Pentovar

Pentovar

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es neben dem Retrofokus-Weitwinkel ein zweites Neuland für die Photooptik: Das Vario-Objektiv. Die Pionierrolle des DDR-Photogerätebaus auf diesem Gebiet wurde dabei durch einen Objektivkonstrukteur initiiert, der heute leider völlig in Vergessenheit geraten ist.

Zeiss Jena Pentovar 2/8-32

Denn über die bedeutenden Leistungen Robert Geißlers für die Fortentwicklung der Photooptik läßt sich nur indirekt aus der Patentüberlieferung schließen. Demnach war Geißler in der Optikabteilung der Zeiss Ikon AG in Dresden tätig. Unter dem 26. August 1950 ist ein Patent für ein langschnittweites Sucherokular auf seinem Namen verzeichnet [Nr. DD1394], dessen Anmeldedatum das Patentamt jedoch bereits auf den 1. Mai 1943 datiert. Möglicherweise war dieses Okular Teil des Syntax-Projektes, wo durch Übernahme des Metallrolloverschlusses der Einbau eines Sucherprismas sehr erschwert wurde. Die weitere Patentüberlieferung deutet darauf hin, daß Geißler nach dem Kriege gewissermaßen die Position Ludwig Berteles ersetzt hat. Er entwickelte für den VEB Zeiss Ikon das Sonnar weiter [DD4228; 1951], schaffte afokale Vorsätze zur Verkürzung der Brennweite eines Einbauobjektivs [DD17.864, 1954] sowie Vorsätze, um die Brennweite von Projektionsobjektiven den Raumverhältnissen anpassen zu können [DD8763; 1952]. Absolut bemerkenswert ist zudem ein Retrofokus-Weitwinkelobjektiv 2/35 mm aus dem Jahre 1959, das leider nicht mehr verwirklicht wurde [DD29.575].

DD17864 Geißler Weitwinkelvorsatz

Ein Blick in die Pionierzeit des Zoomobjektivs

Dabei fällt auf, daß die oben genannten Patente eine Gemeinsamkeit haben: Es handelt sich um optische Vorsätze, mit denen sich die Äquivaltentbrennweite eines Grundobjektivs verändern ließ. Robert Geißler scheint dieses Gebiet fasziniert zu haben, wo sich die nachträgliche Manipulation einer Brennweite gewissermaßen als Verknüpfungspunkt zwischen Weitwinkelvorsätzen, Retrofokus-Objektiven und Zoom-Objektiven ergab. Schließlich besteht der Unterschied zwischen einer Aufnahme mit einem Objektiv von 100 mm Brennweite zu demjenigen mit lediglich 50 mm Brennweite darin, daß der Gegenstand bei ersterem doppelt so groß abgebildet wird. Dieses Ziel war aber auch auf einem alternativen Wege zu erreichen: Statt jeweils separate Objektive mit fester Brennweite vollständig gegeneinander auszutauschen, konnte man einem einzigen Objektiv ein optisches System vorsetzen, das selbst keine Bilder erzeugt, das aber den Abbildungsmaßstab dieses Objektives ändert. Und eine derartige Vorsatz-Optik war freilich bereits seit Jahrunderten bekannt: Das Fernrohr Galileo Galileis. Benutzt man es mit der Zerstreuungslinse dem Auge zugekehrt, dann wirkt es vergrößernd, in die andere Richtung gedreht jedoch verkleinernd.

Galilei-Fernrohr

Es war das Universal-Talent Hugh Iwan Gramatzki von der Berliner Astro-Gesellschaft, der sich seit den späten 1920er Jahren damit befaßte, ein Objektiv mit einer über einen größeren Bereich hinweg stufenlos einstellbaren Brennweite zu schaffen. Er fand dabei eine Anordnung, bei der eine Sammellinse zwischen zwei Zerstreuungslinsen verschoben werden konnte, und sich auf diese Weise eine in ihrer Größe stetig ändernde virtuelle Abbildung des Objektraumes erzielen ließ. Diese im Deutschen Reichspatent Nr. 650.907 vom 28. August 1934 geschützte dreilinsige Bauform wurde seinerzeit im Transfokator der Firma Astro umgesetzt [Vgl. Gramatzki: Der Transfokator, 20 Jahre Entwicklung, Konstruktion, und Bau eines optischen Systems für die Kinematografie; in: Bild & Ton, Heft 8/1949, S. 230ff.]. Diese vor das fest eingebaute Objektiv der Siemens 16-mm-Kamera gesetzte Zusatzoptik ermöglichte dabei eine Brennweitenverstellung zwischen 15 und 30 mm, ohne daß sich der Schärfepunkt verschob.

DE650907 Gramatzki Transfokator

Als erfreuliche Eigenart eines solchen teleskopischen Vorsatzes ergab sich dabei, daß trotz der bedeutenden Änderung der äquivalenten Brennweite die Lichtstärke des Gesamtsystems konstant blieb, weil sich die Entrittspupille proportional mit dem Brennweitenfaktor anpaßte [Vgl. ebenda, S. 231]. Das war wichtig für den Einsatz im Bereich der Kinéfilmaufnahmen, um die Brennweite während des Filmens beliebig verstellen zu können, ohne daß die Irisblende hätte andauernd nachgestellt werden müssen. Auf diese Weise konnten mit diesem Vorsatz Fahraufnahmen simuliert werden, ohne daß die Kamera bewegt werden mußte. Und weil diese Wirkung durch ein kontinuierliches Ändern der Brennweite erzielt wurde, ergab sich demzufolge auch die für einen Brennweitenwechsel so charakteristische Verschiebung der Größenverhältnisse zwischen Vorder-, Mittel- und Hintergrund ("Photographische Perspektive"). Der besondere Bildeindruck, der sich dabei einstellte, wurde als eine Bereicherung für die Filmkunst wahrgenommen.

Cooke Varo Lens

In den folgenden Jahren hat es nicht an Versuchen gefehlt, Vario-Objektive auch für den professionellen 35-mm-Kinofilm zu schaffen. Bekannt geworden ist die von Arthur Warmisham für Bell & Howell konstruierte Cooke Varo-Lens 3,5/40-120 mm. Dieses im US-Patent Nr. 1.947.669 vom 28. September 1931 und im britischen Patent Nr. 398.307 vom 16. Juni 1932 geschützte Vario-Objektiv war dreigliedrig ausgeführt. Das sammelnde, als Doppelgauß ausgeführte Grundobjektiv lag hier im Inneren des Gesamtsystems. Davor war eine zerstreuend wirkende Frontgruppe angeordnet und dahinter ein ebenso zerstreuend wirkendes Kittglied. Die Brennweite wurde durch die beiden veränderlichen Luftabstände verstellt. Um eine konstante Lichtstärke über den gesamten Brennweitenbereich zu gewährleisten, mußte bei diesem Aufbau allerdings die Öffnung der Blende aufwendig mit der Brennweitenverstellung nachgeführt werden, da das Objektiv nicht teleskopisch konstruiert war. Zwar bezeichnet Merté die Bildleistung angesichts der großen Brennweitenänderung als günstig [Vgl. Merté, Willy: Das photographische Objektiv seit dem Jahre 1929; in: Michel, Kurt (Hrsg.): Handbuch der wissenschaftlichen und angewandten Photographie, Ergänzungswerk, Band I, Wien, 1943, S. 93.], doch schränkte die geringe Lichtstärke von 1:3,5 die Anwendung auf sehr gute Ausleuchtungsmöglichkeiten der Szenen ein.

Cooke Varo-Lens
Normalfilm-Transfokator Astro

Aufbauend auf seinem Ansatz des teleskopisch wirkenden, afokalen Vorsatzobjektivs hatte unterdessen auch Gramatzki einen Normalfilm-Transfokator geschaffen, den er mit dem Reichspatent Nr. 622.046 vom 17. Mai 1934 schützen ließ. Um die deutlich höheren Qualitätsanforderungen des Kinofilmes zu erfüllen, baute er diesen Transfokator aus vier Linsen auf, wobei die beiden verschiebbaren Innenlinsen in ihrer mittleren Stellung eine planparallele Platte bildeten und dann dem gesamten Vorsatz vergrößernde Wirkung gaben. Die beiden Linsen in die Richtung ihrer Endstellungen verschoben, bildeten sie hingegen einen Vorsatz mit verkleinernder Wirkung. Dieser Normalfilm-Transfokator wurde vor ein Pantachar 1,8/50 mm gesetzt und ergab dann eine Brennweitenspanne von 36 bis 72 mm [Vgl. Gramatzki, Transfokator, 1949, S. 232.]. Das war lichtstark genug, um das Objektiv auch außerhalb des Studios einsetzen zu können. So fand der Normalfilm-Transfokator unter anderem zur Olympiade 1936 (also durch Riefenstahl) Verwendung [Vgl. ebenda.].

DE622046 Gramatzki Normalfilm-Transfokator

Gramatzki arbeitete noch an einem Transfokator mit dem Brennweitenbereich 1:3 (Reichspatent Nr. 676.946 vom 12. April 1936) und unmittelbar nach dem Kriege versuchte er durch Abkehr vom teleskopischen Grundprinzip den Faktor gar auf 1:4 ausdehnen. Die Anforderungen der Spielfilmindustrie an ein universell verwendbares Zoom-Objektiv erfüllte dieser Zehnlinser aber offenbar noch nicht. In seinem hier mehrfach zitierten Aufsatz vom August 1949 schließt Gramatzki mit der Feststellung, dieses Gebiet sei "noch nicht erschöpft, so daß hier noch ein interessantes Forschungs- und Arbeitsfeld für wagemutige optische Konstrukteure vorliegt."

Vom Focovar zum Pentovar

Das sollte sich als eine sehr weise Voraussage entpuppen. Denn während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wuchs die Bedeutung des Vario-Objektives enorm. Zwischenzeitlich hatte Helmut Naumann für die Firma Emil Busch in Rathenow ein Vario-Objektiv geschaffen, das nicht mehr nur als brennweitenveränderter Vorsatz für ein fest in der Kamera integriertes Objektiv ausgelegt, sondern in seiner Gesamtheit auskorrigiert war. Dieses Vario-Glaukar 2,8/25-80 mm wurde allerdings kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nur noch in ganz geringen Stückzahlen gefertigt.

Zeiss Ikon Focovar 1952

Aber auch dieses Vario-Glaukar war nur auf die vergleichsweise geringen Ansprüche des 16-mm-Filmes ausgelegt. Als stark vorwärtstreibende Kraft für die Weiterentwicklung erwies sich aber immer mehr die professionelle Kinematographie, wo sich für ein Zoomobjektiv vielversprechende Einsatzmöglichkeiten abzeichneten. Für das Kinofilmbild lagen jedoch die optischen Klippen deutlich höher als im nur mäßig auflösenden Schmalfilm. Denn die Forderung nach höheren Zoom-Faktoren ließ angesichts des Bedeutungsgewinns der Farbfilme weder Zugeständnisse an die Lichtstärken zu, noch an die Behebung der Bildfehler. Um so bemerkenswerter ist der mit dem Pentovar 2/30-120 mm bisher kaum bekannte Beitrag des VEB Zeiss Ikon an der Entwicklung von variofokalen Objektiven für das 35-mm-Spielfilmformat. Und die zentrale Figur dabei war Robert Geißler.

FR1080099 - Geißler Focovar Vorsatz

Trotz der Durchbildung des Pentovars als Gesamtobjektiv wurden für den variofokalen Vorsatz und das Grundobjektiv zwei getrennte Patente angemeldet, um auf diese Weise die diesbezüglichen Konstruktionseinfälle aufteilen zu können. Der afokale Vorsatz mit seinem zwischen 0,5 und 2 veränderlichen Vergrößerungsfaktor wurde im französischen Patent Nr. 1.088.099 mit dem Anmeldedatum 19. Mai 1953 geschützt. Er war dazu gedacht, vor ein Grundobjektiv 1:2,0/60 mm gesetzt zu werden, um den Brennweitenbereich 30 bis 120 mm abzudecken. Er bestand aus einer insgesamt dreilinsigen, sammelnd wirkenden Frongruppe (1), die zum Zwecke der Entfernungseinstellung in einem Schneckengang gefaßt war. Dahinter war das erste verschiebbare negative Element (2) angeordnet gefolgt von einer zweiten negativ wirkenden Gruppe (3), die zusammen die Brennweitenverstellung bewirkten. Dazu wurde der sich zwischen ihnen befindliche Luftraum (4) verändert. Den Abschluß des Vorsatzes bildete eine sammelnd wirkende Kittgruppe (5), die fest im Objektiv gelagert war. Dahinter folgte die Irisblende (6), das Grundobjektiv (7) und die Bildebene (8). Am 11. September 1953 war dieser Vorsatz auch Teil eines bundesdeutschen Gebrauchsmusters mit der Nummer 1.715.052, bei dem aber nur die Idee beansprucht wurde, ihn alternativ auch vor ein Grundobjektiv von 30 mm Brennweite zu setzen, um ihn zusätzlich für den 16-mm-Schmalfilm mit einem Brennweitenbereich von 15 bis 60 mm zu verwenden. Der große freie Durchlaß des Vorsatzes von 3 cm Durchmesseres gestatte dann sogar eine Lichtstärke von 1:1,5.

DE1715053 Geißler Pentovar Grundobjektiv

Im Bundesdeutschen Gebrauchsmuster Nr. 1.715.053 vom 16. September 1953 ließ sich Geißler dann ein Grundobjektiv des Pentovar schützen, das unverkennbar vom Sonnartyp abgeleitet war. Mit diesem Typus hatte er sich in Fortführung der Zeiss-Ikon-Tradition zuvor intensiv beschäftigt. Der Bezug zum Vario-Objektiv lag aber darin, daß er dieses Grundobjektiv ganz speziell auf die vom Vorsatz hinterlassenen Restfehler anpaßte. Denn der variofokale Vorsatz ließ sich zwar in Hinblick auf sphärische Aberration, Astigmatismus, Koma und Farblängsfehler korrigieren, doch es blieben beträchtliche Reste des Farbquerfehlers. Dieser führte zu Farbsäumen, die es unmöglich machten, den afokalen Vorsatz einfach mit jedem beliebigen Kinoaufnahme-Objektiv des Marktes zu kombinieren so wie es bislang beispielsweise beim Transfokator üblich gewesen war. Um diese chromatischen Fehler insbesondere auch im Hinblick auf den zunehmenden Einsatz des Farbfilmes im Kino auszuschalten, steuerte Geißler die chromatische Queraberration seines Grundobjektives so, daß es die vom Vorsatz erzeugten Restfehler durch entgegengesetzte Fehlerbeträge kompensierte.

Zeiss Ikon Pentovar 2/30-120 mm

Mit dieser Verteilung der Fehlerbehebung auf den afokalen Vorsatz und das Grundobjektiv hatte Geißler in den Jahren 1952/53 ein in seiner Gesamtheit durchgebildetes Vario-Objektiv geschaffen, das den von Gramatzki einige Jahre zuvor postulierten Zoombereich von 1:4 mit einer hohen durchgängigen Lichtstärke verband. Das führte freilich zu einer Baugröße, die erst aus der obigen Abbildung deutlich wird, wo das Ungetüm an einer Debrie Parvo L angebracht ist [aus: Bild & Ton, Heft 9/1952, S.266.]. In dieser Bauform hieß das Objektiv noch Focovar 2/30-120 mm [Vgl. Sbrzesny, Peter: Aufnahmen mit dem Pentovar in der Filmpraxis; in: Bild & Ton, Heft 7/1956, S. 180]. Vom späteren Pentovar 2/30-120 mm unterschied es sich darin, daß sich beim Focovar proportional zur Verstellbewegung die Brennweite änderte, während beim Pentovar auf eine gleichmäßige Veränderung des Bildwinkels umgestellt wurde. Dieses quasi noch im Prototyp-Status befindliche Focovar, das auf der Herbstmesse 1952 gezeigt worden war, kam erstmalig in dem DEFA-Film "Die Geschichte vom Kleinen Muck" zum Einsatz [Vgl. ebenda]. Bei den Szenen im Katzenhaus ist der Fahr-Effekt eindeutig erkennbar.

Zeiss Ikon Pentovar 2/30-120 mm
Zeiss Ikon Pentovar 2/30-120 mm

Auf der obigen Abbildung des Pentovar ist deutlich der Ersatz der Brennweitenverstellung per Kurbel durch eine Hebelübertragung erkennbar. Ferner ist anzunehmen, daß zwischen Focovar und Pentovar auch die optische Ausgestaltung  weiterentwickelt wurde. Denn es fällt auf, daß für das Pentovar erst am 6. Oktober 1956 – also mehr als drei Jahre nach der Patentanmeldung in Frankreich und den Gebrauchsmustern in der Bundesrepublik – eine Patentanmeldung erfolgte, die Vorsatz und Grundobjektiv als Einheit schützte. In der DDR hatte das Patent die Nummer 18.265; in der Bundesrepublik 1.097.711. Beide Texte weichen deutlich voneinander ab – insbesondere in der Formulierung der Schutzansprüche. Das lag aber daran, daß man sich in der Bundesrepublik ja nicht noch einmal patentieren lassen konnte, wofür man bereits ein Gebrauchsmuster erhalten hatte. Der eigentliche Erfindungsgegenstand ist jedoch in beiden Patenten identisch. Außerdem wird hier erstmals namentlich bekannt gemacht, daß Robert Geißler der Erfinder gewesen ist.

DD18.265 Robert Geißler Pentovar

Diese beiden Patente vom 6. Oktober 1956 lassen zumindest eine Weiterentwicklung des Grundobjektives erkennen. Genau genommen werden gleich zwei verschiedene Bauformen angegeben. Die erste der beiden könnte man noch als Abkömmling des Sonnar-Typus deuten. Dessen Schnittweite betrug allerdings nur 38 Prozent der Brennweite. Bei der oben gezeigten Filmkamera Debrie Parvo L war das unproblematisch, weil diese keinen Reflexsucher hatte, sondern der Kameramann von hinten auf das Filmbild schaute, das hier gewissermaßen als Mattscheibe fungierte. Sichtlich vom Biotar-Typus abgeleitet ist dagegen das zweite Grundobjektiv, dessen Schnittweite 57 Prozent der Brennweite betrug, was mehr als 34 mm freien Luftabstand hinter dem Objektiv bedeutete. Damit war das Pentovar sicherlich mit echten Spiegelreflexkameras (z.B. von Arri) kompatibel gemacht worden. 

DD18265 Geißler Pentovar Grundobjektive

Pentovar 16

Es fällt auf, daß diese beiden oben genannten Patente in jener Zeit angemeldet wurden, als in Dresden das Pentovar 16 2,8/15-60 mm konstruiert wurde, das für die 16-mm-Spiegelreflexkamera AK16 bzw. die spätere Pentaflex 16 gedacht war. Auch dieses Zoomobjektiv wurde nicht durch den VEB Zeiss Jena, sondern in Dresden durch den VEB Zeiss Ikon und seine Nachfolgebetriebe hergestellt. Da die AK 16 als echte Einäugige Spiegelreflexkamera konstruiert war, mußte hier ebenfalls ein großes Augenmerk auf eine ausreichend lange Schnittweite gelegt werden, damit zwischen Rücklinse und Filmebene genügend Freiraum für den Rotationsspiegel übrig blieb.

Zeiss Ikon Pentovar 2,8/15-60 mm

Am Linsenschnitt unten ist gut zu erkennen, wie durch die Reduktion der Lichtstärke beim Pentovar 16 auf den Wert 1:2,8 der Aufbau des Grundobjektives beträchtlich vereinfacht werden konnte. Statt einer Sonnar- oder Biotar-Konstruktion genügte nun eine viergliedrige Triplet-Abwandlung. Diese konnte zudem gedrängt genug aufgebaut werden, um eine ausreichend lange Schnittweite zu gewährleisten.

Pentovar 16 Linsenschnitt

Eigentlich hatte Robert Geißler in Zusammenarbeit mit Egon Kaiser einen Nachfolger für das Pentovar 16 entwickelt, das weit über das Niveau des bisher Erreichten hinausgehen und einen deutlichen Abstand zu den Mitbewerbern vor allem in der Bundesrepublik schaffen sollte. Mit dem DDR-Patent Nr. 26.978 vom 18. April 1959 bzw. dem Bundespatent Nr. 1.109.397 vom 20. April 1959 war die Grundlage für ein Pentovar 2/12,5-100 mm geschaffen worden, das also für den 16-mm-Schmalfilm den Brennweitenbereich auf 8-fach ausdehnen sollte. Dabei wäre nicht nur eine deutlich längere Endbrennweite erzielt worden, sondern mit 12,5 mm Anfangsbrennweite wäre man auch an die Grenze zum echten Weitwinkel vorgestoßen.


Doch dazu kam es nicht mehr. Neben Aufwands- oder Kostengründen könnte auch eine Rolle gespielt haben, daß Robert Geißler bald nach 1960 verstorben sein muß. Denn als dieses DDR-Patent knapp fünf Jahre später am 15. Februar 1964 erteilt wurde, ist Robert Geißler als verstorbener Erfinder ausgewiesen und als Inhaber werden unter anderen eine Johanna Geißler, geborene Herrmann angegeben – vermutlich seine Witwe.

Pentovar 16 Kombi

Wie die Umstände im einzelnen auch gewesen sind – auf jeden Fall wurde das bisherige Pentovar 16 im Jahre 1960 als Pentovar 16-Kombi neu herausgebracht. Dabei besann man sich im Grunde genommen auf die bereits im Jahre 1953 in den Patenten und Gebrauchsmustern angegebene Möglichkeit, den variofokalen Vorsatz mit Grundobjektiven unterschiedlicher Brennweite zu kombinieren. Allerdings wurde dies beim Pentovar 16-Kombi nicht getan, um das Objektiv an verschiedene Aufnahmeformate anzupassen, sondern um den vierfachen Zoomfaktor in zwei getrennten Brennweitenbereichen wirksam werden zu lassen. Dazu wurden zwei verschiedene Grundobjektive geliefert, die gegeneinander austauschbar waren. Mit dem kleineren von beiden wurde der bisherige Brennweitenbereich von 15 bis 60 mm überstrichen, mit dem größeren Grundobjektiv ein solcher von 30 bis 120 mm. Im letzteren Falle betrug die Lichtstärke allerdings nur noch 1:5,6. Doch mit dieser einfachen Maßnahme gelang es, am Ende doch noch einen 8-fachen Brennweitenbereich abzudecken – wenn auch nicht stufenlos.

Pentovar 16-KOMBI

Wie in der Abbildung unten zu sehen, war das Grundobjektiv für das Pentovar 5,6/30-120 mm ebenfalls von viergliedriger Bauart. Der Unterschied lag nur darin, daß die zerstreuend wirkende Linse Nummer zwei in ein Kittglied aufgelöst wurde. Die beiden Grundobjektive wurden durch einfaches Einschrauben in den Objektivkörper befestigt, wobei das größere Grundobjektiv das Klemmbajonett des Vorsatzes ersetzte.

Pentovar 16 Kombi
Pentovar 16 Werbung

Pentovar 8

Nachweislich seit Frühjahr 1956 wurde im VEB Zeiss Ikon an einer Doppelacht-Schmalfilmkamera gearbeitet, die alles Bisherige in den Schatten stellen sollte. Neben Wendekassetten und einer Belichtungshalbautomatik waren ein echter Spiegelreflexsucher mit Rotationsspiegel sowie in ihrer Gesamtheit wechselbare Objektive vorgesehen. Diese Pentaflex 8 sollte ursprünglich mit einem Objektivrevolver versehen werden. Doch dieses Ansinnen gab man letztlich zugunsten eines deutlich einfacher handhabbaren Einzelobjektivanschlusses auf. Zum Ausgleich sollte die Pentaflex 8 serienmäßig mit einem Zoomobjektiv ausgestattet werden.

Zeiss Jena Pentovar 2/8-32 mm

Das Pentovar 2/8-32 mm wurde auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1961 herausgebracht – und damit ein Jahr nach der Kamera, für das es gedacht war [Vgl. Fotografie 3/1961, S. 182.]. Der Endverbraucherpreis war auf 485,- Mark festgelegt [Vgl ebenda.]. An diesem 8-mm-Pentovar fallen sofort zwei Merkmale auf. Erstens ist als Hersteller nun nicht mehr der VEB Zeiss Ikon bzw. der Nachfolgebetrieb VEB Kinowerke, sondern es wird explizit der VEB Carl Zeiss Jena auf der Fassung genannt. Das Objektiv wurde auch wirklich in Jena bzw. Saalfeld gefertigt und ist somit in den Karteikarten der Jenaer Fertigungsunterlagen enthalten. Deshalb kann man hier mit großer Sicherheit die Angabe machen, daß vom Pentovar 8 zwischen Oktober 1960 und Juni 1964 etwas mehr als 7000 Stück fabriziert wurden.

Pentovar 2/8-32 mm

Zweitens läßt sich aus dem oben angegebene Linsenschnitt ableiten, daß beim Pentovar 2/8-32 mm aufgrund der höheren Lichtstärke wieder ein deutlich aufwendigeres Grundobjektiv zum Einsatz kam. Deutlich ist hier ein Doppel-Gauß erkennbar, der allerdings in allen seiner vier Gliedern Erweiterungen in Form von Kittgruppen aufweist. Bei einem Bildwinkelbereich von 41° bis 11° mußte eine Schnittweite von 9,61 mm eingehalten werden.

Pentaflex 8 Pentovar

Bemerkenswert an dieser gesamten Reihe von Vario-Objektiven für Filmkameras ist, daß der von Robert Geißler ursprünglich für das Pentovar 35 entwickelte afokale Vorsatz auch beim Pentovar 16 und beim Pentovar 8 stets den gleichen Aufbau behalten hat. Da Geißler mit seiner Arbeit anfing noch bevor in der DDR Objektivberechnungen unter Zuhilfenahme von Computern erfolgen konnten, muß seine Leistung um so mehr gewürdigt werden.

Dilemma Vario-Objektiv

Nach Geißlers Tod geriet der Zoomobjektivbau in der DDR allerdings in eine tiefe Stagnation. Aus einem Mitte der 1960er Jahre bei Zeiss Jena entwickelten Pentovar bzw. Varionar mit dem Brennweitenbereich 35 bis 100 mm und einer durchgängigen Lichtstärke von 1:2,8 [DD48.057 vom 18. Mai 1965] wurde kein fertiges Produkt. Auch ein offenbar darauf basierendes Zoom 2,8/25-75 mm für eine geplante Spiegelreflexkamera im Penti-Format verschwand mitsamt dem Kameraprojekt im Jahre 1966 für immer in der Schublade. Erst Anfang der 80er Jahre wurde von Zeiss Jena ein Vario-Tevidon 2/18-90 mm entwickelt und anschließend auch gefertigt. Abgelöst wurde es sogar noch von einem in geringen Stückzahlen gebauten Vario-Tevidon 2/15-150 mm. Diese Zoomobjektive waren freilich speziell auf die 1-Zoll-Röhren des industriellen Fernsehens ausgelegt und gelangten daher auch nicht in den freien Handel.


Zum großen Ärgernis geriet daher die über ein Jahrzehnt hinweg verschleppte Entwicklung von Zoomobjektiven für Praktica-Spiegelreflexkameras. Erst zwei Jahre vor dem Mauerfall gelangten endlich ein von Zeiss Jena schon längere Zeit zuvor entwickeltes Standardzoom Vario-Pancolar 2,7-3,5/35-70 mm sowie ein Telezoom Vario-Sonnar 4/80-200 mm in die Geschäfte – allerdings in derart lächerlich geringen Stückzahlen, daß an ein Mithalten mit dem immensen Boom, den Zoomobjektive auf den internationalen Märkten erlebten, nicht zu denken war. Ein gezielt auf große Herstellungsziffern ausgelegtes, vom Vario-Pancolar abgeleitetes Pentacon 3,5-4,8/35-70 mm wurde hingegen erst fertig, als die Zeit für die Mitteldeutsche Photoindustrie bereits abgelaufen war. Ein Zoom mit diesen bescheidenen Daten wurde Anfang der 90er Jahre bereits in Katalogen und Kaufhäusern verramscht.


Wenn man einen Vergleich bemühen will, könnte man als Fazit formulieren: In der DDR wurde ab den 70er Jahren die Notwendigkeit von Zoomobjektiven für den Amateurbedarf genau so unterschätzt und als zu aufwendig vertagt, wie das beim Viertaktmotor für die Automobilindustrie der Fall war. In auffälliger Weise decken sich die Muster, wie durchaus vorhandene Entwicklungen so lange verzögert oder zurückgehalten wurden, bis man letztlich den Anschluß hoffnungslos verloren und die Exportmärkte eingebüßt hatte.

Marco Kröger


letzte Änderung: 24. Januar 2023