Belmira

Belmira

Die verhinderte Volks-Meßsucherkamera?

Ein großes Ärgernis für den DDR-Bürger war der fortwährende Mangel an hochwertigen Konsumgütern. Hierbei stach insbesondere die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit heraus: Immer wieder wurden Dinge zwar angekündigt und mit Vorschußlorbeeren bedacht, aber zu kaufen gab es sie dann lange Zeit nicht. Egal ob in der Mode, beim Möbel und bei allerlei begehrten Waren. Andererseits fehlten aber auch immer wieder recht banale Dinge wie die berühmten Badekappen, die Kohlenzangen, Schuhcreme, Briefumschläge usw. Entweder wurden solche Produkte nicht oder nicht in ausreichenden Mengen hergestellt, oder es haperte einfach an der sogenannten Warenstreuung. Das ging dann beispielsweise so weit, daß Bürger in ihrer Region in Massen verfügbare Kohlezangen über die Satirezeitschrift "Eulenspiegel" in Gebiete der Republik vermittelten, wo diese Zangen schon seit Jahren nicht mehr gesichtet worden waren. So dichtete ein Eulenspiegel-Redakteur, der lieber namentlich ungenannt bleiben wollte, im Jahre 1960 treffend:



Die Planbilanz erwies sich als Knüller:

Es ging voran in allen Wirtschaftszweigen.

Wir sprechen laut das Lob der Planerfüller.

Vom Sortiment dagegen laßt uns schweigen.

Belca und Welta Belmira

So gab es auch im Photobereich Konsumgüter, die nach Tonnenideologie in riesigen Massen ausgestoßen wurden, die aber in diesem Umfang von der Bevölkerung gar nicht gebraucht wurden. Und weil die Prinzipien von Angebot und Nachfrage in der DDR durchaus ganz bewußt unterdrückt wurden, konnte der Markt letztlich auch gar nicht widerspiegeln, wonach der Kunde wirklich verlangte. Deshalb mußte die DDR-Industrie ja so auffällig nach dem Westen schauen, um abschätzen zu können, was eigentlich gerade Mode ist und auf welchen Trend man aufspringen muß.


Zur Gruppe derjenigen Produkte, die zwar großartig angekündigt, aber letztlich auf Jahre hinaus nicht hergestellt wurden, gehört auch die Belmira des Dresdner Belca-Kamerawerkes. Schon an verschiedenen Stellen auf unserer Seite habe ich darauf verwiesen, welchen enormen Aufschwung die Kleinbildphotographie in der Zeit nach 1945 erlebt hat. Zwar wurden mit Modellen wie der "Welti" oder der "Beltica" auf die Vorkriegszeit zurückgehende und auch neukonstruierte Kleinbildkameras hergestellt, aber mit ihren Balgen und ihren ungekuppelten Verschlußaufzügen waren sie wahrlich nicht auf der Höhe der Zeit. Es mangelte an einer starren Tubuskamera moderner Bauart und Formgebung, die mit einem gekuppelten Entfernungsmesser ausgestattet sein sollte und bei der sich der Zentralverschluß mit spannte, wenn man den Film weiterschaltete. Solche Kameras gab es in der Bundesrepublik in mannigfaltiger Variation. Bis zum Erscheinen der Werra III war eine solche Kamera in der DDR aber nicht aufzufinden.

DD05411 Schreiber Belmira Transport

Um so erstaunter war ich, als ich das DDR-Patent Nr. 5411 gefunden habe, das belegt, wie frühzeitig doch an genau solch einer Kamera gearbeitet wurde. Es stammt nämlich vom 28. April 1950 (!) und zeigt exakt den Spann- und Transportmechanismus, wie er letztlich in der Belmira verwirklicht wurde. Damit läßt sich auch mit großer Sicherheit angeben, daß diese Kamera von Karl Schreiber konstruiert worden ist. Mit diesem gekuppelten Aufzug, dessen Betätigungs-Schieber den später sehr beliebten Schnellspannhebeln ähnelt, wäre diese Kamera ihrer Zeit weit voraus gewesen.

Belmira 1951

Noch erstaunlicher erscheint es, daß diese Belmira schon weniger als ein Jahr später auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1951 erstmals gezeigt wurde [Vgl. Fotografie 4/1951, S. 104/105]. Produziert wurde sie indes nicht. Erst fünf (!) Jahre später begann der VEB Belca-Werk mit der Serienfertigung und stellte die Kamera ein zweites Mal auf der Herbstmesse 1956 vor [Vgl. Bild & Ton Heft 10/1956, S. 272]. Größere Stückzahlen gab es aber wohl erst, nachdem dieser Betrieb im Jahr darauf aufgelöst und seine Fertigung dem VEB Welta-Werk angegliedert worden war. Charakteristisch für diese Belmira ist, daß sie mittlerweile einen Schrägauslöser bekommen hatte, den einstmals Wilhelm Winzenburg für die Spiegelcontax patentiert hatte. Wenn man so will, kann man das als ein frühes Zeichen für die noch folgenden Konzentrationsprozesse ansehen, die 1959 durch die Schaffung des VEB Kamera- und Kinowerke angestoßen worden waren und die letztlich 1968 im großen "Kamerakombinat" Pentacon mündeten.

Belmira Schnellspannhebel

Mit ihrem gekuppeltem Vebur-Zentralverschluß und ihrem gekuppelten Entfernungsmesser gehörte die Belmira zu den wenigen Meßsucherkameras des DDR-Photogerätebaus. Freilich war der Meßsucher nur sehr einfach aufgebaut. Statt mithilfe eines halbtransparenten Spiegels wurde das Mischbild durch einen Glasstab eingespiegelt, der in den Sucher hineinragte und dessen Ende verspiegelt war. Der eigentliche Sucher war linsenlos als Rahmensucher ausgeführt. Damit man das Mischbild überhaupt erkennen konnte, mußte dieser Rahmensucher mithilfe einer getönten Scheibe stark abgedunkelt werden. Das war natürlich deutlich simpler gelöst als bei der zeitgenössischen Werra III des Zeisswerks, die mit ihren Wechselobjektiven aber ohnehin in einer völlig anderen Liga spielte. Die Belmira war demgegenüber deutlich auf kostenbewußte Massenfabrikation hin ausgelegt. Leider stellte sich auch heraus, daß der dünne Glasstab im Meßsucher leicht abbrach, wenn die Kamera größere Erschütterungen erfuhr. Auch war derselbe als in das Sucherbild hereinragende Störung sichtbar.

Belmira-Verkauf 1957

In einem Dresdner Fotokonsum wird im Jahr 1957 dem Kunden eine Belmira vorgeführt. Festgehalten von Höhne/Pohl, Deutsche Fotothek, Datensatz 90054484.

Angesichts eines Verkaufspreises von 182,70 Mark für die Version mit Trioplan und 210,- Mark für jene mit Tessar war diese vereinfachte Konstruktion aber akzeptabel. Eigentlich hatte diese Belmira das Potential, eine große Volkskamera der DDR werden zu können, aber die kurze Zeitspanne, in der sie tatsächlich in größeren Mengen produziert wurde, vereitelte dies. Die Belmira ist sicherlich ein Opfer der starken Umstrukturierungen geworden, die der DDR-Kamerabau in den späten 50er Jahren durchleben mußte. Außerdem war sie, weil sie offensichtlich von vornherein nicht für den Export infrage kam, für die Branche ziemlich uninteressant. Die Kamerabaubetriebe hatten schließlich ihr Exportsoll zu erfüllen, um der DDR entsprechende Deviseneinnahmen zu sichern. Für den DDR-Inlandsmarkt wurde dann meist ein kleines Kontingent davon abgezweigt. Eine Produktion von Luxusgütern allein für den DDR-Bedarf stand hingegen auf der Prioritätsliste meist sehr weit unten. Entsprechend oft schaute die Bevölkerung deswegen in die Röhre...

Belmira Trioplan

Späte Belmira mit Trioplan 2,9/50mm und einem anderen Ausschnitt in der Deckkappe für die Einspiegelung des Mischbildes. Da bei dieser Kamera - wie oben bereits angedeutet - typischerweise der verspiegelte Glasstab abgebrochen war, habe ich den Meßsucher auf die übliche Bauart mit einer schräggestellten halbverspiegelten Glasscheibe umgebaut, was man auf dem Bild oben bei genauerer Betrachtung auch erkennen kann. Durch diesen Umbau wurde überdies der Sucher bedeutend heller.

Zum Abschluß noch folgende Informationen: Im "Thiele" kann man nachlesen, daß für die Belmira etwa 38.000 Tessare 2,8/50 geliefert wurden. Bedenkt man, daß diese Kamera ja auch mit Trioplan ausgerüstet wurde, so ist die Belmira nicht wirklich selten. Die oben angedeutete kurze Produktionszeit wird hingegen dadurch bekräftigt, daß die meisten dieser Tessare lediglich zwischen Januar 1956 und Oktober 1958 geliefert wurden. Nur eine Abweichung sticht ins Auge: Dieser Auflistung zufolge seien bereits im November 1954 5000 dieser Tessare fertiggestellt worden. Ob diese geliefert und wirklich in eine frühe Serie dieser Kamera montiert wurden, das kann ich freilich nicht sagen.

Marco Kröger


letzte Änderung: 9. März 2024