Prakticar 2,4

Prakticar 2,4/50

Feinoptisches Werk Görlitz

Hierbei handelt es sich um ein sehr bemerkenswertes Normalobjektiv, das meiner Ansicht nach viel zu wenig geachtet wird. Mit seiner kurzen Fassung harmoniert es wunderbar mit der Kompaktbauform der neuen Praktica B-Reihe ab 1979. Und auch die Bildleistung ist angesichts des lediglich vierlinsigen Aufbaus für Amateurzwecke völlig ausreichend. Gerade was diesen Punkt betrifft, lohnt es sich, ein wenig tiefer in die Geschichte zurückzublicken:


Seit den 1930er Jahren hatte sich nämlich der Tessartyp sehr gut als Normalobjektiv für die Kleinbildkamera eingeführt. Bei einer Bildwinkelausnutzung um die 50 Grad läßt sich dieser teilverkittete Tripletabkömmling allerdings nur bis zum Öffnungsverhältnis von etwa 1:4,0 wirklich gut auskorrigieren. Geht man darüber hinaus, dann wird das Bild von einer gewissen Weichheit überlagert, die man aber deswegen in Kauf nehmen kann, weil schon bei leichter Abblendung ein starker Anstieg der Schärfe- und Brillanzwerte zu verzeichnen ist. Damit wird ein eigentlich „überöffneter“ Tessartyp schnell wieder zum Spitzenobjektiv. Mit einem Öffnungsverhältnis von 1:2,8 ist aber wirklich das Ende der Fahnenstange erreicht. Eine weitere Verbesserung der Bildleistung bei voller Öffnung ist dann auch mit sehr teuren Spezialgläsern kaum noch zu schaffen, weil die vier Glassorten und die sieben Linsenradien nur wenig an Variationsmöglichkeiten zulassen. Bereits im Jahre 1935 (!) wurde daher bei Zeiss Jena versucht ein Tessar 2/5cm zu schaffen, bei dem eine asphärisch deformierte Linse zum Einsatz kam (Versuche 10 und 11 aus 1935). Dieser Entwicklungspfad, trotz Erhöhung der Lichtstärke bei vierlinsigem Aufbau bleiben zu können, indem man Asphären in den Tessartyp einführt, war zwar ein vielsversprechender Ansatz, aber gleichzeitig seiner Zeit viel zu weit voraus.

Prakticar 2,4/50mm

Objektivbaufirmen sind daher oftmals den Weg gegangen, zu mehrgliedrigeren Objektivkonstruktionen zu wechseln; beispielsweise dem Biotartyp. Solch ein Objektiv wird angesichts des höheren Linsenaufwandes aber nicht nur teurer was den Materialverbrauch betrifft, sondern auch der Aufwand in der Fertigung erhöht sich merklich. Der Grad der Gesamtzentrierung eines Objektives beispielsweise ergibt sich aus der Summe der Zentrierfehler der einzelnen Elemente und Kittgruppen. Die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Präzision müssen auch in der Massenfertigung erfüllt werden können – sonst nützt der ganze Übergang zur „besseren“ Konstruktion nichts oder wird gar infrage gestellt. Ein Beispiel dafür ist das Biometar 2,8/50. Im Jahre 1956 hatte Harry Zöllner für das Mittelformat 6x6 das Biometar 2,8/80 durchgesetzt, weil das vorige Tessar 2,8/80 für diese Lichtstärke und den großen Bildwinkel von 54 Grad hoffnungslos überfordert war. Angesichts dieses Erfolges hat man sogleich auch ein Biometar 2,8/50 für die Kleinbildreflexkamera errechnet (Versuch 224 vom 2. Juli 1956). Im Labortest auf hochauflösenden Mikratplatten ergab dieses Objektiv tatsächlich ein besseres Auflösungsvermögen als das Tessar 2,8/50. Bei der praktischen Anwendung auf normalem Filmmaterial in der normalen Kamera verschwanden diese Qualitätsvorsprünge aber, sodaß es für die Herstellerfirma zur damaligen Zeit nicht gerechtfertigt erschien, auf den wesentlich aufwendiger zu fertigenden fünflinsigen Gaußtyp zu wechseln. [Vgl. Zöllner, Harry: 70 Jahre Tessar; in: Fotografie, 1972, S. 32/33.] So blieb es bis 1987 beim Tessar 2,8/50.


Anders sieht es aus, wenn durch weiterentwickelte Aufnahmematerialien sowohl die Qualitätsanforderungen an die Bildleistung wachsen, als auch gleichzeitig die Lichtstärke angehoben werden soll. Hier war mit dem Tessartyp nicht mehr weiterzukommen. Eine leichte Erhöhung der Lichtstärke ist bei Spiegelreflexkameras aber schon deshalb vorteilhaft, weil sich mit dem helleren Sucherbild besser scharfstellen läßt. Bei Meyer-Optik Görlitz arbeiteten daher Hubert Ulbrich, Wolfgang Hecking und Wolfgang Gröger an einem Normalobjektiv mit 50mm Brennweite, bei dem die Lichtstärke auf 1:2,4 angehoben werden konnte, ohne daß (wie zuvor beim Zeiss Biometar) eine Erhöhung des Linsenaufwandes in Kauf genommen werden mußte. Das Resultat wurde am 23. August 1968 unter der Nummer 70.182 in der DDR zum Patent angemeldet (und später auch in der Bundesrepublik und in Österreich). Durch Aufspaltung des Tripletabkömmlings in vier Einzellinsen wurden zusätzliche freie Korrekturparameter geschaffen, die eine allgemeine Leistungssteigerung bei gleichzeitig erhöhter Lichtstärke möglich machten. Ausschlaggebend dafür war die zweite Linse; ein Meniskus mit geringer Brechkraft aber genau abgestimmter Durchbiegung. Außerdem fallen die für damalige Verhältnisse ausgesprochen hochbrechenden Gläser auf. Alle Brechahlen liegen deutlich über 1,6. Es kamen die Schwerkrone SK 24 und SK 6, das Schwerflint SF 17 sowie das Schwerstkron SSK 5 zum Einsatz.

Prakticar 2,4/50 Schema

An dieser Stelle kann ich auch erstmals den korrekten Linsenschnitt des Prakticars 2,4 angeben. Der bisher im Internet kursierende stammt von einem japanischen Objektiv. Ausschlaggebend für das Prakticar 2,4/50 ist nämlich die zweite, meniskenförmige Linse, die zwar nur geringe Brechkraft aufweist, aber aufgrund ihrer Mittendicke wesentlich zur guten Korrektur dieses Typs beiträgt. Man erkennt nun auch, daß es sich gar nicht um einen in Einzelelemente aufgespaltenen Tessartyp handelt; vielmehr wird in diesem Linsenschnitt die Grundbauform des Bertele'schen Ernostars erkennbar.

Dieses interessante Objektiv lag dann allerdings ein Jahrzehnt in der Schublade. Für die M42-Kamera wurde es nicht fabriziert, weil Carl Zeiss Jena das Segment des Mittelklasse-Normalobjektivs mit dem in hohen Stückzahlen ausgestoßenen Tessar 2,8/50 besetzt hielt. Das änderte sich erst mit Erscheinen der Praktica B200 Ende der 70er Jahre. Für dieses Modell wurde zwar noch ein Zeiss Prakticar 2,8/50 geschaffen, das das Tessar 2,8/50 aus dem Jahre 1947 in einer mehrschichtvergüteten Version enthielt. Letzteres wurde allerdings nur in kleiner Serie gefertigt, weil sich offenbar der stark gestiegene Verkaufspreis nicht in Einklang mit einer über 30 Jahre alten Objektivkonstruktion bringen ließ. Kostete das Tessar 2,8/50 in der M42-Variante mit Druckblende 140,- Mark, so hatte sich das Zeiss Prakticar 2,8/50 MC mit 320,- Mark über alle Maßen verteuert. Sogar das wesentlich aufwendigere Görlitzer Prakticar 1,8/50 war mit 305,- Mark deutlich preiswerter.

Prakticar 2,4/50 1. Version

Das Prakticar 2,4/50 gibt es in zwei Fassungsvarianten. Die linke mit Gummigriffelementen ist auf größere Kompaktheit ausgelegt, die rechte auf preiswerte Produktion ("Ratio").

Das war die Einstiegsschance des Görlitzer Vierlinsers, der nun als Prakticar 2,4/50 für 275,- Mark erhältlich war. Er war modern aufgebaut, hatte eine recht gute Bildleistung und war flach geraten. Damit paßte er ideal zur neuen Kompaktbauweise der Praktica B200. Der günstige Preis (es war das billigste Objektiv mit B-Bajonett) konnte offenbar auch dadurch erreicht werden, daß es von Anfang an in Auftragsproduktion bei IOR in Rumänien hergestellt wurde. Daher stand dieses Objektiv auch noch als Erstausrüstung zur Verfügung, als während der 1990er Jahre die Nachwende-Praktica BX20s von der Schneider Feinwerktechnik bzw. der Pentacon GmbH vertrieben wurde.

Praktica B200 Prakticar 2,4/50

Schon im ersten Prospekt zur neuen Praktica B 200 aus dem Jahre 1978 (!) war das Kompaktobjektiv Prakticar 2,4/50 mm auffallend prominent vertreten. Damals war es sogar noch mit dem Zusatz "electric" versehen.

Praktica B200 Prakticar 2,4/50
Prakticar 2.4/50

Die dunkle Jahreszeit bringt es ans (spärliche) Licht; erst hier trennt sich die sprichwörtliche Spreu vom Weizen: Taugt das Objektiv was und taugt auch derjenige, der es bedient? Im Sommer, wenn das Licht im Überfluß vorhanden ist, dann sind beide kaum herausgefordert. Auf 8 oder 11 abgeblendet, liefert selbst das billigste Objektiv brauchbare Ergebnisse und die Schärfentiefe erspart das exakte Scharfstellen. In der lichtarmen Jahreshälfte jedoch, da hat man mitunter nur die Wahl zwischen einer leichten Weichheit des Bildes, weil man mit offener Blende arbeiten muß oder einer völlig verdorbenen Aufnahme, weil man dieselbe durch allzu ängstliches Abblenden verrissen hat. Dabei zeigt das obige Bild, das bei völlig geöffneter Blende aufgenommen wurde, daß die Gelegenheit, eine interessante Lichtstimmung einfangen zu können, viel wertvoller ist, als vollkommene Schärfe. Und was das betrifft, erfüllte das Prakticar 2,4/50 für den Amateur genau jenen Zweck. Das kann heute noch jeder nachempfinden, der diese Objektive eben nicht an eine Digitalkamera schraubt, sondern sie mit denjenigen Kameras benutzt, für die sie ehedem geschaffen worden sind. Ganz authentisch ist das Ganze freilich trotzdem nicht: In der DDR gab es keinen Farbnegativfilm mit 30 DIN.


M. Kröger, April 2016


letzte Änderung: 19. August 2023