Flektogon 4/25

Flektogon 4/25

Mit diesem Retrofokusobjektiv für Kleinbild-Reflexkameras gelang in der DDR der späten 1950er Jahre erstmals die Überschreitung der 80-Grad-Bildwinkelgrenze

Jena Flektogon 25 mm f/4

Bis dahin war es allerdings ein langer Weg, was man daran ablesen kann, daß das fertige Produkt erst auf der Frühjahrsmesse 1960 erscheinen konnte. Dabei ist dieses Weitwinkelobjektiv zweifellos ein zentraler Vertreter jener Generation der „OPREMA-Objektive“. Die Arbeiten zum Flektogon 4/25 lassen sich nämlich bis auf das Jahr 1955 zurückverfolgen, als diese Großrechenanlage gerade erst einsatzfähig geworden war. Ohne die immensen Vorteile dieser neuartigen Binär-Rechentechnik wäre die Konstruktion eines Objektives mit so vielen Flächen, einem so großen Bildwinkel und einem vom bisher Üblichen derart abweichenden Aufbau schlichtweg unvorstellbar gewesen. Als kreativer Kopf hinter diesem Objektiv muß Wolf Dannberg (1918 - 1984) ganz besonders hervorgehoben werden.

Flektogon 4/25mm

1. Der Ursprung des neuen Flektogons

Das Flektogon 4/25 mm ist ein Beispiel dafür, daß man sich beim Nachvollziehen der Chronologie der Technik-Entwicklung nicht durch die Nummern der zugehörigen Patentschriften verwirren lassen darf. Für das Patentamt selbst ist der Ausgabetag das zentrale Datum, denn von diesem Tage an darf es die Gebühren für den Patentschutz einfordern. Da die Prüfung eines Patentes aber einmal wenige Wochen, in einem anderen Fall aber auch mehrere Jahre dauern kann, ist der Zeitpunkt der Erteilung quasi völlig willkürlich. Da aber die Vergabe der Nummer des Patentes an diese Erteilung geknüpft ist, kann es passieren, daß ein zu einem viel früheren Zeitpunkt angemeldetes Patent eine viel höhere Nummer hat als ein deutlich später angemeldetes, das dann aber eher erteilt wurde. Für jemandem, der sich mit Technikgeschichte befaßt, ist daher fast ausschließlich das Anmeldedatum ausschlaggebend.

DD17177 Flektogon 4/25mm

Beim Flektogon 4/25 liegt ein derartiger Fall einer verworrenen Chronologie vor. Bei der Recherche stößt man zunächst auf die oben gezeigte Schutzschrift mit der Nummer Nummer DD17.177 vom 22. Dezember 1956. Ein Retrofokusobjektiv mit einem Bildwinkel von mindestens 80 Grad und einer Schnittweite, die fast 60 Prozent länger ist als die Brennweite. Um diese, für damalige Verhältnisse extremen Bedingungen zu erzielen, war natürlich der vordere Systemteil ausschlaggebend, in dem die für ein Retrofokus notwendigen großen negativen Brechkräfte untergebracht werden mußten. Er ist daher aus zwei zerstreuend wirkenden Menisken aufgebaut, die eine Sammellinse einschließen. Und mit der Steuerung der Durchbiegung dieser Sammellinse hat es Dannberg erreicht, die stark tonnenförmige Verzeichnung eines solchen Retrofokusobjektivs in den Griff zu bekommen, die sich ansonsten durch den zerstreuenden Vorsatz ergeben würde. Auch ist laut Patentschrift der vordere Systemteil wesentlich für die Korrektur des Astigmatismus und der Bildfeldwölbung verantwortlich, sodaß für den hinteren Systemteil ein vergleichsweise einfacher, dreigliedriger Aufbau genüge.

DD23457 Flektogon 25 Anamorphot

Der eigentliche Ausgangspunkt dieser Entwicklung, die letztlich zum Flektogon 4/25 führte, geht jedoch auf ein DDR-Patent Nr. 23.457 zurück, das bereits zum 22. Juni 1955 angemeldet, aber erst sieben Jahre später erteilt wurde und deswegen die höhere Patentnummer aufweist. Man erkennt gut, daß die in den Figuren 1 und 3 gezeigten vorderen Systemteile großen Durchmessers von den Formgebungen her bereits dem des späteren Flektogons entsprechen. Der Titel des Patentes und die Beschreibung beziehen sich aber nicht auf ein Gesamtsystem, sondern um einen afokalen Weitwinkel-Vorsatz, der einem bereits vorhandenen Grundobjektiv vorgeschaltet werden soll.

Links noch einmal die Schnittzeichnung des ersten Gesamtobjektivs aus dem Patent von 1955, rechts diejenige aus dem Patent von 1956. Daraus läßt sich schlußfolgern, daß die Formgebung der Frontgruppe (und damit die Idee zur Fehlerkorrektur an sich) bereits seit 1955 festlag.

Solche Vorsätze werden benutzt, um die Brennweite bestehender photographischer Objektive verkürzen zu können. Da in solchen Spezialfällen der Ort der Blende im Grundobjektiv feststeht, muß der Vorsatz gezielt auf die Behebung der Verzeichnung hin korrigiert sein, da diese ansonsten unerträgliche tonnenförmige Ausmaße annehmen würde. Die in diesem Patent erwähnten Begriffe "Cinemascope" und "zylindrische Linsen" verweisen eindeutig darauf, daß es ursprünglich um einen vorsetzbaren Amorphot für das Breitwandkino ging. Anamorphote haben die spezielle Eigenschaft, daß sich ihre brennweitenverkürzende und bildwinkelvergrößernde Wirkung nur in einer Richtung nämlich der horizontalen erstreckt, um das Bild auf dem Negativ entsprechend zu stauchen. Dazu werden statt der üblichen sphärischen spezielle zylindrisch geschliffene Linsen eingesetzt. Mit der Linsenlage Nr. 3 dieser Patentschrift ist aber bereits angedeutet, wie auf dieser Idee basierend ein komplettes Weitwinkelobjektiv mit langer Schnittweite gebildet werden könne.

Zeiss Jena Anamorphot 1955

Mittlerweile hat sich in den Jenaer Versuchsordnern auch ein Optik-Datenblatt für den besagten Aufnahme-Anamorphoten angefunden. Der Unter der Versuchsnummer V203 gelaufene Zylinderlinsen-Vorsatz mit Abschlußdatum vom 12. August 1955 wurde  geschaffen, um der DDR-Filmgesellschaft DEFA ein eigenes Breitwand-Verfahren zu schaffen, ohne von amerikanischen Lizenzen abhängig zu sein. Ein Vorversuch war unter der Nummer V198 am 2. März 1955 abgeschlossen worden. Nach allem was bisher bekannt ist, setzte die DEFA für das Totalvision-Verfahren dann jedoch Vorsätze französischer Provenienz ein. Die in der Literatur zu findende Aussage, Zeiss Jena sei damals nicht in der Lage gewesen, kurzfristig derartige Anamorphoten zu entwickeln, ist angesichts dieser sogar bis zur Patentreife gebrachten Erfindung jedoch wenig plausibel [Vgl. Jockenhövel, Jesko: „So breit wie drüben?“ – Totalvision: Das ostdeutsche CinemaScope. In: Filmblatt. Filmblatt 67/68, Jg. 23 (2019), Nr. 2, S. 70–85.].

Zeiss Jena Flektogon 4/25 mm

Die Ursprünge der letztlich in das Flektogon 4/25 mündenden Arbeiten zu vorsetzbaren Anamorphoten finden sich auch in einem ersten Erfahrungsbericht bestätigt, den Wilhelm Kämmerer 1956 zur Rechenmaschine Oprema verfaßt hat:


"Die in den vergangenen Monaten durchgeführten Rechenarbeiten zu optischen Systemen waren sehr abwechslungsreich, da Anpassung an die unterschiedlichen Arbeitsmethoden verschiedener Auftraggeber ebenso erforderlich war wie an die besonderen Probleme; erwähnt seien Berechnungen an Systemen mit parallelen oder gekreuzten Zylinderlinsen, sowie an einem Vorsatzsystem vor ein vorhandenes Objektiv. Die Variationsrechnung an dieser letzten Aufgabe hat das Besondere, daß die Feinstkorrektur des Gesamtsystems dabei jeweils die optimale Anpassung des Abstandes zwischen dem zu variierenden Vorsatz und dem festen Objektiv einbezog." [Vgl. Kämmerer, Oprema, Einsatzmöglichkeiten und Erfahrungen, MTW-Mitteilungen, 1956, S. 127.]

Jena Flektogon 4/25 scheme

Wie gleich noch näher gezeigt werden wird, konnte das bereits im Sommer 1956 ausgearbeitete Flektogon 4/25 mm so nicht in Serie gefertigt werden. Erst nach mehrfacher Überarbeitung wurde im April 1958 der obige Aufbau gefunden, der dann letztlich in die Fertigung überführt wurde.

2. Ein großer Bildwinkel erfordert einen großen Aufwand

Das Grundprinzip des Retrofokus-Weitwinkels war schon seit Jahrzehnten bekannt. Bei Zeiss in Jena hatte man bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen, solche Objektive mit künstlich verlängerter Schnittweite zu entwickeln. Beim Flektogon 2,8/35 mm hatten Zöllner und Solisch einem Biometar 2,8/35 mm eine große Zerstreuungslinse vorgesetzt, um das Gesamtsystem von der Bildebene wegrücken zu können und damit dem Klappspiegel den nötigen Bewegungsfreiraum von etwa 37 mm zu lassen. Dazu mußte die besagte Zerstreuungslinse in der Nähe des vorderen Brennpunktes des Grundobjektivs placiert werden. Für einen Bildwinkel von etwas über 60 Grad genügte diese Maßnahme. Wenn jetzt aber die 80-Grad-Marke überschritten werden sollten, dann wurden viel weitergehende Maßnahmen notwendig.

Flektogon 4/25 mm

Oben sieht man, wie steil die Strahlenbündel bei solch einem großen Bildwinkel einfallen und wie groß dadurch der Durchmesser der vorgesetzten zerstreuenden Komponente sein mußte. Zudem war nun mit einem einzelnen Meniskus aus niedrig brechenden Borosilkat-Kron nicht mehr auszukommen. Die deutlich stärkere negative Brechkraft mußte vielmehr auf zwei einzelne Elemente aufgeteilt werden. Bei einer mittleren Brennweite von etwa 25,9 mm wurde mit großem optischem Aufwand eine bildseitige Schnittweite von etwa 37,3 mm erreicht.

Flektogon 4/25 mm Hinterglied

Das Grundprinzip blieb aber im Vergleich zum Flektogon 2,8/35 mm dasselbe. Gibt man die Konstruktionsdaten allein des sammelnden Grundobjektivs in ein Optik-Rechenprogramm ein, dann erhält man eine Brennweite von etwa 25,8 mm, die ziemlich genau der realen Gesamtbrennweite des Flektogons 4/25 entspricht. Die Schnittweite dieses Grundobjektivs wäre mit 19,8 mm aber natürlich viel zu kurz für eine Spiegelreflexkamera. Die Verlängerung dieser bildseitigen Schnittweite auf die notwendigen 37,3 mm und zugleich die Aufweitung des Bildwinkels auf etwa 80,5 Grad war erst im Verbund mit dem stark negativen Vorsatzglied möglich.

Flektogon 4/25 Frontgruppe

Gibt man die Konstruktionsdaten für die negative Frontgruppe des Flektogons 4/25 mm in ein Optik-Rechenprogramm ein, dann erhält man für jene eine Brennweite von beinah -40 mm; also eine Brechkraft von fast -25 Dioptrien. Zum Vergleich: Die einzelne Zerstreuungslinse des Flektogons 2,8/35 mm hat eine Brennweite von etwa -87 mm und muß daher mit -11,5 weniger als die halbe Brechkraft aufbringen als beim Flektogon 25 mm.

3. Die Entstehungsgeschichte des Flektogons 4/25

Eingangs wurde berichtet, wie der Ursprung dieses Flektogons im Jahre 1955 eigentlich in Dannbergs Rechenarbeiten zur Schaffung eines afokalen Weitwinkel-Vorsatzes gelangen hat. Dann ereignete sich allerdings ein Zwischenfall. Im selben Jahr beging Rudolf Solisch, der eigentliche Konstrukteur des Flektogons 35 mm und rechte Hand Zöllners, sogenannte Republikflucht. Er heuerte bei ISCO in Göttingen an und wie im Abschnitt 5 noch gezeigt werden wird, hatte er mit hoher Wahrscheinlichkeit die Vorarbeiten für ein Retrofokus-Superweitwinkel 4/24 mm im Handgepäck, für das er bereits im November des Folgejahres ein Patent anmeldete. Da man in Jena sicherlich wußte, woran Solisch bis kurz vor seiner Flucht gearbeitet hat, wurde der Konstruktionsansatz Dannbergs kurzerhand zur Schaffung eines eigenen Superweitwinkels umgearbeitet.

Flektogon 4/24 V223

Bereits zum 14. Juni 1956 wurde die Rechnung für ein "Weitwinkelobjektiv 4/25" nach Versuch V223 fertiggestellt. Wie im eingangs gezeigten Beispiel 2 des Dezember 1956 angemeldeten Patentes DD17.177 war auch hier das erste Glied des Grundobjektivs verkittet. Es fallen die für damalige Verhältnisse sehr hohen Brechzahlen auf. Ganz besonderes Augenmerk verdient dabei die Linse Nummer 2.

Skizze Flektogon 4/25

In den Unterlagen, die Günther Benedix 1991 bei der Abwicklung von Zeiss Jena vor der Vernichtung gerettet hat, ist eine originale Skizze von Dannberg erhalten geblieben, auf der die realen Daten der Gläser aus einer bestimmten Schmelznummer verzeichnet sind. Eines der Gläser hatte er am 10. August 1956 abgemeldet, der er offenbar an dem obigen Versuch, bei dem das Grundobjektiv nur dreilinsige ist, nicht weitergearbeitet hat. Für die Linse Nummer 2 ist hier als Glasart "Z8" angegeben. Die Brechzahl ist mit 1,7224 sehr hoch vor allem in Anbetracht des nur ganz knapp unterhalb der Krongläser liegenden ny-Wertes von 49,7!

Baritflint BaF13

Diese Glasart, die im obigen Datenblatt als Baritflint BaF13 bezeichnet ist, war offenbar seit Anfang der 1950er entwickelt worden, als es zwischen den Glaswerken in Jena und in Mainz noch eine enge Zusammenarbeit gab. Möglicherweise handelt es sich um ein Lanthan-Thorium-Glas, das auf Erfindungen beruhte, die in den bundesdeutschen Patentschriften 812.455  von 1949 und  947.828 von 1952 geschützt sind. Der Übergang zur Massenfertigung scheint dann aber getrennt vorgegangen zu sein, denn während BaF13 später im westdeutschen Schott-Katalog als reguläres Glas geführt wird (allerdings mit einer deutlich geringeren Brechzahl), mußte das Jenaer Photo-Rechenbüro im Herbst 1957 noch auf Basis von Laborschmelzen arbeiten. Wie sich gleich noch zeigen wird, gelang die massenhafte Fabrikation dieser Glasart nicht und das Flektogon 4/25 konnte in dieser Konfiguration nicht in die Serienfertigung gehen.

V223 K-Schein

Der sogenannte K-Schein zum Flektogon 4/25 mm nach Versuch V223A (mit leicht veränderten Linsendicken) vom 23. Mai 1957. Das BaF13 in Linse 2 enthält keine Schmelznummer, was bereits deutlich macht, daß dieses Glas nicht für eine Massenfertigung zur Verfügung stand. Entsprechend der Vermerk: "Nicht gefertigt".

Flektogon 4-25 V223 Prüfbericht

Wie der obige Prüfbericht zu diesem Versuch V223 zeigt, hatte man mit dieser Konfiguration ein ganz außergewöhnlich hochwertiges Retrofokus-Weitwinkel geschaffen. Schon bei offener Blende wurde ein über das Bildfeld hinweg gleichmäßig gutes Auflösungsvermögen erzielt. Auch wenn der Lichtabfall zu den Bildecken hin auf 25 Prozent beim ersten lesen hoch erscheinen mag, so war dies dennoch ein sehr guter Wert (Näheres dazu siehe Abschnitt 4). Wäre dieses Objektiv bereits zu Jahresanfang 1957 auf den Markt gekommen, dann wäre es für alle anderen Hersteller eine kaum zu überwindende Referenz gewesen!

Flektogon 4/25 V253

Doch zunächst mußte das nicht serienmäßig herstellbare Lanthan-Flint ersetzt werden. Dannberg hatte dazu im Oktober 1957 eine Rechnung abgeschlossen, die ohne dieses DDR-BaF13 auskam. Dieser Versuch V253, bei dem das Grundobjektiv nur dreilinsig war, ging jedoch ebenfalls nicht in Serie, da der Abfall der Bildleistung zu den Rändern hin zu hoch war.

Flektogon 4/25 Versuch V272

Stattdessen wurde auf dieser Basis mit dem Rechnungsabschluß vom 22. April 1958 ein neues Versuchsobjektiv V272 geschaffen, bei dem die Zerstreuungslinse des Grundobjektivs aus zwei Elementen aufgebaut war. Der einen Hälfte aus Schwerflint wurde eine zweite aus dem Tief-Flint F16 hinzugefügt, das sich durch eine anomale Dispersion im blauen Spektralbereich auszeichnet. Damit war wohl der Schlüssel gefunden worden, insbesondere die farbabhängigen komatischen Fehler außerhalb der Bildmitte zu mildern. Zudem konnte bei diesem V272 nun auf das Lanthan-Kronglas in der riesigen Frontlinse zugunsten des älteren SSK5 verzichtet werden.

Prübereicht Flektogon 4/25 V272

Anhand des Prüfberichtes erkennt man, daß mit diesem Versuch V272 das ganz extreme Auflösungsvermögen des Versuchs V223 in der Bildmitte zwar nicht mehr erreicht wurde, dafür aber eine sehr gleichmäßige Leistung bis in den Bereich der Seitenränder des Kleinbildformates und sogar noch eine leichte Verbesserung in Bezug auf die äußersten Bildecken. Und statt 69,3 mm war das Serienobjektiv nur noch 56,2 mm lang. Damit hatte man eine Lösung gefunden, die als Spitzenkonstruktion weltmarktfähig war und in Serie gehen konnte. Die tatsächliche Serienproduktion begann allerdings erst im September 1959, nachdem die mechanisch sehr aufwendige Fassung für die damalige Spitzenkamera Praktina IIA fertig entwickelt worden war.

Zeiss Flektogon 4/25 Praktina

Erstmals gezeigt wurde das fertige Objektiv dann auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1960. Es war die letzte Neuerscheinung für die Praktina IIA, deren Produktion zwei Monate später eingestellt wurde. Auch für die Exakta Fassung war das Objektiv bald verfügbar. Praktica-Nutzer mußten auf die Version mit M42-Gewinde noch bis zum Jahresende 1961 warten. Die Fertigung des Flektogon 4/25 mm lief bereits im August 1967 wieder aus. Trotz dieser nur knapp achtjährigen Bauzeit wurden von diesem Flektogon immerhin 19.380 Stück gebaut. Als wirklich selten kann man es also nicht bezeichnen.

Flektogon 25 mm Praktica M42
Flektogon 4/25 cut drawing

Mit dem Flektogon 4/25 mm wurden Ende der 50er Jahre nicht nur in Hinblick auf die Bewältigung optischer Klippen ganz erstaunliche Fortschritte erzielt, sondern auch was die Perfektionierung der Objektivfassung betraf. Vollautomatische Springblendensysteme für die Praktina und die Exakta (oben) bedeuteten eine große Arbeitserleichterung für den Anwender. Gut zu sehen ist aber auch, wie die stark unterschiedlichen Linsendurchmesser nach einer komplizierten Bauform der Linsenhalterung verlangen. Einfache "Stopffassungen" ließen sich hier nicht mehr anwenden.

Flektogon 25mm f/4 evolution
Flektogon Exakta

Im Sommer 1967 wurden die letzten Flektogone 4/25 mm montiert. Das obige Exemplar in einer zeitgenössischen Zebrafassung für die Exakta Varex ist eines der letzten hundert Stück dieses Objektives. Danach wurde die Produktion eingestellt. Das Flektogon 4/25 war trotz der kurzen Zeit, die es erst am Markt war, nicht mehr zeitgemäß. In den vergangenen sieben Jahren hatte sich in diesem Bereich nämlich viel getan. Im selbigen Jahre 1967 brachte die japanische Firma Nippon Kogaku beispielsweise ein lichtstarkes Superweitwinkel "Nikkor 2,8/24 mm" heraus, das erstmals serienmäßig mit einem bildmaßstabsabhängigen Bildfehlerausgleich versehen war und trotzdem kaum größer ausfiel als ein Normalobjektiv.

Was sowohl Baugröße als auch Lichtstärke anbetraf, war das Flektogon 4/25 also bereits nach wenigen Jahren völlig überholt. Trotzdem begeistert heute immer noch die erstaunlich gute Bildleistung dieses frühen Superweitwinkels. Im Park des Schlosses Königs Wusterhausen mußte aufgrund des dichten Laubwerkes mit voll aufgeblendetem Objektiv photographiert werden. Von den äußersten Bildecken abgesehen ist die Leistung des Flektogons ganz ausgezeichnet!

4. Neue Objektivbauweise neue optische Erscheinungen

Der völlig neuartige Aufbau von Retrofokuskonstruktionen mit ihren bis ins Groteske getriebenen Asymmetrien brachte damals auch bis dahin nicht gekannte Schwierigkeiten in Bezug auf das Auskorrigieren der Bildfehler mit sich. Ohne die neuartige binäre Rechentechnik wäre dies wie gesagt nicht in Angriff zu nehmen gewesen. Es lohnt sich also einmal einen Vergleich zwischen dem Flektogon 4/25 mit einem von Lichtstärke und Bildwinkel her datengleichen Topogon 4/25 mm zu ziehen, um den enormen Fortschritt der rechnenden Optik während der 1950er Jahre zu veranschaulichen.

Topogon 4/25

Das vierlinsige Topogon war eine Erfindung Robert Richters aus dem Jahre 1933 [D.R.P. Nr. 636.167] und wurde zunächst in der Ausführung 6,3/100 mm für Luftbildaufnahmen im Format 18x18 cm eingesetzt [Vgl. Merté, Photographisches Objektiv; in: Handbuch der Photographie, Ergänzungsband, 1943, S. 81ff]. Es folgte unter anderem eine Version für die Contax Meßsucherkamera erst mit den Daten 4,5/25 mm, das dann nach dem Kriege zum Topogon 4/25 verbessert wurde. Es handelt sich um eine spezielle Variation des Doppelanastigmaten mit einem quasi- (aber nicht streng-) symmetrischen Aufbau. Das bedeutet, die hintere Hauptebene (von dem ab die Brennweite bemessen wird) liegt beim Topogon in Blendennähe zwischen den beiden Hälften des Objektivs. Daher ist bei einer solchen Konstruktionsweise eines Weitwinkelobjektivs der freie Luftabstand bis zur Bildebene noch kürzer als die 25 mm der Brennweite.

Vergleich Topogon/Flektogon

Beim Flektogon jedoch war diese hintere Hauptebene weit außerhalb des eigentlichen Objektivs verschoben. Um diesen Betrag konnte das gesamte Objektiv von der Bildebene weggerückt werden. Damit blieb nun ausreichend Freiraum für die Spiegelbewegung. Als Nachteil ergaben sich natürlich die viel größere Baulänge der gesamten Optik, die erheblich größeren Linsendurchmesser im vorderen Objektivteil und die starken Asymmetrien, die (wie sich später zeigte) zu einem starken Anwachsen der Abbildungsfehler führten, wenn man auf nahe Entfernungen einstellte.


Dieser stark asymmetrische Aufbau der Retrofokusobjektive brachte als Nebeneffekt aber auch einige sehr wertvolle Vorteile mit sich, die Probleme mit bisherigen Superweitwinkelobjektiven überwinden halfen. Allem voran war dies die deutlich verbesserte Lichtverteilung in der Bildebene. Es sind oben für beide Objektivtypen jeweils die Strahlenbüschel in Achsennähe eingezeichnet, sowie für den Bildrand. Beim Topogon erkennt man, daß für stark seitlich eintretendes Licht der Querschnitt der Bündel sehr schmal wird. Das ist eine Folge daraus, daß sich für seitlich eintretendes Licht die kreisrunde Öffnung der Pupille zu einem schmalen sogenannten Kreiszweieck verengt (s.u.). Entsprechend stark fällt die Unterbelichtung am Bildrand aus. Allgemein gilt, daß der natürliche Lichtabfall mit der vierten Potenz des Kosinus des halben Bildwinkels anwächst. Objektiven mit 25 mm Brennweite wird im Kleinbildformat ein objektseitiger Bildwinkel von 82 Grad abverlangt, wodurch allein diese natürliche Vignettierung einen Lichtverlust in den Bildecken von ziemlich genau zwei Dritteln nach sich zieht!


Bei Retrofokusobjektiven findet nun freilich durch die Aufweitung des Strahlenganges eine künstliche Vergrößerung der Eintrittspupille bei seitlichem Lichteinfall statt, wodurch der sehr starken natürlichen Vignettierung von Superweitwinkelobjektiven positiv entgegengewirkt werden kann. Diesen Effekt kann man sehen, wenn man von vorn schräg durch ein solches Objektiv schaut, während man selbiges vor eine helle Fläche hält. Beim Vergleich zwischen den Entrittspupillen des Flektogons 4/25 mit dem Topogon 4/25 ergeben sich dabei folgende Öffnungsfiguren [nach Dannberg/Fincke: Neue Zeiss-Foto-Objektive aus Jena; in: Die Fotografie, Heft 3/1960, S. 83.].

Die starke natürliche Vignettierung, mit denen Objektive mit großen Bildwinkeln üblicherweise behaftet sind, kann durch die bildwinkelabhängige Pupillenvergrößerung der Retrofokuskonstruktion sogar so weit zurückgedrängt werden, daß diese Vignettierung ab einer bestimmten Abblendung quasi nicht mehr vorhanden ist. Der rote Kreis in der unten gezeigten Abbildung soll eine solche mittlere Abblendung symbolisieren. Während beim Topogon in den Randzonen trotz Abblendung immer noch ein drastischer Beschnitt der Fläche der Eintrittspupille zu verzeichnen ist, der in der Praxis einen starken Lichtabfall nach sich zieht, ist beim Flektogon der Flächeninhalt der Eintrittspupille bei dieser Abblendung auch am Rande so groß, wie bei Lichteinfall längs der optischen Achse. In der Praxis macht sich dann nur noch eine gewisse künstliche Vignettierung durch den recht langgestreckten Bau dieser Retrofokustypen bemerkbar. Ein auf 1:8 abgeblendetes Flektogon 4/25 weist dadurch eine restliche Abschattung in den Bildecken auf, die kleiner wird als der Belichtungsspielraum des Filmmateriales. Man muß allerdings dazu sagen, daß gerade diese bildwinkelabhängige Pupillenvergrößerung den Optikkonstrukteuren große Schwierigkeiten bereitet hat, weil mit ihr freilich auch ein massives Anwachsen der Bildfehler am Bildrand einherging, das mit viel Aufwand unter Kontrolle gebracht werden mußte. Bei höher geöffneten Retrofokus-Weitwinkeln hat man daher später einen sogenannten automatischen Korrektionsaugleich ("floating elements") eingeführt.

Ein zweiter positiver Effekt von Retrofokusweitwinkeln ist ebenso aus den obigen Strahlenverläufen ersichtlich: Durch die lange Schnittweite fallen die Randstrahlen in einem wesentlich flacheren Winkel auf die Bildebene ein als beim Topogon. In der herkömmlichen, photochemischen Photographie fällt dieser Effekt wenig ins Gewicht. Dem Film ist es einfach gesprochen egal, wie steil das Licht einfällt. Ganz anders sieht dies jedoch bei Lichtempfängern aus, die in der Digitalpotographie Verwendung finden. Je nach Aufbau des Sensors kann es hier ganz erhebliche Winkelabhängigkeiten geben. Galt früher, daß "normal gebaute" Weitwinkel (für die  Meßsucherkamera) immer ein wenig bessere Resultate brachten, als Retrofokus-Typen, so verkehrt sich diese Sicht heute oft ins Gegenteil. Deren deutlich geradlinigerer Lichteinfall und die geringere Vignettierung sind hier besonders vorteilhaft, während Weitwinkel für Meßsucherkameras nicht selten enttäuschen.


Letzteres liegt übrigens auch daran, daß vor jedem Bildsensor zumindest eine Abdeckplatte angebracht ist und meist zusätzlich noch  mindestens ein Infrarotsperrfilter. Auch wenn sich durch die o.g. Eigenschaften Retrofokusobjektive etwas günstiger verhalten, so werden diese besonderen Verhältnisse bei Digitalkameras oft nicht in ausreichendem Maße beachtet. Gerade diese Einrichtungen gegen Infrarotlicht und Interferenzerscheinungen, die meist aus mehreren Scheiben mit verschiedenen Eigenschaften zusammengesetzt sind, erreichen dabei oft eine ganz erhebliche Dicke. Das willkürliche Einfügen derartiger Planplatten in der Nähe der Bildebene ist freilich nicht Teil der optischen Rechnung solcher Objektive und muß sich zwangsläufig auf die Abbildung auswirken. Schon in den 1940er Jahren wies Willy Merté ausdrücklich darauf hin:


Eine Planplatte oder plattenähnliche Linse großer Dicke darf nicht ohne weiteres hinter eine gut auskorrigierte Lichtbildlinse geschaltet werden, sonst würde die Bildfehlerberichtigung zerstört.[Merté, Willy: Das photographische Objektiv seit dem Jahre 1929; in: Michel, Kurt (Hrsg.): Handbuch der wissenschaftlichen und angewandten Photographie, Ergänzungswerk, Band I, Wien, 1943, S.  97.]


Diesen Satz sollte sich jeder besonders zu Herzen nehmen, der meint, die Leistung nicht speziell dafür ausgelegter Objektive mithilfe seiner Digitalkamera beurteilen zu können!

Flektogon 4/25 Reklame

In der ersten Werbebroschüre zum neuen Flektogon 4/25 mm (oben) war noch zu lesen: "Es zeichnet einen extrem großen Bildwinkel von 82° aus, der gegenwärtig von keinem anderen Objektiv, das für Kleinbildreflexkameras bestimmt ist, übertroffen wird." Diese falsche Behauptung wurde kurze Zeit später getilgt (unten).

Flektogon 4/25 Werbung

5. Westrogon 4/24 ein Konkurrenzprodukt?

Westrogon 24mm Solisch

Westrogon 4/24 mm– diesen Stand der Technik galt es damals für Zeiss Jena aufzuholen. Erstmals weltweit war es der Göttinger Objektivbauanstalt gelungen, den Bildwinkel für die Spiegelreflexkamera auf über 80 Grad auszudehnen [DBP Nr. 1.063.826 vom 10. November 1956].

Doch bei der Recherche zu diesem Objektiv ergab sich überraschend ein etwas anderes Bild: Der Schöpfer dieses Westrogons war ein Gewisser Rudolf Solisch – ein ehemaliger Zeissianer, der ein paar Jahre zuvor zusammen mit Harry Zöllner das Flektogon 2,8/35 mm konstruiert hatte. Er war ganz offensichtlich einer von jenen zehntausenden gut ausgebildeten Ingenieuren, Ärzten, Facharbeitern usw., die in den 50ern Jahr für Jahr die DDR verließen – nicht selten aus rein politischen Gründen. Vielleicht hatte Herr Solisch seine Berechnungen schon im Gepäck, als er bei ISCO in Göttingen anheuerte. Immerhin basierte auch das Grundobjektiv des Westrogons auf dem Jenaer Biometartyp.

DE1063826 Westrogon 24mm

Als Beruhigung für alle Zeiss-Freunde sei aber angemerkt, daß das Flektogon 4/25 das wesentlich ausgereiftere Objektiv ist. Insbesondere die Vignettierung des Westrogons zeigt dermaßen große Auswüchse, daß man fast davon sprechen muß, es zeichne das Kleinbildformat in Wirklichkeit gar nicht vollständig aus. In dieser Konfiguration erreicht es mit guter Qualität kaum mehr als einen Bildwinkel von vielleicht 75 oder 76 Grad, was also eher einer Brennweite von etwa 28 mm entspricht. Es sollte aber nicht verschwiegen werden, daß etwa fünf Jahre später Rudolf Solisch zusammen mit dem später noch sehr bedeutenden Walter Wöltche ein Patent [DE1.138.562 vom 9. Mai 1961] angemeldet hatte, das auf eine deutliche Verbesserung des bisherigen Westrogons hinauslief. Wie bei Zeiss Jena war das dadurch möglich, weil man vom Gaußtyp als Grundobjektiv des Retrofokus abgegangen war.

ISCO Westrogon 4/24mm
Vergleich Westrogon 4/24 mit dem Flektogon 4/25

Oben ein direkter Vergleich des Isco Westrogons 4/24 mm mit dem Zeiss Flektogon 4/25 mm, der noch einmal das höhere technische Niveau des Flektogons vor Augen führt. Das läßt sich besonders an zwei Merkmalen aufzeigen: Erstens die deutlich kürzere Baulänge des Flektogons und zweitens der wesentlich größere Durchmesser des mit vollem Bildwinkel einfallenden Lichtbüschels, das dem Flektogon diese vergleichsweise gute Randausleuchtung verschafft. Beim Westrogon ist dagegen der Bildwinkel völlig überreizt, was neben einer mangelhaften Schärfe auch an der spärlichen Ausleuchtung der Bildecken zum Ausdruck kommt

Marco Kröger


letzte Änderung: 10. November 2025