Patentschau

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Auf dieser Seite möchte ich in loser Folge einige Patente vorstellen, die mir bei  Recherchen aufgefallen sind und die ich nicht unter den Tisch fallen lassen wollte, bloß  weil sie nicht in eine abgegrenzte Thematik paßten.

Projekt "Pentax" – Kassetten-Reflexkameras des VEB Zeiss Ikon


Sie halten Pentax für eine japanische Kameramarke? In den Technischen Sammlungen im Ernemann Stammwerk in Dresden stehen zwei Prototypen einer Kamerabauart, an der während der 1950er Jahre im VEB Zeiss Ikon intensiv gearbeitet worden ist. Zumindest auf einer der beiden prangt der Name „Pentax“. Aber um es gleich vorweg zu nehmen: Viel mehr als diese beiden Prototypen ist aus diesen langjährigen Entwicklungsarbeiten nicht hervorgegangen. Und da diese neue Kamerageneration offensichtlich als Ablösung für die Contax S vorgesehen war, blieb bei jener alles beim alten. Daraus mögen sich die großen Schwierigkeiten des VEB Zeiss Ikon in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre ergeben haben, die letztlich zum Verlust des gesamten Stehbildsektors an den VEB Kamerawerke Niedersedlitz im Laufe des Jahres 1957 geführt haben.


Aber der Reihe nach. Erst einmal ist es doch interessant, woher überhaupt die Idee zu einer solchen Einäugigen Spiegelreflexkamera der „Würfelbauart“ mit Wechselmagazinen und Federwerkantrieb gekommen ist. Die ersten Anzeichen, daß an solch einem Projekt gearbeitet wurde, habe ich in einem DDR-Patent 5618 vom 11. September 1952 gefunden. Angemeldet wurde es vom damaligen Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung des VEB Zeiss Ikon Wilhelm Winzenburg sowie Heinz Schmidt. Der eigentliche Schutzanspruch bezieht sich darauf, daß für eine Kamera des quadratischen 6x6-Formates ein Prismenumkehrsystem sehr großvolumig werden würde. Deshalb wird für die Kamera ein Zweiformatsystem vorgeschlagen, bei dem für das Format 6x6 ein Lichtschacht und für das Format 4,5x6 wahlweise ein Prismensucher oder ein Lichtschacht mit Abdeckmasken verwendet werden solle. Ziemlich seltsame Grundlage für ein Patent. Aber wie so oft ist eine solche Schutzschrift für uns heute immerhin ein wichtiges Zeitdokument, an dem wir ablesen können, welche Gedankengänge damals durch die Köpfe der Konstruktionsverantwortlichen gegangen sind.

Patent 5618

Bereits im darauffolgenden Jahr war das Konzept zu einer solchen Kamera offenbar schon deutlich stärker gereift. Von Arno Scharping, Walter Hennig und Horst Strehle liegt ein Patent Nr. 9624 vor, das am 25. Juni 1953 in der DDR angemeldet wurde. Es beschreibt, wie eine Rollfilm-Wechselkassette mit dem Kameramechanismus gekuppelt werden kann. Da Rollfilm keine Perforation hat, muß die Kamera für den richtigen Schaltschritt sorgen. Daß das nicht ganz unproblematisch ist, zeigte zu jener Zeit die Exakta 6x6, die unter anderem aufgrund von Filmtransportproblemen zum Fiasko für die Ihagee wurde. Um dies zu verhindern, hatten die Konstrukteure der Zeiss Ikon in der Kassette eine große Meßrolle vorgesehen (das Bauteil mit dem Pfeil), die nach einer vollständigen Bildlänge den Filmtransport vom Kameraspannmechanismus trennte. Zum spannen diente der auch beim späteren Prototypen wiederzufindende Schnellschalthebel. Wir wissen heute, daß diese Kamera für das Filmformat 4,5x6cm ausgelegt war.

Der Patentlage nach zu urteilen muß aber zur selben Zeit parallel an einem zweiten Prototyp gearbeitet worden sein, der für den perforierten 35mm Film ausgelegt war. Auch dieses Material sollte in wechselbaren Kassetten untergebracht werden. Damit diese Kassetten keine übertriebenen Ausmaße annehmen, muß das Material mindestens zweimal umgelenkt werden. Das Problem dabei liegt aber darin, daß sich schon nach kurzer Zeit des Verweilens an dieser Stelle ein deutlicher Knick in das Filmmaterial einprägt. Reinold Heidecke soll später sehr bedauert haben, bei der Konstruktion seines Rolleiflex Automaten 1937 die Chance nicht genutzt zu haben, den Filmlauf umzukehren und die Umlenkung um 90 Grad erst HINTER dem Bildfenster folgen zu lassen. So kann es bei der Rolleiflex leider vorkommen, daß sich nach einiger Zeit eine Wölbung in den Film einprägt, die nach dem nächsten Filmtransport genau im Bildfenster zu liegen kommt und dort zu einer häßlichen Bildunschärfe führt. Wenn man so will, war das die einzige wirkliche Konstruktionsschwäche dieser bemerkenswerten Kamera. Den Herren Fritz Köber, Heinz Bemann, Werner Schmidt, Walter Hennig und Horst Strehle bei der Zeiss Ikon dürfte dieses Problem also bekannt gewesen sein, weshalb sie eine spezielle Filmführung ersannen, die sie am 2. April 1953 in der DDR patentieren ließen [Nr. 12.856]. Die Lösung war einfach, aber wirksam: Der Krümmungsbogen wurde schlichtweg so groß gemacht, daß er einer kompletten Bildbreite entsprach und damit die „Elastizitätsgrenze“ des Materiales nicht überschritten wurde. Auf diese Weise war selbst ein kompletter Richtungswechsel realisierbar, wie die Patentzeichnung verdeutlicht.

Patent 12.856

Das Gesamtkonzept dieser bemerkenswerten Kamera ist im DDR-Patent Nr. 12.178 vom 25. Juni 1953 unter dem Titel „Reflexkamerakörper quadratischen bzw. angenähert quadratischen Querschnitts mit ansetzbarer Filmwechselkassette“ geschützt worden. Urheber war Walter Hennig. Die Grundidee lag also darin, nicht wie bei Nüchterleins Exakta die Filmspulen links und rechts des Spiegelkastens anzuordnen, sondern quasi alles hintereinander zu staffeln und somit alles so schlank wie möglich zu halten. Das gab es vorher schon (Primarflex); sogar mit Wechselkassetten (Hasselblad). Das neue, schutzwürdige war, daß zur Verbindung zwischen Kameragehäuse und Wechselkassette ersteres verlängert wurde und unter dem Prismensucher über letztere hinausragte (Schutzanspruch 1). Innerhalb dieses verlängerten Kameragehäuses waren die Antriebe für die Filmkassette untergebracht.

Patent  12.178
Patent  12.178

Interessant und wirklich neuartig war, daß auf der gegenüberliegenden Seite des zur Kassette hin verlängerten Reflexkörpers ein flachgehaltener Federwerkantrieb angebracht werden konnte, der das Spannen der Kamera und den Bildtransport übernehmen sollte (Schutzanspruch 6, linkes Bild). Zudem war für die Standard-Kassetten vorgesehen, daß sich deren Grundriß nach hinten verjüngt (Schutzanspruch 9). Für Reproduktionen, technische Aufnahmen etc. war aber auch ein Langfilmmagazin von wesentlich größerer Breite vorgesehen (Bild rechts).

Patent  12.178
Patent  12.178

Diese nach hinten zulaufende Gestalt der Standard-Kassette bzw. die elliptische Formgebung der gesamten Kamera wurde noch einmal gesondert in einem Bundesdeutschen Patent Nr. 1.052.804 vom 15. Dezember 1953 geschützt. Neben Walter Hennig wurde hier außerdem Alfred Scheinert als Urheber benannt. In dieser Schutzschrift wird noch einmal explizit auf die ergonomischen Nachteile verwiesen, die bisherige Kameras der Breitbauform zu bieten hatten. Die beiden Erfinder stellen vor allem darauf ab, daß solche Kameras das Gesichtsfeld des nicht für den Kameradurchblick genutzten Auges abschatten, wodurch insbesondere das Verfolgen eines bewegten Objektes mit diesem freien Auge verunmöglicht wird. Zudem ist  bei solchen Kameras der herkömmlichen Bauart – auch wenn das hier im Patent nicht erwähnt wird – auch irgendwie stets die Nase im Weg und macht das Durchblicken durch eine solche Kamera unbequem. Verdeutlicht werden  beide Gesichtspunkte durch die unten gezeigte, dem  Patent beigefügte Prinzipskizze.

Patent Nr. 1.052.804

Als zweiter wichtiger Beweggrund für die ellipsenförmige Gestaltung der ganzen Kamera wurde im Patent 1.052.804 angegeben, daß auf diese Weise die Kamera bequem in einer einzigen Hand gehalten werden könne – eine anatomisch richtige Konstruktion also.

Patent 1052804

Ferner existieren zu dieser Kamera noch etliche Patente bezüglich ihrer Wechselkassetten. So hat Walter Hennig beispielsweise unter der Nr. DD12.368 ein am 6. Februar 1954 angemeldetes Patent zugesprochen bekommen, das eine Klauenkupplung beschreibt, die sich beim abnehmen der Kassette automatisch ausklinkt.


Wenn so eine Kassette abnehmbar gemacht wird, dann ist es natürlich notwendig, daß das Filmmaterial zuvor lichtdicht verschlossen wird. Zu den geradezu hanebüchnen Fehlkonstruktionen der Exakta 6x6 gehörte schließlich, daß diese Kamera zwar für Wechselkassetten ausgelegt war, jene aber nicht abgenommen werden konnten, weil man schlicht keinen Kassettenschieber vorgesehen hatte. Man fragt sich heute noch, was man sich im Ihagee Kamerawerk eigentlich dabei gedacht hat. Jedenfalls kann man mit Gewißheit sagen, daß man bei der Zeiss Ikon etwas gründlicher überlegt hat. Hier liegen nämlich zwei Patente vor, die sich explizit mit dieser Frage befassen. Das erste mit der Nummer DD10.836 vom 9. Juli 1953 beschreibt die Bauart eines flexiblen Rolloverschlusses, der anstelle des bisher bekannten starren Kassettenschiebers das Magazin vor Abnahme von der Kamera lichtdicht verschließen sollte (Zeichnung unten links). In einem weiteren Patent Nr. DD10.336 vom 17. Juli 1953 ist die Kinematik zum Antrieb dieses Rollos beschrieben (Bild rechts). Offensichtlich war geplant, daß sich das Rollo selbsttätig schloß, während die im Patent Nr. DD12.368 dargelegte Klauenkupplung ausgerückt und das Magazin am Ende ausgeklinkt wurde. Das wäre also alles sehr bequem und technisch ausgeklügelt gelöst worden.

DD10.836
DD10.336

Diese neuartige Kamerabauform der Zeiss Ikon war also  vor allem in ihrer Kleinbildvariante sehr weit fortgeschritten. Dem Prototypen wurde offenbar noch eine Belichtungshalbautomatik verpaßt und als Objektivanschluß  das damals als ideale Lösung angesehene Praktina Schraubbajonett verwendet. Diese Pentax 24x36 hätte gewissermaßen das vorweggenommen, was etwa ein Vierteljahrhundert später von Franke & Heidecke als Rolleiflex 2000F herausgebracht wurde. Und der Mißerfolg letzterer Kamera zeigt bereits überdeutlich, auf welch dünnem konzeptionellen Eis man sich beim VEB Zeiss Ikon in den Jahren 1953/54 bewegte. Für solcherart Spezialkameras gab es nämlich stets nur einen kleinen Markt. Ein Großbetrieb wie Zeiss Ikon wäre aber im Segment einer Kleinserienfertigung falsch aufgehoben gewesen. Zumal  sich eindeutige Anzeichen einer Überkonstruiertheit erkennen lassen. Für mich deutet die Pentax 24x36 auf ähnliche Ansätze zu Höhenflügen hin, wie zwei Jahrzehnte vorher die Zweiäugige Contaflex. Und genau das war die falsche Antwort auf die wirklichen Bedürfnisse des damaligen Kameramarktes. Die schon zu jener Zeit in die Hunderttausende gehenden Verkaufszahlen der vergleichsweise einfach aufgebauten Praktica der Kamerawerke Niedersedlitz bewiesen, was wirklich vom Markt verlangt wurde. Andererseits zeigte bereits die aus dem gleichen Hause stammende Praktina, daß sich eine vielseitige Aufbaukamera gar nicht so leicht verkaufen ließ. Außerdem gerieten solche hochgezüchteten Kameras angesichts der in den 50er Jahren noch recht bescheidenen Einkommen rasch zu überteuert. Immerhin war die DDR zu jener Zeit auch noch alles andere als ein Billiglohnland!


Also verschwand dieses Projekt in der Schublade. Es wurde gar nicht erst produziert. Und weil auch keine vereinfachte Variante abgeleitet werden konnte, stand man bei der Zeiss Ikon in der zweiten Hälfte der 50er Jahre gewissermaßen mit leeren Händen da. Jahre der Entwicklungsarbeit waren verstrichen, ohne daß man im Bereich marktfähiger Produkte vorangekommen wäre. Unterdessen war die einzige wirklich international verkäufliche Kamera des VEB Zeiss Ikon – die Contax D – in die Jahre gekommen und technisch zurückgefallen. Dieser einstmals so dominierende Betrieb geriet durch seine verzettelte Produktentwicklung nun mehr und mehr in eine schwere Krise, die letztlich in seiner schleichenden Auflösung mündete.

Zeiss Ikon Pentax Prototyp

phot. Ing. Kuttner, Wien

Zeiss Ikon Pentax

Etwa ein Jahrzehnt später war in den Kamera- und Kinowerken noch einmal ein durchaus vergleichbarer Vorgang zu verzeichnen. Unter der Verantwortung Horst Strehles, der schon an der Pentax-Entwicklung beteiligt gewesen war, wurde wiederum versucht, solch ein ambitioniertes Spitzenmodell zu kreieren, das quasi schnurstracks am Bedarf vorbeizielte. Doch diesmal lagen die Karten besser. Aus den Grundlagenentwicklungen und den Erfahrungen mit dem Kameraflop Pentacon Super ließen sich nunmehr durchaus vereinfachte Varianten ableiten. Und in Form der Praktica L-Reihe eröffneten  diese dem VEB Pentacon Dresden gegen Ende der 60er Jahre letztlich die Tür in ein neues Zeitalter.





Projekt »Pentaplast« – Stereoreflexkamera des VEB Zeiss Ikon


Bleiben wir gleich bei solcherlei Prestigeprojekten, die der VEB Zeiss Ikon letzten Endes doch nur für die Schublade entwickelt hat. Obwohl man zugeben muß, daß der Ausgangspunkt dieser Pentaplast noch nichts mit den Höhenflügen zu tun hatte, die später daraus geworden sind. Denn ein frühes Konzept Wilhelm Winzenburgs zu einer Stereo-Spiegelreflexkamera war mehr als konsequent: Die gerade erst am Markt etablierte Spiegelcontax mit ihrem bildumkehrendem Prismensucher bildete beste Voraussetzungen für eine Stereokamera. Denn zwei aufrechtstehende und seitenrichtige Mattscheibenabbildungen im Augenabstand wären zu einem plastischen Sucherbild zu vereinigen gewesen, was in der technisch und künstlerisch stets etwas anspruchsvollen Stereophotographie einen unschätzbaren Wert dargestellt hätte. Der Lichtschachtsucher mit seinem seitenverkehrten Sucherbild hatte solche Bestrebungen bislang vereitelt, weshalb hochwertige Stereoreflexkameras von Voigtländer oder Franke & Heidecke stets mit getrennten Aufnahme- und Sucherobjektiven gearbeitet hatten (sozusagen dreiäugige Reflexkameras). Diese frühen Ideen der Zeiss-Ikon-Konstruktionsabteilung bezüglich einer Stereo-Spiegelreflexkamera sind uns durch ein DDR-Patent mit der Nummer 1315 vom 29. Mai 1951 (Wilhelm Winzenburg, Robert Geißler und Egon Kaiser) überliefert. Genauer gesagt besteht es aus drei gesonderten Vorschlägen, und der erste dieser drei Vorschläge zeigt uns das Konzept einer quasi verdoppelten Spiegelcontax.

DD1315
DD1315

Leider war eine Stereokamera nach dieser eigentlich ziemlich logisch erscheinenden Bauweise damals noch nicht praktisch umsetzbar. Der Hintergrund liegt darin, daß bei jeder Stereokamera dieser Art die Größe des Teilbilds, der Filmtransport und die Stereobasis miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Für eine verdoppelte Spiegelcontax lief das darauf hinaus,  daß jene nur dann einen Sinn ergeben hätte, wenn die Sucherokulare  im durchschnittlichen Augenabstand angeordnet gewesen wären, damit sich beide Mattscheibenbilder gleichzeitig hätten betrachten und zu einem stereoskopischen Sucherbild verschmelzen lassen.   Um diese Forderung zu gewährleisten, hätte auch der Bildfensterabstand dieser Kamera im Bereich des durchschnittlichen Augenabstandes von etwa 65mm liegen müssen. Mit Ausnahme des durch die französische Firma Richard verwendeten, ungleichmäßig verschränkten Schaltschrittes sowie einer in Vergessenheit geratenen Abwandlung des gleichmäßig verschränkten Colardeau-Schaltschrittes der schweizer Firma Kern, gab es zu jener Zeit noch kein Verfahren, wie man aus dem gegebenen Perforationslochabstand des 35mm-Filmes eine Objektivbasis von etwa 65mm verwirklichen konnte. Erst nachdem die Spiegelcontax bereits einige Jahre auf dem Markt war, wurde im VEB Belca-Werk an einer eigenen Variante des verschränkten Richard-Schaltschrittes  gearbeitet, der die oben genannten Probleme in optimaler Weise löste. Mit einem Bildfensterabstand von 64mm und einer Objektivbasis von 63,2mm  wäre er eine ideale Grundlage für eine solche Stereo-Spiegelreflexkamera gewesen. Dieser Betrieb brachte aber leider nur eine schlicht gehaltene Sucherkamera mit diesem Belca-Schaltschritt heraus. 

Doch 1951 stand für dieses Problem wie gesagt noch keine befriedigende Lösung bereit. Daher gibt das Patent 1315  noch zwei weitere Möglichkeiten zur Verwirklichung einer Stereospiegelreflex an, die keines speziellen Filmtransportes bedurften, sondern mit zwei auf dem Film direkt nebeneinander liegenden Teilbildern arbeiteten. Im ersten Fall wird die normale Spiegelcontax mit den damals schon zur Verfügung stehenden Zeiss Vorsatzprismen benutzt. Hinzugefügt wird lediglich ein spezieller Zusatzsucher, der die beiden Teilbilder den jeweiligen Augen zuführt. Dieser Sucher hätte mit einer zweiten Mattscheibe gearbeitet und dürfte angesichts des ohnehin schon finsteren Sucherbildes der Contax in der Praxis weitgehend unbrauchbar gewesen sein. Die auswechselbaren Stereosucher der Exakta und Praktina waren da der bessere Weg. Viel interessanter ist die dritte Variante, die das Patent vorschlägt. Hier wurde mit zwei nebeneinanderliegenden Objektiven gearbeitet, deren Basis gegebenenfalls mittels Vorsatzprismen vergrößert werden konnte. Auch hier lagen die Teilbilder nebeneinander auf dem Film und für die Sucherbildbetrachtung wurden sie durch ein Porroprismensystem auf Betrachtungsabstand gebracht. Auch diese dritte Möglichkeit war gegenüber der ersten die schlechtere Lösung. Sie ist aber deshalb wichtig, weil sie, nachdem Winzenburg in den Laufbildsektor übergewechselt war, wieder aufgegriffen und in einem Prototyp verwirklicht wurde.


Dies geschah der Quellenlage zufolge bereits in den Jahren 1954/55. Helmut Fischer, Herbert Ziegler und Egon Kaiser können als Konstrukteure benannt werden. Zuerst wurde an einem Stereo-Prismensucher gearbeitet, der die beiden eng nebeneinander liegenden Teilbilder auf den betrachtungsfähigen Augenabstand brachte. Als Quellenmaterial ist uns das DDR-Patent Nr. 12.976 vom 6. März 1954 und das Schweizerische Patent mit der Nummer 327.752 überliefert, das am 14. Januar 1955 angemeldet worden ist. Der Sucher war abnehmbar gestaltet und ermöglichte den Einblick entweder in Richtung der optischen Achse oder senkrecht dazu. Außerdem konnte er abgenommen und zum Diabetrachter umfunktioniert werden. Die Patentzeichnungen lassen erahnen, daß die Kamera mit zwei nebeneinanderliegenden Teilbildern in einem annähernd quadratischen Format arbeitete.

CH327.752
CH327.752
CH327.752

Diese Zeichnung vermittelt auch einen ersten Eindruck vom eigentlichen Kameragehäuse. Es lag zu jener Zeit sicherlich schon als Prototyp vor. Allerdings scheinen die Herren Fischer und Ziegler noch mindestens zwei Jahre am nötigen Vorsatzprismensystem gearbeitet haben. Daraus läßt sich aufgrund der noch folgenden Patentanmeldungen schließen. Das früheste stammt bereits vom 31. August 1954 und wurde in der DDR angemeldet (Nr. DD14.325). Interessant ist, daß ein gleichlautendes Patent erst mehr als zwei Jahre später unter der Nummer 1.037.258 in der Bundesrepublik angemeldet wurde (6. Dezember 1956). Unter der Annahme, daß der Prototyp der »Pentaplast« mit einem angenähert quadratischen Aufnahmeformat arbeitete, bei dem die beiden Teilbilder unmittelbar nebeneinanderlagen (vielleicht habe ich ja mal Gelegenheit, das am Prototyp genauer zu überprüfen), dann dürfte der Achsenabstand des Objektivpaares bei etwas um die 24 mm gelegen haben. Das ist natürlich zu wenig, um bei Normalaufnahmen zu einem plastischen Raumeindruck zu gelangen. Daher war diese Kamera auf ein Vorsatzsystem angewiesen, das die Objektivbasis künstlich auf praktikable Werte  vergrößerte. Zu dieser Problematik existieren die besagten Patente DD14.325 bzw. DE1.037.258, die  ein solches Vorsatzprismen- bzw. Spiegelsystem beschreiben,  mit dem sich als Besonderheit drei feste, einstellbare Objektivbasen realisieren ließen. Eine kleine Basis von den etwa 24 mm ergab sich bei Verwendung der Objektive ohne Prismenvorsatz. Wurde aber der Prismenvorsatz benutzt, dann konnte dieser auf zwei verschiedene Basen eingestellt werden. Patentgemäß wurde dies erreicht durch Abschaltung einer der beiden Basiserweiterungen, sodaß bei einem der beiden Objektive der direkte Lichtweg, beim anderen Objektiv aber der durch das Prismensystem verlängerte Lichtweg wirksam wurde. Durch Verwendung beider Prismen ergab sich dann die längste Basis.


Leider liefert das Patent keine Aussagen zur genauen Länge der Basen. Grundsätzlich zwei Zielrichtungen wären denkbar: Sind beide Prismensysteme in Benutzung, ist eine eine Normalbasis von etwa 65mm wirksam. Wird das eine Prisma abgeschaltet, dann ergibt eine etwas verkürzte Basis (zum Beispiel um die 50mm). Solche verkürzten Basen werden benutzt, um stereoskopische Aufnahmen im Makrobereich anfertigen zu können, wo bei einer Normalbasis von etwa 65mm ab einem bestimmten Abbildungsmaßstab so wenig zulässige Raumtiefe übrig bleibt, daß sich kaum noch ein normaler Gegenstand wiedergeben ließe.  Hier ermöglicht der Umweg über verkürzte Basen, wieder zu sinnvollen Raumtiefen zu gelangen, auch wenn sich dadurch bei der Betrachtung stereoskopische Verzerrungen ergeben, die als Gigantismuserscheinungen bekannt sind. [Vgl. dazu Pietsch, Werner: Die Praxis der Stereo-Nahaufnahmen, 3. Aufl., Halle, 1957.] Beim Pentaplast-Prototyp scheint aber vielmehr der Weg beschritten worden zu sein, daß sich bei Verwendung beider Prismensysteme eine Basis von etwa 100mm ergibt, die für die plastische Wiedergabe weiter entfernter Gegenstände sinnvoll ist. Bei Abschaltung eines der beiden Prismen ergibt sich bei dieser Variante die Normalbasis. Die Möglichkeit, verschiedene Basen einstellen zu können, muß also ausdrücklich als Vorteil dieses Pentaplast-Bauprinzips genannt werden. Das Patent liefert außerdem noch Angaben über die Art der Befestigung des Vorsatzes an der Kamera.

DBP1.037.258
DBP1.037.258

Die Patentzeichnung oben verdeutlicht, wie eine „mittlere“ Basisweite erreicht werden sollte, indem eines der beiden Prismensysteme aus dem Strahlengang ausgerückt (verschoben) wird. Dabei erhält das eine der beiden Objektive sein Licht auf direktem Wege, während der Strahlenverlauf des anderen Objektivs weiterhin abgeknickt wird.


Nun halte ich es für bemerkenswert, daß ein weiteres auf den Prismenvorsatz bezogenes  Patent sogar erst am 20. Juni 1957  in den USA angemeldet  wurde [Nr. 2.922.350], und zwar mittlerweile unter der Ägide des VEB Kamerawerke Niedersedlitz. Man darf also auch hier von einem „geerbten Projekt“ sprechen. Der Inhalt des US-Patentes ist in Grundzügen deckungsgleich mit den  früheren vom August 1954 bzw. vom Dezember 1956. Man kann allerdings aus dem US-Patent erahnen, daß zumindest im ersten Halbjahr 1957 noch an dieser Stereokamera gearbeitet worden sein muß, denn in einigen Details wie der Anwendung von Filtern oder der genauen Befestigung des schweren Vorsatzes an der Kamera sind noch Verbesserungen zu erkennen. Auch die detailreicheren Zeichnungen lassen auf fortgesetzte Konstruktionstätigkeit schließen, an deren Ende vielleicht der fertige Prototyp vorlag. Ich kann mir freilich sehr gut vorstellen, daß nach Erreichen dieses Stadiums die Arbeiten an der Pentaplast endgültig eingestellt wurden. Bei KW in Dresden Niedersedlitz hatte man zu jener Zeit bestimmt gerade andere Sorgen, als die Verwirklichung von Prestige-Projekten, die man von einer vormaligen Konkurrenzfirma geerbt hatte.

US2.922.350
US2.922.350

Denn so beeindruckend diese Kamera auch aussah – der monströse Prototyp kann von jedermann in den Technischen Sammlungen der Stadt Dresden begutachtet werden – so wenig marktträchtig war diese Entwicklung. Das liegt zum einen natürlich daran, daß wohl kaum jemand dieses Ungetüm gekauft hätte, um seine Urlaubsbilder damit zu machen. Das wäre aber ausschlaggebend gewesen, denn eine Stereokamera, die allein für Berufsphotographen ausgelegt ist, hatte kaum eine Daseinsberechtigung. Das ist namentlich darauf zurückzuführen, daß sich Raumbilder aus technischen Gründen weder in Zeitschriften noch in Bildbänden ohne größere Schwierigkeiten vermarkten lassen. Vielmehr war die Stereophotographie stets auf den enthusiastischen Amateur angewiesen, der sich trotz technischer Hürden auf dieses Spezialgebiet einlassen wollte. Und hierbei galt: Je ausgefeilter und teurer die Gerätschaften zur Aufnahme und Wiedergabe der Raumbilder ausfielen, um so kleiner war das Absatzpotential und um so schneller war es auch gesättigt. Das muß auch als Ursache dafür gesehen werden, weshalb die aus dem Bau von hochwertigen Stereokameras hervorgegangene Braunschweiger Firma Franke & Heidecke nach dem Zweiten Weltkrieg die Rückkehr in dieses Marktsegment letztlich unterlassen hat.

Zeiss Ikon Pentaplast

Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, weshalb dieses gesamte Pentaplast-Projekt regelrecht zum Scheitern verurteilt war. Ich habe mich viel mit Stereokameras beschäftigt und kann sagen, daß das bei der Pentaplast zugrundegelegte Bauprinzip als falsch angesehen werden muß. Sicherlich ist es für den Kamerakonstrukteur verlockend, die beiden Teilbilder in der Kamera direkt nebeneinander anzuordnen. Das hat einerseits den Vorteil, daß kein spezieller Filmtransport notwendig ist. Außerdem kann bei geschickter Auslegung des gesamten Betrachtungssystems ein Zerschneiden und Neupositionieren der Teilbilder vermieden werden. Das hat aber den massiven Nachteil zur Folge, daß die „unbewaffnete“ Kamera mit einer kleinen Basis arbeitet, die dann mit aufwändigen, teuren und sehr sperrigen Prismenvorsätzen auf das Normalmaß vergrößert werden muß. Selbiges gilt für den Sucher, wenn der prinzipielle Vorteil der Spiegelreflexkamera ausgenutzt werden soll, daß die spätere Raumwirkung der Aufnahme bereits bei Betrachtung des Sucherbildes beurteilt werden kann. Gleich zwei solcher großer Zusatzteile aus Prismen und Linsen machten das Konzept, das der Pentaplast zugrundelag, für Amateuranwendungen gänzlich ungeeignet. Und mit Einzelanfertigungen für ein ausgewähltes Publikum konnte kein Großbetrieb mit fast 3000 Beschäftigten ausgelastet werden. Wie zuvor die Pentax wurde daher auch die Pentaplast eingemottet. Mindestens zweieinhalb Jahre nachweisbarer Konstruktionstätigkeit waren damit ohne verwertbares Ergebnis geblieben.


Ich denke, ich kann mir die Beurteilung anmaßen, daß die Geschichte einer Stereo-Spiegelreflexkamera beim VEB Zeiss Ikon ganz anders hätte ausfallen können, wenn man den ersten Ansatz gewählt hätte, den Winzenburg im Jahre 1951 aufgezeigt hatte. Eine quasi verdoppelte Spiegelcontax mit dem verschränkten Filmtransport des Belca-Werkes (abwechselnd 7 und 20 Perforationslöcher, Bildgröße etwa 24x29mm, Basis etwa 63mm) hätte sicherlich zu einer noch amateurgerecht kompakten Kamera geführt, die sich angesichts des „Stereo-Booms“ der 50er Jahre vielleicht auch hätte verkaufen lassen. Zumindest wäre eine solche  „Reflex-Belplasca“ international ohne Konkurrenz gewesen.  Daß eine Verknüpfung von Belplasca und Contax übrigens nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, habe ich kürzlich erst entdeckt:  Aufgrund einer Mitteilung Pietschs im Vorwort des oben angegebenen Buches wissen wir nämlich, daß neben Konrad Koehl auch ein gewisser Heinz Kuhnert Konstruktionsverantwortung für die Belplasca trug.  Dessen Bruder (?) Rudolf   Kuhnert war  einer der maßgeblichen Schöpfer der Spiegelcontax. 




Böhm’sche Dörfer? Die Zweifilmkameras der Kamera-Werke Niedersedlitz


Prestigeprojekte Teil drei, könnte man an dieser Stelle sagen. Nur diesmal nicht aus Dresden Striesen, sondern aus Niedersedlitz. Und um es auch gleich vorweg zu nehmen: Anders als die Ingenieure bei Zeiss Ikon, konnte sich Siegfried Böhm sein kleines Nebenprojekt durchaus leisten, denn er hatte seinen Laden im Griff. Mitte der 50er Jahre waren von der Praktica bereits mehr Geräte zur Auslieferung gelangt, als von der Spiegelcontax je gefertigt werden sollten. Das war angesichts des Ursprungs der Kamera-Werkstätten Niedersedlitz als kleine Manufaktur durchaus eine reife Leistung. Mit der Praktina FX hatte man ab 1953/54 zudem eine Systemkamera am Markt, die international noch ohne jegliche Konkurrenz dastand. Und eine später sehr bekannt gewordene Mittelformat-Reflexkamera befand sich auch gerade in der Entwicklung. Natürlich war Böhm nicht alleiniger Urheber dieser Erfolge, aber viele für den Kamerabau insgesamt bedeutende Konstruktionsideen gingen damals von ihm aus. Darüber hinaus muß er seinerzeit auch als Betriebsleiter offensichtlich nicht ganz ungeschickt agiert haben. Dieser Mann aus dem erzgebirgischen Witzschdorf, der im nahegelegenen Zschopau zur Schule ging – einem Ort, der sehr früh industrialisiert worden ist (Bodemer’sche Spinnmühlen) und wo während der Kindheit Böhms der größte Motorradproduzent der Welt angesiedelt war (DKW Rasmussen) – dieser junge Mann also leitete nun selbst einen weltweit anerkannten Betrieb, den er gerade mit viel Anstrengung vom Manufaktur- ins Industriezeitalter überführt hatte. Wer könnte es ihm also verübeln, damals an etwas Ambitioniertem gearbeitet zu haben, das sich später als Irrweg herausgestellt hat.

Zweifilmkamera Niedersedlitz

Aber der Reihe nach. Wenn man mich fragen würde, was die Amateurphotographie am meisten vorangebracht hat, dann war das meiner Ansicht nach der Rollfilm vor dem Ersten Weltkrieg, der Kleinbildfilm in der Zwischenkriegszeit und der Farbumkehrfilm ab den 1950er Jahren. Zwar waren »Kodachrome« und »Agfacolor neu« noch Entwicklungen aus der Mitte der 30er Jahre, doch erst nach dem Kriege konnten sich diese mehrschichtigen Farbverfahren so richtig beim Amateur durchsetzen. Billig war das Ganze aber dennoch nicht. Und weil sich der ziemlich geringempfindliche und zudem steil graduierte Umkehrfilm mit seinem geringen Belichtungsspielraum längst nicht für jedes Motiv eignete, begannen viele Amateure, zweigleisig zu fahren: Die „wertvollen“ und möglichst bunten Motive auf Farbumkehrfilm (für Diapositive), der Rest – zumal wenn mehrere Abzüge gemacht werden sollten – auf Schwarzweiß-Negativfilm. Farbnegativfilm und farbige Papierbilder waren zu jener Zeit in Ost wie West noch weitgehend unüblich. Das ganze lief dann darauf hinaus, daß anspruchsvolle Amateure oftmals mit zwei oder mehr Kameras um den Hals loszogen. Siegfried Böhm dürfte also nicht der einzige gewesen sein, der dieses Problemfeld erkannt hatte und über Lösungsmöglichkeiten grübelte.


Über den Ansatz, den die Konstrukteure bei Zeiss Ikon gewählt hatten, habe ich oben bereits berichtet: Eine Kleinbildreflexkamera mit Wechselmagazinen. Heute, 65 Jahre später, kann ich neunmalklug verkünden: So etwas hat sich nie am Markt durchsetzen können. Allein im Mittelformat wurde ein solch kostenintensiver Aufwand geduldet. Die Idee, einfach eine Kleinbildkamera mit zwei Filmen zu bauen, war da schon deutlich marktorientierter. Böhm war auch nicht der erste, der solch eine Idee hatte. Er hatte nur das Problem, nicht hinter den Anfang der 50er Jahre erreichten Stand der Technik zurückfallen zu wollen. SEINE Zweifilmkamera mußte eine Einäugige Reflexkamera mit geradsichtigem Sucherbild sein. Drunter ging es nicht.

DD 15.827

Böhms Lösung wird sehr gut anhand dieser Zeichnung aus dem DDR-Patent 15.827 vom 27. August 1953 deutlich. Herzstück ist ein zwischen den beiden Filmen untergebrachter Käfig, in dem der Reflexspiegel gelagert ist. Dieser Spiegel hat genau die umgekehrte Wirkung, als es sonst bei Reflexkameras üblich ist. Denn für die Sucherbetrachtung klappt er aus dem Strahlengang, wodurch das vom Objektiv entworfene Bild auf die hinter dem Käfig liegende Bildfeldlinse fällt. Der Spiegel hat demnach die Aufgabe, das vom Objektiv kommende Bild auf den jeweiligen Film zu lenken. Für die Aufnahme ist der Spiegel also heruntergeklappt. Je nachdem, wie der den Spiegel tragende Käfig gedreht ist, fällt dieses Bild dann entweder auf den Film oben oder unten. In dieser Konfiguration war die Zweifilmkamera noch mit zwei Schlitzverschlüssen vorgesehen, die jeweils vor den beiden Filmen liegen sollten und vom gleichen Zeitbildungswerk gesteuert werden sollten. Es lief aber jeweils nur der Verschluß ab, in dessen Richtung der Spiegelkäfig gedreht war. Letztere Funktion wurde allerdings erst mit dem Patent DD23.764 vom 30. August 1957 (Siegfried Böhm und Heinrich Skolaude) verwirklicht – also ziemlich genau vier Jahre später. Hier hat es also eine lange Entwicklungspause gegeben, die darauf schließen läßt, daß während der Konstruktion der Praktisix und der Praktina IIA die Arbeiten an der Zweifilmkamera zum erliegen gekommen waren. Vom zweiten Patent aus dem Jahre 1957 ist eine Zeichnung überliefert, die sehr eindrücklich den gedrängten Aufbau dieser Kamera mitsamt den zwei Schlitzverschlüssen zeigt. Hier war viel komplexe Mechanik auf engstem Raume vereinigt.

DD23.764

Aber nicht eng genug. Es existiert noch ein drittes Patent Nr. DD23.840 vom 21. Oktober 1957 zu diesem Thema, das Siegfried Böhm gemeinsam mit Rudolf Hainy erarbeitet hatte. Dieses Patent nennt gleich zwei große Schwächen der beiden obigen Lösungen: Erstens war die gesamte Anordnung zu kompliziert geworden und zweitens verschlang der drehbare Käfig als Halterung des Reflexspiegels zu viel Platz, weshalb die beiden Filme sehr weit auseinandergerückt werden mußten und der Lichtweg zwischen Objektiv und Filmebene zu lang wurde. Offenbar mußte dadurch die Schnittweite hinter dem Objektiv noch länger sein, als das ohnehin bei Einäugigen Reflexkameras vonnöten ist. Gelöst wurden diese Probleme mit zweierlei Maßnahmen. Erstens waren nun statt des drehbaren Käfigs ZWEI einzelne Spiegel vorhanden, die dem jeweiligen Filmfenster fest zugeordnet waren. Bei Sucherbildbetrachtung waren beide Spiegel aus dem Strahlengang geschwenkt. Für die Aufnahme wurde der jeweils benötigte Spiegel in die Reflexlage gebracht. Der andere deckte das nicht benutzte Bildfenster ab. Diese geschickte Idee ermöglichte die zweite Abänderung der Kamera, die den Mechanismus stark vereinfachte. Es war von nun an nur noch EIN EINZIGER Schlitzverschluß mit auf gemeinsamen Bändern angeordneten Vorhängen vorgesehen. Es bildeten sich daher immer ZWEI IDENTISCHE Belichtungsschlitze, von denen nur derjenige den zugehörigen Film belichtete, bei dem der Spiegel in die Reflexlage geklappt worden war. Die andere Belichtungsöffnung wurde durch den in der abdeckenden Lage verbliebenen Spiegel nicht wirksam. Da bei dieser Lösung mit zwei getrennten Spiegeln der voluminöse Käfig mit seinem großen Drehradius wegfiel, konnten die Filme und die Reflexspiegel näher an das Aufnahmeobjektiv heranrücken und damit das Anlagemaß wirksam auf normale Größenordnungen verkürzt werden.

DD23.840

Diese Kamera war weit durchkonstruiert. Die obige Patentzeichnung zeigt den gedrängten Aufbau mit den ineinander verschachtelten Filmpatronen und den auf einen einzigen Mechanismus beschränkten Schlitzverschluß. Dieser Mechanismus wäre auch in einem zwar ungewöhnlich ausschauenden, aber durchaus nicht häßlichen Gehäuse unterzubringen gewesen (siehe Photo ganz oben von einem entsprechenden Prototypen). Weshalb solch eine Kamera letztlich doch nicht herausgebracht wurde, mag vielleicht ein Ergebnis ganz nüchterner betriebswirtschaftlicher Überlegungen gewesen sein. Wäre der Vorteil, vor jeder Aufnahme zwischen zwei Filmen wählen zu können, wirklich so ausschlaggebend gewesen, daß sich mehrere zehntausend Photoamateure tatsächlich solch eine Kamera gekauft hätten? Wollten wirklich so viele Leute abwechselnd farbig und schwarzweiß oder mit zwei verschieden empfindlichen Emulsionen abwechselnd photographieren?


Gerhard Jehmlich liefert noch einen anderen wichtigen Hinweis, wieso diese Kamera nicht serienmäßig fabriziert worden ist – auch wenn ich der Auffassung bin, daß seine Begründung technisch falsch ist. Jehmlich meint, das Problem habe darin gelegen, daß, bedingt durch die Belichtung über Spiegel, EINES der beiden Bilder um 180° „verschieden“ gewesen sei und daher  beim vergrößern hätte gedreht werden müssen [Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 77f]. Wenn ich ihn recht verstehe, so meint er, einer der beiden Filmstreifen hätte kopfstehende Bilder aufzuweisen. Das stimmt zwar, ist aber völlig unerheblich. Filmstreifen aus einer Exakta Varex, bei der der Film ja von rechts nach links läuft, haben eine Bildlage, die genau andersherum ist, als die Filmstreifen aus den meisten anderen Kameras, wo der Film von links nach rechts transportiert wird. Solche „kopfstehenden“ Negative ergeben Abzüge, die einfach nur um 180° gedreht werden müssen. Das war also nicht das Problem dieser Zweifilmkamera. Aber dieses grundlegende Problem existierte, und es war auch ganz ähnlich gelagert. Dadurch, daß beide Filmstreifen über den Umweg eines Spiegels belichtet werden, sind nämlich alle Negative spiegelverkehrt im Vergleich zu üblichen Negativen. Das würde verlangen, den Negativstreifen im Labor nicht wie üblich mit der Schichtseite Richtung Vergrößerungsobjektiv einzulegen, sondern genau andersherum. Das hätte dazu geführt, daß eine Verarbeitung der mit dieser Kamera gewonnen Negative im Großlabor stets eine Sonderbehandlung erfordert hätte. Eine individuelle Kennzeichnung wäre unumgänglich gewesen. Aufwand und Fehlerquote wären dadurch beträchtlich angestiegen. Aber diese Kamera war ja nicht nur für den Inlandsmarkt gedacht gewesen. Es begab sich nämlich zu ebenjener Zeit, daß in westlichen Ländern gerade erste Laborautomaten aufkamen, bei denen alle Negative zu einem langen Band zusammengeklebt wurden, um dann hintereinander weg durch den „Printer“ zu laufen. Damit war die Idee zu einer solchen Zweifilmkamera gestorben, noch ehe aus den Prototypen ein fertiges Produkt hätte werden können.


Aber die Zeit der großen Experimente war nun ohnehin vorbei. Die DDR-Photoindustrie geriet ab 1957 in eine langwierige und aufreibende Phase der Konzentration und des Ausmistens. Die gut etablierten „Butter- und Brotkameras“ aus Niedersedlitz waren bald das einzige hochwertige Produkt, das der vereinigte Dresdner Kamerabau noch in verlässlichen Stückzahlen auf den internationalen Märkten absetzen konnte. Um hier  weiterhin am Ball zu bleiben,   konnte man es sich nicht leisten, die Zeit mit irgendwelchen Experimenten und individuellen Prestigeprojekten zu vertrödeln. Es mußten zeitgemäße Spiegelreflexkameras mit neuen Komfortmerkmalen geschaffen werden, und diese Kameras mußten zudem rationell in großen Stückzahlen zu fertigen sein.  Und was letzteren Punkt betraf, tat sich sofort  ein neues Betätigungsfeld für  Siegfried Böhm auf. Die praktische Verwirklichung dieser rationellen Großserienfertigung am Fließband sollte  zu seiner zweiten großen Lebensleistung werden.

Kamera-Konzeptstudie von 1959

Das ist eine Konzeptstudie zu einer Spiegelreflexkamera der Kamera- und Kinowerke vom Mai 1959 [DBP Nr. 1.157.473], die in dieser Form nie produziert wurde. Der Großbetrieb war getrade formiert worden und befand sich auf technischer wie wirtschaftlicher Richtungssuche. Die Idee Horst Strehles lag darin, sämtliche Mittel zur Bedienung und Anzeige in einem Rahmen anzubringen, diese damit zu einer Einheit zusammenzufassen und staubbdicht im Kameragehäuse unterzuzbringen, sodaß keine weiteren Bauteile nach außen geführt werden mußten. Gut zu erkennen das auch schon von der Werra bekannte Bestreben, die Oberfläche der Kamera von Hebeln und Rädchen zu befreien, für glatte Formen zu sorgen und die Bedienelemente an diejenigen Orte zu verlegen, wo sie hingehören und am bequemsten zu erreichen sind. Unten sieht man den besagten Trägerrahmen, an dem alle optisch-mechanischen Bauteile angebracht sind und der sich im Ganzen aus dem Chassis entfernen läßt.

Das eigentlich Moderne an dieser Konzeptstudie ist aber meines Erachtens das oben gezeigte Chassis. Es erinnert bereits sehr an eine Bauweise, die später tatsächlich bei der Praktica L-Reihe verwirklicht wurde. Ein Kameragrundkörper, in dem sich die vorgefertigten Baugruppen auf sehr rationellem Wege  einmontieren lassen und auf diese Weise das Gehäuse nach und nach "mit Leben füllen".  Wenn mir der Vergleich zum Automobilbau gestattet ist, dann  haben wir es bei letztgenannten Kameras mit einer selbstragenden Bauweise zu tun, während man bei Kameras wie der Exakta oder der Praktisix von einer echten Rahmenkonstruktion sprechen muß, nur daß nicht  Karosserie und Fahrwerk  miteinander "verheiratet" werden, sondern eine "Hochzeit" zwischen Außengehäuse und  Kameramechanik stattfindet – um im Sprachgebrauch der Automobilbauer zu bleiben.


Zu dieser modernen Bauweise zählt auch der vordere Träger samt Objektivanschluß und Spiegelmechanik, der wie bei der L-Reihe komplett aus dem Grundkörper herausgenommen werden kann. Nur der über die kurze Bildfensterseite ablaufende Rolloverschluß mutet befremdlich an. Er erinnert eher an ein Konzept, das damals die Ihagee in ihrer Exa II... Exa 500 verwirklicht hat.

Praktica-B Balgengerät und Diakopiervorsatz

Sicherlich eine der besten Erfindungen, die der VEB Pentacon Dresden in seinen Kameras umgesetzt hat, war die elektrische Blendenwertübertragung. Es sind nämlich stets diejenigen Erfindungen die besten, die bei möglichst wenig Aufwand viel Vereinfachung und Bequemlichkeit mit sich bringen. Im Prinzip machte das, was Pentacon 1969 mit der Praktica LLC eingeführt hatte, später quasi jeder  Kamerahersteller so: Der Blendenring wurde mit einem veränderlichen Widerstand gekuppelt, sodaß  der eingestellte Blendenwert in einen korrespondierenden Spannungswert umgewandelt wurde. Der große Unterschied war aber, daß Pentacon den veränderlichen Widerstand in das Objektiv integrierte und  daher lediglich eine elektrische Verbindung  zwischen Kamera und Objektiv benötigte. Weil sich Pentacon diesen Weg umfassend patentrechlich schützen ließ, sahen sich die Konkurrenten  gezwungen, das nötige Potentiometer im Kameragehäuse unterzubringen und zwischen Objektiv und Kamera entsprechende mechanische Übertragungsmittel vorzusehen. Solche mechanischen Verbindungen sind immer problematisch, weil sie schwer im Objektiv unterzubringen sind, sie die Herstellung sehr verteuern  und außerdem einen großen Justieraufwand nach sich ziehen. Man könnte dem Thema, wie die einzelnen Firmen jeweils diese mechanische Blendenwertübertragung hinbekommen haben, einen eigenen Aufsatz widmen. Fakt ist, daß alle diese Firmen spätestens dann ein Problem bekamen, sobald zwischen Kamera und Objektiv zusätzliche Baugruppen wie Zwischenringe oder Telekonverter  eingefügt werden sollten. Ganz aus mit der Blendenwertübertragung (und damit meist auch mit der korrekten Belichtungsmessung und der Zeitautomatik) war es, sobald  ein Balgennaheinstellgerät zum Einsatz kam. Dabei ist gerade bei Verwendung von stufenlos arbeitenden Auszugsverlängerungen eine korrekt arbeitende Innenlichtmessung wichtig, weil ansonsten die komplizierten Belichtungsfaktoren schnell unbeherrschbar werden.


Um so bemerkenswerter ist angesichts dieser Faktenlage das Balgengerät der Praktica B-Reihe. Denn dieses hält nicht nur die automatische Springblende aufrecht (das boten auch andere Anbieter), sondern aufgrund deren rein elektrischen  Auslegung auch die Offenblendenmessung. Patentiert wurde dieses Balgengerät in der DDR unter der Nummer 228.369 am 22. Juni 1981. Interessant ist, daß sich die Schutzansprüche nur auf die oben im Bild sichtbare Anzeige des Balgenauszuges bezieht. Wer aber auf dem linken Bild genau hinsieht, der wird die schraffiert gezeichneten Kabel sehen, die in dieser Auszugsanzeige untergebracht sind. Es handelt sich um die drei Anschlüsse des objektivseitigen Potentiometers, dessen Einstellwerte per Kabel in das Kameragehäuse weitergegeben werden.

Die Art und Weise der Übertragung der Blendenmechanik wurde übrigens bereits am 7. November 1979 geschützt [Nr. DD146.510]. Genauer gesagt handelt es sich beim eigentlichen Gegenstand dieser Erfindung um einen sogenannten Blendenübertragungsring, der sich auch in den Zwischenringen der B-Reihe findet, und der einen sehr einfachen, zweckmäßigen Aufbau der Blendenübertragung ermöglichte,  ohne den freien Durchlaß des Lichtweges einzuengen.  Für nicht ganz uninteressant halte ich zudem das Design Patent No. 263.313, das am 20. Juni 1979 in den USA angemeldet worden ist (Zeichnung rechts).

Bleiben wir gleich bei diesem Balgengerät für die Praktica B-Reihe. Passend zu diesem wurde nämlich ein praktisches Diakopergerät geschaffen, das sehr umfänglich patengeschützt wurde. Der grundlegende Aufbau ist im DDR-Patent Nummer 215.408 vom 9. Juni 1983 beschrieben, das auch die beiden Verwendungsmöglichkeiten des Kopiervorsatzes in Kombination mit dem Balgengerät oder nur mit Zwischenringen zeigt. Wenn die Schiene am Einstellschlitten des Balgengerätes angebracht wird, dann läßt sich übrigens mit dessen Triebknopf sehr bequem die Schärfe einstellen.

Im Patent Nr. 213.309 vom 11. Januar 1983  ist der eigentliche Kopiervorsatz beschrieben und die Art, wie die dem Objektiv zugewandte Seite am Filtergewinde befestigt wird. Im Patent Nr. 215.131 vom 29. April 1983 ist dann noch die außerzentrische Klemmhülse geschützt, mit der sich  der Träger des Diapositivs in der Höhe verstellen  läßt. Die gesamte Balgen-Einrichtung ist äußerst praktisch, stabil und wertig ausgeführt. Die wesentlichen Arbeiten sowohl bezüglich des Balgengerätes als auch des Kopiervorsatzes gehen dabei auf  Siegfried Zeibig zurück.

Exakta Außenbajonett



In der Zwischenkriegszeit kamen Kameras auf den Markt, die  ganz dezidiert für Wechselobjektive eingerichtet waren. Es ging also nicht mehr darum, ein beliebiges Objektiv in Normalfassung mitsamt seines Brettchens aus der Kamera zu nehmen, sondern um genau abgestimmte Objektive in einer Spezialfassung. Ganz offensichtlich wurde diese Neuerung durch die kinematographischen Aufnahmegeräte ausgelöst, bei denen Schnellwechselbajonette schon länger üblich waren. Zeiss Ikon in Dresden stattete sogar ihre Laufboden-Plattenkamera der Spitzenklasse "Ideal" mit einem solchen Schnellwechselbajonett aus und  die neue Contax-Sucherkamera derselben Firma führte diese Technologie nun auch in das Kleinbild ein. Konsequenterweise wies auch Karl Nüchterleins Kiné-Exakta 1936 eine derartige Bajonettfassung auf, die er sich in seinem US Patent Nr. 2.136.149 vom 4. Juni 1937  hat schützen lassen. Was er wohl damals noch nicht absehen konnte: Zur Exakta wurden nach dem Kriege derart lange Brennweiten angeboten (400...500mm), daß Vignettierungen auftraten. Der neue Chefkonstrukteur der Ihagee, Willy Teubner, hatte daher die Idee, das bestehende Exakta-Bajonett mit zusätzlichen äußeren Bajonettlappen zu versehen, ohne daß es die "Abwärtskompatibilität" zum vorherigen Standard einbüßte. Nun konnten besonders langbrennweitige Objektive außen um den freien Durchlaß des Bajonettes herum angebracht werden, ohne denselben zu verengen. Seine 38mm Durchmesser genügten vollauf. Patentiert wurde diese Idee am 18. März 1953 unter der Nummer DD7554.

Exakta Bajonett Vergleich
Patent DD7554

Die Abbildung oben zeigt einen Vergleich der kameraseitigen Bajonett-Anschlußstücke mit und ohne Außenbajonett. Darunter ist eine Zeichnung aus der Schutzschrift wiedergegeben. Bleibt noch anzumerken, daß natürlich alle Exakta Kameras dieses Außenbajonett aufwiesen, aber auch die Exas, welche mit Schlitzverschluß ausgestattet waren, also die Exa II, IIa, IIb, und Exa 500. Die "normale" Exa bis zum Modell 1a hatte dieses Außenbajonett nie, da ihr einfacher Klappenverschluß bei langen Brennweiten ohnehin vignettierte.






Die Gehäuseschalen der Praktica BX20



Die Praktica B200 und ihre Schwestermodelle waren eine Verlegenheitslösung. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war der VEB Pentacon Dresden in Zugzwang geraten. Während der Zeitspanne, in der die Dresdner ihre seit 1969 recht erfolgreiche Praktica L-Reihe nur einer sporadischen Modellpflege unterzogen hatten, waren die Mitbewerber auf dem Weltmarkt weit vorausgeeilt. Nicht nur, daß Kameras wie beispielsweise die Minolta XD7 oder die Pentax ME nun eine Belichtungsvollautomatik aufzuweisen hatten, sie waren gleichzeitig auch noch kompakter und leichter geworden. Mit der B200 fand man nun zwar rasch Anschluß an diesen Trend, aber die Entwicklung dieser Praktica B-Reihe war nur unter Hinnahme weitgreifender Kompromisse möglich gewesen. Der wichtigste Kompromiß war natürlich der Import des gesamten Elektroniksystems aus japanischer Fertigung. Aber kaum minder schwerwiegend dürfte sich ausgewirkt haben, daß die Entwicklung einer Spiegelreflexkamera in Kompaktbauweise unter immensem Zeitdruck zu einer recht kompliziert aufgebauten Kamera führte. Der große Vorteil der L-Reihe, daß ein übersichtlicher Aufbau eine rasche Montage und eine gute Wartbarkeit mit sich brachte, den hatte man bei dieser Nachfolgegeneration leider weitgehend verspielt.

Praktica BX 20

Die Praktica B200 war also konstruktiv nur eine Übergangslösung. Das Wesen der Nachfolgereihe Praktica BX und die dazu angemeldeten Patente weisen meiner Anschauung nach darauf hin, daß man in Dresden wieder zu einem ähnlich übersichtlichen Grundaufbau zurückkehren wollte, wie man ihn zwei Jahrzehnte zuvor minutiös für die L-Reihe erarbeitet hatte. Wenn auch Einzelkomponenten wie der neue Zweimagnet-Metalllamellenschlitzverschluß deutlich komplexer ausfielen, als das bislang der Fall war, so fällt doch auf, daß bei der BX großer Wert auf klar voneinander abgegrenzte Einzelbaugruppen Wert gelegt wurde, die sich auch wieder deutlich einfacher in das Chassis montieren lassen sollten. Auch der Abgleich und die Wartungsfreundlichkeit waren dadurch wesentlich verbessert worden. Leider dauerte es bis 1987, bis die neue Generation eingeführt werden konnte. Und das war leider auch nur halbherzig möglich. Gerade die funktionell abgespeckte Amateurvariante Praktica BX10 hätte man dringend benötigt, um die Kameraproduktion in Dresden wieder in den Bereich der Rentabilität zu bringen. Die Einführung dieses Modells, das ganz auf die Eingabe der Filmempfindlichkeit über den DX-Code angewiesen war, scheiterte freilich daran, daß sich der VEB Filmfabrik Wolfen außerstande sah, auf die dazu notwendigen Filmpatronen aus Metall umzustellen. Auf diese Weise blieb es gerade im Bereich der Amateurmodelle, mit denen ohnehin kaum noch Gewinn zu machen war, bis zum Untergang des Kombinates bei der problematischen B-Reihe.

DD216.336

Doch das ist Geschichte. Mir bleibt nur, darauf hinzuweisen, wie frühzeitig man mit der Konzeption einer deutlich rationeller herstellbaren Spiegelreflexkamera  begonnen hatte. Eines der Schlüsselpatente dazu sehe ich in der Schutzschrift Nr. DD216.336 vom 24. Juni 1983, das trotz seines einfachen Erfindungsgegenstandes das gesamte neuartige Grundkonzept verkörpert. Herbert Welzel und Gerhard Liebscher hatten sich nämlich hiermit die Gehäuseschalen schützen lassen, mit denen die fertig montierte BX20 auf einfache Weise abgedeckt wurde. Insbesondere die Frontkappe, die sich durch die  oben gezeigte Bauweise einfach rund um das Kamerabajonett klemmen läßt. Damit brauchte es bei der BX-Reihe nur noch wenige Sekunden, um nach der Justage der mechanischen und elektrischen Abgleichstellen die Montage der Kamera abzuschließen. Die bisherige Bauweise, bei der der sogenannte Träger die Kamera nach vorne abschließt, konnte damit aufgegeben werden. An diesem Träger war sowohl der Spiegelkasten als auch das Suchersystem befestigt. Das Verschließen der Kamera nach vorn und die Montage dieser beiden Baugruppen wurden nun also prinzipiell voneinander entkoppelt. Das war sicherlich günstig für die Herstellung der Kamera – geradezu ein Segen ist dieser Aufbau aber für nachträgliche Reparatur- und Wartungsarbeiten.

Die unter das Bajonett geklemmte Frontkappe wurde nun nur noch mit insgesamt sechs Schrauben am Chassis fixiert. Es folgten anschließend Boden- und Deckkappe und schon waren alle mechanischen und elektronischen Komponenten der Kamera abgedeckt. Es mußte keinerlei Belederung mehr aufgeklebt werden. Und ganz gleich was wir heutzutage vom Aussehen der Praktica BX20 halten – ihr durch die Kappen verliehener roher Plastik-Look wurde in den 80er Jahren alles andere als billig empfunden. Ganz im Gegenteil: er galt damals geradzu als chic. Immerhin hätte man die Plastikkappen auch verchromen können, wie bei der L-Reihe, oder zumindest schwarz lackieren, wie bei der B-Reihe. Aber genau das war damals gerade außer Mode gekommen.

Praktca BX20
Praktca BX20

Abgesehen von allen technischen Gesichtspunkten hatte dieser Aufbau noch einen anderen Vorteil: Die Gehäusekappen ließen sich problemlos neu modellieren und dem Zeitgeschmack anpassen.  Hätte ich für das Bild ganz oben statt einer BX20 eine BX20s (die eigentlich eine BX21 ist) auseinandergebaut, dann hätten Sie das entblößte Innere kaum voneinader unterscheiden können können. Gehäusekappen machen eben Kameras. :)

Marco Kröger


letzte Änderung: 22. Mai 2021