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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Das Primoplan
Meyer-Optik Görlitz
Die Zwischenkriegszeit war eine Ära der bahnbrechenden phototechnischen Fortschritte. Die zweite Hälfte der 20er Jahre markiert den Beginn der Kleinbildphotographie. In der zweiten Hälfte der 30er Jahre wurden sodann mit der Contax II und der Kiné Exakta, die jeweils den Prototyp der Meßsucherkamera und der Kleinbildspiegelreflex darstellten, Präzisionsgeräte auf den Markt gebracht, die durch ihre präzisen Scharfstellhilfen das Potential des Kleinbildes voll auszuschöpfen gestatteten. Zu diesem Potential des Kleinbildes gehörte eine bisher für undenkbar gehaltene Anhebung der Objektivlichtstärken, was angesichts der seinerzeit recht geringempfindlichen Filme erstmals Aufnahmen ohne zusätzliche Lichtquellen erlaubte. Ermöglicht wurde dieser Fortschritt aufgrund der Tatsache, daß das kleinere Format mit deutlich kürzeren Brennweiten arbeitete.
Zu den Pionieren unter diesen hochlichtstarken Objektiven ist das Primoplan der Optischen Anstalt Hugo Meyer aus dem schlesischen Görlitz zu zählen. Hier hatte Paul Schäfter Mitte der 1930er Jahre die Nachfolge Paul Rudolphs angetreten. Schäfter fand seine Aufgabe darin, die zwar fortschrittlichen, aber für ihre Zeit viel zu aufwendigen Plasmate Rudolphs durch einfachere Typen abzulösen, mit denen trotzdem Lichtstärken bis 1:1,5 erreichbar sein sollten. Seine beiden Entwicklungen Primoplan (1936) und Optimat (1937) bauten daher im Gegensatz zu Rudolphs Plasmaten nicht auf Gaußtypabwandlungen auf, sondern waren erweiterte Triplets.
Am Beispiel des Primoplans läßt sich nun gut zeigen, wie die Firma Meyer-Optik regelrecht durch den sich rasch wandelnden Bedarf an Photo- und Schmalfilmobjektiven zur Innovation getrieben wurde. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse vom 1. bis 9. März 1936 war erstmals die Kiné Exakta vorgestellt worden. Während die Serienfertigung dieser ersten Kleinbildspiegelreflexkamera der Welt anlief, wurde in Görlitz ein passendes hochlichtstarkes Normalobjektiv für diesen neuen Kameratyp entwickelt. Die Gebrauchsmusterschutzanmeldung für Schäfters Primoplan (D.R.G.M. Nr. 1.387.593) datiert bereits auf den 17. Juni 1936! Ein Objektivtyp, der vielleicht für den Schmalfilm entwickelt worden war, wurde rasch für Photoanwendungen angepaßt.Daraus kann man schließen, daß das Ihagee Kamerawerk Steenbergen damals sehr eng mit dem Görlitzer Objektivhersteller kooperierte. So war das neue Primoplan bald auf ersten Prospekten zur Kiné-Exakta zu sehen, wo die Kamera noch die runde Einstelllupe trägt (siehe Bild oben). Dabei handelt es sich allerdings noch nicht um dasjenige Primoplan, das dann später in großen Stückzahlen bis in die späten 1950er Jahre geliefert werden wird. Vielmehr lag die Brennweite anfänglich bei sehr kurzen 5 Zentimetern. Die Rücklinse ragte demzufolge noch weit aus der hinteren Fassung heraus.
Prototyp eines Primoplan 1,9/5 cm aus dem Jahre 1936. Da tatsächlich die hintere Fläche der letzten Linse den mechanischen Abschluß des Objektives bildet, kann schon ein einmaliges Abstellen zu einer irreversiblen Beschäigung führen. Bilder: Garry Cullen.
Mit diesem verletzlichen Objektiv konnte man in Görlitz freilich nicht in die Serienfertigung gehen. Weil sich aber die Schnittweite nicht weiter verkürzen ließ, mußte ein anderer Weg beschritten werden, um das lichtstarke Normalobjektiv besser an die mechanischen Erfordernisse der Spiegelreflex anpassen zu können. Vor demselben Problem stand zu jener Zeit übrigens auch das Rechenbüro Willy Mertés in Jena, das sich genötigt sah, die Brennweite seines Biotars auf ungewöhnlich lange 5,8 cm anzuheben, um zu einer ausreichend großen Schnittweite zu gelangen. Diesen Schritt ging man nun auch in Görlitz. Ein dezidiertes Primoplan 1,9/5,8 wurde dann spätestens zusammen mit einer Reihe weiterer Meyer'scher Normal- und Wechselobjektive für die Kiné-Exakta im Zuge der Frühjahrsmesse 1937 herausgebracht [Vgl. Photographische Industrie, 3/1937, S. 357.]. Mit diesem lichtstarken Primoplan und dem hauseigenen Tessartyp "Primotar 3,5/5,4 cm" (das zudem unter dem Markenzeichen "Exaktar" quasi als frühe Form des heutzutage üblichen "Original Equipment Manufacturing" an die Ihagee geliefert wurde), war Hugo Meyer in Görlitz nun endgültig zu einem ernsthaften Konkurrenten für Zeiss Jena emporgestiegen.
Oben: Skizze des Primoplans aus seiner Gebrauchsmusteranmeldung von 1936. Es fällt auf, daß für damalige Verhältnisse ausnehmend hochbrechende ("schwere") Glassorten Verwendung fanden. Die Brechzahlen liegen allesamt deutlich über 1,6. Dabei sind nur für die Linse Nummer 2 die Zahlenwerte für Brechung und Dispersion vollkommen identisch mit den Angaben im Schott'schen Glaskatalog. Es könnten für die restlichen Elemente also auch Gläser einer anderen Glashütte verwendet worden sein. Da die Abweichungen aber minimal sind, kommen für die Linsen 1 bis 5 folgende Jenaer Glassorten infrage: Schwerstkron SSK 5, Schwerflint SF 12, Schwerkron SK 10, Schwerflint SF 8 und Schwerstkron SSK 2.
Man bedenke, daß Zeiss noch zehn Jahre zuvor den Konkurrenten Ernemann ausgeschaltet hatte, indem man sich über die Deutschen Bank Insiderinformationen über dessen prekäre Finanzlage hatte zuspielen lassen. Hinter dem Rücken der Firmeninhaber hatte Jena Ernemann quasi bereits eingekauft, als man vordergründig noch so tat, als verhandele man auf Augenhöhe. Mit der Integration der Ernemannwerke in die neue Zeiss Ikon AG – und damit in den Zeiss-Konzern – war Jena nicht nur in den Besitz der lukrativen Patente zu den Ernostar-Objektiven geraten, sondern man hatte sich auch gleich den genialen Konstrukteur Ludwig Bertele mit „eingekauft“. Hatte Jena also diesen Konkurrenten gerade erst ausgeschaltet, so wuchs nun mit Meyer ein neuer, ernstzunehmender Solcher heran, der hohe Qualität zu günstigeren Preisen lieferte. Man kann heute nur noch erahnen, welchen Argwohn es auf Seiten Jenas erzeugt haben mußte, als der ehemalige Leiter der Jenaer Photoabteilung und Schöpfer der Planare und Tessare, Dr. Paul Rudolph, nach dem Ersten Weltkrieg zu Meyer nach Görlitz ging und hier unter anderem mit den hochwertigen Plasmaten ernstzunehmende Konkurrenzprodukte entwickelte. Noch herrschten die Sucherkameras vor und an die dreigliedrigen Sonnare Berteles kam kein anderer Hersteller heran. Aber mit dem Erscheinen der Kleinbildspiegelreflexkamera, für die die Sonnare mit ihren kurzen Schnittweiten ungeeignet waren, tat sich für Konkurrenten eine Marktlücke auf, die Meyer-Optik offenbar binnen kürzester Frist auszufüllen wußte. Kein Wunder also, daß sich Zeiss Jena nun getrieben sah. Das kann man daran ablesen, daß das oben bereits angesprochene Biotar 2/5,8 cm mit seinem Abschlußdatum der Konstruktion vom 19. Oktober 1936 bereits zwei Monate später (nämlich am 14. Dezember 1936) in die Endfertigung ging. Das zeigt, wie hart damals der Konkurrenzkampf zwischen diesen beiden Herstellern gewesen ist. Es ging um nicht weniger als die Vormachtstellung im deutschen Objektivbau. Dem Primoplan 1,9/58 von Paul Schäfter liegt also eine historische Brisanz inne, die man diesem Objektiv auf den ersten Blick gar nicht zutrauen würde.
In der oben angegebenen Schutzschrift ist das Primoplan mit einem maximalen Öffnungsverhältnis von 1:1,5 angegeben. Praktisch wurde diese Lichtstärke nur für Versionen umgesetzt, die für Schmalfilm gerechnet waren. Völlig unbekannt war bislang, daß zumindest dieses Prototyp-Objektiv eines Primoplan 1,5/58 mm auch für die Kleinbild-Spiegelreflexkamera gebaut worden war. Bilder: Garry Cullen
Ähnlich wie das Ernostar und das daraus hervorgegangene Sonnar von Ludwig Bertele ist das Primoplan eine Konstruktion, die als Abwandlung des Cook'schen Triplets angesehen werden kann. Das Primoplan gehört somit einer gänzlich anderen Gruppe an, als der "Doppelgauß" Biotar. Innerhalb dieser Tripletformen bilden Ernostar und Primoplan aber wiederum je einen eigenständigen Typus, die lediglich gemeinsam haben, daß bei ihnen die Erweiterung des Triplets durch zusätzliche Elemente innerhalb des vorderen Systemteils erfolgte. Sie unterscheiden sich aber darin, daß diese Erweiterung beim Primoplan eine sammelnde Wirkung aufweist, während beim Sonnartypus der zerstreuende Systemteil erweitert wurde. Fincke charakterisiert damit das Primoplan als ein Triplet, das quasi zwei sammelnde Vorderlinsen besitzt, die obendrein noch eine sammelnd wirkende Luftlinse einschließen. [Vgl. Fincke, H. E.: Physikalisch-optische und physiologische Grundlagen; in Teicher (Hrsg.): Handbuch der Fototechnik, 2. Auflage, 1963, S. 46.]. Zur Bildfehlerkorrektur ist die zweite Sammellinse aus einem zerstreuend und einem sammelnd wirkenden Meniskus zusammengesetzt, die beide miteinander verkittet sind.
Wie oben bereits erwähnt, wurde das Potential der Primoplan für Lichtstärken bis 1:1,5 nur im Schmalfilmbereich praktisch ausgenutzt, wo beispielsweise beim 16 mm Film die Normalbrennweite von 25 mm etwa doppelt so lang ist wie die Bilddiagonale. Die Bildwinkelausnutzung beträgt dadurch nur etwa 28 Grad. Beim bekannten Kleinbildobjektiv mit seinen 58 mm Brennweite ist der Bildwinkel mit 41 Grad aber deutlich größer, weshalb hier die Lichtstärke auf 1:1,9 beschränkt werden mußte, um eine akzeptable Bildleistung aufrecht zu erhalten.
Für diese Lichtstärke 1:1,5 sind unten einmal die Kurven der sphärischen Längsabweichung und der Abweichung von der Sinusbedingung (a), die der sagittalen und tangentialen Bildfeldkrümmung (b) sowie die der Verzeichnung (c) angegeben [Nach: Merté, Willy: Das photographische Objektiv seit dem Jahre 1929; in: Michel, Kurt (Hrsg.): Handbuch der wissenschaftlichen und angewandten Photographie, Ergänzungswerk, Band I, Wien, 1943, S. 52.]. Da der Maßstab der Koordinatensysteme (bis auf die die Verzeichnung) derselbe ist, wie beim Biotar 1:1,4, kann man ohne weiteres einen Vergleich ziehen zwischen beiden. Man wird unumwunden zugeben müssen, daß das Biotar das eindeutig bessere Objektiv ist. Der Kugelgestaltsfehler ist bei Schäfter längst nicht so perfekt auskorrigert, wie Willy Merté dies geschafft hat.
An diesem Punkt wird die Rivalität beider Unternehmen dann doch wieder ein wenig in das richtige Verhältnis gerückt. Andererseits bedeuten solche Aberrationskurven nicht alles. Das Primoplan war stets das deutlich preiswertere Objektiv und als solches auch gedacht. Und bedenkt man, daß nur ein winziger Bruchteil der photographischen Aufnahmen bei voller Objektivöffnung gemacht werden, relativieren sich solche Angaben schnell wieder. Um zwei Stufen abgeblendet und auf mittelempfindlichem Material belichtet, werden sich Aufnahmen mit den beiden Objektiven kaum noch voneinander unterscheiden lassen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem allmählichen Wiederaufbau der Photoindustrie begann im vormaligen Mitteldeutschland der Siegeszug der Einäugigen Kleinbildspiegelreflexkamera. Forciert durch die Sowjetische Besatzungsmacht wurden Vorkriegsmodelle wie die Exakta und die Praktiflex weitergebaut, oder Neukonstruktionen wie die Spiegelcontax herausgebracht. Für diese hochwertigen, sehr exportträchtigen Kameras wurden sogleich auch wieder leistungsstarke Objektivausstattungen benötigt. So wurde auch das Primoplan Schäfters frühzeitig wieder fabriziert, obwohl es, wie oben gezeigt, auf ausgesprochen schweren (= hochbrechenden) Gläsern basierte, die zu keiner Zeit billig waren. Da sich mit lichtstarken Objektiven aber auch die Exportchancen verbesserten, waren solche Objektive unverzichtbar. Insbesondere in den USA, wo sich während des Krieges ein großer Nachfragestau aufgehäuft hatte, der jetzt abgebaut werden wollte, waren die Absatzmöglichkeiten hochwertiger Photogeräte anfänglich besonders groß. Es darf auch nicht verschwiegen werden, daß das recht dunkle Sucherbild der Contax S erst bei größeren Lichtstärken des Objektivs wirklich brauchbar wurde.
Zwei Exemplare des Primoplan 1,9/58 aus der Nachkriegszeit, als aufgrund der großen Nachfrage nach Spiegelreflexkameras aus Dresden die produzierten Mengen dieses Objektives auf einmal stark erhöht werden mußten. Oben sieht man die Fassung mit der sogenannten Normalblende, unten mit der Einrichtung für Blendenvorwahl, die ein bequemeres Arbeiten ermöglichen sollte
Im Laufe der 50er Jahre war das Primoplan 1,9/58 mm dann immer öfter im Inlandshandel der DDR anzutreffen. Es war ehrlich gesagt nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Anders als sein Zeitgenosse, das Biotar 2/58, wurde das Primoplan nicht mit einer Springblende ausgerüstet. Grund dafür könnte ein merklicher Hang zur sogenannten Blendendifferenz gewesen sein. Restbeträge von sphärischer Aberration sorgen dafür, daß die "Stelle der kleinsten Einschnürung" entlang eines charakteristischen Lichtschlauches ("Kaustik") wandert, wenn man abblendet und damit das Ausmaß dieses Kugelgestaltsfehlers verringert. Das führt schlichtweg dazu, daß die Punkte der größten Schärfe bei offener Blende und abgeblendet jeweils nicht an derselben Stelle liegen, was bei Objektiven mit Blendenautomatik besonders ungünstig ist.
Das Primoplan 1,9/58 mm dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit im Jahre 1956 ausgelaufen sein. Zur Frühjahrsmesse 1956 war die Praktica FX2 erschienen, die in der Serienfertigung mit einem Mechanismus für die Druck- bzw. Springblendenautomatik ausgestattet wurde. Zur Herbstmesse 1956 erhielt auch die Contax F einen dazu kompatiblen Auslöser im Inneren des Spiegelkastens. Das führte dazu, daß Restexemplare des Vorgängermodells Praktica FX nunmehr mit Restexemplaren des Primoplans zu sehr günstigen Preisen abverkauft wurden. Kostete die Praktica FX mit Primoplan 1955 noch 558,19 Mark, so waren es im Sommer 1956 nur noch 329,- Mark.
Es dauerte nun ein Weilchen, bis der Görlitzer Objektivhersteller auf diesen Technologiesprung adäquat reagieren konnte. Zunächst mußten eigene Lösungen für eine Blendenautomatik erarbeitet werden. In dieser Hinsicht ist das Feinoptische Werk Görlitz meiner Einschätzung nach überrumpelt worden. Die halbautomatische Springblende war offenbar von Zeiss Ikon in verdeckter Kooperation mit Zeiss Jena initiiert worden [DDR-Patent Nr. 10752 vom 3. Mai 1952]. Eine Umsetzung war aber angesichts der unübersehbaren Lämung des VEB Zeiss Ikon Mitte der 50er Jahre zunächst unterblieben. Dieser Knoten wurde nun aber rasch durchschlagen, als im Laufe des Jahres 1956 der VEB Kamerawerke Niedersedlitz das Ruder übernimmt. Die Niedersedlitzer bauten die Halbautomatische Springblende mit Innenauslösung nämlich bereits seit 1954 in ihre Praktina FX ein. Die Lösung, die nun für den M42-Anschluß gefunden wurde, war der Springblende der Praktina sehr ähnlich, und wurde offenbar wiederum eng mit Jena zusammen erarbeitet [DDR-Patent Nr. 18.920 vom 30. März 1956].
Durch diesen umfassenden Patentschutz war man in Görlitz gezwungen, sich eine eigene Lösung auszudenken, die aber mit dem kameraeigenen Mechanismus kompatibel sein mußte. Ergebnis war der bekannte Druckblendenmechanismus, der kein vorheriges Spannen der Springblende wie bei den Zeissobjektiven erforderte. Schon im August 1956 gab es dahingehende Schutzrechtsanmeldungen, die ihren erstmaligen Einsatz im Primotar E fanden, das auf der Frühjahrsmesse 1957 vorgestelt wurde. Mit einer Lichtstärke von 1:3,5 fand dieser Tessartyp trotz seiner hervorragenden Bildqualität jedoch leider nicht besonders großen Anklang. Es bedurfte also auch im optischen Bereich großer Anstrengungen, um wieder zu einem lichtstarken Spitzenobjektiv zu gelangen. Zwar wurde bereits im November 1958 ein Objektiv zum Schutze angemeldet, aus dem dann später das kurzlebige Domiron 2/50mm werden sollte, aber die angegebenen Konstruktionsdaten zeigen, daß für dieses Domiron neuentwickelte Schwerkrone nötig waren, die Jena offenbar nur sehr widerwillig bereitstellte. Es dauerte dadurch schließlich noch bis in das Jahr 1965, bis Görlitz mit dem neuen Oreston 1,8/50 endlich wieder ein lichtstarkes Normalobjektiv herstellte, das an die Tradition des Primoplan aus dem Jahre 1936 anknüpfen konnte.
Primoplan 1,9/75 mm
Bei Zeiss hatte man sich im Jahre 1938 daran gewagt, das volle Potential des Merté'schen Biotars auszunutzen und die Lichtstärke auf 1: 1,5 anzuheben. Durch die noch kürzere Schnittweite dieser Variante mußte aber die Brennweite auf 75 mm angehoben werden, was gleichzeitig der Bildleistung in den Randbereichen des Bildes zugute kam, weil der Bildwinkel weniger stark beansprucht werden mußte. Dieses Biotar 1,5/7,5 cm ging an die Grenzen des damals Machbaren; geriet dadurch allerdings auch zu den teuersten Objektiven seiner Zeit. Sehr geschätzt wurde aber die Bildwirkung der leicht angehobenen Brennweite, die beispielsweise bei Portraitarbeiten perspektivisch bedingte Verzerrungen vermied.
Um auch ein solches Portraitobjektiv im Angebot zu haben, errechnete Schäfter für Meyer-Optik ein Primoplan, dessen Brennweite er auf 75 mm verlängerte, ohne jedoch wie beim Biotar die Lichtstärke anzuheben. Das ergab ein deutlich kompakteres und im direkten Vergleich auch preiswerteres Portrait-Objektiv. Eine Preisliste mit Stand vom 4. Juni 1956 belegt, daß das 75er Primoplan auch längere Zeit nach dem Kriege noch lieferbar war, und zwar zu einem Preise von 224,- Mark. Damit kostete es weniger als die Hälfte des exklusiven 75er Biotars. Es wurde aber offensichtlich gar nicht mehr so lange gefertigt. Schon im Katalog von 1954 ist es nicht mehr enthalten und befand sich daher 1956 sicherlich bereits im Abverkauf.
Hier sieht man die ausgezeichnete Freistellungswirkung des Primoplan 1,9/75mm bei offener Blende und bei Abblendung auf einen Wert zwischen 5,6 und 8. Aufgenommen mit der unten gezeigten Kombination aus den frühen 1950er Jahren.
Das Meyer Primoplan 1,9/58mm bei offener Blende und abgeblendet auf 1:4. Praktica LTL2, Fuji Pro 400 H. Oben als Animation zum direkten vergleich, unten noch einmal in größerer Auflösung.
Oben sieht man einen echten Härtestest für das Primoplan. Mit einer umgebauten digitalen Kompaktkamera, wie sie unten gezeigt ist, wurde nur ein winziger Teil des Bildfeldes des Primoplans aufgenommen. Dieser ist nämlich nur etwa 4,6 x 6,2 mm groß, was einem Dreißigstel der Bildfläche des normalen Kleinbildes entspricht. Diese kleine Fläche wird aber mit 14 Megapixeln aufgelöst. Diese Apparatur ermöglicht also eine sehr tiefgreifende Analyse der Abbildungsleistung eines Objektives in der Bildmitte. Ich habe schon etliche Objektive auf diese Weise geprüft und bin erstaunt, wie gut dieses historische Objektiv hierbei abschneidet. Freilich ist das Bild bei offener Blende verwaschen, aber gerade solch auffällige Bildfehler wie die Farbquerabweichung sind kaum auszumachen. Auch die oben angesprochene Blendendifferenz dürfte in der Praxis wohl kaum eine Rolle gespielt haben. Bei Blende 5,6 wird eine sehr gute Leistung erzielt. Mehr zu diesem Testverfahren findet sich hier.
Marco Kröger
letzte Änderung: 18. Januar 2023
Yves Strobelt, Zwickau
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