 200.000 Stück der Pouva Start waren bis dahin entstanden und die Verdoppelung der Produktion auf 100.000 Stück pro Jahr lag in greifbarer Nähe. Aus dem Artikel kann man herauslesen, daß dies vor allem durch die gesteigerte Zuteilung an Pressmasse ermöglicht wurde, also man staatlicherseits damit aufgehört hatte, den Privatbetrieb "an der kurzen Leine" zu halten. Die größeren Materialkontingente erlaubten es Herrn Pouva zudem, die Fertigung eines Diaprojektors aus Bakelit aufzunehmen.
Welche Bedeutung es für die Führung der DDR hatte, daß Karl Pouva in einem derartig wichtigen Konsumgüterbereich so schnell eingesprungen war, kann man daran ablesen, daß er einer von lediglich acht Privatunternehmern gewesen ist, die für diese Leistung mit einem 1954 erstmals speziell dafür geschaffenen "Diplom" geehrt wurden. Viel wichtiger als die mit dieser Ehrung verbundene Geldprämie dürften für Pouva freilich die gewährten kurz- und langfristigen Kredite zu sehr günstigen Konditionen gewesen sein, von denen andere Privatunternehmer sicherlich nur träumen konnten. Als Gegenleistung verlangte die SED jedoch öffentlich bekundete politische Loyalität, wie aus dem letzten Abschnitt hervorgeht.
Zu dieser Auszeichnung in Form eines "Diploms für besondere Leistungen bei der Herstellung hochwertiger Verbrauchsgüter für die Bevölkerung", wie der volle Titel hieß, gibt es noch eine Anekdote: Karl Pouva berichtete noch fast 20 Jahre später Journalisten gegenüber gern und voller Stolz, daß er dieses Diplom im Jahre 1954 von der Regierung erhalten habe. Einige von ihnen verstanden dies so, als habe Karl Pouva ein Ingenieur-Diplom verliehen bekommen und betitelten ihn dementsprechend, obwohl er nie einen derartigen Abschluß erlangt hatte.
Eine Meldung aus der "Neuen Zeit" vom 12. Juli 1956 gibt uns Auskunft darüber, daß im Jahr zuvor der ursprüngliche Preis der Pouva Start von 25,- Mark auf noch billigere 16,50 Mark gesenkt werden konnte. Neben der hier angegebenen verbesserten Organisation des Produktionsablaufs scheint dabei auch der Ersatz von Metallteilen durch Kunststoff eine Rolle gespielt zu haben. Durch die großen Stückzahlen, die Pouva nun auszustoßen imstande war, konnte die Firma sogar 20 Prozent in den Auslandsvertrieb abgeben. Die unten wiedergegebenen Kaufgesuche für eine Waagerecht-Schleifmaschine vom 27. April 1955 und für einen PKW vom 14. Dezember 1957 geben einen Eindruck davon, daß Karl Pouva durch die stark angestiegenen Umsätze nun investieren konnte.
Daß die Pouva Start nicht nur in verschiedene Länder exportiert, sondern im Ausland auch in Lizenz gefertigt wurde, das war bekannt. In Vergessenheit dürfte jedoch geraten sein, daß ganze Produktionsanlagen für diese Kamera geliefert werden sollten, wie es im obigen Artikel in der Neuen Zeit vom 20. Juni 1961 für Indien und Kuba beschrieben wird. Aus einer Meldung in der Berliner Zeitung vom 12. März 1963 geht hervor, daß dieser Export einer kompletten Pouva-Start-Fertigungsstraße nach Indien auch tatsächlich erfolgt war.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre arbeitete Karl Pouva daran, den umständlich zu bedienenden Klappsucher durch einen festen Durchsichtssucher zu ersetzen. Zweitens hatte er eine Blitzsynchronisation hinzugefügt. Die Pouva Start "mit völlig neuem Gesicht" erschien dann auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1958 [Vgl. Messeneuheiten für Filmfachleute und Amateure, Neue Zeit, 14. Januar 1958, S. 6.]. Auf diesem Entwicklungsstand wurde die Kamera nun noch fast ein anderthalbes Jahrzehnt weiterproduziert.
Erich Höhne und Erich Pohl, die beiden Pioniere des modernen Photojournalismus in der DDR, ermöglichen uns einen Blick in die Fabrikräume der Pouva-Werkstätte im Juli 1953 [Bildquelle: Deutsche Fotothek]. Die Aufnahmen lassen auch ein wenig von den damaligen Arbeitsbedingungen erahnen, die sicherlich nicht immer angenehm waren. Der Umgang mit Phenolharzen ist gesundheitlich nicht ganz unbedenklich, zumal die Preßmasse zum Aushärten einige Minuten lang stark erhitzt werden mußte, was phenol- bzw. aldehydhaltige Dämpfe freisetzte. Daß Arbeitshygiene offensichtlich einen untergeordneten Stellenwert einnahm, sieht man auch an der Mitarbeiterin, die meiner Ansicht nach Teerpech erhitzt, um die Linsen für das periskopische Pouva-Start-Objektiv auf die Schleifmaschinentragkörper zu kitten. Auf dem ersten Photo sieht man Karl Pouva noch einmal persönlich.
Auf dem letzten Bild oben ist auch die Montage des Kleinbild-Projektors "Pouva Magica" zu sehen. Dieser bildete regelrecht das zweite Standbein des Betriebes. Und das obwohl beide Produkte – die 6x6-Kamera für Schwarzweißaufnahmen und der Projektor für Kleinbilddias – im Grunde genommen gar nicht zusammenpaßten. Aber genau das war das Erfolgsrezept. Beide Produkte sprachen getrennte Käuferschichten an und kamen sich im Kampf um die Käufergunst daher nicht "in die Quere". Der Magica wurde beispielsweise von Familienvätern gekauft, um dem Nachwuchs am Sonntag Abend die damals sehr beliebten Märchen-Bildbänder vorzuführen. Auch gab es fertige Bildbänder von Städten und Sehenswürdigkeiten in der DDR und dem Ausland zu kaufen. Und wenn Papa im Sommerurlaub an der Ostsee mal selbst einen Farbfilm in seiner Welti oder Beltica verschossen hatte, dann wurden die Dias zumindest anfänglich ebenso mit diesem Bakelit-Projektor vorgeführt. Mit seinem Verkaufspreis von 22 Mark und 10 Pfennigen (zuvor 24,84 M) war er aber auch generell für jedermann als Einstieg in die Diaprojektion erschwinglich. Der Pouva Magica blieb daher erfolgreich, selbst nachdem die Nachfrage nach der Pouva Start im Laufe der 60er Jahre immer weiter zurückgegangen war.
Nachdem man die Filmspulen abgenommen und die Bildbahn aus dem Kanal entfernt hatte, ließen sich mit dem Pouva Magica auch in handelsüblichen Deckgläsern oder Plast-Rähmchen gefaßte Diapositive vorführen. Die Schärfe des Bildes war aufgrund des einfachen periskopischen Projektionsobjektives freilich mäßig. Das gilt auch für die Helligkeit des Schirmbildes. Das Zugrundelegen von Allgebrauchs-Glühbirnen als Lichtwurflampe war insgesamt ungünstig. Die zum Ausgleich in der Bedienungsanleitung vorgeschlagene Verwendung von 100 Watt Birnen ließ das Gehäuse des Projektors nach kurzer Zeit sehr heiß werden. Als bei späteren Modellen eine der beiden Kondensorlinsen aus Kunststoff statt aus Glas gefertigt wurde, schmolz diese nicht selten oder verformte sich.
Der Ausschnitt unten aus dem Sortimentskatalog Foto-Optik 1987 zeigt, daß der mittlerweile "Jugendbildwerfer Magica" genannte Projektor noch bis in die späte DDR-Zeit gefertigt wurde. Offizieller Herstellerbetrieb war jetzt allerdings der VEB Edelstahlwerk Freital "8. Mai 1945", Betrieb im Kombinat VEB Rohwerk. Die Abbildung in diesem Sortimentskatalog ist aber in all diesen Jahren offenbar nie aktualisiert worden. Die Filmspulen wurden schon seit vielen Jahren aus Thermoplast gefertigt und die Lampenfassung modernisiert und mit einem Europastecker versehen.
Wenn man diese zeitgenössischen Bilder aus dem Pouva-Werk betrachtet, gewinnt man rasch den Eindruck, Karl Pouva müsse wohl ein sehr offener Mensch gewesen sein, der nichts zu verbergen hatte. Als mittelständischer Geschäftsmann nutzte er sicherlich auch gerne die Werbewirkung, wenn die Presse zugegen war. Darauf könnte man jedenfalls dadurch schließen, daß ungewöhnlich viel Bildmaterial von verschiedenen Photojournalisten vom Produktionsprozeß in seinem Betrieb überliefert ist. So auch die unten gezeigten Aufnahmen von Richard Peter jun., die ebenso aus der Mitte der 50er Jahre stammen dürften.
Auch der Photograph und Kameramann Heinz Woost ermöglicht uns einen Blick in das Freitaler Pouvawerk, welcher mit dem 17. Februar 1962 zudem sehr genau datiert ist [Bildquelle: Deutsche Fotothek]. Er läßt uns erkennen, daß zu jenem Zeitpunkt die Pouva Start gerade mit cremefarbenen Suchergehäusen und Objektivfrontkappen gefertigt wurde. Darunter ist ein Arbeiter zu sehen, der die Bildbühne des Gehäuses plan schleift. Damit wurde im Prinzip das Fokusmaß der einfachen Kamera festgelegt.
Die obigen Bilder von Heinz Woost zeugen davon, daß die Experimente im Pouva-Werk in Hinblick auf eine etwas abwechslungsreichere Gestaltung der Kamera offenbar im Jahr 1962 verortet werden müssen. Die Spritzgußteile wurden vorübergehend mal aus weißem (heute meist cremefarbenem) Thermoplast gefertigt. Daneben wurde kurzzeitig sogar versucht, die üblicherweise schwarze Pressemasse des Kameragehäuses mit einem Grünton anzufärben. Leider läßt sich Preßstoff nur schwer einfärben bzw. der Farbton dunkelt im Laufe der Zeit stark nach. Das nur als Hauch zu bezeichnende Grün des Bakelit läßt sich daher im Photo nur schwer wiedergeben. Gut zu sehen ist aber die grün ausgelegte Gravur. Diese Experimente wurden allerdings rasch wieder beendet, sodaß diese Variante heute vergleichsweise selten ist.
Oben: In diesem Gebäude am Rande des Freitaler Stadtteiles Deuben sind alle unsere Pouva-Start-Kameras entstanden. Immerhin etwa 150 Beschäftigte arbeiteten hier Mitte der 1960er Jahre. Aufnahme im Juli 2024.
Materialbasis: Bakelit
Neben einer für die Gattung der Boxkamera sehr fortschrittlichen äußeren Formgebung stach die Pouva Start auch durch die Materialwahl für ihr Gehäuse hervor. Die Überlegung dabei dürfte gewesen sein: Eine Amateurkamera, die in sehr großen Stückzahlen zu einem geringen Preis angeboten werden sollte, durfte natürlich keine übermäßigen Materialkosten verursachen. Aluminiumdruckguß schied in den frühen 50er Jahren für diesen Zweck deshalb aus. Was aber heute beinah in Vergessenheit geraten ist: Die junge DDR hatte einen der größten Betriebe weltweit für die Produktion von Phenolharzen geerbt (in der Fachsprache auch "Plastaresin" genannt). Es war noch L. H. Baekeland persönlich, der Erfinder des nach ihm benannten duroplastischen Kunststoffes Bakelit, der in Kooperation mit den Rütgerswerken in Erkner bei Berlin im Jahre 1910 eine erste Fabrik zur großtechischen Erzeugung dieses Preßstoffes gegründet hatte. Das war der Beginn des Kunststoffzeitalters. Trotz Bombardierung im Zweiten Weltkrieg blieb das Werk lieferfähig. Das Ausgangsprodukt Kohlenteer war aufrund der Stadtgaserzeugung in großen Mengen vorhanden. So wurde eben nicht nur das Gehäuse dieser Boxkamera aus Bakelit gefertigt, sondern auch die Karosseriebeplankung eines bekannten DDR-Kleinwagens.
Dieses Bild zeigt die Überreste des ab 1914 errichteten ersten Fabrikgebäudes der Bakelite GmbH; bis 1956 das Werk I des VEB Plasta Kunstharz- und Preßmassenfabrik Erkner, danach Forschungsstätte. Aufgenommen mit einer Pouva Start im Oktober 2019.
Ursprünglich wurde der Sucher der Pouva Start aus Metall gefertigt. Offenbar im Jahre 1957 hat sich Herr Pouva aber eine Spritzguß-Maschine zugelegt, die nach dem damals üblichen Verfahren der Kolbenplastifizierung arbeitete. Man kann nur vermuten, daß sie aus dem örtlichen VEB Pressenwerk Freital stammt, wo man im Jahre 1955 mit dem Bau derartiger Maschinen begonnen hatte und Karl Pouva dürfte einer der ersten Anwender gewesen sein. Mit dieser Technologie war es möglich, die Sucherabdeckung und die vordere Abschlußkappe des Objektives nun aus thermoplastischem Kunststoff herzustellen. Oben sieht man, wie der Mitarbeiter dieses kleine Teil für den Sucher in der Hand hält. Es ist weiß, weil zu diesem Zeitpunkt ausnahmsweise weißes Kunststoffgranulat verarbeitet wurde. Diese sogenannten Spritzmassen lassen sich fast beliebig einfärben. Das Bild unten zeigt eine zweite Spritzgußmaschine von wesentlich größer Bauart aus dem Kombinat Umformtechnik, die gleich mehrere solcher Suchergehäuse zugleich spritzen konnte [Bilder von Heinz Woost, Deutsche Fotothek].
Der Unternehmer Karl Pouva
Noch einmal zurück zu Karl Pouva als Beispiel für einen privatwirtschaftlichen mittelständischen Unternehmer: Dieser Mann ist als Vertreter derjenigen Generation zu sehen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus sehr bescheidenen Anfängen heraus wieder eine industrielle Produktion aufgebaut haben. Von Kochgeschirr und Aktentaschenschlössern aus Flugzeugteilen und ähnlichen "Umwidmungen" von aus der Rüstungsfertigung übrig gebliebenen Materialien ist die Rede.
Dabei hatte sich Karl Pouva seine technischen Fertigkeiten zunächst in der im Dresdner Raum recht bedeutenden Zigarettenindustrie angeeignet [Vgl. Mekas, Massenfotografie, 1971.]. Sein großes Steckenpferd waren aber die Photographie und die Kinematographie. Während der 1930er Jahre führte er in Freital einen Photoladen mit angeschlossenem Atelier [s.o., Arbeiterstimme vom 10. September 1932]. In verschiedenen regionalen Zeitungen tauchten darüber hinaus regelmäßig seine Beiträge als Bildberichterstatter auf. Sein frühes unternehmerisches Talent wird auch daraus deutlich, daß er insgesamt 13 abendfüllende Schmalfilme gedreht haben soll, die er in angemieteten Kinos vorführte [Vgl. Mekas, Massenfotografie, 1971.]. Einer dieser Filme hieß beispielsweise "Fahnenweihe des Bezirks Plauenscher Grund", den er am 17. Januar 1935 dem Kriegerverein in Gorbitz vorführte [Vgl. Elbtal-Abendpost vom 22. Januar 1935].
Bericht aus dem Erzgebirgischen Volksfreund vom 9. August 1934 über einen der abendfüllenden Filme der "Pouva-Filmfabrik in Freital" - in diesem Fall über das Schneeberger Heimatfest.
Im Jahre 1938 ergriff Karl Pouva jedoch die Gelegenheit, einen metallverarbeitenden Betrieb in Freital zu übernehmen und sich als Photogeräte-Hersteller selbständig zu machen [Vgl. Mekas, Massenfotografie, 1971.]. Bisher habe ich keine Anzeichen dafür gefunden, daß es sich dabei um einen Fall der damals massenhaft stattfindenden "Arisierungen" gehandelt hätte. Für die Güterbahnhofstraße 1 ist derzeit nur für den Februar 1932 eine Liquidation der dort ansässigen "Genossenschaft Wohnungsbau für Handwerk, Handel und Gewerbe" nachweisbar. Hier in diesem Gebäude produzierte Karl Pouva ab 1939 den unten gezeigten Pouva Bildwerfer.
Ein solcher Projektor für Kleinbild-Diapositive war genau das richtige Produkt zur richtigen Zeit. Denn die Kleinbildphotographie, die in den 30er Jahren ohnehin bereits großes Wachstum verzeichnete, bekam noch einmal einen enormen Schub, nachdem Kodak 1935 den Kodachrome (im Deutschen damals Kodachrom geschrieben) und die AGFA im Oktober 1936 den Agfacolor neu auf den Markt gebracht hatten. Diese Mehrschichtfarbfilme erlaubten auf einmal, Farbaufnahmen mit jeder normalen Kleinbildkamera ohne besonderes Zubehör anzufertigen. Außerdem war es in Wolfen im Frühjahr 1938 gelungen, die Empfindlichkeit des Agfacolorfilmes von ursprünglich 7/10 °DIN gleich auf 15/10 °DIN zu steigern, was dem Wert damals handelsüblicher Schwarzweißfilme entsprach. Kodachrom(e) und und zunächst auch Agfacolor arbeiteten allerdings nach dem Umkehrverfahren, weshalb die Bilder als 24x36 mm große Diapositive vorlagen. Um die kleinen Bildchen ansehen zu können, brauchte man daher wenigstens einen einfachen Hand-Betrachter. Besser noch man hatte einen Bildwerfer, um die farbigen Dias einem größeren Kreis vorführen zu können. Ein großes, helles Schirmbild in leuchtenden Farben im eigenen Wohnzimmer zu erzeugen – das war eine zuvor nicht für möglich gehaltene Revolution für den Photoamateur in der zweiten Hälfte der 30er Jahre. Und wer sich beispielsweise bei Martin Hanke eine Altix für 39,- Reichsmark gekauft hatte, der war dankbar, im selben Hamaphot Katalog auch einen vergleichbar preiswerten Projektor im Angebot zu finden. Dort taucht dieser Pouva-Bildwerfer im Februar 1939 nämlich erstmals auf.
Anders als die Geräte, die Pouva nach 1945 hergestellt hat, ist dieser Bildwerfer vollständig aus Metall gefertigt. Der Aufbau ist einfach, aber gediegen. Das Gehäuse ist doppelwandig, sodaß man sich beim Wechseln der Dias nicht die Finger verbrennt. Die Lackierung in geschmackvollem grauem Kräusellack läßt den Pouva-Bildwerfer meines Erachtens sogar gegenüber zeitgenössischen Konkurrenzprodukten von Agfa oder Filmosto hervorstechen. Im Gegensatz zu dem einfachen periskopischen Objektiv des späteren Bakelitprojektors "Pouva Magica", ist das hier verwendete Projektionsobjektiv tatsächlich ein dreilinsiger Anastigmat. Trotzdem besteht kaum ein Zweifel, daß das gesamte Gerät vollständig in der Werkstätte des Karl Pouva entstanden ist und es abgesehen von den Glasrohlingen keinerlei Zulieferteile bedurfte.
Zu Weihnachten 1939 bekam das deutsche Volk von seinem geliebten Führer die Verdunkelung und von Karl Pouva zum Ausgleich den Bildwerfer für 37 Mark 10. Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, auf jeden November folgt wieder ein Mai. [Saale-Zeitung vom 16. Dezember 1939.]
Erst im November 1941 erfolgte dann jedoch die Eintragung Pouvas ins Handelsregister
Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1940 war dem bisherigen Projektor ein Modell "Pouva II" an die Seite gestellt worden, bei dem der Dia-Fallschacht gegen eine Filmbandführung ausgewechselt werden konnte. Außerdem waren Lichtwurflampen bis 150 Watt verwendbar. Aus der Meldung [aus: Photographische Industrie vom 20. März 1940, S. 191.] geht auch hervor, daß Karl Pouva damals sogar Diarähmchen herstellte.
Aus der Fachpresse kann man erfahren, daß Karl Pouva seinen Projektor noch während des Krieges gefertigt und sogar weiterentwickelt hat. Beim Modell III des Pouva-Bildwerfers erkennt man eine Bildbandführung, die Lichtleistung wurde auf 250 Watt gesteigert und die Öffnung des Objektives auf 1:3,5 angehoben.
Die Reklame oben von 1948/49 belegt, daß Karl Pouva recht frühzeitig nach dem Kriege wieder seine bisherigen Gerätschaften hergestellt hat. Er wird ausdrücklich kein Opfer der Wellen an Beschlagnahmungen und Enteignungen jener Zeit, was wir als sicheres Zeichen dafür nehmen können, daß er sich nicht nennenswert an der Rüstungsfertigung beteiligt hat und vor allem keine Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen beschäftigte. Aus seinen Anzeigen in der kommunistischen Tageszeitung "Arbeiterstimme" vor 1933 läßt sich zudem die vorsichtige Schlußfolgerung ziehen, daß er nicht gerade der NSDAP nahegestanden hatte.
Wir dürfen uns aber auch keine Illusionen darüber machen, daß sich Herr Pouva sehr dem SED-Staat anbiedern mußte, um weiterhin unternehmerisch tätig bleiben zu können. Seit 1957 war er sogenannter Komplementär. Im DDR Sprachgebrauch verbarg sich dahinter, daß er eine staatliche Beteiligung eingehen mußte, um weiterhin an Material und Investitionsmittel zu gelangen. Zu welchen Unterwerfungsgesten gegenüber der Führung man als Privatunternehmer bereit sein mußte, läßt sich aus der Ergebenheitsadresse herauslesen, die Karl Pouva im Zusammenhang mit der Entwicklung seines neuen Produktes "Bändi" (siehe nächsten Abschnitt) an den Genossen Walter Ulbricht richtete und der in der Tagespresse veröffentlicht wurde:
"Wir hatten uns in der Wahlvorbereitung vorgenommen, das erste serienreife Gerät bis zum Wahltag fertigzustellen, und es ist uns gelungen, diese Zielstellung zu erreichen. Daran hatten wir außerordentlich große Freude, und wir können uns keinen schöneren Lohn vorstellen, als daß Sie bereit sind, diese Freude mit uns zu teilen. Deshalb war es mir namens der gesamten Belegschaft inneres Bedürfnis, Ihnen 'Bändi' zu übermitteln...
Ich darf Ihnen, sehr geehrter Herr Vorsitzender, durch diese Sendung meinen tiefempfundenen Dank dafür zum Ausdruck bringen, daß ich als kleiner Produzent die Zeit erleben durfte, die den Anbruch einer neuen, weltweiten Gesellschaftsordnung bringt, die ich mich die ganzen letzten Jahre befleißigt habe, zu erkennen und zu verstehen. Meine Arbeit soll wahrhaftig einem Bedürfnis entsprechen, und ich möchte damit zu meinem Teil beitragen, unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat, mit Ihnen an der Spitze, zu geben, was in meinen Kräften steht." [aus: Krause, Ulrich: "FP" besuchte in Freital: "Bändi"-Vater Karl Pouva, Freie Presse vom 29. Oktober 1963.]
Pouva "Bändi"
Mit seinen gediegen ausgeführten Bildwerfern aus Metall hatte Karl Pouva schon Ende der 30er Jahre unter Beweis gestellt, daß er prinzipiell zu mehr in der Lage war, als einfache Knipser und Bildwerfer aus Kunststoff zu fertigen. Doch sein Versuch aus den 60er Jahren, die preisgünstige Produktionsweise auf Basis von Plastwerkstoffen auf komplexere Produkte auszudehnen, geriet zu einem eklatanten Fehlschlag. Mit seinem Amateurtonbandgerät Bändi hatte sich Karl Pouva deutlich übernommen. Das großartig angekündigte, vergleichsweise preiswerte Gerät enttäuschte im Prinzip in jeglicher Hinsicht [Vgl. Jakubaschk: Wir lernten kennen: Tonbandgerät BÄNDI; in: Radio und Fernsehen, Heft 11/1964, S. 349]. Am Ende blieb von der ganzen Euphorie um das Bändi als "Tonband für Jedermann" nur eine Einstufung als mechanisches Spielzeug übrig.
Immerhin vier Patente hatte Karl Pouva diesbezüglich um den Jahreswechsel 1963/64 herum beim DDR-Patentamt angemeldet. Doch es half alles nichts: Das Laufwerk mit dem ungeregelten Gleichstrommotor verursachte große Probleme; trotz der umfangreichen Patentierung der diesbezüglichen Konstruktionseinfälle Pouvas. Auch mit der Transistor-Verstärkerschaltung war Pouva deutlich überfordert. Als völlige Selbstüberschätzung entpuppte sich allerdings, daß sich Pouva gar die Fertigung des Tonkopfes selbst zutraute. Nur den Motor (Petrich) und den Bleiakku (Quaiser) ließ er sich zuliefern [Vgl. Jakubaschk, BÄNDI - ein billiges transistorisiertes Tonbandgerät; in: Radio und Fernsehen, Nr. 11/1964, S. 348.]. Eine redaktionelle Nachbemerkung der Zeitschrift Radio und Fernsehen im Anschluß an Hagen Jakubaschks regelrechten Verriß des Bändi in seinem Testbericht fällt daher für DDR-Verhältnisse außergewöhnlich freimütig aus:
"Die vorausgegangenen Ausführungen und das daraus resultierende negative Gesamturteil des Verfassers sind leider keine Einzelmeinung. Andere Fachleute auf dem Gebiet der Magnettontechnik äußerten sich ebenfalls kritisch zu dieser Neukonstruktion, obwohl auch sie den Grundgedanken begrüßen. Daran ändert auch nichts die superlative Berichterstattung der Tagespresse.
Uns erscheint es wenig sinnvoll, daß ein Hersteller, der bisher keine Erfahrung mit der komplizierten Magnettontechnik hatte, sich gleich an eine so schwierige Aufgabe wagt.
Um einen größeren Schaden zu verhüten, der sowohl für den Hersteller wie auch für die gesamte Volkswirtschaft eintreten kann, wäre es am sinnvollsten, daß die Konstruktion des BÄNDI von einer hierfür zuständigen Entwicklungsstelle unter Berücksichtigung der bei der Fa. Karl Pouva KG. möglichen Technologie nochmals überarbeitet wird. Die Produktion könnte dann von der Fa. Karl Pouva KG. durchgeführt werden."
Auf diesen beiden Bildern sieht man Karl Pouva beim Basteln an seinem "Bändi". Festgehalten von Heinz Woost im Januar 1962 [Deutsche Fotothek]. Die obligatorische Zigarre ist auch dabei und eine Pouva-Start-Rückwand dient als Aschenbecher. Die zeitgenössische Bildbeschreibung läßt übrigens wissen, daß Herr Pouva sein Magnettongerät damals noch "Phoni" nennen wollte.
Derselbe Hagen Jakubasck, der ein Jahr später das Bändi in der RFE so verreißen wird, der hatte im Oktoberheft 1963 des Magazins "Jugend & Technik" noch einen insgesamt erwartungsvoll klingenden Artikel verfaßt. Daß aber schon das versprochene Testgerät nicht zur Verfügung gestellt werden konnte, läßt bereits böses vorahnen. Die Ankündigung, 1964 sagenhafte 30.000 Stück liefern zu wollen, zeigt, daß Herrn Pouva damals völlig der Sinn für die Realität abhanden gekommen war. Interessant ist zudem, daß er von der Presse als Ingenieur bezeichnet wurde. Das Diplom, das er 1954 verliehen bekommen hatte, hatte aber mit einem akademischen Abschluß nichts zu tun.
Wohl um Scherereien mit dem Einzelhandel aus dem Wege zu gehen, wurde das Bändi bevorzugt über das Versandhaus Leipzig verkauft - das übrigens berüchtigt für das Veräußern von Ladenhütern an die mit wenig Einkaufsmöglichkeiten ausgestattete Landbevölkerung war. Auch ist aus der obigen Anzeige zu entnehmen, daß das Bändi mit dem ursprünglich verwendeten Quaiser-Akku 2250 Gramm wog. Mit dieser Stromquelle gab es aber viel Ärger. Das ist auch kein Wunder, denn als klassischer Blei-Säure-Sammler war er nicht kipp- und auslaufsicher. Nachdem Bändi-Nutzer einen Umbau auf die damals sehr modernen Blei-Trockenakkus Typ RZP veröffentlicht hatten, reagierte Pouva, indem er sein Bändi werksmäßig auf diese Energiequelle umstellte. Damit wurde das Gerät gleich mehr als ein halbes Kilo leichter (siehe Anleitung unten). Legendär ist dabei Karl Pouvas Lade-Abschaltautomatik, die so funktionierte, daß der Ladevorgang abgebrochen wurde, weil sich die Akkus durch das einsetzende Gasen ausdehnten und daraufhin den Kontakt öffneten, über den der Ladestrom floß. Das Entwicklerkollektiv eines großen VEB wäre wohl in die Produktion geschickt worden, wenn es mit solch einer hemdsärmeligen Lösung dahergekommen wäre...
Dieses Debakel rund um das Bändi zeigte auf, an welche Grenzen ein privater Betrieb mit dem Inhaber als Chefkonstrukteur damals in der DDR gelangen konnte. Karl Pouva konnte während der gesamten 50er und 60er Jahre die in der DDR stets drohende Enteignung vermeiden, da er im Jahre 1957 seine kleine Firma in eine Kommanditgesellschaft (KG) gewandelt hatte [Vgl. Krause, Ulrich: FP besuchte in Freital "Bändi"-Vater Karl Pouva, Freie Presse vom 29. Oktober 1963]. Das heißt er hatte staatliche Eingriffe in Kauf genommen, um mit großer Wahrscheinlichkeit die mit der Weiterentwicklung seiner Pouva Start im Zusammenhang stehenden Investitionen in die dazu nötige Spritzguß-Technik tätigen zu können.
Dabei waren diese staatlichen Beteiligungen eine außerordentlich zwiespältige Angelegenheit für Privatbetriebe in der DDR. In vielen Fällen kamen sie einem regelrechten "Pakt mit dem Teufel" gleich, weil sie zwar die Aufnahme von Krediten zum Abdecken von Investitionen möglich machten; der Preis aber darin lag, daß der Staat dieses Abhängigkeitsverhältnis dazu nutzte, um mit dem nächsten Kredit seinen Anteil sukzessive auszuweiten. Letztlich liefen solche staatlichen Beteiligungen daher auf eine schleichende Enteignung der Firma hinaus. Privatunternehmer, die einer staatlichen Beteiligung zu entgehen oder zumindest deren weiteren Ausbau zu verhindern suchten, bezahlten dies damit, daß ihr Betrieb in die Stagnation geriet. Das war aber kein Versehen, sondern politisch-ideologisch genau so gewollt.
Der sukzessive Rückgang der Nachfrage nach seiner einfachen Bakelitkamera, deren Preis zudem durch Vorgaben des Amtes für Preise nicht angehoben werden durfte, hatte Karl Pouva Anfang der 60er Jahre dazu gezwungen, nach neuen Produktideen zu suchen. Die dazu notwendigen Investitionen stärkten nun den Einfluß des staatlichen Kommanditisten. Auf diese Weise steuerte die Firma sukzessive auf die schleichende Enteignung zu.
Letzte Entwicklung: Die Pouva SL100
Auch Karl Pouvas Betrieb ereilte genau dieses Schicksal der Enteignung. Aus dem Artikel "Pouva SL 100 – für die neue Generation in der Massenfotografie" von Eberhard Mekas (Zentrales Warenkontor Technik) aus dem Jahre 1971 geht nämlich hervor, daß die Karl Pouva KG zu diesem Zeitpunkt bereits verstaatlicht war, denn der 68-jährige Karl Pouva wird hier als Werkleiter eines VEB Kamerawerke Freital vorgestellt. Anlaß für den Artikel war, daß die Herstellung der Pouva Start eingestellt worden war und der Betrieb nun die Pouva SL 100 fabrizierte. Diese Kamera, die mit einem EVP von 19,50 M das unterste Preissegment des sogenannten SL-Systems abdecken sollte, war noch von Karl Pouva persönlich entwickelt worden:
"Herr Pouva, mit 68 Jahren einer der ältesten Leiter eines Produktionsbetriebes der Fotobranche, ist in Fachkreisen als 'fanatischer Bastler' bekannt. Die technischen Details der Kamera sind ein Ergebnis von vielen Stunden beharrlicher Arbeit und auf oft verblüffend einfache Art und Weise gelöst worden. Zum Beispiel der Verschluß, die Doppelbelichtungssperre, der großflächige Auslöser, ja, sogar das optische System ist von ihm selbst berechnet, hergestellt und geprüft worden."
Aus dem Artikel erfährt man auch, daß von der Pouva Start in den zwei Jahrzehnten zwischen 1950 und 1970 nicht weniger als 2½ Millionen Stück (!) fabriziert worden waren. Vom Pouva Magica, der im Fertigungsprogramm verblieb, waren es zu jenem Zeitpunkt auch bereits etwa eine Million. Mit der neuen Pouva SL 100 ließen sich diese Produktionsziffern von mehreren hundert Kameras pro Tag problemlos fortsetzen, unter anderem weil ihre Einzelteile nicht mehr aus Bakelit "gebacken" werden mußten, sondern im Akkord auf Basis von thermoplastischen Kunststoffen gespritzt werden konnten. Mit dieser Spritzguß-Technik hatte sich Karl Pouva und sein Mitarbeiterstamm schließlich bereits in den letzten zehn Jahren intensiv vertraut gemacht. Im VEB Plast- und Elastverarbeitungsmschinenkombinat Karl-Marx-Stadt wurden diesbezüglich mittlerweile sehr leistungsfähige Spritzgußmaschinen hergestellt.
Trotzdem verschwand der Name "Pouva" auf dieser Kamera bereits nach kurzer Zeit wieder. Nach Honeckers Machtantritt wurde bis zum Sommer 1972 fast der gesamte verbliebene private und halbstaatliche Mittelstand zerschlagen und die Firmen zunächst auf freiwilliger Basis, die restlichen anschließend dann aber zwangsweise in die sogenannten "Volkseigenen" Betriebe umgewandelt. Die SED wollte damit die vollständige Kontrolle bis in den letzten Winkel des Wirtschaftslebens erlangen. Aus der Karl Pouva KG wurde daraufhin der VEB Fototechnik Freital und Pouva blieb zunächst Betriebsleiter. Aus dem benachbarten Kamerawerk Woldemar Beier wurde der VEB Kamerafabrik Freital gemacht und der gerade enteignete Werner Beier als Betriebsleiter seiner eigenen Firma angestellt.
Zu Jahresbeginn 1969 war in Dresden ein VEB Kosora mit etwa 400 Mitarbeitern gegründet worden [Vgl. Berliner Zeitung vom 28. Januar 1969, S. 4]. Kosora stand für "komplexe sozialistische Rationalisierung", das heißt seine Aufgabe bestand darin, unproduktiv arbeitende Industriebetriebe im Bezirk Dresden an die Knute zu nehmen und durch Straffung rationeller zu machen. Ab Jahresende 1972 wurde dieser VEB Kosora speziell auf gerade enteignete Hersteller von Konsumgüterartikeln angesetzt, um die "Versorgung der Bevölkerung" zu verbessern. Neben dem VEB Phonomat Pirna (vorm. Kurt Ehrlich) wurden insbesondere auch die Betriebe VEB Fototechnik Freital, VEB Kamerafabrik Freital und VEB Certo Kamerawerk Dresden in den Blick genommen [Vgl. Neue Zeit vom 24. Dezember 1972, S. 5]. Diese Betriebe wurden 1973 zusammengelegt und als VEB Kamerafabrik Freital weitergeführt. Es wurde ein Hersteller geschaffen, der nun ganz und gar auf die Massenproduktion von einfachen Tubuskameras ausgerichtet war, mit denen hauptsächlich die Nachfrage im Inland abgedeckt werden sollte. Um den Mangel an Objektiven für diese SL-Kameras zu mildern, wurden offenbar auch die verstaatlichten optischen Werke Ernst Ludwig Weixdorf in diesen "Sucherkamera-VEB" integriert.
Der fast 70-jährige Karl Pouva ging in den Ruhestand und die im Juli 1972 zunächst als Pouva (Start) SL 100 in den Handel gebrachte Kamera [Vgl. Minowsky, Mit Pouvastart und Meonet, Jugend und Technik, 7/1972, S 640f.] wurde schon nach kurzer Zeit in Beirette SL 100 umbenannt. In dieser Form wurde die einfache Plastikkamera dann noch bis in die Wendezeit in großen Stückzahlen gefertigt, zuletzt als Beirette SL100N in bunten Gehäusefarben. Im Jahr 1980 verlor dann aber auch dieser VEB Kamerafabrik Freital seine Selbständigkeit, als er in das Kombinat Pentacon eingegliedert wurde. 1985 wurde er gar noch Teil des Kombinates Carl Zeiss Jena. Karl Pouva bekam all diese Entwicklungen am Ende des langen Jahrhunderts noch mit. Er starb 85-jährig im Jahr des Mauerfalls.
Zum Abschluß noch ein Kuriosum, das mir bei der Recherche zu Karl Pouva in die Hände gefallen ist. Anfang Dezember 1940 ist Herrn Pouva im Café Hülfert in Dresden eine Aktentasche entwendet worden. In den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 7. Dezember 1940 hatte er die oben wiedergegebene Annonce aufgegeben. Ob Karl Pouva jemals wieder an den Inhalt der Tasche gelangte, das ist leider nicht überliefert. Doch zeigt das Inserat uns, daß seine Firma immer schon im Gebäude in der Güterbahnhofstraße residierte an der Grenze zum bis ins Jahr 1964 noch eigenständigen Hainsberg.
Pouva-Stereo
Die DDR war das Land des Bastelns und Selbermachens. Das hing mit der über die gesamten 40 Jahre der Existenz dieses Landes gleichbleibend "schwierigen Versorgungslage" zusammen. Entweder waren gewisse Produkte gar nicht erhältlich oder aber sie waren so teuer, daß sie sich längst nicht jeder leisten konnte (Stichwort: "Exquisit"). Interessanterweise gab es aber oftmals wichtige Rohmaterialien und Bauteile zu kaufen oder sie konnten direkt von den Herstellerwerken "organisiert" werden. So gab es zwar beispielsweise die in den 70er Jahren sehr begehrten "Knautschlederjacken" so gut wie nicht zu kaufen, das Kunstleder dafür war aber durchaus handelsüblich oder wurde entsprechend eingetauscht. Also nähten sich geschickte Frauenhände diese Jacken und Hosen halt selber. Nicht von ungefähr hatte die DDR einer der höchsten Dichten an Haushaltsnähmaschinen.
Ein weiteres Phänomen dieser DDR-Eigenheit war dann auch die zugehörige "Bastelliteratur" in Form von Periodika oder Fachbüchern. Zehntausendfach verkaufte sich beispielsweise das "Fotobastelbuch" von Alfred Kunz und Dietmar Samplawsky, dessen Inhalt sich von allgemeinen technischen Informationen bis hin zu konkreten Bauanleitungen für im Handel nicht oder nur schwer erhältliche Photogeräte erstreckte. So fand sich in einem Abschnitt "Stereogeräte" auch eine Anleitung zum Bau einer 6x6-Stereokamera aus zwei einzelnen Pouva-Start-Gehäusen. Der weiten Verbreitung des Buches entsprechend wurde dieser Umbau von den Lesern derart oft in Angriff genommen, daß sich bis heute etliche dieser Stereo-Pouvas erhalten haben. Auch der Verfasser dieses Artikels hat seine Basteltelarbeit einstmals mit diesem recht einfachen Umbau begonnen. In einem Abschnitt weiter vorn in diesem "Fotobastelbuch" wurde zudem gezeigt, wie die Pouva Start durch Einbau eines Markenobjektivs in bezug auf die Bildqualität deutlich verbessert werden konnte. Wurden beide Umbauvorschläge kombiniert, dann erhielt man die oben zu sehende Pouva-Stereo, die zwar etwas umständlich zu bedienen war, mit der sich aber sehr hochwertige Stereogramme anfertigen ließen.
Marco Kröger
letzte Änderung: 14. April 2025
Yves Strobelt, Zwickau
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