Sonnar 4/300

Sonnar 4/300

Dieser Pionier unter den Supertele-Objektiven hat seinen Ursprung in den späten 1930er Jahren und blieb bis in die Wendezeit im Angebot, doch wurde er zweimal derart umfassend umkonstruiert, daß man eigentlich von seinen "drei Ären" sprechen muß.

Zeiss Sonnar 4/300

1. Das Sonnar 4/30 cm der Ära "Flektoskop"

Und die erste dieser drei Ären beginnt noch im Rechenbüro des Meisters der Sonnare Ludwig Bertele in Dresden. Hier war im Jahre 1936 das legendäre Olympia-Sonnar 2,8/18 cm geschaffen worden. Es stellte sich aber bald heraus, daß ein derartiges Objektiv nur dann sinnvoll einsetzbar ist, wenn man die Schärfe anhand eines Mattscheibenbildes einstellt. Daher wurde zum Frühjahr 1938 ein Spiegelreflexansatz "Flektoskop" geschaffen, der die Contax-Meßsucherkamera quasi in eine Einäugige Spiegelreflexkamera verwandelte (wenn auch mit einem nicht nur seitenverkehrten, sondern auch kopfstehenden Sucherbild). Da der Objektivkopf selbst auswechselbar war, lag der Gedanke nahe, für diesen Reflexansatz noch weitere langbrennweitige Objektive anzupassen. Neben einem Fernobjektiv 8/50 cm war das zunächst ein Tele-Tessar 8/30 cm. Nun jedoch, da man mit einer Mattscheibeneinstellung arbeitete, mußte man feststellen, daß die Lichtstärke 1:8 dafür nicht besonders günstig ist, da das dunkle und grobkörnig erscheinende Sucherbild das Fokussieren sehr erschwerte. Außerdem verlangten gerade lange Brennweiten nach möglichst kurzen Verschlußzeiten.

Sonnar 4/30cm Flektoskop 1941

Also setzte man in Dresden wieder auf den Sonnartypus, auf dessen Basis in den letzten Jahren so außergewöhnlich fortschrittliche Objektive geschaffen worden waren. Die besondere innere Brechkraftverteilung brachte es dabei mit sich, daß diese Sonnare sowohl bei höchsten Lichtstärken bis 1:1,5 oder eben auch bei ziemlich langen Brennweiten eine relativ kurze optische Baulänge und damit eine kompakte Objektivfassung erlaubten. Diese Eigenschaft, sowie die guten Korrekturpotentiale der Sonnar-Bauart, eröffneten die Möglichkeit, ein lichtstarkes Objektiv mit einer gegenüber der Normalbrennweite sechsfachen Vergrößerung in Angriff zu nehmen, das seiner Zeit weit voraus war. Durch die gezielte Auslegung für das neue Kleinbild waren die Anforderungen an die Schärfe und Kontrastleistung jedoch viel höher als beispielsweise bei einem Normalobjektiv für das Großformat 18x24 cm, dessen Brennweite ja ebenfalls 30 cm beträgt. Für ein kleines Aufnahmeformat verlangte insbesondere die mit wachsender Brennweite stark zunehmende farbliche Querabweichung, die auch in der reinen Schwarzweißphotographie zu unvertretbaren Lichtsäumen führt, nach einer guten Korrektion. Und für die gerade aufgekommene Farbphotographie auf chromogenen Mehrschichtfilmen galt dies um so mehr.

Sonnar 4/300 Zeiss Jena

Eine erste Rechnung für das Sonnar 4/30 cm war bereits zum 15. August 1938 fertiggestellt worden. Von ihr wurden zunächst nur etwa 100 Stück gefertigt. Bemerkenswert an diesem langbrennweitigen Sonnar war, daß es zwar den typischen dreigliedrigen Aufbau mit lediglich sechs Glas-Luft-Grenzflächen zeigte, jedoch das gesamte Glasinventar VOR der Irisblende angeordnet wurde – die Blende also den Abschluß des optischen System bildete.

Sonnar 4/30 cm Grenzblende

Doch auch in mechanischer Hinsicht war dieses Sonnar 4/30 cm bemerkenswert. Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1940 war dieses Objektiv erstmals mit einem "Grenzblendenanschlag" vorgestellt worden [Vgl. Photographische Industrie vom 13. 3. 1940, S. 175.]. Darunter verstand man eine Einrichtung, die nach 1945 allgemein als Vorwahlblende bezeichnet wurde. Beim Sonnar 4/30 cm mußte dazu die Blendenzahl in einem Schauloch eingestellt werden, dann konnte man bei aufgedrehtem Blendenring und damit voller Objektivöffnung scharfstellen, um dann kurz vor der Aufnahme nur noch die Blende bis zum vorgewählten Anschlag zu schließen, ohne die Kamera noch einmal vom Auge absetzen zu müssen. Damit dürfte das Sonnar 4/30 cm das erste Objektiv der Welt gewesen sein, das serienmäßig mit einer solchen, für Einäugige Reflexkameras ungemein praktischen Einrichtung versehen war. Auch die Hausmitteilungen der Zeiss Ikon AG namens "Die Brücke" stellten messebegleitend in ihrem Heft vom Februar/März 1940 diese neue Einrichtung ausführlich vor.

Sonnar 4/30 cm Contax II and Contax S

Das Bild oben [von Miguel Torres, Lissabon] zeigt im Vordergrund ein Sonnar 4/30 cm aus der allerersten Serie (Nr. 2.427.372 vom Oktober 1938) sowie im Hintergrund eines aus der Nachkriegsfertigung (Nr. 3.116.157 vom Oktober 1947). Beide Objektive besitzen die besondere Einrichtung zum Vorwählen der Blende. Im Gegensatz zum Objektiv von 1938, das in einer schweren verchromten Messingfassung eingebaut wurde, besteht die Fassung des Nachkriegsobjektivs nun aus blankem Aluminium, weshalb das gesamte Objektiv unvergleichlich leichter ausfiel. Beim Vorkriegsobjektiv besitzt die Blende außerdem deutlich fühlbare Raststufen.

Flektometer Sonnar 1951

Aber auch das mit dem blanken Aluminium muß sich rasch geändert haben, denn schon bald nach dem Kriege dominierte die schwarz lackierte Fassung mit der Vorwahlblende, wie sie oben zu sehen ist. Zunächst wurde das Sonnar 4/30 cm wieder für den Reflexansatz der Contax II/III bzw. für die in Stuttgart weiterentwickelte Contax IIa/IIIa gefertigt, der nun jedoch mit einem aufrechtstehenden und seitenrichtigen Sucherbild versehen worden war und "Flektometer" genannt wurde.

Jena Sonnar 4/300 an Praktina

Ab 1952 wurde die Produktion dann aber ausschließlich auf die (neuen) Kleinbild-Reflekameras Exakta Varex, Praktica und Praktina konzentriert, für die es jeweils die entsprechenden Wechselsockel gab. Für diese Kameras waren ebenfalls Umkehrprismen erhältlich, die ein seitenrichtiges Sucherbild ergaben und dadurch das Arbeiten mit einer solch langen Brennweite ungemein erleichterten. Erst jetzt setzte langsam eine Großserienfertigung in zunächst recht kleinen, aber kontinuierlich folgenden sowie langsam ansteigenden Produktionslosen ein, was angesichts des für damalige Verhältnisse mit 816,- Mark (1956) sehr hohen Preises nicht verwundert. Diese stetig ansteigende Produktion erfolgte auf Basis einer Neurechnung, die bereits am 6. April 1940 – also wenige Wochen nach der besagten Frühjahrsmesse 1940 – eingeführt worden war, aber zu Kriegszeiten kaum noch zum Zuge gekommen war. In dieser optischen Konfiguration wurde das Teleobjektiv als "Sonnar 4/300 mm" bis Mitte der 1960er Jahre in einer Stückzahl von etwa 4600 gefertigt. Das oben gezeigte Exemplar stammt aus einem Produktionslos, das im November 1965 in die Endfertigung gelangte und dem nur noch 20 weitere folgten. Denn schon im Jahr zuvor war die Nullserie eines Nachfolgers in Produktion gegangen.

Sonnar 4/300 an der Praktisix
Sonnar 4/300 Fernsehkamera

Sonderfassung eines Sonnares 4/300 für die Fernseh-Universal-Kamera FUK2 des VEB Studiotechnik Berlin. Hergestellt im Sommer 1963 auf Basis der Rechnung von 1940. Für diese Fernsehkameras gab es auch zwei spezielle Biometare 2,8/55 und 2,8/77 mm, ein Flektogon 2,8/38 mm und zwei Fernobjektive 5,6/420 mm und 6/600 mm (!). Außerdem wurden einige Brennweiten der Visionar-Baureihe für die Fernsehkamera angepaßt und mit einer Blende versehen. Bild: Jens Mascher.

2. Das Sonnar 4/300 der "Zebra-Ära"

Als in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre die damals sehr moderne und lang erwartete Praktisix in die Hände der anspruchsvollen Amateure und Berufsphotographen gelangte, dauerte es nicht lange, bis auch die Sonnare 2,8/180 und 4/300 an diese 6x6-Reflexkamera adaptiert wurden. Möglich war dies, weil ja immer noch das Gewinde aus der Flektoskop-Ära vorhanden war und daher leicht ein kleiner und sehr billiger Adapter zwischengeschaltet werden konnte, den die kleine Firma Huffziger in Leipzig herausbrachte. So wurden beide Sonnare im Mittelformat verwendet, obwohl sie dafür vom Hersteller gar nicht geschaffen waren.

Sonnar 4/300 Zebra

Das funktionierte zwar auch im Falle des Sonnares 4/300 gut, war aber von Zeiss so nie so vorgesehen gewesen. Das Objektiv war ausdrücklich für das Kleinbild geschaffen worden. Die Verwendung im Mittelformat war natürlich für die Anwender besonders verlockend, weil hier die Telewirkung der 300 mm Brennweite nur noch etwa halb so groß wie im Kleinbild war. Doch auch noch ein anderes Augenmerk drängte nach einer gänzlichen Umkonstruktion dieses Objektives. Die seit 1956/57 erhältliche Praktisix war die erste Spiegelreflexkamera der Welt mit einer Vollautomatischen Springblende, das heißt, die Irisblende schloß sich auf den vorgewählten Wert, während der Zeit, in der der Spiegel hochklappte und sie öffnete sich wieder vollständig, sobald der Verschluß gespannt und der Spiegel in die Betrachtungsposition zurückgeführt wurde. Es lag also nahe, das Sonnar 4/300 auch so umzubauen, daß es mechanisch mit dieser Kamera kompatibel war. Durch Originalunterlagen aus dem VEB Zeiss Jena, die uns freundlicherweise Herr Günther Benedix zur Verfügung gestellt hat, läßt sich nun nachweisen, daß dieser Entschluß zur Umgestaltung des Sonnars 4/300 bereits im Frühjahr 1960 gefaßt worden war.

Entwicklungsziel Sonnar 4/300 ASB

Grundlage war eine Versuchsrechnung V305 vom 24. März 1960 als Teil eines Entwicklungsziels zur Umgestaltung des Sonnares 4/300 für das Nennformat 6x6, die im oben gezeigten Schreiben des Entwicklungsleiters Wolf Dannberg vom 2. Mai 1960 zum Ausdruck kommt. Wohlgemerkt war hier noch nicht das Augenmerk auf eine Auslegung der Fassung für die Springblendenautomatik dieser Kamera gelegt worden, sondern erst einmal darauf, die ordungsgemäße Auszeichnung des 80 mm großen Bildkreises des Nettoformates 56x56 mm sicherzustellen. Zwar war der Bildkreis eines derart langbrennweitigen Objektives prinzipiell groß genug, doch mußte insbesondere auf eine gute Randausleuchtung geachtet werden. Auch wenn der Innendurchmesser des Bajonettes der Praktisix mit 60 mm sehr groß dimensioniert worden war, so waren dies immer noch 20 mm weniger als die Formatdiagonale. Dem wurde mit einer Verlegung der Blende Richtung der Optik Rechnung getragen. Das hatte allerdings zur Folge, daß bei der Exakta Varex das nach 1945 eingeführten Außenbajonett angewendet werden mußte, um auch im Kleinbild künstliche Vignettierungen auszuschließen.

Sonnar 4/300 Versuch 305

In der Schnittzeichnung  zum besagten Versuchsobjektiv V305 vom März 1960 wird bereits eine wichtige Änderung gegenüber Berteles Urkonstruktion deutlich: Das innere Kittglied wurde in zwei Einzellinsen aufgelöst und zwischen beiden ein dünner Luftzwischenraum geschaffen. Offensichtlich war es dieser Maßnahme zu verdanken, daß die Bildleistung des Sonnares 4/300 nun noch einmal deutlich angehoben werden konnte, was auch im Prüfbericht zu dieser Rechnung zum Ausdruck kommt. Folgerichtig wurde für diese Rechnung auch eine Produktionsfreigabe erteilt.

Sonnar 4/300 Zebra Planplatte

Doch dann passierte, was eingangs schon angesprochen wurde: Ein neu entwickeltes Zeiss-Objektiv, das die Springblendentechnik der Spitzenkamera Praktisix nicht nutzte? Das wäre rückschritlich gewesen. In der obigen Aktennotiz von Paul Klupsch, der zusammen mit Helmut Scharffenberg als Erfinder der Vollautomatischen Springblende gesehen werden muß, wird deutlich, daß im September 1961 die Entscheidung gefallen war, das neue Sonnar 4/300 mit dieser "ASB" auzurüsten. Als Problem dabei ergab sich aber, daß bei diesem Objektiv die Irisblende nicht wie üblich quasi innerhalb der Optik "eingebettet" war. Schon Ablagerungen von Staub oder leichte Fettspuren hätten daher dazu geführt, daß die auf wenige zehn Millisekunden begrenzte Schließzeit der Blende nicht mehr hätte gewährleistet werden können. Herr Klupsch fragte daher im Rechenbüro an, ob deshalb hinter der Optik eine planparallele Platte zum Schutz der Blende hinzugefügt werden könne. Aus dem handschriftlichen Vermerk Wolf Dannbergs läßt sich schließen, daß Klupsch offenbar auch mündlich eine Verlegung der Blende vor das Kittglied angefragt hatte, was Dannberg aber aus drei Gründen ablehnte: Der Blendendurchmesser würde anwachsen und damit wäre die Blendenschließzeit nicht mehr zu gewährleisten gewesen (diese beträgt freilich rund 20 Millisekunden, nicht 20 Mikrosekunden). Zweitens würde sich der nutzbare Hub des Schneckenganges verkürzen, was bei einem so langbrennweitigen Objektiv besonders ungünstig gewesen wäre, da man dann kaum noch echte Nahdistanzen ohne zusätzliche Zwischenringe erreicht hätte. Auch wäre drittens der Außendurchmesser des Objektives unnötig angewachsen.

Jena Sonnar 4/300 Zebra Datenblatt

Zum 19. August 1963 wurde in der Abteilung Photo des VEB Carl Zeiss JENA die Rechnung für ein "Sonnar 4/300 mit Abschlußplatte" (Sachnummer 550504:002.25) fertiggestellt, das den mechanischen Anforderungen an die Springblende nachkam. Der bereits angesprochene dünne Luftspalt im vormaligen inneren Kittglied (also zwischen den Linden zwei und drei) wurde laut obigem Datenblatt durch Stannioalplättchen mit einer Dicke von 33 Mikrometern sichergestellt, die in einer Anzahl von drei Stück um 120 Grad versetzt am äußersten Linsenrand zwischengeschaltet waren. Man erkennt diese Plättchen deutlich, wenn man in das Objektiv hineinschaut (siehe auch Eingangsbild dieser Seite ganz oben). Bereits zum 10. April 1964 wurde auf Basis dieser Rechnung die Serienfertigung begonnen.

Sonnar 4/300 ASB Glasarten

Absolut faszinierend: Das Sonnar 4/300 mm von 1963 ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, daß es keiner extremen Glassorten bedarf, um ein wirklich hochwertiges Teleobjektiv zu konstruieren. Das Schwerst-Kron 7 in Linse eins, das sehr nierdig dispergierende Fluor-Kron 5 in Linse zwei, das Leicht-Flint 5 in Linse Nummer fünf sowie das Bor-Kron 7 in der Planplatte waren bereits im Glaskatalog von 1937 enthalten. Nur das Schwer-Flint 19 in Linse Nummer drei sowie das Flint 16 in Linse vier waren erst nach 1945 entwickelt worden. Von kostspieligen und sehr schwierig herzustellenden Lanthan-Schwerstkronen und -Flintgläsern oder gar den noch problematischeren Fluoridkristallen war all das noch weit entfernt. Vielmehr kam es darauf an, daß die Herren Bertele und Dannberg damals ihren Sonnar-Typ im Griff hatten und sein Potential geschickt auzuschöpfen wußten [Abb.: Benedix].

Sonnar 4/300 1964

Zufällig befindet sich in meinem Besitz das erste Serienobjektiv des Sonnars 4/300 ASB mit der Seriennummer 6.798.601. Laut Zeiss Karteikarten war es der Startpunkt einer Nullserie von 50 Stück (nicht 100, wie bei Thiele angegeben), die im April 1964 gefertigt wurde. Bereits dieses Objektiv hat den Stößel für die mechanische Blendenwertübertragung der späteren Pentacon Super!

Sonnar 4/300 Zebra ohne Stanniol

Wenn also bereits im April 1964 die Serienfertigung angelaufen war, dann sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt, daß man, um den erhöhten Fertigungs- und Montageaufwand mit den "Stanniolplättchen" zu umgehen, zum 17. Dezember 1964 noch eine Variante 003.25 gerechnet hatte, bei der die Linse Nummer drei mit Ihrem Rand direkt auf der Linse Nummer zwei auflag, was durch leicht angepaßte Radien, Durchmesser und Abstände erreicht wurde. Aus der handschriftlichen Notiz auf dem zugehörigen Datenblatt wird ersichtlich, daß diese Variante nicht in Produktion ging, sondern die vorige mit der Sachnummer 002.25 weiter gebaut wurde.

Zustimmungserklärung Sonnar 4/300 Zebra

Das wird auch noch einmal aus der obigen Zustimmungserklärung zum Serienbau des Sonnars 4/300 ASB vom 25. Oktober 1966 deutlich, die die Zeichnungsnummer 002.25 als mit Planplatte versehenem Versuch V305 bestätigt. Dazu ist zu sagen, daß bereits zum 10. April 1964 die Nullserie des "Sonnars 4/300 Steckanpassung" in einer Anzahl von 50 Stück hergestellt worden war und auch schon zum 4. April 1966 die Serienfertigung mit den ersten 100 Stück begonnen hatte. Bis zum August 1976 wurden knapp 4800 Stück dieses außergewöhnlich leistungsfähigen Teleobjektives hergestellt. Und das, obwohl bereits im Jahr zuvor wiederum ein Nachfolger in Produktion gegangen war.

Sonnar 300 Praktisix
Sonnar 4/300 Exakta

Selbst bei Verwendung für das Kleinbild war das Zebra-Sonnar 4/300 ein für damalige Inbegriffe außergewöhnlich leistungsfähiges Teleobjektiv. Und auch mechanisch war es international gesehen allen Herstellern weit voraus, als es Mitte der 60er Jahre auf den Markt kam. Durch den extrasteilen Schneckengang, der damals bei Zeiss gerade erst entwickelt worden war, ließ sich sehr schnell und trotzdem präzise scharfstellen. Nur das sehr hohe Gewicht, die große Baulänge und der für viele unerschwingliche Preis von 931,80 Mark für die oben angebildete Variante für die Exakta Varex standen einer größeren Verbreitung dieses Objektives entgegen. 

Sonnar Adapter Exakta

Zur Anpassung der Sonnare 2,8/180 und 4/300 an Kleinbildkameras wurden spezielle Adapterstücke entwickelt, die auch das Beibehalten der Blendenautomatik gewährleisten sollten. Für die oben gezeigte Exakta Varex sowie für die (bereits ausgelaufene) Praktina konnte die Funktion einer Vollautomatischen Springblende geboten werden, während der Adapter für das Praktica-Gewinde M42 eine Halbautomatische Springblende daraus machte, die nach dem Auslösen stets von Hand geöffnet werden mußte.

Sonnar Adapter M42
Sonnar 4/300 zwei Stößel

Es läßt sich nachweisen, daß sowohl in der Nullserie von 50 Stück aus dem Jahre 1964, als auch bei weiteren 100 Stück vom April 1966 zumindest einige Exemplare mit dem zusätzlichen Stößel (links) ausgestattet sind, mit dem die mechanische Blendenwertübertragung der Pentacon Super bewerkstelligt wurde. Dazu bedurfte es freilich auch eines speziellen Adapters Praktisix auf M42, der mit dem nötigen zweiten Stößel ausgestattet war.

3. Das MC-Sonnar 4/300

So leistungsfähig das Zebra-Sonnar 4/300 auch gewesen ist, und so eindrücklich es auch als Beweis für das hohe Potential des Sonnartyps allgemein gesehen werden kann, so unübersehbar war jedoch auch, daß seine Grundkonstruktion auf dem Stand der 1930er Jahre verharrte. Und weil unter Wolf Dannberg damals in den frühen 60er Jahren offenbar kein Kompromiß zwischen einem weiterhin die Leistungsanforderungen des Kleinbildes erfüllenden Teleobjektiv und der gleichzeitigen Forderung nach einer Ausdehnung des Bildkreises auf das Mittelformat zugelassen wurde, war eine gleichzeitige Reduktion von Baugröße und insbesondere an Gewicht nicht möglich gewesen. Hinzu kam, daß mit der Einführung des besagten Luftspalts zwischen den Linsen zwei und drei auch die Montage des Objektivs nicht gerade einfacher geworden war. Zur selben Zeit aber begannen Japanische Hersteller mit einer bislang nicht gekannten Fülle an unterschiedlichen Neuentwicklungen die Märkte in den USA und zunehmend auch Westeuropa zu stürmen. So abenteuerlich die Qualität zumindest anfänglich manchmal gewesen sein mag, seit den späten 60er Jahren erweckten die Erzeugnisse durchweg einen ansprechenden äußeren Eindruck und zeichneten sich durch Kompaktheit und geringeres Gewicht aus. Das lag wohl auch daran, daß Hersteller wie Nikon, Canon, Minolta, Pentax usw. ihre 300er Tele nicht gleichzeitig für das Mittelformat ausgelegt hatten.

Sonnar 4/300 comparison Zebra and MC

Jedenfalls muß man im VEB Zeiss Jena Anfang der 70er Jahre durchaus einen gewissen Druck verspürt haben, mit den eigenen Erzeugnissen im Trend zu bleiben. Da man aber die Zweigleisigkeit eines 300er Teles, das gleichzeitig für Kleinbild und Mittelformat verwendet werden sollte, nicht aufgeben wollte, wählte man den Weg des Kompromisses. Wie gleich gezeigt werden soll, war das letztlich eine Fehlentscheidung, auch wenn das primäre Ziel, ein universelles Sonnar 4/300 zu schaffen, das deutlich kompakter (und gleichzeitig auch leichter war), sehr gut erreicht wurde, wie oben im direkten Vergleich sichtbar wird.

MC-Sonnar 4/300 Prototyp V466

Die Konstruktion des späteren MC-Sonnares 4/300 basiert auf einem Versuchsobjektiv Nr. V466 vom 11. Juli 1974, das später auch in genau dieser Konfiguration in Produktion ging. Nur der sogenannte "T3-Belag" der Mehrschichtvergütung wurde beim Serienobjektiv ergänzt. Dabei läßt das oben im Datenblatt angegebene Schnittbild erkennen, daß dieses Objektiv zwar weiterhin als "Sonnar" vermarktet wurde, es aber gar kein Sonnartyp mehr war. Es fehlen die für diesen Objektivtyp charakteristischen dicken Linsen im mittleren Objektivteil, die das bisherige Sonnar 4/300 so schwergewichtig ausfallen ließen und sicherlich auch die Herstellung teuer machten. Zentral ist jedoch die Tatsache, daß die hinterste Linsengruppe nun nicht mehr eine sammelnde, sondern eine zerstreuende Wirkung hatte. Damit gehörte dieses neue MC-Sonnar 4/300 nun eindeutig in die Gruppe der echten Teleobjektive. Seine deutlich dünneren Linsen sorgten für eine ganz erhebliche Gewichtsreduzierung und die flachen Krümmungshalbmesser der Oberflächen reduzierten die Herstellungskosten, weil nun mehr Linsen gleichzeitig geschliffen werden konnten. Auch lassen sich flache Krümmungen der Glasoberflächen viel besser mehrschichtvergüten. Das MC-Sonnar 4/300 muß daher sicherlich als das modernere Objektiv bezeichnet werden. Anders als man meinen könnte, war damit aber alles andere als ein Zugewinn an Bildleistung verbunden. Das ganze Gegenteil war der Fall. Bereits einfache photographische Testaufnahmen genügen, um einen deutlichen Rückgang der Bildleistung gegenüber seinem Vorgänger zu dokumentieren. 50 Jahre nach der Konstruktion des MC-Sonnares 4/300 erlaubt der unten wiedergegebene originale Prüfbericht aus dem VEB Zeiss Jena, diese subjektiv wahrgenommene Einbuße an Bildleistung, die mit der Neuerscheinung einherging, erstmals auch zahlenmäßig zu belegen.

Wenn man die obigen detaillierten Datenangaben zusammenfassen will, dann läßt sich schlußfolgern, daß das neue Objektiv durchaus eine deutliche Anhebung der Bildleistung in den Randbereichen des Mittelformates zu bieten hatte. Doch erkauft wurde dies im direkten Vergleich mit dem Zebra-Sonnar (das oben als Musterobjektiv 99 06 78M bezeichnet ist) mit einem ernüchternden Rückgang insbesondere der Kontrastleistung im zentralen Bereich, was allein deshalb fatal ist, weil eben nach wie vor zweigleisig gefahren wurde: Das MC-Sonnar war Mittelformat- UND Kleinbildobjektiv zugleich und gerade für die Bildhöhen bis etwa 20 mm, die genau das Bildfeld des Kleinbildes betreffen, war das neue Teleobjektiv kein Fortschritt. Allein im Hinblick auf die Verwendung mit der Pentacon Six stellte das MC-Sonnar 4/300 eine deutliche Verbesserung dar, weil es nun im Mittelformates eine sehr gleichmäßige Leistung bis in die Bildecken zeigte. In Bezug auf das Kleinbild jedoch, konnte man sich im VEB Carl Zeiss JENA mit diesem neuen Erzeugnis wirklich nicht zufrieden geben.

MC-Sonnar 4/300 Glasarten

Eher ernüchternd: Wer beim MC-Sonnar 4/300 mm nach außergewöhnlichen Glasarten sucht, der wird ziemlich stark enttäuscht. Es fällt der dominierende Einsatz der Borosilikat-Krongläser BK3 und BK7 auf, die unter den Nummern 802 und 3832 beide bereits im Glaskatalog von 1906 enthalten waren. Sie zählen zu den großen Hervorbringungen des Glaschemikers Otto Schott. Das mit besonders hoher Transparenz lieferbare BK7 war über Jahrzehnte das Standardglas für die Prismen in Feldstechern gewesen. Auch die für die höher brechenden Komponenten verwendeten Schwerflint 2 (Nr. 41) und Baritflint 4 (Nr. 1266) waren bereits 1906 verfügbar. Damit war dieses Jenaer Teleobjektiv sogar weit von dem Aufwand entfernt, der vom Konkurrenten in Görlitz für das Orestegor 4/300 getrieben wurde, dessen Konstruktion auf das Jahr 1961 zurückgeht und bei dem zumindest die Schwer- und Schwerstkrongläser sowie die Schwerflinte aus den 1930er Jahren herangezogen wurden. Abb.: Benedix

Die in den folgenden Jahren gerechneten Varianten des MC-Sonnars, wie eine Version 005.25 vom 17. August 1976 für das Format 56x56 mm oder die Versionen 006.25 vom 14. Juli 1977 und 008.25 vom 30. Oktober 1978 für das Kleinbild, drehten sich nur um geringfügige Änderungen der Linsensdurchmesser oder leichten Anpassungen von Radien und Abständen. Von den verwendeten Glassorten wurde aber nicht abgegangen, weshalb auch keine entscheidenden Verbesserungen erzielt werden konnten und man daher in der Fertigung bei der Rechnung von 1974 blieb. Man muß sich aber in der Abteilung Photo darüber im Klaren gewesen sein, daß man für das Kleinbildformat etwas Anderes, Konkurrenzfähiges benötigte. Dazu mußte aber ein anderer Konstruktionspfad eingeschlagen werden, was jedoch in sehr umfangreichen Entwicklungsarbeiten ausarten sollte, die letztlich erst über Umwegen zum Prakticar 4/300 mm für die neue Praktica B-Reihe führten [Zusammenstellung: Günther Benedix].

Zeiss Teleobjektive 4/300 nach 1945
MC-Sonnar 4/300 Pentacon Six

Das MC-Sonnar 4/300 war ein ausgewogenes Teleobjektiv für das Mittelformat 6x6. Daß es an der Kleinbildkamera in der Paxis einen schlechteren Eindruck hinterließ, lag aber nicht unbedingt daran, weil das MC-Sonnar per se ein schlechtes Objektiv darstellte, sondern durchaus deshalb, weil die vorige Zebra-Version so hervorragend korrigiert war. Die im Prüfbericht bemängelte reale Lichtstärke von 1:4,25 ("Durchmesser der E[intritts]P[upille] außer Toleranz") wurde in der Praxis durch eine gegenüber dem alten Sonnar deutlich bessere Lichtdurchlässigkeit aufgewogen, die durch die dünneren Linsen aus hochtransparenten Gläsern und die Mehrschichtvergütung hervorragende 94 Prozent errichte.

Daß man im VEB Zeiss Jena damals durchaus über die Situation mit dem neuen Objektiv verunsichert gewesen sein könnte, soll an folgendem Umstand deutlich gemacht werden. Normalerweise würde man ja davon ausgehen, daß, wenn ein Nachfolger auf den Markt gebracht wird, der Vorgänger anschließend außer Produktion geht. Aus der Quellenüberlieferung muß man aber ableiten, daß genau dies nicht der Fall gewesen ist. Vielmehr wurden das alte und das neue Sonnar 4/300 eine gewisse Zeit lang parallel zueinander gefertigt, weshalb sich Überschneidungen im Angebot des Werkes nicht allein aus dem Abverkauf des vorhergehenden Erzeugnisses ergaben.

Sonnar 4/300 Übergangsvariante

Es handelt sich immerhin um 2000 Exemplare des Sonnares 4/300, von denen mindestens 500 Stück das oben gezeigte Erscheinungsbild aufweisen [Bild: Andreas Poschinger]. Hierbei handelt es sich um das Objektiv 002.25 von 1963, das im Prinzip auch weiterhin in der "Zebra-Fassung" untergebracht wurde, jedoch wurde das bekannte Zebra-Design durch eine vollständig schwarz lackierte sogenannte "Kreuzrändelung" ersetzt, die eigentlich das neue MC-Sonnar auszeichnete. Dieses MC-Sonnar war am 19. August 1975 mit einer Stückzahl von 200 Exemplaren erstmals in Produktion gegangen. Im Oktober 1975 wurden dann aber wieder 1500 Stück des alten Sonnars 4/300 von 1963 gefertigt (Seriennummernbereiche 9.383.746 bis 9.384.745 sowie 9.930.466 bis 9.930.965). Im Januar 1976 folgten dann 500 Stück des neuen MC-Sonnars 4/300, denen dann aber im August 1976 noch einmal 500 Stück des Zebra-Sonnars (Seriennummern 9.930.966 bis 9.931.465) folgten, die aber in der oben zu sehenden Kreuzrändelfassung untergebracht waren.

Sonnar 4/300 MC Praktica EE2

Es fragt sich nun, wie diese seltsame Parallelproduktion beider Objektive – zumal in derartig signifikanten Stückzahlen – zu erklären ist. Dazu muß man die widersinnig erscheinende Tatsache in die Betrachtung einbeziehen, daß das neue MC-Sonnar 4/300 nun ausgerechnet für die Verwendung an der Kleinbildkamera gebraucht wurde, obwohl es gerade dafür nicht so gut geeignet war. Das hatte folgenden Hintergrund: Bereits im Herbst 1969 hatte der VEB Pentacon Dresden die neue Praktica L-Reihe eingeführt. Spitzenmodell war dabei die Praktica LLC mit ihrer elektrischen Blendenwertübertragung. Außer dem Pancolar 1,8/50 hatte Zeiss jedoch kein Wechselobjektiv im Angebot, das diese Offenblendenmessung unterstütze. Die gesamte Einführung der neuen MC-Objektive und der Kreuzrändelfassungen hatte nun (auch) den Hintergrund, diese sehr unbefriedigende Lage zu überwinden und alle Zeiss-Objektive wahlweise auch mit Blendenelektrik verfügbar zu machen. Bei den MC-Sonnaren 2,8/180 und 4/300 war deswegen eine mechanische Übertragung des eingestellten Blendenwertes an einen M42-Adapter eingeführt worden, damit dieser ihn wiederum in das elektrische Signal für die entsprechenden Praktica-Modelle umcodieren konnte. Genau diese mechanische Übertragung wurde jedoch nur durch das neue MC-Sonnar 4/300 gewährleistet; nicht aber durch das in eine Kreuzrändelfassung gesteckte alte Sonnar von 1963.

Sonnar Blendenwertübertragung

Oben ist der besagte Mitnehmer des MC-Sonnares 4/300 zu sehen, der die Stellung des Blendenringes beim unten gezeigten M42-Adapter mit Blendenelektric an den Schleifer eines Potentiometers weitergibt, der seinerseits die Blendenzahl als elektrischen Widerstandswert simuliert.

Electric Adapter
Prospekt Sonnar 4/300

Absolut verwirrendes Prospekt aus genau jener Zeit, die oben eingehend beschrieben wurde. Auf der Rückseite ist der Linsenschnitt des neuen MC-Sonnars abgebildet und es ist auch von der elektrischen Blendenwertübertragung die Rede, die dieses Objektiv nun ermöglichte. Vorn abgebildet ist aber offenbar das alte Sonnar von 1963 – mindestens aber die alte Fassung, die definitiv keine Mechanik zur Übetragung der Stellung des Blendenringes an den Adapter zuließ. Dafür mußte nämlich erst die Blendenmechanik mittels Bowdenzug eingeführt werden, wie sie hier näher beschrieben ist.

Prospekt Sonnar 4/300

Im Jahre 1976 wurde die Einführung der Praktica EE2 angekündigt, bei der erstmals die Verschlußzeiten automatisch gebildet wurden. Dafür war die Blendenelektrik nun absolut unumgänglich. Mit dem nächsten Produktionslos vom Dezember 1976 wurde jetzt nur noch das neue MC-Sonnar 4/300 gefertigt, bis die Herstellung kurz nach der Wiedervereinigung auslief. Bis dahin waren exakt 13.500 Exemplare entstanden, womit das MC-Sonnar nicht unbedingt ein seltenes Teleobjektiv ist, zumal es mit dem Pentacon 4/300 mm stets einen leistungsmäßig vergleichbaren Konkurrenten hatte, bei dem allerdings auf eine Springblendenautomatik verzichtet werden mußte. Dafür lag der Endverbraucherpreis des MC-Sonnars aber auch bei happigen 849,- Mark – über 300 Mark mehr als das Pentacon-Objektiv.

Mein Dank gilt Herrn Günther Benedix, der mit der Bereitstellung von Originalunterlagen aus dem VEB Carl Zeiss Jena dabei geholfen hat, daß viele beim Übergang vom Zebra- zum MC-Sonnar 4/300 bislang nur vermutete Zusammenhänge endlich quellenbasiert belegt werden konnten.

Marco Kröger 


Letzte Änderung: 7. April 2024