Sonnar 2,8/200

Sonnar 2,8/200

Die letzte Zeiss'sche Neukonstruktion für den M42-Gewindeanschluß

Das bewährte Sonnar 2,8/180mm war seit Mitte der 60er Jahre mit einem Zwischenstück erhältlich, mit dem man es an M42-Kameras verwenden konnte. Das Objektiv bot dann eine Halbautomatische Springblende, wie sie seit den 50er Jahren bekannt war; das heißt die Blende mußte von Hand geöffnet werden, sprang aber bei Auslösung des Verschlusses selbsttätig auf den Arbeitswert. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre wurde das Olympiasonnar sogar auf MC-Vergütung umgestellt. Zwar war der Wert dieses effektiveren Antireflexbelages bei diesem Objektiv begrenzt, denn es hat ja lediglich sechs Glasluftflächen. Aber es ging halt mit der Zeit. Dazu zählte auch, daß es eine neue, schwarze Fassung bekam und im Zuge dessen eine mechanische Übertragung zwischen Wechseladapter und Blendenring eingeführt wurde. Über diese Mechanik wurde ein Potentiometer innerhalb des M42-Adapters bewegt, das die elektrische Offenblendenmessung ermöglichte. Für Kameras wie die Praktica PLC2, VLC2 oder EE2 war das eine sehr gute, wenn auch ein wenig voluminöse und schwere Lösung. Das Olympiasonnar ist halt einfach ein großer Brocken.


Für Kameras mit Arbeitsblendenmessung jedoch, wie die Praktica-Modelle LTL, MTL oder DTL, war diese Lösung mit der Halbautomatischen Springblende allerdings äußerst unbefreidigend. Denn jedesmal, wenn man die Meßtaste betätigte, um die Belichtung zu prüfen, sprang die Blende zu und blieb daraufhin geschlossen. Weil man zum Scharfstellen – zumal bei einem solch langbrennweitigen Objektiv – aber unbedingt eine offene Blende benötigt, war man ständig damit beschäftigt, abwechselnd die Meßtaste und den Blendenöffnungshebel zu betätigen, um nach der Belichtungsmessung wieder ein helles Sucherbild zu erhalten. Das war vollkommen unpraktisch.

Sonnar 2,8/200mm

Aus diesen beiden Gründen, weil einerseits das Sonnar 180 mm groß und schwer war und zweitens weil die Bauweise seiner Springblende in erster Linie für die Anforderungen der Praktisix ausgelegt worden ist, sodaß sie keine Vollautomatische Druckblende an M42-Kameras zuließ, beschloß man bei Carl Zeiss Jena Mitte der 70er Jahre, ein komplett neues Objektiv zu konstruieren, das mechanisch in die neue Systematik der MC-Objektive eingereiht war. Das erkennt man daran, daß auch dieses neue MC Sonnar 2,8/200 mm das typische vereinheitlichte Anschlußstück der MC-Objektive trägt, in dem wahlweise eine Druckblendenmechanik oder eine Druckblende mit elektrischer Blendenwertübertragung untergebracht werden konnte. Das neue Sonnar 2,8/200 mm war demnach in zwei Versionen als "auto" oder als "electric" erhältlich.

Diese Neukonstruktion war also von zwei Prämissen geprägt: Einmal sollte die Brennweite auf 200 Millimeter angehoben werden, gleichzeitig sollte das Objektiv aber auch deutlich kompakter und leichter ausfallen als das bisherige Olympiasonnar. Mit dem Sonnar-Typus kam man angesichts dieser beiden Forderungen aber nicht mehr weiter, weil dessen Potential zur Verkürzung der Schnittweite begrenzt ist. Eine weitere Verkürzung der Schnittweite war aber nötig, um das gesamte optische System näher an die Bildebene rücken zu können, um das Objektiv kompakt zu halten. Eine derartige Verkürzung der Schnittweite, die sich durch eine stärkere Vorverlegung des bildseitigen Hauptpunktes innerhalb des optischen Systems erreichen läßt, war aber nur auf Basis eines echten Teleobjektives zu verwirklichen. Bei diesem Objektivtyp wird einer positiven Brechkraft im vorderen Objektivteil eine stark zerstreuende Komponente auf der Seite der kürzeren Strahlungsweite entgegengestellt. Genau diese vollkommen gegensätzlichen Brechkräfte innerhalb des optischen Systems erschwerten freilich das Auskorrigieren eines solchen echten Teleobjektivs. Deshalb wurde bislang gern auf den Sonnartyp zurückgegriffen, wenn gleichzeitig lange Brennweite und hohe Lichtstärke gefordert waren. Erst die Einführung neuer Glassorten und die rechnergestützte Konstruktion von photographischen Objektiven machte es möglich, langbrennweitige und gleichzeitig lichtstarke Systeme nach dem echten Teletyp aufzubauen.

Sonnar 2,8/200 scheme

Darin ist wohl auch der Grund zu sehen, weshalb es bis zum April 1977 gedauert hat, bis Zeiss Jena mit dem Sonnar 2,8/200 mm ein Teleobjektiv nach der oben beschriebenen Bauart fertigstellen konnte. Schließlich kam zu den generellen Schwierigkeiten mit diesem Objektivtyp noch eine Auslegung auf eine automatische Druckblende hinzu, die ihrerseits Restriktionen in Bezug auf den Ort und den maximalen Durchmesser der Blende nach sich zog. Der Blendenort hat aber wiederum Rückwirkungen auf die Korrektion der bei solch langen Brennweiten ohnehin schon problematischen Abbildungsfehler. Die Schaffung solch lichtstarker und gleichzeitig kompakter Teleobjektive war daher in den 1970er Jahren echte Spitzentechnologie und die Objektivhersteller versuchten sich regelmäßig gegenseitig zu übertreffen.

Sonnar 2,8/200 Übersicht

Die Konstruktion des Sonnares 2,8/200 geht auf eine erste Rechnung zurück vom 30. Juni 1976. Wie man sieht, war der Grundaufbau schon identisch zum späteren Serienobjektiv, das auf der Zeichnungsnummer 550518:002.25 und dem Versuch V498 beruht. Dieses wurde zum 29. April 1977 abgeschlossen, wobei das Bor-Kron 7 in der hintersten Linse noch durch Schwer-Kron 14 ersetzt worden war. Besondere Beachtung verdient die dritte Linsengruppe, bei der eine Sammellinse aus Doppel-Leicht-Flint LLF2 mit einer Zerstreuungslinse aus dem Kurz-Flint KzF2 verkittet ist. Kurz-Flint (ursprünglich Fernrohr-Flint genannt) gehörte zu den in den 1890er Jahren völlig neu geschaffenen Glasarten, die sich durch einen abweichenden Verlauf der Dispersion über den Spektralbereich hinweg auszeichneten. Mit diesem Spezialglas, das auch in apochromatischen Reproduktionsobjektiven verwendet wurde, konnten beim Sonnar 2,8/200 mm die Fehler der farblichen Längs- und Querabweichung im Zaume gehalten werden, die ansonsten bei lichtstarken Objektiven mit langer Brennweite zu unerträglichen Farbsäumen führen würden (weil die Schnittweiten bzw. Abbildungsmaßstäbe für unterschiedliche Lichtfarben nicht gleich groß gemacht werden können). Vor allem der Farblängsfehler ist problematisch, weil er proportional zur Brennweite anwächst.


Trotzdem fällt auf, wie verblüffend preisbewußt das Sonnar 2,8/200 mm konstruiert worden ist. Zwei der drei großen Linsen im vorderen Systemteil bestehen aus BK7, einem günstig herstellbaren Kronglas mit einer sehr großen Transparenz, das als Material für Prismen und Planplatten bis heute weit verbreitet ist. Von den modernen Lanthankron bzw. Lanthan-Schwerkron-Gläsern, die zur damaligen Zeit von japanischen Herstellern zunehmend eingesetzt wurden, war das Sonnar 2,8/200 weit entfernt. Diese waren aber in der Herstellung so teuer, daß der Endpreis des Objektives schon aufgrund der Materialkosten sehr stark in die Höhe getrieben wurde. Auf ihrer Basis konzipierte Objektive konnten sich dann meist nur noch professionelle Anwender leisten. Um aber auch den großen Käuferkreis der anspruchsvollen Amateure ansprechen zu können, fühlten sich die Objektivhersteller angespornt, derartige Objektive mit einem moderaten Materialeinsatz zu schaffen und damit auch den Preis im moderaten Rahmen zu halten. Und hier kam es auf möglichst geschickte Konstruktionsarbeit an.

Musterprüfung Sonnar 2,8/200

Das ist beim Sonnar 2,8/200 in ganz ausgezeichneter Weise gelungen. Immerhin mußte es als echtes Teleobjektiv die Bildleistung des bisherigen Sonnars 2,8/180 erreichen, das nach wie vor als Maßstab im Bereich lichtstarker Teleobjektive galt. Trotz des günstigen Materialeinsatzes  kostete es 825,- Mark (gegenüber dem 180er Sonnar mit M42-Adapter zum Preis von 734,80 Mark). Doch das geringere Gewicht und die volle Kompatibilität zu den damaligen Praktica-Kameras machte das neue Sonnar deutlich besser für das Kleinbild geeignet. Etwa 16.000 Stück wurden zwischen Herbst 1977 und Frühjahr 1989 hergestellt. Damit zählt es zu den eher selteneren Zeissobjektiven. Nichtsdestoweniger muß das Sonnar 2,8/200 als eine der letzten Neukonstruktionen von Carl Zeiss Jena bezeichnet werden, die überhaupt noch in Großserie produziert worden sind.

Oben: Für den Verkauf in der Bundesrepublik und in Österreich mußte selbst in den späten 70er Jahren der Markenbegriff "Sonnar" verschleiert und zum "Objektiv MC-S 2,8/200 verstümmelt werden. Man beachte auch die interessante Schreibweise "elektric".

Vergleich Nikkor 180 mit Sonnar 200

Oben ein Vergleich zwischen dem Nikkor-P 2,8/180 mm und dem Jena Sonnar 2,8/200 mm im gleichen Abbildungsmaßstab. Das Nikkor ist 140 mm lang, das Sonnar trotz der um 20 mm längeren Brennweite nur 7 mm mehr. Das Nikkor ist jedoch kein Teleobjektiv im engeren Sinne, sondern ein ganz klassisches Ernostar. Trotzdem liegt bei beiden Objektiven die hintere Hauptebene noch deutlich vor dem der Frontlinse.

Das Sonnar 2,8/200 mm ist zwar gewiß kein Leichtgewicht, aber trotzdem noch handlich. Durch den großen Durchmesser des Meterringes und dessen Kreuzrändelung läßt es sich erstaunlich leicht fokussieren. In Verbindung mit einer Praktica der Baureihe EE2/EE3 mit Zeitautomatik erlaubt die electric-Version des Sonnars schnappschußartige Aufnahmen, wie sie für das Erscheinungsjahr 1977 durchaus beachtlich waren. Die unten gezeigten Bilder wurden mit dieser Ausrüstung auf einem in C41 entwickelten Kodak Elitechtome 100 aufgenommen, um ein wenig die Farbwirkung der 70er Jahre nachzuempfinden. Da der stark überlagerte Film kräftig belichtet werden mußte, sind die Bilder mit weit geöffneter oder gar offener Blende entstanden.

Sonnar 200 mm f/2.8
Sonnar 200 mm f/2.8
Sonnar 200 mm f/2.8
Sonnar 200 mm f/2.8
Sonnar 200 mm f/2.8
Sonnar 200 mm f/2.8
Sonnar 200 mm f/2.8
Sonnar 200 mm f/2.8

Unten: Das Zeiss Jena MC Sonnar 2,8/200 mm bei voller Öffnung der Blende auf Schwarzweißfilm.

Marco Kröger


letzte Änderung: 30. Juni 2024