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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Flektogon 2,4/35
Auch im Objektivbau ist das Bessere stets der Feind des Guten. Bei Carl Zeiss Jena ging man daher Anfang der 70er Jahre mit der Zeit...
Immerhin gehörte die weltberühmte optische Anstalt in Jena mit ihrem Flektogon 2,8/35 mm zu den Pionieren im Bau des modernen Retrofokus-Weitwinkelobjektivs. Allerdings war der Weg dahin alles andere als einfach. Das lag hauptsächlich daran, daß man – anders als es sonst im Objektivbau üblich ist – auf keine bestehenden Konstruktionen aufbauen konnte. Rudolf Solisch griff daher auf das kurze Zeit zuvor entwickelte Biometar zurück, dessen gute Korrekturmöglichkeiten ihm als vielversprechende Basis für das neue Weitwinkelobjektiv erschien. Die Tatsache jedoch, daß die erste Version des Flektogons 2,8/35 vom Sommer 1949 noch zusätzlich verkittet werden mußte, zeigt bereits, wie schwierig die Schaffung eines lichtstarken Retrofokussystems in der Praxis gewesen sein muß. Und obwohl das Flektogon 2,8/35 später durch mehrfache Neuberechnung noch deutlich optimiert werden konnte, wurde dieser Objektivtyp bei Zeiss nicht mehr weiterentwickelt. Durch systematische Untersuchungen hatte man erkannt, daß letztlich der gesamte zugrundeliegende Konstruktionsansatz eine Sackgasse darstellte.
Zu diesen Erkenntnissen gehörte, daß sich Tripletabwandlungen prinzipiell besser als Grundobjektiv eines Retrofokusobjektives eignen, als der Doppelgaußtyp, der dem Biometar zugrundelag. Als daher Gerhard Risch und Utz Schneider im Jahre 1972 an die Aufgabe gingen, dieses beliebte gemäßigte Weitwinkel komplett neu zu konstruieren, berücksichtigten sie genau diese Erkenntnisse. Deutlich sieht man oben im Linsenschnittbild, wie das Grundobjektiv aus einem Triplet besteht, das mit zwei hinteren Sammellinsen versehen ist. Die erste von beiden besteht aus dem leicht thoriumhaltigen Schwerstkron SSK10. Diesem Triplet ist ein verkleinernd wirkender Vorsatz aus einer Zerstreuungs- und einer Sammellinse vorgesetzt. Die negative Frontlinse besteht aus dem extrem niedrig dispergierenden Fluor-Kron FK5.
Daß gegenüber dem Vorgänger auch die Lichtstärke geringfügig von 2,8 auf 2,4 erhöht werden konnte, war dabei eher ein willkommenes Nebenprodukt. Das eigentliche Ziel der Neukonstruktion lag darin, dieses von Amateuren gerne gekaufte Weitwinkel wesentlich preisgünstiger herstellen zu können. Das steht sogar wortwörtlich in der Patentschrift Nr. 15.762 vom 23. September 1974.
Erreicht wurde dies durch eine für damalige Verhältnisse äußerst moderne Konstruktion mit sechs einzelnstehenden Linsen. Flächenbrechwerte sind die wichtigsten Gestaltungsmittel des rechnenden Optikers. Mit sechs einzelnstehenden Linsen hatte er nun gleich zwölf derartige Flächen zur Verfügung, deren Krümmungen und Abstände er in weitesten Grenzen frei gestalten konnte. Dadurch ging die Erhöhung der Lichtstärke bei dieser Neukonstruktion nicht auf Kosten der Abbildungsleistung. Ganz im Gegenteil:
„Die deutliche Verbesserung des Öffnungsfehlers und die dadurch erzielte Steigerung des Öffnungsverhältnisses, bei gleichzeitiger Streckung der unteren und der oberen Koma, wurde durch die besondere Verteilung der Brechkräfte auf die einzelnen Flächen möglich.“
Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß das Flektogon im Prinzip aus zwei gleichartigen Teilen besteht, die jeweils vor und hinter der Blende aus einer Kombination von einer Zerstreuungs- und zweier Sammellinsen zusammengesetzt sind. Der Aufbau ist sehr gedrängt und die Frontlinse konnte im Durchmesser klein gehalten werden. Das eigentlich Geniale an diesem Objektiv ist aber seine Flexibilität bezüglich der Fertigung:
„Ausführliche rechnerische Untersuchungen haben ergeben, daß dieser Typ eine große Variationsbreite bezüglich der einzelnen Konstruktionselemente, bei gleichzeitiger Einhaltung ökonomisch günstiger Parameter, aufweist […].“
In der Patentschrift werden dazu die Variationsmöglichkeiten der Radien, Dicken, Abstände, Brechzahlen und Farbzerstreuungen angegeben, bei denen trotzdem noch ein Objektiv mit hoher Korrektion zusammenstellbar ist. Das ist ein in der Praxis sehr wertvoller Vorteil. Während bei einem Objektiv, das nur in einer kleinen Auflage hergestellt wird, die entsprechenden Gläser im Lager reserviert werden können, muß ein Objektiv, das in großen Massen ausgestoßen werden soll, stets an neue Glasschmelzen angepaßt werden. Denn diese Schmelzen fallen trotz allen Bemühens immer geringfügig unterschiedlich aus. Das betrifft zwar meist nur geringe Abweichungen in den hintersten Stellen der Brechzahl- und ny-Werte, verlangt aber dennoch eine leichte Variation in den Parametern Dicken, Luftabstände und Radien bei den einzelnen Linsen. In der Fachsprache wird dieses Vorgehen als Kombinationsrechnungen bezeichnet. Bei einer Großserienproduktion eines Objektives ist es daher sehr günstig, wenn es gut auf diese Parameteränderungen reagiert. Damit stellt der Hersteller sicher, ein gleichbleibendes Niveau einhalten zu können, und sich nicht mit sogenannten "Montagsobjektiven" den Ruf zu verderben.
Zwei Varianten des Flektogons 2,4/35 mm. Oben in einer Art mechanischen Zwischenstufe, die sich dadurch auszeichnet, daß sie die alte Blendenmechanik der Zebraversion mit der neuen Kreuzrändelfassung kombiniert. Hier liegt auch die Naheinstellgrenze noch bei 19 cm. Unten sieht man die weitverbreitete Fassung mit den "vereinheitlichten Anschlußstücken".
Auffällig ist auch, daß alle sechs Linsen vergleichsweise flache Krümmungsradien aufwiesen. Auf herstellungstechnisch schwer beherrschbare Elemente, wie den dünnen, stark gewölbten Meniskus des Biometars im alten Flektogon 2,8/35, konnte daher beim Flektogon 2,4/35 verzichtet werden. Das alles machte das neue Weitwinkel zu einem sehr ökonomisch herstellbarem Objektiv, das bis zum Ende der DDR in für Zeiss-Verhältnissen ungewöhnlich großen Stückzahlen ausgestoßen wurde. Zwischen August 1975 und November 1988 wurde beinah 210.000 Stück in M42-Fassung produziert. Dazu kamen noch einmal reichlich 24.000 Exemplare als Prakticar 2,4/35 für die Praktica B-Kameras. Auch dieses Zahl ist im Vergleich zu den anderen Zeiss-Prakticaren ungewöhnlich hoch.
Die Fertigung des Flektogons 2,4/35 mm wurde im August 1975 aufgenommen und es war damit wohl das erste serienmäßig hergestellte Zeiss-Jena-Objektiv mit Mehrschichtvergütung. Es konnte wohl auch erst in Produktion gehen, nachdem die Technologie für diesen dreischichtigen Transparenzbelag zur Verfügung stand. Angesichts der zwölf Glas-Luft-Grenzflächen war eine vorherige Einführung offenbar nicht sinnvoll. Ganz gleich ob Mitte der 70er Jahre an einer Praktica LLC oder zehn Jahre später an einer Praktica B200 – es handelte sich um eines der beliebtesten Photoobjektive aus DDR-Produktion.
Das 2,4/35 ist auch nach heutiger Sicht ein erstklassiges Weitwinkelobjektiv, das nach wie vor sehr geschätzt wird. Es läßt sich ohne Einschränkung bei offener Blende einsetzen und zeigt bei Abblendung auf 1:5,6 sein Optimum der Bildleistung. Mit 292,- Mark war das Flektogon auto 2,4/35 mm damals nicht ganz billig, aber trotzdem noch für den Amateur erschwinglich. Als Prakticar 2,4/35 kostete es freilich stolze 525,- Mark!
Oben mit dem Flektogon 2,4/35 mm bei ganz geöffneter Blende. Praktica LTL2, Fuji Pro 400 H.
Unten mit dem Prakticar 2,4/35 an der Praktica B200, Portra 400. Schon bei leichter Abblendung wird ein 35mm-Weitwinkel zum zuverlässisgen Schnappschußobjektiv. Spannende Bildeindrücke sollte man dann aber nicht mehr erwarten.
Marco Kröger 2016
letzte Änderung: 27. April 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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