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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Im Einleitungstext zu den Jenaer Objektiven der 1980er Jahre habe ich beklagt, daß Neu- und Weiterentwicklungen im Bereich photographischer Objektive zwar stattgefunden haben, aber die meisten von ihnen nicht mehr produziert worden sind. Namentlich Eberhard Dietzsch hätte mit seinen Arbeiten zu Floating-Elements und Innenfokussierung für ein Aufholen zum internationalen Stand der Technik sorgen können. Aber daraus wurde nichts.
GSK – Geräuscharme Spiegelreflexkamera. Für das Ministerium für Staatssicherheit entwickelte der VEB Pentacon Dresden diese motorgetriebene Reflexkamera mit feststehendem Folienspiegel und Belichtungsautomatik. In einer Aktentasche untergebracht, benötigte sie nur eine kleine Öffnung, um unbemerkt Aufnahmen anfertigen zu können. Dafür bedurfte es dieser Sonderobjektive. Aufnahme: Detlev Vreisleben
Um so erstaunlicher sind die Erkenntnisse, wenn man sich mit der übrigen Patentüberlieferung dieses Fachmannes beschäftigt. Hier ist von "Hochauflösenden System[en] mit veränderlicher Vergrößerung und großer Übertragungslänge" [DD301.996 vom 29. Mai 1986] und "Optische[n] Weitwinkelsystem[en] zur Aufzeichnung von Informationen aus dem Inneren eines abgeschlossenen Raumes" [DD275.328 vom 2. September 1988 und DD248.889 vom 26. März 1986] die Rede. Es kann wohl kaum ein Zweifel bestehen, für welche Zwecke derlei hochkomplexe und hochspezialisierte optische Systeme geschaffen wurden.
Auch kein Geheimnis mehr ist, wofür die oben abgebildeten Optiken gedacht waren: Zur Observation durch enge Öffnungen hindurch. Auf eine eingebaute Blende wurde verzichtet – bei Bedarf wurde eine Irisblende aufgesteckt. Beim Objektiv ganz links handelt es sich übrigens um das herkömmliche Sonnar 3,5/135, das offenbar der Serienfertigung entnommen wurde (weshalb es auch zeitgenössisch mehrschichtvergütet ist). Das Sonderobjektiv in der Mitte ist ein Tessar 3,5/75 mm, das allerdings optisch nicht identisch mit dem bekannten Normalobjektiv für 6x6-Kameras ist, sondern speziell für die Geheimdienstarbeit entwickelt wurde. Nicht abgebildet ist das SO-3.2 – ein Biotartyp mit den Daten 2,8/50 mm.
1. P-Flektogon 2,8/35 mm
Besondere Aufmerksamkeit verdient freilich das Objektiv rechts: Das Weitwinkelobjektiv SO-3.1 2,8/35 mm. Auch wenn es intern als "Flektogon" bezeichnet wurde, unterscheidet es sich ganz wesentlich von den bekannten Retrofokustypen. Diese würden bei Aufsetzen einer Vorderblende einfach ganz extrem vignettieren. Beim Sonderobjektiv SO-3.1 ist gerade dies nicht der Fall. Es handelt sich daher um eine ganz und gar bemerkenswerte Sonderkonstruktion, die von Eberhard Dietzsch am 15. Juli 1976 in der DDR zum Patent angemeldet worden ist [Nr. DD301.976]. Daß Dietzsch hier etwas ganz besonderes geschaffen hatte, läßt sich daran erkennen, daß das zugehörige Patent erst am 29. September 1994 [sic!] durch das Bundesdeutsche Patentamt veröffentlicht worden ist – nachdem das DDR Patentamt den Patentschutz bereits zum 28. August 1978 erteilt hatte. Damals unter Geheimhaltung natürlich.
Wenn ich die Patentbeschreibung Dietzschs recht verstehe, dann liegt der eigentliche Kunstgriff, der all diese sich im Grunde genommen widersprechenden Eigenschaften dennoch zu vereinigen vermag, in der Formgebung des Luftzwischenraumes l1, der laut Patentschrift die Form eines sammelnden Meniskus aufweist und deshalb zerstreuend wirkt.* Das im Patent angegebene Ausführungsbeispiel in Tabelle 5, das wohl dem Serien-Objektiv zugrundeliegt und in und Figur 4 dargestellt ist, läßt zudem erkennen, daß für die Linsen fünf, sechs und sieben hochbrechendes Kronglas mit einem Brechungsindex von 1,7564 bei einer Abbezahl von 52,9 verwendet wurde. Dabei handelt es sich um das Schwerstkron SSK11, das radioaktives Thorium enthält und daher zu einer charakteristischen Vergilbung neigt. Bei den beiden mir zur Verfügung stehenden Exemplaren des SO 3.1 zeigen sich daher jeweils die typischen gelblichen Verfärbungen im hinteren Objektivteil, wie sie zwangsläufig nach längerer Dunkellagerung auftreten.
*Und weil mich ein Leser darauf hingewiesen hat, daß es widersprüchlich sei, wenn ein sammelnder Meniskus zerstreuend wirke, hier noch mal der genaue Wortlaut des Schutzanspruchs 1 des genannten Patentes DD301.976: "In Lichtrichtung vor dem Grundobjektiv wird eine konvergente Linsenkombination angeordnet, welche aus einem zum Objekt erhabenen streuenden Meniskus und einem nachfolgenden sammelnden meniskenförmigen Verbundglied, welches eine zum Objekt hohle, sammelnde Kittfläche enthält, besteht, wobei der die genannten Meniskenglieder trennende Luftraum die Form eines dünnen sammelnden Meniskus besitzt und somit streuend wirkt." Ich glaube dieser scheinbare Widerspruch läßt sich leicht aufklären. Dietzsch sagt ja, die Form des Meniskus sei sammelnd. Ein sammelnder Meniskus ist eine Linse, dessen beiden Linsenscheitel in ein und dieselbe Richtung gekrümmt sind und dessen Dicke in der Mitte größer ist als am Rand. So viel zur äußeren Gestalt. Die Wirkung kann jedoch, da es sich hierbei eben nicht um eine Linse aus Glas, sondern um eine zwischen zwei Gliedern befindliche Luftlinse handelt, trotzdem zerstreuend sein.
Eberhard Dietzsch, der dieses spezielle Weitwinkelobjektiv bereits im November 1973 abgeschlossen hatte, bezeichnete es selbst übrigens P-Flektogon:
"Bei diesem Objektiv ist der ursprünglich die Flektogone charakterisierende große Luftraum zwischen einer frontseitigen Zerstreuungslinse und einem nachfolgenden Basisobjektiv zu einem dünnen Luftmeniskus verkümmert. Das Objektiv ähnelt somit mehr einem f-Θ-Objektiv [sprich f-Theta, MK] (Bild 25). Wegen der Vorderblende erfolgt naturgemäß keine winkelabhängige Vergrößerung der Eintrittspupille wie sie – zumindest im vignettierungsfreien Fall – den eigentlichen Flektogonen eigen ist. Nicht ganz gelingen konnte die Korrektur der Verzeichnung. Trotz einer verzeichnungsbehebenden zerstreuenden Kittfläche in der letzten Linse beträgt dieser immerhin noch -5%, was aber für photographische Zwecke zulässig ist." [aus: Dietzsch: Retrofokus, 2002, S. 123.]
Der obige Ausschnitt aus dem Datenblatt weist uns noch mal deutlich darauf hin, wie außergewöhnlich dieses Objektiv ist: Eine "Lage der Eintrittspupille" mit dem Wert 0 wird man wohl sonst kaum finden. Bei einer tatsächlichen mittleren Brennweite von 36,6 mm ist die Schnittweite mit 37,3 mm knappe zwei Prozent länger und damit ausreichend für die meisten Spiegelreflexkameras. Mit 60° Bildwinkel wird zudem die Grenze zu den Weitwinkelobjektiven überschritten.
Wir wollen hier lieber nicht weiter darüber nachdenken, welche Menschen wohl mit diesen Objektiven observiert wurden. Zur ewigen Schande, mit dem die DDR verbunden ist, gehört schließlich, daß der Geheimdienst nicht nur fremde Spione belauscht hat, sondern mit großem Aufwand gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wurde. Und seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre waren das vor allem Bürger, die einfach nur ihr Menschenrecht auf Ausreise aus dem Staat wahrnehmen wollten und deshalb wie Verbrecher behandelt wurden.
Diese Politik rächte sich ohnehin im doppelten Sinne: Statt daß Photoobjektive für eine Konsumgüterproduktion auf Weltniveau geschaffen wurden, gelangten nur noch teure Geheimprojekte für das MfS in die Umsetzung. Dafür war in den 80er Jahren offenbar genügend Geld da. Mit der DDR-Photoindustrie ging es derweil steil bergab, was bis zum Untergang dieses Staates allein durch die nach wie vor großen Absatzzahlen der zum Schleuderpreis produzierten Prakticas verdeckt wurde. Die tatsächliche Lage der traditionsreichen mitteldeutschen Kamera- und Objektivbau-Betriebe wurde allen erst so richtig klar, als ab Sommer 1990 die jahrelange staatliche Subventionierung des Sektors wegfiel.
An die GSK war auch eine Langfilmkassette und eine Datenrückwand ansetzbar, um beispielsweise die Uhrzeit einbelichten zu können. Auf diesem Bild sieht man auch die auf das Sonderobjektiv aufgesteckte Irisblende, falls bei viel Licht dessen Menge reduziert werden mußte. Aufnahme: Detlev Vreisleben
Die Aufnahmen oben sind alle mit dem Zeiss Sonderobjektiv SO-3.1 2,8/35 mm bei voller Öffnung entstanden. Dafür, daß die Konstruktion eine derart kleine Frontlinse hat und die künstliche Vergrößerung der Eintrittspupille, wie sie Retrofokus-Konstruktionen normalerweise mit sich bringen, hier nicht vorhanden war, ist die Vignettierung sehr gering. Nur die Verzeichnung ist stark tonnenförmig, was aber angesichts des vorgesehenen Einsatzzweckes eine untergeordnete Rolle gespielt hat.
2. Das PI-Flektogon 2,8/30
Ein ähnliches Objektiv gab es als Sonderobjektiv SO-4 auch für die Halbformatkamera HFK des OTS. Dieses Aufnahmegerät arbeitete, anders als sein Name suggeriert, nicht mit dem Halbformat 18x24 mm, sondern mit dem quadratischen Bildformat 24x24 wie die Robot-Geräte in der Bundesrepublik. Entsprechend kleiner konnte der Bildkreisdurchmesser des Objektives ausgelegt werden. Und da es sich nicht um eine Spiegelreflexkamera handelte, konnte auch die Schnittweite mit 26,7 mm etwas kürzer als die Brennweite sein. Zudem war der Bildwinkel mit 54 Grad ebenfalls kleiner.
All diese etwas abgemilderten Forderungen zusammengenommen führte es das dazu, daß Dietzsch auf die Kittfläche in der hintersten Gruppe verzichten konnte. Außerdem fällt auf, daß diese PI-Flektogon 2,8/30 mm ohne das Schwerstkron SSK11 auskommt, wobei auf Lanthan-Flint und Lanthan-Schwerkrongläser nicht verzichtet werden konnte. Dafür war dieses Objektiv außer für den sichtbaren Bereich noch für nahes Infrarot bis 850 nm chromatisch korrigiert, worauf das "I" in der Bezeichnung hinzuweisen scheint. Es liegt nahe, daß für diese Farbkorrektur das anomal dispergierende Kurz-Flint KzF2 in der dritten Linse eingesetzt wurde, mit dem das sekundäre Spektrum kontrolliert werden konnte. Es dürfte sich bei diesem PI-Flektogon um das Beispiel 3 in Dietzsch' Patent Nr. DD301.976 vom Sommer 1976 handeln.
Wer sich näher dafür interessiert, auf welchen Umwegen Dr. Dietzsch zu diesem Aufbau gelangt ist, für den ist der unten gezeigte Aufsatz "Front stop photo lenses" empfehlenswert, der freilich erst nach der Wiedervereinigung veröffentlicht werden konnte, als diese Objektive nicht mehr "top secret" waren.
Oben ein Exemplar dieser Halbformatkamera HFK des MfS (Bild Vreisleben). An die Kamera ist hier nicht das PI-Flektogon, sondern ein T-2.2 2,8/60 mm angeschraubt. Links daneben die elektromagnetisch gesteuerte Verschlußeinheit, die vor das Objektiv gesetzt wird.
Oben dieses Objektiv 2,8/60 für die HFK von der Rückseite aus gesehen. Auch hier handelt es sich wiederum um einen sehr aufwendigen optischen Aufbau.
3. Das Mikrat-Objektiv 2805
Wenn man weggeht von der Observation hin zur Spionage, dann wurden auch in diesem Bereich für das MfS spezielle Kameras entwickelt, zu deren hauptsächlichen Einsatzfeldern das kopieren bzw. abphotographieren von Dokumenten gehörte. Da dies oftmals von verdeckten Informanten erfolgte, zum Beispiel völlig unverdächtige Sekretärinnen, mußten die geräte möglichst klein und unauffällig sein. Eine der vielen Entwicklungslinien waren ab 1962 die sogenannten Mikratkameras, mit denen ein übliches Blatt der Größe DIN A4 150-fach verkleinert auf das Format 1,4 x 2 mm gebracht und auf sehr hoch auflösenden Schichten aufbelichtet wurde. Das Material war scheibenförmig (Ringfilm genannt, 15 mm Durchmesser) und faßte 15 Aufnahmen. Begonnen wurde mit einem Triotar 8/10 mm (das möglicherweise nur eine abgeblendete Version des bekannten Objektivs der AK gewesen ist). Anschließend wurde ein Biotar 1,5/10 mm verwendet, das 1955 für Schmalfilmkameras entwickelt worden war und das für die Mikroverfilmung fest auf die Öffnung 1:4,0 abgeblendet wurde. Auch ein abblendbares Biotar 1,8/10 mm von 1956 gab es. 1973 wurde noch ein Tessar 4/10 mm entwickelt.
All diese Objektive hatten aber die Gemeinsamkeit, daß für das winzige Aufnahmeformat die Brennweite eigentlich viel zu lang war. Für eine DIN A4 Seite mußte daher ein Aufnahmeabstand von 150 cm eingehalten werden, was schwierig zu bewerkstelligen war. Ebenfalls im Jahre 1973 wurde daher ein Objektiv 2805 (Flektogon 2,8/5) entwickelt, das mit 5 Millimetern Brennweite nur noch einen halb so großen Aufnahmeabstand benötigte, was es erlaubte, von der Höhe eines Tisches aus, an dem eine Klemme befestigt wurde, ein auf dem Boden liegendes Blatt abzuphotographieren. Die Belichtungszeit betrug bei Benutzung einer Nitraphotlampe 250 W einige Sekunden.
Dieses Objektiv 2,8/5 mm wurde von Wolf Dannberg und Gerhard Risch konstruiert. Man sieht, daß es sich um eine Retrofokus-Konstruktion handelt, bei der durch einen vorgeschalteten zerstreuenden Meniskus eine mittlere Schnittweite von 5,425 mm erreicht wird, während die Brennweite nur 5,0 mm beträgt. Wohlgemerkt ist es mit 28° Bildwinkel kein Weitwinkelobjektiv. Die verlängerte Schnittweite war notwendig, um es an den vorhandenen Kameras verwenden zu können, die einen Verschluß hinter dem Objektiv besaßen.
Weiterhin fällt der unheimlich aufwendige Materialeinsatz auf. Die Hälfte der Linsen bestehen aus dem Schwerstkron SSK11. Der hohe Preis wie auch die ungünstige Transparenz dieser Glasart spielten hier jedoch eine untergeordnete Rolle, denn die Linsen waren nur etwa einen Millimeter dick und nur etwa drei Millimeter vom Durchmesser. Das Objektiv mußte sehr lichtstark sein, um ein großes Auflösungsvermögen zu erreichen, denn bei 5 mm Brennweite und derart feinen Strukturen bewegt sich dieses Aufnahmesystem in einem Bereich, wo die Abbildung durch die Beugung begrenzt wird, was bei üblichen photographischen Aufnahmen nicht der Fall ist.
Oben sieht man ein Exemplar der Miniatur-Reproduktionskamera (so der offizielle Ausdruck) Modell Uranus M, bei der das Flektogon 2,8/5 cm eingesetzt wurde. Rechts neben der eigentlichen Kamera befindet sich eine Vorratsdose für 25 Ringfilme, darunter ein als 5-DM-Stück getarnter Container zum unerkannten Transport einer entwickelten Filmscheibe. Gut ist zu sehen, wie winzig die Bildchen auf dem Film eigentlich sind. Rechts oben ist ein Okular zu sehen, das zusammen mit dem Objektiv das Prüfen bzw. Lesen der auf dem Mikrat gespeicherten Informationen ermöglicht. Unten ein derartiges Ringfilm-Mikrat in starker Vergrößerung. Bilder: Detlev Vreisleben.
4. Sonderobjektiv SO-1: Das S-Flektogon 2,8/8 mm
Im Jahre 1973 war Eberhard Dietzsch beauftragt, ein Retrofokusobjektiv zu entwickeln, das ein sehr hohes Auflösungsvermögen bieten sollte und dessen Bildleistung in einem großen Bereich des Abbildungsmaßstabes zwischen 1:∞ und 1:4 möglichst gleich gut bleiben sollte, ohne auf einen mechanischen Korrektionsausgleich ("floating elements") zurückgreifen zu müssen.
Die Lösung Dietzschs lag in einer speziell angepaßten Verzeichnungskorrektur, bei der bewußt ein Restbetrag an Distorsion am Bildrand bis -9,5 % belassen wurde, um die Bildschalen zu ebnen. Normalerweise nimmt bei einer Retrofokus-Konstruktion der Astigmatismus stark zu, wenn auf nahe Distanzen fokussiert wird. Das liegt an dem extrem asymmetrischen Bau dieser Objektive mit den stark zerstreuenden Elementen im vorderen Objektivteil, die wiederum nötig sind, um die künstlich verlängerte Schnittweite zu erzielen.
Dieser stark asymmetrische Aufbau kommt in einem sehr großen Pupillenmaßstab dieser Objektive zum Ausdruck. So ist beim Flektogon 2,8/8 mm die Eintrittspupille ist 1,8 mal kleiner als die Austrittspupille. Wird die Verzeichnung völlig korrigiert, dann zeigt ein solcher Retrofokus das oben links dargestellte Verhalten: Vor allem die meridionale Bildschale bricht im Nahbereich stark aus, was zu völliger Unschärfe am Bildrand führen würde. Beim Flektogon 2,8/8 mm konnte Dietzsch dieses Verhalten vollständig eliminieren, trotz eines Bildwinkels von 80 Grad. Trotzdem kam dieses Objektiv aufgrund seiner Baugröße wenig zum Einsatz. Die vorhandenen Exemplare wurden an einer tschechischen Kamera genutzt.
5. Sonderobjektiv SO-1.1: Das Lamegon 3,5/8 mm
Bei diesem 80-Grad-Weitwinkelobjektiv handelt es sich nicht um eine Retrofokus-Konstruktion, sondern um einen symmetrischen Typ, der wesntlich kleiner und leichter gehalten werden konnte. Hinter diesem Sonderobjektiv verbirgt sich ein sehr aufwendiges Lamegon 3,5/8 mm.
Das Bild oben zeigt, daß das Objektiv eine fest eingebaute Filmbühne hatte. Als Bildgröße war das sogenannte Minox-Format mit einer Nenngröße 8x11 mm zugrundegelegt. Es war für die Spionagekamera "Zeisig 3" vorgesehen. Die wahre Brennweite lag bei 7,82 mm +/- 2,5%. Umgerechnet auf das Kleinbildformat entsprach dies also etwa einem Objektiv von etwa 25 mm Brennweite.
Grundlage für die Lamegone war das Patent DD49.692 vom 7. Dezember 1964 von Wolf Dannberg und Ernst Rumpoldin. Dieser Grundaufbau wurde auch für Dokumar-Objektive angewandt, die im Mikrofilm-Aufnahmesystem Dokumator eingesetzt wurden. Wie das SO-1.1 zeigt, ließ sich dieser Lamegon-Aufbau auf eine für diesen Objektivtyp außergewöhnlich hohe Lichtstärke bringen. Trotzdem war in der Bildmitte eine Auflösung bis 200 Linienpaare je Millimeter zu erreichen, die am Rand auf etwa 100 Lp/mm absank.
Die Kleinheit dieses Objektives darf nicht darüber hinwegtäuschen, was für ein technischer Aufwand dafür betrieben werden mußte. Auch die Entwicklungskosten mußten mit den wenigen hergestellten Exemplaren amortisiert werden. So darf nicht verwundern, daß der Einzelpreis zunächst auf 2175,- Mark festgelegt wurde und später sogar auf ganze 5090,- Mark angehoben werden mußte.
Jedem dieser Objektive wurden vom Hersteller Testaufnahmen auf Mikratplatten bzw. Spektralplatten ORWO LP2 mitgegeben. Hier eine für das Objektiv Nr. 293.
6. Sonderobjektiv SO-1.2 3,5/5 mm
In den 80er Jahren sollte eine noch weiter verkleinerte "Miniaturkamera 13104" entwickelt werden. Dazu war das oben besprochene SO-1.1 zu groß und zu dick. Auch sollte das Bildformat verkleinert werden. Zugrunde gelegt wurde nun ein kreisrundes Blättchen Mikrofilm mit einem Durchmesser von 5 mm. Die Brennweite sollte ebenfalls 5 mm betragen. Die Gesamtlänge der Objektives lag unter 9,3 mm, der Außendurchmesser bei 8,2 mm. So klein dieses Sonderobjektiv auch war, so enorm war sein Preis: Eingebaut in die besagte Miniaturkamera kostete ein Exemplar die unvorstellbar hohe Summe von 17.650,- DDR-Mark. Das lag daran, daß optisch und mechanisch an die Grenzen das damals Machbaren gegangen wurde.
Auch hier war die Aufgabe wieder, möglichst unbemerkt Dokumente zu kopieren. Die Kamera war für das Papierformat A4 ausgelegt, der Arbeitsabstand betrug dabei praktische 275 mm, was es ermöglichte, mit aufgestützten Ellenbogen zu photographieren. Die Kamera wurde zwischen 1983 und 88 entwickelt, das Objektiv seit September 1982. Die ersten zehn Exemplare der Miniaturkamera wurden in der Wendezeit fertig. Die Vorstellung beim Genossen Minister war noch Ende Oktober 1989 vorbereitet worden, aber jener war wohl in dieser Zeit bereits mit anderen Dingen ausgelastet. Die Entwicklungskosten hatten bis dahin bei etwa anderthalb Millionen Mark gelegen, darauf entfielen fast 80.000 Mark auf die Entwicklung des Objektivs.
Entwickelt wurde das Objektiv von Rolf Wartmann und Harald Schlott. Die optische Rechnung wurde am 9. August 1984 fertiggestellt und im DDR-Patent Nr. 301.804 vom 11. September 1984 geschützt. Auch diese Entwicklung war geheim, sodaß das Patent erst 1994 veröffentlicht wurde. Wieder haben wir es mit einer Vorderblende zu tun. Die Eintrittsöffnung ist nur stecknadelkopfgroß, wie unten noch einmal deutlich werden soll.
Falls eine Blende nötig war, so konnte die fast einen Millimeter vor der Fassung liegen. Der Bildwinkel lag bei 52 Grad. Die hinterste Linsenfläche war plan, weil dort der Mikrofilm auflag. Die Schnittweite ist also praktisch gleich Null. So war eine perfekte Planlage gesichert. Nur auf diese Weise konnte das extrem hohe Auflösungsvermögen von 165 Linienpaaren pro Millimeter in der Bildmitte auch in der Praxis verwirklicht werden. Die Verzeichnung lag bei hohen 7,4 Prozent, der Lichtabfall am Rande allerdings bei nur 12 Prozent. Sehr aufwendig war zudem die Fassung, weil übliche Verfahren mit Vorschraubringen etc. nicht angewandt werden konnten.
Das erste Labormuster des SO-1.2 mit der Nummer 4 wurde am 25. Juli 1985 für 20.900,00 Mark an das MfS übergeben. Im Pflichtenheft vom 30. Januar 1986 wurde dann ein Betriebspreis pro Stück von 9565,- Mark festgelegt. Diese hohen Werte lagen auch daran, daß bei der Endabnahme der Objektive nur eine sogenannte Gutausbeute von 60 Prozent erreicht wurde.
"Das Thema ist eine spezielle Auftragsentwicklung, deren Aufgabenstellung dem Bedarf und Einsatzzweck des A[uftrag]g[ebers] entspricht. Die gesellschaftliche Notwendigkeit der Entwicklung ist damit gegeben."
Oben sieht man im Vordergrund die eigentliche Kamera (hier nur eine Attrappe), in der Mitte die Kassette und hinten die Tarnung; in diesem Falle ein Filzstift [Bild: Vreisleben.]. Unten der Aufbau dieser Miniaturkamera im "Faserschreiber-I". Es waren modernste Technologien zum Einsatz gekommen wie Laser-Mikroschweißen, Ätzen kleinster Flach-Forstfedern und neuste Plast-Spritzgußtechnik für die extrem dünnwandige Kassette.
Gerade an diesem Sonderobjektiv SO-1.2, dessen Entwicklung etwa fünf Jahre in Anspruch genommen und das dabei große Konstruktions-Kapazitäten gebunden hat, weil auch die Überführung in die Fertigung so anspruchsvoll war, läßt sich sehr gut zeigen, worin die Ursache dafür lag, daß vor allem in den 80er Jahren die Entwicklung neuer Objektive für den Konsumgüter-Markt bei Zeiss fast vollständig zum erliegen kam.
Ich danke Detlev Vreisleben für die Unterstützung
Marco Kröger 2020
letzte Änderung: 28. November 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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