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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Die Exakta
Allenthalben wird die historische Rolle der Kiné-Exakta als Pionier der Kleinbild-Spiegelreflexkamera gewürdigt. Dabei wurde bislang wenig beachtet, daß diese ausgereifte Kamera nicht einfach 1936 vom Himmel gefallen ist, sondern ihr Jahre intensiver Entwicklungsarbeit vorausgingen.
Ich fange mal so an: Haben Sie sich auch schon mal gefragt, wieso die Exakta Varex genau andersrum gebaut wurde, als … sagen wir mal… 99% aller anderen Spiegelreflexkameras? Auslöser und Schnellspannhebel links. Das Kameragehäuse mit der linken Hand halten und auslösen, mit der rechten fokussieren. Ich als Rechtshänder fand das immer ungewohnt und unpraktisch, denn in der rechten Hand hat man mehr Kraft, um die meist ein wenig kopflastige Kamera festzuhalten. Gerade bei längeren Objektiven macht sich das schnell unangenehm bemerkbar. Also war meine erste Folgerung: Nüchterlein war Linkshänder. Das könnte zwar stimmen, aber dann nur zufällig, denn als stichhaltige Erklärung für die Bauweise der Exakta taugt diese eilfertige Erklärung kaum. Mein zweiter Erklärungsansatz klang da schon logischer: Bei der Exakta sind beide Kameraoberseiten durch Verschlußeinstellknöpfe belegt, links die kurzen Zeiten, rechts das Langzeitwerk. Also mußte die Rückspulkurbel auf die Unterseite der Kamera verlegt werden. Damit die Rückspulkurbel an genau derselben Seite in die Patrone eingreift, wie bei einer Kamera mit obenliegender Rückspulkurbel, mußte die Patrone rechts liegen und der Film daher nach links transportiert werden, weshalb also auch der Spannhebel, der Verschlußmechanismus und der Auslöser links liegen. Aber auch diese Erklärung war schon Quatsch, als ich sie mir hab einfallen lassen; und sie kommt mir nun noch quatscher vor, da ich sie gerade aufschreibe.
Und dann, wie der Zufall so spielt, habe ich vor ein paar Wochen eine alte Rollfilmkamera geschenkt bekommen – zufälligerweise auch eine Ihagee-Kamera, eine Parvola. Es war noch ein Film drin. Ein Rollfilm Typ A8, Voigtländer Feinkorn Bessapan 17/10° DIN, Verfallsdatum April 1945. Alles nicht mehr angerührt, seit wohl irgendeiner der damaligen Familienväter ins Felde mußte und offenbar nicht zurückgekehrt ist. Die vier Aufnahmen, die er noch auf dem Film gemacht hatte, waren zwar nun nach Öffnen der Kamera endgültig verdorben, aber ich war um eine Erkenntnis reicher. Ist es Ihnen nicht auch aufgefallen? Der Transportknopf ist links. Zufall? Offenbar nicht. Erstaunlich viele Kameras mit dem A8 Film haben den Transportknopf auf dieser Seite. Wissen Sie warum? Schauen Sie ganz genau hin! Das Geheimnis liegt in den Bildnummern versteckt, die auf dem Schutzpapier aufgedruckt sind. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund ist die bevorzugte Bildtransportrichtung des A8 Filmes von rechts nach links. Würde er andersherum transportiert, dann stünden die Bildnummern kopf. Das wäre zwar auch kein Beinbruch, aber wieso sollte ein Kamerahersteller auf Biegen und Brechen die Bildnummern auf dem Kopfe stehen lassen? Also haben sich die meisten Konstrukteure an die durch den Hersteller des Filmes vorgegebene, bevorzugte Transportrichtung und die daraus hervorgehende Position des Transportknopfes gehalten. So auch unser Karl Nüchterlein, der Mann, der die Exakta für das Ihagee Kamerawerk, Dresden ersonnen hat.
Denn – und das ist heute längst nicht mehr jedem Exakta-Freund bekannt – die Exakta ist als eine Rollfilmkamera konstruiert worden. Eine Kamera für den besagten Rollfilmtyp A8, also für 8 Aufnahmen im Nennformat 4x6,5cm. Und sie war eine ausgeklügelte, für die damalige Zeit außergewöhnlich tiefgreifend durchkonstruierte Spitzenkamera. Filmtransport, Verschlußaufzug und die Rückführung des Reflexspiegels waren miteinander gekuppelt. Das hatte es bis dahin bei keiner Einäugigen Reflexkamera gegeben. Die Konstruktion einer solchen Kamera hat viel Aufwand bereitet. Allein das Anfertigen der Zeichnungen war sehr langwierig. Immerhin befinden wir uns in einer Zeit, wo jeder Strich per Hand gezogen werden mußte. Es bestand für Nüchterlein gar kein Grund, die bisher bewährte Grundkonstruktion über den Haufen zu schmeißen und Zeichnungen, Werkzeuge, Montagehilfen usw. spiegelverkehrt neu anzufertigen, nur weil die neue Kleinbild-Exakta nicht mehr an die Transportrichtung des vorigen Rollfilmes gebunden war. Vorbilder und Mitbewerber gab es eh kaum; solche mit einem Schnellspannhebel schon gar nicht.
Die Eigenart der Exakta, „verkehrt herum“ gebaut zu sein, ist also in deren Pionierrolle begründet. Johan Steenbergens Chefkonstrukteur hat dafür in vielen Bereichen Neuland betreten müssen. Diese Arbeiten finden daher auch Ausdruck in einer recht umfangreichen Patentliteratur, auf die ich in der Folge ein wenig eingehen will, ohne daß es übermäßig technisch werden soll.
Die Evolution der Exakta im Spiegel der Patentliteratur
1. Die Standard-Exakta
Eines der frühesten Patente, die zur Exakta zu finden sind, beschäftigt sich mit der Kupplung zwischen dem Verschlußaufzug und der Rückführung des Reflexspiegels in Aufnahmeposition. Zu diesem Punkt muß zunächst einmal etwas Grundsätzliches bemerkt werden: Karl Nüchterlein gilt mit seiner Exakta als Erfinder der Einäugigen Spiegelreflexkamera DES NEUEN TYPS. Man könnte auch die Ansicht vertreten, er habe die Spiegelreflexkamera ein zweites Mal erfunden. Zumindest hat er dieser Kamerabauform zu einer bedeutenden Renaissance verholfen, die bis in die jüngste Zeit Bestand haben sollte. Freilich wurde diese Leistung anfänglich durch zweierlei Umstände ein wenig verdeckt: Einmal aufgrund der Dominanz der Heidecke’schen ZWEIÄUGIGEN Reflexkamera während der 1930er bis 1950er Jahre und andererseits durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges, der den Übergang zur EINÄUGIGEN Reflexkamera künstlich gehemmt hat. Wie ich in der Folge noch zeigen werde, konnte die Einäugige Reflexkamera den hohen technische Stand, den die Zweiäugie bereits Ende der 30er Jahre erreicht hatte, erst im Laufe der 50er Jahre übertreffen und ihre noch inneliegenden Unzulänglichkeiten überwinden. Aus Krieg und Nachkriegszeit ergaben sich also beinah anderthalb Jahrzehnte erzwungener Stagnation innerhalb der phototechnischen Entwicklung, die paßgenau vom Zweiäugigen Typ ausgefüllt werden konnte. Die Zweiäugige war die richtige Kamera zur richtigen Zeit, die die technischen Klippen des Einäugigen Typs einfach in großem Abstand umschiffte. Erst durch die konstruktive Lösung dieser technischen Klippen konnte der Einäugige Typ den ihm zustehenden Rang im Kameramarkt erklimmen. Und in dem Maße, wie nun die Einäugige Reflexkamera an Zuspruch zulegte, büßte die Zweiäugige sukzessive an Bedeutung ein.
Sehr modern für die frühen 1930er Jahre war auch der Grundaufbau der Exakta gehalten. Hatten wenige Jahre zuvor noch Holz und der Lederbalgen den Kamerabau dominiert, so waren die neuen Kleinformatkameras der Ihagee nunmehr gänzlich metallene Konstruktionen. Bemerkenswert ist das robuste Außengehäuse aus Aluminium, das von einer Spezialfirma in Heidenau bzw. Dohna geliefert wurde, in das ein die Mechanik tragendes Innenchassis gesetzt wurde. Diese Bauart hat Maßstäbe gesetzt. Zusammen mit der zeitgenössischen Contax der Zeiss Ikon AG stellte die Exakta der Ihagee Anfang der 30er Jahre auch im Hinblick auf die Fertigungstechnologie den allerhöchsten Stand der Technik dar.
Das große Verdienst Karl Nüchterleins in diesem Prozeß lag nun darin, die Einäugige Spiegelreflexkamera vom Status der ungemein schwerfälligen, voluminösen Plattenkamera des Ateliers gelöst und diesen Typus in eine wendige, schnappschußfreundliche Rollfilmkamera überführt zu haben. Inspiriert wurde er mit großer Gewißheit durch die Erfolge Barnacks und Heideckes bei der Konstruktion deren Rollfilm-Sucher- bzw. Reflexkameras. Die technische Hürde, die es bei der Umwandlung des einäugigen Typs zur Rollfilmkamera hauptsächlich zu lösen galt, war die Kupplung von Filmtransport, Verschlußaufzug und Spiegelbewegung. Bei den bis dato gebräuchlichen Einäugigen Spiegelreflexkameras des alten Typs gab es nur eine einzige mechanische Verknüpfung zwischen diesen drei Baugruppen, nämlich daß der Verschluß auslöste sobald der Spiegel aus dem Strahlengang geschwenkt wurde. Dieser Spiegel war bei diesen großformatigen Reflexkameras zumeist als Hubspiegel ausgelegt, das heißt er fiel allein aufgrund seiner Schwerkraftwirkung wieder zurück in die Betrachtungsposition. Da die alte Platten-Reflexkamera mit Drehrückteil quasi immer in derselben Lage benutzt wurde, war dieser einfache Mechanismus ausreichend. Für die Exakta, die unter anderem bei Hochformataufnahmen gedreht werden mußte, kam diese Bauweise natürlich nicht infrage. Bei ihr wird der Spiegel nicht durch den Auslösedruck gegen die Mattscheibe gelegt, sondern schnellt durch die Wirkung einer Feder nach dem Auslösen nach oben. Diese Feder muß freilich zuvor gespannt werden, indem der Spiegel zwangsweise in die Betrachtungsposition gebracht wird und dort einklinkt.
Oben: Montage des Verschlußwerkes der Standard-Exakta in den 1930er Jahren. Unten ist zu sehen, wie eine Arbeiterin den Exakta-Schriftzug auf das Außengehäuse graviert.
Nüchterlein hatte nun erkannt, daß er genau diese Spiegelrückführung mit dem Filmtransport und dem Verschlußaufzug kuppeln mußte. Nur so war es möglich, die umständliche Bedienweise der bisherigen Platten-Spiegelreflexkameras zu überwinden und diesen Kameratyp für jedermann beherrschbar werden zu lassen. Um also mit der sehr erfolgreichen Leica konkurrenzfähig zu sein, bei der ja Verschlußaufzug und Filmtransport gekuppelt waren, mußte bei der Spiegelreflexkamera des neuen Typs zusätzlich die Spiegelrückführung gekuppelt werden. Und was das betrifft, hatte Nüchterlein eine besonders zweckmäßige Lösung gefunden, die erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre verlassen werden mußte, als die Exakta einen Rückkehrspiegel erhielt. Nach seiner Erfindung nimmt eine auf der Verschlußachse sitzende Nase (2) den Spiegel mit, bis dieser arretiert ist. Alsdann dreht sich die Nase mit dem weiteren Spannvorgang vom Spiegelmechanismus weg, sodaß der Spiegel beim Auslösen frei hochklappen kann. Wie dieser Mechanismus in der deutschen Patentschrift Nr. 669.721 vom 4. Januar 1933 dargestellt ist, sieht man links, wie er in einer Kamera aussieht, ist rechts gezeigt.
Die beiden wesentlichsten Patente zur Exakta wurden im Jahre 1934 angemeldet, wobei das Schweizerische mit der Nummer 178.825 vom 11. April 1934 erst einmal nur in verfeinerter Version dasjenige schützt, was bereits Gegenstand des obigen Patentes war. Dieses als „Hauptpatent“ bezeichnete Schriftstück geht aber deutlich über die Beschreibung des eigentlichen Erfindungsgegenstandes hinaus. Hier ist nämlich der gesamte Aufbau und die Funktionsweise der Exakta bis ins Detail hinein dargelegt; bis hin zum Aufbau des Lichtschachtes und der Objektivfassung.
Ähnlich ausgelegt ist auch das Reichspatent Nr. 634.353 vom 31. August 1934. Auch hier wird die Funktion der Kamera detailreich beschrieben, obgleich die Schutzrechtansprüche sich nur auf einen ganz bestimmten Aspekt der gesamten Mechanik beziehen: Das Langzeitwerk nämlich. Karl Nüchterlein hatte ein Hemmwerk konstruiert, das wahlweise zur Steuerung langer Belichtungszeiten bis in den Bereich mehrerer Sekunden genutzt werden konnte, oder als sogenanntes Vorlaufwerk (heute allgemein Selbstauslöser genannt), das wahlweise zugeschaltet werden konnte, ohne daß die Funktion als Langzeitgeber verloren geht. Da der Verschluß der Exakta durch den in Aufnahmestellung angekommen Spiegel ausgelöst wird, braucht bei Nutzung des Hemmwerkes als Selbstauslöser nur der Spiegel in einer mittleren Warteposition arretiert werden, bis das Vorlaufwerk nach einer bestimmten Zeitspanne den Spiegel wieder freigibt, dieser gänzlich nach oben klappen kann und den Verschluß endlich auslöst.
Oben sieht man eine sehr frühe Exakta, bei der das Langzeitwerk nicht nur nicht vorhanden, sondern auch noch gar nicht vorgesehen ist. Das unten gezeigte Modell besitzt dann diese Einrichtung, die später praktisch unverändert auch in das Konzept der Kiné-Exakta übernommen wurde. Anders als beim Kleinbildmodell wurde die Standard-Exakta aber auch ohne dieses zusätzliche Regulierwerk angeboten - als Sparvariante sozusagen. Belichtungszeiten bis 12 Sekunden werden uns heute vielleicht überflüssig vorkommen, in Zeiten als Emulsionen aber durchschnittlich um die 20 Grad Scheiner hatten (also etwa 10 DIN), waren solche Belichtungsdauern aber nicht unüblich.
Als weiterer Fortschritt fällt unten der Schnellspannhebel auf, der damals eine absolute Neuheit darstellte. Darauf, daß die hier getroffene Lösung aber alles andere als perfekt war und noch viel an Konstruktionsarbeit verlangen sollte, gehe ich gleich noch intensiver ein.
In den US-Patenten Nr. 2.025.609 vom 2. Januar 1935 und 2.136.148 vom 18. Januar 1937 wurde dieser Aufbau noch weiter präzisiert und damit auch den Fachleuten außerhalb des europäischen Kontinents bekannt gemacht. Ein weiteres Merkmal dieser beiden amerikanischen Patente ist, daß sie mit ihren 19 bzw. gar 25 Schutzrechtansprüchen weit über das hinausgehen, was bis dahin in europäischen Ländern in Einzelpatenten geschützt wurde. Wieso die Ihagee so vorgegangen ist, in europäischen Patententen nur einzelne Aspekte schützen zu lassen und die Grundfunktionen nur beschreibend anzufügen, man in den USA aber bis ins kleinste Detail Schutzansprüche formuliert hat, ist mit nicht ganz klar. Vielleicht liest dies hier ja mal jemand, der sich in den Spezifika des jeweiligen Patentrechtes auskennt und zur Klärung beitragen kann.
Von den zahlreichen Patenten aus der Ära der Standardexakta möchte ich noch die Nummer DRP 590.770 erwähnen, das älteste Schutzrecht zur Exakta vom 25. Dezember 1932 (beim Patentamt scheint es keine Weihnachtspause zu geben), das sich mit der Gestaltung des Lichtschachtes beschäftigt. Ferner das DRP 647.226 vom 31. August 1934, mit dem der Mechanismus beschrieben ist, der ein Auslösen der Exakta verhindert, bevor das Objektiv in Aufnahmelage gebracht worden ist, sowie das Schweizerische Patent Nr. 175.376 vom 11. April 1934, das sich mit der Kupplung zwischen Verschlußaufzug und Filmtransport befaßt. Anders als bei einer Kleinbildkamera, wo der Filmtransport ja an die Perforation gebunden ist und immer gleichmäßig durch eine Vollumdrehung der Zahntrommel erfolgt, ist der Drehwinkel der Aufwickelspule einer Rollfilmkamera stets von der Anzahl der bereits aufgewickelten Bilder abhängig. Um also nach erfolgter Verschlußspannung die noch notwendige Filmlänge transportieren zu können, ist der Spann- mit dem Transportmechanismus per Rutschkupplung verbunden, die sich Nüchterlein mit diesem Patent hat schützen lassen.
Aus heutiger Sicht völlig unverständlich erscheint es auf den ersten Blick, weshalb bei der Standard-Exakta der Schneckengang Teil des Kameragehäuses ist. Ein Vergleich mit der oben bereits angesprochenen Parvola zeigt uns deutlich, daß der Hintergrund dafür technikgeschichtlicher Natur ist. Dies war halt genau jene Konstruktion, die die Ihagee seit ein paar Jahren erfolgreich bei ihren modernen Kleinbild-Präzisionskameras verwendete, um von den mechanisch problematischen Scherenspreizen-Konstruktionen loszukommen. Andererseits war die sogenannte Tubuskamera noch nicht verbreitet, bei der es später ganz normal war, daß das Objektiv vorne aus der Kamera herausragte. Sogar bei der Leica wurde das Objektiv damals noch versenkbar gemacht (und damit eine zusätzliche Fehlerquelle eingebaut), nur weil man von den Faltkameras gewohnt war, daß es eine Gebrauchs- und eine Transportstellung gab. Bei der Standard-Exakta erschwerte diese Bauart die Anwendung von Wechselobjektiven, weil die Meterskala Teil des Kameragehäuses war und die aufgravierten Skalen selbstverständlich nur für die Normalbrennweite galten. Die gesamte Art und Weise, wie dann der Unendlich-Abgleich vorgenommen wurde (nämlich durch eine Bohrung, in die der Unendlich-Anschlag einrastet) sorgte zudem dafür, daß jede Kamera und ihr zugehöriges Objektiv individuell aufeinander abgestimmt werden mußten. Diese Bauweise wurde später bei der Kiné-Exakta vollständig aufgegeben, der Schneckengang vom Objektivhersteller mit hergestellt und alle Objektive auf ein einheitliches Anlagemaß justiert. So waren die Objektive verschiedener Hersteller nun interkompatibel mit jeder beliebigen Kamera.
Und in noch einem anderen Bereich kann sich die Exakta ihrer Pionierrolle rühmen: Der Kupplung des Schlitzverschlusses mit einem elektrisch gezündeten Blitz. In den 30er Jahren hatte die Osram sogenannte Vakublitzbirnen herausgebracht. In diesen Birnen befanden sich dünne Folien oder Drähte aus Magnesium oder Aluminium und eine Sauerstofffüllung. Dieses Gemisch konnte durch einen kurzeitigen, kräftigen Stromfluß gezündet werden und verbrannte dann binnen vergleichsweise kurzer Zeit unter intensiver Lichtabgabe. Die Idee lag nun darin, die Zündung durch die Kamera einzuleiten und mit dem Verschlußablauf zu synchronisieren. Das ermöglichte zum ersten Male, mit der in der Hand gehaltenen Kamera zu blitzen. Dazu war es notwendig, die Blitzbirne mit der Kamera einmal in mechanischer und zweitens in elektrischer Hinsicht zu verknüpfen. Besonders viel Aufmerksamkeit mußte dem zweiten Problem entgegengebracht werden, denn anders als bei späteren Elektronenblitzgeräten erfolgt die Lichtentwicklung bei den Kolbenblitzen nicht unmittelbar nach dem Zünden. Oder andersherum ausgedrückt: Damit es genau dann zur vollen Lichteinwirkung der Blitzlampe auf den Film kommt, wenn der Verschluß vollständig geöffnet ist, muß das Zünden der Blitzlampe um eine bestimmte Zeitdauer nach vorn verlegt werden. Neben der besagten mechanischen Ausführung einer solchen Blitzeinrichtung beschäftigt sich ein britisches Patent Nr. 462.764, das am 23. Dezember 1935 angemeldet worden ist, zugleich mit diesem elektrischen Gesichtspunkt. Zur Lösung dieses Problems haben sich die Erfinder den Umstand zugute gemacht, daß bei einer Reflexkamera erst der Spiegel nach oben klappen muß, bevor der Verschluß in Gang gesetzt werden kann. Es ist also diese Spiegelbewegung, die den Synchronkontakt mit dem nötigen Vorlauf schließt (Schutzanspruch 3). Interessant ist auch, daß – im Gegensatz zu den meisten deutschen Patenten – die Urheber dieser Lösung genannt werden: Otto Diebel, Hugo Frauenstein, Emil Englisch, Hermann Schubert und Konrad Koch.
Es existiert übrigens zu dieser Thematik auch noch eine deutsche Patentanmeldung, eingereicht am 9. Januar 1936. Diese ist allerdings ein wenig mysteriös, denn leider kann ich nicht nachvollziehen, ob je wirklich ein Patent erteilt wurde. Per Zufall bin ich auf die zugehörige Nummer 1.388.756 gestoßen. Gibt man diese aber in die Recherchefunktion des Deutschen Patent- und Markenamtes ein, so erhält man lediglich das Originalschreiben des Ihagee-Kamerawerkes – und das ist ja erst einmal nur ein Patentgesuch. Der Gegenstand des Originalschreibens ist die genaue Ausbildung des Zündmechanismus für den Vakublitz. Interessant ist aber, daß außer dem mit Schreibmaschine getipptem Gesuch kein weiteres Dokument unter dieser Nummer zu finden ist. Es fällt auf, daß in diesem originalen Schriftstück unten beim Wort „Patentansprüche“ der Wortbestandteil „Patent“ durchgestrichen ist. Das deutet darauf hin, daß der Ihagee nie ein deutsches Patent auf diese Erfindung zugeteilt wurde. Trotzdem finden sich auf dem Originaldokument die Vermerke „eingetr. 15. 10. 36“ und „Bek. gem. 20. 10. 36“. Das läßt vermuten, daß sich die Ihagee diese Vakublitzeinrichtung wenigstens als Gebrauchsmuster hat schützen lassen. Auf dem rechten Bild unten sieht man, wie der tatsächliche Zündmechanismus in der Kamera aussieht. Einfach aber funktionell.
Bleibt noch abschließend zu erwähnen, daß sich Karl Nüchterlein mit dem design patent Nr. 99.297 die Formgebung seiner Exakta hat in den USA schützen lassen – und zwar auf immerhin 14 Jahre hinaus beginnend mit dem 14. April 1936. Interessant, daß diese Formgestaltungspatente (die in etwa dem deutschen Geschmackmusters nahekommen) nach amerikanischem Recht nicht veröffentlicht werden.
2. Die Kiné-Exakta
Man hat sich oft gefragt, wieso Karl Nüchterlein für seine Exakta den Rollfilm A8 (später Typ 127) zugrundegelegt hat. Dieser Film wurde halt damals als Kleinbildfilm betrachtet und war eine Zeit lang fast verbreiteter, als der vom Kino übernommene, doppelt perforierte 35mm Film. Letzterer hatte die ungünstige Eigenschaft, daß viel Filmfläche durch die Perforation verschwendet wurde. Erst später erkannte man, welchen Nutzen die Perforation für die mechanische Ausgestaltung der Kamera hatte – insbesondere natürlich in Bezug auf den Filmtransport. Der A8 Film verlangte hingegen überhaupt keine besonderen mechanischen Raffinessen in der Kamera. Wie von anderen Rollfilmen gewohnt, befand sich der Bildzähler auf dem Schutzpapier des Filmes. Die Kamera brauchte nur einen Transportknopf und ein Rotfenster in der Rückwand. Das war eine feine Sache – zumindest für den Kamerahersteller! Für den Photoamateur war der Filmtransport per Rotfenster immer ungünstig. Nur schlecht sind die Zahlen auf dem Schutzpapier zu erkennen. Ein Weiterschalten des Filmes ohne hinzusehen war ganz und gar ausgeschlossen. Dem Nutzer der Kamera wurde es schwer gemacht, damit es sich der Hersteller der Kamera leicht machen konnte. Denn der Fortschaltmechanismus einer 35mm-Kamera stellte eine große konstruktive Herausforderung dar, den die Firmen anfänglich scheuten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang an die „Kolibri“ erinnern, mit der die junge Zeiss Ikon AG glaubte, der Leica Konkurrenz machen zu können. Diese Kamera war aber von vorn bis hinten der Ausdruck einer gescheuten Konstruktionsarbeit. Es handelte sich im Grunde genommen lediglich um ein (zudem noch ausgesprochen häßliches) Gehäuse, das nur den Film aufnahm und an dem vorn ein Zentralverschluß „von der Stange“ angebaut wurde. Das hatte natürlich mit der aufwendigen Kupplung zwischen Filmtransport und Verschlußaufzug bei der Leica nicht im entferntesten etwas zu tun. Das spürte man natürlich im Zeiss-Konzern und geriet in eine gewisse Panik. Man delegierte Heinz Küppenbender nach Dresden, der gleich mehrere Entwicklungsstufen innerhalb der Kameratechnik übersprang, um seine Contax zu schaffen. Entsprechend kompliziert war diese Kamera dann auch ausgefallen. Aber anders ging es nun mal nicht, wenn man den Vorteil des 35mm-Filmes wirklich ausnutzen wollte. Ohne einen gewissen Aufwand ging es nicht. Ich möchte daran erinnern, daß Oskar Barnack ursprünglich seine Leica nur deshalb auf Basis des 35mm-Filmes entwickelt hatte, weil diese eigentlich als eine Art Belichtungsmesser für seine Filmarbeiten gedacht war. Die übrigen Vorteile wie der geringe Preis der Einzelaufnahme und die schnelle Filmfortschaltung kamen erst später als Argument hinzu.
Auch Karl Nüchterlein ist also erst einmal den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, als er den A8-Film zur Grundlage seiner Exakta machte. Aber die Entwicklung der Kleinbildkamera auf Basis des Kinéfilmes schritt unterdessen schnell voran. Zwar hatte Nüchterlein bei seiner Standard-Exakta den Filmtransport mit dem Verschlußaufzug gekuppelt, aber trotzdem mußte man sich aufs höchste konzentrieren, wenn man den Film fortschaltete, um bloß nicht über die Bildnummer hinaus zu drehen. Falls dies passierte, dann wußte man gar nicht mehr, wo man war und es kam unweigerlich zu Überlappungen oder Leerbildern. Der perforierte Kleinbildfilm konnte in dieser Hinsicht ein für alle Mal Abhilfe schaffen. Aber dazu mußte der Kamerakonstrukteur neue mechanische Lösungen für solche Probleme finden, die er zuvor auf den Filmhersteller und den Kameranutzer abgewälzt hatte.
Genau das passiert, wenn man bei der Standard-Exakta mit dem Filmtransport durcheinanderkommt. Und das geht im Eifer des Gefechts ganz schnell. Dazu ist niemand zu blöd. Auf den perforierten Kinofilm umzustellen versprach hier vollständige "Narrensicherheit".
Diese Konstruktionsarbeit Nüchterleins läßt sich wiederum wunderbar anhand der Patentliteratur nachvollziehen. Sein erstes Problem war, daß sich die Vorhangwalzen nicht mehr dort unterbringen ließen, wo sie bei der Standardexakta lagen. Das hatte damit zu tun, daß nunmehr in der Kamera eine Zahntrommel untergebracht werden mußte, um den Film perforationsgenau zu transportieren. Diese Zahntrommel mußte aber in etwa dort zu liegen kommen, wo bei der Standard-Exakta bislang die Walze des ersten Verschlußvorhanges vorgesehen war. Die erste Idee Nüchterleins lag nun darin, die Transporttrommel auf einer gemeinsamen Achse mit der Walze des ersten Verschlußvorhanges unterzubringen. Das geht, weil ja der erste Verschlußvorhang nur mit seinen Bändern auf dieser Walze befestigt werden muß und dazwischen Platz für die Zahntrommel bleibt. Obwohl diese Lösung am 15. Februar 1935 unter dem DRP 627.409 patentiert wurde, fand sie an den späteren Serienkameras keine Verwendung. Die Walze für den ersten Vorhang wurde vielmehr gegenüber derjenigen des zweiten Vorhanges angeordnet und die Bänder über Röllchen geführt, die auf der Welle des zweiten Vorhangs befestigt waren.
Die oben gezeigte, tatsächlich ausgeführte Vorhangführung war dann schließlich auch einer der wichtigsten Bestandteile des Nüchtlerein’schen Grundsatzpatentes Nr. 2.180.064, das er am 3. Februar 1937 in den USA zur Anmeldung brachte. Hier ist die Kiné-Exakta in ihren wesentlichen Zügen beschrieben und umfangreich zeichnerisch dargestellt:
Als weiteres amerikanisches Patent wäre die Nummer 2.165.903 vom 15. April 1937 zu nennen, das zum einen die Sucheranordnung der Kiné-Exakta und den zum zweiten die mit dem Lichtschachtdeckel verknüpfte Auslösesperre beschreibt:
Über den Sucher muß natürlich noch mehr gesagt werden. Eigentlich hätte ich die Beschreibung der Kiné-Exakta mit ihrem Spiegelreflexsucher beginnen müssen, denn der ist der springende Punkt an dieser Kamera. Wir wissen, wie geteilt die Meinungen über die Kleinbild-Exakta gewesen sind, als sie auf der Frühjahrsmesse 1936 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und wie skeptisch sich die Fachpresse gegenüber dem lediglich 24x36mm großen Reflexbild geäußert hatte. Die in der Folge rasch einsetzende, große Nachfrage nach dieser Kamera, die ihre Vorgängerin mit dem 127er Rollfilm binnen kurzer Zeit in den Hintergrund drängte, zeigte, daß die meisten Vorbehalte unbegründet gewesen waren. Dieser Umstand war aber nicht dem Zufall, sondern der Konstruktionstätigkeit Nüchterleins zu verdanken. Sein allererstes Patent zur Kiné-Exakta war nämlich nicht von irgendeiner mechanischen Art, sondern beschäftigte sich damit, wie man aus der nur briefmarkengroßen Mattscheibenabbildung ein brauchbares Sucherbild bekommt, anhand dessen man nicht nur die Bildkomposition vornehmen, sondern zudem noch präzise scharfstellen könne. Ich behaupte, daß Nüchterlein nicht eher mit der Umarbeitung seiner Exakta zur 35mm-Kamera angefangen hat, bevor er nicht eine befriedigende Lösung für dieses Problem gefunden hatte. Das wird insofern bekräftigt, als daß seine diesbezügliche Erfindung bereits am 13. November 1934 zum Patent angemeldet wurde [DRP Nr. 627.460], also schon zu einer Zeit, aus der die meisten Schutzschriften zur Standardexakta vorliegen.
Das Prinzip der hier angegebenen Suchermattscheibe liegt nun darin, daß diese nicht als flache Platte ausgebildet ist, sondern die der Mattfläche gegenüberliegende Seite eine linsenförmige Krümmung aufzuweisen hat. Das war aber prinzipiell nichts neues und auch nicht schutzwürdig. Der wunderbare Einfall lag aber darin, daß die Dicke des Glaskörpers so groß gemacht wurde, daß sie der Brennweite der Linse entsprach, also der Brennpunkt der gekrümmten Fläche in der Ebene der Mattfläche lag. Das brachte zwei entscheidende Vorteile mit sich: Zum einen wurde das nur 24x36mm große Mattscheibenbild um den Betrag der Brechkraft dieser Linse vergrößert, wodurch die scheinbare Größe des Sucherbildes sehr stark angehoben wurde. Zweitens stellt sich durch das Zusammenfallen von Brennweite und Linsendicke eine ausgeprägte Kollektivwirkung dieser Mattlupe ein, das heißt, daß das durch die Mattfläche diffus abgegebene Licht durch die Lupe stark gebündelt und in die Augenpupille projiziert wurde. Das ist der Grund, wieso die Bildfeldlinse der Exakta ein so beeindruckend helles, großes Sucherbild ergibt, das sonst keine andere Kleinbildkamera mit Lichtschacht zu bieten hat. Dazu mußte natürlich dieser riesige Glasklotz in die Kamera hineinkonstruiert werden. Andere Hersteller haben daher auf sowas verzichtet (und später dann lieber die flachen Stufenlinsen vom Fresnel-Typ verwendet). Für die Exakta sollte aber der Zuschnitt des Gehäuses für diesen großen Glaskörper später noch einen ganz entscheidenden Vorteil haben: Es stellte sich nämlich heraus, daß dadurch in der Kamera genügend Platz war, um auch den Prismensucher unterbringen zu können, ohne das Gehäuse großartig umbauen zu müssen. Erinnern Sie sich, wie stark Siegfried Böhm seine Praktica verunstalten mußte, um das erste Mal einen festen Prismensucher in der Kamera zu installieren.
Im US-Patent Nr. 2.147.106 vom 28. September 1937 hat sich Nüchterlein den Filmlauf in seiner Kleinbild-Exakta schützen lassen; insbesondere die Rückwand mit der Andruckplatte und der Stützrolle, die den Film gegen die Zahntrommel drückt. Überhaupt ist die Art wie der Film über die besagte Zahntrommel läuft bei Nüchterlein etwas ungewöhnlich gelöst. Normalerweise arbeiten die durch eine Friktion getriebene Aufwickelspule und die Zahntrommel gegenläufig zueinander, weil das zu einem viel günstigeren Umschlingungswinkel um die Zahnrolle führt und dadurch immer mindestens zwei Zähne gleichzeitig in die Perforation eingreifen. Bei der Exakta drehen sich aber Aufwickelfriktion und Zahntrommel gleichsinnig, weshalb der Film wesentlich weniger Kontaktfläche zur Zahntrommel hat. Ich habe versucht, diesen Zusammenhang unten einmal schematisch darzustellen.
Der Grund für diese abweichende Gestaltung des Exakta-Filmtransports lag schlichtweg darin, daß die Aufwickeltrommel direkt auf der Welle angebracht war, auf der das ganze Spanngetriebe saß. Mit dem Schnellspannhebel war diese Spule über eine Friktion verbunden, womit auch deren Drehsinn festlag. Diese Anordnung hat sich Karl Nüchterlein noch einmal gesondert in seiner amerikanischen Schutzschrift Nr. 2.266.656 vom 28. September 1937 schützen lassen. Der eigentliche Gegenstand dieses Patentes ist aber das Bildzählwerk, über dessen Notwendigkeit ich weiter oben schon einiges gesagt habe. Auch über solch ein Detail mußte sich also ein Kamerakonstrukteur nun Gedanken machen, nachdem er sich entschlossen hatte, vom Rollfilm mit seinen Bildnummern auf dem Schutzpapier abzugehen.
Es waren aber auch immer die kleinen Details, die die Exakta zu jener Spitzenkamera machten, die ein viertel Jahrhundert lang den internationalen Markt beherrschte. Dazu ist beispielsweise das Filmschneidemesser zu zählen, mit dem der damals als ungewöhnlich lang angesehene Kleinbildfilm vorzeitig abgeschnitten, herausgenommen und entwickelt werden konnte. Richtig Sinn hatte dieses Messer aber erst mit dem Modell VX nach dem Kriege, weil man dort von Patrone zu Patrone transportieren und so ohne viel Bildverlust den Film bei Tageslicht entnehmen konnte. Das ersparte in gewisser Weise ein spezielles Wechselmagazin. Das Filmschneidemesser war meiner Ansicht nach etwas typisch Nüchterlein’sches: Sehr einfach, aber auch sehr praktisch. Die Hohlwelle, in der das Messer geführt wird, dient gleichzeitig als Anschlag für die Kleinbildpatrone. Zwei Fliegen mit einer Klappe also. Patentiert wurde das ganze unter der DRP Nr. 643.039 am 1. April 1936 – kein Scherz!
Bleibt noch das Schnellwechselbajonett der Kleinbild-Exakta zu erwähnen (US Patent Nr. 2.136.149 vom 4. Juni 1937). Auch hier schlug Nüchterlein einen neuen Weg ein. Die Kleinbild-Exakta war durchweg auf Wechselobjektive ausgerichtet, die alle auf dasselbe Auflagemaß von 44,72mm +/-0,01mm abgeglichen waren. Da die Ihagee selbst keine Objektive fertigte, sondern auf möglichst viele Angebote verschiedener Objektivbauanstalten angewiesen war, bedeutete das Wegfallen jeglicher individueller Anpassungsmaßnahmen einen großen Fortschritt. Man darf allerdings auch nicht verschweigen, daß dadurch die Anforderungen an den Montageprozeß der Kamera immer anspruchsvoller wurden, weil der Hersteller nun gewährleisten mußte, daß jedes beliebige Wechselobjektiv mit jeder beliebigen Kamera "harmonieren" mußte.
3. Die Exaktas 6x6
Diese 6x6-Kameras sollen hier nur kurz angeschnitten werden. Zur Frühjahrsmesse 1939 wurde von der Ihagee eine Variante der Exakta für 12 Aufnahmen auf dem AII8 Film (Typ 120) herausgebracht. Das quadratische 6x6-Format hatte nach dem Erscheinen der Rolleiflex Ende der 20er Jahre eine enorme Verbreitung erfahren, weil es quasi zwischen den bisherigen Plattenformaten und dem Kleinbild der Leica lag, aber trotzdem ähnlich wendige und universelle Kamerakonstruktionen zuließ. Nach dem Erfolg von Primarflex und Reflex-Korelle versuchte auch die Ihagee diesem Nachfragepotential nachzukommen. Die Exakta 6x6 wurde allerdings letztlich nur in geringen Stückzahlen gefertigt, was nicht allein dem bald ausbrechenden Krieg zuzuschreiben war. Statt durch Karl Nüchterlein, der diesem Projekt von Anfang an skeptisch gegenüberstand, wurde die Exakta 6x6 federführend durch Willy Teubner entwickelt.
Zwar basierten die konstruktiven Grundlagen der Exakta 6x6 weitgehend auf den Patenten, die unter Nüchterlein für die Standard- und Kiné-Exakta erarbeitet worden waren, aber insbesondere die Kupplung von Verschlußaufzug und Filmtransport stellten schwer lösbare Herausforderungen dar. Denn schließlich konnte man mit der neuen 6x6-Kamera nicht mehr hinter den bereits mit der Kiné-Exakta erreichten Automatisierungsgrad zurückfallen. Die Zweifel Nüchterleins, daß dies kaum mit dem perforationslosen Rollfilm möglich sei, erwiesen sich letztlich als begründet. Ständig wiederkehrende Bildschrittfehler sorgten dafür, daß die Kamera sogar zurückgerufen werden mußte.
Großen Aufwand erforderte bei dieser Exakta 6x6 die Verknüpfung von Filmtransport und Verschlußspannmechanismus. Um den langen Transportweg zu ermöglichen und die nötigen Spannkräfte aufzubringen, verlegte Teubner den großen Schnellspannhebel an die Kameraunterseite. Dadurch mußten das Verschluß- und das Spanngetriebe nicht zusammen auf der Kameraoberseite untergebracht werden. Als in der Praxis unzuverlässig erwies sich jedoch die an der geöffneten Kamera zu sehende Längenabtastung und die damit verknüpfte progressive Verkürzung des Filmtransports. Bilder: Frederic Loquin.
Auch ein auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1951 [Vgl. Fotografie, 4/1951, S. 121.] vorgestelltes, von Teubner überarbeitetes Modell mußte nach erneuten Problemen mit dem Filmtransport nach kurzer Zeit wieder vom Markt genommen werden. Man erkennt diese Kamera äußerlich sofort an dem in die andere Richtung weisenden Transporthebel und an dem Entriegelungsschieber für den Lichtschacht. Die konstruktiven Grundprobleme hatten sich nicht beseitigen lassen und die Ihagee gab diesen Ansatz nun endgültig auf. Die bereits hergestellten Normalobjektive wurden später bei der vertikalen Exakta 6x6 verwendet, wofür sie serienmäßig mit einem Adapter versehen wurden, um an ihr größer dimensioniertes Bajonett zu passen.
Die Aufnahme oben ist ein Standbild aus dem DEFA-Augenzeuge Nr 11/1951, der von der Leipziger Frühjahrsmesse 1951 berichtete. Rechts ist die überarbeitete Exakta 6x6 zu erkennen. Am unteren Bildrand in der Mitte sieht man außerdem eine Rückwand für Einzelbildaufnahmen mit der Kiné-Exakta, die nicht in die Serienfertigung gelangte.
Nach diesen beiden Rückschlägen startete Teubner im Jahre 1952/53 einen dritten Versuch, durch eine vollkommene Abkehr von der bisherigen Grundkonstruktion doch noch eine 6x6-Exakta hervorzubringen. Statt des bisherigen horizontalen Filmlaufes war dieser nun vertikal ausgerichet; desgleichen der Ablaufweg des Schlitzverschlusses. Die Kamera war sehr großvolumig (und schwer), dadurch konnte aber der Verschluß- und Transportmechanismus weniger gedrängt und zudem sehr übersichtlich aufgebaut werden. Durch ein ausgeklügeltes Wendegetriebe mit zwei wechselseitigen Sperrklinken konnte erreicht werden, daß die sogenannte Aufzugscheibe beim Spannvorgang nur vorwärts und bei ihrem zurückführen auch wirklich nur rückwärts gedreht werden konnte. Dass sollte jede Fehlbedienung und Filmschrittfehler sicher ausschließen. Bilder: Frederic Loquin.
Diese dritte Exakta 6x6 war sichtlich durch Neuerungen beeinflußt, die von der schwedischen Hasselblad in den Kamerabau eingebracht worden waren. Um professionellen Ansprüchen zu genügen, hatte die Exakta 6x6 Filmkassetten (in der Bedienungsanleitung als "Rückwand" bezeichnet) verpaßt bekommen. Doch was noch heute völlige Verständnislosigkeit hervorruft: Diese Rückwände waren zwar abnehmbar, aber quasi nicht auswechselbar, weil es nämlich keinen Kassettenschieber gab. Somit konnten die Kassetten im geladenen Zustand schlichtweg nicht von der Kamera abgenommen werden, weil sonst der Film verschleiert worden wäre. Dadurch war freilich der Hauptsinn von Wechselkassetten völlig verfehlt worden, der schließlich darin liegt, mit verschiedenen Filmtypen geladene Kassetten freizügig gegeneinander austauschen zu können. Was hatte sich Teubner dabei nur gedacht?
Ein Wechsel der Kamerarückwände bei bereits begonnener Belichtung eines Rollfilmes (um beispielsweise Farbe gegen Schwarzweiß zu tauschen) war allein deshalb nicht möglich, weil bei der Exakta 6x6 die Filmschrittsteuerung Teil des Kameragehäuses war. Sie hätte dazu aber Teil der Wechselkassette sein müssen, wie das bei der Hasselblad der Fall war. Denn die Länge des nächsten Bildtransports war abhängig von den bereits gemachten Aufnahmen und die konnten ja bei verschiedenen Filmen ganz unterschiedlich sein. Von daher war die Aussage in einem damaligen Werbeprospekt "Die Rückwand der EXAKTA 6x6 ist austauschbar. Spezialkassetten zum beliebigen Wechsel des Aufnahmematerials sind in Vorbereitung." Ein technisch nicht erfüllbares Reklameversprechen.
Doch es kam noch schlimmer. Kaum war die Kamera an die Kundschaft ausgeliefert worden, folgten massive Reklamationen. Diesmal waren nicht Filmschrittfehler die Ursache, sondern eine Fehlkonstruktion bei der Befestigung der Kassetten an der Kamera. Diese wurden nicht wie bei der Hasselblad an die Kamerarückwand herangeklappt, sondern seitlich eingeschoben. Es stellte sich heraus, daß wenn die Kassette so an der Kamera angebracht wurde, wie es die Bedienungsanleitung vorschrieb, das Schutzpapier an der rechten Filmgleitschiene beschädigt wurde. Das Schutzpapier konnte nun einreißen, durchreißen, sich aufwerfen und eine Wulst bilden – genügend Anlässe, daß das Filmeinlegen bereits von Anfang an zum Schieflaufen verurteilt war.
Eilig wurde für den US-amerikanischen Markt, wohin die neue Exakta 6x6 sogleich geliefert worden war, ein Zusatzblatt gedruckt, das die bisher in der Anleitung beschriebene Vorschrift zum Ansetzen der Rückwand außer Kraft setzte. Sie sollte nun zuerst links in die Stifte eingesetzt und dann auf der rechten Seite niedergedrückt werden. Doch auch das änderte nichts daran, daß die Rückwand am Ende des Vorganges noch gegenüber dem Kamerakörper verschoben werden mußte, wobei es regelmäßig zur Beschädigung des Schutzpapiers an den scharfen Kanten der Filmbahn kam. Das wäre natürlich alles nicht passiert, wenn die Rückwände einen Kassettenschieber gehabt hätten. Dieser hätte das Material nicht nur vor Lichteinfall, sondern auch gegenüber mechanischer Beschädigung beim Anbringen an das Kameragehäuse geschützt.
Als Ausweg aus dem Desaster baute man bei einigen Kameras nachträglich die oben zu sehende Gleitschiene ein, die verhindern sollte, daß sich das Schutzpapier in das Bildfenster hineinwölbte und stattdessen über die rechte Filmschiene hinweg geführt wurde. Doch auch das brachte offensichtlich keine zuverlässige Ausmerzung des Konstruktionsfehlers. Damit war der dritte Anlauf für eine Exakta 6x6 gescheitert und die Kamera wurde überstürzt aus der Produktion genommen. Von diesem Fehlschlag hat sich die Firma Ihagee nie wieder völlig erholen können.
Selbst wenn der Film straff gespannt wurde, neigt das Schutzpapier dazu, sich so an den Seiten aufzuwerfen, wie dies oben zu sehen ist. Denkbar beste Voraussetzungen, um an der rechten Bildfensterkante beschädigt zu werden. Da half es auch nichts, nachträglich die Bedienungsanleitungen umzuschreiben. Eine Kamera muß narrensicher bedienbar sein. Und mit dem Ungeschick des Anwenders hat der Konstrukteur zu rechnen.
Als Neuerung hatte Willy Teubner für seine neue Exakta 6x6 eine nach unten wegklappende Spiegelverlängerung erfunden, die Vignettierungen des Sucherbildes bei langen Brennweiten verhinderte ohne daß dies zu Problemen mit der Schnittweite üblicher Normalobjektive geführt hätte. DDR-Patent Nr. 9037 vom 2. April 1953.
4. Die Exakta Varex
Karl Nüchterlein wurde in diesem sinnlosen Gewaltausbruch verheizt, den die Deutschen in Form einer unbändigen Barbarei über ihre Nachbarn ausgebreitet hatten, und der am Ende mit derselben Grausamkeit auf sie zurückfiel. Die Ihagee-Werke wurden wohl stark geschädigt und mußten umziehen, aber die Werkzeuge waren vorhanden und auch Lagerbestände an Fertigteilen und Rohmaterial scheinen rechtzeitig gesichert worden zu sein. So konnte die Produktion vergleichsweise rasch wieder anlaufen und die Kamera sogar weiterentwickelt werden. Ein umtriebiger Geist wie Nüchterlein war aber nicht einfach so zu ersetzen. Wie sehr er fehlte, zeigte sich Mitte der 50er Jahre, als sich eine durch Nüchterleins Nachfolger Willy Teubner von Grund auf neu erarbeite 6x6-Reflex als unausgereift, ja gar fehlkonstruiert herausstellte. Teubner war schon Ende der 30er Jahre für die 6x6-Version der Exakta verantwortlich, und Nüchterleins Zweifel an diesem Projekt sollten sich schon bald als sehr begründet herausstellen. Der damalge Schaden am Ruf der Firma hatte allein deshalb begrenzte Folgen, weil Europa und große Teile der Welt nun ohnehin in den Krieg gestürzt wurden und der Export der Kameras bald starke Einschränkung erfuhr. Von jenem zweiten 6x6-Debakel der Jahre 1953/54 hat sich die Ihagee aber nie wieder richtig erholt. Auf eine weitere Entwicklungstätigkeit im Bereich internationaler Spitzenkameras wurde von nun an verzichtet. Hinzu kamen wirtschaftspolitische Schwierigkeiten, die dazu führten, daß die Ihagee als Außenseiter innerhalb des Industriegefüges der DDR quasi nur noch so lange "gemolken" wurde, wie sich mit dem Ruf der Exakta auf den Auslandsmärkten noch Devisen verdienen ließ. Und genau so, wie die Nachfrage nach der legendären Exakta langsam einschlief, so schlief auch dieses Vorzeigeunternehmen des Dresdner Kamerabaus so langsam ein.
Das Gebäude der Ihagee in der Blasewitzer Straße im Jahre 1948. Die Spuren der Kriegseinwirkung sind noch deutlich zu erkennen. [Bild: Deutsche Fotothek]
Aber lumpen lassen hat man sich trotzdem nicht. Lange Zeit noch hat man bei der Ihagee die Kamera mit der besten Fertigungsqualität unter den Dresdner Erzeugnissen hergestellt. Materialsorgen spielten offenbar keine Rolle. Die Kamerarückwand – bei der Praktica aus Stahlblech, bei der Spiegelcontax gar nur aus Alu – war bei der Exakta aus dickem Messingblech gefertigt. Nur um die schmalen, blanken Zierleisten hinzubekommen, wurde das gesamte Außengehäuse der Exakta erst verkupfert und dann dick verchromt. In den 50er Jahren noch waren alle Schrauben aus Messing; entweder brüniert oder verchromt. Auch das Tuchmaterial für die Verschlußvorhänge wurde nach wie vor aus Westdeutschland bezogen; auf Experimente wie sie offenbar bei Zeiss Ikon betrieben wurden, ließ man sich gar nicht erst ein. Die Exakta war einige Jahre eines der bedeutendsten Vorzeigeprodukte, die dieses kleine Land aufzubieten hatte. Nicht von ungefähr arbeitet in dem Hitchcock-Film „Das Fenster zum Hof“ der von James Steward gespielte Photojournalist nicht mit irgendeiner Edixa oder sowas.
Oben: Wie im Text beschrieben: Nur um die schmalen Zierleisten so blitzen zu lassen, wurde das geamte Aluminium-Druckgußchassis der Exakta dick verchromt.
Unten: Ein großer Fortschritt für die Justage der Kamera bedeutete die Einführung der photo-elektronischen Verschlußzeitenmessung. Das war möglich, nachdem die Dresdner Firma Clamann & Grahnert (später VEB Präzitronic) ab etwa 1952 das "Kurzzeitmeßgerät MT-2" liefern konnte. Dieses Gerät ermöglichte die Ermittlung von Impulsdauern, indem während der Verschlußöffungszeit über eine Lichtschranke ein Kondensator mit Konstantstrom geladen wurde, was am Ende zu einem der Zeitdauer dieses Impulses proportionalen Spannungswert an diesem Kondensator führte. Diese Spannung wurde belastungsfrei mit einem Röhrenvoltmeter gemessen und konnte somit direkt als Zeitwert in Millisekunden angezeigt werden. Das war um Längen genauer als alle bis dahin verwendeten Verfahren, weil weder eine subjektive Einschätzung das Meßergebnis verfälschte (wie bei dem Verfahren der Leitz-Werke), noch eine photographische Auswertung vonnöten war. Die Verschlußzeiten konnten nun sowohl während der Montage als auch bei der Endkontrolle jederzeit reproduzierbar überprüft werden. In einer Ära, in der der Farbumkehrfilm mit seinem geringen Belichtungsspielraum zum dominierenden Faktor wurde, waren exakte Verschlußzeiten essentiell. [Bild: Werner Wurst]
Schon bald wagte man nach dem Kriege umfassendere Weiterentwicklungen an der Kamera. Das äußere Erscheinungsbild wurde modernisiert, das Bildzählwerk gekapselt und die Rückspulauslösung umgestaltet. Letzteres war dringend notwendig, weil es sehr leicht passieren konnte, daß man versehentlich den Rückspulauslöser verdrehte, damit den Bildtransport unbeabsichtigt ausschaltete und infolge dessen alle weiteren Bilder auf ein und denselben Filmabschnitt belichtete. Der neue Rückspulauslöser wurde selbst bei versehentlicher Verstellung sofort auf Vorwärtstransport zurückgestellt, sobald der Schnellspannhebel betätigt wurde. So richtig zufrieden war man mit dieser Lösung aber auch noch nicht. Hier hat man in den Folgejahren noch ein paar Mal nachgebessert.
Bislang waren die beschriebenen Neuerungen der unmittelbaren Nachkriegszeit nur Detailverbesserungen. Es zeichnete sich aber schon seit längerer Zeit die Notwendigkeit zu einer grundlegenden Weiterentwicklung der gesamten Kamera ab. Um 1948 war nämlich im VEB Carl Zeiss JENA die serienmäßige Fabrikation von Umkehrprismen angelaufen. Eigentlich waren diese Prismen während der Kriegszeit für eine geplante Reflexkamera der Zeiss Ikon AG entwickelt worden. Nun verzögerte sich aber deren Produktion durch verschiedene Schwierigkeiten, wodurch de facto die Exakta als erste Kamera in den Genuß dieser Einrichtung gelangte. Das ganze hatte allerdings nur provisorischen Charakter, weil das Prisma zunächst AUF den Lichtschacht gesetzt werden mußte und das Sucherbild daher nicht einwandfrei war. Es war bald klar, daß das Prisma IN die Kamera gehörte und daß diese dazu weitgreifend umgebaut werden müsse.
Doch bevor ich auf diese Arbeiten eingehe, die unter dem neuen Chefkonstrukteur Willy Teubner stattfanden, muß ich noch einmal auf den im Kriege verschollenen Karl Nüchterlein zurückkommen. Der hatte nämlich die Idee zu einem Wechselsucher für seine Exakta schon zum Patent angemeldet, als an ein Prismenumkehrsystem noch gar nicht zu denken gewesen wäre. Wie die obigen Zeichnungen aus seinem US-Patent Nr. 2.252.640 vom 23. Januar 1940 zeigen, arbeite sein Geradsichtsucher lediglich mit einem zweiten Spiegel im 45 Grad Winkel, der bekanntermaßen ein kopfstehendes und seitenverkehrtes Sucherbild lieferte. Aber angesichts des Vorteiles, den ein Einblick in die Kamera in Richtung der optischen Achse in manchen Aufnahmesituationen haben kann, wurde eine solche Anordnung trotz aller Unvollkommenheiten damals tatsächlich in der Praxis hin und wieder umgesetzt. Ich möchte an den Lichtschacht der Rolleiflex-Kameras aus den 30er Jahren erinnern, bei denen ein Spiegel eingeklappt und das Sucherbild durch eine in der Rückwand des Lichtschachts vorgesehene Lupe betrachtet werden konnte.
Diese Unzulänglichkeiten waren nun mit einem Male passé, nachdem Zeiss Jena es geschafft hatte, ein entsprechend großvolumiges Umkehrprisma mit Dachkante serienmäßig herzustellen. Teubner baute die Exakta nun so um, daß die bisherige Sucherlupe samt Gehäuse entnommen und durch einen Einsatz mit Umkehrprisma ausgetauscht werden konnte. Zum Patent angemeldet wurde diese Lösung am 25. April 1950 unter der Nummer 5410 in der noch jungen DDR (und später noch in einigen anderen Ländern). Das ist also der Geburtstag der Exakta Varex. Zu diesem Zeitpunkt war die Kleinbild-Exakta immerhin schon beinah anderthalb Jahrzehnte alt. Mit diesem Wechselsuchersystem hatte sie sich auf etliche Jahre hinaus wieder die Spitzenposition im Bereich der einäugigen Kleinbildreflexkameras gesichert. Auf den Umstand, daß man angesichts der großzügigen Auslegung des Spiegelkastens keinerlei Probleme hatte, den Prismensucher ohne Verkleinerung des Sucherbildes in der Kamera unterzubringen, habe ich schon weiter oben verwiesen.
Mit dieser Austauschmöglichkeit war die Kamera natürlich extrem variabel einsetzbar – der Namenszusatz "Varex" verweist ja darauf. Der wunderbare Lichtschachtsucher der Exakta mit seiner nur unwesentlich verkleinerten Mattlupe konnte weiterhin verwendet werden, wenn das Motiv den Einblick von oben angebracht erscheinen ließ. Mit einem Handgriff konnte aber der Lichtschachteinsatz durch den Prismensucher mit seinem für die damalige Zeit konkurrenzlos hellen und großen Sucherbild ausgewechselt werden. Und schon bald zeigten sich weitere Ausbaumöglichkeiten, nachdem die Praktiker nämlich von der Varex Besitz ergriffen hatten. Der bekannte Fachbuchautor und Optiker Georg Fiedler hatte den Vorschlag gemacht, für Mikroskoparbeiten das in diesem Fall nicht genutzte Aufnahmeobjektiv als hoch auskorrigierte Sucherlupe zu verwenden. Dazu wurde ein Suchereinsatz geschaffen, auf dem oben das Exakta-Objektivbajonett angebracht war und unten die Bildfeldlinsen des Prismensuchers eingesetzt werden konnten. Diese Anordnung hat Fiedler sogar in der Bundesrepublik am 10. Juli 1952 unter der Nummer 956.737 patentiert. Man muß aber dazusagen, daß er noch von den Normalobjektiven ohne Blendenvorwahleinrichtung ausging. Als zu jener Zeit gerade die neuen VB-Objektive eingeführt wurden, bei denen die Frontlinse tief in der Fassung lag und man nicht mehr dicht mit dem Auge herankam, lieferte die Ihagee eine gesonderte Einstelllupe mit rückseitigem Objektivbajonett.
Georg Fiedler in persona mit dem besagten Suchereinsatz.[Bild: Werner Wurst]
Bislang wenig bekannt dürfte sein, daß auch der Exakta Stereflex-Sucher patentiert wurde, denn das geschah allem Anschein nach nur in der DDR, und diese Patente waren aus verschiedenen Gründen bislang nicht leicht ausfindig zu machen. Unter der Nummer 7552 ist es Willy Teubner zugeteilt worden, nachdem dieser es am 23. Januar 1952 angemeldet hatte. Gedacht war dieser Suchereinsatz dafür, die beiden nebeneinanderliegenden Teilbilder, die die beiden Zeiss Stereovorsätze lieferten, dem jeweils zugehörigen Auge zuzuführen, sodaß bereits das Sucherbild plastisch gesehen und damit die Bildgestaltung auch nach stereoskopischen Gesichtspunkten vorgenommen werden konnte. Darüber hinaus – und das ist auch im Patent so beschrieben – war der Suchereinsatz nach Entnahme aus der Kamera und Vorsetzen eines Diahalters als Betrachter für die gerahmten Positive verwendbar. Dieses Aufnahmesystem war also sehr weit fortgeschritten, zumal Zeiss Jena auch zwei sehr hochwertige Projektoren für dieses Stereoformat im Angebot hatte.
Leider stellte sich aber im praktischen Gebrauch schnell Ernüchterung ein. Der Hauptgrund lag darin, daß der Bildwinkel der nach diesem System gewonnenen Raumbilder so klein war, daß man sehr weit weg vom Motiv zurücktreten mußte und sich dadurch oftmals kein guter stereoskopischer Effekt einstellen wollte. Auch das Hochformat erwies sich als prinzipiell sehr ungünstig. Zudem hatte bereits seinerzeit Werner Pietsch darauf hingewiesen, daß aufgrund des angewandten Funktionsprinzips mit seiner zwangsläufigen Schrägprojektion die beiden Halbbilder leicht geometrisch voneinander verschieden sind, und sie sich deshalb im Steroskop nur mühevoll und nach längerer Betrachtung miteinander zu einem Raumbild verschmelzen lassen [Vgl. Pietsch, Die Praxis der Stereo-Nahaufnahmen, 3. Auf. 1957, S. 323]. Aus diesen Gründen konnten sich die Zeiss Stereovorsätze, und damit auch der Stereflex, nie wirklich beim ernsthaften Stereoskopiker durchsetzen – trotz aller Vereinfachung der Aufnahmetechnik und aller Bequemlichkeit in der Betrachtung und Projektion.
Neben dem oben bereits beschriebenen "Fiedler-Sucher" gab es auch noch einen sogenannten "Köhler-Sucher". Hierbei handelt es sich um den normalen Prismeneinsatz, dem ein kleiner Selenbelichtungsmesser und ein zusätzlicher Newtonsucher hinzugefügt wurde. Ich erwähne das nur der Vollständigkeit halber, weil ich dazu eine Bundesdeutsche Gebrauchsmusteranmeldung Nr. 1.749.856 vom 17. April 1957 gefunden habe. Später gab es auch zwei verschiedene Prismensucher mit Innenlichtmessung, aber die waren schon ein Symptom dafür, daß die Konstruktion der Exakta von 1936 keine echten Weiterentwicklungsmöglichkeiten mehr bot.
Die einzige wirkliche technische Neuerung, die ich hier noch verkünden kann, und die auch tatsächlich noch serienmäßig umgesetzt wurde, war die Umstellung des Langzeitwerkes von Anker- auf Fliehkrafthemmung. Das hatte mehrere Vorteile: Erstens läuft so ein fliehkraftgehemmtes Laufwerk wesentlich leiser ab, zweitens hatte Herbert Reichel die Pendelgewichte seines Fliehkraftregers so gestaltet, daß sich durch einfaches Einlegen von Federringen in entsprechende Nuten die Ablaufzeit sehr genau einstellen ließ [DBP Nr. 1.012.174 vom 19. Oktober 1954]. Ein weiterer Vorteil dieser Bauweise stellte sich heraus, als die Exakta später auf die geometrische Zeitenreihe umgestellt wurde. Hier ergab sich, daß auf einmal zwei Zeiten zwischen der 1/30s und der 1/4s fehlten. Es konnte wenigstens die 1/8s neu gewonnen werden, indem man den Fliehkraftregler durch Verschieben der Pendelgewichte mit zwei unterschiedlichen Drehzahlen laufen ließ. Aber auch diese Maßnahme konnte nur schwer darüber hinwegtäuschen, daß das Konzept der Exakta mittlerweile veraltet war.
Oben das alte Langzeitwerk mit Ankerhemmung wie in einer Uhr, unten das von Herbert Reichel verbesserte mit einem Fliehkraftregler. Gut zu erkennen die in die Fliehgewichte eingelegten Federringe.
Diese unübersehbare Tatsache mag auch der Grund dafür gewesen sein, wieso die Weiterentwicklung der Exakta seit etwa 1960 sichtlich stagnierte. Die Kamera hätte komplett neu durchkonstruiert werden müssen, um mit der technischen Entwicklung mithalten zu können – in etwa so, wie die Praktica zu jener Zeit umgestaltet wurde, um als PRAKTICAmat eine Kupplung von Verschlußsteuerung und Innenlichtmessung zu ermöglichen. Dazu – und das kann man mit ziemlicher Gewißheit sagen – fehlte der Ihagee schlichtweg das Know How. Man hatte zwar gezeigt, daß man beispielsweise mit der Exa 500 eine moderne, sehr kompakte Amateurspiegelreflex entwickeln konnte, aber das trifft nur für die mechanische Ausarbeitung zu. Bestrebungen zum Einbau einer modernen Belichtungsmessung sind nicht einmal im Ansatz zu erkennen.
Man muß aber auch dazu sagen, daß der für DDR-Verhältnisse eigentümliche Rechtsstand der Ihagee seinen Beitrag zu diesem Dilemma geleistet haben mag, denn zu einer Zusammenarbeit mit dem neuen „Kompetenzzentrum“ der Kamera- und Kinowerke führte offenbar kein einziger Weg. Es kommt also nicht von ungefähr, daß die letzte Exakta aus Dresden in Wahrheit eine Praktica gewesen ist. Jene Exakta RTL1000 hatte nun endlich das, was ich oben erwähnt habe plus die dringend notwendige vollautomatische Springblende per Innenauslösung. Doch das kam nun mindestens zehn Jahre zu spät.
Um so erstaunter war ich, als ich bei der Recherche zu diesem Aufsatz auf ein Bundesdeutsches Patent Nr. 1.051.113 vom 14. Juni 1957 gestoßen bin. Herbert Scholze, Günter Fischer und Wolfgang Fickel hatten ein Konzept entwickelt, wie die Springblende vom Inneren der Kamera aus gesteuert werden könne. Das grundsätzliche Funktionsprinzip ähnelte dem, was kurz zuvor in Form der Praktisix der Kamerawerke Niedersedlitz vorgestellt wurde. Der Unterschied lag darin, daß bei der Lösung der Ihagee der Hebel zum Öffnen und Schließen der Blende direkt vom Spiegelmechanismus angetrieben worden wäre. Das interessante daran ist, daß dieser Mechanismus ohne übermäßigen Aufwand in die bestehende Exakta hätte integriert werden können. Damit hätte die Exakta zur selben Zeit eine ähnlich wertvolle Springblende zu bieten gehabt, wie die gerade in den Startlöchern stehende Praktina IIA. Wieso die Umsetzung dieser Idee unterblieb und Zeiss Jena seine Objektive mit der eher ungünstigen außenbetätigten Springblende ausstattete, erscheint also auf den ersten Blick vollkommen unverständlich
Dann ist mir allerdings eine Sache aufgefallen, die wirklich zu denken gibt: Während die Auslegungsschrift der obengenannten Patentanmeldung, die auf den 19. Februar 1959 datiert ist, noch auf das "Ihagee Kamerawerk in Verwaltung, Dresden" ausgestellt wurde, ist das letztlich am 19. März 1962 vergebene Patent der "Ihagee Kamerawerk Aktiengesellschaft Frankfurt/Main" zugesprochen worden. Das spricht natürlich Bände über die Lage dieses Dresdner Herstellerbetriebs. Die Neugründung der Ihagee in der Bundesrepublik hatte zur unmittelbaren Folge, daß die unter staatliche Verwaltung gestellte Ihagee Dresden tatsächlich den Zugriff auf ihre westdeutschen Patente verloren hatte. Nur diese aber zählten. Wir befinden uns eben zeitlich noch nicht in den 70er Jahren, da die DDR nach und nach ihre internationale Anerkennung als eigenes staatliches Gebilde erlangen konnte. Um 1960 beherrschte vielmehr der Alleinvertretungsanspruch und die Hallstein-Doktrin das deutsch-deutsche Verhältnis. Für die Sicherung der Innovationen der DDR Kameraindustrie außerhalb des abgeschottenen Ostblocks besaßen offenbar nur diejenigen Patente eine wirkliche Rechtskraft, die beim Patentamt in München vorlagen, nicht aber in der Ostberliner Mohrenstraße.
Diese ständig drohende Gefahr, die eigenen Erfindungen und damit letztlich auch die daraus hervorgegangenen weltmarktfähigen Produkte über Nacht an bundesdeutsche Konkurrenzfirmen zu verlieren, hatte zur Folge, daß ab der zweiten Hälfte der 50er Jahre quasi keinerlei der zahlreichen Entwicklungsschübe des DDR-Kamerabaus mehr von der Entwicklungsabteilung des Ihagee Kamerawerks Dresden ausgingen und sich daher auch nicht in den Erzeugnissen dieses Herstellers wiederfanden. Ja, nicht einmal die Errungenschaften der zusammengelegten Forschungsabteilung der Kamera- und Kinowerke, wie die moderne Verschlußsteuerung oder die Innenmeßtechnologie, wurden an die Ihagee "ausgeliehen". Auch die vielen hoffnungsvollen jungen Ingenieure, die in Dresden nach 1945 ausgebildet worden waren, wurden dem Ihagee Kamerawerk zugunsten des volkseigenen Kamerabaus regelrecht vorenthalten. Ihre geradezu sprühenden Ideen, die dem DDR Kamerabau zwischen Mitte der 60er und Mitte der 70er Jahre dann ein letztes goldenes Jahrzehnt einbringen sollten – während übrigens in der Bundesrepublik die Photoindustrie zur selben Zeit beinah vollständig von der Bildfläche verschwand – dieses Innovationspotential der Nachwuchsgeneration an Konstrukteuren stand Ende der 50er Jahre angesichts einer rechtlich unsicheren Lage der Herstellerbetriebe ernsthaft auf dem Spiel. In einem ähnlich gelagerten Fall nämlich, dem wenige hundert Meter entfernten VEB Zeiss Ikon, führte diese Zwangslage sogar dazu, daß jener Betrieb und die mit ihm verknüpfte weltbekannte Marke im Jahresverlauf 1957 kurzerhand vollständig aus dem Bewußtsein getilgt wurde. Man könnte also plakativ formulieren: Der VEB Zeiss Ikon und die Ihagee Dresden waren deutsche Vorzeigebetriebe, auf deren Rücken der Kalte Krieg ausgetragen wurde. Und an dieser schweren Bürde sind beide letztlich zerbrochen.
Um 1960 hatte die Exakta mit den Modellen IIa und IIb ihre größte technische Reife erlangt. Das Außengehäuse, das nun aus einem einzigen Aluminium-Druckguß-Körper bestand, sorgte für hohe Stabilität und Präzision. Und das bereits angesprochene geräuschgedämpfte Langzeitwerkwerk markierte einen Höhepunkt im Bau mechanischer Hemmwerke. Das konnte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die restliche Verschlußmechanik auf dem technischen Stand der Mitte der 30er Jahre stehengeblieben war. Die Art und Weise, wie die Verschlußzeiten gebildet wurden, war längst überholt und hätte während der 50er Jahre eigentlich massiv umgestaltet werden müssen. Besonders kritisch gestaltete sich die 1/1000 Sekunde, deren konstanter Ablauf über das Bildfenster hinweg nur durch das „Bastelgeschick“ der Monteure sichergestellt werden konnte. Wieviel konstruktiver Aufwand betrieben werden mußte, um auch in rationeller Großserienfertigung exakt ablaufende Schlitzverschlüsse herstellen zu können, das beweisen die während dieser Zeit angemeldeten Patente der Kamera-Werke Niedersedlitz, auf die ich im Aufsatz zur Praktina und Praktisix ausführlich eingehe. Das Verschlafen dieser Weiterentwicklungen während der Zeit höchster Prosperität war hauptverantwortlich dafür, daß die Ihagee nach 1960 so rasch an Konkurrenzfähigkeit einbüßte.
Wie gesagt: Um 1960 hatte die Exakta ihre größte Reife erlangt. Was nun folgte war von technischer Stagnation und ökonomischem Bedeutungsverlust überprägt. Übrig davon blieb die "Exaktica". Mehr dazu ganz am Ende des Aufsatzes.
Thema des obigen Aufsatzes war ja, die Entwicklung der Exakta als Urtyp der modernen Spiegelreflexkamera anhand der Patentliteratur nachzuvollziehen. Nun habe ich natürlich auch Patente aufgetan, die nicht unbedingt etwas zu dieser speziellen Rolle der Exakta beizutragen haben. Da ich sie aber trotzdem als technikgeschichtlich relevant ansehe und sie vielleicht für den ein oder anderen Exakta-Freund interessant sein mögen, möchte ich sie hier noch nachreichen.
So wurde beispielsweise am 6. August 1957 ein bundesdeutsches Gebrauchsmuster Nr. 1.755.699 angemeldet, das die aus jeder Exakta seit dem Modell IIa bekannte Filmandruckplatte zum Inhalt hat. Endlich kann ich auch den Grund für die seltsame Formgebung dieser Andruckplatte angeben: Lange Zeit wurden diese Andruckplatten aus plangeschliffenem, eloxiertem Aluminiumblech hergestellt, weil man meinte, so am besten die Planlage des Filmes sicherstellen zu können. Das Problem ist aber, daß sich durch die polierte Oberfläche eine ausgeprägte Adhäsion gegenüber dem Filmmaterial bildet, die zum einen den Bildtransport schwergängig macht und zum anderen zur elektrostatischen Aufladung des Schichtträgers führt. Folge daraus ist, daß der Film feinste Staubpartikel anzieht, die ihn anschließend in Form der bekannten „Telegraphendrähte“ verkratzen. Durch schwergängigen Transport können zudem lästige Hemmungen auftreten. Also hat man diese Andruckplatte mit den „Bubbeln“ hergestellt, wie wir sie auch aus jeder Exa kennen. Das hatte gleichsam den Vorteil, daß diese Erhebungen eine versteifende Wirkung beisteuerten, weshalb diese neue Andruckplatte wesentlich billiger aus dünnem Blech hergestellt werden konnte.
Am 20. Juli 1956 wurde in der Bundesrepublik ein Gebrauchsmuster Nr. 1.742.658 angemeldet, das das bekannte Auslösegestänge betrifft, mit dem bei Verwendung von Auszugsverlängerungen die Springblende mit dem Kameraauslöser verbunden werden konnte. Für die Praktina mit ihrer modernen Innenauslösung der Springblende gab es damals übrigens schon die viel bequemer handhabbaren Stößelzwischenringe; für die Praktica folgten sie bald.
Auch für das bekannte Vielzweckgerät existiert ein Patent. Willy Teubner hat es sich am 12. September 1952 in der DDR unter der Nummer 13.818 schützen lassen. Die sehr stabile Grundkonstruktion des Balgengerätes wurde später von Pentacon übernommen und bis in die 80er Jahre hinein gefertigt. Auch so etwas wie der Diakopiervorsatz war zur damaligen Zeit etwas sehr vorteilhaftes. Mit ihm war es zum Beispiel möglich, von einem Mutternegativ mehrere Kopien auf Positivfilm zu ziehen um beispielsweise Lichtbildervorträge zu erstellen. Der helle, große Spiegelreflexsucher der Exakta half, erstmals in solche photographischen Randgebiete vorzustoßen. Auch die bis dahin gebräuchlichen speziellen Mikroskopkameras ("Miflex") wurden immer stärker von der rationell arbeitenden Kleinbildspiegelreflex verdrängt.
5. Karl Nüchterlein als Erfinder der Innenlichtmessung
Abschließend möchte ich noch auf einen Entwicklungspfad eingehen, dessen Bedeutung Karl Nüchterlein erkannt hatte, obwohl er, was die technische Realisierbarkeit seiner Ideen anbelangt, der Zeit um mehrere Jahrzehnte voraus war. Deshalb sind aus diesem Metier auch nur Patentanmeldungen übrig geblieben, jedoch keine tatsächlich umgesetzten Produkte. Gemeint ist die später als Innenlichtmessung bekannt gewordene Belichtungsmessung auf Basis einer Auswertung der Leuchtdichte des Sucherbildes.
Hier erkennt man eine Eigenschaft Nüchterleins – die er übrigens mit Barnack gemein hatte – die ihn nicht nur als konstruierenden Ingenieur, sondern auch als photographischen Praktiker charakterisiert. Wie ich in diesem Aufsatz darzustellen versucht habe, hatte er die moderne Form der Einäugigen Reflexkamera geschaffen. Zweck dieser Kamerabauweise ist es, daß Sucherbild und Aufnahmefeld durch Verwendung ein und derselben Abbildungsoptik identisch sind. Zu der Zeit, als Nüchterlein sich offenbar mit dieser Belichtungsmeß-Problematik zu beschäftigen begann, hatte die Zeiss Ikon AG gerade die Contaflex herausgebracht. Bei dieser Kamera waren Aufnahmeobjektiv, Sucherobjektiv und Belichtungsmesser als einzelne Baugruppen übereinander angeordnet und schauten quasi alle aus ihrer „eigenen Perspektive“ auf das Motiv. Die logische Schlußfolgerung Nüchterleins, der die Schwächen dieses Aufbaus erkannt hatte, war, daß nicht nur Aufnahme- und Sucherobjektiv miteinander zu vereinigen seien, sondern auch der Belichtungsmesser durch dieses vereinigte Objektiv „schauen“ müsse. Egal welche Objektivbrennweite, egal welche Auszugsverlängerung, egal welcher Filter – immer ergäbe sich der korrekte Belichtungswert.
Vom 28. Juli 1939 liegt nun eine schon oft zitierte Patentanmeldung [DRP Nr. 722.135] vor, die sich mit dieser Problematik auseinandersetzt und einen Lösungsansatz anbietet. Um es gleich vorwegzunehmen: Dieser Ansatz wäre nicht wirklich praktikabel gewesen. Das ganze Problem bei der Innenlichtmessung dreht sich nämlich darum, wo genau innerhalb der Kamera die Meßzelle untergebracht ist und wie sie ihren Anteil am Sucherlicht erhält. Denn es ist – so wie ich es oben schon beschrieben habe – eine solche Innenlichtmessung nur dann sinnreich, wenn man die Beobachtung des Sucherbildes und die Messung gleichzeitig vornehmen kann. Nüchterleins Idee lag nun darin, die Selenzelle rahmenförmig um die Suchermattscheibe herum anzuordnen. Diesen Rahmen habe ich in der Patentzeichnung einmal rot nachgezeichnet. Zu diesem Patent vom Sommer 1939 gehört übrigens eine Gebrauchsmusteranmeldung Nr. 1.455.106 vom 30. Juni 1938, mit dem diese rahmenförmige Selenzelle geschützt wurde (rechtes Bild oben).
Eine derartige Ausführung der Sperrschichtzelle als Rahmen hätte natürlich bedeutet, daß man alles mögliche ausgemessen hätte, nur nicht das, was wirklich den Bildinhalt ausmacht. Darüber, welche Anteile der Leuchtdichte des Sucherbildes zur Messung herangezogen werden, um zu brauchbaren Meßergebnissen zu gelangen, hat man sich aber erst etwa 25 Jahre später Gedanken gemacht. Gerhard Jehmlich (1927 - 2018) hat also aus diesem Blickwinkel recht, wenn er Nüchterleins Patent als „für einen praktischen Einsatz absolut unbrauchbar“ bezeichnet [Vgl. Jehmlich: Zur Entwicklung der TTL Belichtungsmessung, vormals unter www.phototechnik-online.de]. Recht hat er aus Sicht eines Ingenieurs, der in den 60er Jahren bei Pentacon selbst umfangreiche (statistische) Vorarbeiten zur Gutausbeute bei der Innenlichtmessung geleistet und damit zur Ausarbeitung funktionstüchtiger Meßsysteme beigetragen hat.
Aber diese Beurteilung ist natürlich aus Sicht des Historikers nicht ganz statthaft, denn sie verkennt, daß erst jemand einen ersten Schritt gehen mußte, damit Leute wie Jehmlich den zweiten beschreiten konnten. Bevor sich Nüchterlein also mit Fragen der Gutausbeute der Innenlichtmessung hätte auseinandersetzen können, mußte er erst einmal einen Weg finden, diese Meßmethode überhaupt in ihren Grundfunktionen zu realisieren. Um es noch einmal zusammenzufassen: Eine Innenlichtmessung ist nur dann sinnvoll umgesetzt, wenn die Bestrahlung der Meßzelle gleichzeitig mit der Bestrahlung Suchermattscheibe stattfindet und dadurch das Sucherbild während der Messung sichtbar bleibt. Daraus ergibt sich als dritte Forderung, daß natürlich auch gleichzeitig die Meßanzeige im Sucher erkennbar sein muß, um das Resultat der Messung ablesen zu können, während man mit dem Sucher das zu messende Bilddetail anvisiert. Nüchterlein mußte also erst einmal einen Weg finden, diese drei Vorgänge gleichzeitig miteinander zu verknüpfen. Und genau das ist der Inhalt seines angeführten Patentes Nr. 722.135 – auch wenn das nicht explizit in den Patentansprüchen steht.
Wie ich bereits weiter oben angedeutet habe, ist ein Patent nicht immer nur als Schutz eines fertigen Produktes zu verstehen, sondern auch als Möglichkeit zur Veröffentlichung eines Forschungs- und Entwicklungsstandes. Aus genau diesem Blickwinkel heraus muß das Reichspatent Nr. 722.135 gesehen werden. Und daß die Gebrauchsmusteranmeldung für die zugehörige Meßzelle schon mehr als ein Jahr vorher erfolgte, deutet darauf hin, daß das Patent 722.135 schon nicht mehr den Stand seiner Entwicklung von 1939 wiederspiegelt. Denn interessanterweise gibt es vom 28. Juli 1939 noch eine zweite Patentanmeldung, die später unter der Nr. 736.468 veröffentlicht wurde. Auch wenn beide Patente am selben Tag angemeldet wurden, so zeigt das letztere doch bereits eine deutliche Weiterentwicklung. Hier sind die Photoelemente nicht mehr rahmenförmig um die Mattscheibe angeordnet, sondern innerhalb des Sucheraufsatzes, also über der Mattscheibe. Damit hätte er vollintegrierend die gesamte Leuchtdichte des Mattscheibenbildes ausgemessen. Das hätte also vom Meßprinzip her dem der PRAKTICAmat entsprochen, die 25 Jahre später herausgebracht wurde und die daher natürlich auf einem ganz anderen technischen Niveau konstruiert war.
Dieselbe Meßanordnung wurde am 23. Januar 1940 auch in den USA angemeldet und später unter der Nummer 2.297.428 veröffentlicht. In dieser Schrift wurden noch die beiden oben rechts gezeigten Zeichnungen beigefügt, die den Sucheraufsatz und die genaue Anordnung der vier Selenzellen innerhalb dieses Sucheraufsatzes verdeutlichen.
Soweit so gut. Aber nicht gut genug für Karl Nüchterlein. Gerhard Jehmlich hätte seinen Aufsatz „Zur Entwicklung der TTL Belichtungsmessung“ sicherlich anders angefangen, wenn er das Patent gekannt hätte, das mir noch in die Hände gefallen ist. Ebenfalls am 23. Januar 1940 angemeldet, wurde es Nüchterlein unter der Nummer US 2.330.613 dreieinhalb Jahre später zugesprochen. Bei diesem Patent sitzt die Selenzelle hinter einem (offenbar halbdurchlässigen) Spiegel. Diese Methode, die Meßzelle(n) hinter dem Spiegel anzuordnen oder aber das Licht, das durch den halbdurchlässigen Spiegel fällt, zu bündeln und anschließend auf eine Meßzelle zu lenken, ist später noch sehr häufig angewendet worden. Auch die erste serienmäßig hergestellte Spiegelreflexkamera mit Innenlichtmessung, die Topcon RE super, hatte den Lichtempfänger in Form eines Großflächenphotowiderstandes direkt hinter dem Spiegel angeordnet. Das war also durchaus ein tauglicher Entwicklungspfad, den Karl Nüchterlein hier aufgezeigt hatte. Daß er damals noch keine Photowiderstände zur Verfügung hatte und die Selenzelle wohl nur schwer eine ausreichende Empfindlichkeit erreicht hätte, ändert an seiner Entdeckerleistung nicht das mindeste. Karl Nüchterlein – darauf möchte ich mich nach Durchsicht dieses Patentes festlegen – muß als Erfinder der Innenmeßtechnologie an Einäugigen Spiegelreflexkameras betrachtet werden.
Dabei ging dieses Patent 2.330.613 endlich weit über die Beschreibung eines bloßen Funktionsprinzips hinaus. Diese Entwicklung Nüchterleins war weit fortgeschritten. Das Drehspulmeßwerk war als Bestandteil des Kameragehäuses angedacht und der Zeiger hätte auf einer transparenten Skala direkt die Zeitwerte angezeigt, die am Verschluß hätten eingestellt werden sollen. Eine Art Arbeitsblendenmessung also. Selbst an die Eingabe eines Korrekturfaktors zum Beispiel für verschiedene Filmempfindlichkeiten war gedacht (Schutzanspruch 3). Ich schätze diese ganze Anordnung so ein, daß sie zwar noch nicht perfekt gewesen wäre, aber durchaus hätte befriedigend funktionieren können. Mir fällt sofort eine Kleinstbildkamera „MEC 16 SB“ ein, bei der das vom Objektiv kommende Licht auf eine Selenzelle fiel, die erst kurz vor der Aufnahme aus dem Strahlengang wegschwenkte. So etwas ist also durchaus erfolgreich produziert worden. Aber leider nicht von der Ihagee, denn die wurde zur Zeit der Patentanmeldung Nüchterleins gerade auf Kriegsproduktion umgestellt.
Übrigens hatte sich Nüchterlein schon am 1. Juli 1938 eine solche Anordnung des Meßwerks patentieren lassen [DRP Nr. 683.238]. Dabei war, wie oben auf der Abbildung zu sehen, der Meßwerkzeiger gekröpft, damit sich nur dessen Spitze auf der Mattscheibe abzeichnete und das übrige Sucherbild nicht störte.
Angesichts des technischen Niveaus, das man bereits um etwa 1939 herum bei der Ihagee erreicht hatte, mutet es schon beinah tragisch an, daß dieselbe Firma zwei Jahrzehnte später eine Anordnung zum Gebrauchsmuster anmeldete, wie sie oben gezeigt ist [„Spiegelreflexkamera mit Belichtungsmesser“, DBGM Nr. 1.801.534 vom 1. Juli 1959]. Das hatte nun mit Innovationskraft rein gar nichts mehr zu tun. Man fragt sich, wieso man solchen Murks überhaupt hat schützen lassen. Denn wie ich weiter oben schon ausgeführt habe, gehört zu einer praxistauglichen Innenmeßtechnologie, daß Sucherbetrachtung, Messung und Meßwertablesung GLEICHZEITIG vorgenommen werden können.
Als einzig interessant an dieser Idee ist anzusehen, daß eine Verknüpfung des Meßmechanismus mit der Springblendenautomatik zu erkennen ist. Und letztere war in Form einer zirkularen Ansteuerung vorgesehen. Ich möchte daran erinnern, daß die japanische Firma Topcon kurze Zeit darauf das Exakta Bajonett um eine zirkular gesteuerte vollautomatische Springblende erweitert hat. Später gab es sogar eine mechanische Offenblendenmessung. Diese hochmodernen Erweiterungen geschahen alle auf Grundlage von Nüchterleins Bajonettanschluß aus den 30er Jahren. Von der Ihagee wurde nichts dergleichen herausgebracht. Die interne Blendenauslösung der Exakta RTL 1000 ging dann bereits vollständig auf die Inititaive der Kamera- und Kinowerke zurück.
Das einzige was man in diese Richtung wirklich noch auf den Markt gebracht hat, das war die auf der Herbstmesse 1957 vorgestellte Ihagee Lichtmesseinrichtung (kurzzeitig auch Makrolux benannt, vgl. Bild und Ton Heft 10/1957, S. 271.). Die hatte nun die Eigenschaft, überhaupt nicht mit der Kamera verbunden zu sein und dadurch auch nichts Innovatives zu bieten. Nicht einmal eine Anzeige genormter Belichtungswerte war vorgesehen – man konnte nur ein beliebiges Mikroamperemeter anschließen und anhand von Testaufnahmen eine individuelle Eichung vornehmen. Das war aber insofern nicht weiter tragisch, da die Lichtmeßeinrichtung ohnehin nicht für den normalen photographischen Alltagsgebrauch geeignet war, sondern schon aufgrund der auszugsverlängernden Wirkung nur für ganz spezielle Einsatzzwecke innerhalb der Mikro- und Makrophotographie. Zum Gebrauchsmuster [Nr. 1.741.458] angemeldet wurde dieser Spezialbelichtungsmesser in der Bundesrepublik am 25. Oktober 1956.
Denjenigen Ansatz also, den Karl Nüchterlein in den Jahren 1938…40 aufgezeigt hatte, einen Belichtungsmesser derart in die Kamera zu integrieren, daß nur das an der Aufnahme beteiligte Licht gemessen wird, konnte die Ihagee mangels ingenieurtechnischer Kompetenz nicht wieder aufgreifen. Selbst den Einbau eines Außenbelichtungsmessers in die Kamera und dessen Kupplung mit der Verschlußeinstellung war offenbar nicht hinzubekommen. Bekannt von einem Prototypen ist lediglich der Versuch, den Belichtungsmesser wenigstens mit der Blendeneinstellung zu kuppeln, indem man diesen auf das Objektiv aufsetzte. Dazu habe ich ein letztes Gebrauchsmuster Nr. 1.803.403 gefunden, das am 17. August 1959 in der Bundesrepublik angemeldet wurde. Der Preis für die Unfähigkeit, den Belichtungsmesser in die bestehenden Kamerakonstruktionen zu integrieren, bestand darin, daß eine Kupplung mit der Verschlußzeiteinstellung ausgeschlossen war. Also wurde vorgeschlagen, den Verschluß der Kamera auf nur eine einzige Zeit zu begrenzen. Eine Spiegelreflexkamera mit nur einer Verschlußzeit? Selbst die einfachsten Amateurkameras jener Zeit wie die Beirette oder die Pentona hatten davon mindestens drei zu bieten. Mit dieser Lösung wäre eine Ihagee-Spiegelreflexkamera nurmehr auf das Niveau einer simplen Box herabgestuft worden. Kein Wunder, daß ein solches Projekt im Prototypstatus steckengeblieben ist. Es fehlte der Ihagee schlichtweg am nötigen Innovationspotential.
Oder aber ein durchaus vorhandenes Innovationspotential kam in diesem traditionsreichen Kamerawerk nicht mehr zur Wirkung, sondern wanderte nach und nach in die Volkseigene Kameraindustrie ab. Denn, wie oben bereits angesprochen, fällt immer wieder auf, wie diese sowie die meisten anderen bundesdeutschen Gebrauchsmusteranmeldungen und Patente 1960 einfach durch das Münchner Patentamt auf die Ihagee Kamerawerke AG Frankfurt Main übertragen wurden. Aus Sicht der Dresdner wäre daher jede Anmeldung weiterer Innovationen unter dem Label Ihagee nichts als Perlen gewesen, die man vor den „Klassenfeind“ geworfen hätte.
Oben habe ich mal ein typisches Beispiel aus den vielen späten Gebrauchsmustern des Ihagee Kamerawerks Dresden ausgewählt, das im Frühjahr 1960 einfach auf die neue Ihagee Kamerawerk Aktiengesellschaft Frankfurt/Main umgeschrieben wurde.
Unten die Ausgabeschrift des Bundesdeutschen Patentes 1.051.113. Es betrifft die innengesteuerte Springblende, die ich oben bereits erwähnt hatte und bei der ich mich gefragt habe, wieso man dieses richtungsweisende Konzept denn nicht umgesetzt hat. Der Grund liegt schlichtweg darin, daß die Erteilung des Patentes im März 1962 direkt für die Ihagee Frankfurt/Main erfolgte, sodaß die Leute in Dresden keinen Zugriff mehr auf diese Erfindung hatten. Daher mußten die neuen ASB-Zeissobjektive weiterhin mit dem von den SB-Objektiven bekannten Auslegern geliefert werden.
Mit einem neuen Namen und zwei unterschiedlichen TTL-Belichtungsmessereinsätzen versuchte man in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, den Niedergang der Exakta auf den westlichen Exportmärkten aufzuhalten. Durch das veraltete Konzept der Kamera war aber weder eine Kopplung des Belichtungsmessers mit ihr, noch mit dem Objektiv machbar. Im Vergleich zu einer Pentax Spotmatic oder sogar einer Praktica Super TL war diese Form der Innenlichtmessung aufgrund der umständlichen Bedienung allerdings in keinster Weise mehr konkurrenzfähig.
Neben dem oben gezeigten Travemat von Schacht, Ulm, den es auch für andere Kameras gab, wurde der Examat von Harwix, Westberlin, exklusiv für die Exakta hergestellt. Bei Letzterem fällt der besonders einfache aber sehr geschickt gelöste Aufbau auf, bei dem der Photowiderstand über dem Okular liegt. Das ergibt eine integrale, mittenbetonte Messung. Dasselbe Prinzip der Innenlichtmessung wurde bei der Exakta RTL1000 angewendet, nur daß dieser Meßeinsatz mit der Verschlußeinstellung gekuppelt war.
Die Exakta RTL1000 war dann 1969 "nur" noch eine Praktica L mit einigen spezifischen Besonderheiten. Dazu gehörte auch der hochwertigere Metarialeinsatz, bei dem sämtliche Deckteile aus dickem, verchromtem Messing bestanden, statt aus verchromten Kunststoffteilen, wie bei der Praktica L-Reihe. Die RTL1000 war eine zeitgemäße Kamera - wenn auch, was die Innenlichtmessung betraf, ein wenig verkorkst. Schon etliche Jahre vorher hatte die japanische Firma Topcon nicht nur eine innengesteuerte Springblende, sondern auch eine Offenblendenübertragung in das Nüchterlein'sche Exaktabajonett integriert. Mit der RTL1000 hatte Pentacon wenigstens die moderne Springblende ergänzt. Keinen Sinn hätte es freilich ergeben, eine mechanische Offenblendenmessung wie bei Topcon einzubauen, denn das hätte gegenüber der zeitgleich erschienenen Praktica LLC mit ihrer Blendenelektrik einen Rückschritt bedeutet. Ältere Exakta-Objektive wären zu diesem System ohnehin nicht kompatibel gewesen. Also kam eine umständlich zu bedienende, mit dem Objektiv nicht gekuppelte Innenlichtmessung dabei heraus. Dieser unbefriedigende Zustand wurde erst fünf Jahre später mit der quasi als Nachfolgemodell anzusehenden Praktica VLC überwunden. Und an dem Punkt war dann auch die Ära des Exaktabajonettes endgültig abgelaufen.
Im Text oben habe ich meine Verwunderung bezüglich einiger patentrechtlicher Fragen geäußert. Unser Leser Dieter Riebe hat bezüglich der "Patentnummer" 1.388.756 folgendes geschrieben: "In der Regel wurde mit einem Patentantrag hilfsweise ein Gebrauchsmusterschutz für die Erfindung beantragt. Diese sind in den Patentlisten, die man beim DPA aufrufen kann leicht an dem Buchstaben U am Ende der Nummer zu erkennen. Auch die "Patentnummer" 1.388.756 ist ein Indiz dafür. Die Patentnummern im Januar 1936 lagen erst bei etwa 624.000 während die Gebrauchsmusterschutz-Nummern der angegebenen entsprechen. [...] Nicht jedes Patent wurde akzeptiert, aber doch sehr viele Gebrauchsmusteranträge, deren Schutz meist unterschätzt ist."
The development of the Exakta as refelcted in the patent literature.
Karl Nüchterlein - The inventor of the TTL-metering technology at single lens reflex cameras
Marco Kröger 2016
letzte Änderung: 2. Juni 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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