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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Flektogon 4/25
Mit diesem Retrofokusobjektiv für Kleinbild-Reflexkameras gelang in der DDR der späten 1950er Jahre erstmals die Überschreitung der 80-Grad-Bildwinkelgrenze
Bis dahin war es allerdings ein langer Weg, was man daran ablesen kann, daß das fertige Produkt erst auf der Frühjahrsmesse 1960 erscheinen konnte. Dabei ist dieses Weitwinkelobjektiv zweifellos ein zentraler Vertreter jener Generation der „OPREMA-Objektive“. Die Arbeiten zum Flektogon 4/25 lassen sich nämlich bis auf das Jahr 1955 zurückverfolgen, als diese Großrechenanlage gerade erst einsatzfähig geworden war. Ohne die immensen Vorteile dieser neuartigen Binär-Rechentechnik wäre die Konstruktion eines Objektives mit so vielen Flächen, einem so großen Bildwinkel und einem vom bisher Üblichen derart abweichenden Aufbau schlichtweg unvorstellbar gewesen. Als kreativer Kopf hinter diesem Objektiv muß daher Wolf Dannberg (1918 - 1984) ganz besonders hervorgehoben werden.
Das neue Flektogon ein bloßes Nebenprodukt?
Bei der Recherche ließ sich zunächst die Schutzschrift Nummer DD17.177 vom 22. Dezember 1956 als zentrales Patent für das spätere Flektogon 4/25 mm ausmachen. Deren Linsenlage 2 stimmt nämlich schon ziemlich gut mit dem später praktisch ausgeführten Objektiv überein. Das ganze Know-How lag natürlich im vorderen Systemteil, in dem die für ein Retrofokusobjektiv notwendigen großen negativen Brechkräfte untergebracht werden mußten. Er ist daher aus zwei zerstreuend wirkenden Menisken aufgebaut, die eine Sammellinse einschließen. Mit dieser Anordnung hat es Dannberg erreicht, die stark tonnenförmige Verzeichnung eines solchen Retrofokusobjektivs in den Griff zu bekommen, denn der Betrag der Distorsion läßt sich über die Durchbiegung der eingeschlossenen Sammellinse steuern. Auch ist laut Patentschrift der vordere Systemteil wesentlich für die Korrektur des Astigmatismus und der Bildfeldwölbung verantwortlich, sodaß für den hinteren Systemteil ein vergleichsweise einfacher, dreigliedriger Aufbau genüge. Damit wird aber auch klar, weshalb dieses Objektiv mit 82 Grad Bildwinkel erst mithilfe der neuen Rechentechnik verwirklicht werden konnte, denn die Optimierung des Vordergliedes zur gleichzeitigen Beseitigung dieser drei oben genannten Bildfehler dürfte sehr viel an Rechenaufwand bedurft haben.
Bemerkenswert ist nun aber, daß vom selben Konstrukteur bereits aus dem Jahr 1955 eine Patentanmeldung vorliegt, die als Grundlage für das spätere Flektogon 25 mm angesehen werden kann [DDR-Patent Nr. 23.457 vom 22. Juni 1955]. Auch hier ging es nämlich bereits um stark bildaufweitende Komponenten großen Durchmessers, deren Formgebungen stark an das spätere Flektogon erinnern. Aus diesem Patent läßt sich nun schlußfolgern, daß das Flektogon 4/25 aus Arbeiten Dannbergs an afokalen Weitwinkelvorsätzen hervorgegangen ist.
Solche Vorsätze werden benutzt, um die Brennweite bestehender photographischer Objektive verkürzen zu können. Da in solchen Spezialfällen der Ort der Blende im Grundobjektiv feststeht, muß der Vorsatz gezielt auf die Behebung der Verzeichnung hin korrigiert sein, da diese ansonsten unerträgliche tonnenförmige Ausmaße annehmen würde. Aus dieser Schutzschrift kann man zwischen den Zeilen herauslesen, daß es ursprünglich um vorsetzbare Amorphoten für das Breitwandkino ging. Diese haben die spezielle Eigenschaft, daß sich ihre brennweitenverkürzende, bildwinkelvergrößernde Wirkung nur in einer Richtung – nämlich der horizontalen – erstreckt, um das Bild auf dem Negativ entsprechend zu stauchen. Dazu werden statt der üblichen sphärischen spezielle zylindrisch geschliffene Linsen eingesetzt. Mit der Linsenlage Nr. 3 dieser Patentschrift ist aber bereits angedeutet, wie auf dieser Idee basierend ein komplettes Weitwinkelobjektiv mit langer Schnittweite gebildet werden könne.
Links die Schnittzeichnung des ersten Gesamtobjektivs aus dem Patent von 1955, rechts diejenige aus dem Patent von 1956. Im Vergleich zu dem tatsächlichen Aufbau des fertigen Objektivs, wie er weiter oben dargestellt ist, zeigt sich, daß die Formgebung der Frontgruppe (und damit die Idee zur Fehlerkorrektur an sich) bereits seit 1955 festlag. Der Konstruktionsansatz dieser Frontgruppe als brennweitenverkürzender Vorsatz vor einem Grundobjektiv längerer Brennweite kennzeichnet das Flektogon 4/25 zudem als Pionier unter den Retrofokus-Weitwinkeln des "zweiten Typs"
Ein neuartiges Konstruktionsprinzip wird betreten
Für Kenner ist der Begriff "brennweitenloser Weitwinkelvorsatz" natürlich in ein zentrales Stichwort. Es gibt nämlich verschiedene Weisen, ein Retrofokus-Weitwinkelobjektiv zu bauen. Beim Flektogon 2,8/35 mm hatten Zöllner und Solisch im Jahre 1949 noch dem kurzbrennweitigen Biometar 2,8/35 mm eine große Zerstreuungslinse vorgesetzt, um das Gesamtsystem von der Bildebene wegrücken zu können und damit dem Klappspiegel den nötigen Bewegungsfreiraum zu lassen. Dazu mußte die besagte Zerstreuungslinse im vorderen Brennpunkt des Grundobjektivs placiert werden. Ein zweiter prinzipieller Lösungsweg für diese Problemstellung basiert nun darauf, ein Grundobjektiv mit einer von vornherein ausreichend langen Brennweite zu verwenden, diesem aber ein verkleinernd wirkendes optisches System vorzusetzen, sodaß nur die für die Abbildung ausschlaggebende sogenannte Äquivalentbrennweite des Gesamtsystems verkürzt und der Bildwinkel entsprechend aufgeweitet wird, die lange Schnittweite des Grundobjektivs aber erhalten bleibt. Unter Schnittweite versteht man den freien Luftraum zwischen der hintersten Linse und der Bildebene. Bei einer Einäugigen Kleinbild-Spiegelreflexkamera, wie der Exakta Varex, ist nun ein Raum im Ausmaß einer Bildbreite – also wenigstens 36 mm – freizuhalten, damit sich der Spiegel bewegen kann.
Mit dem Flektogon 4/25 mm wurden Ende der 50er Jahre nicht nur in Hinblick auf die Bewältigung optischer Klippen ganz erstaunliche Fortschritte erzielt, sondern auch was die Perfektionierung der Objektivfassung betraf. Vollautomatische Springblendensysteme für die Praktina und die Exakta (oben) bedeuteten eine große Arbeitserleichterung für den Anwender. Gut zu sehen ist aber auch, wie die stark unterschiedlichen Linsendurchmesser nach einer komplizierten Bauform der Linsenhalterung verlangen. Einfache "Stopffassungen" ließen sich hier nicht mehr anwenden.
Dannbergs Patentschrift "Afokales Weitwinkel-Vorsatzsystem" von 1955 gibt uns nun gerade zu diesem Gesichtspunkt einige wertvolle Hinweise. Denn nach der in Tafel II angegebenen Variante mit 80 Grad Bildwinkel betrug der Verkürzungsfaktor des Vorsatzes 0,64. Ins Verhältnis gesetzt zur resultierenden Äquivalentbrennweite des gesamten Flektogons von 25 mm liefe dies also auf eine Brennweite des Grundobjektivs von 39 mm hinaus. Und genau dieser Kunstgriff machte es überhaupt erst möglich, ein solches stark weitwinkliges Objektiv an einer Spiegelreflexkamera einzusetzen. Das Flektogon 4/25 hat also die Pionierrolle für derartig aufgebaute Weitwinkelobjektive in der DDR inne.
Bedenkt man, daß der letztendliche Konstruktionsabschluß für das Flektogon 4/25 mm auf den 22. April 1958 datiert ist, dann bedeutet das also nicht weniger als drei Jahre Entwicklungsarbeit. Da zwar mit der OPREMA eine automatische Strahlenberechnechnung durchgeführt, aber noch lange nicht automatisch optimiert werden konnte, war hier das Geschick und das Urteilsvermögen des Konstrukteurs gefragt. Die Serienproduktion des Flektogon wurde sogar erst im September 1959 aufgenommen, nachdem die neue Mechanik für die vollautomatische Springblende zur Verfügung stand. Erstmals gezeigt wurde das fertige Objektiv dann auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1960. Es war die letzte Neuerscheinung für die Praktina IIA, deren Produktion zwei Monate später eingestellt wurde. Versionen in Exakta Fassung und M42 folgten rasch. Trotz einer nur knapp achtjährigen Bauzeit von September 1959 bis August 1967 wurden von diesem Flektogon immerhin 19.380 Stück gebaut. Als wirklich selten kann man es also nicht bezeichnen.
Im Sommer 1967 wurden die letzten Flektogone 4/25 mm montiert. Das obige Exemplar in einer zeitgenössischen Zebrafassung für die Exakta Varex ist eines der letzten hundert Stück dieses Objektives. Danach wurde die Produktion eingestellt. Das Flektogon 4/25 war trotz der kurzen Zeit, die es erst am Markt war, nicht mehr zeitgemäß. In den vergangenen sieben Jahren hatte sich in diesem Bereich nämlich viel getan. Im selbigen Jahre 1967 brachte die japanische Firma Nippon Kogaku beispielsweise ein lichtstarkes Superweitwinkel "Nikkor 2,8/24 mm" heraus, das erstmals serienmäßig mit einem bildmaßstabsabhängigen Bildfehlerausgleich versehen war und trotzdem kaum größer ausfiel, als ein Normalobjektiv.
Was sowohl Baugröße als auch Lichtstärke betraf, war das Flektogon 4/25 nun also völlig überholt. Trotzdem begeistert immernoch die erstaunlich gute Bildleistung dieses frühen Superweitwinkels. Im Park des Schlosses Königs Wusterhausen (unten) mußte aufgrund des dichten Laubwerkes mit voll aufgeblendetem Objektiv photographiert werden. Von den äußersten Bildecken abgesehen ist die Leistung des Flektogons ganz ausgezeichnet!
Neue Objektivbauweise - neue optische Erscheinungen
Der völlig neuartige Aufbau von Retrofokuskonstruktionen mit ihren bis ins Groteske getriebenen Asymmetrien brachte also auch bis dahin nicht gekannte Schwierigkeiten in Bezug auf das Auskorrigieren der Bildfehler mit sich. Ohne automatische Rechentechnik wäre dies wie gesagt nicht in Angriff zu nehmen gewesen. Es lohnt sich also einmal einen Vergleich zwischen dem Flektogon 4/25 mit einem von Lichtstärke und Bildwinkel her datengleichen Topogon 4/25 mm zu ziehen, um den enormen Fortschritt der rechnenden Optik während der 1950er Jahre zu veranschaulichen.
Das vierlinsige Topogon war eine Erfindung Robert Richters aus dem Jahre 1933 [D.R.P. Nr. 636.167] und wurde zunächst in der Ausführung 6,3/100 mm für Luftbildaufnahmen im Format 18x18 cm eingesetzt [Vgl. Merté, Photographisches Objektiv; in: Handbuch der Photographie, Ergänzungsband, 1943, S. 81ff]. Es folgte unter anderem eine Version für die Contax Meßsucherkamera – erst mit den Daten 4,5/25 mm, das nach dem Kriege (?) zum Topogon 4/25 verbessert wurde. Es handelt sich um eine spezielle Variation des Doppelanastigmaten mit einem quasi- (aber nicht streng-) symmetrischen Aufbau. Das bedeutet, die hintere Hauptebene (von dem ab die Brennweite bemessen wird) liegt beim Topogon in Blendennähe zwischen den beiden Hälften des Objektivs. Daher ist bei einer solchen Konstruktionsweise eines Weitwinkelobjektivs der freie Luftabstand bis zur Bildebene noch kürzer als die 25 mm der Brennweite.
Beim Flektogon jedoch war diese hintere Hauptebene weit außerhalb des eigentlichen Objektivs verschoben. Um diesen Betrag konnte das gesamte Objektiv von der Bildebene weggerückt werden. Damit blieb nun ausreichend Freiraum für die Spiegelbewegung. Als Nachteil ergaben sich natürlich die viel größere Baulänge der gesamten Optik, die erheblich größeren Linsendurchmesser im vorderen Objektivteil und die starken Asymmetrien, die (wie sich später zeigte) zu einem starken Anwachsen der Abbildungsfehler führten, wenn man auf nahe Entfernungen einstellte.
Dieser stark asymmetrische Aufbau der Retrofokusobjektive brachte als Nebeneffekt aber auch einige sehr wertvolle Vorteile mit sich, die Probleme mit bisherigen Superweitwinkelobjektiven überwinden halfen. Allem voran war dies die deutlich verbesserte Lichtverteilung in der Bildebene. Es sind oben für beide Objektivtypen jeweils die Strahlenbüschel in Achsennähe eingezeichnet, sowie für den Bildrand. Beim Topogon erkennt man, daß für stark seitlich eintretendes Licht der Querschnitt der Strahlenbündel sehr schmal wird. Das ist eine Folge daraus, daß sich für seitlich eintretendes Licht die kreisrunde Öffnung der Pupille zu einem schmalen sogenannten Kreiszweieck verengt (s.u.). Entsprechend stark fällt die Unterbelichtung am Bildrand aus. Allgemein gilt, daß der natürliche Lichtabfall mit der vierten Potenz des Kosinus des halben Bildwinkels anwächst. Objektiven mit 25 mm Brennweite wird im Kleinbildformat ein objektseitiger Bildwinkel von 82 Grad abverlangt, wodurch allein diese natürliche Vignettierung einen Lichtverlust in den Bildecken von ziemlich genau zwei Dritteln nach sich zieht!
Bei Retrofokusobjektiven findet nun freilich durch die Aufweitung des Strahlenganges eine künstliche Vergrößerung der Eintrittspupille bei seitlichem Lichteinfall statt, wodurch der sehr starken natürlichen Vignettierung von Superweitwinkelobjektiven positiv entgegengewirkt werden kann. Diesen Effekt kann man sehen, wenn man von vorn schräg durch ein solches Objektiv schaut, während man selbiges vor eine helle Fläche hält. Beim Vergleich zwischen den Entrittspupillen des Flektogons 4/25 mit dem Topogon 4/25 ergeben sich dabei folgende Öffnungsfiguren [nach Dannberg/Fincke: Neue Zeiss-Foto-Objektive aus Jena; in: Die Fotografie, Heft 3/1960, S. 83.].
Die starke natürliche Vignettierung, mit denen Objektive mit großen Bildwinkeln üblicherweise behaftet sind, kann durch die bildwinkelabhängige Pupillenvergrößerung der Retrofokuskonstruktion sogar so weit zurückgedrängt werden, daß diese Vignettierung ab einer bestimmten Abblendung quasi nicht mehr vorhanden ist. Der rote Kreis in der unten gezeigten Abbildung soll eine solche mittlere Abblendung symbolisieren. Während beim Topogon in den Randzonen trotz Abblendung immer noch ein drastischer Beschnitt der Fläche der Eintrittspupille zu verzeichnen ist, der in der Praxis einen starken Lichtabfall nach sich zieht, ist beim Flektogon der Flächeninhalt der Eintrittspupille bei dieser Abblendung auch am Rande so groß, wie bei Lichteinfall längs der optischen Achse. In der Praxis macht sich dann nur noch eine gewisse künstliche Vignettierung durch den recht langgestreckten Bau dieser Retrofokustypen bemerkbar. Ein auf 1:8 abgeblendetes Flektogon 4/25 weist dadurch eine restliche Abschattung in den Bildecken auf, die kleiner wird als der Belichtungsspielraum des Filmmateriales. Man muß allerdings dazu sagen, daß gerade diese bildwinkelabhängige Pupillenvergrößerung den Optikkonstrukteuren große Schwierigkeiten bereitet hat, weil mit ihr freilich auch ein massives Anwachsen der Bildfehler am Bildrand einherging, das mit viel Aufwand unter Kontrolle gebracht werden mußte. Bei höher geöffneten Retrofokus-Weitwinkeln hat man daher später einen sogenannten automatischen Korrektionsaugleich ("floating elements") eingeführt.
Ein zweiter positiver Effekt von Retrofokusweitwinkeln ist ebenso aus den obigen Strahlenverläufen ersichtlich: Durch die lange Schnittweite fallen die Randstrahlen in einem wesentlich flacheren Winkel auf die Bildebene ein als beim Topogon. In der herkömmlichen, photochemischen Photographie fällt dieser Effekt wenig ins Gewicht. Dem Film ist es – einfach gesprochen – egal, wie steil das Licht einfällt. Ganz anders sieht dies jedoch bei Lichtempfängern aus, die in der Digitalpotographie Verwendung finden. Je nach Aufbau des Sensors kann es hier ganz erhebliche Winkelabhängigkeiten geben. Galt früher, daß "normal gebaute" Weitwinkel (für die Meßsucherkamera) immer ein wenig bessere Resultate brachten, als Retrofokus-Typen, so verkehrt sich diese Sicht heute oft ins Gegenteil. Deren deutlich geradlinigerer Lichteinfall und die geringere Vignettierung sind hier besonders vorteilhaft, während Weitwinkel für Meßsucherkameras nicht selten enttäuschen.
Letzteres liegt übrigens auch daran, daß vor jedem Bildsensor zumindest eine Abdeckplatte angebracht ist und meist zusätzlich noch mindestens ein Infrarotsperrfilter. Auch wenn sich durch die o.g. Eigenschaften Retrofokusobjektive etwas günstiger verhalten, so werden diese besonderen Verhältnisse bei Digitalkameras oft nicht in ausreichendem Maße beachtet. Gerade diese Einrichtungen gegen Infrarotlicht und Interferenzerscheinungen, die meist aus mehreren Scheiben mit verschiedenen Eigenschaften zusammengesetzt sind, erreichen dabei oft eine ganz erhebliche Dicke. Das willkürliche Einfügen derartiger Planplatten in der Nähe der Bildebene ist freilich nicht Teil der optischen Rechnung solcher Objektive und muß sich zwangsläufig auf die Abbildung auswirken. Schon in den 1940er Jahren wies Willy Merté ausdrücklich darauf hin:
„Eine Planplatte oder plattenähnliche Linse großer Dicke darf nicht ohne weiteres hinter eine gut auskorrigierte Lichtbildlinse geschaltet werden, sonst würde die Bildfehlerberichtigung zerstört.“ [Merté, Willy: Das photographische Objektiv seit dem Jahre 1929; in: Michel, Kurt (Hrsg.): Handbuch der wissenschaftlichen und angewandten Photographie, Ergänzungswerk, Band I, Wien, 1943, S. 97.]
Diesen Satz sollte sich jeder besonders zu Herzen nehmen, der meint, die Leistung nicht speziell dafür ausgelegter Objektive mithilfe seiner Digitalkamera beurteilen zu können!
In der ersten Werbebroschüre zum neuen Flektogon 4/25 mm (oben) war noch zu lesen: "Es zeichnet einen extrem großen Bildwinkel von 82° aus, der gegenwärtig von keinem anderen Objektiv, das für Kleinbildreflexkameras bestimmt ist, übertroffen wird." Diese falsche Behauptung wurde kurze Zeit später getilgt (unten).
Westrogon 4/24 – ein Konkurrenzprodukt?
Westrogon 4/24 mm – diesen Stand der Technik galt es damals für Zeiss Jena aufzuholen. Erstmals weltweit war es der Göttinger Objektivbauanstalt gelungen, den Bildwinkel für die Spiegelreflexkamera auf über 80 Grad auszudehnen [DBP Nr. 1.063.826 vom 10. November 1956]. Doch bei der Recherche zu diesem Objektiv ergab sich überraschend ein etwas anderes Bild: Der Schöpfer dieses Westrogons war ein Gewisser Rudolf Solisch – ein ehemaliger Zeissianer, der ein paar Jahre zuvor zusammen mit Harry Zöllner das Flektogon 2,8/35 mm konstruiert hatte. Er war ganz offensichtlich einer von jenen zehntausenden gut ausgebildeten Ingenieuren, Ärzten, Facharbeitern usw., die in den 50ern jährlich die DDR verließen – nicht selten aus rein politischen Gründen. Vielleicht hatte Herr Solisch seine Berechnungen schon im Gepäck, als er bei ISCO in Göttingen anheuerte. Immerhin basierte auch das Grundobjektiv des Westrogons auf dem Jenaer Biometartyp.
Als Beruhigung für alle Zeiss-Freunde sei aber angemerkt, daß das Flektogon 4/25 das wesentlich ausgereiftere Objektiv ist. Insbesondere die Vignettierung des Westrogons zeigt dermaßen große Auswüchse, daß man fast davon sprechen muß, es zeichne das Kleinbildformat in Wirklichkeit gar nicht vollständig aus. In dieser Konfiguration erreicht es mit guter Qualität kaum mehr als einen Bildwinkel von vielleicht 75 oder 76 Grad, was also eher einer Brennweite von etwa 28 mm entspricht. Es sollte aber nicht verschwiegen werden, daß etwa fünf Jahre später Rudolf Solisch zusammen mit dem später noch sehr bedeutenden Walter Wöltche ein Patent [DE1.138.562 vom 9. Mai 1961] angemeldet hatte, das auf eine deutliche Verbesserung des bisherigen Westrogons hinauslief. Wie bei Zeiss Jena war das dadurch möglich, weil man vom Gaußtyp als Grundobjektiv des Retrofokus abgegangen war.
Marco Kröger
letzte Änderung: 11. März 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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