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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Pentacon Stereo-Six
Abstract: Stereoscopic reflex camera based on the Pentacon Six. Picture format 6x6 cm. Since the prism viewfinders are placed in eye distance, the picture can be composed by using a three-dimensional viewfinder image. It took me four years to finish this project.
An diesem Projekt laboriere ich schon seit Jahren. Mein Anliegen war, eine Mittelformat-Stereokamera zu schaffen, die mit dem Rollfilm 120 arbeitet, der ganz automatisch zum genormten Stereoformat 6x13 cm führt. Das liegt daran, daß beim Bildformat 6x6 zwei benachbarte Bilder normgemäß 64 mm voneinander entfernt sind. Das wiederum harmoniert geradezu perfekt mit dem mittleren Augenabstand von etwa 65 mm. Beim Stereoformat 6x13 ist also kein besonderer Bildtransport nötig, da stets zwei Stereo-Teilbilder direkt nebeneinander liegen.
Meine Idee war nun aber die folgende: Wenn nämlich die beiden Teilbilder auf dem Film schon einmal im Augenabstand nebeneinander liegen, dann könnte man doch den Umstand ausnutzen, daß dadurch auch die beiden Aufnahmestrahlengänge im Augenabstand verlaufen. Das würde ermöglichen, für die beiden Teilbilder auch zwei getrennte Suchereinblicke vorzusehen, wodurch die Motivgestaltung bereits anhand eines plastischen Sucherbildes vorgenommen werden könnte. Dieser Ansatz würde eine Stereokamera hervorbringen, die es im Mittelformat so noch nicht gegeben hat.
Es ist jetzt genau 100 Jahre her, daß eine Braunschweiger Firma namens Franke & Heidecke mit einer Stereo-Spiegelreflexkamera am Markt erschien. Dieses "Heidoscop" folgte im Grundaufbau dem "Stereo-Flektoskop" der Firma Voigtländer, welches übrigens ebenfalls maßgeblich auf Reinhold Heidecke zurückging. Diese beiden Kameras hatten ein zwischen beiden Aufnahmeobjektiven liegendes Sucherobjektiv, das über einen festen Spiegel ein waagerechtes Mattscheibenbild erzeugte. Will man aber die beiden Aufnahmeobjektive auch als Sucherobjektive verwenden, dann müssen die Spiegel kurz vor der Aufnahme wegklappen, wie man es von der Einäugigen Reflexkamera gewohnt ist. Ich begann daher mit den Außengehäusen zweier Pentacon Six Ersatzteilspender zu experimentieren.
Die wirklichen Schwierigkeiten ergeben sich bei dieser Kameraidee durch die Notwendigkeit eines Schlitzverschlusses, der natürlich die Breite beider Teilbilder abdecken muß. Das lief letztlich darauf hinaus, daß der Schlitzverschluß der Pentacon Six kompett auf den Kopf gestellt werden mußte. Seine Mechanik war dadurch nur noch in Ansätzen verwenbar. Das ist auch der Grund, weshalb sich dieses Projekt über mehr als drei Jahre hinzog.
In dem Video oben sieht man, daß ich der Kamera einen klassischen Hubspiegelmechanismus verpaßt habe – gerade so wie man es vom Vorbild der Praktisix kennt, der Reflex Korelle. Bei Kameras mit schweren Spiegeln hat das enorme Vorteile.
Von vornherein war klar, daß die Kamera unbedingt mit einem Prismensucher ausgestattet werden soll. Nur so kann die angestrebte Eigenschaft gesichert werden, daß das Motiv bereits anhand eines originalgetreuen, plastisch wirkenden Sucherbildes komponiert werden kann. Dieser Vorteil würde zunichte gemacht, wenn die beiden Teilbilder seitenverkehrt sind. Und für all diejenigen, die keine Prismensucher an der Pentacon Six mögen: Ich baue Kameras nicht allein dafür, damit sie schön aussehen, sondern funktionieren muß das ganze! :)
Die meisten Nachfragen habe ich natürlich bekommen, weshalb ich gerade diese beiden Objektive verwendet habe. Es gäbe doch zur Pentacon Six sooo schöne Objektive. Ja, das stimmt schon. Aber ein einfaches nachmessen zeigt, daß diese Objektive alle zu dick sind. Wenn oben gesagt wurde, daß die beiden Teilbilder normgemäß 64 mm voneinander entfernt sind, dann dürfen natürlich auch die Objektive nur maximal 64 mm voneinander entfernt sein. Das wiederum heißt nichts anderes, als daß die Objektive nur wenig über 60 mm dick sein dürfen. Das ist also Hauptforderung Nummer 1.
Nummer 2 ist, daß Objektive für Stereokameras möglichst einen reichlichen Bildwinkel (also kurze Brennweiten) haben sollen. Das liegt daran, daß bei Stereoaufnahmen gewisse Grundregeln beachtet werden müssen, die unter anderem den Aufnahmeraum einschränken. Damit man überhaupt zu einem plastisch wirkenden Bild gelangt, das den ganzen technischen Aufwand rechtfertigt, sollte sich der Bildinhalt im Bereich zwischen 3 und etwa 10 Metern abspielen. Alle weiter entfernten Motivdetails wirken nicht mehr plastisch, alle die näher als etwa 2,5 Meter liegen, führen zu sogenannten Verschmelzungsstörungen, die das Betrachten der Raumbilder sehr erschweren. Weil es also sinnvoll ist, das Hauptmotiv in etwa 3 Meter Entfernung zu placieren, sollte in dieser relativ kurzen Entfernung möglichst viel davon abgebildet werden. Je mehr Bilddetails, um so besser. DAS ist der wesentliche Unterschied zur normalen zweidimensionallen Photographie. Normalerweise liest man in jedem guten Photolehrbuch: "Ausschnitte schaffen", "Einzelne Details herausheben", usw. Diese Maßgabe erklärt sich unter anderem dadurch, daß die Flachbildphotographie alles in eine Ebene zwängt und man vor lauter Einzeilheiten völlig den Überblick verliert. In der Raumbildphotographie aber geschieht genau dies nicht, da sie schließlich eine Nachahmung des freien natürlichen Sehens ist. Einzelne Motivdetails werden nicht auf eine Ebene zusammengeklatscht, sondern unser plastisches Sehvermögen vermag es, sie minutiös in ihrer noch so feinen Tiefenstaffelung voneinander zu trennen und als Einzelobjekt aus der Umgebung herauszulösen. Je mehr solcher Details also, um so besser. Unser Auge schweift dann regelrecht über das Stereogramm und nach und nach erfassen wir den Bildinhalt, wie als würden wir durch die Tür hindurch auf den gedeckten Eßtisch schauen, um unsere Lieblingsspeise zu erspähen.
Hauptforderung Nummero 3 bezieht sich nun wieder auf ganz nüchterne technische Bedingungen: Objektive für Einäugige Spiegelrefexkameras müssen eine ausreichend lange Schnittweite aufweisen, damit der Spiegel beim Hochklappen nicht anschlägt. Diese dritte Forderung macht es so schrecklich schwierig, sie zusammen mit den beiden oben genannten Forderungen unter einen Hut zu bringen. Entweder sind die Objektive zu langbrennweitig, oder sie sind zu dick gebaut, oder ihre Schnittweite ist zu kurz.
Dieses Sekor 4,5/55 mm ist dahingehend ein wirklicher Geheimtipp. Aufgrund des ursprünglichen Einsatzzwecks mußte es so konstruiert sein, daß es trotz des großen Bildwinkels von über 70 Grad schlank genug blieb, damit zwei von ihnen eng aneinander passen. Um diese Forderungen zu erfüllen, waren immerhin neun Linsen notwendig. Und dieses aufwendige Objektiv wurde gleich zweimal gebraucht, weil es ja für eine Zweiäugige Reflexkamera gedacht war. Dieser Umstand hat für den Einsatz an der Stereokamera den Vorteil, daß man gleich zwei paarig abgestimmte Objektive bekommt. Und man bekommt sie ab und zu preiswert, weil an ihnen der Zahn der Zeit nagt und die mehr als 40 Jahre alten Zentralverschlüsse unrettbar den Geist aufgegeben haben. Die Pentacon Stereo Six braucht aber nur die Optik – einen Verschluß hat sie schließlich selber.
Auch auf einen Schneckengang konnte ich verzichten. Bei der Stereophotographie gibt es kaum etwas scharf zu stellen. Nicht nur sind die Aufnahmeräume ziemlich streng vorgeschrieben, sondern es muß auch stets so weit abgebelndet werden, daß alles was abgebildet wird scharf erscheint. Im Stereobild sind Unschärfen unzulässig, sie widersprechen den Regeln des natürlichen Sehens. Also sind die Objektive so an der Kamera angebracht, daß eine Auszugsverlängerung von etwa 0,5 Millimetern wirksam wird. Das entspricht bei einer Brennweite einer Naheinstellung auf etwa 6 Meter. Schon bei Blende 8 ist von 3 Metern bis unendlich alles scharf. Näher sollte man eh nicht herangehen, wenn man bei der späteren Halbbildmontage keinen Bildfeldverlust riskieren will. Die 70-Bogenminuten-Bedingung ist kaum verhandelbar. Für Stereo-Nahaufnahmen wären höchtens zwei Nahlinsen mit etwa 0,25 oder 0,33 Dioptrin denkbar.
Am Ende habe ich doch noch einen Lichtschachtsucher zu dieser Kamera gebaut. Immerhin läßt sich so die Masse der Pentacon Stereo Six von 2200 auf 1700 Gramm senken. Auch kann man mit einem Lichtschacht deutlich unauffälliger photographieren. Allerdings geht der Vorteil verloren, daß bereits das Sucherbild plastisch ist. Dadurch nämlich, daß die Sucherbilder Seitenverkehrt sind, verlaufen auch auch die Winkeldifferenzen aus denen unser Auge die Rauminformation "errechnet" in die verkehrte Wirkung. Das ergibt eine sogenannte Pseudo-Stereoskopie, die sich auch einstellt, wenn man die Bilder seitenverkehrt oder rechts-links-vertauscht in den Diarahmen einlegt. Dadurch wird die Tiefeninformation auf eigentümliche Weise umgekehrt und im Hintergrund liegende Dinge erscheinen im Vordergrund. Zum Beispiel scheint der Schatten, den ein Gegenstand an die Wand wirft, VOR diesem in der Luft zu schweben. Diesen falschen Raumeindruck kann man also bei der Bildgestaltung nicht praktisch nutzen.
Aufsicht auf die Kamera mit Lichtschacht. Blendenskala und Zeitenscheibe fehlen noch.
Die Kamera funktioniert sogar... auch wenn die ersten Testaufnahmen bei trübem Winterwetter nicht gerade repräsentativ sein können.
Marco Kröger 2020
letzte Änderung: 14. Januar 2021
Yves Strobelt, Zwickau
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