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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Das Tessar
Carl Zeiss Jena
Das Tessar ist ein Jahrhundertobjektiv. Kaum etwas Vergleichbares dominierte im 20. Jahrhundert weite Teile der Phototechik so sehr wie das Tessar. Und zwar nicht allein als ein erfolgreiches Erzeugnis eines einzelnen Herstellers, sondern als Gattungsbegriff für eine Objektivbauform, an der schon bald keine der Konkurrenzfirmen mehr vorbeikam. Als halbverkittete Tripletvariante ist der Tessartyp zu den erfolgreichsten Objektivkonstruktionen aller Zeiten zu zählen. Diese Tatsache erfährt selbst dadurch keinerlei Schmälerung, daß das Tessar im neuzeitlichen kommerziellen Objektivbau quasi keine Rolle mehr spielt.
Paul Rudolphs langer Weg zum Tessar
So augenfällig uns heute die Charakteristik des Tessars als ein durch Verkittung erweitertes Triplet auch erscheinen mag, und so gerne wir es der Übersichtlichkeit halber jener Gruppe um Zeitgenossen wie dem Heliar (Voigtländer, 1900) oder dem Hektor (Leitz, 1928) zuordnen würden, so wenig stimmt diese Kategorisierung mit dem tatsächlichen historischen Werdegang des Tessars überein. Dieser Eindruck drängt sich wohl nur deshalb auf, weil kaum daß Dennis Taylor im Jahre 1895 einen lediglich aus drei einzelnstehenden Linsen aufgebauten Anastigmaten geschaffen hatte [DRP Nr. 86.757], versuchten Konstrukteure wie Hans Harting sogleich, diesen einfachen Typ in seiner Leistung weiter zu verbessern, indem sie dessen drei Einzellinsen an einer oder mehreren Stellen in Kittgruppen aufspalteten [Heliar, DRP Nr. 124.934 und Nr. 143.889]. Diese Triplets und ihre Abwandlungen machten zu Beginn des 20. Jahrhunderts rasch den Großteil der Objektivproduktion aus und die Unterkategorie „Triplets mit verkitteter Hinterlinse“, die quasi als Synonym für „Tessartyp“ zu verstehen ist, wurde erst im Nachhinein so geschaffen.
Die Liste der Kategorie Triplet(t)s mit verkitteter Hinterlinse in Helmut Naumanns Standardwerk "Das Auge meiner Kamera" aus dem Jahre 1937. Naumann war vor dem II.Weltkrieg bei Busch in Rathenow tätig, nach 1945 dann bei Voigtländer und am Schluß bei Rodenstock.
Dabei hatte die Entwicklung von Photoobjektiven bei Carl Zeiss in Jena genau mit einer solchen Triplet-Konstruktion begonnen. Die Arbeiten dazu waren im Jahre 1888 noch von Ernst Abbe (1840-1905) persönlich aufgenommen worden [Vgl. Esche: 75 Jahre fotografische Objektive aus dem Zeiss-Werk Jena; in: Fotografie 9/1965, S. 346ff]. Doch infolge des Todes des Firmengründers Carl Zeiß zum Ende des Jahres, der Abbe nun vollständig die Verantwortung für die Jenaer Weltfirma aufbürdete, gab er die Konstruktionsarbeiten nach kurzer Zeit an seinen Assistenten Paul Rudolph (1858-1935) ab. Dieser mußte jedoch bald darauf feststellen, daß Abbes Konstruktionsansatz trotz sehr guter sphärischer Korrektur und einer Behebung der chromatischen Fehler bis hin zu Apochromasie eine aussichtslose Sackgasse darstellte. Bei der photographischen Überprüfung dieses Triplets ergab sich nämlich, daß nicht nur die Abbildung außerhalb der Bildmitte zunehmend in Unschärfe abglitt sondern sich zudem seltsame Verzerrungen am Bildrand bemerkbar machten. Die Ursache dafür lag im Bildfehler des Astigmatismus, der die Leistung von ansonsten gut auskorrigierten Objektiven bislang stets infrage stellte. Seine Ursache liegt in der sogenannten Bildfeldkrümmung, die dazu führt, dass seitlich gelegene Bildeinzelheiten nicht in derselben Ebene abgebildet werden wie im Zentrum gelegene, sondern die Brennpunkte eine durchbogene Fläche bilden. Es ist logisch, daß ein solches gekrümmtes Bild auf einer flachen Photoplatte nicht bis zum Rand einheitlich scharf wiedergegeben werden kann. Beim Astigmatismus kommt aber erschwerend hinzu, daß sich für Licht, das das Objektiv in senkrecht zueinander stehenden Ebenen durchläuft, zwei getrennte Bildschalen ergeben, die zum Teil in unterschiedliche Richtungen ausbrechen. Man spricht daher auch vom Zweischalenfehler. Während aber diese Bildkrümmung bei einer geschickte Plazierung der Blende im Ausmaß noch einigermaßen gemildert werden konnte, waren gegen die Unschärfen und Verzerrungen, die durch diesen Astigmatismus hervorgerufen wurden, bislang keine Mittel gefunden worden.
Paul Rudolph in den späten 1920er Jahren und damit während seiner letzten Lebensphase, die er in Görlitz verbrachte (Bild: A. Jäschke). Aus der ernüchternden Arfahrung mit dem stark mit Astigmatismus behafteten Abbe-Rudolph-Triplets hatte der gerade einmal 30-jährige Rudolph gewissermaßen eine Lebensaufgabe gefunden, die ihn letztlich bis ins hohe Alter nicht mehr loslassen sollte
Immerhin hatte der Pionier der Objektivberechnung Josef Petzval bereits in den Jahren 1843 und 1857 die Voraussetzung dafür formuliert, wie die Bildfeldkrümmung und damit auch der Astigmatismus gegen Null gebracht werden könnten. Seine Petzval-Bedingung lief letzten Endes darauf hinaus, in den Linsen eines Objektives ein bestimmtes Verhältnis zwischen Brechzahl und Farbzerstreuung zu erreichen. Einen ersten Versuch dahingehend hatte Adolph Steinheil im Jahre 1881 mit seinen Antiplaneten [DRP Nr. 16354] angestellt, doch verhinderten die unzureichenden Eigenschaften der zur Verfügung stehenden Glassorten letztlich den vollen Erfolg. Diese Situation änderte sich jedoch in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre radikal, als durch die ausgesprochen glückliche Zusammenarbeit des Chemikers Otto Schott mit dem Jenaer Zeisswerk optische Gläser mit völlig neuartigen Eigenschaften hervorgebracht werden konnten. Diese Voraussetzungen mündeten darin, daß der Achromat als einer der wichtigsten Konstruktionselemente der Optik gewissermaßen noch einmal neu erfunden wurde.
Optische Medien haben für verschiedene Farben des Spektrums unterschiedliche Brechzahlen. Bei Abbildung mithilfe einer einzelnen Linse stellen sich daher zwei eklatante Bildfehler ein: Die chromatische Längs- und die chromatische Querabweichung. Die Längsabweichung (auch Farbortsfehler genannt) ist eine Folge daraus, daß die Linse über das Spektrum hinweg keine einheitliche Schnittweite aufweist und das Licht daher, nachdem es die Linse verlassen hat, in farbigen Einzelbildern gebündelt wird, die in unterschiedlichen Entfernungen auf der optischen Achse regelrecht aufgereiht erscheinen. Man kann daher nicht gleichzeitig beispielsweise auf das blaue oder das rote Bild scharf einstellen. Die chromatische Querabweichung (auch Farbfehler der Bildgröße genannt) ergibt sich daraus, daß die Linse über das Spektrum hinweg auch noch unterschiedliche Brennweiten hat. Das hat nun wiederum zur Folge, daß die farbigen Einzelbilder auch noch mit einem unterschiedlichen Abbildungsmaßstab auf die Bildebene fallen, weshalb sie unterschiedlich groß erscheinen und sich die gefürchteten farbigen Säume an den Rändern der Bilder ergeben.
Eine Möglichkeit des Ausgleichs dieser Farbfehler ergibt der Achromat als Kombination einer Sammel- und einer Zerstreuungslinse. Diese müssen aus den passenden Glassorten bestehen und aufeinander abgeglichene Brechkräfte haben, um beispielsweise den Farbenvergrößerungsfehler für zwei Farben streng und die Längsabweichung recht gut beheben zu können. Die beiden Linsen können dabei miteinander verkittet werden (Kittfläche K) oder zwischen ihnen wird ein schmaler Luftspalt belassen. Derartige Achromate wurden in der Anfangszeit als einfache Objektive mit recht bescheidener Abbildungsleistung eingesetzt, erlangten aber später eine viel bedeutendere Rolle als Konstruktionselement in komplexeren zusammengesetzten Objektiven. [Beide Abbildungen nach: Naumann, Auge meiner Kamera, 1937.]
Achromate waren schon seit dem 18. Jahrhundert bekannt (John Dollond). Man hatte erkannt, daß mit einer Kombination aus einer Sammel- und einer Zerstreuungslinse die unerträglichen Farbsäume gemildert werden können, die sich ergeben, wenn Licht durch Linsen gebrochen wird. Dazu wurde die Eigenschaft ausgenutzt, daß eine Kron genannte Glassorte bei kleinerer Brechzahl eine geringe Farbzerstreuung aufwies, während sogenanntes Flintglas zwar eine viel höhere Brechzahl zu bieten hatte, diese aber gleichzeitig an eine deutlich größere Farbzerstreuung gekoppelt war. Diese Materialkombination erlaubte es, die von der Sammellinse aus Kronglas hervorgerufene Zerlegung des Lichtes in seine Farben durch eine nachfolgende Zerstreuungslinse aus Flintglas zu kompensieren, die trotz der nötigen geringeren Brechkraft eine gegensätzlich wirkende Dispersion auf gleichem Niveau sicherstellen konnte. Derartige Achromate beflügelten zunächst vor allem den Fernrohrbau, weil hier aufgrund der starken Vergrößerungsfaktoren Farbsäume besonders störend wirkten. Große Erfolge im Bereich der photographischen Objektive wurden erzielt, als man ab den späten 1860er Jahren zwei solche Achromate symmetrisch zu einer Blende anordnete. Diese Aplanate ermöglichten die Korrektur der meisten Bildfehler einschließlich des Kugelgestaltsfehlers und der Koma. Doch es blieb der Astigmatismus.
Es war nun Paul Rudolph dem es in den Jahren 1889/90 erstmals gelang, endlich einen Weg zur Behebung dieses problematischen Bildfehlers zu finden, in dem er eine neue Form des Achromaten entwickelte. Möglich war dies geworden mit den neuartigen Glassorten, die in Jena durch das Glaswerk Otto Schott & Genossen hervorgebracht werden konnten. Diese Glassorten erlaubten es, jenes über Jahrhunderte hinweg zementierte Gefüge zwischen Brechzahl und Dispersion mit einem Mal zu überwinden. Zentraler Punkt dabei waren die sogenannten Schwerkrone, die das Licht weiterhin nur so stark in seine Spektralfarben zerstreuten, wie die bisherigen Krongläser, es dabei aber so stark brechen konnten, wie man es bislang nur von Flintgläsern her kannte. Gleichzeitig gelang es aber auch, Flintgläser in ihren Eigenschaften stark zu manipulieren, indem ihr Brechungsvermögen auf ungewöhnlich niedrige Werte abgesenkt, und ihre Farbzerstreuung quasi genau an die Grenze zwischen Kron- und Flintgläsern gelegt wurde – daher auch ihr Name Kron-Flint. Auch die ähnlich gelagerten Barit-Leicht-Flinte sowie die sogenannten Kurzflinte zählten zu dieser Klasse, wobei letztere mit ihren anomalen Dispersionsverläufen sogar die Farbkorrektur bis in den apochromatischen Bereich ermöglichten.
Zeichnet man die Vielfalt der Glassorten in ein Koordinatensystem ein, bei dem die y-Achse den Brechungsindex und die x-Achse die Abbe'schen Zahlen bedeuten, dann ergibt sich diese charakteristische Darstellung. Es handelt sich um eine Momentaufnahme aus dem Jahre 1937, die die Fortschritte der letzten exakt 50 Jahre wiederspiegelt. Gab es bis 1886 nur Gläser im Bereich Kron (K) und Flint (F), so waren mittlerweile Sorten mit extremen Eigenschaften hinzugekommen, aber eben auch Gläser, die gewissermaßen die Lücken dazwischen ausfüllten und die sich als besonders essentiell erwiesen hatten, um Objektive auskorrigieren zu können. Gut zu sehen zum Beispiel Glassorten, die mit ny-Werten zwischen 50 und 55 in einem Grenzbereich lagen, wo je nach den sonstigen Eigenschaften Flint und Kron regelrecht ineinander übergingen.
Mit diesen Glassorten konnte nun erstmals ein Achromat zusammengestellt werden, der es erlaubte, die oben bereits erwähnte Petzval-Bedingung einzuhalten. In einem Achromat, der insgesamt eine sammelnde Wirkung haben soll, muß die Zerstreuungslinse ja stets aus demjenigen Glas mit der höheren Dispersion bestehen. Nur so ist zu erreichen, dass die durch die stärkere Brechkraft der Sammellinse hervorgehobene große farbliche Aufspaltung des Lichtes durch die nachfolgende Zerstreuungslinse wieder neutralisiert werden kann, obwohl deren Brechkraft ja geringer sein muß, um nicht die positive Gesamtwirkung des Achromaten aufzuheben. Dieses Prinzip ist grundsätzlich nicht zu umgehen. Der große Unterschied zu den bisherigen Achromaten bestand jetzt aber darin, daß durch Einsatz der neuen Glassorten auf einmal die Sammellinse aus dem stärker brechenden, die Zerstreuungslinse jedoch aus dem schwächer brechenden Glas bestehen konnte, ohne die notwendige Aufteilung der Dispersion auf beide Elemente anzutasten. Paul Rudolph hatte nun erkannt, daß mit diesem sogenannten Neuachromat der Schlüssel gefunden war, um die Bildfeldwölbung und den Astigmatismus in einem photographischen Objektiv zu beheben. Das lag daran, daß durch die Umkehrung der Brechzahlverhältnisse im Achromat die Kittfläche zwischen dessen beiden Linsen jetzt auf einmal eine sammelnde Wirkung bekam, während sie beim Altachromat bislang stets zerstreuend gewirkt hatte. Der große Durchbruch gelang Paul Rudolph in den Jahren 1889/90 nun dadurch, indem er einen solchen Neuachromaten mit einem Altachromaten kombinierte, wobei ersterer die Steuerung des Astigmatismus, letzterer wiederum die Korrektur der sphärischen Aberration erlaubte. Ergebnis war das erste von Bildfeldwölbung und Astigmatismus befreite Objektiv, das zunächst „Anastigmat“ genannt wurde und das später unter dem Markennamen Protar vertrieben wurde.
Diese namentliche Präzisierung wurde nötig, weil die Priorität des Zeisswerks in Bezug auf Anastigmate nicht allzu lang währte und recht bald Konkurrenzfirmen nachzogen, die mit ihren Produkten zunächst sogar erfolgreicher waren. Das lag nicht zuletzt auch an den Richtungsentscheidungen Paul Rudolphs, der verbissen an der Umarbeitung seiner Erfindung zu einem Satz-Anastigmaten festhielt und anschließend mit dem Planar einen Doppelanastigmaten schuf, der weit über das bisher gekannte Maß an sphärischer und chromatischer Korrektur hinausging und deshalb für damalige Verhältnisse eine ungewöhnlich hohe Lichtstärke ohne Zugeständnisse an die Abbildungsleistung erreichte. Doch dieses Planar war ebenso wie der Satz-Anastigmat alles andere als ein Objektiv für den Massenmarkt.
Aber gerade in dieser Hinsicht war an der Wende zum 20. Jahrhundert einiges in Bewegung geraten. Ein regelrechtes Heer an Amateuren begann die Photographie als ihr Steckenpferd zu entdecken und sie kauften sich dafür klein zusammenfaltbare Platten- und Rollfilmkameras. Für diese Kameragattung wurden Objektive gebraucht, die genau auf das entsprechende Format zugeschnitten sein sollten und die dafür bei höchster Bildqualität möglichst preiswert herstellbar sein mußten, um die Kamera insgesamt nicht zu teuer werden zu lassen. Diesen Trend hatte Paul Rudolph endlich richtig eingeschätzt und er richtete nach dem symmetrisch aufgebauten Planar seinen Blick wieder auf asymmetrische Konstruktionen. Hatte er zuvor bei seinem Protar-Anastigmat die sphärische Korrektur in der einen und die anastigmatische Korrektur in der anderen Hälfte an unterschiedlich brechenden Kittflächen vorgenommen, so wies er mit seinem Unar [DRP 134.408 vom 3. November 1899] nach, daß dasselbe Ergebnis auch erreicht werden konnte, wenn die Glaspaare durch Luftzwischenräume voneinander abgegrenzt werden. Dazu hatte er diesen regelrechten Luftlinsen in der einen Hälfte des Objektivs eine positive, in der anderen eine negative Wirkung mitgegeben. Durch die viel niedriger liegende Brechzahl dieses Zwischenmediums war zudem die Wirksamkeit dieser Luftlinsen wesentlich stärker als allein die Grenzfläche zwischen zwei verkitteten Glassorten. Es ist nicht ganz klar, weshalb dieses Unar trotz seiner hervorragenden Bildfehlerbehebung rasch wieder aufgebeben wurde. Möglicherweise war es mit seinen vier einzelnstehenden Linsen sehr streulichtanfällig oder die meniskenförmige Linse Nummer drei bereitete in der Massenfabrikation Schwierigkeiten.
Trotz dieses erneuten Mißerfolges setzte Paul Rudolph nahtlos seine Arbeit an einem asymmetrisch aufgebauten Anastigmaten fort. Der Ansporn dafür lag sicherlich in den sich in Windeseile verbreitenden einfachen Triplets nach dem Taylor‘schen Vorbild oder dem eingangs bereits erwähnten Heliar, das sich rasch als hochwertige Objektivausstattung für moderne Rollfilm- und Plattenkameras der Firma Voigtländer durchgesetzt hatte. Übergreifendes Merkmal dieser Objektive war, daß sie mit vergleichsweise einfach geformten und recht dünnen und flachen Linsen arbeiteten, was Vorteile in Hinblick auf Materialkosten und Herstellungsaufwand mit sich brachte.
Es hat sich nun als einer der glücklichsten Wendungen im Bereich des Photoobjektivbaus ergeben, daß Paul Rudolph aus dieser Sackgasse herausfand, indem er das Potential seiner in den letzten zehn Jahren erarbeiteten Grundlagenerfindungen zur gleichzeitigen Beherrschung der Farbfehler, des Kugelgestaltsfehlers und des Astigmatimus zusammenführte. Der Kern seines Tessar-Patentes Nr. 142.294 vom 25. April 1902 basierte dabei darauf, daß er die Korrekturprinzipien seines Protar-Anastigmaten mit demjenigen des Unars kombinierte, das heißt es wurde das Korrekturmittel der gegensätzlich brechenden Nachbarflächen sowohl in der Form wie beim Protar mithilfe einer Kittfläche, als auch wie beim Unar mithilfe eines Luftzwischenraumes angewendet. Aus der obigen Abbildung, die diesen Vorgang schematisiert darstellt, wird auch deutlich, wie Paul Rudolph sich auf diese Weise der hinteren Gruppe des Unars entledigte, die wie gesagt einen dünnen zerstreuenden Meniskus enthielt, der unter Umständen eine problematische Zentrierempfindlichkeit gehabt haben könnte.
Das Bild oben zeigt den originalen Linsenschnitt aus Rudolphs Patentschrift von 1902. Seinen erfinderischen Fortschritt (der Dreh- und Angelpunkt eines jeden Patentgesuchs) erläuterte er folgendermaßen:
"Dieser Erfolg beruht darauf, daß in einem aus vier durch die Blende in zwei Guppen geteilten einfachen Linsen bestehenden Objektiv die Linsen der einen Gruppe einen Luftabstand erhalten, welcher von einem Nachbarflächenpaar mit negativem Stärkevorzeichen begrenzt ist, die Linsen der anderen Gruppe aber durch eine Kittfläche mit sammelnder Wirkung vereinigt sind.
Durch dieses Objektiv ist der Konstruktionsgedanke des Objektivs nach Patent 56109 [also des "Anastigmats" von 1890] und der des Objektivs nach Patent 134408 [also des "Unars" von 1899] zu einer gewissen Vereinigung gebracht worden. Während man sich nämlich bei ersterem auf durch die Blende getrennte, verkittete Linsengruppen beschränkt und die Gegensätzlichkeit zur Herbeiführung astigmatischer Korrektion nur auf die Brechungswirkung von Kittflächen erstreckt hat, sind bei letzteren [sic!] unter Voraussetzung eines Luftabstandes in jeder Gruppe zwei in der Brechung gegensätzlich wirkende Nachbarflächen wirksam, d. h. zwei Luftlinsen von verschiedenem Stärkevorzeichen.
In dem neuen Objektiv ist nun die zur astigmatischen Korrektion führende Gegensätzlichkeit dadurch geschaffen, daß die Kittfläche der einen verkitteten Gruppe das entgegengesetzte Stärkevorzeichen erhält wie das Nachbarflächenpaar der anderen, einen Luftabstand enthaltenden Gruppe."
In der Folge führt Rudolph noch aus, daß er bei seinem Tessar von den beiden prinzipiell möglichen Lösungen diejenige gewählt hat, bei der eine positiv wirkende Kittfläche einer negativen Luftlinse gegenübergestellt wird. Zwar seien schon früher vielmals Kittflächen und Luftlinsen gegenübergestellt worden aber sowohl beim Petzvalobjektiv wie beim Steinheil'schen Antiplaneten habe die Kittfläche stets dasselbe Stärkevorzeichen bessessen wie die Luftlinse.
Endlich war ein insgesamt einfach aufgebautes und vergleichsweise preiswert herstellbares photographisches Objektiv gefunden worden, bei dem gleichzeitig ein bisher nicht gekanntes Niveau an Bildleistung erzielt werden konnte. Dabei war zum Erreichen dieses Zieles fast ein anderthalbes Jahrzehnt an Vorarbeit nötig gewesen, die mehrfach in Sackgassen gemündet war. Paul Rudolph war zwar mit seinem Protar als erstem Objektivkonstrukteur die Korrektur des problematischen Astigmatismus gelungen, doch es zeigte sich schnell, daß es noch weiterer Anstrengung bedurfte, um den Ausgleich dieses bestimmten Abbildungsfehlers nicht durch Zugeständnisse in Hinblick auf die restlichen Abbildungsfehler erkaufen zu müssen. Auf diesen Grundprinzipien der modernen Optik fußend, ist das Tessar selbst heute noch ein wunderbares – weil auch für den Laien verständliches – Beispiel dafür, daß Abbildungsfehler eben nicht einfach "beseitigt", sondern lediglich so weit gegeneinander abgewogen werden können, daß man sich einem Optimum annähert. Wenn die eine Objektivhälfte die Korrektur des problematischen Astigmatismus und der Wölbung, nicht aber des Kugelgestaltsfehlers zuläßt, dann muß die andere Hälfte letztere Aufgabe übernehmen, ohne wiederum negativ auf die Korrektur des Astigmatismus rückzuwirken, wobei von Vorteil war, daß beide Systemteile schon von sich aus achromatisiert gewesen sind. Diese aufeinander rückwirkenden Einflußfaktoren verlangten nach einem sorgfältigen Abgleichen von optischen Parametern wie Linsenabständen, Linsendicken, Linsenradien, usw., was angesichts der damaligen technischen Möglichkeiten nach unvorstellbar aufwendigen mathematischen Berechnungen verlangte. Speziell vor diesem Hintergrund wird auch die außergewöhnliche Begabung Paul Rudolphs und seiner Zeitgenössen abschätzbar, weil sie abgesehen von ihren mathematischen Fähigkeiten einen weit darüber hinausgehenden Einblick in ihre Materie haben mußten, um Lösungswege abschätzen zu können, die in heutiger Zeit ein Computerprogramm fast automatisch findet, wenn es schlichtweg Millionen an Lösungsmöglichkeiten per Versuch und Irrtum durchspielt.
Im Zeitalter von Papier und Bleistift, der Logarithmentafeln und der mechanischen Rechengeräte wäre man mit dieser Methode allerdings niemals ans Ziel gelangt. So war auch mit der bloßen Erfindung des Tessars noch lange nicht jenes Spitzenobjektiv geschaffen, das nun bald als "Adlerauge der Kamera" zu Weltruhm gelangen sollte. Denn jetzt schloß sich erst die eigentliche Arbeit an, diesen Typ zu optimieren und anschließend die unzähligen Varianten zu rechnen, die von der Photoindustrie mit ihren verschiedenen Aufnahmeformaten verlangt wurden.
Ernst Wandersleb übernimmt die Weiterentwicklung
In Rudolphs Tessar-Patent ist für das angegebene Ausführungsbeispiel eine Lichtstärke von 1 : 5,5 zugrundegelegt. Interessant erscheint, daß in dieser Schutzschrift offen zum Ausdruck gebracht wird, daß das angegebene Beispiel lediglich dazu geeignet sei, die grundsätzliche Leistungsfähigkeit seiner Erfindung abzuschätzen, es jedoch noch nicht zu einem Optimum durchgerechnet worden wäre. Diese, auf Grundlage der damals zur Verfügung stehenden Mittel übrigens sehr kräftezehrende Arbeit des Optimierens, hat Rudolph trotz der großen ökonomischen Bedeutung dieses international konkurrenzlosen Objektivstyps bereits nach kurzer Zeit vollständig seinem Assistenten Ernst Wandersleb überlassen. Und das obwohl Wandersleb – mit nur 22 Lebensjahren – gerade erst bei Zeiss eingestellt worden war. Wie wir heute wissen, lag das wohl hauptsächlich daran, daß das Tischtuch zwischen Paul Rudolph und seinem Arbeitgeber bereits seit längerer Zeit zerschnitten war.
Es gehört zur Lebenstragik des Dr. Paul Rudolph, daß dieser geniale Geist im Sommer 1889 mit gerade einmal 30 Lebensjahren einen nach heutigem Verständnis regelrechten Knebelvertrag mit dem Zeisswerk abgeschlossen hatte, der ihm anfänglich ein gutes und vor allem sicheres Auskommen zu sichern schien, sich aber später als ein goldener Käfig entpuppte, der ihm eine Teilhabe an den zunehmend größer werdenden ökonomischen Erträgen aus seinen Erfindungen verwehrte, ihn gleichzeitig aber auch nicht gehen und zum eigenen Herr über seine Erfindungen werden ließ. Um es vorweg zu nehmen: Paul Rudolph mußte erst über 60 Jahre alt werden, um von diesem Vertrag endlich loszukommen – und überdies seine schöpferische Kraft als Objektivkonstrukteur wiederzuerlangen!
Dieses Gefühl, zunehmend von seinem Arbeitgeber übervorteilt zu werden, muß in Paul Rudolph wohl aufgekommen sein, nachdem mit seinem Planar von 1896 das erste Mal mit einem Zeissobjektiv richtig gutes Geld verdient werden konnte, ihm aber aufrund seines Anstellungsvertrages von 1889 kein Anteil an den Erträgen zustand. Eine im Arbeitsvertrag genannte Beteiligung an Patentlizenzen galt nämlich ausschließlich für seinen später als Protar bekannt gewordenen Anastigmaten von 1889/90. In dem Maße aber, wie Rudolph nun immer fortgeschrittenere Konstruktionen erfand, die das veraltete Protar zunehmend vom Markt verdrängten, fielen die zusätzlichen Einnahmen für ihn um so geringer aus. Für Rudolph ergab sich also die geradezu kafkaeske Situation, daß er immer stärker Opfer seines eigenen Erfolges wurde.
Auch für das Tessar wurden umgehend Fertigungslizenzen vergeben, so zum Beispiel an die US-amerikanische Firma Bausch & Lomb in Rochester und New York City [aus: Camera Work: A Photographic Quarterly Nr. 12, 1905, S. 73.]. Weitere Lizenznehmer waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Karl Fritsch in Wien, Koristka in Mailand, Krauss in Paris sowie Ross in London.
Man kann daher seine Patentschrift zum Tessar auch so lesen, daß er verzweifelt versuchte, den Kerngedanken seiner Protar-Erfindung von 1889, mit dem ihm erstmals die Korrektur des Astigmatismus gelungen war, in der bildseitigen Kittgruppe des neuen Tessarobjektivs wieder aufleben zu lassen, um damit die vertraglich garantierte Beteiligung an Lizenzeinnahmen zu erzwingen. Doch genau diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Statt an dem großen kommerziellen Erfolg des Tessares zu partizipieren, mußte Rudolph mit ansehen, wie das nach Abbes Tod zum Großkonzern aufgestiegene Zeisswerk den Reibach ganz alleine einstrich. Verschlimmert worden war die ohnehin schon schwierige Lage noch mit einem waghalsigen Versuch, seine Einnahmen durch ein privates Engagement im Kamerabau zu verbessern. Das Scheitern des "Palmos-Camerawerks" hatte indes den endgültigen Bruch mit seinem Arbeitgeber zur Folge, da er diesen in den verlustreichen Bankrott mit hineingezogen hatte.
Die folgende Zeit nach dem Tessarpatent war nun durch eine fast völlige Erlahmung der schöpferischen Tätigkeit Rudolphs überschattet, obwohl er formal Leiter der Abteilung Photo blieb. In der Patentliteratur ist lediglich noch ein "Herumlaborieren" an seinen alten Erfindungen aus den 1890er Jahren nachweisbar. Diese wiederum kafkaesk anmutende Lage ergab sich ebenso als ein Ergebnis des unglücklichen Anstellungsvertrages von 1889: Rudolph hätte binnen zehn Jahren nach dem Ausscheiden bei Zeiss in keiner konkurrierenden Firma tätig werden dürfen, weshalb eine solche – nicht weniger als den Totalverlust seiner Lebensgrundlage bedeutende – Kündigung für ihn nicht infrage kam. Zeiss hatte andererseits Rudolph vertraglich eine unkündbare Stellung zugebilligt, weshalb sie fest an ihn gebunden waren, gleichgültig ob Paul Rudolph Jahrhundertobjektive erfand oder am Schreibtisch saß und Däumchen drehte – eine über die Maßen unbefriedigende Situation für beide Seiten. Diese beinah ins irrwitzige abgleitende Vorgeschichte mußte hier freilich vorwegschickt werden, um begreiflich zu machen, weshalb die tatsächlich in den Handel gelangten Formen des Tessars keine Hervorbringungen seines Erfinders und Leiters der Photo-Abteilung mehr gewesen sind, sondern defacto diejenigen seines Assistenten Ernst Wandersleb. Willy Merté schreibt hierzu im Jahre 1929:
"Das Ausführungsbeispiel des Grundpatents des Tessars hat P. Rudolph [...] etwa für eine Öffnung 1 : 5,6 sphärisch und auf Sinusbedingung korrigiert, während die anastigmatische Bildebnung und Verzeichnungsfreiheit noch nicht in dem Maße wie bei den damaligen Protaren erreicht war. Dieses Patentbeispiel wurde nicht fabriziert, sondern zwei andere Formen, die P. Rudolph sogleich aus dem Typ herausarbeitete, das Tessar 1 : 6,3 als hervorragendes Universalobjektiv [...] und ein Reproduktionsobjektiv mit der Anfangsöffnung 1 : 10 bis 1 : 15, das 'Apochromattessar' gennant wurde.
Die weitere Entwicklung der Tessarform für die verschiedenen Anwendungsgebiete, vor allem in der Richtung großer Lichtstärke, als Universalobjektiv für Astrophotographie, für Porträtphotographie, für Kinoaufnahmen, für Episkopprojektion, späterhin für Fliegerkammern u. a. m. beruht bis etwa 1915 im wesentlichen auf den Arbeiten von E. Wandersleb, und zwar entstand 1904 ein Astrotessar 1 : 5, 1905 ein Universaltessar 1 : 4,5, 1906 das Tessar 1 : 3,5 mit einem Bildfeld von etwa 35–40° für Kinoaufnahmen und Sonderzwecke, insbesondere späterhin für die ersten Fliegerkammern, 1908 auch ein verhältnismäßig weitwinkliges Tessar mit einem Öffnungsverhältnis 1 : 9 und einem Bildfeld von etwa 80°. [...]
Daneben lief von 1905 an die Ausarbeitung von wichtigen Änderungen innerhalb der Tessare 1 : 6,3 und 1 : 4,5. Da diese Formen, ebenso wie die meisten der vorstehend genannten, zum großen Teil weit innerhalb der Laufdauer des Grundpatents entstanden, fehlte die Veranlassung, neue Schutzrechte für sie auszuarbeiten und so unterblieb bei der Mehrzahl auch ihre druckschriftliche Veröffentlichung [...]. Um so notwendiger schien es dem Verfasser, hier ausdrücklich auf diese wichtigen Arbeiten von E. Wandersleb hinzuweisen." [Merté, Willy: Bauarten der photographischen Objektive, in: Hay, Alfred (Hrsg.): Handbuch der wissenschaftlichen und angewandten Photographie, Band I, Das photographische Objektiv, Wien, 1932, S283/284.]
Ernst Wandersleb (1879 - 1963) auf einer Photographie aus derjenigen Zeit, als er Assistent Rudolphs gewesen sein dürfte. (Bild: Deutsche Digitale Bibliothek)
Man erfährt also aus diesen Ausführungen, daß Rudolph lediglich noch in den Jahren 1902 und 1903 das Tessar 1 : 6,3 und das Apo-Tessar ausgearbeitet hat, ab 1904 aber sämtliche Weiterentwicklungen von Rudolphs Assistenten Ernst Wandersleb übernommen worden sind – insbesondere das lange als das "Adlerauge der Kamera" beworbene Tessar 1:4,5. Obendrein kann man aus Mertés Ausführungen noch eine Würdigung Ernst Wanderslebs dahingehend herauslesen, daß dessen große Leistungen als herausragender Objektivkonstrukteur wohl deswegen immer ein wenig unter den Tisch gefallen sind, weil er anders als Merté oder Bertele nicht besonders prominent in der Patentliteratur auftaucht. Zudem wird Wandersleb durchweg als bescheidener Zeitgenosse und Philanthrop beschrieben, der offensichtlich nur wenige Ambitionen zeigte, sich in den Vordergund zu spielen. Und das obgleich er 1911 als Rudolphs Nachfolger immerhin zum Leiter der Abteilung Photo des Zeisswerks aufgestiegen war.
Mit Beginn der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird dieser interessante Mann, der mit einer jüdischstämmigen Frau verheiratet gewesen ist, allerdings sukzessive aus seiner Führungsposition innerhalb der Abteilung Photo verdrängt. Inwieweit daran sein Nachfolger Willy Merté perrsönlich beteiligt gewesen ist, ist mir noch nicht ganz klar. Fakt ist, daß letzterer sowohl Wanderslebs Position innerhalb der Abteilung Photo als auch die Weiterentwicklung der prestigeträchtigen Tessare übernimmt.
Jahrzehntelang der Maßstab für ein hochwertiges Normalobjektiv mit etwa 60 Grad Bildwinkel: Das Tessar 1:4,5 in Brennweiten zwischen 50 und 360 mm wurde noch bis Ende der 1980er Jahre gefertigt. Ursprünglich von Ernst Wandersleb um 1906/07 herum geschaffen und wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg (ca. 1911...1913) noch einmal perfektioniert, wurde diese Reihe gegen Ende der 20er Jahre (ca. 1927...1930) von Willy Merté auf den aktuellen Stand der Glastechnologie gebracht. Interessant ist, daß einige dieser Tessare 1:4,5 um 1948 herum von Prof. Zöllner erneut überarbeitet wurden, man aber nach einigen Jahren teilweise wieder auf die alten Versionen aus der Zwischenkriegszeit zurückwechselte. So geschehen zum Beispiel bei dem unten gezeigten Tessar 4,5/50 mm, das am 26. Juni 1948 neu berechnet und bis 1953 in dieser Konfiguration hergestellt wurde. Das nächste Produktionslos von 1958 verwendete dann allerdings wieder die Rechnung vom 15. September 1930. Auf dieser Grundlage von 1930 wurde das Tessar 4,5/50 mm gebaut, bis die Produktion 1980 mit einer letzten Serie auslief.
Ernst Wanderslebs große Leistung: Die Tessare 1:3,5 waren lange Zeit die lichtstärksten Universalobjektive. Das obige Exemplar wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg gebaut. Seine versenkte Fassung deutet darauf hin, daß es ursprünglich für eine Atelier-Spiegelreflex 13x18 cm gedacht gewesen sein mag.
Die Verbesserung des Tessars in der Zwischenkriegszeit
Das Grundpatent zum Tessar war abgelaufen, während gerade der Erste Weltkrieg Europa im Banne hielt. Im Oktober 1917 hatte man in einem "Nachfolgepantent" lediglich den Gesichtspunkt darauf gelegt, in der alleinstehenden Sammellinse das in der Herstellung teure und zu Blasen und Schlieren neigende Schwerkron durch ein preiswerteres und unproblematischeres Glas zu ersetzen, ohne damit die Leistungsfähigkeit des Tessars zu verschlechtern [DRP Nr. 350335]. Und weil nach dem Kriege die Luxusgüterwirtschaft erst langsam wieder hochlief, verspürte man in Jena offenbar auch nur verzögert einen Konkurrenzdruck vonseiten fremder Objektivbauanstalten, die nun den Tessartyp nachbauten. Darin mag jedenfalls der Grund gelegen haben, daß man sich bei Zeiss erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre veranlaßt sah, die Tessare auch qualitativ zu verbessern und damit konkurrenzfähig zu halten. Diese Anstrengungen sind im Reichspatent Nr. 463.739 vom 27. Juni 1926 für ein Tessar 1:3,5 dokumentiert, bei dem, um eine ausreichende Erfindungshöhe gegenüber dem bisher Erreichten zu belegen, die Schutzansprüche ganz bestimmte Krümmungsverhältnisse der Linsen formulierten, die zur Verbesserung der Leistung geführt hatten. Eine große Rolle dürften aber neuartige Schwerkrone wie das SK7 und SK10 gespielt haben, die nun in beiden Sammellinsen eingesetzt wurden. Auf dieser Basis wurden in den Folgejahren die Tessare 1:3,5; 1:4,5 und 1:6,3 zukzessive komplett neu zu berechnet.
Oben ist der Erfolg der qualitativen Verbesserung des Tessars in der Zeit um 1930 in Form von Kurven für die Querabweichungen dargestellt – einem Konglomerat aus sphärischer Aberration und meridionaler Koma. Als Referenz dient das Tessar 1:6,3 von 1902. Auf der x-Achse ist der Tangens des halben bildseitigen Bildwinkels δ' (= kleines Delta) und auf der y-Achse Δy' (= großes Delta) als Querabweichung in der besten Einstellebene angegeben. Alle Zahlenwerte verstehen sich auf eine Brennweite von 100 mm bezogen. Anmerkung: Beim Tessar 4,5 muß es statt 1939 sicherlich 1929 heißen. Ganz unten vergleicht Harry Zöllner sein verbessertes Tessar 2,8/50 von 1947 mit dem Vorgänger von Willy Merté aus dem Jahre 1931. [nach Zöllner, Harry: 70 Jahre Tessar; in: Fotografie 1972, S. 33.]
Unten: Angesichts der aufkommenden Konkurrenzerzeugnisse namhafter Objektivbaufirmen begann Zeiss nun für die verbesserten Tessare intensiv zu werben, wie mit dieser Annonce aus dem Jahre 1929.
Doch mit diesem Stand gab man sich in Jena noch nicht zufrieden. Mit dem Reichspatent Nr. 603.325 vom 18. Juli 1930 gelang es Willy Merté, das Tessar als Normalobjektiv auf die Öffnung 1:2,8 zu bringen. Zwar hatte es zuvor schon ein Tessar 1:2,7 gegeben, aber dieses wurde nur mit kurzen Brennweiten und eingeschränktem Bildwinkel für die Kinematographie angeboten. In den Schutzansprüchen für das neue Tessar 1:2,8 wurden wiederum bestimmte Verhältnisse der Linsenradien und der Scheitelabstände als Grundlage der Verbesserung angegeben. Neben dieser Optimierungsarbeit hat aber sicherlich mit dem hochbrechenden und sehr niedrig dipsergierendenden Barit-Flint BaF 10 wiederum die Verfügbarkeit verbesserter Glassorten eine große Rolle gespielt, das unten im ersten Beispiel in der Rücklinse, im zweiten Beispiel sogar sowohl in der Front- als auch in der Rücklinse zum Einsatz kam. Ich gebe unten die Abbildungen aus der US-amerikanischen Patentschrift wieder, weil man anhand der eigenhändigen Unterschriften gut erkennt, daß neben Merté dazumal auch nach wie vor Wandersleb an der Weiterentwicklung des Tessares beteiligt war.
Mit dieser Anhebung der Lichtstärke auf 1:2,8 wurde damals insbesondere auf die Belange der Kleinbildphotographie eingegangen. Trotz der kurzen Brennweiten war das Potential des Tessartyps nun allerdings vollkommen ausgereizt – wenn nicht gar überreizt worden. Bei voller Öffnung zeichnete das damalige Tessar 1:2,8 ziemlich weich. Richtig zufrieden war man in der Abteilung Photo mit diesem Typ daher nicht. Für längere Brennweiten hatten Merte und Wandersleb bereits im Jahre 1925 ein Biotessar 1:2,8 geschaffen [DRP Nr. 451.194].
Oben sieht man ein Exemplar des ersten Tessars 2,8/5 cm für die Contax I. Daß man in Willy Mertés Rechenbüro anfänglich offenbar reichlich Schwierigkeiten bei der Korrektur dieses Objektives hatte, erkennt man daran, daß in kurzer Zeit drei Versionen dieses Objektivtyps folgten, von denen die ersten beiden nur kurzzeitig gefertigt wurden. Die erste Rechnung vom 2. April 1931 brachte es demnach nur auf ein einziges Fertigungslos. Nachdem für die neue Contax unbedingt ein lichtstarkes Normalobjektiv gebraucht wurde, das preislich deutlich unter den Sonnaren 2 und 1,5/5 cm liegen sollte, wurde zum 8. Oktober 1931 eine nächste Rechnung fertiggestellt, von der in nur 19 Monaten mehr als 10.000 Stück gefertigt wurden. Das waren für damalige Verhältnisse respektable Mengen. Bereits zum 8. Mai 1933 erfolgte dann eine erneute Umkonstruktion, die noch im gleichen Monat in Serie ging und die bis zum Kriegsende aktuell blieb.
Als Nebeneffekt des Patentes von 1930 konnte aber auch das Tessar 1:3,5 überarbeitet werden und es profitierte somit ebenfalls von der neuen Glastechnologie. Das Tessar 1:3,5/5 cm wurde daher während der 1930er Jahre zum beliebten Normalobjektiv vieler Kleinbildkameras und das Tessar 3,5/7,5 cm zum Pendant für 6x6 Rollfilmkameras wie der Rolleiflex. Durch seinen recht simplen Aufbau war der Tessartyp in der Fertigung sehr gut beherrschbar und konnte daher in großen Stückzahlen vergleichsweise preiswert ausgestoßen werden. Durch die (vor allem im Vergleich zum Sonnar) recht flachen Linsen blieben auch bei Einsatz teurer Spezialgläser die Herstellungskosten einigermaßen im Rahmen. Und dort, wo es nicht auf höchste Lichtstärken ankam – zum Beispiel im Großformat – hatte sich das Tessar 1:4,5 einen festen Platz erobert und bildete über Jahrzehnte hinweg einen Standard, an dem sich Normalobjektive mit Bildwinkeln um die 60 Grad messen lassen mußten.
Willy Mertés Tessar als Versuchsträger für ein asphärisches Objektiv
Speziell für das Kleinbild wurden aber bald noch höhere Lichtstärken verlangt. Das liegt daran, daß erst bei den kleineren Formaten die Schärfentiefenverhältnisse so günstig sind, daß man die große Blendenöffnung überhaupt praktisch ausnutzen kann. Andererseits wurde vor 60...80 Jahren diese Reserve an Lichtstärke auch wirklich gebraucht, wenn man beispielsweise auf dem Kodachrome- oder Agfacolor-Film mit ihren Empfindlichkeiten von 12...15 DIN photographieren wollte.
Elegant und hochtalentiert - aber angesichts seiner Schlüsselposition bei Zeiss Jena während der Nazizeit nicht über jeden Zweifel erhaben: Dr. Willy Merté. Als führender Fachmann unter anderem auf dem Gebiet asphärischer Flächen wurde er nach dem II. Weltkrieg in die USA abgeworben und arbeitete in Boston und Dayton, wo er - noch keine 60 Jahre alt - im Frühjahr 1948 unerwartet verstarb, ohne seine bahnbrechenden Forschungen auf diesem Gebiet zuendegeführt zu haben.
Willy Merté arbeitete daher seit Mitte der 1930er Jahre daran, die Lichtstärke des Tessars mit 5 cm Brennweite auf 1:2,0 und höher anzuheben, indem er an verschiedenen Positionen asphärische Flächen einführte. Aus dem Jahre 1934 und 35 sind bei Thiele mehrere Versuchsfertigungen für Tessare 1:2,8; 1:2,0 und sogar 1:1,5/5 cm überliefert, die allesamt mit asphärisch deformierten Flächen arbeiteten. Merté hatte sich offenbar zuvor intensiv mit deformierten Linsenflächen auseinandergesetzt, worüber ein erstes diesbezügliches Patent Nr. 645.202 vom 31. Januar 1934 Zeugnis ablegt. Es existiert allerdings auch ein sich direkt auf diese asphärischen Tessare beziehendes Patent, das erst am 6. Dezember 1940 angemeldet worden ist, und gar erst am 23. Juli 1954 in der DDR (!) unter der Nummer DD2675 veröffentlicht wurde, nachdem Merté bereits seit sechs Jahren verstorben war. Unten gebe ich zwei Bildbeispiele aus dem besagten DDR-Patent wieder. Diese Grundlagenarbeiten zum Einsatz deformierter Flächen im Photoobjektivbau müssen wohl völlig in Vergessenheit geraten sein; man findet darüber keinerlei Hinweise in der Fachliteratur. Merté muß aber mit seinen diesbezüglichen Arbeiten weit vorangekommen sein, denn aufgrund seiner eigenen Mitteilung kann man wissen, daß das Vorsatzfernrohr "Zeiss Magnar 4x" für die Rolleiflex bereits 1939 tatsächlich mit einer asphärischen Fläche hergestellt wurde. [Vgl. Merté, Willy: Das photographische Objektiv seit dem Jahre 1929; in: Michel, Kurt (Hrsg.): Handbuch der wissenschaftlichen und angewandten Photographie, Ergänzungswerk, Band I, Wien, 1943, S. 12.] Man muß dieses Magnar demnach als erstes asphärisches Serienobjektiv der Welt ansehen. Doch es herrschte mittlerweile Krieg und die Konsumgüterproduktion geriet rasch in den Hintergrund. Der frühe Tod Mertés im Frühjahr 1948 tat dann wohl sein Übriges.
Bild: Stefan Baumgartner
Von den asphärischen Tessar-Versuchen der 30er Jahre schien auf deutschem Boden nichts übriggeblieben, denn alle Prototypen wurden 1945 von den US-Streitkräften beschlagnahmt und nach Amerika verbracht. Interessant ist aber, daß offenbar unter dem neuen Chef der Abteilung Photo des Jenaer Zeisswerks Harry Zöllner die Arbeiten an asphärischen Tessaren fortgesetzt bzw. im Kriege abgebrochene Projekte zuende geführt wurden. Zöllner und sein Assistent Fritz Disep (bekannt als Schöpfer des Apo-Germinars) haben der Literatur zufolge dieses Versuchsobjektiv Tessar 2/5 cm am 10. August 1948 gerechnet. Die Tatsache aber, daß bei diesem Versuchexemplar von 1949 noch keine Entspiegelungsschichten aufgebracht sind, läßt wohl eher darauf schließen, daß hier Glasmaterial von dem um 1940 abgebrochenen Versuchen Mertés verwertet wurde.
Bild: Stefan Baumgartner
Harry Zöllners Vervollkommnung des Tessars zum modernen Universalobjektiv
Als nach dem Kriege absehbar war, daß die deutsche Photoindustrie aufgrund der enormen internationalen Nachfrage wieder große Mengen an Kameras wird absetzen können, wurde der Tessartyp aufgrund seiner guten Eignung für die Massenfertigung rasch wieder interessant. Bei Zeiss in Jena wurde noch im Jahr der Demontage das Tessar auf Basis der während des Krieges fortentwickelten Glastechnologie vom damaligen Leiter der Abteilung Photo Harry Zöllner neu berechnet. Patentrechtlich gesichert wurde diese Weiterentwicklung in der DDR unter der Nummer 8721 vom 17. März 1951.
Gewissermaßen die Verkörperung des Wiederaufbaus der Abteilung Photo des Zweisswerks nach dem II. Weltkrieg: Dr. Harry Zöllner
Dieses Tessar 2,8/50 mit dem Konstruktionsdatum 29. Oktober 1947 gilt damit als Neuanfang des Jenaer Zeisswerks nach der Katastrophe von 1946/47. Zöllner gelang es damals, das Kleinbild-Tessar so zu optimieren, daß es bis in das Jahr 1987 – also vier Jahrzehnte lang – optisch unverändert gefertigt werden wird. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1972 verweist Zöllner darauf, daß selbst mit den mittlerweile zur Verfügung stehenden rechnergestützten Optimierungsprogrammen kaum noch eine wesentliche Verbesserung der Bildleistung des Tessares möglich sei. Dessen namensgebende vier Linsen, damit vier verschiedene Glassorten, vier Linsendicken, zwei Lufträume und – durch die Verkittung – insgesamt sieben frei wählbaren Radien ließen nur wenig Spielraum für weitere Verbesserungen [Vgl. Zöllner, Harry: 70 Jahre Tessar; in: Fotografie 1972, S. 33.]. Um so höher ist die damalige Leistung Paul Rudolphs und seiner Nachfolger zu bewerten, die für das Auffinden und Optimieren solcher optischen Systeme seinerzeit noch keine automatisch arbeitenden Computer zur Verfügung hatten, sondern die einzig und allein auf ihr außergewöhnliches Talent und ein tiefgreifendes Verständnis der optischen Materie vertrauen konnten.
In der ersten Hälfte der 1950er wurde für das neue Tessar 2,8/50 vergleichsweise intensiv Reklame gemacht - zumindest in Hinblick darauf, daß dies für Normalobjektive sonst nicht so üblich ist. Daraus könnte man schließen, daß man in Jena darauf bedacht war, vom eher zweifelhaften Ruf des bisherigen Tesars 2,8/5 cm loszukommen.
Unten: Eine weite Verbreitung fand das Tessar 2,8/50 in den 50er bis 80er (!) Jahren als Normalobjektiv für Spiegelreflexkameras. Hier zeigte die Lichtstärke 1:2,8 große Vorteile in bezug auf die Sucherbildhelligkeit und damit für das Schafstellen - auch wenn dann bei der Aufnahme in den meisten Fällen ziemlich stark abgeblendet wurde.
Die Abbildung oben zeigt uns die Bildfehlerkurven des Tessars 2,8/50mm in der Version von 1947 [nach Fincke]. Mit etwas Übung läßt sich aus ihnen ablesen, weshalb dieses Tessar nach heutigen Maßstäben bei offener Blende nicht das beste Objektiv der Welt ist, wieso diese Schwächen aber bereits bei leichter Abblendung weitgehend verschwinden. Die Kurve a) gibt die sphärische Aberration wieder sowie (gestrichelt) die Abweichung von der Sinusbedingung. Beide Kurven liegen übereinander, was sehr wüschenswert ist. Nicht verwirren lassen sollte man sich dadurch, daß alle Zahlenangaben hier auf eine Brennweite von 100 mm bezogen sind, was schlichtweg eine Konvention darstellt. Die sogenannte Einfallshöhe, die auf beiden Seiten der y-Achse je etwa 17,5 mm beträgt, also ingesamt etwa 35 mm, paßt nun geradewegs etwa 2,8 mal in die Brennweite von 100 mm, woraus sich die bekannte Lichtstärke unseres Tessars ergibt. Auffällig ist nun, daß die Kurven in a) eine ziemliche Ausbeulung aufweisen, die der Photooptiker als Zonen bezeichnet. Der Punkt der schärfsten Abbildung liegt an diesen Stellen nicht genau auf der Bildebene (= y-Achse), wie das bei Lichteinfall entlang der optischen Achse (= x-Achse) der Fall ist, sondern der Schärfepunkt liegt bei einer Einfallshöhe von 15 mm reichlich 0,5 % VOR der Bildebene. Weil die Brennweite der Konvention gemäß auf 100mm umgerechnet ist, sind das also auch reichlich 0,5 mm Abweichung bzw. reichlich 0,25 mm bezogen auf die tatsächliche Brennweite des Tessars von 50mm. Wer gern mit Formeln hantiert, der kann sich die Größe des Unschärfekreises ausrechnen, die sich aus dieser Verschiebung des Schärfepunktes ergibt. Er überschreitet zwar noch nicht den für das Kleinbild zulässigen Wert, kommt ihm aber ziemlich nahe. Wichtig ist aber, daß diese Überlagerung des scharfen "Kern-Bildes" nur von solchen Lichtstrahlen hervorgerufen wird, die das Tessar in den äußersten Bereichen des Linsendurchmessers durchlaufen. Bei einer Abblendung auf 1:5,6 (entsprechend einer Einfallshöhe von etwa 9mm) ist die sphärische Aberration hingegen vernachlässigbar. Wie man erkennt, beginnt die Kurve erst oberhalb der 10 mm-Marke auszubrechen. Damit war der durchaus merkliche Restbetrag des Öffnungsfehlers dieses Tessars 2,8/50 freilich nur bei denjenigen seltenen Gelegenheiten wirklich zu spüren, in denen einmal mit weitgeöffneter Blende photographiert wurde. Da das Tessar 2,8/50 spätestens ab Mitte der 60er Jahre eine Rolle als preiswertes Amateurobjektiv zugewiesen bekommen hatte, war seine Charakteristik, daß es erst bei leichter Abblendung richtig leistungsfähig wird, völlig unproblematisch.
Diese Eigenart des kräftigen Leistungsanstiegs beim Abblenden wird auch noch einmal in diesen beiden MTF-Diagrammen deutlich, anhand derer man einen direkten Vergleich zwischen dem Tessar und dem zeitgenössischen Meritar 2,9/50 mm von Ludwig ziehen kann. Die Aussagekraft solcher Diagramme ist immer begrenzt. Aber man erkennt schon, daß das Meritar das "Schärfekriterium" 40 Linien je Millimeter bei 40 Prozent Kontrast selbst bei Abblendung nur geradeso überschreitet. Vergleicht man die Kurven des Tessars allerdings mit denjenigen, die zum Beispiel auf der entsprechenden Seite für das Oreston 1,8/50 mm angegeben sind, so erkennt man, daß ein solcher Gaußtyp bei Abblendung noch einmal deutlich besser wird, als das an die Grenzen seiner Leistung gebrachte Tessar 1:2,8. Positiv fallen beim Tessar jedoch die eng beieinander liegenden Kurven für Mitte und Rand auf, die in der Praxis eine gleichmäßige Verteilung der Schärfe über das Bildfeld hinweg erwarten lassen.
Beispiele für die Vielfalt der Tessaranwendung
Zwei Beispiele für Tessare in M42-Fassung: Oben ein Tessar 3,5/50 mit Normalblende, unten das für die Praktica FX2 und die Contax F geliefertes Tessar 2,8/50 mit Halbautomatischer Springblende. Bewegt man hier den Blendenring über den Öffungswert 2,8 hinaus, so rastet die Blende in der vollen Öffnung ein. Kurz vor Auslösung des Verschlusses wird der Stößel des Objektivs so weit eingdrückt, daß die Rastung aufgehoben wird und die Blende auf den vorher eingestellten Arbeitswert zuspringt. Der Vorteil dieses Systems lag darin, daß der Auslöser kaum mit einer zusätzlichen Kraft belastet wurde. Als Nachteil ergab sich aber, daß nach jeder Verschlußauslösung die Blende stets wieder manuell geöffnet werden muß. Daher Halbautomatische Springblende.
Oben: Eines der ersten Objektive mit M42-Gewinde (genaugenommen wohl das siebenundsiebzigste) ist dieses Tessar 3,5/5 cm vom März 1948. Der international als Praktica- oder Pentax-Gewinde bekannte M42-Standard sollte eigentlich "Praktiflex-Gewinde" heißen.
Oben: Der Inbegriff des Tessartyps ist für viele Amateurphotographen das Tessar 2,8/50 mm. Es wurde in die einfache Beltica genau so eingebaut wie in die Spitzenmodelle der Werra-Reihe. Selbst für die Praktina IIA - mit dem Tessar immerhin sechs mal so teuer wie die Beltica II - war dieses Objektiv in Hinblick auf die Abbildungsleistung auf dem nötigen Niveau. Wichtig ist aber, daß es dazu auch mechanisch mit der Zeit gehen mußte. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre war das Tessar 2,8/50 eines der ersten Objektive weltweit, das mit vollautomatischer Springblende versehen wurde. Auch der rastende Blendenring mit konstanten Abständen zwischen den Blendenwerten war eine unerhörte Neuheit, die uns heute nur deshalb kaum spektakulär vorkommt, weil das später alle Hersteller so nachgebaut haben.
Im oben gezeigten Prakticar 2,8/50 mm steckt auch ein Tessar, und zwar dasjenige von Harry Zöllner aus dem Jahre 1947. Das Besondere ist aber, daß dessen Gläser hier – und auch nur hier! – mehrschichtvergütet gewesen sind. Das nur in geringen Stückzahlen gefertigte Prakticar 2,8/50 stellt also die höchste Entwicklungsstufe des Jenaer Tessars 2,8/50 dar. Das spiegelte sich freilich auch im Preise wieder. Kostete das Tessar 2,8/50 mit Druckblende für die Praktica MTL oder die Exa Ib 140,- Mark, so hatte sich dessen Preis als Prakticar mit 320,- Mark mehr als verdoppelt. Da das Kombinat Pentacon mit Erscheinen der B-Reihe ein seit zehn Jahren in der Schublade liegendes Projekt für ein Prakticar 2,4/50 wieder hervorholte und dieses Objektiv durch Auftragsfertigung bei IOR in Bukarest zudem im Preis auf 275,- Mark gedrückt werden konnte, wurde das Saalfelder Prakticar 2,8/50 rasch eingestellt. Schon als die Auslieferung der Praktica B100 begann, befand es sich bereits im Abverkauf. Nur 2600 Stück waren bis dahin entstanden.
Mit der Contax I begann 1932 die lange Geschichte des Tessars 2,8/50. Eine erste Konstruktion war am 2. April 1931 abgeschlossen worden, von der allerdings nur 1500 Stück fabriziert und in Zentralverschlüssen gefaßt wurden. Noch im selben Jahr wurde das Tessar 2,8/5 cm jedoch im Hinblick auf die neue Contax optimiert. Der Rechnungsabschluß datiert vom 8. Oktober 1931 und schon kurze Zeit danach begann sogleich eine für damalige Verhältnisse ausgesprochene Großserienproduktion. Das obige Exemplar ist eines dieser frühen Tessare 2,8/5 cm für die Contax, deren Produktion offenbar zu jener Zeit bereits angelaufen war (sonst hätte man ja nicht in kurzer Zeit mehrere 1000 Normalobjektive gebraucht). Bereits im Mai 1933 wurde dessen Rechnung freilich schon wieder durch eine neue abgelöst, die dann bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Bestand hatte..
Kuriosum: Für diese Contax-Sucherkamera wurde das Tessar in den 30er Jahren sogar als Grundlage für ein ausgesprochenes Weitwinkel mit 75 Grad Bildwinkel verwendet. Das war eine Verlegenheitslösung, weil allein schon aus Gründen der hohen natürlichen Vignettierung für solch große Feldwinkel eigentlich Spezialkonstruktionen nötig sind. Trotz der ohnehin geringen Lichtstärke von 1:8 wurde daher im Katalog dem Nutzer empfohlen, nach Möglichkeit noch auf 1:16 abzublenden, um ausreichende Schärfe zu erzielen und den Lichtabfall zum Bildrand hin in Grenzen zu halten.
Praktisch eingesetzt und abgeblendet auf 1:11 ergibt dieses Objektiv aber dennoch absolut brauchbare Aufnahmen, wie man am Bildbeispiel unten sehen kann (Contax I, Agfapan APX 100).
Nachdem das Tessar 1:2,8 in das Kleinbild eingeführt worden war, ging Willy Merté daran, mit einem Tessar 2,8/8 cm (Rechnung vom 27. Januar 1933) diesen Typ auch im Mittelformat mit dieser hohen Lichtstärke zu etablieren. Die ungünstigeren Schärfentiefenverhältnisse, die starke Wölbung des Rollfilmes aber nicht zuletzt auch die nicht ganz optimale Bildleistung dieses überzüchteten Tessares sorgten freilich dafür, daß es nur in wenigen Kameras (hier eine Super Ikonta) eingebaut wurde. Bei Franke und Heidecke war zwar 1934 viel Aufwand aufgebracht worden, eine Rolleiflex mit diesem Tessar 2,8 zu entwickeln (immerhin mußte zur nächstgrößeren Verschlußbaugröße übergegagen werden), die Serienproduktion wurde aufgrund der mangelnden Qualität dieses Tessars aber fallengelassen [Vgl. Prochnow, Rollei-Report, 1993, S. 190.].
Was man an dem obigen Exemplar gut erkennen kann, sind durch Verwitterung entstehenden Beläge, die die Oberflächen der Linsen so regenbogenfarbig schimmern lassen. Schon frühzeitig hatten Praktiker erkannt, daß solche Objektve brillanter arbeiteten, als solche mit frisch polierten Linsen, und sie bevorzugten ebenjene Exemplare für Aufnahmen in hartem Licht. Diesem Grundprinzip der Interferenz an dünnen Schichten folgend arbeitete dann auch die in den 30er Jahren in Jena entwickelte Entspiegelung von Glasflächen (Alexander Smaklua).
Trotz dieser qualitativen Schwierigkeiten mit diesem Tessar 2,8/80 wurde zum 7. Juli 1950 noch einmal versucht, es durch Neuberechnung konkurrenzfähig zu halten, um es als Normalobjektiv für die damaligen 6x6-Spiegelreflexkameras Primarflex II, Meister-Korelle und der Exakta 6x6 einzusetzen. Das ist insofern verwunderlich, weil schon zuvor im Jahre 1948 ein fünflinsiges Biometar 2,8/80 mm für die Braunschweiger Rolleiflex entwickelt worden war, das nach damaliger Sicht perfekt auskorrigiert war. Dabei handelte es sich um eine vereinfachte Gaußtypabwandlung, die eine viel bessere Korrektur der sphärischen Aberration und der Farbquerkoma erlaubte.
Insbesondere solche Restbeträge eines nicht ideal auskorrigierten Kugelgestaltsfehlers hatten einen Hang des Tessars 2,8/80 zur Blendendifferenz zur Folge. Dieser Bildfehler ist die bei Kameras mit Mattscheibeneinstellung besonders problematisch. Das liegt daran, daß sich der Punkt der größten Schärfe als "Stelle der engsten Einschnürung" innerhalb des "Lichtschlauches" (Kaustik) entlang der optischen Achse verschiebt, wenn das Objektiv abgeblendet wird und daher die sogenannten sphärischen Zonen als Restbeträge des Kugelgestaltsfehler quasi ausgeblendet werden. Damit liegt dieser Schärfepunkt also bei offener Blende woanders als bei der tatsächlichen Aufnahmeblende woanders. Da die Praktisix dier erste Spiegelreflexkamera der Welt mit einer vollautomatischen Springblende war, bei der die Mattscheibeneinstellung nun prinzipiell bei voller Objektivöffnung stattfand, kam es quasi stets zur Blendendifferenz, wenn das Objektiv zur tatsächlichen Aufnahme abgeblendet wurde.
Oben: An diesem Tessar 2,8/80 mm fällt insbesondere seine hochmodernen Fassung auf. Erstmals weltweit gab es 1956 eine linearisierte Blendeneinstellung mit gleichen Abständen der Blendenzahlen auf dem Blendenring. Dazu war eine völlig neuartige Lagerung der sichelförmig gestalteten Blendenlamellen nötig. Um die extrem kurzen Schließzeiten der neuartigen vollautomatischen Springblende zu gewährleisten, wurde der Treibring der Blendenlamellen erstmals kugelgelagert. Das oben gezeigte Exemplar stammt vom Frühjahr 1957 und bezeugt, daß die Praktisix sofort exportiert wurde, nachdem sie herausgekommen war, denn für den Westexport mußte es zum "Jena T" verschleiert werden.
Das obige Bild wurde mit dem besagten Tessar 2,8/80 mm an der Praktisix aufgenommen. Der beschriebene Fehler der Blendendifferenz macht sich natürlich hauptsächlich im Nahbereich und ähnlich kritischen Situationen bemerkbar, für welche die Praktisix ja prädestiniert war. Bei einer "Landschaftsaufnahme" wie oben, wo zudem noch auf 1:8 abgeblendet worden ist, fällt dieses Problem natürlich kaum ins Gewicht.
In Anbetracht der Abbildungsschwächen des Tessars 2,8/80 wurde für die Primarflex lieber das Tessar 3,5/105 mm als Normalobjektiv eingesetzt. Da es für das 6x9 Format gerechnet ist, hielt sich der Randabfall bei 6x6 in Grenzen, zumal diese Version 1936 für die Ikonta noch einmal optimiert worden war. Oben sieht man ein sehr spätes Exemplar aus der letzten Bauserie vom Sommer 1953, das bereits eine Einrichtung zur Blendenvorwahl besitzt.
Unten sieht man ein stattliches Tessar 3,5/165 als Portraitobjektv für diese Kamera. Es handelt sich dabei eigentlich um ein im Jahre 1926 für das Großformat 9x12 bzw. 10x15 konstruiertes Tessar, das 1948 in Primarflex-Fassung geliefert wurde.
Oben ist zweimal der Rolleiflex Automat gezeigt; links das Modell kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, rechts das nur geringfügig veränderte Modell aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Beide sind mit einem Tessar 3,5/75 mm ausgestattet; links aus Jena, rechts aus Oberkochen. Anhand dieses vom Zeisskonzern unabhängigen Kameraherstellers Franke & Heidecke kann man sich noch einmal klar machen, in welch einer schwierigen Lage sich die Photoindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg befand. Kamerafirmen, die auf den langjährigen Partner Zeiss angewiesen waren, sahen sich nun im Stich gelassen. Erst wurde das Jenaer Werk Ende 1946 fast vollständig durch die Sowjetunion demontiert, und nachdem der dadurch hervorgerufene Stillstand langsam überwunden werden konnte, war Zeiss Jena zu weiten Teilen durch Reparationslieferungen ausgelastet. Auch wiederum an die Sowjetunion. Daß in Oberkochen eine Konkurrenzfirma etabliert wurde, hat nicht allein mit dem Kalten Krieg und dem Kampf der Systeme zu tun. Die Zulieferungen an Photoobjektiven wurde vonseiten der westzonalen Kameraindustrie auch wirklich dringend gebraucht. Also fing man in Oberkochen mit den altbewährten Typen an.
Als Ergebnis häuften sich Anfang der 50er Jahre, als die Reparationsverpflichtungen zurückgingen, bei Zeiss zuvor nie gekannte Lagerbestände an, die nicht verkauft werden konnte - auch im Bereich Photo [Vgl. CIA-RDP82-00457R014000020002-6 vom 29. September 1952]. "[...] deliveries to West Germany and the Western countries have stopped almost entirely. This is due to the East-West trade restrictions and the fact that Zeiss-Opton in West Germany has reached the stage where it is in active competition in many respects with Zeiss Jena." [Ebd.]
Auch wenn die Kurven für die Modulationsübertragung dieses Tessars 3,5/75 mm nur einen bescheidenen Eindruck hinterlassen (oben), so handelt es sich in der Praxis dennoch um ganz hervorragendes Universalobjektiv für das Mittelformat 6x6. Wie bei dem Bildbeispiel unten auf 1:5,6 abgeblendet, lassen sich die Aufnahmen nicht von den viel aufwendigeren 5-; 6- oder gar 7-linsigen Normalobjektiven der späteren Zeit unterscheiden.
Tessare für den Berufsphotographen
Tessare in Normalfassung für sogenannte Reise- und Atelierkameras blieben noch bis zum Ende der DDR im Produktionsprogramm des VEB Carl Zeiss Jena; ja sie gehörten wohl mit zu den allerletzten Photoobjektiven, die in überhaupt noch die traditionsreichen Werkshallen in Jena bzw. Saalfeld verlassen haben. Das Tessar 4,5/135 lief 1986 aus, das Tessar 4,5/360 zum Jahresende 1985. Die letzten Tessare 4,5/180; 210; 250 und 300 mm wurden hingegen noch im April bis Juni 1991 in historisierenden Messingfassungen montiert. Dann wurden die Reste des Kombinates endgültig zerschlagen und der Saalfelder Betriebsteil durch eine Nachfolgefirma weitergeführt, die auch solche traditionsreichen Objektive noch eine Weile im Angebot hatte. Die Stückzahlen dürften aber marginal gewesen sein. In den 80er Jahren beim Tessar 4,5/180 mm noch übliche Produktionslose von bis zu 2000 Stück hat es sicherlich nicht wieder gegeben. Die Nachfrage blieb zu DDR-Zeiten auch deshalb hoch, weil diese Tessare zur Standardbestückung der Fachkameras Mentor Studio und Mentor Panorama gebraucht wurden. Da diese beiden Großformatkameras außergewöhnlicherweise mit Schlitzverschlüssen ausgestattet waren und diese Tessare somit keinen eigenen Zentralverschluß benötigten, konnte Zeiss Jena am Ende des 20. Jahrhunderts noch so viele Großformatobjektive in der mittlerweile ungebräuchlichen Normalfassung absetzen.
Zum großen Kuriosum der Wendezeit dürfte auch gehören, daß einige dieser Großformat-Tessare in Messingfassungen mit der Gravur "Meyer-Optik Germany" versehen wurden. Solcherlei Objektive müssen wir heute als historische Überreste aus einer rasch von den Folgeentwicklungen überranten Zeitspanne ansehen, die uns daran erinnern, daß nach 1985 das ehemalige Weltunternehmen in Görlitz neben Saalfeld zur bloßen Fertigungsstätte eines alles überragenden Kombinates in Jena degradiert worden war.
Interessant ist, daß über die DDR-Zeit hinweg auch einige Tessare 1:6,3 noch längere Zeit im Angebot blieben. Mit dieser Lichtstärke wurde dieser Typ immerhin 1902 ursprünglich geschaffen. Genau genommen waren es noch zwei Modelle. Das oben zu sehende Tessar stammt aus dem vorletzten Produktionslos vom Januar 1961. Ein Jahr später erfolgte die letzte Fertigung. Noch bis zum Oktober 1975 wurde freilich ein Tessar 6,3/210mm hergestellt. Zuletzt angeblich sogar noch einmal 1000 Stück. Die lange Produktionszeit von letzterem läßt sich daraus erklären, daß es mit der Öffnung 1:6,3 in einer Normalfassung N42 platzfand bzw. in einem Verschluß der Baugröße 1, der noch kurze Verschlußzeiten bis zur 1/400 Sekunde zuläßt. Außerdem waren diese beiden Typen 1947 neu gerechnet worden und dürften eine gute Bildleistung erreicht haben. Außerdem hatten sie einen größeren Bildwinkel bis an die 70 Grad und boten damit größere Verstellreserven an den Fachkameras.
Unten einmal eine Tabelle der lieferbaren Tessare aus dem Jahre 1987 [aus: Brauer, Egon: Foto Optik; eine Warenkunde für den Fachverkäufer und den Fotoamateur, 8. Aufl. Leipzig, 1987]. Diese Angaben sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, weil die Bücher Brauers nicht gut recherchiert sind bzw. nachlässig aktualisiert wurden. Wie gerade dargelegt, war die Produktion des Tessars 6,3/135 bereits 25 Jahre zuvor eingestellt worden. Auch die Angabe der Masse in der letzten Spalte stimmt vorn und hinten nicht.
Unten ein Prospekt für den westdeutschen Markt aus dem Jahre 1969. "Carl Zeiss Jena" wurde zu aus Jena und das "Tessar" zum JENA-T "entschärft.
Zum Abschluß: Der Fall Dominar
Zum Abschluß möchte ich noch auf ein kleines Mysterium verweisen: Um 1930 herum wurden von Zeiss Ikon Kameras mit zwei verschiedenen Tessartypen ausgestattet. Einmal natürlich das Zeiss Tessar; zum anderen aber auch ein "Dominar-Anastigmat". Der unten zu sehende Ausschnitt aus dem Zeiss-Ikon-Katalog von 1932 zeigt, daß diese beiden, demselben Typus angehörenden Objektive, tatsächlich nebeneinander aufgelistet sind.
Zu diesem Dominar, über das man ansonsten sehr wenige Informationen findet, habe ich nun zwei Theorien parat. Die eine lautet: Es handelt sich um Restbestände des früheren "Ernoplast", das der Tessartyp der Vorgängerfirma Ernemann gewesen ist, das aber nun nicht mehr so heißen durfte. Nachdem es abverkauft wurde, verschwindet es aus den Katalogen und es bleibt nur noch das Zeiss'sche Tessar. Meine zweite, nicht minder plausibel klingende Theorie, fußt auf der Tatsache, daß Ende der Zwanziger Jahre alle bisherigen, von Wandersleb geschaffenen Tessare, durch Willy Merté auf Basis verbesserter Glastechnologie neu berechnet wurden. Durch die Auflistungen im Thiele kann man belegen, daß der Übergang von den alten, noch vor dem Ersten Weltkrieg berechneten Tessaren, auf die neuen, verbesserten Tessare, SUKZESSIVE erfolgte. Das lag zum Teil auch daran, daß beispielsweise beim stark nachgefragten Tessar 1:4,5 es keinen abrupten Übergang gegeben hat, weil jede Brennweitengruppe langwierig einzeln neu berechnet wurde. Es wurde also stets individuell optimiert und nicht eine bestehende Konstruktion bloß auf die jeweilige Brennweite skaliert. Man muß daher davon ausgehen, daß über eine gewisse Zeitspanne hinweg BEIDE Tessare – also zum Beispiel ein neues Tessar 4,5/135 und ein altes 4,5/135 – gleichzeitig im Handel auftauchten bzw. noch bei den Kameraherstellern vorrätig blieb. Möglicherweise wurde bei Zeiss Ikon dieser Umstellung begegnet, indem das alte Tessar als "Dominar" preiswerter angeboten wurde. Denn im Katalog von 1931 kann man lesen: "Übertroffen wird das Dominar nur von dem in der Genauigkeit der Ausführung und Sorgfalt bei der Glaswahl einzigartigen, weltberühmten Zeiss Tessar 1:4,5." Ab der zweiten Hälfte der 30er Jahre findet das Dominar dann keine Erwähnung mehr in den Zeiss-Ikon-Publikationen.
Rechnungen ausgewählter Tessartypen: Serienversionen
Tessar 2,8/50
1: 02. 04. 1931 ca. 1500 Stck.
2: 08. 10. 1931 über 10. 000
3: 08. 05. 1933 Großserie (v.a. Contax)
4: 29. 10. 1947 Einstellung der Produktion Frühjahr 1988
Tessar 2,8/80
1: 27. 01. 1933
2: 07. 07. 1950 letzte Stücke im Febr. 1958 für Praktisix ASB
Tessar 3,5/50
1: 25. 07. 1929 Kolibri
2: 27. 02. 1931 Contax Ära, Herstellung bis Jahresende 1954 (Exakta)
Tessar 3,5/75
1: 20. 02. 1920 Nur wenige Exemplare
2: 01. 06. 1934
3: 28. 05. 1947 letzte Großserie 3000 Stck. Jahresende 1955 für Weltax
Tessar 3,5/105
1: 31. 03. 1926 Etwa 7000 Stck. bis 1936
2: 26. 05. 1936 Produktion 1957 ausgelaufen (Ercona)
Tessar 4,5/135
1: 18. 07. 1911
2: 28. 05. 1929
3: 10. 02. 1948 große Frontlinse
4: 07. 03. 1957 bis 1986
Tessar 4,5/180
1: 04. 07. 1911
2: 28. 05. 1929 bis zum Ende 1991 (Messingversionen)
3: 09. 02. 1948 nur ca. 300 Stck. 1951/52, dann wieder Version 2
Tessar 4,5/210
1: 05. 08. 1911
2: 06. 06. 1929 bis zum Schluß 1991 (Messing)
Tessar 4,5/300
1: 16. 09. 1911
2: 05. 08. 1928 bis zum Ende 1991 (Messingversionen)
3: 04. 06. 1948 nur ca. 450 Stck. 1948-52, dann Rechnung aufgegeben
Tessar 4,5/360
1: 30. 01. 1912
2: 08. 10. 1928 1985 letzte Serie von 500 Stck.
Marco Kröger
letzte Änderung: 3. November 2022
Yves Strobelt, Zwickau
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