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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Noblex
Diese Panoramakamera mit Rotationsobjektiv muß man wohl als die letzte Neukonstruktion der Mitteldeutschen Photoindustrie bezeichnen.
Dabei war das Herausbringen einer dermaßen auf ausgesprochene Spezialzwecke hin ausgerichteten Kamera eigentlich eine ziemliche Verlegenheitslösung. Als nämlich John Noble, der Sohn des 1946 enteigneten Inhabers der Kamera-Werkstätten Charles Noble, 1990 das Niedersedlitzer Werk von der Treuhand restitiuiert bekam, da mußte dieser erstaunt feststellen, daß er zwar die Gebäude dieses Pentacon Betriebsteiles zurückbekommen hatte, nicht aber die Patente und die Markenrechte an den Kameras. Diese hatte die Treuhand nämlich bereits an Heinrich Manderman veräußert, dem ehemaligen Pentacon-Vertreter in der Bundesrepublik [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 220]. Prakticas konnte John Noble also nicht bauen – auch wenn ihm das erst spät bewußt wurde.
Also mußte ein neues Produkt her. Wieso nun gerade eine Panoramakamera, das erscheint im Rückblick schon sehr verwunderlich. Trotzdem erinnern viele Bauteile dieses neuen Produktes an die Praktica BX20: Der Verschlußzeitenknopf, die Rückspulkurbel, die Zahntrommel und einiges mehr. Dieser Umstand muß nun freilich nicht verwundern – er ist nur das äußere Anzeichen der Tatsache, daß die Noblex-Kameras von ehemaligen Pentacon-Konstrukteuren entwickelt worden sind, die zum Teil schon seit den 70er Jahren mit an den Praktica-Kameras gearbeitet hatten. Darunter Hans-Jörg Schönherr, Hans Zimmet und Siegfried Hainy, die auf unserer Webseite teils in Bezug auf andere technische Zusammenhänge bereits Erwähnung fanden.
Die oben gezeigte Kleinbild-Version der Panoramakamera kam allerdings erst 1994 auf den Markt. Gestartet hatte die Entwicklung hingegen auf Basis des Rollfilms 120. Die Grundidee kam von einem Amerikaner namens Cornelius Schorle [Vgl. Jehmlich, Pentacon, S. 220], die 1991 in Dresden aufgegriffen wurde und im Laufe des Jahres 1992 Gestalt annahm in Form der ersten Panoramakamera mit Rotationsobjektiv, bei der die Objektivtrommel eine Vollumdrehung von 360 Grad vollzog. Doch diese Mittelformatkamera Noblex 150 ließ sich trotz der aller Innovationen aufgrund ihres hohen Preises nur schwer verkaufen [Vgl. Ebenda, S. 221].
Was wenig bekannt ist: Die Entwicklung der Noblex-Panoramakameras begann mit einem Modell für den Rollfilmtyp 120. Die wesentlich stärker verbreitete Kleinbildvariante mit einem Bildformat von 24x66 mm wurde erst im Nachhinein geschaffen. Im Mittelformat gab es dabei zwei verschiedene Grundmodelle: Die Noblex 6/150 gestattete sechs Aufnahmen im Bildformat von 50x120 mm, die Noblex 175 dagegen vier Aufnahmen der Größe 50x170 mm. Dazu kamen beim 150er Modell noch Untervarianten, die sich in den Verschlußzeitenbereichen, der Möglichkeit einer Entfernungseinstellung, der Shiftbarkeit des Aufnahmeobjektivs und anderen Details unterschieden. Bild oben: Kevin James; unten: Shimon Malul.
Panoramakameras mit Rotationsobjektiv sind eben ohnehin nur ein Nischenprodukt im Kameramarkt. Der spezielle Bildeindruck, der sich aus dem Funktionsprinzip ergibt, nutzt sich schnell ab. Auch ist es nicht ganz leicht, stets gute Motive für das sehr langestreckte Format zu finden. Außerdem betrat der Dresdner Kamerabau Anfang der 90er Jahre ein Marktsegment, auf dem sich bereits mehrere Hersteller tummelten. Daher versuchte man, sich durch spezielle Eigenschaften der Kamera von den Mitbewerbern abzugrenzen: Hauptsächlich waren das der besonders große Drehwinkel der Trommel, die zu noch breiteren Bildern führte, und deren elektrischer Antrieb. Mit einem zusätzlichen Kleinbildmodell erhoffte man sich offenbar, größere Käuferkreise ansprechen und damit einen Kamerabetrieb solider auslasten zu können.
Oben: Blick auf die gewölbte Bildbühne einer Noblex 150. Der Rollfilm wird nicht in seiner ganzen Breite ausgenutzt, sondern nur 50 mm davon. Außerdem ist die Maskierung asymmetrisch.
Unten: Techische Daten der Mittelformat- und Kleinbild-Modelle, wie sie von den Kamera-Werken Noble in den 90er Jahren veröffentlicht wurden.
Ein Blick in die Patentüberlieferung
Zu dieser Neuentwicklung gibt es natürlich auch einige Patente, die uns heute noch Aufschluß darüber geben, welche Beweggründe es für die gewählte Konstruktion gab. Eine große Rolle spielte hierbei natürlich der bereits bestehende Patentschutz konkurrierender Hersteller. Zweitens waren Probleme zu umschiffen, an denen dieser Kameratyp oft krankt. Dazu zählt eine ungleichmäßige Belichtung über das große Bildfeld hinweg, die sich aus geringfügigsten Schwankung der Trommeldrehzahl ergeben können. Grundsätzlich zeichnen sich ja Rotationskameras dadurch aus, daß es trotz des riesigen Bildwinkels quasi keine Vignettierung gibt. Auch wenn das Objektiv recht kurzbrennweitig ist, wird von ihm nur verlangt, die Bildhöhe von 24 mm auszuzeichnen. Die Breite des Bildfeldes ist ja immer nur so groß, wie der gewählte Belichtungsschlitz. Aus diesem Grunde genügen für Rotationskameras ganz simple Objektivkonstruktionen, um hervorragende Bildergebnisse zu erzielen. An der Kleinbild-Noblex ist das ein Tessar 4,5/29 mm (tatsächlicher Wert: 29,85 mm), bei den Mittelformatmodellen ein Tessar 4,5/50 oder 6,5/75 (genaue Werte 50,75 und 73,5 mm) aus Saalfeld, die selbst feinkörnigsten Emulsionen gewachsen sind.
Trotzdem kommt es bei Kameras dieses Typs leicht zu Randabschattungen, was aber daran liegt, daß die Trommel schließlich am Anfang der Belichtung beschleunigt und am Ende abgebremst werden muß. Im Gegensatz beispielsweise zur bekannten sowjetischen Panoramakamera "Горизонт" vollzieht die Schlitztrommel der Noblex allerdings stets eine Vollumdrehung statt eine hin- und hergehende. Das vereinfachte nicht nur das Funktionsprinzip gegenüber den bisherigen Lösungen ungemein, sondern sorgte für einen ausreichend langen Vorlauf, damit die Trommel die gewünschte Drehzahl erreicht hatte, sobald der Belichtungsschlitz wirksam wurde. Dazu kommt, daß bei der Noblex im Startmoment der Antriebsmotor über einen zusätzlichen Kontakt S1 die volle Betriebsspannung erhält, um die Trommel aus einer Rastung heraus zu beschleunigen, die sie vor jeder Aufnahme in Ruhestellung festhält. Bis zum Eintreten des Belichtungsschlitzes in das Bildfenster wird jener durch eine Verschlußklappe 10 abgedeckt, damit es nicht zu vorzeitigem Lichteinfall kommen kann. Am Ende der Belichtung wird der Antriebsmotor erneut mit einer maximalen Spannung beaufschlagt, um die Trommel wieder sicher in die Halterast einklinken zu lassen. Diese grundlegende Funktionsweise der Noblex ist im deutschen Patent Nr. 4.226.287 vom 8. August 1992 festgehalten. Neben Schönherr, Zimmet und Hainy werden noch Jürgen Krase, Michael Lenk und Karl-Heinz Werner als Erfinder benannt.
Zu den größten Schwierigkeiten, unter denen Rotationskameras leiden, gehört der oft zu beobachtende Lichteinfall an der Trommel vorbei. Der Versuch, diesem Lichteinfall durch herkömmliche Lichtdichtungen beizukommen, scheitert daran, daß jene sich bereits nach kürzester Frist abnutzen. Die oben benannten Erfinder hatten daher für die Noblex sogenannte Lichtfangnuten (10) ersonnen, die quasi berührungslos und damit verschleißfrei arbeiten [DE4.226.286 vom 8. August 1992].
Charakteristisch an der Noblex ist auch die Art, die Blende einzustellen. Diese Skale ist immer an der Vorderseite der Kamera zu sehen, wenn sich die Trommel in ihrer Ruhestellung befindet. Der Einsteller läßt sich auf diese Weise bequem bedienen. Der bauliche Aufwand, diese Blendenverstellung lichtdicht zu bekommen, ist im deutschen Patent Nr. 4.226.285 geschützt. Es wurde ebenso am 8. August 1992 angemeldet.
Aus der Zeit, als die Kleinbild-Noblex entstand, ist ein Patent überliefert, das einen "Langsamgang" für den Trommelantrieb beschreibt, um zu einer zweiten Gruppe mit langen Belichtungszeiten zu gelangen [DE4.424982 vom 15. Juli 1994]. Hierzu muß bemerkt werden, daß die Noblex, im Gegensatz zu anderen Panoramakameras dieser Bauart, nur mit einer einzigen, konstanten Schlitzbreite von 1,4 mm Weite arbeitet. Unterschiedliche Belichtungszeiten werden ausschließlich durch unterschiedliche Drehzahlen des Antriebsmotors gebildet, was einen mehr oder weniger schnellen Ablauf der Trommel nach sich zieht. Da durch das gewählte Antriebskonzept, zu dem ich weiter unten noch etwas ausführen werde, die Drehzahl des Motors einen gewissen Mindestwert nicht unterschreiten durfte, weil dann auch das Drehmoment eingebrochen und die Trommel stecken geblieben wäre, wurde ein zweites Reibrad eingeführt, auf das umgeschaltet werden konnte und das die notwendige Untersetzung bewerkstelligte.
Abschließend sei vom 16. September 1994 noch ein Patent Nr. 4.433.055 genannt, das einen Aufsteckbelichtungsmesser beschreibt, der die Beleuchtungsunterschiede feststellen sollte, die sich innerhalb des großen horizontalen Bildwinkels der Noblex von immerhin 127 Grad ergeben können. Das ist vor allem bei Farbumkehrfilmen problematisch, da diese Materialien schließlich nur geringe Lichtgegensätze übertragen können bzw. die Diapositive als Unikat keinen nachträglichen Ausgleich zulassen. Später wurde diese Idee im Steuergerät "Panolux" perfektioniert, das Einfluß auf die Belichtung der Kamera nahm und die Lichtgegensätze bei der Aufnahme aussteuern konnte.
Die Noblex – eine Fehlkonstruktion?
Nach dem was man bei Gerhard Jehmlich herauslesen kann, stellte sich bereits kurz nach Einführung der Kleinbild-Noblex 1994 eine Belastung der betrieblichen Entwicklung der Kamera-Werke Niedersedlitz ein, die zunächst als falsche unternehmerische Entscheidungen John Noble "in die Schuhe geschoben" wurden [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 221]. In Wahrheit handelte es sich jedoch um ernste Funktionsstörungen der Kameras, die sich offenbar häuften und daher bald auch die laufende Produktion beeinträchtigten. Unmittelbar danach sei der Umsatz dieser Kameras auf dem wichtigen US-Markt plötzlich eingebrochen.
Ich möchte mich hier nicht als großer Noblex-Experte gerieren. Ich habe nur eine einzige dieser Kameras, die mir geschenkt wurde, weil sie nicht mehr funktionierte. Aber genau das scheint mittlerweile der Normalfall zu sein. Und ehrlich gesagt habe ich mich ziemlich gewundert, nachdem ich das erste Mal ein solches Gerät aufgeschraubt hatte. Wie oben in der Patentschau bereits angedeutet, baut der Antrieb der Trommel nämlich auf ein Reibradprinzip auf.
Was, Reibräder? Tatsächlich? Ohh, ohh. Jeder Technikfreund, der sich ab und an mit alten Plattenspielern oder Tonbandgeräten abgibt, merkt sofort auf, wenn er nur dieses Wort hört. Reibräder sind dafür bekannt, daß sie ewig Probleme bereiten. Schon vor 30 Jahren, als diese Noblex-Kameras entwickelt wurden, wußte man, daß Reibbeläge nach wenigen Jahren hart werden und daher zunehmend durch Schlupf ihren Dienst versagen. Der Plattenspieler jault oder läuft gar nicht erst an. Aber damit nicht genug: Steht ein solches Gerät längere Zeit still, dann drückt die Motorwelle, die ja meist durch Federkraft ans Reibrad gepreßt wird, nach kurzer Zeit eine Delle in den Reibbelag. Entweder läuft das Getriebe durch die entstandene Rast nun überhaupt nicht mehr an oder die Motorwelle huppelt alle 360 Grad über diese Delle. Nach dem nächsten längeren Stillstand hat man dann schon eine zweite Delle. Und so fort. Daraus folgt für mich ein einfacher Schluß: Reibradantriebe sind für hochwertige technische Konsumgüter eine vollkommen inadäquate Lösung. Um das zu erkennen, hätte man die Noblex nicht 30 Jahre der Alterung aussetzen müssen. Da diese 30 Jahre nun aber vorübergegangen sind, sehen die Reibräder wohl notorisch so aus, wie oben dargestellt. Und dazu hätte es damals keines Propheten bedurft.
Auch die Mittelformat-Variante der Noblex krankt an der Degeneration der Reibbeläge im Besonderen und am Prinzip des Reibradantriebs schlechthin. Bild: Kevin James
Aber dieser Reibradantrieb ist ja nur ein einzelnes Symptom einer Konstruktion, die mir ehrlich gesagt insgesamt sehr seltsam vorkommt. Ich frage mich, weshalb die Trommel dieser Rotationskamera durch einen einfachen Gleichstrommotor angetrieben wird, dessen Drehzahl durch unterschiedliche Betriebsspannungen variiert wird. Immerhin befinden wir uns Anfang der 90er Jahre und auch in Dresden hätte man mittlerweile Zugang zu zeigemäßen Lösungen gehabt. Ich bin kein Ingenieur, aber ich glaube zu wissen, daß für diesen Einsatzfall ein Schrittmotor eine viel bessere Lösung gewesen wäre. Ein solcher Schrittmotor folgt exakt dem angelegten Drehfeld. Die Ansteuerung kann pulsförmig sein, wodurch pro Schritt sehr hohe Drehmomente auch mit kleinen Motoren erreicht werden können. Diese Ansteuerung wird wiederum durch speziell für diesen Einsatzzweck geschaffene Integrierte Schaltkreise extrem vereinfacht. Man hätte unterschiedliche Belichtungszeiten in sehr weiten Grenzen durch einfache R-C-Beschaltung ändern können. Oder aber auch digital. Jeder Drucker, jeder CD-Player arbeitete in den 90er Jahren bereits mit dieser Standardtechnik. Andererseits ist ein Schrittmotorantrieb auch überlastungsfest. Wird die Trommel aus irgendeinem Grund an ihrer Drehung gehindert, dann springt der Schrittmotor einfach nicht weiter. Statt eines Reibrades hätte eine Zahnradübersetzung oder ein Zahnriemen genügt. Selbst ein Direktantrieb der Trommel hätte im Bereich des Möglichen gelegen. All diese alternativen mechanischen Lösungen wären allemal langlebiger gewesen. Zudem hätte die digitale Ansteuerung eines Schrittmotors eine hervorragende Kupplung mit Belichtungsmessern etc. bieten können. Auch ein schneller Vorlauf zum Belichtungsbeginn bei langen Belichtungszeiten wäre auf diese Weise sehr einfach realisierbar gewesen. Man hätte es einfach so programmiert. Angesichts des hohen Preises der Noblex-Kameras wäre dieser technische Aufwand durchaus vertretbar gewesen. Durch die einfache Spannungssteuerung eines einfachen Gleichstrommotors und durch das Reibradgetriebe handelte man sich unnötig Funktionsunsicherheiten ein, die offenbar bereits während der laufenden Fertigung zum Zweifel an der Konstruktion Anlaß gaben.
Später hat man die Kamera wohl noch einer gründlichen Überarbeitung unterzogen. Vielleicht auch mechanisch, das kann ich nicht sagen. Zumindest hat man etlichen anderen Murks ausgemerzt. Dazu gehört unter anderem der Einschalter am Boden der Kamera, den man jedes mal gleich wieder abschalten muß, weil sonst eine ziemlich unsinnige LED auf der Oberseite der Kamera die Batterien leerzieht. Dieser Schalter wurde später an die Vorderseite verlegt. Außerdem schaltete die Kamera sich nun nach einer gewissen Zeit von selbst ab, falls man dies vergessen hatte. Ein weiteres Detail, das auf eine überhastete Entwicklungsarbeit schließen läßt, liegt darin, daß man die früheren Modelle der Noblex im ausgeschalteten Zustand auslösen kann. Die Trommel läuft zwar nun nicht ab, aber man hat damit auch ein Bild eingebüßt. Die Kamera läßt sich nämlich erst das nächste Mal erst dann wieder auslösen, wenn man zuvor den Film weiter transportiert hat. Oder man schaltet auf Mehrfachbelichtung um, was man aber nicht vergessen sollte, wieder rückgängig zu machen, weil man sonst bei den nächsten Bildern unbeabsichtigte Doppelbelichtungen anfertigt. Auch diese offensichtliche Fehlkonstruktion wurde nach der Überarbeitung ausgemerzt.
Zu guter letzt sollte noch das Bildzählwerk erwähnt werden, bei dem sich sicherlich schon so mancher Käufer der Noblex 135 gefragt hat, weshalb es wohl dreistellig ausgeführt ist. Das liegt schlichtweg daran, daß man hier ein Modul von der Stange eingebaut hat, wie man es in billigen Schrittzählern oder Kurvimetern findet. Wohl um die Kamera modern aussehen zu lassen, ohne großen Aufwand betreiben zu müssen. Deshalb muß man das Display auch händisch nullen, anstatt daß es wie üblich durch Öffnen der Kamerarückwand von selbst auf Null zurückspringt.
Die Noblex in der Praxis
Diese ganz offensichtlichen Konstruktionsmängel und fragwürdigen Ausführungsdetails sind besonders schade, weil es sich ja insgesamt um eine sehr hochwertige Kamera handelt. Auch das grundsätzliche Funktionsprinzip der Noblex ist gut durchdacht. Die unterschiedlichen Schlitzweiten, die beispielsweise eine "Horizont" bietet, verursachen in der Praxis dauernd Probleme bezüglich ungleichmäßiger Belichtung. Zumindest beim ursprünglichen Modell aus den späten 60er Jahren ist das so. Das kann bei der Noblex nicht passieren. Trotzdem stimmen bei meiner Kamera, bei der ich provisorisch neue Reibbeläge aufgebracht habe, die Drehzahlen der Trommel und damit die Belichtungszeiten überhaupt nicht. Die 1/60 Sekunde ist bei mir die längste Zeit, die anderen sind zusammenhangslos kürzer. Andere Besitzer dieser Kamera haben mir wiederum berichtet, daß bei ihrem Exemplar jede Zeiteinstellung gleich schnell abläuft. Also arbeitet auch die elektronische Ansteuerung des Motors nicht zuverlässig. Vielleicht sollte man mal versuchen, die Kamera auf einen Schrittmotor umzubauen. Die hervorragenden Bildergebnisse, die ich mit meiner notdürftig geflickten Noblex erzielt habe, ließen einen derartigen Aufwand prinzipiell lohnenswert erscheinen.
Oben sieht man ein Beispiel, wie sich die besonderen perspektivischen Eigenschaften, die sich als Resultat des Funktionsprinzips einer Panoramakamera mit Rotationsobjektiv und kreisförmiger Filmführung ergeben, in den Bildergebnissen auswirken können. In einem Beiwagen der DR-Baureihe 270 schaut man gleichzeitig entlang der Längsachse des Fahrzeugs als auch genau senkrecht dazu. Damit ist eine solche Kamera im Grunde genommen eine technische Nachahmung unserer natürlichen Sehgewohnheiten, denn im Alltag drehen wir ständig unbewußt unsere Köpfe hin und her um unser Umfeld geradezu "abzuscannen". Das dürfte auch der Grund sein, weshalb uns die obige Abbildung mit ihren aufgeweiteten Blickachsen nicht wirklich fremd vorkommt. Im Prinzip deckt sich dieser Eindruck genau mit unserer Erfahrung, wenn wir im Einstiegsbereich eines S-Bahnwagens stehen und uns umblicken. Über künstlerische Gesichtspunkte hinaus hat eine Rotations-Panoramakamera also auch einen dokumentarischen Gebrauchswert, der in dieser Weise mit einer Digitalkamera nicht so einfach reproduzerbar wäre.
Zu den wertvollsten Eigenschaften der Noblex, die sie so besonders und eigentlich auch begehrenswert macht, ist aber die Möglichkeit, mit ihr der Langzeitbelichtungen anfertigen zu können. Das ist bei Panoramaaufnahmen, wo schließlich nicht geblitzt werden kann, eine beachtenswerte Nebensächlichkeit. Prinzipiell sind diese Langzeitbelichtungen ja auf zweierlei Weisen möglich: Entweder man hat das Modell mit langen Verschlußzeiten. Hier dreht sich die Trommel einfach so langsam, daß ein einzelner Bildpunkt trotz der stets gleichbleibenden Schlitzbreite von 1,4 mm bis zu einer Sekunde lang belichtet wird. Die zweite Variante ist aber die der Mehrfachbelichtung, die durch den gewohnt schnellen Ablauf der Trommel noch praktischer ist. Bei den Aufnahmen unten wurden teilweise bis zu 16 Trommelumläufe hintereinander ausgelöst. Der Vorteil liegt darin, daß man den Zeitpunkt der Auslösung selbst bestimmen kann. Kommt ein Auto gefahren, läuft ein Passant ins Bildfeld, usw., dann wartet man einfach ab bis die Störung vorüber ist und löst danach aus. Man braucht nur ein Stativ und einen Drahtauslöser.
An diesen beiden Aufnahmen erkennt man, welchen Vorteil die Methode der der Mehrfachbelichtung zur Erzielung einer Langzeitbelichtung hat. Oben wurde einfach willkürlich ausgelöst, sodaß sich bei einzelnen Trommelauslösungen auf der rechten Bildseite vorbeifahrende Autos schemenhaft abzeichnen. So ähnlich, nur deutlich verwischter sähe es aus, wenn man mit sehr langsam drehender Trommel eine Sekunde lang belichten würde. Mit einer gezielten Auslösung von 16 Einzelbelichtungen á 1/30 Sekunde zum richtigen Zeitpunkt läßt sich hingegen der Eindruck vortäuschen, der Leipziger Platz sei gänzlich autofrei.
Zum Abschluß möchte ich noch diese Vorrichtung zeigen. Mit ihr wurden in den Kamera-Werkstätten Niedersedlitz die Objektive der großen Noblex in ihrer Trommel kollimiert.
Anmerkung vom 1. März 2023: Seit dieser Artikel in der google-Suche ganz oben auftaucht, wenn man nach Stichwörtern wie "Noblex Kamera" etc. sucht, bekommen wir ungewöhnlich viele Zuschriften zu Reparaturmöglichkeiten für diese Kameras. Manche fragen an, ob ich nicht ausnahmsweise ihr Exemplar mal anschauen könne, andere berichten von einer Firma in Nordamerika, die die Reibbeläge (für sehr viel Geld) austauschen würde. Jemand anderes hat mit dem 3D-Drucker neue Radscheiben ausgedruckt, auf die er O-Ringe aus Silikon aufzieht. Man erkennt daraus, wie sehr diese Panoramakameras noch geschätzt sind und wie bedauerlich es ist, wie die nachlässige Ausführung der Noblex heute dazu führt, daß kaum noch zuverlässig funktionierende Exemplare existieren. Obwohl sich unsere Seiten eigentlich mit der Geschichte der Gerätschaften beschäftigen und explizit nicht mit der heutigen Nutzung, werde ich bei Gelegenheit die einzelnen Vorschläge und Ideen zur besagten Problematik hier einmal bündeln und vorstellen.
Marco Kröger
letzte Änderung: 1. März 2023
Yves Strobelt, Zwickau
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