Flektogon 2,8/20

Flektogon 2,8/20

Welch eine Sensation wäre dieses lichtstarke Superweitwinkel gewesen, wenn es bereits kurz nach der 1971 fertiggestellten Berechnung erschienen wäre, und nicht erst etliche Jahre später.

Zeiss Flektogon 20mm f/2.8

Zweifellos konnte sich der VEB Carl Zeiss JENA als Wegbereiter des Superweitwinkelobjektivs für Spiegelreflexkameras begreifen. Mit dem Flektogon 4/20 mm war es im Jahre 1963 erstmals gelungen, bei einem Retrofokusobjektiv den Bildwinkel auf über 90 Grad auszudehnen. Dem hatten andere Hersteller lange Zeit nichts Adäquates entgegenzusetzen. Derart kurze Brennweiten schienen unvereinbar mit dem Bauprinzip der Spiegelreflexkamera, die schließlich zwischen Objektivrückseite und Film einen großen freien Luftraum für den namensgebenden Klappspiegel benötigte. Einige Hersteller begnügten sich daher in den 60er Jahren damit, für solch große Bildwinkel behelfsmäßig ein symmetrisch gebautes Superweitwinkelobjektiv einzusetzen, das meist ihrem parallelen Meßsucherprogramm entstammte. Das hatte aber erstens den Nachteil, daß in diesem Falle die Spiegelreflexkamera zur einfachen Sucherkamera degradiert wurde, weil nämlich zweitens nur solche Kameratypen überhaupt infrage kamen, bei denen der Spiegel hochgeklappt werden konnte, ohne daß sofort der Verschluß ausgelöst wurde. Da alle Spiegelreflexmodelle Dresdner Herkunft diese Betriebsweise generell nicht erlaubten, konnte der DDR-Photoobjektivbau gar nicht erst in die Versuchung geraten, diese technische Sackgasse zu betreten. Ein 90-Grad-Superweitwinkel für die Praktica, die Exakta und die Praktina konnte demnach nur auf Basis der Retrofokusbauart geschaffen werden, und die war damals allerhöchste Spitzentechnologie.

Flektogon 2,8/20 Musterobjektiv

Dieses Musterobjektiv des Flektogon 2,8/20 war noch in einer Zebra-Fassung untergebracht. Das zeigt uns, wie weit die Entwicklungsarbeiten tatsächlich zurückreichen. Bild: Oliver Maerz

Objektive wie das Distagon 2,8/25 mm aus Oberkochen, das bald nach dem Flektogon 4/20 auf dem Markt erschien, leiteten aber bereits einen neuen Trend ein, daß nämlich die Lichtstärke der Retrofokusweitwinkel immer weiter angehoben wurde. Eberhard Dietzsch, der bereits maßgeblich am Flektogon 4/20 mm beteiligt gewesen war, versuchte daher schon während der 1960er Jahre, die maximale Öffnung des 20 mm Objektivs auf 1:2,8 zu steigern. Dazu mußte die Blende weiter nach vorn verlegt werden, was wiederum Änderungen im hinteren Systemteil bedingte. Hier näherte er sich dem typischen Tripletaufbau an, allerdings mit zwei einzelnen Sammellinsen bildseitig – ein Aufbau, den sich Dietzsch durchaus bei Retrofokuskonstruktionen anderer Hersteller abgeschaut hatte. [Vgl. Dietzsch, Retrofokusobjektive, 2002, S. 16.]

Flektogon 2,8/20 scheme

Bereits 1967 lag ein Prototyp vor, der auf dem Kaustikprüfstand für Abbildungen auf Unendlich eine ausgezeichnete Bildleistung gezeigt habe. Doch groß war die Enttäuschung, als dasselbe Objektiv auf nahe Distanzen eingestellt wurde. Hier sei der Prototyp praktisch nicht zu gebrauchen gewesen [Vgl. Ebenda]. Es waren tiefergehende theoretische Untersuchungen nötig, um diesen unerwarteten Leistungsabfall im Nahbereich erklären zu können. Bei den bisherigen Objektivkonstruktionen zeigte ein auf Unendlich korrigiertes Objektiv immer noch mindestens eine brauchbare Bildleistung, wenn auf mäßige Nahdistanzen eingestellt wurde. Der extrem asymmetrische Aufbau von Retrofokuskonstruktionen mit ihren starken Zerstreuungsgliedern im vorderen Objektivteil führte nun freilich zu einem deutlich abweichenden Verhalten. Hier trat bei größeren Abbildungsmaßstäben plötzlich ungewöhnlich starker Astigmatismus auf – verursacht durch ein extremes Ausbrechen vor allem der meridionalen Bildschale.

Prüfbericht Flektogon 2,8/20 Prototyp

Der oben gezeigte Prüfbericht kann ohne Übertreibung als ein zentrales Dokument in der Entwicklungsgeschichte der Retrofokus-Objektive bezeichnet werden. Denn das was hier an Erfahrungen mit dem Prototyp des späteren Flektogon 2,8/20 mm im VEB Carl Zeiss JENA festgehalten wurde, dürfte zweifellos auch in anderen Spitzen-Objektivbauanstalten des Weltmarktes in etwa zur selben Zeit gemacht worden sein. Auch geht daraus hervor, daß der Ursprung des Flektogons in einem Versuchsmuster V400 liegt, dessen Rechnung tatsächlich bereits zum 19. Juni 1967 fertiggestellt worden war. Es kommt aber auch zum Ausdruck, weshalb dieses lichtstarke Superweitwinkelobjektiv damals noch nicht auf den Markt gebracht werden konnte: Die Abänderungen zur Verbesserung der Bildleistung in den Randbereichen beim Muster V400A zogen Verschlechterungen in der Bildmitte mit sich.

Hervorgerufen wird diese Erscheinung durch die eigentümliche Winkelvergrößerung bzw. den stark auseinanderlaufenden Pupillenmaßstab dieser Objektivtypen. Der Pupillenmaßstab ist das Verhältnis der Durchmesser von Austritts- und Eintrittspupille. Die Eintrittspupille sieht man, wenn man aus einiger Entfernung von vorn in das Objektiv hinein schaut, die Austrittspupille entsprechend bei Betrachtung von der Rückseite. Beim alten Flektogon 4/20 war der Durchmesser der von hinten sichtbaren maximalen Öffnung 2,17 mal größer als bei Durchsicht von vorn. Bei diesem Pupillenmaßstab ergibt sich für den Fall des Flektogons 4/20, daß sich bei einer Auszugsverlängerung von einem Millimeter die sagittale Bildschale um 0,21 mm am Bildrand durchwölbt, die Meridionalschale allerdings um ganze 1,24 mm – also mehr als die Auszugsverlängerung betrug. Bei dieser Auszugsverlängerung um einen Millimeter, die einer durchaus öfter vorkommenden Einstellung auf eine Entfernung von 50 cm entspricht, ergäben sich also beträchtliche Randunschärfen, die im speziellen Fall des Flektogon 4/20 durch dessen besondere Eigenheiten nach Dietzsch aber gerade noch im erträglichen Maße geblieben seien [Vgl. ebenda, S. 17].

Pupillenmaßstab Flektogon 2,8/20

Bei dem neuen 20er Flektogon hatte das Anheben der Lichtstärke auf 1:2,8 gleichsam zur Folge, daß auch der Pupillenmaßstab noch krasser ausfiel. Das Verhältnis der Eintritts- zur Austrittspupille erreichte jetzt mit annähernd 1:2,8 den Zahlenwert des Öffnungsverhältnisses [Vgl. ebenda.], was bei Naheinstellung des Objektivs dessen Meridionalwölbung nun völlig aus dem Ruder laufen ließ. Schon beim Prototyp für das spätere Flektogon 2,8/20 hatte Dietzsch im Jahre 1967 erkannt, daß eine Korrektur dieses stark anwachsenden Astigmatismus beispielsweise durch das Verändern der Tiefe eines geeigneten Luftzwischenraums möglich sei. Noch im selben Jahre brachte die japanische Firma Nippon Kogaku ein Nikkor 2,8/24 mm heraus, das mit einem automatischen Korrektionsausgleich versehen war, der diesen Grundgedanken verwirklichte. Für das zusätzliche Verschieben von einzelnen Linsen oder Gruppen innerhalb des Objektivs beim Scharfstellen setzte sich dann in der Folgezeit der Begriff „Floating Elements“ durch. Dieses Verfahren, bei dem also innerhalb des Objektives noch einmal ein zweiter Schneckengang für einzelne Teile des Gesamtobjektivs untergebracht werden mußte, erhöhte aber den Fertigungs-, Montage- und Justageaufwand beträchtlich und wurde daher vorerst noch aus Kostengründen abgelehnt. Die Korrektur der Meridionalwölbung mit ebendieser Maßnahme hätte dann folgendermaßen ausgesehen:

Meridionalwölbung Flektogon 2,8/20mm mit Floating-Korrektur

Um ein 20-mm-Retrofokus mit der Lichtstärke 1:2,8 dennoch zu verwirklichen, schlug Dietzsch Anfang der 70er Jahre einen anderen Weg ein. Sein „Trick“ lag in einer angepaßten Komakorrektur: „Infolge eines künstlich eingeführten Asymmetriefehlers (Koma) entsteht für einen relativ weiten Abbildungsmaßstabsbereich immer noch ein gewisser Bildkern, d.h. man erhält eine ausreichende Bildqualität“ [Ebenda, S. 19.]. Dazu  unten ein Vergleich der Queraberrationen bei  einem Abbildungsmaßstab ⁠β' = 1 : ∞ (ausgezogene Linie) und  ⁠β' = 1 : 40 (was in etwa einen Aufnahmeabstand von 90 cm entspricht).

Flektogon 2,8/20mm Korrektionscharakteristik
Flektogon 2,8/20 Prototyp

Ohne die Grundkonstruktion zu verlassen, wurde das Objektiv anhand der oben geschilderten Erkenntnisse noch einmal vollständig überarbeitet. Daraus entstand das Versuchsmuster V461 vom 1. Februar 1971, das auch die Grundlage für die spätere Serienfertigung bildete. Dabei wurde aber deutlich über das Niveau des Variierens von Abständen und Linsendicken hinausgegangen. Wie in diesen beiden Zusammenstellungen erkennbar ist, sind auch in sechs der neun Linsen die Glasarten umgestellt worden [Abb.: Günther Benedix].

Flektogon 2,8/20 mm Serienversion

Diese weitgreifenden Veränderungen kamen nun quasi einer Neukonstruktion gleich. Das erkennt man auch an der ziemlich verzögerten Einführung in die Produktion. Nachdem die optische Konstruktion (intern K3 genannt) abgeschlossen war, folgte im Oktober 1973 der sogenannte Musterbau (intern: K4). Nach dem unten gezeigten Dokument wurden bis Ende April 1974 Musterobjektive des Flektogon 2,8/20 mm sowohl mit Druckblende als auch mit Druckblende und Blendenelektrik fertiggestellt. Diese Objektive hatten nachweislich alle noch die Fassungen in der sogenannten Zebra-Gestaltung, wie das weiter oben auf der Seite bereits gezeigt wurde.

Flektogon 2,8/20 Musterbau K4

Bis zum Jahresende 1974 wurde auch der Preis des Flektogons 2,8/20 festgelegt. Doch in Produktion ging es indes nicht. Es blieb beim Vorgänger 4/20 mm. Erst als längst andere Hersteller (Canon, Minolta, Leitz) derart lichtstarke Weitwinkelobjektive mit über 90 Grad Bildwinkel im Angebot hatten, begann im September 1976 doch noch die Großserienfertigung des Flektogons 2,8/20 mm. Bis dahin war jedoch die Fassung völlig überarbeitet worden. Statt Zebradesign war nun das schwarze Kreuzrändel eingeführt worden. Damit war auch die Blendenmechanik an diesen neuen Standard angepaßt worden. Man darf zudem auch davon ausgehen, daß erst die Einführung des T3-Belages abgewartet werden mußte. Angesichts der 16 Glas-Luft-Grenzflächen war eine Mehrschichtvergütung der Glasoberflächen schlichtweg unverzichtbar.

Erstes Prospekt zum neuen Flektogon 2,8/20 mm, das im Zuge des Serienanlaufs auf der Herbstmesse 1976 ausgegeben wurde. Parallel zur neuen Optik gab es auch eine neue Fassung, die nun auf den vereinheitlichten rückwärtigen Anschlußstücken fußte. Damit war endlich das 20-mm-Objektiv auch mit elektrischer Blendenwertübertragung lieferbar. Schließlich war die Praktica LLC mit dieser fortschrittlichen Art der Offenblendenmessung bereits sieben Jahre zurvor auf der Messe vorgestellt worden. Bei Verwendung des alten Flektogons 4/20 mußte die Offenblendenmessung stets abgeschaltet werden, um die Belichtung abzugleichen. Davon waren auch die Nachfolger Praktica VLC und PLC betroffen, die immerhin die teuersten Spitzengeräte darstellten. Mit dem Erscheinen des aufwendigen Zeitautomaten Praktica EE2 war nun eine Offenblendenmessung absolut unverzichtbar.

Praktica EE2 Flektogon 2,8/20

Patentiert wurde das Flektogon 2,8/20 unter der Nummer DD129.582 gar erst am 10. Februar 1977. Neben Eberhard Dietzsch ist hier noch Gudrun Schneider als Erfinderin benannt. Aus der Schutzschrift geht überdies hervor, daß auch bei diesem Objektiv ein besonderes Augenmerk darauf gelegt wurde, daß sich trotz Verdoppelung der Lichtstärke die Herstellungskosten nicht wesentlich erhöhten. Durch geschickte Konstruktion konnten die beiden Errechner dieses Objektives vermeiden, Glasarten mit extremen Eigenschaften und damit auch extremen Preisen verwenden zu müssen. Vor allem im vorderen Objektivteil mit seinen großen Durchmessern wären solche Linsen sehr teuer geworden. Die wichtigste Konstruktionsidee für das Flektogon 2,8/20 mm lag daher darin, die beim 4/20 noch inmitten des sammelnden Objektivteiles liegende Blende vor dieses zu verschieben, in den baulich günstigen Bereich hinter dem Kittglied. Mit diesem Kunstgriff konnte laut Patentschrift vermieden werden, daß die Brechkraft des zerstreuenden Teiles übermäßig erhöht werden mußte. Das hätte bedeutet, hier hochbrechende Gläser mit möglichst geringer Dispersion verwenden zu müssen (was vor allem in Bezug auf die sehr aufendigen Retrofokusobjektive gesehen werden muß, die damals beispielsweise die Firma Olympus herausbrachte). So aber konnten die Herstellungskosten im Rahmen gehalten werden.

DD129582A Flektogon 2,8/20

Es wäre müßig, an dieser Stelle die DDR-Verkaufspreise von 660,- Mark für die M42-Variante bzw. 880,- Mark für Praktica B in irgendeiner Form mit den Preisen für vergleichbare japanische oder westdeutsche Objektive ins Verhältnis zu setzen. Das verbietet die abgeschottete Wirtschaft und die spezielle Stellung von Luxuskonsumgütern in der DDR. Für DDR-Verhältnisse waren die oben genannten Preise natürlich viel Geld. Aber das war nicht unbedingt das Ausschlaggebende. Daß das Flektogon 2,8/20 mm ökonomisch gut ausgewogen war, erkennt man daran, daß es schlicht und ergreifend so lange und dabei auch in erstaunlich hohen Stückzahlen hergestellt wurde. Es dürften bis 1991 etwa 64.000 Exemplare mit M42-Gewinde und etwa 8800 mit B-Anschluß fabriziert worden sein. Bei Erscheinen des Flektogons 2,8/20 mm war das M42-Gewinde und die Praktica im Bereich der hochwertigen Amateurkamera angesiedelt. In Anbetracht dieses angepeilten Marktsegments war das Flektogon 2,8/20 mm ein hervorragendes Objektiv mit einem guten Kompromiß zwischen Preis und Aufwand sowie einer ausgezeichneten Fertigungsqualität.

Zeiss Flektogon 2,8/20

Oben die Fassung des Flektogon 2,8/20 mit M42-Gewinde, unten das Prakticar 2,8/20 mit Praktica-Bajonett

Zeiss Prakticar 2,8/20

Für erwähnenswert halte ich, daß Eberhard Dietzsch noch lange Zeit an einem würdigen Nachfolger gearbeitet hat, um auf dem internationalen Stand der Technik zu bleiben. In der Objektivzusammenstellung der 80er Jahre zeige ich das nur in geringen Stückzahlen gefertigte Prakticar 2,4/28 mm, das im DDR-Patent Nr. 149.826 vom 10. März 1980 geschützt ist (Erfindung zusammen mit Gudrun Schneider). Gegenstand dieses Patentes ist ein abbildungsmaßstabsabhängiger Bildfehlerausgleich ("floating elements"), der laut Patentschrift auch in einem weiterentwickelten Flektogon 2,8/20 mm hätte umgesetzt werden sollen. Dazu kam es leider nicht. Kürzlich habe ich zudem noch eine weitere Patentanmeldung Nr. DD221.570 von Eberhard Dietzsch entdeckt, bei dem er diese Bildfehlerkompensation noch weiter (auf die Koma nämlich) ausgedehnt und gleichzeitig die Lichtstärke des 20-mm-Objektivs auf 1:2,4 erhöht hätte. Auch diese am 2. Januar 1984 zum Patent angemeldete Weiterentwicklung in Form eines Flektogons 2,4/20 mm wurde leider nicht mehr umgesetzt.

Oben ist die Kontrastübertragung des Flektogons 2,8/20 mm bei Abblendung auf 1:5,6 gezeigt [nach Nasse: Retrofocus-Objektive - und warum sie erfunden wurden, 2011]. Angesichts dieser hohen maximalen Öffnung und des großen Bildwinkels sind das beachtliche Werte - immer vor dem Hintergrund betrachtet, daß wir uns, was die Errechnung dieses Systems betrifft, im Jahre 1971 befinden! Wenn meine Recherchen stimmen, dann gab es beispielsweise bei Canon ein 2,8/20 auch erst ab 1973, bei Nikon gar erst ab 1984. Andere Systeme, wie beispielsweise das Elmarit 2,8/19 mm von Leitz mögen besser auskorrigiert gewesen sein - bei denen waren aber auch das Komma im Verkaufspreis um eine Stelle weiter nach rechts verschoben.

Prakticar 2,8/20 Schnittzeichnung

Das Flektogon 2,8/20 mm ist selbst für den heutigen Anwender ein guter Kompromiß zwischen Abbildungsleistung und finanziellem Aufwand. Bei der Aufnahme oben wurde auf 1:5,6 abgeblendet. Die Bildmitte ist dann tadellos und auch über das Feld hinweg ist die Bildleistung gut. Einzig in den Bildecken läßt das Auflösungsvermögen sichtbar nach. Das ist aber den extrem widrigen Bedingungen geschuldet, die eine Retrofokusbauart nach sich zieht und auch die Superweitwinkelobjektive anderer Hersteller zeigen in diesem Bereich ihre Schwächen. Die qualitativen Nachteile von Retrofukusweitwinkeln werden aber meiner Ansicht nach dadurch relativiert, daß man die Bildkomposition wie gewohnt anhand des Reflexsuchers vornehmen kann. Wer schon mal versucht hat, die Kamera anhand eines fummeligen Aufstecksuchers so auszurichten, daß keine stürzenden Linien auftreten, der weiß diesen Vorteil der echten Mattscheibenabbildung über alle Maßen zu schätzen.

Das Flektogon 2,8/20 mm umgebaut auf die Leicaflex, mit der auch das obige Bild entstanden ist. Man mag ja von diesem Hersteller halten, was man will, aber die Fertigungsqualität dieser Kameras ist einfach nur ehrfurchterregend. Kein Wunder: Immerhin 1916,- D-Mark kostete diese SL mit dem Summicron, als sie vor einem halben Jahrhundert herauskam. Abwegig mutet das an ihr adaptierte Flektogon nur deswegen an, weil beide Gerätschaften von getrennten Seiten des Eisernen Vorhanges stammen. Ich möchte aber daran erinnern, daß Leitz seine Retrofokus-Superweitwinkelobjektive damals durchaus nicht immer selbst konstruiert, sondern von Schneider-Optik, später Minolta und sogar Zeiss Oberkochen zugekauft hat. Angesichts der immensen Schwierigkeiten, die das Errechnen sowie die Massenfabrikation solcher Objektive mit sich bringen, war das eine nachvollziehbare Entscheidung. Der Kamerabau allein war Ende der 60er Jahre schon schwierig genug geworden...

Practivar 20mm f/2.8

Sehr modern aufgebaut war die Fassung des Prakticar 2,8/20 mm für die Praktica Modelle mit Bajonettanschluß, für die es mit einer kugelgelagerten zirkukaren Blendenansteuerung versehen wurde und mit einer quasi als Modul entnehmbaren Blendeneinheit. Das Objektiv war nun allerdings auch noch einmal um ein Drittel teurer geworden gegenüber dem Modell mit M42-Anschluß.

Oben: Das Prakticar 2,8/20 mm bei voller Öffnung der Blende. Praktica BX20, Kodak Portra 400.

Prakticar 2,8/20

Praktica BX 20 mit Jena Prakticar 2,8/20 mm. Eingang zur Trauerhalle auf dem Jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee. Fomapan 100, Paraminophenolentwickler. Blende 4.

Marco Kröger


letzte Änderung: 21. März 2024