Prakticar 2,4

Prakticar 2,4/50

Ein Normalobjektiv in Ernostar-Bauweise

Kein Photoapparat ohne Objektiv. Was so logisch klingt hat freilich ernsthafte Konsequenzen. Ein Objektiv ist nach wie vor der aufwendigste und mithin teuerste Bestandteil einer Kamera. Das liegt nicht nur am Preis der eingesetzten Materialien, sondern auch am unheimlich arbeitsintensiven Enstehungsprozeß von Markenobjektiven. Schon die Herstellung des optischen Glases ist sehr energieaufwendig und langwierig, das Schleifen und Polieren der Linsen erfordert viel menschliches Zutun und Prüfarbeit und auch das Herstellen der Fassung und die Montage aller Bauteile läßt sich nur begrenzt automatisieren. Es kommt also nicht von ungefähr, wenn sich ein Kamerahersteller gewisse Gedanken um die Objektivausstattung seiner Erzeugnisse macht und vor allem für seine auf Wechselobjektive ausgerichteten Kameras optische Ausstattungen auf einem unterschiedlichen Preisniveau anbietet. Und in dieser Hinsicht macht es durchaus etwas aus, wenn ein Objektiv nur vier statt sechs Linsen benötigt.

Prakticar 2,4/50mm

Diese Gedankengänge muß man also im Kopfe haben, wenn man sich fragt, weshalb ein Kamerahersteller seinerzeit ein Objektiv wie das Prakticar 2,4/50 mm in das Angebot aufgenommen hat.  Dessen kurz gebaute Optik erlaubte auch eine entsprechend kurz gebaute Fassung, die dem Hersteller Materialeinsatz einsparte und dem Anwender weniger Gewicht aufbürdete. Die Kompaktbauweise von Spiegelreflexkameras lag in der zweiten Hälfte voll im Trend und viele Amateure begrüßten es, ein preiswertes und nicht zu ausladendes Objektiv an der Kamera mitzuführen. In diesem Sinne war es dem VEB Pentacon Dresden mit der neuen, kompakt gebauten Praktica B200 im Jahre 1978/79 gelungen, diesem Trend zu folgen und auch der VEB Feinoptisches Werk in Görlitz konnte mit dem kurzen und leichten Prakticar 2,4/50 mm seinen Teil dazu beitragen.

Praktica B200 Prakticar 2,4/50

Schon im ersten Prospekt zur neuen Praktica B 200 aus dem Jahre 1978 (!) war das Kompaktobjektiv Prakticar 2,4/50 mm auffallend prominent vertreten. Damals war es sogar noch mit dem Zusatz "electric" versehen.

Praktica B200 Prakticar 2,4/50

Dabei ist die optische Konstruktion dieses Normalobjektivs ganze zehn Jahre älter als die Praktica B-Reihe. Sie stammt aus einer Zeit, als der VEB Pentacon Dresden gerade zum Kombinat gewandelt worden war und der bis dahin eigenständige VEB Feinoptisches Werk in Görlitz nun integraler Bestandteil dieses Kamera-Kombinates wurde. Es ist als deutliches Anzeichen hernehmbar, wie der Görlitzer Objektivbau nun noch stärker auf die Erfordernisse des Dresdner Kamerabaus ausgerichtet werden sollte. Das Patent für das spätere Prakticar 2,4/50 wurde bereits zum 23. August 1968 unter der Nummer 70.182 angemeldet. Zu dieser Zeit befand sich gerade die später sehr erfolgreiche Praktica L-Reihe in der Entwicklung und der VEB Pentacon hatte ganz offenbar die Absicht, ein eigenes Normalobjektiv der preiswerten Kategorie in das Angebot aufzunehmen. Wir wissen heute, daß dies unterblieb. Stattdessen wurde das Oreston 1,8/50 mm zum einzigen hauseigenen Normalobjektiv. Und damit es möglichst rationell herstellbar war, wurde die Fassung überarbeitet und "entfeinert". Damit konnte für die Version ohne Blendenelektrik der Preis bei 183,- Mark gehalten werden. Für den Käufer mit geringeren Ansprüchen wurde weiterhin das Tessar 2,8/50 mm vom VEB Zeiss Jena in sehr großen Stückzahlen gefertigt. Dieses Objektiv war mit 140,- Mark auch im Verkaufspreis nicht zu unterbieten.


Erst durch die Praktica B-Reihe wurde dieses Gefüge ab 1978 wieder aufgebrochen. Der völlig neue Fassungsaufbau, der durch das Bajonett und die zirkulare Ansteuerung der Springblende nötig wurde, verlangte eine komplette Umkonstruktion der gesamten Fassung. Zwar hatte der VEB Zeiss Jena auch das Tessar dieser Umgestaltung unterzogen und sogar seine Linsen mehrschichtvergütet, doch dieses Prakticar 2,8/50 mm wurde nach nur kurzer Fertigungsdauer wieder eingestellt. Die Objektivkonstruktion stammte immerhin aus dem Jahr 1947 und mit dem auf 320,- Mark angestiegenen Verkaufspreis war es selbst für die Mangelverhältnisse in der DDR nun nicht mehr absetzbar. Sogar das vom Oreston abgeleitete Prakticar 1,8/50 war mit 305,- Mark noch deutlich preiswerter und dabei qualitativ wesentlich deutlich besser.

Prakticar 2,4/50 1. Version

Das Prakticar 2,4/50 mm gibt es in zwei Fassungsvarianten. Die linke mit Gummigriffelementen ist auf größere Kompaktheit ausgelegt, die rechte auf preiswerte Produktion ("Ratio"). Aber auch die Ratio-Fassung ist vollständig aus Aluminium gefertigt.

Jetzt wurde eine Alternative zum Tessar endlich konkurrenzfähig. Bei Pentacon hat man daher nach zehn Jahren die Konstruktion von 1968 wieder hervorgeholt und ein ziemlich bemerkenswertes Objektiv herausgebracht. Es lohnt sich, etwas näher auf seine interessanten Konstruktionsdetails einzugehen. Die Vorgabe bei Pentacon lag damals darin, das Öffnungsverhältnis über 1:2,8 hinaus anzuheben. Der bereits seit den 1930er Jahren für die Kleinbildkamera etablierte Tessartyp war dafür allerdings nicht geeignet. Im Prinzip war das Tessar schon mit einem Öffnungsverhältnis von 1:2,8 ein wenig überreizt, was aber dadurch verschmerzlich war, daß beim Abblenden die Bildleistung rasch anstieg. Andererseits war der Hersteller eines Normalobjektivs für Spiegelreflexkameras sehr daran interessiert, beim Triplet-Aufbau zu bleiben. Das hat folgenden technischen Hintergrund: Beim Triplet liegt die hintere Hauptebene, von der ab sich die Brennweite bemißt, nah an der bildseitigen Sammellinse. Ganz von selbst bringt daher ein Triplet-Aufbau die für die Erfordernisse der Reflexkamera so wichtige ausreichend lange Schnittweite mit sich, weshalb die Brennweite ohne zusätzliche optische Maßnahmen kurz genug gehalten und der Bildwinkel dementsprechend groß genug gemacht werden kann. Ganz davon abgesehen ist ein Triplet ein ungeheuer reizvolles Objektiv, da es für den Konstrukteur gut beherrschbar ist und gleichsam viel Potential zur Erweiterung in sich birgt. Daher ist die Geschichte des Objektivbaus im 20. Jahrhundert über weite Teile davon beherrscht, möglichst viel aus dem Tripelt herauszuholen. Und einer der ganz großen Meister des Triplet-Typs war der in München geborene Ludwig Bertele (1900 - 1985) mit seinen Ernostaren und Sonnaren.

DE458.499 vierlinsiges Ernostar

Oben ist die auf die allereinfachste Grundform heruntergebrachte Bauart des Ernostars gezeigt, die Bertele in seinem Reichspatent Nr. 458.499 vom 24. Juli 1924 schützen ließ: eine annähernd plankonvexe vordere Sammellinse gefolgt von einer zweiten, meniskenhaft durchbogenen Sammellinse – beide aus Kron. Hinter der Blende dann der typische Triplet-Aufbau mit einer bikonvexen Zerstreuungslinse aus Flint und einer bikonvexen Sammellinse aus Kron. Schon Mitte der 20er Jahre hatte Bertele diese rudimentärste Bauform des Ernostars auf eine Lichtstärke von 1:2,0 gebracht. Der Bildkreisdurchmesser lag aber nur bei 50 Prozent der Brennweite und außerdem war mit den damaligen Glasarten keine befriedigende chromatische Korrektur möglich. Der oben gezeigte Aufbau war daher nur ein Zwischenschritt zu seinem Ernostar 1:1,8 vom Dezember desselben Jahres.

Prakticar 2,4/50 Schema

Mehr als vier Jahrzehnte später hatte sich die Lage im Bereich des Grundmateriales für den Objektivbau aber ganz entscheidend weiterentwickelt. Es waren nun optische Gläser mit Eigenschaften verfügbar, die man sich in den 20er Jahren noch nicht hatte träumen lassen. Dazu zählten vor allem die Lanthan-Schwerkrongläser mit ihren angesichts der geringen Farbzerstreuung sehr hohen Brechzahlen. Auf dieser modernen Materialbasis sorgten die Görlitzer Konstrukteure Wolfgang Gröger, Wolfgang Hecking und Hubert Ulbrich nun für eine Renaissance des Bertele'schen Ernostars von 1924. Dabei konnten sie nicht nur das Öffnungsverhältnis auf 1:2,4 bringen, sondern vor allem auch das ausgezeichnete Bildfeld auf 85 Prozent der Objektivbrennweite anheben, um einen für ein Normalobjektiv nötigen Bildwinkel von 46,5 Grad zu erreichen. Durch den Tripletaufbau war es dabei problemlos möglich, die Schnittweite bei 70 Prozent der Brennweite zu halten und damit dem Reflexspiegel genug Bewegungsspielraum zu gewähren. In Bezug auf die Korrektur des Systems kommt der zweiten Linse eine immense Bedeutung zu, die als sammelnder Meniskus eine ganz bestimmte Brechkraft, Durchbiegung und Mittendicke haben mußte und deren "angrenzende Luftabstände von ausschlaggebender Bedeutung für den Korrektionszustand des Gesamtsystems" waren. Das ermöglichte eine Leistungssteigerung gegenüber dem bisherigen Tessartyp, ohne zusätzliche Linsen einsetzen zu müssen. Freilich waren dazu für damalige Verhältnisse ausgesprochen hochbrechende Gläser notwendig. Alle Brechahlen liegen deutlich über 1,6. Es kamen in der Frontlinse das Lanthan-Schwerkron SK 24, für den Meniskus das Schwerkron SK 6, für die Zerstreuungslinse das Schwerflint SF 15 sowie abschließend das Schwerstkron SSK 5 zum Einsatz.


Dieses Prakticar 2,4/50 mm war nun mit 275,- Mark die billigste Objektivausstattung für die Praktica B-Reihe. Trotz des einfachen Aufbaues war die Bildleistung gut. Der überwiegende Teil dieses Normalobjektiv wurde übrigens nicht in Görlitz, sondern in Form einer Auftragsproduktion bei IOR in Rumänien hergestellt. Daher stand dieses Objektiv auch noch als Erstausrüstung zur Verfügung, als während der 1990er Jahre die Nachwende-Praktica BX20s von der Schneider Feinwerktechnik bzw. der Pentacon GmbH vertrieben wurde.

Pentacon Prakticar 50mm f/2.4

Hohe Schärfeleistung in der Einstellebene, harmonische Unschärfe im Hintergrund - das liefert unsere moderne Variante des Ernostartyps in Form des Prakticars 2,4/50 mm bei offener Blende. Dabei muß der scharf wiederzugebende Motivteil nicht unbedingt in der Bildmitte placiert werden (wie beispielsweise bei Petzval-Objektiven). Praktica B100, Tmax 100, Calbe R09.

Pentacon Prakticar 50mm f/2.4
Prakticar 2.4/50

Die dunkle Jahreszeit bringt es ans (spärliche) Licht; erst hier trennt sich die sprichwörtliche Spreu vom Weizen: Taugt das Objektiv was und taugt auch derjenige, der es bedient? Im Sommer, wenn das Licht im Überfluß vorhanden ist, dann sind beide kaum herausgefordert. Auf 8 oder 11 abgeblendet, liefert selbst das billigste Objektiv brauchbare Ergebnisse und die Schärfentiefe erspart das exakte Scharfstellen. In der lichtarmen Jahreshälfte jedoch, da hat man mitunter nur die Wahl zwischen einer leichten Weichheit des Bildes, weil man mit offener Blende arbeiten muß oder einer völlig verdorbenen Aufnahme, weil man dieselbe durch allzu ängstliches Abblenden verrissen hat. Dabei zeigt das obige Bild, das bei völlig geöffneter Blende aufgenommen wurde, daß die Gelegenheit, eine interessante Lichtstimmung einfangen zu können, viel wertvoller ist, als vollkommene Schärfe. Und was das betrifft, erfüllte das Prakticar 2,4/50 für den Amateur genau jenen Zweck. Das kann heute noch jeder nachempfinden, der diese Objektive eben nicht an eine Digitalkamera schraubt, sondern sie mit denjenigen Kameras benutzt, für die sie ehedem geschaffen worden sind. Ganz authentisch ist das Ganze freilich trotzdem nicht: In der DDR gab es keinen Farbnegativfilm mit 30 DIN.

Marco Kröger


letzte Änderung: 28. Juli 2024