Tessar

Tessar

Die Entwicklungsgeschichte des „Adlerauges Ihrer Kamera

Jena Tessar 2,8/7,5 cm

Das Tessar ist ein Jahrhundertobjektiv. Kaum etwas Vergleichbares dominierte im 20. Jahrhundert weite Teile der Phototechnik so sehr wie das Tessar. Und zwar nicht allein als ein erfolgreiches Erzeugnis eines einzelnen Herstellers, sondern als Gattungsbegriff für eine Objektivbauform, an der schon bald keine der Konkurrenzfirmen mehr vorbeikam. Als halbverkittete Tripletvariante ist der Tessartyp zu den erfolgreichsten Objektivkonstruktionen aller Zeiten zu zählen. Diese Tatsache erfährt selbst dadurch keinerlei Schmälerung, daß das Tessar im neuzeitlichen kommerziellen Objektivbau quasi keine Rolle mehr spielt.

1. Das Tessar als Ergebnis einer dreizehnjährigen Grundlagenforschung

1.1 Paul Rudolph und sein Neuachromat

Doch so augenfällig uns heute die Charakteristik des Tessars als ein durch Verkittung erweitertes Triplet auch erscheinen mag, und so gerne wir es der Übersichtlichkeit halber jener Gruppe um Zeitgenossen wie dem Heliar (Voigtländer, 1900) oder dem Hektor (Leitz, 1928) zuordnen würden, so wenig stimmt diese Kategorisierung mit dem tatsächlichen historischen Werdegang des Tessars überein. Dieser Eindruck drängt sich wohl nur deshalb auf, weil kaum daß Dennis Taylor im Jahre 1895 einen lediglich aus drei einzelnstehenden Linsen aufgebauten Anastigmaten geschaffen hatte [DRP Nr. 86.757], versuchten Konstrukteure wie Hans Harting sogleich, diesen einfachen Typ in seiner Leistung weiter zu verbessern, indem sie dessen drei Einzellinsen an einer oder mehreren Stellen in Kittgruppen aufspalteten [Heliar, DRP Nr. 124.934 und Nr. 143.889]. Diese Triplets und ihre Abwandlungen machten zu Beginn des 20. Jahrhunderts rasch den Großteil der Objektivproduktion aus und die Unterkategorie „Triplets mit verkitteter Hinterlinse“, die quasi als Synonym für „Tessartyp“ zu verstehen ist, wurde erst im Nachhinein so geschaffen.

Triplets mit verkitteter Hinterlinse

Die Liste der Kategorie Triplet(t)s mit verkitteter Hinterlinse in Helmut Naumanns Standardwerk "Das Auge meiner Kamera" aus dem Jahre 1937. Naumann war vor dem II.Weltkrieg bei Busch in Rathenow tätig, wo er mit dem Vario-Glaukar eines der ersten Zoom-Objektive entwickelte. Nach 1945 arbeitete er dann bei Voigtländer und am Schluß bei Rodenstock.

Dabei hatte die Entwicklung von Photoobjektiven bei Carl Zeiss in Jena genau mit einer solchen Triplet-Konstruktion begonnen. Die Arbeiten dazu waren im Jahre 1888 noch von Ernst Abbe (1840-1905) persönlich aufgenommen worden [Vgl. Esche: 75 Jahre fotografische Objektive aus dem Zeiss-Werk Jena; in: Fotografie 9/1965, S. 346ff]. Doch infolge des Todes des Firmengründers Carl Zeiß zum Ende des Jahres, der Abbe nun vollständig die Verantwortung für die Jenaer Weltfirma aufbürdete, gab er die Konstruktionsarbeiten nach kurzer Zeit an seinen Assistenten Paul Rudolph (1858-1935) ab. Dieser mußte jedoch bald darauf feststellen, daß Abbes Konstruktionsansatz trotz sehr guter sphärischer Korrektur und einer Behebung der chromatischen Fehler bis hin zu Apochromasie eine aussichtslose Sackgasse darstellte.

Rudolph Abbe und Schott

Bei der photographischen Überprüfung dieses Triplets ergab sich nämlich, daß nicht nur die Abbildung außerhalb der Bildmitte zunehmend in Unschärfe abglitt, sondern sich zudem seltsame Verzerrungen am Bildrand bemerkbar machten. Die Ursache dafür war im Bildfehler des Astigmatismus zu suchen, der die Leistung von ansonsten gut auskorrigierten Objektiven bislang stets infrage stellte. Der Astigmatismus ist wiederum eine Folge der sogenannten Bildfeldkrümmung, die dazu führt, dass seitlich gelegene Bildeinzelheiten nicht in derselben Ebene abgebildet werden wie im Zentrum gelegene, sondern die Brennpunkte zusammengenommen eine durchbogene Fläche bilden. Es ist logisch, daß ein solches gekrümmtes Bild auf einer flachen Photoplatte nicht bis zum Rand einheitlich scharf wiedergegeben werden kann. Beim Astigmatismus kommt aber erschwerend hinzu, daß sich für Licht, das das Objektiv in senkrecht zueinander stehenden Ebenen durchläuft, zwei getrennte Bildschalen ergeben, die beide in unterschiedlichem Maße oder schlimmstenfalls sogar in unterschiedliche Richtungen ausbrechen können. Man spricht daher auch vom Zweischalenfehler. Während die Bildkrümmung aber noch durch eine geschickte Plazierung der Blende gemildert werden konnte, waren gegen die Unschärfen und Verzerrungen, die durch diesen Astigmatismus hervorgerufen wurden, bislang keine Mittel gefunden worden.

Paul Rudolph zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Paul Rudolph im Januar 1905, nachdem er die "Progress Medal" der Royal Photographic Society of Great Britain erhalten hatte [aus: the Photographic Journal Nr. 3/1905]. Rudolph war damals auf dem ersten Höhepunkt seines Wirkens angelangt. Aus der ernüchternden Erfahrung, die er im Jahre 1888 mit dem stark mit Astigmatismus behafteten Abbe-Rudolph-Triplet gemacht hatte, war dem damals gerade einmal 30-jährigen Rudolph gewissermaßen eine Lebensaufgabe erwachsen, die er nun anderthalb Jahrzehnte später auf perfekte Weise gelöst zu haben schien.

Immerhin hatte der Pionier der Objektivberechnung Josef Petzval bereits in den Jahren 1843 und 1857 die Voraussetzung dafür formuliert, wie die Bildfeldkrümmung und damit auch der Astigmatismus gegen Null gebracht werden könnten. Seine Petzval-Bedingung lief letzten Endes darauf hinaus, in den Linsen eines Objektives ein bestimmtes Verhältnis zwischen Brechzahl und Farbzerstreuung zu erreichen. Einen ersten Versuch dahingehend hatte Adolph Steinheil im Jahre 1881 mit seinen Antiplaneten [DRP Nr. 16.354] angestellt, doch verhinderten die unzureichenden Eigenschaften der zur Verfügung stehenden Glassorten letztlich den vollen Erfolg. Diese Situation änderte sich jedoch in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre radikal, als durch die ausgesprochen glückliche Zusammenarbeit des Chemikers Otto Schott mit dem Jenaer Zeisswerk optische Gläser mit völlig neuartigen Eigenschaften hervorgebracht werden konnten. Diese Voraussetzungen mündeten darin, daß der Achromat als einer der wichtigsten Konstruktionselemente der Optik gewissermaßen noch einmal neu erfunden wurde.


chromatische Aberration

Optische Medien haben für verschiedene Farben des Spektrums unterschiedliche Brechzahlen. Bei Abbildung mithilfe einer einzelnen Linse stellen sich daher zwei eklatante Bildfehler ein: Die chromatische Längs- und die chromatische Querabweichung. Die Längsabweichung (auch Farbortsfehler genannt) ist eine Folge daraus, daß die Linse über das Spektrum hinweg keine einheitliche Schnittweite aufweist und das Licht daher, nachdem es die Linse verlassen hat, in farbigen Einzelbildern gebündelt wird, die in unterschiedlichen Entfernungen auf der optischen Achse regelrecht aufgereiht erscheinen. Man kann daher nicht gleichzeitig beispielsweise auf das blaue oder das rote Bild scharf einstellen. Die chromatische Querabweichung (auch Farbfehler der Bildgröße genannt) ergibt sich daraus, daß die Linse über das Spektrum hinweg auch noch unterschiedliche Brennweiten hat. Das hat nun wiederum zur Folge, daß die farbigen Einzelbilder auch noch mit einem unterschiedlichen Abbildungsmaßstab auf die Bildebene fallen, weshalb sie unterschiedlich groß erscheinen und sich die gefürchteten farbigen Säume an den Rändern der Bilder ergeben.


Eine Möglichkeit des Ausgleichs dieser Farbfehler ergibt der Achromat als Kombination einer Sammel- und einer Zerstreuungslinse. Diese müssen aus den passenden Glassorten bestehen und aufeinander abgeglichene Brechkräfte haben, um beispielsweise den Farbenvergrößerungsfehler für zwei Farben streng und die Längsabweichung recht gut beheben zu können. Die beiden Linsen können dabei miteinander verkittet werden (Kittfläche K) oder zwischen ihnen wird ein schmaler Luftspalt belassen. Derartige Achromate wurden in der Anfangszeit als einfache Objektive mit recht bescheidener Abbildungsleistung eingesetzt, erlangten aber später eine viel bedeutendere Rolle als Konstruktionselement in komplexeren zusammengesetzten Objektiven. [Beide Abbildungen nach: Naumann, Auge meiner Kamera, 1937.]

Achromat

Achromate waren schon seit dem 18. Jahrhundert bekannt (John Dollond). Man hatte erkannt, daß mit einer Kombination aus einer Sammel- und einer Zerstreuungslinse die unerträglichen Farbsäume gemildert werden können, die sich ergeben, wenn Licht durch Linsen gebrochen wird. Dazu wurde die Eigenschaft ausgenutzt, daß eine Kron genannte Glassorte bei kleinerer Brechzahl eine geringe Farbzerstreuung aufwies, während sogenanntes Flintglas zwar eine viel höhere Brechzahl zu bieten hatte, diese aber gleichzeitig an eine deutlich größere Farbzerstreuung gekoppelt war. Diese Materialkombination erlaubte es, die von der Sammellinse aus Kronglas hervorgerufene Zerlegung des Lichtes in seine Farben durch eine nachfolgende Zerstreuungslinse aus Flintglas zu kompensieren, die trotz der nötigen geringeren Brechkraft eine gegensätzlich wirkende Dispersion auf gleichem Niveau sicherstellen konnte. Derartige Achromate beflügelten zunächst vor allem den Fernrohrbau, weil hier aufgrund der starken Vergrößerungsfaktoren Farbsäume besonders störend wirkten. Große Erfolge im Bereich der photographischen Objektive wurden erzielt, als man ab den späten 1860er Jahren zwei solche Achromate symmetrisch zu einer Blende anordnete. Diese Aplanate ermöglichten die Korrektur der meisten Bildfehler einschließlich des Kugelgestaltsfehlers und der Koma. Doch es blieb der Astigmatismus.

Glashütte Schott

Es war nun Paul Rudolph dem es in den Jahren 1889/90 erstmals gelang, endlich einen Weg zur Behebung dieses problematischen Bildfehlers zu finden, in dem er eine neue Form des Achromaten entwickelte. Möglich war dies geworden mit den neuartigen Glassorten, die in Jena durch die erst wenige Jahre zuvor gegründete Glashütte Otto Schott & Genossen hervorgebracht werden konnten. Diese neuen optischen Gläser erlaubten es, jenes über Jahrhunderte hinweg zementierte Gefüge zwischen Brechzahl und Dispersion mit einem Mal zu überwinden. Zentraler Punkt dabei waren die sogenannten Schwerkrone, die das Licht weiterhin nur so stark in seine Spektralfarben zerstreuten, wie die bisherigen Krongläser, es dabei aber so stark brechen konnten, wie man es bislang nur von Flintgläsern her kannte. Gleichzeitig gelang es aber auch, Flintgläser in ihren Eigenschaften stark zu manipulieren, indem ihr Brechungsvermögen auf ungewöhnlich niedrige Werte abgesenkt, und ihre Farbzerstreuung quasi genau an die Grenze zwischen Kron- und Flintgläsern gelegt wurde – daher auch ihr Name Kron-Flint. Auch die ähnlich gelagerten Barit-Leicht-Flinte sowie die sogenannten Kurzflinte zählten zu dieser Klasse, wobei letztere mit ihren anomalen Dispersionsverläufen sogar die Farbkorrektur bis in den apochromatischen Bereich ermöglichten.

Kontinent der Glassorten Schott 1937

Zeichnet man die Vielfalt der Glasarten in ein Koordinatensystem ein, bei dem die y-Achse den Brechungsindex und die x-Achse die Abbe'schen Zahlen bedeuten, dann ergibt sich diese charakteristische Darstellung. Es handelt sich um eine Momentaufnahme aus dem Jahre 1937, die die Fortschritte der letzten exakt 50 Jahre widerspiegelt. Gab es bis 1886 nur Gläser im Bereich Kron (K) und Flint (F), so waren mittlerweile Sorten mit extremen Eigenschaften hinzugekommen, aber eben auch Gläser, die gewissermaßen die Lücken dazwischen ausfüllten und die sich als besonders essentiell erwiesen hatten, um Objektive aus korrigieren zu können. Gut zu sehen zum Beispiel Glasarten, die mit ny-Werten zwischen 50 und 55 in einem Grenzbereich lagen, wo je nach den sonstigen Eigenschaften Flint und Kron regelrecht ineinander übergingen.

Tessar Glasarten 1902 bis 1951

Im Vorgriff auf die gleich folgende ausführliche Darstellung der Entwicklung des Tessares sind oben einmal die verwendeten Glasarten eingetragen, wie sie in fünf zwischen 1902 und 1951 angemeldeten Jenaer Tessar-Patenten zugrunde gelegt waren. Von Anfang an fällt der Einsatz von hochbrechenden Krongläsern auf, was mit dem Erscheinen verbesserter derartiger Glastypen in den 30er und 50er Jahren noch weiter vorangetrieben wird.

Mit diesen Glasarten konnte nun erstmals ein Achromat zusammengestellt werden, der es erlaubte, die oben bereits erwähnte Petzval-Bedingung einzuhalten. In einem Achromat, der insgesamt eine sammelnde Wirkung haben soll, muß die Zerstreuungslinse ja stets aus demjenigen Glas mit der höheren Dispersion bestehen. Nur so ist zu erreichen, dass die durch die stärkere Brechkraft der Sammellinse hervorgehobene große farbliche Aufspaltung des Lichtes durch die nachfolgende Zerstreuungslinse wieder neutralisiert werden kann, obwohl deren Brechkraft ja geringer sein muß, um nicht die positive Gesamtwirkung des Achromaten aufzuheben. Dieses Prinzip ist grundsätzlich nicht zu umgehen. Der große Unterschied zu den bisherigen Achromaten bestand jetzt aber darin, daß durch Einsatz der neuen Glassorten auf einmal die Sammellinse aus dem stärker brechenden, die Zerstreuungslinse jedoch aus dem schwächer brechenden Glas bestehen konnte, ohne die notwendige Aufteilung der Dispersion auf beide Elemente anzutasten. Paul Rudolph hatte nun erkannt, daß mit diesem sogenannten Neuachromat der Schlüssel gefunden war, um die Bildfeldwölbung und den Astigmatismus in einem photographischen Objektiv zu beheben. Das lag daran, daß durch die Umkehrung der Brechzahlverhältnisse im Achromat die Kittfläche zwischen dessen beiden Linsen jetzt auf einmal eine sammelnde Wirkung bekam, während sie beim Altachromat bislang stets zerstreuend gewirkt hatte. Der große Durchbruch gelang Paul Rudolph in den Jahren 1889/90 nun dadurch, indem er einen solchen Neuachromaten mit einem Altachromaten kombinierte, wobei ersterer die Steuerung des Astigmatismus, letzterer wiederum die Korrektur der sphärischen Aberration erlaubte. Ergebnis war das erste von Bildfeldwölbung und Astigmatismus befreite Objektiv, das zunächst „Anastigmat“ genannt wurde und das später unter dem Markennamen Protar vertrieben wurde.

1.2 Das Tessar als Rettung aus einem tiefen Rückschlag

Diese namentliche Präzisierung wurde nötig, weil die Priorität des Zeisswerks in Bezug auf Anastigmate nicht allzu lang währte und recht bald Konkurrenzfirmen nachzogen, die mit ihren Produkten zunächst sogar erfolgreicher waren. Das lag nicht zuletzt auch an den Richtungsentscheidungen Paul Rudolphs, der verbissen an der Umarbeitung seiner Erfindung zu einem Satz-Anastigmaten festhielt, während Konkurrenzfirmen wie Goerz oder Meyer mit symmetrisch gebauten Doppelanastigmaten sehr erfolgreich waren. Rudolph reagierte darauf, indem er im Jahre 1896 mit dem Planar ebenfalls einen Doppelanastigmaten schuf, der freilich weit über das bisher gekannte Maß an sphärischer und chromatischer Korrektur hinausging und deshalb für damalige Verhältnisse eine ungewöhnlich hohe Lichtstärke ohne Zugeständnisse an die Abbildungsleistung erreichte. Doch dieses Planar war ebenso wie der Satz-Anastigmat alles andere als ein Objektiv für den Massenmarkt.

Zeiss Unar Reklame 1901

Aber gerade in dieser Hinsicht war an der Wende zum 20. Jahrhundert einiges in Bewegung geraten. Photographische Objektive wurden nun nicht mehr allein für den Atelier-Photographen hergestellt. Eine zunehmende Schar an Amateuren begann die Photographie als ihr Steckenpferd zu entdecken und sie kauften sich dafür kleinformatige Platten- und vor allem die neuartigen Rollfilmkameras. Letztere erlaubten nicht nur, mehrere Aufnahmen hintereinander auf das Filmband aufzunehmen, sondern mit dem neu eingeführten Schutzpapier auch einen Filmwechsel bei Tageslicht. Für diese neue Kameragattung wurden nun Objektive gebraucht, die genau auf das entsprechende Format zugeschnitten waren und die bei hoher Bildqualität möglichst lichtstark sein mußten, um die Aufnahme auch ohne Stativ anfertigen zu können. Das Schlagwort der Zeit lautete daher "Handkamera". Diesen Trend hatte Paul Rudolph richtig erkannt und er richtete nach der Schaffung des symmetrisch aufgebauten Planars seinen Blick nun wieder auf eine asymmetrische Konstruktion. Hatte er zuvor bei seinem Protar-Anastigmat die sphärische Korrektur in der einen und die anastigmatische Korrektur in der anderen Hälfte an unterschiedlich brechenden Kittflächen vorgenommen, so wies er mit seinem Unar [DRP 134.408 vom 3. November 1899] nach, daß dasselbe Ergebnis auch erreicht werden konnte, wenn die Glaspaare durch Luftzwischenräume voneinander abgegrenzt werden. Dabei erzielte er "Luftlinsen", denen er wiederum in der einen Hälfte des Objektivs eine positive, in der anderen eine negative Wirkung mitgab. Und da das Zwischenmedium Luft mit einer Brechzahl von 1 deutlich größere Brechzahldifferenzen mit dem benachbarten Glas ergab, war die Korrekturwirkung dieser Luftlinsen auch deutlich stärker als bisher die Kittflächen zwischen zwei Gläsern. Auf diese Weise war es Paul Rudolph möglich, eine hohe Bildfehlerberichtigung bei einer für die Zeit um die Wende von 19. zum 20. Jahrhundert unerhört hohen Lichtstärke von 1:4,5 zu erzielen.

Film-Palmos 6x9

Doch dieses Unar mündete in einer Katastrophe. Rudolph, der meinte, mit diesem Objektiv den großen Durchbruch erreicht zu haben, begann umgehend ein privates Engagement im Geschäftsfeld des Kamerabaus, um für das neue Zeiss-Objektiv selbst die passende Rollfilm-Handkamera mit einem Schlitzverschluß bereitzustellen. Doch nicht nur diese Palmos-Rollfilmkamera war eine Fehlkonstruktion, sondern auch das Unar mußte bereits nach kurzer Zeit wieder vom Markt zurückgezogen werden. Es stellte sich heraus, daß die meniskenhaft durchbogenen Linsen im bildseitigen Systemteil des Unars zu störenden Reflexen führten, die das Objektiv dadurch in der Praxis wenig brauchbar machte [Vgl. Merté, Willy: The Zeiss Index of Photographic Lenses, Volume 1, 1948/49, S. 30.]. Auch ein eilig errechnetes Unar 1:6,3, das aufgrund der geringeren Linsendurchmesser in Zentralverschlüssen untergebracht werden konnte, und damit nicht auf die verkorkste Film-Palmos angewiesen war, konnte diese Konstruktion nicht mehr retten.

Vergleich Unar-Tessar

Es spricht allerdings für das Ausnahmetalent dieses Paul Rudolph, daß er diesen Rückschlag binnen weniger Monate in einen großen Erfolg verwandeln konnte. Während sein Palmos Camera-Werk erst von seinem Arbeitgeber übernommen und dann unter hohen Verlusten liquidiert werden mußte, sann Rudolph darüber nach, wie er den mit seinem Unar eingeschlagenen, prinzipiell richtigen Konstruktionsansatz retten könne. Richtig für ein modernes Universalobjektiv war der asymmetrische Ansatz, richtig war auch der gedrungene Aufbau aus dünnen Linsen mit flach gehaltenen Krümmungsradien, die Vorteile in Hinblick auf Materialkosten und Herstellungsaufwand mit sich brachten. Konkurrenzfirmen zeigten mit ihren Triplet-Typen, daß man auf dieser Basis sehr erfolgreich im Amateur-Markt sein konnte. Doch der unverkittete Dreilinser verlangte nach zu vielen Kompromissen zwischen Lichtstärke, Bildwinkel und Abbildungsleistung, daß er für Rudolph infrage gekommen wäre.

Evolution des Tessars aus dem Protar und dem Unar

Es hat sich nun als einer der glücklichsten Wendungen im Bereich des Photoobjektivbaus ergeben, daß Paul Rudolph aus dieser Sackgasse herausfand, indem er das Potential seiner in den letzten zehn Jahren erarbeiteten Grundlagenerfindungen zur gleichzeitigen Beherrschung der Farbfehler, des Kugelgestaltsfehlers und des Astigmatismus zusammenführte. Der Kern seines Tessar-Patentes Nr. 142.294 vom 25. April 1902 basierte dabei darauf, daß er die Korrekturprinzipien seines Protar-Anastigmaten mit demjenigen des Unars kombinierte, das heißt es wurde das Korrekturmittel der gegensätzlich brechenden Nachbarflächen sowohl in der Form wie beim Protar mithilfe einer Kittfläche, als auch wie beim Unar mithilfe eines Luftzwischenraumes angewendet. Aus der obigen Abbildung, die diesen Vorgang schematisiert darstellt, wird auch deutlich, wie Paul Rudolph sich auf diese Weise der hinteren Gruppe des Unars entledigte, die mit ihren meniskenförmigen Linsen das Objektiv so reflexempfindlich gemacht hatte.

DE142294 Rudolph Tessar 1902

Oben die originale Patentschrift von 1902. Seinen erfinderischen Fortschritt (der Dreh- und Angelpunkt eines jeden Patentgesuchs) erläuterte Rudolph folgendermaßen:


"Dieser Erfolg beruht darauf, daß in einem aus vier durch die Blende in zwei Gruppen geteilten einfachen Linsen bestehenden Objektiv die Linsen der einen Gruppe einen Luftabstand erhalten, welcher von einem Nachbarflächenpaar mit negativem Stärkevorzeichen begrenzt ist, die Linsen der anderen Gruppe aber durch eine Kittfläche mit sammelnder Wirkung vereinigt sind.

Durch dieses Objektiv ist der Konstruktionsgedanke des Objektivs nach Patent 56109 [also des "Anastigmats" von 1890] und der des Objektivs nach Patent 134408 [also des "Unars" von 1899] zu einer gewissen Vereinigung gebracht worden. Während man sich nämlich bei ersterem auf durch die Blende getrennte, verkittete Linsengruppen beschränkt und die Gegensätzlichkeit zur Herbeiführung astigmatischer Korrektion nur auf die Brechungswirkung von Kittflächen erstreckt hat, sind bei letzteren [sic!] unter Voraussetzung eines Luftabstandes in jeder Gruppe zwei in der Brechung gegensätzlich wirkende Nachbarflächen wirksam, d. h. zwei Luftlinsen von verschiedenem Stärkevorzeichen.

In dem neuen Objektiv ist nun die zur astigmatischen Korrektion führende Gegensätzlichkeit dadurch geschaffen, daß die Kittfläche der einen verkitteten Gruppe das entgegengesetzte Stärkevorzeichen erhält wie das Nachbarflächenpaar der anderen, einen Luftabstand enthaltenden Gruppe."


In der Folge führt Rudolph noch aus, daß er bei seinem Tessar von den beiden prinzipiell möglichen Lösungen diejenige gewählt hat, bei der eine positiv wirkende Kittfläche einer negativen Luftlinse gegenübergestellt wird. Zwar seien schon früher vielmals Kittflächen und Luftlinsen gegenübergestellt worden aber sowohl beim Petzvalobjektiv wie beim Steinheil'schen Antiplaneten habe die Kittfläche stets dasselbe Stärkevorzeichen besessen wie die Luftlinse.

Endlich war ein insgesamt einfach aufgebautes und vergleichsweise preiswert herstellbares photographisches Objektiv gefunden worden, bei dem gleichzeitig ein bisher nicht gekanntes Niveau an Bildleistung erzielt werden konnte. Dabei war zum Erreichen dieses Zieles fast ein anderthalbes Jahrzehnt an Vorarbeit nötig gewesen, die mehrfach in Sackgassen gemündet war. Paul Rudolph war zwar mit seinem Protar als erstem Objektivkonstrukteur die Korrektur des problematischen Astigmatismus gelungen, doch es zeigte sich schnell, daß es noch weiterer Anstrengung bedurfte, um den Ausgleich dieses bestimmten Abbildungsfehlers nicht durch Zugeständnisse in Hinblick auf die restlichen Abbildungsfehler erkaufen zu müssen.

Paul Rudolph Objektiventwicklung Zeissa

Auf diesen Grundprinzipien der modernen Optik fußend, ist das Tessar selbst heute noch ein wunderbares – weil auch für den Laien verständliches – Beispiel dafür, daß Abbildungsfehler eben nicht einfach "beseitigt", sondern lediglich so weit gegeneinander abgewogen werden können, daß man sich einem Optimum annähert. Wenn die eine Objektivhälfte die Korrektur des problematischen Astigmatismus und der Wölbung, nicht aber des Kugelgestaltsfehlers zuläßt, dann muß die andere Hälfte letztere Aufgabe übernehmen, ohne wiederum negativ auf die Korrektur des Astigmatismus rückzuwirken, wobei  von Vorteil war, daß beide Systemteile schon von sich aus achromatisiert gewesen sind. Diese aufeinander rückwirkenden Einflußfaktoren verlangten nach einem sorgfältigen Abgleichen von optischen Parametern wie Linsenabständen, Linsendicken, Linsenradien, usw., was angesichts der damaligen technischen Möglichkeiten nach unvorstellbar aufwendigen mathematischen Berechnungen verlangte. Speziell vor diesem Hintergrund wird auch die außergewöhnliche Begabung Paul Rudolphs und seiner Zeitgenossen abschätzbar, weil sie abgesehen von ihren mathematischen Fähigkeiten einen weit darüber hinausgehenden Einblick in die optische Materie haben mußten, um Lösungswege abschätzen zu können, die in heutiger Zeit ein Computerprogramm fast automatisch findet, wenn es schlichtweg Millionen an Lösungsmöglichkeiten per Versuch und Irrtum durchspielt.

Tessar - Das Adlerauge Ihrer Kamera

Im Zeitalter von Papier und Bleistift, der Logarithmentafeln und der mechanischen Rechengeräte wäre man mit dieser Methode allerdings niemals ans Ziel gelangt. So war auch mit der bloßen Erfindung des Tessars noch lange nicht jenes Spitzenobjektiv geschaffen, das nun bald als "Adlerauge der Kamera" zu Weltruhm gelangen sollte. Denn jetzt schloß sich erst die eigentliche Arbeit an, diesen Typ zu optimieren und anschließend die unzähligen Varianten zu rechnen, die von der Photoindustrie mit ihren verschiedenen Aufnahmeformaten verlangt wurden.

Tessar-Bekanntmachung 1903

Oben ist die erste öffentliche Bekanntmachung des neuen Tessars 1:6,3 in der Januar-Ausgabe der Monatsschrift "Photographische Korrespondenz" des Jahrganges 1903 wiedergegeben. Interessant zu sehen, welche Folgen die Rechtschreibreform von 1901 damals hatte. Nicht nur, daß sich die Photographische Correspondenz selbst auf einmal mit "K" statt "C" schrieb; nein man machte auch aus Carl Zeiß kurzerhand einen "Karl". Das erinnert sehr an die Verwirrungen, die durch die erneute Rechtschreibereform am Ende desselben Jahrhunderts ausgelöst werden sollte.

Das erste Tessar war auf eine Lichtstärke von 1:5,6 bei einer Brennweite von 135 mm ausgelegt und sein Rechnungsabschluß datiert auf den 21. April 1902, wie uns die Zeiss-Datenblattsammlung auf Karte Nummer 373 mitteilt. Auf der linken Seite ist die Bildwölbung gezeigt für eine Plazierung der Blende im ersten Luftraum, rechts im zweiten. In beiden Fällen verzeichnet das Objektiv ziemlich stark. Die Linsen 1 und 4 bestanden aus neuen hochbrechenden Schwerkron Gläsern, die in etwa den späteren SK1 bis SK4 entsprachen. Linse 2 war aus einem neuartigen Baritflintglas ähnlich dem späteren BaF4 und Linse 3 aus gewöhnlichem Kron.

Tessar Dezember  1902
Tessar Dezember  1902
Tessar Dezember 1902
Tessar Dezember 1902
Tessar Dezember 1902

Oben das erste Prospekt für das Tessar 1:6,3 sowie das Apochromat-Tessar 1:10 bzw. 1:15, das bereits vom Dezember 1902 datiert. Das Errechnen all dieser Varianten sollte die letzte große Arbeitsleistung sein, die Paul Rudolph für das Zeisswerk ablieferte.

2. Ernst Wandersleb übernimmt die Weiterentwicklung

In Rudolphs Tessar-Patent ist für das angegebene Ausführungsbeispiel eine Lichtstärke von 1 : 5,5 zugrundegelegt. Interessant erscheint, daß in dieser Schutzschrift offen zum Ausdruck gebracht wird, daß das angegebene Beispiel lediglich dazu geeignet sei, die grundsätzliche Leistungsfähigkeit seiner Erfindung abzuschätzen, es jedoch noch nicht zu einem Optimum durchgerechnet worden wäre. Diese, auf Grundlage der damals zur Verfügung stehenden Mittel übrigens sehr kräftezehrende Arbeit des Optimierens, hat Rudolph trotz der großen ökonomischen Bedeutung dieses international konkurrenzlosen Objektivtyps bereits nach kurzer Zeit vollständig seinem Assistenten Ernst Wandersleb überlassen. Und das obwohl Wandersleb mit nur 22 Lebensjahren gerade erst bei Zeiss eingestellt worden war. Wie wir heute wissen, lag das wohl hauptsächlich daran, daß das Tischtuch zwischen Paul Rudolph und seinem Arbeitgeber bereits seit längerer Zeit zerschnitten war.

Der Anfang 30 jährige Paul Rudolph (dritter von rechts) am 3 Juli 1891 im Kreise seiner Konstrukteurs-Kollegen der anderen Abteilungen sowie einiger Rechen-Assistenten.

Es gehört zur Lebenstragik des Dr. Paul Rudolph, daß dieser geniale Geist im Sommer 1889 mit gerade einmal 30 Lebensjahren einen nach heutigem Verständnis regelrechten Knebelvertrag mit dem Zeisswerk abgeschlossen hatte, der ihm anfänglich ein gutes und vor allem sicheres Auskommen zu sichern schien, sich aber später als ein goldener Käfig entpuppte, der ihm eine Teilhabe an den zunehmend größer werdenden ökonomischen Erträgen aus seinen Erfindungen verwehrte, ihn gleichzeitig aber auch nicht gehen und zum eigenen Herr über seine Erfindungen werden ließ. Um es vorweg zu nehmen: Paul Rudolph mußte erst über 60 Jahre alt werden, um von diesem Vertrag endlich loszukommen und überdies seine schöpferische Kraft als Objektivkonstrukteur wiederzuerlangen!


Dieses Gefühl, zunehmend von seinem Arbeitgeber übervorteilt zu werden, muß in Paul Rudolph wohl aufgekommen sein, nachdem mit seinem Planar von 1896 das erste Mal mit einem Zeissobjektiv richtig gutes Geld verdient werden konnte, ihm aber aufgrund seines Anstellungsvertrages von 1889 kein Anteil an den Erträgen zustand. Eine im Arbeitsvertrag genannte Beteiligung an Patentlizenzen galt nämlich ausschließlich für seinen später als Protar bekannt gewordenen Anastigmaten von 1889/90. In dem Maße aber, wie Rudolph nun immer fortgeschrittenere Konstruktionen erfand, die das veraltete Protar zunehmend vom Markt verdrängten, fielen die zusätzlichen Einnahmen für ihn um so geringer aus. Für Rudolph ergab sich also die geradezu kafkaeske Situation, daß er immer stärker Opfer seines eigenen Erfolges wurde.

Tessar Bausch & Lomb

Auch für das Tessar wurden umgehend Fertigungslizenzen vergeben, so zum Beispiel an die US-amerikanische Firma Bausch & Lomb in Rochester und New York City [aus: Camera Work: A Photographic Quarterly Nr. 12, 1905, S. 73.]. Weitere Lizenznehmer waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Karl Fritsch in Wien, Koristka in Mailand, Krauss in Paris sowie Ross in London.

Man kann daher seine Patentschrift zum Tessar auch so lesen, daß er verzweifelt versuchte, den Kerngedanken seiner Protar-Erfindung von 1889, mit dem ihm erstmals die Korrektur des Astigmatismus gelungen war, in der bildseitigen Kittgruppe des neuen Tessarobjektivs wieder aufleben zu lassen, um damit die vertraglich garantierte Beteiligung an Lizenzeinnahmen zu erzwingen. Doch genau diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Statt an dem großen kommerziellen Erfolg des Tessares zu partizipieren, mußte Rudolph mit ansehen, wie das nach Abbes Tod zum Großkonzern aufgestiegene Zeisswerk den Reibach ganz alleine einstrich. Verschlimmert worden war die ohnehin schon schwierige Lage noch mit einem waghalsigen Versuch, seine Einnahmen durch ein privates Engagement im Kamerabau zu verbessern. Das Scheitern des "Palmos-Camerawerks" hatte indes den endgültigen Bruch mit seinem Arbeitgeber zur Folge, da er diesen in den verlustreichen Bankrott mit hineingezogen hatte.


Die folgende Zeit nach dem Tessarpatent war nun durch eine fast völlige Erlahmung der schöpferischen Tätigkeit Rudolphs überschattet, obwohl er formal Leiter der Abteilung Photo blieb. In der Patentliteratur ist lediglich noch ein "Herumlaborieren" an seinen alten Erfindungen aus den 1890er Jahren nachweisbar. Diese wiederum kafkaesk anmutende Lage ergab sich ebenso als ein Ergebnis des unglücklichen Anstellungsvertrages von 1889: Rudolph hätte binnen zehn Jahren nach dem Ausscheiden bei Zeiss in keiner konkurrierenden Firma tätig werden dürfen, weshalb eine solche nicht weniger als den Totalverlust seiner Lebensgrundlage bedeutende Kündigung für ihn nicht infrage kam. Zeiss hatte andererseits Rudolph vertraglich eine unkündbare Stellung zugebilligt, weshalb sie fest an ihn gebunden waren, gleichgültig ob Paul Rudolph Jahrhundertobjektive erfand oder am Schreibtisch saß und Däumchen drehte eine über die Maßen unbefriedigende Situation für beide Seiten. Diese beinah ins irrwitzige abgleitende Vorgeschichte mußte hier freilich vorweggeschickt werden, um begreiflich zu machen, weshalb die tatsächlich in den Handel gelangten Formen des Tessars keine Hervorbringungen seines Erfinders und Leiters der Photo-Abteilung mehr gewesen sind, sondern de facto diejenigen seines Assistenten Ernst Wandersleb. Willy Merté schreibt hierzu im Jahre 1929:


"Das Ausführungsbeispiel des Grundpatents des Tessars hat P. Rudolph [...] etwa für eine Öffnung 1 : 5,6 sphärisch und auf Sinusbedingung korrigiert, während die anastigmatische Bildebnung und Verzeichnungsfreiheit noch nicht in dem Maße wie bei den damaligen Protaren erreicht war. Dieses Patentbeispiel wurde nicht fabriziert, sondern zwei andere Formen, die P. Rudolph sogleich aus dem Typ herausarbeitete, das Tessar 1 : 6,3 als hervorragendes Universalobjektiv [...] und ein Reproduktionsobjektiv mit der Anfangsöffnung 1 : 10 bis 1 : 15, das 'Apochromattessar' gennant wurde.

Die weitere Entwicklung der Tessarform für die verschiedenen Anwendungsgebiete, vor allem in der Richtung großer Lichtstärke, als Universalobjektiv für Astrophotographie, für Porträtphotographie, für Kinoaufnahmen, für Episkopprojektion, späterhin für Fliegerkammern u. a. m. beruht bis etwa 1915 im wesentlichen auf den Arbeiten von E. Wandersleb, und zwar entstand 1904 ein Astrotessar 1 : 5, 1905 ein Universaltessar 1 : 4,5, 1906 das Tessar 1 : 3,5 mit einem Bildfeld von etwa 3540° für Kinoaufnahmen und Sonderzwecke, insbesondere späterhin für die ersten Fliegerkammern, 1908 auch ein verhältnismäßig weitwinkliges Tessar mit einem Öffnungsverhältnis 1 : 9 und einem Bildfeld von etwa 80°. [...]

Daneben lief von 1905 an die Ausarbeitung von wichtigen Änderungen innerhalb der Tessare 1 : 6,3 und 1 : 4,5. Da diese Formen, ebenso wie die meisten der vorstehend genannten, zum großen Teil weit innerhalb der Laufdauer des Grundpatents entstanden, fehlte die Veranlassung, neue Schutzrechte für sie auszuarbeiten und so unterblieb bei der Mehrzahl auch ihre druckschriftliche Veröffentlichung [...]. Um so notwendiger schien es dem Verfasser, hier ausdrücklich auf diese wichtigen Arbeiten von E. Wandersleb hinzuweisen." [Merté, Willy: Bauarten der photographischen Objektive, in: Hay, Alfred (Hrsg.): Handbuch der wissenschaftlichen und angewandten Photographie, Band I, Das photographische Objektiv, Wien, 1932, S. 283/284.]

Ernst Wandersleb

Ernst Wandersleb (1879 - 1963) auf einer Photographie aus derjenigen Zeit, als er Assistent Rudolphs gewesen sein dürfte. (Bild: Deutsche Digitale Bibliothek)

Man erfährt also aus diesen Ausführungen, daß Rudolph lediglich noch in den Jahren 1902 und 1903 das Tessar 1 : 6,3 und das Apo-Tessar ausgearbeitet hat, ab 1904 aber sämtliche Weiterentwicklungen von Rudolphs Assistenten Ernst Wandersleb übernommen worden sind insbesondere das lange als das "Adlerauge der Kamera" beworbene Tessar 1:4,5. Obendrein kann man aus Mertés Ausführungen noch eine Würdigung Ernst Wanderslebs dahingehend herauslesen, daß dessen große Leistungen als herausragender Objektivkonstrukteur wohl deswegen immer ein wenig unter den Tisch gefallen sind, weil er anders als Merté oder Bertele nicht besonders prominent in der Patentliteratur auftaucht. Zudem wird Wandersleb durchweg als bescheidener Zeitgenosse und Philanthrop beschrieben, der offensichtlich nur wenige Ambitionen zeigte, sich in den Vordergrund zu spielen. Und das obgleich er 1911 als Rudolphs Nachfolger immerhin zum Leiter der Abteilung Photo des Zeisswerks aufgestiegen war.

Ernst Wandersleb Ballonfahrt

Als begeisterter Ballonfahrer war Ernst Wandersleb bestrebt, sein privates Hobby mit seiner beruflichen Tätigkeit zu verbinden, wodurch er sich zu einem der Pioniere der Luftbildaufnahmen entwickelte und dabei nicht selten seine neusten Objektivschöpfungen zum Einsatz brachte [Bild: Deutsche Fotothek, Datensatz 90109763.]. Mit Beginn der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird dieser interessante Mann, der mit einer jüdischstämmigen Frau verheiratet gewesen ist, allerdings zunehmend diskriminiert und anschließend aus seiner Führungsposition innerhalb der Abteilung Photo verdrängt. Und wir dürfen uns leider keine Illusionen darüber machen, daß er dies im Wesentlichen seinem Assistenten Willy Merté zu verdanken hatte. Das Terrorregime hatte Wandersleb 1938/39 einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Vermögens geraubt, indem es ihm wie vielen tausend weiteren "jüdisch versippten" Familien nach den Novemberpogromen eine sogenannte "Judenbuße" auferlegt hatte. Nach unvorsichtigen Unmutsäußerungen darüber in der Firma wurde Wandersleb von Merté denunziert, woraufhin die Gestapo auf ihn aufmerksam wurde. Um sich keine weiteren Scherereien mit der Partei einzuhandeln, erteile die Zeiss-Geschäftsführung Wandersleb am 9. Februar 1939 kurzerhand ein Verbot zum Betreten des Betriebes und stellte ihn anschließend kalt. Der zuvor schon auffällig stark nach Profilierung seiner Person strebende Merté hatte sich auf dieser Weise erfolgreich seines Chefs entledigt und zugleich die Leitung der Photo-Abteilung einverleibt.

2.1 Die Tessare 1:6,3

2.1.1 Paul Rudolphs Tessar 1:6,3

Wenn bei der Erstellung des unten gezeigten Datenblatts kein Fehler unterlaufen ist, dann hat Paul Rudolph schon zum 23. März 1902 (!) die Rechnung für das Tessar 6,3/136 mm fertiggestellt also noch vor Erarbeitung des als Patentbeispiel dienenden Tessares 5,6/135 mm. Bei diesem Tessar 6,3/136 mm ist das Bildfeld besser geebnet als beim Patentbeispiel und dessen hohe Verzeichnung ist fast restlos beseitigt. Bei den Glasarten hat sich dabei nichts Substantielles geändert.

Tessar 6,3/136 mm 1902

Schnell wurde jedoch die sich rasch weiterentwickelnde Glastechnologie auf den neuen Tessartyp angewendet. Das Datenblatt unten zeigt uns ein Tessar 6,3/155 mm mit einer "Frontlinse aus Barytflint". Später wurden diese Gläser im Schott-Katalog unter der Kategorie "Barit-Leichtflint" eingruppiert. Danach folgt ein noch geringer brechendes Leicht-Flintglas. In der hinteren Gruppe wurde ein Fernrohrflint mit einem schwersten Barytkron verkittet. Letzteres ähnelt dem späteren SSK1. Zum 13. Dezember 1905 wurde diese Rechnung bereits wieder abgelöst durch ein Tessar 6,3/155 mm mit Baritflint Nr. 3932 sowohl in der Front- wie auch in der Rücklinse (Vgl. Karte Nummer 96).

Tessar 6,3/155mm

Erste Reihe von ab 1903 gelieferten Tessaren 1:6,3

Serie IIb, Nummer

Brennweite in mm

Plattengröße in cm

0

40

3x3

1

56

4x4

2

84

6x8

3

112

6x9

4

136

9x12

4a

145

9x12

5

155

10x13

5a

180

12x16

6

210

13x18

7

255

13x21

8

305

18x24

9

365

22x26

10

490

24x30

11

590

30x40

2.1.2 Ein Tessar 1:6,3 auf Basis des Tessares 1:4,5?

Nachdem Ernst Wandersleb das Tessar 1:4,5 entwickelt die einzelnen Brennweiten gerechnet hatte (siehe folgenden Abschnitt), sollte offenbar im Anschluß auch das Tessar 1:6,3 auf dieser Basis überarbeitet werden. In der Zeiss-Datenblattsammlung ist aus den Jahren 1908/1909 eine große Anzahl an Rechnungen enthalten, die teilweise auch als B-Tessar und Amatar bezeichnet wurden und dabei Variationen des Tessares 1:6,3 darstellen. Es ist jedoch fraglich, ob diese Weiterentwicklung von 1908/09 überhaupt je in den Handel gelangt ist. So scheint es sich nur um eine Zwischenstufe gehandelt zu haben, die letztlich verworfen wurde.

Amatar 6,3/150 mm 1909

Denn offensichtlich war es nicht sinnvoll, das Tessar 1:6,3 mit dem Einsatz noch exklusiverer Gläser weiter zu verteuern. Oben sieht man als Beispiel für diesen Zwischenschritt die Karteikarte Nr. 192 für ein Amatar 6,3/150 mm (die ähnlich als Karte 191 auch als Tessar vorliegt). Und was hier auffällt ist das für die damalige Zeit extrem hochbrechende Kronglas in den Linsen 1 und 4. Es hatte die Schmelznummer O4511 und ist in die spätere Kategorie der Schwerstkron-Gläser einzuordnen. Im vorderen Objektivteil wurde der Sammellinse aus diesem Glas zudem eine Zerstreuungslinse aus schwerem Baritflint gegenübergestellt. Insgesamt war dies ein materialmäßig sehr aufwendiges Objektiv. Für ein Tessar 1:6,3, das nach Erscheinen des Tessares 1:4,5 einen deutlichen preislichen Abstand zu diesem haben mußte, um noch verkäuflich zu sein, war dieser Ansatz offensichtlich viel zu aufwendig.

2.1.3 Das nach Reichspatent 349.938 optimierte Tessar 1:6,3

Wirklich umgesetzt wurde beim Tessar 1:6,3 daher nachweislich ein ganz anderer Ansatz, der den Materialeinsatz zu mindern gestattete. Diesem Schritt mußte allerdings erst eine gründliche Forschungsarbeit vorausgehen, die in zwei Patentanmeldungen zum Ausdruck kommt – eine für das Tessar 1:4,5 und eine für das Tessar 1:6,3. Für das Tessar 1:6,3 ist dies das Reichspatent Nr. 349.938 vom 15. November 1917.

DE349938 Tessar 1:6,3 von 1917

Von diesem Anmeldejahr 1917 sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen. Die Entwicklung geht bereits auf eine Zeit zurück, nachdem Paul Rudolph die Abteilung Photo des Zeisswerks verlassen hatte. Das erkennt man daran, daß sich die in diesem Patent geschützten Spezifikationen bereits in Datenblättern für Tessare 1:6,3 finden, die auf die Jahre 1911 bis 1913 datieren. Die Anmeldung erst im Herbst 1917, nachdem die Tessare schon jahrelang in dieser Form im Handel waren, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu tun, daß nach den damals gesetzlich verankerten 15 Jahren der Patentschutz abgelaufen war (siehe Abschnitt 3). Daß diese beiden Patente gar erst im Frühjahr 1922 veröffentlicht wurden, obwohl die genannten Tessare 1:4,5 und 1:6,3 schon seit vielen Jahren nach diesem technischen Stand gebaut wurden, hat wohl zu falschen Rückschlüssen in Bezug auf die Chronologie der Tessar-Entwicklung geführt. Erst die Zeiss-Datenblatt-Überlieferung schafft diesbezüglich Klarheit.


Wie beim Tessar 1:4,5 (siehe Abschnitt 2.2.2) ging es auch im Falle des Tessares 1:6,3 prinzipiell darum, von den teuren und problematischen Schwerkrongläsern loszukommen. Bei diesen hochbrechenden und niedrig dispergierenden Glasarten kam es bei der Herstellung notorisch zur Bläschenbildung und zu Inhomogenitäten, weshalb oft ein großer Anteil der Schmelze verworfen werden mußte, was den Materialpreis des Tessares übermäßig in die Höhe trieb. Außerdem neigten diese Gläser bei der Benutzung des Objektives durch verschiedene Umwelteinflüsse zum Anlaufen.

Tessar 6,3/15 cm 1911

Das führte zur Bestrebung, das Schwerkron in der Frontlinse durch ein billigeres, niedriger brechendes Glas zu ersetzen. Die Patentschrift deutet mit der Brechzahl um 1,53 bei einem ny-Wert von etwa 58 auf ein Zinksilikat-Kron hin (als Nummer 15 bzw. später als ZK1 im Glaskatalog verzeichnet). Das oben gezeigte Datenblatt für ein Tessar 6,3/15 cm, dessen Rechnung vom 27. Juli 1911 nachweislich tatsächlich in dieser Form produziert wurde, läßt erkennen, daß auch älteres Barytflint Verwendung fand ("O722 in L1 und L4", später Barit-Leichtflint BaLF4 genannt). Ausschlaggebend ist, daß zum Ausgleich der ungünstigeren Glaseigenschaften laut Reichspatent Nr. 349.938 vom 15. November 1917 eine genau abgestimmte Krümmung der Kittfläche im hinteren Glied vorgesehen war sowie eine Begrenzung des Brechzahlunterschiedes der beiden Glasarten im Kittglied auf maximal 0,05. In dieser kostengünstigen und trotzdem sehr leistungsfähigen Konfiguration wurde das Tessar 1:6,3 noch bist weit in die 1920er und 30er Jahre angeboten wenn auch mit einer gegenüber dem Tessar 1:4,5 deutlich abnehmenden Bedeutung.

Tessar 1:6,3 Kodak

Die Tessare 1:6,3 wurden noch bis weit in die 1920er und 30er Jahre teils sporadisch, teils sogar in größeren Stückzahlen serienmäßig in Kameras eingesetzt, obwohl ihre Entwicklung zunächst auf dem Stand der Zeit vor dem ersten Weltkrieg stehen geblieben war. So unter anderem als Spitzenausstattung für diese einfache Kodak-Faltkamera aus dem Jahre 1929. Bild: David Wright.

Rechnungsdaten von einigen noch in der Zwischenkriegszeit hergestellten Tessaren 1:6,3 mit dem Abschluß vor dem Ersten Weltkrieg

Tessar 6,3/5,5 cm

13. 11. 1903

Tessar 6,3/6,5 cm

29. 07. 1903

Tessar 6,3/7,5 cm

01. 11. 1912

Tessar 6,3/9 cm

07. 07. 1906

Tessar 6,3/12 cm

02. 04. 1906

Tessar 6,3/13 cm

08. 09. 1906

Tessar 6,3/13,5 cm

27. 05. 1911

Tessar 6,3/15 cm

27. 07. 1911

Tessar 6,3/16,5 cm

03. 06. 1911

Tessar 6,3/18 cm

13. 06. 1911

Tessar 6,3/21 cm

01. 08. 1911

Tessar 6,3/25 cm

29. 09. 1911

Tessar 6,3/30 cm

26. 07. 1912

Tessar 6,3/50 cm

01. 11. 1911

2.2 Das erste Tessar 1:4,5

2.2.1 Wanderslebs Ursprungsversion von 1905

Die Korrekturmöglichkeiten, die der Tessartyp mit sich brachte, gaben ihm das grundsätzliche Potential zu weiter gesteigerten Lichtstärken. Schon im Zusammenhang mit dem Unar wurde oben aber angesprochen, daß die Nachfrage nach großen Lichtstärken zumindest in der Stillbildphotographie zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch gering ausgeprägt war. Das hatte unter anderem auch ganz profane technische Gründe. So gab es damals noch keine Zentralverschlüsse, die bei den sehr großen Linsendurchmessern dieser lichtstarken Objektive genügend kurze Verschlußzeiten geboten hätten, um deren Potential auch wirklich voll ausnutzen zu können. Doch das änderte sich gerade. Erstens wurden jetzt zunehmend solche Zentralverschlüsse entwickelt. Sie arbeiteten nicht mehr mit der sehr fragwürdigen "Lederbremse", sondern mit luftgesteuerten Hemmwerken (Compound) oder Räderhemmwerken (Compur). Zweitens wurden zur selben Zeit die Schlitzverschlüsse immer weiter verbessert. Sie hatten den Vorteil, dem Objektiv keinerlei Beschränkungen im Öffnungsdurchmesser aufzuzwingen. Neuartige Apparate wie die Ernemann Klapp-Camera eröffneten mit ihren schnellen Schlitzverschlüssen den lichtstarken Objektiven nun Tür und Tor.

Oben ist Ernst Wanderslebs Aufsatz "Das neue Tessar 1:4,5" aus der "Photographischen Korrespondenz" Nr. 3 von 1907 wiedergegeben, in dem er seine Entwicklung der Öffentlichkeit vorstellte. Der bei voller Öffnung scharf ausgezeichnete Bildwinkel lag bei etwa 55 Grad, was auch diesem neuen Typ die Eigenschaft eines Universalobjektives verlieh. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß der scharf ausgezeichnete Bildkreis in etwas so groß ist wie die Brennweite. Wandersleb spricht jedoch auch offen die oben schon erwähnten Anpassungsschwierigkeiten an damals übliche Aufnahmeapparate an. Letztlich führten diese neuen, sehr lichtstarken Objektive in der Folgezeit zu einem ersten Schub in der Verkleinerung der Aufnahmeformate, der in der Zwischenkriegszeit noch einmal deutlich voranschritt.

Tessar 4,5/156 mm

Einen Einblick in die Entwicklungsgeschichte des Tessares 1:4,5 gibt uns die obige Karte Nummer 90 aus der Zeiss Datenblattsammlung für ein Tessar 4,5/156 mm, die aus dem Jahre 1905 stammen dürfte. Linse 1 und 4 sind aus Schwerkron, Linse 2 aus Leichtflint und Linse 3 aus Kron-Flint. Die Bildfehlerkurven lassen eine ähnlich gute Korrektur wie beim Tessar 1:6,3 erkennen. Die Reihe der Tessare 1:4,5 wurde in den folgenden Jahren bis zum Ersten Weltkrieg ständig erweitert und bestehende Brennweiten mit neuen Gläsern überarbeitet.

2.2.2 Das nach Reichspatent 350.335 optimierte Tessar 1:4,5

Diese Tessare 1:4,5 entwickelten sich auffällig rasch zum Maßstab für ein hochwertiges Normalobjektiv mit einem Bildwinkel bis knapp 60 Grad, an dem sich konkurrierende Hersteller nun stets messen lassen mußten. Dazu muß man noch einmal in Erinnerung rufen, daß die Öffnung 1:4,5 für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als unerhört lichtstark angesehen wurde. Trotzdem war dieses Tessar schon bei leichter Abblendung ebenbürtig mit den besten Doppelanastigmaten sowie den unverkitteten Dreilinsern stets überlegen. Diese Einschätzung gilt auch für die gesamte Zwischenkriegszeit bis 1939.

Tessar 4,5/15 cm

Stellvertretend läßt sich am oben gezeigten Exemplar eines Tessars 4,5/15 cm aus dem Jahre 1927 zeigen, wie sich der Zeiss-Konzern in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre im lebhaften Photomarkt etabliert hatte. Gebaut wurde es als auswechselbares Objektiv einer Zeiss Ikon Ideal 9x12 Plattenkamera, kurz nachdem Zeiss Jena den Dresdner Kamerabau durch die Formierung dieser neuen Firma monopolisiert und auf diese Weise einen stabilen Absatz der hauseigenen Photoobjektive sichergestellt hatte. Auch die führenden Zentralverschlüsse der Marke Compur waren insgeheim Produkte aus dem Zeiss-Konzern. Wie beim Tessar 1:6,3 (siehe Abschnitt 2.1.3) wurde aber auch bei diesen sehr erfolgreichen Tessaren 1:4,5 kurz vor dem Ersten Weltkrieg noch einmal eine umfassende Umkonstruktion in Angriff genommen.

Tessar 4,5/15 cm 1911

Um diese Umarbeitung zu verdeutlichen, werfen wir einen Blick auf das Datenblatt für genau dieses oben gezeigte Tessar 4,5/15 cm der Zeiss Ikon Ideal von 1927, das nachweislich auf der Rechnung vom 31. Juli 1911 basiert. Zwar sind aufgrund der schlechten Erhaltung der Quelle weder das Achsenschnittbild noch die a- und b-Kurven erkennbar, aber dafür die verwendeten Glasarten. Dabei fällt auf, daß in der hinteren Linse Nummer 4 zwar weiterhin sehr schweres Kronglas verwendet wurde, das in etwa dem späteren SSK1 entsprochen haben dürfte. In der Frontlinse ist das Schwerkron jedoch verschwunden und durch einerseits sehr billiges und zugleich sehr beständiges Barit-Kron ersetzt.

DE350.335 Tessar ohne Schwerkron

Der Hintergrund für diese Vorgehensweise findet sich im Reichspatent Nr. 350.335 vom 16. Oktober 1917: Hier ging es darum, das ursprünglich für die Frontlinse eingesetzte Barit-Schwerkron zu umgehen, da es bei der Herstellung zu Blasen und Inhomogenitäten neigte, weshalb immer nur eine geringe Menge einer Schmelze brauchbar war. Zweitens konnte es bei diesen Gläsern aufgrund ihrer Zusammensetzung dazu kommen, daß sich durch Umwelteinflüsse die Oberfläche verfärbte oder eintrübte, was die Haltbarkeit des kostbaren Objektivs sehr beschränkte. Um dem zu begegnen, hatte Wandersleb die vordere Sammellinse auf die Glasart O211 umgestellt, die später als Barit-Kron BaK1 geführt wurde. Auf dieser Basis wurden in den Jahren 1911 bis 1913 offenbar alle Tessare 1:4,5 noch einmal überarbeitet und bis zum Ende der 20er Jahre so gefertigt. Auch hier gilt wieder, daß die späte Anmeldung des Patentes im Herbst 1917 nicht darüber hinwegtäuschen darf, daß die Objektive schon seit Jahren nach dieser Zusammensetzung gefertigt wurden.

2.2.3 Willy Mertés erste Optimierungsarbeiten

Interessant ist, daß offenbar Willy Merté, der seit etwa 1915 für die Tessar-Entwicklung in der Zeiss-Photoabteilung zuständig war [Vgl. Das photographische Objektiv seit 1929, S. 24.], bereits während des Ersten Weltkrieges daran arbeitete, diesen Objektivtyp dadurch auf höhere Leistungsparameter zu bringen und damit konkurrenzfähig zu halten, indem er in beiden Sammellinsen wieder sehr schweres Kronglas einsetzte. Daraus jedenfalls kann man aus dem unten gezeigten Datenblatt eines Tessares 4,5/15 cm mit Rechnungsdatum vom 15. Januar 1917 schließen, das allerdings so nicht in die Fertigung gelangte. 

Tessar 4,5/15 cm Rechnung vom 15. Januar 1917

Deutlich ist zu sehen, wie Merté von dem niedrig brechenden Kronglas in der Frontlinse abgegangen war, und das obwohl genau diese Lösung ja erst noch im kommenden Herbst zum Patent angemeldet werden wird. Doch auf die Verwirrung stiftende Chronologie dieser beiden Patente von 1917 ist oben bereits mehrfach hingewiesen worden. Stattdessen hatte er mit dem Schwerstkron SSK2 ausgerechnet das damals höchstmöglich brechende Kronglas für die Frontlinse vorgesehen. Aus diesem hohen Materialeinsatz resultierten außergewöhnlich schlanke Kurven für die sphärische Aberration, den Astigmatismus und die Verzeichnung. Doch für diese aufwendige Rechnung vom Januar 1917 war die Zeit noch nicht reif. Es soll aber bereits an dieser Stelle darauf verwiesen werden, daß Willy Merté das Tessar 1:4,5 Ende der 20er Jahre doch noch auf mittlerweile verbesserte Sorten der Schwerkrongläser umstellen wird, wodurch ihre Bildleistung noch einmal deutlich angehoben werden konnte (siehe Abschnitt 3.1.2).

Tessar 4,5/12 cm ICA Cupido

Oben sieht man eine ICA Cupido 75 für die Plattengröße 6x9 (manchmal auch 6,5x9 bezeichnet), die Anfang der 20er Jahre gefertigt wurde. Lange Zeit hatte in dieser Bildgröße die Brennweite 12 cm dominiert. Die später für das Nennformat 6x9 cm so bedeutende Brennweite 10,5 cm war erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg geschaffen worden. Das Tessar 4,5/12 cm mit dem Rechendatum 8. Juli 1913 wurde dann in den 30er und 40er Jahren hauptsächlich noch für das heute in Vergessenheit geratene Format 6,5x11 cm (Rollfilm D-6 bzw. Typ 116) hergestellt. Bild: Dave Shrimpton.

Abschlüsse für auf der Basis des DRP 350.335 kurz vor dem Ersten Weltkrieg neu gerechnete Tessare 1:4,5

Tessar 4,5/6,5 cm

25. 01. 1911

Tessar 4,5/10,5 cm

27. 05. 1913

Tessar 4,5/11,5 cm

08. 07. 1913

Tessar 4,5/12 cm

08. 07. 1913

Tessar 4,5/13,5 cm

18. 07. 1911

Tessar 4,5/15 cm

31. 07. 1911

Tessar 4,5/16,5 cm

23. 08. 1911

Tessar 4,5/18 cm

04. 07. 1911

Tessar 4,5/21 cm

05. 08. 1911

Tessar 4,5/25 cm

07. 09. 1911

Tessar 4,5/30 cm

16. 09. 1911

Tessar 4,5/36 cm

30. 01. 1912

Tessar 4,5/40 cm

20. 11. 1911

Tessar 4,5/50 cm

18. 11. 1911

2.3 Das erste Tessar 1:3,5

Auch wenn für die folgenden etwa 25 Jahre das Tessar 1:4,5 zahlenmäßig eindeutig die dominanteste Rolle einnimmt, so sollte dennoch nicht Wanderslebs erstes Tessar 1:3,5 außer Acht gelassen werden, obwohl vorerst nur ein sehr geringer Anteil der hergestellten Tessare auf diesen Typ entfiel. Eine Objektivöffnung 1:3,5 wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als unerhört lichtstark angesehen. Man könnte zwar einwenden, der Petzval'sche Schnellarbeiter habe seit fast siebzig Jahren eine derartige Lichtstärke gehabt, aber seine jahrzehntelange Dominanz hat nur mit der guten Eignung im Anwendungsfeld der Portraitaufnahmen im Atelier zu tun. Sein langgestreckter Bau ließ kein großes Bildfeld zu und die Schärfe wurde außerhalb der Mitte durch die nicht korrigierbare Wölbung der Bildschalen begrenzt.

Tessar 3,5/25cm

Es bedeutete daher einen immensen Fortschritt, als Ernst Wandersleb bei seinem Tessar 1:3,5 im Jahre 1906 diese große Objektivöffnung mit einer sphärischen, chromatischen und gleichzeitig astigmatischen Korrektur verbinden konnte. In der Praxis bedeutete das: Wenn man nun eine Person vor einer gleichmäßig strukturierten Fläche photographierte, zum Beispiel einer Ziegelwand, dann wurden auch diese Ziegel und vor allem ihre senkrecht und waagerecht verlaufenden Fugen! nicht nur allesamt gleichzeitig scharf abgebildet, sondern es fehlte auch an jener eigenartigen geometrischen Veränderung, die eine Wölbung des Bildfeldes stets mit sich brachte und die bei gleichmäßig strukturierten Bildeinzelheiten in einem unerträglichen Maße störend auffiel.

Wandersleb Tessar 1:3,5 1907

Für die Veröffentlichung seines Tessares 1:3,5 wählte Ernst Wandersleb eine andere Form als zuvor für sein Tessar 1:4,5. Er hatte eine größere theoretische Arbeit mit dem Titel "Über die Verzeichnungsfehler photographischer Objektive" verfaßt, die in zwei Teilen im Februar- und März-Heft des Fachblattes Zeitschrift für Instrumentenkunde des Jahres 1907 erschien. Im zweiten Teil dieses Aufsatzes, in dem Wandersleb Beispiele für Verzeichnungskurven praktisch ausgeführter Objektive gibt, ist das neue Tessar 1:3,5 quasi nebenbei mit vollständigen Konstruktionsdaten veröffentlicht.

Tessar 3,5/25cm

Was für eine große Herausforderung es zur damaligen Zeit bedeutete, die astigmatische wie auch die komatische Korrektur gleichsam mit einer derart großen Lichtstärke zu verknüpfen, kann man daran ablesen, daß Wandersleb den Bildwinkel des Tessares 1:3,5 auf etwa 35 Grad beschränken mußte. Der beim Tessar 1:4,5 sichergestellte Bildwinkel von etwa 55 Grad war beim Tessar 1:3,5 also nicht zu erreichen, weshalb von einem universellen Normalobjektiv noch keine Rede sein konnte. Mit anderen Worten: Das damalige Tessar 1:3,5 wurde stets mit einer im Vergleich zum Aufnahmeformat etwa doppelt so großen Brennweite geliefert. Bis heute ist das ein typischer Wert für die sogenannten Portraitbrennweiten. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden drei Ausführungen des Tessares 1:3,5 geschaffen: Die Brennweite 21 cm für das Format 6x9 cm, die oben zu sehende Brennweite von 25 cm für das Format 9x12 cm (Rechnung vom 3. Oktober 1906) und die Brennweite 30 cm für das damals viel benutzte Format 12x16 cm. Welch absolute Spezialobjektive diese Tessare 1:3,5 damals gewesen sind, das läßt sich auch an ihrem Preis ablesen: Das obige Exemplar, das kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges gebaut wurde, kostete damals 400,- Reichsmark, was inflationsbereinigt auf das Jahr 2023 gerechnet etwa 2800,- Euro sind. Es wurde höchstwahrscheinlich an einer sogenannten Flieger-Kamera eingesetzt.

Tessar 3,6/174,6 1905

Oben ist das Datenblatt für ein Tessar 3,6/174,6 mm gezeigt, dessen Rechnung vom 16. August 1905 stammt und das daher als Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser lichtstarken Variante gesehen werden kann. Für die vordere Sammellinse kam Schwerkron zum Einsatz, das in etwa dem späteren SK4 entsprach und für die hintere ein neues hochbrechendes Kronglas von der Art des späteren Schwerstkron SSK1. Auf dieser Basis fußt auch das unten auf Karte Nummer 107 der Zeiss-Datenblattsammlung überlieferte erste serienmäßige Tessar 3,5/300 mm. Die Bildschalen sind gut geebnet, aber die sphärischen Zonen durchaus merklich.

Tessar 3,5/300 1906

Das unten zu sehende Datenblatt Nr. 236 für ein Tessar 3,5/50 mm mit Rechnungsdatum 18. August 1906 weist auf den zweiten Anwendungsbereich für dieses neue lichtstarke Tessar: die Kinematographie. Neben den oben genannten ziemlich langbrennweitigen Varianten für die damals gängigsten Plattenformate wurden noch drei kürzere Brennweiten geschaffen, die speziell auf die Anwendung in der damals gerade erst entstehenden Filmtechnik ausgelegt waren. Die weiteste Verbreitung hat dabei das sogenannte Kino-Tessar 3,5/5 cm gefunden, das als Normalobjektiv für kinematographische Aufnahmekamera von großer Bedeutung für die junge Spielfilmindustrie gewesen ist. Das Aufnahmeformat war mit 18x24 mm nur halb so groß wie das spätere Kleinbild. Die Bildfehlerkorrektur war vor dem Hintergrund des begrenzten Auflösungsvermögens des kleinen Filmbildes schon sehr weit getrieben.

Tessar 3,5/50 mm 1906

Die aus damaliger Sicht sagenhaft hohe Lichtstärke wurde wirklich gebraucht, da die Kinokamera mit einer an die Bildwechselzahl geknüpften Belichtungszeit von etwa 1/50 Sekunde arbeitete. Was uns heute lang erscheint, war damals eine sehr kurze Momentzeit. Um bei Aufnahmen im Freien eine ausreichende Exposition des geringempfindlichen Kinéfilmes bei allen Wetterlagen zu erreichen sowie im Studio den Aufwand an künstlicher Beleuchtung zu reduzieren, verlangten die Kameraleute nach möglichst lichtstarken Objektiven. Gleichzeitig wurde mit im Vergleich zum kleinen Aufnahmeformat ziemlich langen Brennweiten gearbeitet, um das Motiv möglichst groß abzubilden und damit das begrenzte Auflösungsvermögen des Filmbildchens nicht überzustrapazieren.

Tessar 3,5/100 mm 1908

Dieses sogenannte Lichtspielwesen erlebte damals einen enormen Aufschwung. Mit der Zahl der Kinotheater wuchs auch die Nachfrage nach immer neuen Filmen und nach den Gerätschaften, um sie herzustellen. In der Folgezeit wurden bei Zeiss noch ein Tessar 3,5/7,5 cm sowie ein Tessar 3,5/10 cm geschaffen. Wie uns die obige Datenkarte zeigt, wurde letztere Variante am 4. September 1908 abgeschlossen. Oberhalb einer Hauptstrahlneigung von 15 Grad liefen zwar die Kurven für die Abbe'sche Sinusbedingung und der Verzeichnung auf und davon, doch das spielte keine Rolle, da nur ein wesentlich kleineres Bildfeld ausgenutzt wurde. Diese Kino-Tessare gingen natürlich an den Dresdner Kino-Pionier Ernemann, aber auch an Debrie in Frankreich, Akeley in den USA sowie Houghton-Butcher in England (Cine-Ensign). Auch Hollywood arbeitete damals bereits mit Aufnahmeoptiken aus Jena!

Kurz nach dem Ersten Weltkrieg wurde mit dem Rechnungs-Abschlußdatum vom 18. Februar 1921 aber ein neues, gezielt auf den Kinofilm ausgelegtes Tessar 3,5/4 cm geschaffen, das eine verkürzte Brennweite aufzuweisen hatte. Dieses Objektiv hatte den Hintergrund, daß Emanuel Goldberg im Jahre 1921 mit der Ica Kinamo eine Normalfilmkamera konstruiert hatte, die speziell den Amateur ansprechen sollte, wofür ein Objektiv mit einer Brennweite benötigt wurde, die deutlich näher an der Formatdiagonale von 30 mm lag [Bild: Rob Bryce]. Damit war ein erster Schritt zu einem universelleren Tessar 1:3,5 getan. Richtig konsequent wurde er allerdings erst eingeschlagen mit der Einführung neuer Schwerkrongläser, die das Tessar 1:3,5 ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre endlich zum gängigen Normalobjektiv vieler Rollfilm- und Kleinbildkameras machen sollte (siehe folgenden Abschnitt).

2.4 Mit Vorsatzlinsen zum Satzobjektiv?

Wollen wir noch einmal die Vorzüge des Tessars aufzählen, die es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu jener Revolution im Objektivbau gemacht hatte, um im Vergleich dazu einen seiner wenigen Nachteile beurteilen zu können: Durch die geniale Verknüpfung von über die Jahre erarbeiteten Korrekturprinzipien ließen sich beim Tessar die Bildfehler für damalige Verhältnisse optimal gegeneinander abwägen. Dabei waren nur schwach gekrümmte, relativ dünne Linsen nötig, die sich gut fertigen und montieren ließen und wenig Absorptionsverluste mit sich brachten. Die gedrungene Bauform der Optik sorgte für eine gute Randausleuchtung und verlangte zudem keine übermäßig große Fassung. Trotz Höchstleistung war daher das Tessar auch für den Amateur noch finanziell tragbar.

Distarlinsen für Tessar

Nur eine Sache schien zu stören: Photographen waren es seit den 1860er Jahren gewöhnt, mit Objektivsätzen zu arbeiten. Man kaufte nicht ein einzelnes Objektiv, sondern eine Anzahl unterschiedlicher Objektivhälften, die in beliebiger Kombination in eine Fassung geschraubt werden konnten, und auf diese Weise unterschiedliche Brennweiten ergaben. Zum Beispiel wurden aplanatische Objektivsätze von Busch in Rathenow über viele Jahrzehnte hinweg fast unverändert verkauft. Der Preis war vergleichsweise bescheiden, die Abbildungsleistung jedoch ebenso. In den 1890er Jahren kamen dann anastigmatisch korrigierte Satzlinsen auf, die dieses Prinzip des Satzobjektives noch einmal auf eine neue Ebene hoben. Auch diesen Trend hat unser Paul Rudolph angestoßen. Doch waren die einfachen aplanatischen Sätze vergleichsweise billig, so gerieten Satzanastigmate beinah unerschwinglich.

Tessar mit Vorschaltlinse 1911

Das was das Tessar nun so leistungsfähig machte, nämlich daß die eine Objektivhälfte auf perfekte Weise den Teil der Bildfehlerbehebung übernahm, den die jeweils andere nicht bieten konnte, machte es für die Auslegung als Satz-Objektiv völlig ungeeignet. Das Tessar konnte einfach nicht zerrissen und beliebig neu zusammengestellt werden. Schon vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte man sich in der Abteilung Photo daher intensiv mit der Möglichkeit, die Brennweite eines Tessares mit negativen und positiven Vorschaltlinsen zu verlängern oder zu verkürzen. In der Zeiss Datensammlung sind schon aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg etliche Karteikarten enthalten, mit denen das Ausbrechen der Bildfehler bei Verwendung unterschiedlicher Bauweisen von Vorschaltlinsen untersucht wurde (Stichwort: Oswald- oder Wollaston-Linse). Oben ist ein Beispiel willkürlich herausgegriffen. Die Wirkung auf die sphärischen Fehler und die Verzeichnung sind erheblich, doch konnte eine derartige Linse durchaus so ausgelegt werden, daß sich der Astigmatismus kaum verschlechterte. Für konturenscharfe Bilder mußte dann halt stark abgeblendet werden, außer man wollte den Weichzeichnereffekt für künstlerische Portraits.

Proxar an Tessar

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden diese Linsen weiter verbessert und sehr gut auf die Objektive abgestimmt. Es wurden neben den brennweitenverlängernden Distar-Linsen auch die brennweitenverkürzenden Proxar-Linsen eingeführt. Das System funktionierte zwar, doch waren die Ergebnisse oft bescheiden. Als viel ausschlaggebender erwies sich jedoch, daß Plattenkameras mit Laufboden und stark variablem Auszug, wie die oben zu sehende Certo-Sport, seit Mitte der 20er Jahre sehr schnell außer Mode kamen. Und für Rollfilmkameras mit ihrem festen Auszug war das System natürlich nicht geeignet. Angestoßen durch neuartige Photogeräte wie die Leica setzten sich ab den 30er Jahren ohnehin vollständig in sich korrigierte Wechselobjektive durch.

Zeiss Distar 1920
"Tessare unübertroffen" Werbung 1911

Im Jahre 1911, als diese Reklame geschaltet wurde, waren die Tessare tatsächlich die unübertroffenen Objektive für moderne Kameras. Das Tessar hatte den zuvor dominierenden Doppelanastigmat auf die Plätze verwiesen; zugleich war es aber leistungsfähiger als zeitgenössische asymmetrische Anastigmate wie die vielen Triplets oder das Heliar. Der drei Jahre später ausbrechende Erste Weltkrieg bedeutete aber eine Zäsur für die Phototechnik als Hochtechnologie-Sektor des Konsumgütermarktes und nach dem Kriege wurden die Karten neu gemischt. Bald würde sich das Zeiss Tessar auch gegen ernsthafte Konkurrenz behaupten müssen.

3. Die Verbesserungen des Tessars in der Zwischenkriegszeit

Das Grundpatent zum Tessar war abgelaufen, während gerade der Erste Weltkrieg Europa im Banne hielt. Da die beiden in Abschnitt 2.1.3 und 2.2.2 beschriebenen Patente vom Herbst 1917 erst im Frühjahr 1922 veröffentlicht wurden, konnte nun der Eindruck entstehen, Zeiss habe sein Spitzenobjektiv erst neuerdings und im Zuge zunehmender Konkurrenz weiterentwickelt. Tatsächlich basierten die Tessare 1:4,5 und 1:6,3 schon seit der Zeit vor 1914 auf diesen beiden Reichspatenten Nr. 349.938 und 350.335, mit denen damals die teuren und problematischen Schwerkrongläser gegen billigere und chemisch beständigere Glasarten ersetzt worden waren.

Ablauf Tessar Patent 1920

Es fällt folgender Widerspruch auf: Im Reichspatentgesetz war in §7 die Dauer eines Patentes auf 15 Jahre festgelegt. Es ist danach unerklärlich, weshalb das zum 25. April 1902 angemeldete Tessar erst am 25. April 1920 erlöscht sein soll, wie die obige Pressemeldung aus der Photographischen Korrespondenz vom November 1920 wissen läßt. Möglicherweise gab es bedingt durch den Krieg eine Art Moratorium, so ähnlich wie während der Besatzungszeit in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre.

Richspatentgesetz §7

Die Kriegsjahre selbst und auch die unmittelbare Nachkriegszeit waren verständlicherweise durch eine große Stagnation im Konsumgüterbereich überprägt. Stattdessen sind einige "Flieger-Tessare" mit Brennweiten um 50 cm als Neuentwicklungen nachweisbar. Zur Wirtschaftskrise als Folge der Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion gesellte sich im Deutschen Reich die bekannte Zeitspanne höchster politischer und gesellschaftlicher Instabilität, die letztlich auch durch den plötzlichen Wegfall der autoritären Strukturen des alten Kaiserreichs bedingt waren. Diese schwierige Lage, die durch Streiks, politische Morde und rechtsradikale Putschversuche geprägt war, schlug jedoch ebenso unvermittelt ins Positive um, als sich mit dem Ende des sogenannten Ruhrkampfes im September und der Überwindung der Hyperinflation im November 1923 die wirtschaftlichen Verhältnisse rasch konsolidierten und die bisherige Stagnation in eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwunges umbrach. Auf einmal konnte man mit der Produktion von Luxusgütern wie Photoapparaten wieder Geld verdienen im Inland, aber vor allem auch auf den Exportmärkten. Und da die Bemühungen des Zeiss-Konzerns, mit der Gründung der ICA AG die Photogeräteindustrie zu monopolisieren, auf halbem Wege stecken geblieben waren, gelang es nun zunehmend der Konkurrenz, in diese Nachfragelücke vorzustoßen und sie auszufüllen.

Tessar-Abkömmlinge andere Hersteller

Dies zeigte sich nicht zuletzt darin, daß andere Objektivbauanstalten begannen, den prestigeträchtigen Tessartyp nachzubauen. Wie der obige Artikel wissen läßt [aus: Jahrbuch für Photographie und Reproduktionstechnik, 1921-27, S. 203f.], brachten die großen Mitspieler Ernemann, Goerz und Busch jeweils ihre eigenen Versionen des "Triplets mit einer sammelnden Fläche in der letzten Linse" heraus, genauso wie die "Newcomer" RüO und Laack. Eine besondere Rolle spielte jedoch die erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg gegründete optische Fabrik von Joseph Schneider in Kreuznach. Hier hatte der (später für Voigtländer tätige) Hans Deser im Jahre 1919 das Xenar 1:4,5 geschaffen [Vgl. Schneider (Hrsg.): 25 Jahre im Dienste der Photographie, 1938, S. 11.]. Zur wirklich ernsthaften Herausforderung für Zeiss wurde dieser rheinische Hersteller jedoch erst mit der Tätigkeit des hochtalentierten Optikers Albrecht Wilhelm Tronnier ab dem Jahre 1924 [Vgl. ebenda.]. Ihm gelang es, die Schneider-Objektive in der Folgezeit auf ein höchstes qualitatives Niveau zu heben und sich mit dem Zeissianer Willy Merté ein regelrechtes Kopf-an-Kopf-Rennen um die optische Leistungsfähigkeit zu liefern, was sowohl von den Kameraherstellern als auch der Kundschaft aufmerksam verfolgt wurde.

Tessartyp 1927

Als Reaktion des Zeiss-Konzerns auf diese Lage lassen sich in der Folgezeit vier verschiedene Strategien erkennen: Einen fast hilflosen Eindruck vermittelte der Versuch, den Konkurrenzfirmen (und gar den Fachzeitschriften) rechtliche Schritte anzudrohen, falls sie in ihren Veröffentlichungen die fremden Erzeugnissen als Tessartyp bezeichnen würden [aus: Photographische Korrespondenz, 4/1927, S. 128.]. Der Nachbau dieses Objektivtyps ließ sich damit natürlich nicht verhindern. Man sorgte allenfalls dafür, daß sich der eingangs dieses Aufsatzes bereits angeführte Ausdruck „Triplet mit verkitteter Hinterlinse“ als Synonym für „Tessartyp“ nur umso  rascher durchsetzte.

Tessar Reklame 1923

Eine zweite Strategie, den aufkommenden Konkurrenzerzeugnissen namhafter Objektivbaufirmen zu begegnen, lag darin, für die Tessare wieder intensiv zu werben, wie diese beiden Beispiele aus den Jahren 1923 (oben) und 1925 (unten) zeigen. Sie sollen nur stellvertretend für die enorme Vielzahl der unterschiedlich gestalteten Annoncen stehen, die nun nicht mehr nur in der Fachpresse, sondern beispielsweise auch in allgemeinen illustrierten Zeitschriften geschaltet wurden. In dieser Zeit wurde auch der bekannte Werbespruch vom "Adlerauge Ihrer Kamera" stark popularisiert.

Tessar Werbung 1925

Eine dritte Maßnahme lag darin, daß der Zeiss-Konzern lästige Marktgegner einfach dadurch beseitigte, indem er sie aufkaufte und anschließend ihre Photoobjektiv-Produktionen einstellte. Gegen Ende der 20er Jahre hatte sich Zeiss auf diese Weise der bedeutenden Konkurrenten Ernemann in Dresden, Goerz in Berlin und auch Busch in Rathenow entledigt. Doch auch diese Strategie zeigte nur unbefriedigende Resultate. Bei Zeiss muß man damals den Eindruck gehabt haben, daß dem enthaupteten Drachen gleich drei neue Köpfe nachzuwachsen schienen. Denn kaum hatte man mit der Zeiss Ikon AG den Dresdner Kamerabau monopolisiert, so erlebten mit der Ihagee, den Kamera-Werkstätten Niedersedlitz, den Korelle-Werken, usw. sogleich eine Vielzahl sehr innovativer Mitbewerber einen ungeahnten Aufstieg. Und diese kleinen, dynamischen Kamera-Fabriken kauften ihre Tessartypen nun nicht selten bei den unabhängigen Herstellern Schneider-Kreuznach oder Meyer-Görlitz. Zeiss jedoch wäre nicht bis heute jene Weltfirma geblieben, wenn man nur mit Tricks und der unternehmerischen Brechstange reagiert hätte. Im Hinblick auf das Tessar zeigt sich das charakteristische Streben der Zeissianer nach beständiger Technologieführerschaft in den beachtlichen Weiterentwicklungen, die dieses Objektiv seit Mitte der 1920er Jahre erfahren hat. Dabei spielte auch die ständige Verbesserung der Herstellungstechnologie eine große Rolle, ohne die man preislich nicht konkurrenzfähig geblieben wäre, wie die unten stehende Reklame aus dem Jahre 1928 bekräftigt.

Tessar Reklame 1928

Denn der Bedarf an immer leistungsfähigeren lichtstarken Objektiven wuchs nun nach dem Ersten Weltkrieg enorm. Den größten Schub dafür brachte wohl die Einführung des 16-mm-Schmalfilmes im Jahre 1923, der dafür sorgte, daß die Kinematographie erstmals auch beim Amateur ankam. Da aber bei den zugehörigen Kameras die Belichtungszeit prinzipbedingt zwischen etwa 1/30 bis 1/60 Sekunde festlag, die nach damaligen Maßstäben sehr kurz war, bedurfte es nach möglichst weit geöffneten Objektiven, was die Objektivbauanstalten herausforderte. Doch auch der Käuferkreis von Photokameras und deren Nutzerverhalten änderte sich. Die Rollfilm-Springkameras verdrängten die umständliche Plattenkamera beim Amateur und ihre kürzeren Brennweiten erlaubten ebenfalls lichtstärkere Objektive

3.1 Die Rückkehr der Schwerkron-Gläser in das Tessar

3.1.1 Das neue Tessar 1:3,5 mit großem Bildwinkel

Diese dadurch hervorgerufenen Umwälzungen lassen sich gut am Tessar 1:3,5 deutlich machen. Dieses aus damaliger Sicht außergewöhnlich lichtstarke Objektiv hatte Ernst Wandersleb, wie im Abschnitt 2.3 bereits dargestellt, noch vor dem Ersten Weltkrieg geschaffen. Schaut man aber in die Kataloge aus jener Zeit, dann fällt auf, daß es einerseits nur als kurzbrennweitiges Tessar 3,5/5 cm und 3,5/7,5 cm für das professionelle 35-mm-Kinoformat herausgebracht worden war, oder aber mit den langen Brennweiten 21; 25 und 30 cm für die Formate 6x9, 9x12 und 13x18 cm, wo sie aufgrund des kleinen Bildfeldes nur für Portraitzwecke einsetzbar waren. Diejenigen Brennweitenbereiche jedoch, wie sie damals für sogenannte Handkameras benötigt wurden; also die typischen Werte 12 cm, 13,5 cm, 15 cm, 16,5 cm usw., die fehlten hingegen. Das lag daran, daß Wanderslebs Tessar 1:3,5 bei voller Öffnung nur etwa 30...35 Grad Bildwinkel abdeckte, was für den Einsatz als Universalobjektiv einfach nicht ausreichte. Außerdem waren vor dem Kriege derart lichtstarke Objektive für Handkameras kaum gefragt [Vgl. Die neuen lichtstarken Zeiß-Objektive; in: Das Atelier des Photographen, 1925, S. 186f.]. Das hatte auch damit zu tun, daß ein lichtstarkes Objektiv nur kombiniert mit einem "schnellen" Zentralverschluß sinnvoll ist. Auch diese setzten sich erst in den 1920er Jahren durch (Stichwort "Compur").


Doch in den 20er Jahren vollzog ich ein rascher Wandel im Käuferverhalten. Kleine Plattenkameras beispielsweise mit dem vorher kaum ernsthaft erwogenen Format 6,5 x 9 waren nun gefragt oder gleich die sehr beliebten Rollfilm-Faltkameras. Zwischen den lange Zeit dominierenden Großformaten und dem nur briefmarkengroßen Kinobildchen bildeten sich nun Mittelformate. Mit deren verkleinerten Bilddiagonalen ging eine Verkürzungen der Brennweiten einher, die jene Lichtstärke 1:3,5 nun praktisch nutzbar werden ließ und vom Staus einer Extremöffnung zum neuen Standardwert für hochwertige Anastigmate verwandelte.

DE463739 Tessar 1:3,5 1926

Voraussetzung dafür war freilich, den ausnutzbaren Bildwinkel auf mindestens 50 Grad anzuheben, um ein derart hochgeöffnetes System als universelles Normalobjektiv einsetzen zu können. Getrieben auch von den Konkurrenzfirmen sah man sich bei Zeiss daher in der Mitte der 1920er Jahre veranlaßt, ein völlig neues Tessar 1:3,5 zu entwickeln. Diese Anstrengungen sind im Reichspatent Nr. 463.739 vom 27. Juni 1926 dokumentiert, dessen Schutzansprüche ganz bestimmte Krümmungsverhältnisse der Linsen formulieren, die zum Erreichen dieser Leistung geführt hatten. Eine große Rolle dürften aber auch der Einsatz der Schwerkron-Gläser SK7 und SK10 in beiden Sammellinsen gespielt haben sowie des neuen, besonders niedrigbrechenden Leichtflints LF7 in Linse Nummer 2. Ein derartiger Glaseinsatz war nötig, um die bei einer Lichtstärke von 1:3,5 sehr weit geöffneten Büschel auch bei schrägem Lichteinfall noch auskorrigieren zu können. Asymmetriefehler oder Koma nennt der Experte die Erscheinung, wenn bei großer Büschelneigung am Bildrand kometenförmige Zerstreuungsfiguren entstehen, die das Bild außerhalb der Mitte völlig verderben können. Mit dieser Weiterentwicklung gelang es, das neue Tessar 1:3,5 auf einen für Universalanwendungen ausreichend großen Bildwinkel von 55 Grad zu bringen.

Tessar 1:3,5 1926 großer Bildwinkel

Oben das Datenblatt für ein "Tessar 1:3,5 mit großem Bildwinkel, f = 15 cm vom 14. 4. 1926". Aus den b- und c-Kurven läßt sich der zugrundegelegte halbe Bildwinkel von 27,5 Grad ablesen. Die Glasarten sind genau diejenigen, die auch in der Patentschrift Nr. 463.739 angegeben wurden. Die sphärische Korrektur ist gut und die Kurve der Erfüllung der Sinusbedingung ist völlig deckungsgleich, was als Anzeichen für eine gute Komakorrektur gewertet werden kann. Das war für die damalige Zeit - also vor ziemlich genau 100 Jahren - ein sehr großer Fortschritt!

Tessar 3,5/5 cm 1929

Oben ist das Datenblatt des ersten "Kleinbild-Tessares" 3,5/5 cm zu sehen, dessen Rechnungsabschluß auf den 25. Juli 1929 datiert und die praktische Umsetzung der Patentschrift Nr. 463.739 bekräftigt. Auch dieses Normalobjektiv hatte einen Bildwinkel von 55 Grad, weil es für die Zeiss Ikon Kolibri vorgesehen war, die mit dem Rollfilm A8 arbeitete und das etwas größere Nennformat 3x4 cm hatte. Auch die Ihagee Parvola (Modell 1450), die Krauss Peggy, die Mentor Dreivier, die Korelle 3x4 u. a. wurden mit diesem Objektiv versehen. Über 20.000 Stück wurden zwischen Oktober 1929 und Dezember 1930, also nur binnen eines Jahres, von dieser Rechnung produziert. Das lag daran, daß diese Kleinbild-Rollfilmkameras eine ganz kurze Konjunktur hatten, die ganz schnell wieder abebbte, als man feststellte, wie rückschrittlich sie gegenüber "echten" Kleinbildkameras auf 35-mm-Material hatten. Bei letzteren mußte kein Rotfenster beachtet werden, sondern es gab einen automatischen Bildstop und bei einigen Modellen sogar eine Kupplung des Filmtransports mit dem Verschlußaufzug. Mit den Rollfilm-Kleinbildkameras ging dies alles nicht, und schlechte die Planlage des Filmes sorgte für Unschärfen im Negativ. Die erste Serie an Tessaren 3,5/5 cm für die neue Contax basierte noch auf der Rechnung von 1929, dann wurde eine auf das Kleinbildformat 24x36 mm hin optimierte Version gerechnet (siehe Abschnitt 3.5) und der Vorgänger aus dem Programm gestrichen.

Tessar 3,5/7 cm Ikonta

Diese Ikonta 4,5x6 aus dem Jahr 1936 ist mit einem Tessar 3,5/7 cm ausgestattet, das mit dieser Brennweite erst im Februar 1929 geschaffen worden war und zwar speziell für dieses neue Bildformat, das durch Teilung des 6x9-Formates entstand, um 16 statt nur 8 Aufnahmen auf einem Rollfilm BII (Typ 120) unterzubringen. Da die tatsächliche Bildgröße etwa 42x56 mm betrug, war die Diagonale mit 70 mm genau so lang wie die Brennweite, was einem Bildwinkel von 53 Grad entspricht.

Bemerkenswert an diesem Reichspatent 463.739 ist zudem, daß die Radien Nummer 2 und Nummer 5 auf Unendlich gebracht worden waren also plane Flächen darstellten. Damit wurden freilich nicht weniger als zwei sechstel der Linsenschleifzeit eingespart, denn diese Flächen mußten nur noch plan poliert statt in Kugelform gebracht werden. Für ein Objektiv, das in großen Stückzahlen zu möglichst wettbewerbsfähigen Preisen ausgestoßen werden sollte, war das ein immenser Vorteil. Auf Basis dieses Patentes wurden offenbar in den Folgejahren nicht nur das Tessar 1:3,5, sondern auch das Tessar 1:4,5 zukzessive und fast komplett neu berechnet. Ein Vierteljahrhundert nach seinem Erscheinen ging das Zeiss Tessar mit der Zeit und paßte sich den gestiegenen Qualitätsanforderungen insbesondere der neuen Roll- und Kleinbildformate an. Das war höchste Zeit, denn die in- und ausländischen Konkurrenzfirmen hatten es geschafft, in Windeseile aufzuschließen.

Vermutlich im  Zuge des Patentes Nr. 463.739 von 1926 neu gerechnete Tessare 1:3,5:

Tessar 3,5/2,8 cm

06. 01. 1927

Tessar 3,5/3,5 cm

22. 11. 1926

Tessar 3,5/4 cm

30. 08. 1928

Tessar 3,5/5 cm

25. 07. 1929

Tessar 3,5/7 cm

14. 03. 1928 und 19. 02. 1929

Tessar 3,8/7,5 cm

15. 10. 1928 (Rolleiflex!)

Tessar 3,5/8,5 cm

29. 07. 1929

Tessar 3,5/9 cm

12. 12. 1929

Tessar 3,5/10,5 cm

31. 03. 1926

Tessar 3,5/12 cm

31. 08. 1926

Tessar 3,5/13,5 cm

31. 03. 1926

Tessar 3,5/15 cm

31. 03. 1926

Tessar 3,5/16,5 cm

04. 09. 1926

Tessar 3,5/19 cm

15. 12. 1927

Tessar 3,5/21 cm

26. 04. 1926 und 09. 02. 1929

Tessar 3,5/25 cm

14. 02. 1927 und 07. 02. 1929

Tessar 3,5/30 cm

15. 06. 1928 und 31. 01. 1929

Speziell für die neu auf den Markt gekommene Rolleiflex wurde im Oktober 1928 ein Tessar 3,8/7,5 cm geschaffen. Das für das 6x6-Format dieser Zweiäugigen Reflexkamera gedachte Tessar hatte nur deswegen diese abweichende Lichtstärke, damit es noch in den damaligen Compur mit 1/300 Sekunde kürzester Verschlußzeit untergebracht werden konnte. Erst mit der Einführung des Compur-Rapid 00 ab 1934, der eine größere Blendenöffnung hatte, konnte auch für diese Brennweite die Lichtstärke auf 1:3,5 angehoben werden. Einige Exemplare des Tessars 3,8/7,5 cm wurden auch an Welta für die Perfekta 6x6 geliefert.

Tessar 3,8/7,5 cm

Obwohl die Filmkameras diesen Trend zum lichtstarken Massenobjektiv ausgelöst hatte, fehlten interessanterweise vorerst noch spezielle kurzbrennweitige Versionen des Tessares 1:3,5 für das neue 16-mm-Format. Das beim Normalfilm-Kameramann sehr beliebte Tessar 3,5/4 cm wurde nach einer Rechnung vom 18. Februar 1921 gefertigt. Ein großer Bildwinkel war in der Kinematographie nicht notwendig.

3.1.2 Das neue Tessar 1:4,5

Die späten 1920er Jahre müssen für das Photo-Rechenbüro des Zeisswerkes eine ausgesprochen geschäftige Zeit gewesen sein. Das hatte seine Ursache darin, daß damals das Tessar als zentrales Photoobjektiv des Zeisskonzerns in einer kaum überschaubaren Vielfalt für alle möglichen Formate und Anwendungen im Angebot war. Und nachdem die Ausführung mit der Lichtstärke 1:3,5 im Jahre 1926 eine bedeutende Verbesserung erfahren hatte, stand die nächste Aufgabe an, den sehr stark verbreiteten Tessartyp 1:4,5 ebenfalls auf Basis der neuen Glasarten zu überarbeiten. De facto lief dies jedoch auf eine Neukonstruktion jeder einzelnen Ausführung hinaus, denn es wurde nicht einfach nur eine bestehende Rechnung auf längere oder kürzere Brennweiten angepaßt, sondern jeder einzelne Typ wurde vollständig neu durchgerechnet. Diese Rechenarbeit war damals sehr aufwendig und kräftezehrend.

Tessar Reklame 1929

Für dieses Tessar 1:4,5, das vorher schon als Adlerauge der Kamera beworben worden war, konnte nun eine Bildleistung erreicht werden, die auf ein kaum noch zu übertreffendes Optimum zwischen Aufwand und Resultat hinauslief. Um das zu belegen, sei an dieser Stelle vorweggenommen, daß eine abermalige Verbesserung aus der Zeit nach 1945 nach kurzer Fertigungsdauer wieder fallengelassen werden wird, um anschließend erneut auf diese Rechnungen aus den späten 1920er Jahren zurückzuwechseln. Schaut man sich nun aber die einzelnen Brennweiten etwas detaillierter an, dann ergibt sich ein nicht ganz einheitliches Bild: So waren ein Tessar 4,5/5,5 cm (4. Mai 1921), ein Tessar 4,5/6,5 cm (26. November 1920) und ein Tessar 4,5/7,5 cm (15. September 1922) erst kurz nach dem Ersten Weltkrieg neu konstruiert worden und wurden daher jetzt nicht noch einmal überarbeitet. Bei einem Tessar 4,5/11,5 und 4,5/12 cm wurde gar die Rechnung vom 8. Juli 1913 weiter gefertigt sowie beim Tessar 4,5/15 cm und dem Tessar 4,5/16,5 cm jeweils diejenige vom 31. Juli bzw. 23. August 1911. Für alle anderen Tessare 1:4,5 wurde jedoch in der Zeit zwischen etwa 1928 und 1930 eine Neurechnung durchgeführt, mit denen die Versionen von vor dem Ersten Weltkrieg nun sukzessive ersetzt wurden.

Ikonta Tessar 4,5/10,5 cm

Eine Ausnahme bildet das Tessar 4,5/10,5 cm, das damals zu den am häufigsten eingesetzten Tessartypen zählte und von dem insgesamt mindestens drei verschiedene (Neu-) Rechnungen vom 5. Mai 1927, 9. Juli 1930 und 13. Mai 1932 vorliegen, die abwechselnd wild durcheinander verwendet werden. Der Grund für diese Praxis ist schwer erkennbar. Zunächst liegt die Vermutung nahe, es habe eine Zuordnungen der verschiedenen Varianten zu bestimmten Anwendungsbereichen gegeben. So ist zum Beispiel die oben gezeigte Ikonta 6x9 aus dem Jahre 1938 mit einem Tessar 4,5/10,5 cm von 1927 ausgestattet, und man könnte nun meinen, diese Rechnung sei speziell für die sogenannte Frontlinseneinstelllung ("Efrl") vorgesehen gewesen. Diese Annahme wird jedoch sofort widerlegt durch den Fakt, daß diese Version auch bei 6x9-Rollfilm- und Plattenkameras mit der üblichen Standartenfokussierung Verwendung fand, wie unten gezeigt ist. Die Rechnung von 1930 findet sich bei zum Beispiel bei der Rollfilm-Meßsucherkamera mit Schneckengangverstellung Modell Welta Solida, bei der Kodak Regent aber auch bei Zeiss Ikon Icarette-Modellen. Ein ähnliches Durcheinander ist in Bezug auf die Rechnung von 1932 feststellbar, die sowohl für Kameras mit Frontlinsenverstellung als auch mit Standartenfokussierung geliefert wurde. Genaue Aussagen zur Zuordnung können somit nicht gegeben werden. Es ist wohl anzunehmen, daß diese Tessare jeweils auf anderen Glasarten aufgebaut waren und die Kamerahersteller zwischen verschiedenen Preisniveaus der unterschiedlich aufwendigen Varianten wählen konnten (vgl. dazu auch Abschnitt 3.2.3).

Kodek Recomar (Nagel) mit Tessar 4,5/10,5 cm

Zwei Beispiele für das Tessar 4,5/10,5 cm nach Rechnung von 1927. Oben eine Kodak Reomar 18 von 1930 [Bild: Graham Buxton-Smither]; unten eine Zeiss Ikon Icarette 500/2 von 1928 [Bild: Michele Becatti].

Zeiss Ikon Icarette 500/2
Tessar 1:4,5 1926

Schon vom Februar 1926 datiert ein Datenblatt für zwei Versuchsobjektive Tessar 4,5/15 cm. Das eine hatte dasselbe Schwerkron in Linse 1 und 4, das andere zwei verschiedene Schwerkrone. Es fallen der geringe Astigmatismus und die fast nicht vorhandene Verzeichnung auf.

Im Zuge der Patente Nr. DE463.739 vom Sommer 1926 sowie Nr. DE603.325 (s. Abschnitt 3.4) vom Sommer 1930 neu gerechnete Tessare 1:4,5:

Tessar 4,5/5 cm

15. 09. 1930

Tessar 4,5/8 cm

10. 05. 1928

Tessar 4,5/9 cm

30. 06. 1930

Tessar 4,5/10,5 cm

05. 04. 1927; 20. 03. 1929; 09. 07. 1930; 13. 05. 1932

Tessar 4,5/13,5 cm

05. 04. 1927

Tessar 4,5/18 cm

28. 05. 1929

Tessar 4,5/21 cm

06. 06. 1929

Tessar 4,5/25 cm

09. 10. 1928

Tessar 4,5/30 cm

08. 05. 1928

Tessar 4,5/36 cm

08. 10. 1928

Tessar 4,5/40 cm

16. 07. 1929

Tessar 4,5/50 cm

26. 07. 1929

Ganz gleich wie viel man nachforscht; es lassen sich nicht alle Fragen um das Tessar lösen. Diese beiden hier als Paar für eine Stereokamera zu sehenden Tessare 4,5/8,5 cm dürfte es eigentlich gar nicht geben, in der Zeiss Fertigungskartei sind sie unter diesen Seriennummern als Tessare 4,5/9 cm mit Rechnungsdatum vom 28. Mai 1925 gelistet, von denen angeblich 1000 Stück auf einmal hergestellt wurden. Wie man sieht, gibt es da eine kleine Diskrepanz.[Bild: Igor Reznik]

3.1.3 Das erste Tessar 1:2,7

Eigentlich hätte dieser Abschnitt zur Erneuerung des Tessars während der Zwischenkriegszeit mit diesem Tessar 1:2,7 begonnen werden müssen, da dessen Entwicklung noch vor der Schaffung des neuen Tessars 1:3,5 mit vergrößertem Bildwinkel in Angriff genommen worden war. Wie gleich noch gezeigt werden soll, ist der Werdegang der beiden Objektive aber deutlich verwickelter. Ausgangspunkt war, daß sich seit Anfang der 1920er Jahre ein Wettlauf um immer höhere Lichtstärken abzuzeichnen begann, bei dem abzusehen war, daß er weit über den bisherigen Höchstwert 1:3,5 hinausgehen würde. Für Zeiss wurde dies sichtbar, als ein knapp über 20-jähriger Ludwig Bertele für die Konkurrenzfirma Ernemann unvorstellbar lichtstarke Objektive zu rechnen begann. Und dann gab es ja auch noch einen gewissen Paul Rudolph, der sich im Jahre 1922 wieder vollständig als rechnender Optiker zurückgemeldet hatte und mit dem Kino-Plasmat 2/3,5 cm sogleich einen neuen Maßstab setzen konnte. Die Abteilung Photo des weltberühmten Zeiss-Werks stand nun unter einem enormen Konkurrenzdruck. Ein bis auf den November 1922 zurückverfolgbarer Versuch Willy Mertés, diesen Kino-Plasmaten und Ernostaren so rasch wie möglich ein eigenes Kinoobjektiv der Öffnung 1:1,9 entgegenzusetzen [V6/1922; später DRP. Nr. 404.805 vom 2. August 1924], scheiterte jedoch bereits im Ansatz. Das Objektiv gelangte gar nicht erst in die Fertigung.

DE404805 Merté Biotar-Vorläufer

Dieser von Zeiss im Nachhinein als Biotar III bezeichnete Versuch Willy Mertés von 1922/23, das Tessar mit einer Zusatzlinse auf die Lichtstärke auf über 1:2,0 anzuheben, war schon zu den Akten gelegt, als er 1924 zum Patent angemeldet wurde. Stattdessen widmete sich Merté seit Sommer 1923 wieder dem Tessar. Erst mit dem vom Gaußtyp abgeleiteten Biotar 1:1,4 sollte ihm vier Jahre später der große Lichtstärkesprung gelingen.

Die Nachfrage nach besonders lichtstarken Objektiven nahm durch die wachsende Bedeutung der Spielfilmindustrie indes immer weiter zu. Die Kameraleute standen vor der Aufgabe, die von Drehbuchautor und Regisseur verlangte Authentizität durch Außendreharbeiten mit den technischen Gegebenheiten der bei der Kinokamera unveränderlich feststehenden Belichtungszeit in Einklang zu bringen. Zur selben Zeit wurden in der Fachpresse Artikel zu den Spiegelverlusten in Objektiven mit vielen Glas-Luft-Grenzflächen veröffentlicht und der geringe Wirkungsgrad derartiger Objektive angeprangert. Ludwig Bertele reagierte darauf bekanntermaßen, indem er sein Ernostar zum Sonnar weiterentwickelte, das nur noch dreigliedrig aufgebaut war. Vor diesem Hintergrund, daß das Erweitern des Tessartyps durch Einfügen zusätzlicher Elemente wenig Erfolg gebracht hatte, läßt sich nahtlos an das fallengelassene Biotar-III-Konzept eine erneute Zuwendung Willy Mertés zum altbekannten vierlinsigen Tessar-Aufbau nachweisen, den er auf die Lichtstärke 1:2,7 zu bringen versuchte. Verkompliziert wird das Nachvollziehen der Entwicklung dieses Tessares 1:2,7, weil Merté seit Sommer 1923 gleichzeitig an drei verschiedenen Lösungsmöglichkeiten für diese Aufgabe arbeitete.

Tessar 2,7 Karte 611

Der erste Ansatz ist in der Zeiss-Datenblattsammlung auf Karte Nummer 611 überliefert, die den Versuch Nr. 5 vom 7. Juli 1923 zeigt. Ausschlaggebend ist das bildseitige Kittglied, bei dem nicht nur die Stellung von Sammel- und Zerstreuungslinse gegeneinander vertauscht sind, sondern die Kittfläche dadurch nicht mehr gegen das Bild, sondern in Richtung der Blende konkav durchbogen ist. Die vielen Kurven geben uns ein Zeichen dafür, wie sehr dieser Aufbau noch im Experimentierstadium steckte.

Tessar 2,7 Karte 631
Tessar 2,7 Karte 635

Die Karten Nummer 631 vom 26. Januar und Nummer 635 vom 23. Februar 1924 zeigen uns, daß Merté in den folgenden Monaten weiter an diesem Ansatz mit der Richtung Blende durchgebogenen Kittfläche gearbeitet hatte. Im letzten Beispiel war die Blende vorzugsweise in den zweiten Luftraum gewandert, wo sie bei Zeiss üblicherweise placiert war. Diese drei Tessare 1:2,7 mit umgekehrtem Kittglied haben eine fast identische Glaszusammensetzung mit dem Schwerkron SK5 in der vorderen und dem Schwerstkron SSK2 in der hinteren Sammellinse.

Tessar 2,7 Karte 630

Aus derselben Zeit stammt aber auch der Versuch Nr. 1 vom 25. Januar 1924, der mit Karte Nummer 630 überliefert ist. Bei dieser neuartigen Tessar-Bauform war das Kittglied dingseitig angeordnet und damit der traditionelle Tessar-Aufbau gewissermaßen insgesamt umgekehrt worden (wodurch als Nebeneffekt auch hier die Kittfläche ihre Hohlseite Richtung Dingebene wies). Der Bildwinkel lag ebenfalls nur bei etwa 40 Grad. Die weit ausbrechenden a-Kurven dieser Tessar-1:2,7 -Versuchsobjektive dürften in der Praxis für ziemlich weiche Bilder bei voller Öffnung gesorgt haben.

Tessar 2,7 Karte 640

Also betrat Willy Merté noch einen dritten Weg. Bei seinem Tessar 2,7/8 cm vom 7. Februar 1924, das mit der Karte 640 der Zeiss-Datenblattsammlung überliefert ist, sieht man den üblichen Tessar-Aufbau mit dem Kittglied bildseitig und der Konkavseite der Kittfläche Richtung Bild gerichtet. Man sieht aber auch, daß in der hintersten Sammellinse nun das sehr hoch brechende Schwerkron SK10 eingesetzt wurde. In der Frontlinse könnte es sich um das neuartige SK11 handeln. Mit diesem Einsatz von Schwerkron wurde bereits der Schritt vorausgenommen, der zwei Jahre später zum im Abschnitt 3.1 bereits beschriebenen neuen Tessar 1:3,5 führen wird; allerdings dort um den besagten großen Bildwinkel erzielen zu können.

Man muß wohl davon ausgehen, daß das neue Tessar 1:2,7 zuerst in dieser dritten Konfiguration herausgebracht worden ist. Das geht aus dem oben gezeigten Aufsatz Mertés "Die neuen lichtstarken Zeißobjektive" hervor, der in der "Photographischen Korrespondenz" vom Oktober 1925 erschienen ist. Gut ist herauszulesen, daß Merté dieses neue Tessar 1:2,7 haupsächlich für eine Anwendung im Bereich Normal- und Schmalfilm geeignet hielt, während für lange Brennweiten eine deutliche Skepsis spürbar ist. Die damals üblichen Plattenkameras 6x9; 9x12 und 10x15 cm waren mit einem derart lichtstarken Objektiv weitgehend überfordert. Es mußten erst neue Aufnahmegeräte geschaffen werden, die beispielsweise einen völlig spielfreien Spreizenmechanismus aufwiesen mußten. Größere Stückzahlen wurden zudem in den Brennweiten 3,5; 4 und 5 cm für den Kino-Normalfilm hergestellt, sowie später als Tessar 2,7/1,5 cm, 2,7/2 cm und 2,7/2,5 cm für den neuen 16-mm-Schmalfilm.

Tessar 2,7/8 cm Minimum-Palmos

Etliche hundert Stück wurden außerdem nachweislich vom oben auf Karte 640 schon gezeigten Tessar 2,7/8 cm für die neue Ica Minium-Palmos im Format 4,5x6 cm hergestellt [Bild: S. Katz]. Auch beim Tessar 2,7/12 cm läßt sich eine Fertigung beispielsweise für die Mentor Klapp-Reflex 6x9 und Nettel Deckrullo-Kameras nachweisen, sowie bei den Tessaren 2,7/14,5 und 2,7/16,5 cm für Reflexkameras des Formates 9x12 cm, wie die Ica-Reflex 756 oder die neue Mirroflex. Da diese Platten-Spiegelreflexkameras mit ihren Schlitzverschlüssen und der Mattscheibeneinstellung eine wirklich sinnvolle Ausnutzung dieses Objektives gestatteten, wurden die Tessare 1:2,7 in diesen längeren Brennweiten noch bis 1928 produziert. Ab 1929 wurden sie dann aber von den neugerechneten Biotessaren 2,8/13,5 und 16,5 cm abgelöst, die eine bessere Bildleistung zeigten [DRP Nr. 451.194].

Tessar 2,7/16,5 cm

Ein monströses und damals sehr teures Objektiv: Das Tessar 2,7/16,5 cm wurde seit 1925 immer wieder in kleineren Serien für Reflexkameras des Bildformates 9x12 cm gefertigt. Die etwas längere Brennweite war nötig, um dem Reflexspiegel genügten Raum für das Hochklappen zu belassen. Dadurch war der Bildwinkel auch nicht überansprucht.  Während eines einzigen Jahres wurden zwischen Dezember 1927 und Dezember 1928 noch einmal 700 Stück gebaut, von denen die meisten an der Miroflex 9x12 eingesetzt wurden, der neuen Zeiss Ikon Klapp-Spiegelreflexkamera. Daher die vergleichsweise großen Stückzahlen. Bild: Stefan Larsson.

Tessar 1:2,7 Reklame 1925

3.1.4 Das spezielle Kino-Tessar 1:2,7

Wirklich erfolgreich im Sinne eines Massenobjektivs wurden die Tessare 1:2,7 jedoch erst nach einer Neurechnung von 1927 bzw. 1928 nur mit den Brennweiten 1,5 cm und 2 cm und 2,5 cm, von denen für Kinamo-, Filmo-, Pathe- und Movikon-Kameras nun etliche 10.000 Stück abgesetzt werden konnten. Diese 1927/28 gerechneten Tessare 1:2,7 müssen allerdings streng von den im obigen Artikel beschriebenen, bereits 1924 geschaffenen unterschieden werden, da ihnen eine Erfindung zugrunde lag, die erst im Reichspatent Nr. 558.058 vom 24. Oktober 1928 geschützt wurde. Der Bildwinkel betrug weiterhin nur 45 Grad und demnach war kein Universalobjektiv angestrebt worden. Eine Leistungssteigerung konnte jedoch dadurch erreicht werden, indem das einfallende Strahlenbündel verhältnismäßig stark eingeschnürt wurde, bevor es auf die einzeln stehende Zerstreuungslinse fiel. Um dies zu ermöglichen, kehrte Merté den Aufbau des Tessares um, sodaß die für das Tessar typische Kittgruppe mit der sammelnd wirkenden Kittfläche nach vorn verlegt wurde. Zweitens wurde die einzeln stehende Zerstreuungslinse viel weiter als bislang von der sammelnden Kittgruppe entfernt, wodurch die Fehler der schiefen Büschel besser beseitigt werden konnten. Die Patentschrift läßt außerdem erkennen, daß in beiden Sammellinsen das Schwerkron SK10 zum Einsatz kam

DE558058 Tessar 2,7

Willy Merté hatte also den Ansatz vom Jahresanfang 1924 noch einmal aufgegriffen, der oben schon auf Karte Nummer 630 gezeigt worden ist. Zeugnis darüber legt sein Versuch Nr. 8 aus 1927 für ein Tessar 2,7/10,5 cm ab, das uns durch Karte 768 der Zeiss-Datenblattsammlung überliefert ist. Die sphärischen Zonen sind auf etwa fünf Promille der Brennweite begrenzt und die Kurve für die Erfüllung der Abbe'schen Sinusbedingung folgt der Kurve für den Kugelgestaltsfehler fast deckungsgleich. Front- und Rücklinse sind aus SK10. Es ist außerdem nicht ganz ausgeschlossen, daß Merté für die vordere Zerstreuungslinse ein Kurz-Flint (namentlich KzF3) eingesetzt hat.

Tessar 2,7/10,5 cm Karte 768
Tessar 2,7/2 cm Karte 797

Auf Karte 797 ist beispielhaft das neue Tessar 2,7/2 cm für den 16-mm-Schmalfilm überliefert. Das Rechnungsdatum ist nicht mehr erkennbar, aber es hat an dieser Stelle bestimmt einmal der 3. November 1927 gestanden. Als Bildwinkel wurden nur 35 Grad abverlangt, da die Formatdiagonale des 16-mm-Filmes nur etwa 12,8 mm beträgt. Neben dem Tessar 2,7/2 cm für die 16-mm-Schmalfilmkamera Kinamo S10 wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das Tessar 2,7/4 cm für die 35-mm-Normalfilmkamera Kinamo N25 mit diesem nach vorn gekehrten Kittglied neu berechnet. Auch das 1927 neu geschaffene Tessar 2,7/1,5 cm sowie das 1928 noch einmal neu gerechnete Tessar 2,7/2,5 cm könnten diesen Aufbau besitzen.

Aus der ersten Serie des neu geschaffenen Tessares 2,7/4 cm mit nach vorn gekehrter Kittgruppe stammt dieses Exemplar für die Kinamo N25.

Tessare 1:2,7 von 1924 mit Kittglied hinten und von 1927/28 vermutlich mit Kittglied vorn:

Tessar 2,7/1,5 cm

07. 12. 1927

Tessar 2,7/2 cm

09. 08. 1924; 03. 11. 1927 und 18. 01. 1928

Tessar 2,7/2,5 cm

08. 04. 1924 und 02. 01. 1928

Tessar 2,7/3,5 cm

11. 04. 1924

Tessar 2,7/4 cm

24. 04. 1924 und 26. 10. 1927

Tessar 2,7/5 cm

25. 04. 1924

Tessar 2,7/6,5 cm


Tessar 2,7/8 cm

07. 04. 1924

Tessar 2,7/10 cm


Tessar 2,7/12 cm

17. 04. 1924

Tessar 2,7/13,5 cm


Tessar 2,7/14,5 cm

26. 01. 1925

Tessar 2,7/16,5 cm

08. 05. 1924

3.2 Der große Schub durch neuartige schwere Flint- und Krongläser

3.2.1 Das Tessar 1:2,8 mit Barit-Flint

Mit diesen Tessaren 1:2,7 konnte sich das Zeiss-Rechenbüro aber trotzdem noch nicht zufrieden geben. Das lag auch daran, daß die stets unter 40 Grad liegenden Bildwinkel noch nicht für ein Universalobjektiv geeignet waren. So gab es zwar beispielsweise ein am 25. April 1924 gerechnetes Tessar 2,7/5 cm, doch für das Kleinbildformat 24x36 mm hätte der Bildwinkel bei mindestens 45 Grad liegen müssen, wobei angesichts der hohen Schärfeansprüche kaum ein merklicher Randabfall geduldet worden wäre.

Kolibri Tessar 2,8/50

Aber die heute mit dem Kleinbild verbundenen 24x36 mm Bildgröße hätten zur damaligen Zeit noch nicht einmal ausgereicht. Ende der 20er Jahre schien sich nämlich zunächst ein ganz anderes Kleinbildformat durchzusetzen; nämlich die Bildgröße 3x4 cm auf dem Rollfilm A8 (Typ 127). Auch die Zeiss Ikon AG setzte mit ihrer Kolibri zunächst auf diese Form des Kleinbildes. Da diese Negative statt 43,3 mm eine Diagonale von etwa 55 mm hatten, wurde dem 50-mm-Normalobjektiv ein deutlich größerer Bildwinkel abverlangt, der bei etwa 55 Grad lag. Bei Zeiss sah man sich also gezwungen, zwei schwierig miteinander zu vereinende Forderungen anzugehen: Hohe Lichtstärke gepaart mit einem großen Bildwinkel. Schwierig deshalb, weil je weiter die einfallenden Lichtbüschel geöffnet sind und je steiler sie zugleich zur optischen Achse geneigt einfallen, um so schwerwiegender wirkt sich insbesondere der Abbildungsfehler der sogenannten Koma aus. Dieses Problem konnte letztlich nur auf Basis einer weitgreifenden Neukonstruktion in Angriff genommen werde.

DE603.325 Tessar 1:2,8 1930

Diese wurde mit dem Reichspatent Nr. 603.325 vom 18. Juli 1930 verwirklicht. Auf den ersten Blick erkennt man nicht, daß mit dieser Patentschrift ein neues Tessar 1:2,8 geschützt wurde, das zugleich mit einem Bildwinkel versehen war, der die Anforderungen an ein universelles Normalobjektiv erfüllte. Im Text selbst ist nur von einem mittleren Öffnungsverhältnis im Bereich 1:5,6 die Rede, während in den Schutzansprüchen das Adjektiv "lichtstark" auftaucht. Es scheinen wiederum nur bestimmte Verhältnisse der Linsenradien und Scheitelabstände die Grundlage der Verbesserung zu bilden.

US1849681 Tessar Merté Wandersleb

Erst auf den zweiten Blick offenbart sich, daß der Kernpunkt dieser Optimierungsarbeit vielmehr in einem neuen optischen Glas  verborgen liegt. Es handelt sich um das hochbrechende und für ein Flintglas sehr niedrig dispergierende Barit-Flint BaF 10, das oben im ersten Patentbeispiel in der Rücklinse und im zweiten Beispiel sogar sowohl in der Front- als auch in der Rücklinse zum Einsatz kam. Ich gebe hier zusätzlich noch einmal die Abbildungen aus der US-amerikanischen Patentschrift wieder, weil man anhand der eigenhändigen Unterschriften gut erkennt, daß neben Merté dazumal auch nach wie vor noch Wandersleb an der Weiterentwicklung des Tessares beteiligt war.

Neue, hochbrechende Gläser nach D.R.P. Nr. 596.513

1. Das Barit-Flint BaF10

Beim Rückblick auf die Geschichte des Objektivbaus lassen sich immer wieder qualitative Schübe ausmachen, die sich unmittelbar auf die Verfügbarkeit neuer Glasarten zurückführen lassen. Von besonderem Interesse sind dabei natürlich Gläser, die neue Extrembereiche auf dem "Glaskontinent" besetzen. Für den Konstrukteur sind verständlicherweise hohe Brechungsindizes begehrenswert, weil sie es erlauben, eine Linse von einer bestimmten Brechkraft mit kleineren Krümmungsradien herzustellen. Damit geht eine Verringerung derjenigen Abbildungsfehler einher, die sich speziell aus der Kugelform der Linsenoberflächen ergeben, was in Bezug auf die Gesamtkorrektur des Systems von hoher Bedeutung ist.

DE596513 Barit-Flint 1930

Ein solcher Schub ging auch von den neuen Barit-Flint-Gläsern BaF8, BaF9 und BaF10 aus, die seit dem Ende der 1920er Jahre durch Schott zur Verfügung gestellt wurden. Mit dem BaF9 hatte Merté 1927 bereits sein Biotar 1:1,4 geschaffen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit beruht speziell das hochbrechende BaF10 auf dem oben im Ausschnitt wiedergegebenen Reichspatent Nr. 596.513 vom 6. November 1930. Ziel war es, Brechzahlen deutlich über 1,6 zu erreichen, ohne daß die Farbzerstreuung in gleichem Maße zunahm wie das bei den bekannten Bleioxydgläsern der Fall war. Erreicht wurde dies durch Beigaben großer Mengen an Oxyden von Erdalkali-Metallen. Wenn man sich oben im Patent die Tafel anschaut, dann erkennt man, daß in den praktisch verwirklichten Gläsern dies wohl hauptsächlich Calciumoxyd mit Anteilen von 10 Prozent und vor allem Bariumoxyd mit Anteilen von über einem Drittel betraf (anstelle der in der Patentschrift ebenfalls erwähnten Metalle Beryllium, Magnesium und Strontium).

Glasart

Brechzahl nd

ny-Wert für d

Gelbfärbung

Bläschen

BaF 8

1,6237

47,0

g


BaF 9

1,6433

47,8

g

b

BaF 10

1,6700

47,2

g

bb

Oben sind zum Vergleich die tatsächlichen Katalogwerte der Brechzahlen und der Abbe'schen Zahlen der neuen Barit-Flinte wiedergegeben (Stand 1937). Gut erkennt man, wie insbesondere mit dem BaF10 eine für damalige Verhältnisse sehr hohe Brechzahl erreicht wurde bei einer Farbzerstreuung, die nur knapp unterhalb der Grenze lag, bei der die Krongläser verortet sind (bei diesen Brechzahlen ist das für gewöhnlich der ny-Wert von 50). Mit dieser offensichtlich sehr vorteilhaften Lage beider Werte war die Basis für einen beträchtlichen Fortschritt im Objektivbau in der Folgezeit gelegt. Das BaF10 nahm in gewissen Maße das vorweg, was nach 1945 mit den Lanthan-Flintgläsern seine Fortsetzung finden sollte. Übrigens: Auch Ludwig Bertele hat diese Barit-Flingläser bereits kurz nach ihrem Erscheinen intensiv in seinen Sonnaren eingesetzt. Ebenso ein gewisser Paul Rudolph bei seinem Kleinbild Plasmat von 1931.

2. Das Spitzenglas SSK5

Es lohnt sich aber noch einen zweiten Blick auf das Patent 569.513 zu werfen. In der ersten Spalte ist nämlich ein Glas zu sehen, das bei der Abbe'schen Zahl den "magischen Wert" von 50 überschreitet. Das ist für gewöhnlich zumindest bei hochbrechenden Gläsern die Grenze für die Einteilung in Kron und Flint. Bei der Schmelze in dieser ersten Spalte, die nur einen geringen Bleianteil enthält, jedoch besonders viel Bariumoxid und eine Spur Natriumoxid könnte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um das neue Schwerstkron SSK 5 gehandelt haben. Es war lange Zeit das am höchsten brechende Kronglas, welches für den regulären Einsatz und in großen Mengen verfügbar war. Theoretisch wurde es schon wenige Jahre später von den Daten her durch lanthan- und thoriumhaltige Gläser übertrumpft, doch diese konnten in Wahrheit erst nach 1945 in größeren Mengen geliefert werden, nachdem eine völlig neue Schmelztechnologie eingeführt worden war (siehe Abschnitt 5.2)


Die Beimengung von Titanoxyd in beiden Gläsern hatte übrigens hauptsächlich die Bewandtnis, die Fleckempfindlichkeit der Gläser herabzusetzen. Das war wichtig, um diese neuen Glasarten uneingeschränkt in Front- und Rücklinsen zum Einsatz bringen zu können, wo beispielsweise Fingerabdrücke oft vorkommen, deren Säureanteil die Politur der Oberfläche sehr schnell zerstören können. Es sei daran erinnert, daß in der Zeit vor den Entspiegelungsschichten das Glas direkt allen Umwelteinflüssen ausgesetzt war. Der Begriff Vergütung muß auch vor dem Hintergrund dieser Schutzwirkung vor Umwelteinflüssen gesehen werden.

Einen genaueren Einblick in den Entstehungsprozeß des Tessars 1:2,8 ermöglicht uns wiederum die Datenblattsammlung des Photo-Rechenbüros des Zeisswerks, die Ende des 19. Jahrhunderts ursprünglich für Moritz von Rohrs Werk "Theorie und Geschichte des photographischen Objektivs" angelegt worden war, und deren Fortführung Willy Merté Anfang 1913 übernommen hatte. Damals waren dort etwa 300 Objektive verzeichnet; zum Endes des Jahres 1930 hatte sich diese Anzahl jedoch bereits verdreifacht. Als Willy Merté inmitten der Neubearbeitung dieser Datensammlung im Frühjahr 1948 unvermittelt verstarb, war der Umfang auf anderthalb tausend Objektive angewachsen also insgesamt eine Verfünffachung während seiner Schaffenszeit. Die nur teilweise erhaltene Quelle ist durch Mikroverfilmung zwar qualitativ teils sehr mängelbehaftet, mit etwas Mühe lassen sich aber sehr wertvolle Aussagen aus den damaligen Entwicklungsvorgängen ableiten.

Tessar 2,7/5 cm Versuch 11/1930

Ausgangspunkte sind demnach diese beiden Versuchsobjektive: Oben der Versuch V11 vom 29. November 1930 auf Karte 869 für ein Tessar 2,7/5 cm und unten der Versuch Nr. 4 vom 27. Februar 1931 auf Karte 879. Leider ist die Lesbarkeit der Quellenüberlieferung sehr schlecht, sodaß hier die Wiedergabe der Bildfehlerkurven unterbleiben muß. Es sind aber folgende Informationen wichtig: Erstens lag der Bildwinkel des obigen Tessars noch bei unter 40 Grad, während das unten gezeigte bereits bis zu 50 Grad erreichte. Zweitens war beim Versuch vom November 1930 die Frontlinse aus dem neuartigen, sehr gering dispergierenden Schwerkron SK16, während im Februar 1931 erstmals das neu erschienene, hochbrechende Schwerstkron SSK5 in der ersten Linse eingesetzt wurde. Gemeinsam haben jedoch beide Objektive, daß bereits das neue Baritflint BaF10 in der hintersten Linse zum Einsatz kam.

Tessar 2,8/5 cm Versuch 4/1931
Tessar 2,8/5 2. April 1931

Dieser Glasaufbau findet sich dann auch in der ersten Serienversion des Tessar 2,8/5 cm wieder, die auf den 2. April 1931 datiert und mit der oben gezeigten Karte Nr. 929 überliefert ist. Die Frontgruppe besteht wiederum aus dem Spitzenglas SSK5 und dem Schwerflint SF2, das Kittglied hinter der Blende aus einer Kombination von Leichtflint LF5 und dem besagten Baritflint BaF10. Das war ein ziemlich aufwendiger Materialeinsatz. Von diesem Tessar 2,8/5 cm wurden jedoch nur 1500 Stück für Zentralverschlüsse der Größe C24 hergestellt.

Tessar 2,8/5 cm 929 Koma

Parallel zur Entwicklung dieser neuen Tessare 1:2,8 und 1:3,5 mit großen Bildwinkeln wurde bei Zeiss eine Darstellung schräg einfallender, geneigter Büschel eingeführt, um die Ausmaße der Koma graphisch darzustellen. Der Koordinatennullpunkt wird vom Hauptstrahl definiert, der die Bildebene markiert.  Auf der x-Achse ist der Tangens der Austrittswinkel der schiefen Strahlen abgezeichnet und die y-Achse gibt die Abweichung der unteren und der oberen Koma von dieser Bildebene an. Um all die hier gezeigten Tessare in Bezug auf die bei lichtstarken Objektiven sehr wichtige Abbildung weit geöffneter, gegen die Achse geneigter Strahlenbüschel vergleichen zu können, müsse deren Kurven nebeneinander betrachtet werden. Soweit es die ziemlich schlecht erhaltene Quelle hergibt, habe ich im Folgenden immer noch diese Komakurven als Vergleichsmaßstab hinzugefügt.

Tessar 2,8/5 September 1931

Interessant ist daher das oben gezeigte Blatt 920 der Zeiss Datensammlung vom 14. September 1931 für ein Tessar 2,8/5 cm "mit Änderungen K2". Dieses K steht für Kombinationsrechnungen, die immer dann nötig werden, wenn beispielsweise neue Glasschmelzen "angebrochen" werden. Wichtig ist das in Klammern gesetzte "Kontax". Dies ist der erste erhalten gebliebene Hinweis auf ein Tessar 2,8/5 cm, das ganz gezielt für das Kleinbildformat 24x36 mm gerechnet worden ist. Bei genauem Hinsehen sieht man in den b- und c-Diagrammen eine Markierung bei etwa 22,5 Grad halbem Bildwinkel, der mit den Ecken des Kleinbildes korrespondiert. Hier liegt beispielsweise der Wert der Verzeichnung bei etwa 0,5 Prozent und die sagittale und meridionale Bildschale fallen wieder in einem Punkt nahe der Achse zusammen. In der vorderen Gruppe ist SSK5 und SF2 nun aber durch SK10 und SF4 ersetzt worden.

Koma 920 Tessar 2,8-5 cm

Die Komakurven dieser Karte 920 zeigen uns im direkten Vergleich mit der obigen Karte 929, daß tatsächlich die Bildqualität bei sehr starker Büschelneigung (Diagramm 3) erheblich schlechter geworden ist. Doch wie gesagt wurde dieser große Bildwinkel im Kleinbild-Format gar nicht ausgenutzt, weshalb auf das Schwerstkron SSK5 in der Frontlinse zugunsten des einfacheren Schwerkron SK10 verzichtet werden konnte. Mit gewissen Zugeständnissen bei voller Ausnutzung des  Bildwinkels bis über 50 Grad war es trotzdem noch für das Nennformat 3x4 cm geeignet, wie es beispielsweise von der Kolibri, der Nagel Pupille und ähnlichen Kameras mit dem Rollfilm A8 verwendet wurde. Mit großer Sicherheit können wir davon ausgehen, daß ein sehr ähnliches Objektiv dann mit einem Abschlußdatum vom 8. Oktober 1931 als erstes Tessar 2,8/5 cm in einer echten Großserienfertigung umgesetzt wurde.

Contax I Tessar 2,8/50

Oben ein sehr frühes Exemplar des ersten Tessars 2,8/5 cm für die Contax, das im November 1931 gefertigt worden ist, als die Produktion dieser neuen Kleinbildkamera gerade erst angelaufen war. Man hatte ein lichtstarkes Normalobjektiv zur Verfügung, das besser war als das Hektor 2,5/5 cm von Leitz. Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß konzernintern bereits mit dem Sonnaren 2/5 cm zeitgleich ein großer Konkurrent erwuchs, der dieses neue Tessar 2,8/5 cm gleich wieder auf den zweiten Platz verweisen sollte.

Mit dieser Anhebung der Lichtstärke auf 1:2,8 war nun allerdings trotz der kurzen Brennweiten das Potential des Tessartyps vollkommen ausgereizt – wenn nicht gar überreizt – worden. Bei voller Öffnung zeichneten diese Tessare 1:2,8/5 cm ziemlich weich, was den nicht ganz unbeträchtlichen Restbeträgen der sphärischen Aberration geschuldet sein dürfte. Eng damit im Zusammenhang stehen zudem die oben bereits angesprochenen Komaerscheinungen. Da die meisten Aufnahmen jedoch ziemlich stark abgeblendet erfolgen, nahmen die damaligen Anwender diese Probleme oft gar nicht wirklich wahr, da Öffnungsfehler und Koma mit kleiner werdendem Querschnitt der Büschel stark zurückgehen. Ein zweites Mittel, speziell der Koma zu begegnen, lag darin, die Büschelneigung zu begrenzen. Es fällt deshalb auf, daß, nachdem Kleinbild-Rollfilmkameras wie die Kolibri wieder aus den Katalogen verschwunden waren, das Tessar 2,8/5 cm nochmals ganz speziell auf das Kleinbild 24x36 mm hin optimiert wurde, wo 45 Grad Bildwinkel nicht überschritten werden mußten. Diese zum 8. Mai 1933 erfolgte Umkonstruktion, die noch im gleichen Monat in Serie ging, blieb dann bis zum Kriegsende aktuell.

Tessar 2,8-5cm V8 von 1938

Das oben gezeigte Datenblatt für ein Versuchsobjektiv Tessar 2,8/5 cm vom 25. April 1938 zeigt uns noch, wie in der Frontlinse das Schwerkron wieder durch ein stärker brechendes Glas ersetzt werden sollte, nämlich durch Baritflint BaF10 in beiden Sammellinsen. Wie man unten sieht, war tatsächlich die Koma für die Büschelöffnung 1:4 bedeutend kleiner als oben beim Tessar 2,8/5 cm nach Karte 920. Doch dieses Objektiv gelangte nicht in die Serienfertigung.

Koma 1217 Tessar 2,8/5 cm
Ernst Wandersleb (Mitte), Paul Franke (links) und Reinhold Heidecke (rechts)

Eine ähnlich kurzfristige Überarbeitung wie beim Tessar 2,8/5 cm gab es 1931 übrigens auch beim für die Baby-Rolleiflex 4x4 neu geschaffenen Tessar 2,8/6 cm. Diese "Kleinbild-Rolleiflex", die zunächst mit einem Tessar 3,5/6 cm ausgestattet worden war (siehe folgenden Abschnitt), sollte unbedingt ein Tessar 1:2,8 erhalten, um mit der Leica konkurrieren zu können. Eine erste Rechnung wurde zum  27. März 1931 abgeschlossen und am 1. April fertiggestellt. Auf dem Photo oben sieht man Ernst Wandersleb (Mitte), wie er kurz darauf dieses Musterobjektiv an Paul Franke (links) und Reinhold Heidecke (rechts) bei einem Treffen in Oberstdorf übergibt [nach Prochnow: Rollei Report, 1993, S. 210.]. Von dieser Rechnung wurden aber nur 1000 Stück gefertigt. Sie wurde durch eine neue Rechnung vom 8. Oktober 1931 ersetzt, von der dann bis 1938 reichlich 10.000 Stück an Franke & Heidecke geliefert wurden.

Korelle K Tessar 2,8/3,5 cm

Oben: Eine Korelle K von Franz Kochmann in Dresden ausgestattet mit dem ebenfalls gerade erst geschaffenen Tessar 2,8/3,5 cm. Statt des Leicaformates verwendete Kochmann das originale Kinobild 18x24 mm. Bild: Igor Reznik.

Es war natürlich verlockend, das was man im Kleinbild erreicht hatte, nämlich mit den flachen, dünnen Linsen des Tessar-Aufbaus die hohe Öffnung von 1:2,8 erreicht zu haben, auch für das mittlerweile sehr erfolgreiche Mittelformat 6x6 cm zu verwirklichen. Zwei große Schwierigkeiten standen dem entgegen: Erstens verlangt ein Objektiv mit 80 mm Brennweiten bei einer Formatdiagonale von netto ebenfalls 80 mm einen Bildwinkel von 53 Grad statt 45 oder 46 Grad im Kleinbild, was die Behebung der außerachsialen Fehler immens erschwert. Zweitens wachsen bei einer derartigen Verlängerung der Brennweite von über 60 Prozent auch die Bildfehler auf der Achse linear mit an. Auch wenn die Negative nicht ganz so stark vergrößert werden müssen wie im Kleinbild, so sollte natürlich auch das 6x6-Negativ scharf und vor allem kontrastreich sein. Die Abteilung Photo hatte dafür zum 27. Januar 1933 ein Tessar 2,8/8 cm fertiggestellt, das wie das Contax-Tessar 2,8/5 cm aufgebaut war mit dem SK10 in der Frontlinse und dam BaF10 in der hinteren Sammellinse. Zwei Musterobjektive wurden an Franke & Heidecke geliefert, die eine Rolleiflex auf einen Compurverschluß der Baugröße 0 umrüsteten, um das Objektiv zu testen. Der Serienbau jedoch unterblieb. Das hatte zwei Ursachen: Erstens war man weder in Jena noch in Braunschweig in vollem Maße von der Bildleistung dieses neuen Tessars 2,8/8 cm überzeugt. Und zweitens benötigte man für dieses Objektiv den größeren Compur 0 Zentralverschluß, der jedoch als kürzeste Verschlußzeit nur eine 1/250 Sekunde zu bieten hatte.

Tessar 2,8/8 cm Super Ikonta

Doch auch diese Situation änderte sich im Laufe des Jahres 1934, als die Firma Deckel für die Baugröße 0 ebenfalls einen Compur Rapid zur Verfügung stellen konnte, der als kürzeste Verschlußzeit nun eine 1/400 Sekunde bot. Diese Errungenschaft nutzte gleich die Zeiss Ikon AG, um als Neuheit des Jahres 1935 eine Super Ikonta 6x6 herauszubringen, die zunächst einen gekuppelten Drehkeil-Entfernungsmesser hatte, der kurze Zeit später zum vollwertigen Meßsucher umgebaut wurde. Das eröffnete damals eine Alternative zur Mattscheibeneinstellung. Und auch für die Reflex-Korelle des Kochmann-Werkes ist bereits 1935 eine Fertigung des Tessars 2,8/8 cm nachweisbar, was die große Pionierrolle dieser Einäugigen Reflexkamera unterstreicht.


Doch während dazumal unser Ernst Wandersleb, bloß weil er mit einer jüdischen Ehefrau verheiratet war, erst diskriminiert und anschließend aus seiner Position in der Abteilung Photo herausgedrängt wurde, um später sogar gänzlich von Zeiss entlassen zu werden, so konnte sich der Jude Franz Kochmann nur noch durch Flucht in letzter Minute vor der Ermordung durch seine deutschen Mitmenschen retten. Das nun rassisch vorbildlich lupenreine Zeisswerk konnte daraufhin das Tessar ohne Bedenken an einen ebenso lupenreinen Arier namens Brandtmann liefern, der sich das Korelle-Werk unter den Nagel gerissen hatte. Emmy Wandersleb indes überlebte das KZ Theresienstadt, in das sie verschleppt worden war, nur mit Glück. So war das damals, liebe Leser. Wenn wir hier so sehr über die Errungenschaften jener Zeit reden, dann dürfen wir über die Abgründe nicht schweigen.

Ikoflex III Tessar 2,8/8 cm

Noch im Jahr des Kriegsbeginns wurde dann die oben zu sehende Ikoflex III herausgebracht, die als eine Provokation des Zeisskonzerns gegenüber dem langjährigen Partner Franke & Heidecke angesehen werden muß. Diese hochwertige Zweiäugige Reflexkamera verfügte im Prinzip über all die Vorzüge des Rolleiflex-Automaten (dessen aufwendiges Filmtastwerk aufgrund der mittlerweile vereinheitlichten Startmarken auf den Rollfilmen entbehrlich war), bot aber das lichtstärkere Objektiv, welches F&H sechs Jahre zuvor noch abgelehnt hatte. Damit zwang nun die Zeiss-Tochter Zeiss Ikon die Konkurrenzfirma Franke & Heidecke regelrecht dazu, die Rolleiflex 2,8 zu entwickeln und dafür das als nicht optimal angesehene Tessar 2,8/8 cm einzukaufen. In Braunschweig lagen vor Kriegsbeginn schon mindestens 5000 Stück dieses Objektivs auf Lager, bevor die Entwicklung der zugehörigen Kamera für fast ein Jahrzehnt auf Eis gelegt werden mußte (siehe dazu Abschnitt 5.5).

Im Zuge des Patentes 603.325 von 1930 neu geschaffene Tessare 1:2,8 

Tessar 2,8/3 cm

05. 02. 1935

Tessar 2,8/3,25 cm

05. 02. 1935

Tessar 2,8/3,5 cm

05. 12. 1932; 08. 08. 1939

Tessar 2,8/3,75 cm

17. 09. 1937

Tessar 2,8/4 cm

01. 02. 1937

Tessar 2,8/4,5 cm

22. 11. 1939

Tessar 2,8/5 cm

02. 04. 1931; 08. 10. 1931; 08. 05. 1933

Tessar 2,8/6 cm

27. 03. 1931; 08. 10. 1931

Tessar 2,8/7 cm

26. 04. 1933 (Schmalfilm, keine Serie)

Tessar 2,8/7,5 cm

18. 01. 1932

Tessar 2,8/8 cm

27. 01. 1933

Tessar 2,8/10 cm

07. 10. 1932

3.2.2 Das mit Baritflint-Gläsern nochmals verbesserte Tessar 1:3,5

Das Reichspatent Nr. 603.325 von 1930 wirkte sich aber auch positiv auf das Tessar 1:3,5 aus, weil jenes nun ebenfalls noch einmal auf Basis der neuen Glastechnologie überarbeitet wurde. Beim Tessar 1:3,5/5 cm beispielsweise folgte nach der Rechnung vom Juli 1929 nur 19 Monate später die verbesserte vom Februar 1931. Die war nun während der 1930er und 40er Jahre die Basis für ein äußerst beliebtes Normalobjektiv vieler Kleinbildkameras. Die meisten Exemplare wurden anfänglich natürlich für die neue Contax gebaut, für die das Tessar 3,5/5 cm das preiswerteste und gleichsam das wohl leistungsstärkste Normalobjektiv darstellte. Auch für die bei Zeiss Ikon intern zunächst "Spreiz-Contax" genannte Super-Nettel kam es zum Einsatz sowie bei mehreren tausend Retinas der Konkurrenzfirma Kodak.

Tessar 3,5/5 cm Versuch 12/1930
Koma Tessar 3,5/5 cm 1930

Leider ist nicht direkt das Datenblatt für dieses neue "Contax-Tessar" 3,5/5 cm mit Rechnungsabschluß vom 27. Februar 1931 überliefert, das nun das bisherige "Kolibri-Tessar" 3,5/5 cm von 1929 ablöste (siehe Abschnitt 3.1.1), wohl aber dasjenige des Versuchsobjektivs V12 vom 13. Dezember 1930, auf dem das spätere Serienobjektiv mit sehr großer Wahrscheinlichkeit beruhte. Man sieht sehr gut, daß das neue Tessar 3,5/5 cm wie sein zur selben Zeit entwickeltes Pendant 2,8/5 cm aufgebaut war. Auf eine Frontlinse aus Schwerkron folgt eine Zerstreuungslinse aus Flint. Das hintere Kittglied ist dagegen aus einem niedrigbrechenden Flint (offenbar Doppel-Leichtflint) und dem hochbrechenden Barit-Flint BaF10 zusammengesetzt. Dieses Objektiv zeigte eine gute sphärochromatische Korrektur, wie oben die vielen Kurven im a-Diagramm andeuten. Es eignete sich daher besonders gut für Farbaufnahmen. Daß man sich bei Zeiss mit dieser Konstruktion einem gewissen Optimum angenähert zu haben scheint, kann man daran ablesen kann, daß die darauffolgende Rechnung von 1931 über die nächsten 23 Jahre beibehalten worden ist und als Tessar 3,5/50 mm auch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder für Sucherkameras der Firmen Balda/Belca, Certo und Welta geliefert wurde; aber auch für die neuen Spiegelreflexkameras aus Dresden, bis die Fertigung dann 1954 endgültig eingestellt wurde.

Tessar 3,5/5 cm Super-Nettel

Auch das Tessar 3,5/7,5 cm wurde im Juni 1934 neu gerechnet. Genau genommen wurde es völlig neu geschaffen. Zuvor gab es nur eine alte Version vom Februar 1920 für den Kino-Normalfilm, das für Mittelformat einen viel zu kleinen Bildwinkel gehabt hätte. Als Ende der 1920er Jahre – ausgelöst durch die neue Rolleiflex – das Rollfilmformat 6x6 cm seine große Erfolgsgeschichte antrat, wurde von Zeiss im Oktober 1928 zunächst erst ein Tessar 3,8/7,5 cm geschaffen. Diese geringfügig geringere Lichtstärke hatte den Hintergrund darin, daß die damaligen Compurverschlüsse der Baugröße C24 keinen genügend großen Öffnungsdurchmesser aufwiesen, um die Lichtstärke 1:3,5 zu verwirklichen. Diese Lage änderte sich zu Beginn der 30er Jahre, als die Friedrich Deckel AG den neuen Compur-Rapid 00 herausbrachte, bei dem dieser Öffnungsdurchmesser in Blendenebene gezielt auf die Bedürfnisse der Kameraindustrie hin vergrößert worden war. Das erlaubte die Anhebung der Lichtstärke auf die üblichen 1:3,5 auch für die Brennweite von 7,5 cm. Neben der sehr erfolgreichen Standardbestückung für die Rolleiflex wurde dieses Tessar 3,5/7,5 cm auch in großen Stückzahlen bei den Zeiss-Ikon-Kameras Ikonta und Ikoflex eingesetzt. Aus der Quellenüberlieferung der Nachkriegszeit (s. Abschnitt 5.4) muß man aber wohl schließen, daß das Tessar 3,5/7,5 nicht mit Baritflint arbeitete, sondern mit SK7 und SK10 in den Sammellinsen nach Patent 463.739 von 1926 (s. Abschnitt 3.1.1).

Tessar 3,5/7,5 cm Ikonta

Die Firma Friedrich Deckel in München hatte im Jahre 1932 einen Zentralverschluß in der Entwicklung, bei dem die kürzeste Verschlußzeit des bisherigen Compur von einer 1/300 auf eine 1/600 Sekunde verkürzt werden sollte. Es war geplant, ihn ab März 1933 an die Kamerahersteller als neue Spitzenausstattung auszuliefern. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch, weil der Verschluß nicht langzeitstabil arbeitete. Das Projekt hatte aber zur Folge, daß Zeiss Jena das bisherige Tessar mit 7,5 cm Brennweite überarbeitete, weil ein größerer Blendendurchmesser zur Verfügung gestanden hätte. Zum 12. März 1933 wurde ein Versuch Nr. 5 abgeschlossen und zum 4. Juli ein Versuch Nr. 6 für ein neues Tessar 3,5/7,5 cm. Erst als ab Sommer 1934 der neue Compur-Rapid mit einer 1/500 Sekunde in Serie gehen sollte, wurde zum 1. Juni 1934 das tatsächliche Serienobjektiv eines Tessares 3,5/7,5 abgeschlossen. Es wurde in der Folgezeit in ungewöhnlich großen Produktionslosen von bis zu 5000 Stück pro Auftrag fabriziert, was Aufschluß über die hohe Beliebtheit des neuartigen 6x6-Formates in jener Zeit gibt.

Rolleiflex Tessar 3,5/7,5

Die Firma Franke & Heidecke in Braunschweig war während der 1930er Jahre in einen Faustischen Pakt mit dem Zeisskonzern geraten. Das zeigen diese beiden Zweiäugigen Reflexkameras, die beide mit dem neuen Tessar 3,5/7,5 cm ausgestattet waren. Beide Objektive wurden 1936 hergestellt. Mit dieser Ikoflex II trat Zeiss Ikon in eine direkte Konkurrenz zur Rolleiflex Standard. Sie hatte denselben Verschluß mit dem zusammengelegten Spann- und Auslösehebel und viele andere Annehmlichkeiten, die bislang nur die Rollei bot. Ein Verklagen der Zeiss Ikon AG, wie zuvor gegen die ortsansässige Konkurrenzfirma Voigtländer, wäre für Franke & Heidecke aber in einer Katastrophe gemündet. Zu diesem Schwur kam es allerdings wegen des Kriegsausbruches nicht mehr.

Ikoflex Tessar 3,5/7,5 cm

Für die kleine Rolleiflex 4x4 hatte Zeiss zudem ein Tessar 3,5/6 cm geschaffen. Auch dessen Rechnung vom 21. August 1930 wurde nach 3000 Exemplaren von einer neuen ersetzt, die auf den 12. Februar 1931 datierte, ohne daß genau gesagt werden kann, worin die Änderung genau bestand. Das Bild unten einer Baby-Rolleiflex aus der Nullserie zeigt das 25. Objektiv der ersten Version von 1930.

Rolleiflex 4x4 1930

Mit diesen in rascher Folge vorgenommenen Verbesserungen konnte sich das Tessar in dem extrem schnellen Wandel der Phototechnik in der Zwischenkriegszeit sehr gut behaupten. Durch seinen recht simplen Aufbau war der Tessartyp in der Fertigung sehr gut beherrschbar und konnte daher in großen Stückzahlen vergleichsweise preiswert ausgestoßen werden. Durch die (vor allem im Vergleich zum Sonnar) recht flachen Linsen blieben auch bei Einsatz teurer Spezialgläser die Herstellungskosten einigermaßen im Rahmen.

Tessar 3,5/3,5 cm 1932 Korelle K

Nicht alle nach 1930 neu gerechneten Tessare 1:3,5 hatten das Patent Nr. 603.325 zur Grundlage, wie anhand dieser beiden Tessare 3,5/3,5 cm sichtbar wird. Das oben gezeigte Exemplar, das am 3. November 1932 gerechnet worden war, basierte eindeutig noch auf dem Patent 463.739 vom Sommer 1926. SK7, LF7, KF2, SK10 sind die Glasarten. Es war somit genau so aufgebaut wie das Tessar 3,5/5 cm von 1929 (siehe Abschnitt 3.1). Von ihm wurden anschließend etwa 350 Stück für die Korelle K 18x24 mm gefertigt.


Erst für ein Tessar 3,5/3,5 cm vom 13. Dezember 1941, das als Weitwinkel für die Contax vorgesehen war, wurde das hochbrechende Barit-Flint in der Rücklinse eingesetzt. Immerhin mußte es das volle Format 24x36 mm auszeichnen. Es fällt auf, wie flach alle drei Fehlerkurven trotz des großen Bildwinkels verlaufen. Doch dieses Tessar ging anschließend nicht mehr in Serienfertigung.

Tessar 3,5/3,5 cm Contax

Nach 1930 neu gerechnete Tessare 1:3,5 bzw. 1:3,8:

Tessar 3,5/1,5 cm

07. 07. 1938

Tessar 3,5/2,5 cm

27. 01. 1932

Tessar 3,5/3 cm

05. 02. 1935

Tessar 3,5/3,25 cm

05. 02. 1935

Tessar 3,5/3,5 cm

03. 11. 1932; 13. 12. 1941

Tessar 3,5/3,75 cm

05. 10. 1937

Tessar 3,5/4 cm

17. 02. 1932

Tessar 3,5/5 cm

27. 02. 1931

Tessar 3,5/6 cm

21. 08. 1930; 12. 02. 1931

Tessar 3,5/7,5 cm

01. 06. 1934

Tessar 3,8/7,5 cm

04. 10. 1933 (Verschlußbaugröße C24)

Tessar 3,5/8 cm

11. 04. 1933

Tessar 3,5/10,5 cm

26. 05 1936

Tessar 3,8/10,5 cm

17. 05. 1934 (Verschlußbaugröße C32)

Tessar 3,5/25 cm

15. 11. 1935

Tessar 3,5/30 cm

07. 12. 1937

3.2.3 Das Tessar 1:4,5 auf Baritflint-Basis

Aus der Zeiss-Datenüberlieferung läßt sich herauslesen, daß auch das Tessar 1:4,5 auf Basis des Reichspatentes Nr. 603.325 mit dem Baritflint BaF10 gerechnet wurde. Eine konkrete Fertigung ist leider nicht nachweisbar, aber zumindest für das Tessar 4,5/10,5 cm ist sie sehr wahrscheinlich. Für diese Brennweite gibt es auf Karte 833 eine Versuchs-Rechnung Nr. 13, die eindeutig die Anwendung des Patentes 603.325 belegt. Sie datiert bereits auf den 28. November 1929 und korreliert sehr gut mit dem Patentbeispiel 1, bei dem Schwerkron SK12 in der Frontlinse und Barit-Flint BaF10 in der hinteren Sammellinse verwendet wurde. Auch entspricht dem Patentbeispiel 1 das charakteristische Merkmal, daß die beiden Zerstreuungslinsen gleichermaßen aus Leicht-Flint LF3 bestehen. Möglicherweise basiert das Tessar 4,5/10,5 cm mit Rechnung vom 9. Juli 1930 auf diesem Versuchsobjektiv. Zumindest läßt sich für diese Brennweite die tatsächliche Serienfertigung einer Neurechnungen nachweisen.

Tessar 4,5/10,5 BaF10 1929

Für andere Brennweiten ist eine Fertigung auf BaF10-Basis lediglich für die Tessare 4,5/5 cm (Rechnung vom 15. September 1930) und 4,5/9 cm (vom 3. Juni 1930) sehr wahrscheinlich, aber nicht anhand von Datenblättern nachweisbar. Dagegen sind sind mehrere BaF10-Rechnungen für das Tessar 1:4,5/13,5 cm in der Zeiss-Datenblattsammlung enthalten, die dann nicht in die Fertigung umgesetzt wurden, aber einen Eindruck über die damals sehr rege Konstruktionstätigkeit liefern. Es handelt sich um die Versuche Nr.1 (Karte Nr. 837 vom 12. Februar 1930), Nr. 2 (Karte 839), Nr. 3 (Karte Nr. 843 vom 18. April 1930) und Nr. 4 (Karte Nr. 856 vom 3. Juli 1930). Alle diese Versuchsrechnungen arbeiten mit BaF10 in der Front- und in der Rücklinse und entsprechen daher dem Beispiel 2 im Reichspatent Nr. 603.325.

Tessar 4,5/13,5 BaF10 Versuch 1/1930

Gut am Versuchsobjektiv Nr. 1/1930 ist zu sehen die hervorragende sphärochromatische Korrektur (die a-Kurven für drei Farben sind hier auf drei Ordinaten aufgefächert, weil sie ansonsten deckungsgleich übereinander liegen würden), ferner das ausgezeichnet geebnete Bildfeld und die quasi nicht mehr vorhandene Verzeichnung. Damit war das Tessar nach mehr als einem Vierteljahrhundert seiner Existenz auf einem höchsten qualitativen Niveau angelangt!

Tessar 4,5/13,5 V4 1930

Auch das Versuchsobjektiv Nr. 4 vom 3. Juli 1930 scheint auf den ersten Blick kaum noch Verbesserungen zu bringen. Dazu ist aber zu bemerken, daß diesen Datenkarten ursprünglich zusätzliche Blätter beigegeben waren, die Kurven für die Koma-Korrektur enthielten. Diese sind aber mit wenigen Ausnahmen heute nicht mehr entzifferbar oder verloren gegangen, sodaß diese Information leider meist fehlt. Wir müssen aber davon ausgehen, daß spätestens mit dem Reichspatent 603.325 dieser Koma besondere Beachtung geschenkt wurde und die vielen verschiedenen Versuchsrechnungen in kurzen Zeitabständen sicherlich in Hinblick auf die Optimierung bei diesem Bildfehler entstanden sind.

Mercedes Euklid Modell 18 (1929)

Diese immensen Fortschritte bei der Berechnung photographischer Objektive wurden in den 1930er Jahren übrigens auch durch Verbesserungen in den Rechenmethoden ermöglicht. Eine zentrale Rolle dabei spielten nicht zuletzt die mechanischen Rechenmaschinen der Mercedes Büromaschinen AG aus dem ebenfalls thüringischen Zella-Mehlis. Eine erste große Arbeitserleichterung für die Optikrechner hatte bereits die Maschine "Mercedes Euklid 18" im Jahre 1929 gebracht, die erstmals eine Eingabe der Ziffern über eine Volltastatur erlaubte. Den ganz großen Fortschritt bedeuteten dann aber 1934 die beiden "Ganzautomaten" Mercedes Euklid Modell 37 und 38, da sie erstmals auf der Welt gestatteten, bei einer Multiplikation beide Faktoren bzw. bei einer Division Dividend und Divisor gleichzeitig nebeneinander in die Tastatur einzugeben und dann durch Druck auf eine einzige Taste den Rechenvorgang auszulösen. Ein je nach Modell 12- oder 16-stelliges Resultatwerk zeigte das Ergebnis mit hoher Genauigkeit an.

Tessar-Reklame 1939

Mehr als dreieinhalb Jahrzehnte nach ihrer ersten Markteinführung hatten damit die Tessare Ende der 30er Jahre zweifellos ihre größte Glanzzeit erreicht. Weitere Verbesserungen waren kaum noch erreichbar (auch wenn kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Anzeichen dafür existieren, daß das bisherige BaF10 durch das neu geschaffene und noch geringer dispergierende Barit-Flint BaF11 ersetzt werden sollte). Doch in der Serienfertigung blieb es bei dem bereits erreichten Stand. Wie uns die Reklame oben aus dem Jahre 1939 zeigt, beherrschten trotz der vielen alternativen Konkurrenzprodukte, die in den letzten Jahren bereits geschaffen worden waren, die Zeiss-Tessare herstellerübergreifend die Kameras vom relativ einfachen Amateurgerät bis hin zum Spitzenfabrikat.

3.2.4 Verlegenheitslösung: Das Tessar 1:8 als Weitwinkel

Eine der großen Veränderungen, die die Kleinbildphotographie mit sich gebracht hatte, lag darin, daß nun ein größenmäßig exakt festgelegtes Format vorlag, bei dem ganz genau definiert war, was Normalobjektiv, was Weitwinkel und was Tele ist. Das war zuvor nicht so. Ein für das Format 9x12 cm vorgesehenes Objektiv konnte beispielsweise unter voller Ausnutzung des Bildwinkels oftmals als Weitwinkelobjektiv im nächstgrößeren Format 13x18 verwendet werden. Umgekehrt wurde ein Normalobjektiv des Formates 18x24 cm auf der 9x12-Platte zum langbrennweitigen "Tele". Die uns heute so geläufige Einteilung der Objektive nach einer als feststehend angenommenen Beziehung zwischen Brennweite und Bildwinkel hat sich so erst ab 1930 sukzessive etabliert.

Tessar 8/2,8cm

Für das streng auf die Bildgröße 24x36 mm ausgerichetete Aufnahmesystem der neuen Contax-Sucherkamera sollte auch ein Objektiv mit einem Bildwinkel größer als 70 Grad angeboten werden. Spezielle Objektivkonstruktionen dafür gab es aber nicht. In den Großformaten wurde noch mit den Protaren 1:18 gearbeitet, die jedoch auf dem Stand vor dem ersten Weltkrieg stehen geblieben waren. Kurzerhand entschied man sich, das Tessar auf diesen großen Bildwinkel zu trimmen, wobei mit einem Öffnungsverhältnis von 1:8 von vornherein ziemlich große Zugeständnisse nötig waren.

Tessar 8/2,8 cm

Auch wenn das Datenblatt des Tessares 8/2,8 cm so schlecht erhalten ist, daß keine weiteren Details erkennbar sind, so sieht man doch die Schwierigkeiten, bei einem derart großen Bildwinkel eine einigermaßen befriedigende Beherrschung des Astigmatismus hinzubekommen. Verblüffend jedoch ist die quasi nicht vorhandene Verzeichnung. Nicht dargestellt ist die naturgemäß ziemlich hohe Vignettierung, die für solch große Feldwinkel eigentlich Spezialkonstruktionen nötig macht. Trotz der ohnehin geringen Lichtstärke von 1:8 wurde daher im Katalog dem Nutzer empfohlen, nach Möglichkeit noch auf 1:16 abzublenden, um ausreichende Schärfe zu erzielen und den Lichtabfall zum Bildrand hin in Grenzen zu halten.

Weitwinkel-Tessar 1:8

Trotzdem hatte Zeiss mit diesem Weitwinkel-Tessar natürlich eine besondere Marktlücke gefüllt, was in der zugehörigen Reklame zum Ausdruck kommt. Zum Tessar 8/2,8 cm für die Contax (Rechnung vom 9. November 1932) kam kurz darauf noch ein Tessar 8/5,5 cm für die Standard-Exakta (Rechnung vom 23. Dezember 1932). Vom Tessar 8/2,8 cm wurden bis 1946 etwa 8000 Stück hergestellt, vom Tessar 8/5,5 cm bis 1939 dagegen nur etwa 550. Von einer 6,5-cm-Version für die Exakta 6x6 gab es nur eine Kleinserie.

Tessar 8/2,8 cm Contax I

Trotz aller Kompromisse: Praktisch eingesetzt und abgeblendet auf 1:11 ergibt dieses Tessar 8/2,8 cm dennoch absolut brauchbare Aufnahmen, wie man an diesem Bildbeispiel unten sehen kann (Contax I, Agfapan APX 100).

4. Mertés und Wanderslebs asphärisches Tessar

Das Tessar innerhalb von drei Jahrzehnten auf ein Öffnungsverhältnis von 1:2,8 gebracht zu haben war zweifellos eine bemerkenswerte Leistung der Abteilung Photo des Zeisswerks. Und trotzdem war das noch nicht genug. Mit der sich geradezu explosionsartig verbreitenden Kleinbildphotographie wurden Anfang der 30er Jahre noch höhere Lichtstärken auch im Amateurbereich verlangt. Das lag daran, daß erst bei einem derart kleinen Format die Schärfentiefenverhältnisse so günstig sind, daß man die große Blendenöffnung überhaupt praktisch ausnutzen kann. Andererseits wurde damals vor beinah 100 Jahren diese Reserve an Lichtstärke auch wirklich gebraucht, denn die damaligen Negativmaterialien erreichten Empfindlichkeiten von etwa 10...15 DIN, der neue Kodachrome hatte 1935 etwa 12 DIN und der Agfacolor am Anfang gar nur 7 DIN. Daß dabei versucht wurde, gerade den Tessartyp auf solch hohe Lichtstärken zu bringen, lag an dessen sehr gutem Wirkungsgrad. Erstens waren aufgrund der drei Linsengruppen die Spiegelverluste geringer, als bei Objektiven wie dem Biotar. Zweitens waren die Linsen vergleichsweise dünn, weshalb auch leicht gelb gefärbte Schwerkrongläser den Gewinn an geometrischer Öffnung nicht durch erhöhte Absorptionsverluste gleich wieder zunichte machten.

Dr. Willy Merté

Elegant und hochtalentiert - aber angesichts seines rücksichtslosen Karrierestrebens sowie seiner Schlüsselposition bei Zeiss Jena während des Totalen Krieges nicht über jeden Zweifel erhaben: Dr. Willy Merté. Als führender Fachmann unter anderem auf dem Gebiet asphärischer Flächen wurde er nach dem II. Weltkrieg in die USA abgeworben und arbeitete in Boston und Dayton, wo er - noch keine 60 Jahre alt - im Frühjahr 1948 unerwartet verstarb, ohne seine bahnbrechenden Forschungen auf diesem Gebiet zuendegeführt zu haben.

Für eine weitere Anhebung der Lichtstärke mußten jedoch andere Hebel angesetzt werden. Bislang völlig unbekannt war, daß in der Abteilung Photo bereits in der Zeit des Ersten Weltkrieges erstmals an Objektiven mit asphärischen Linsen geforscht wurde! Ohne Zweifel sind in der Zeiss Datenblattsammlung auf Karte 380 sowohl ein Triotar, als auch auf Karte 383 ein Tessar verzeichnet, die jeweils mit deformierten Hinterlinsen versehen waren. Leider ist die Quelle nur sehr schlecht erhalten. Als Jahr läßt sich nur noch mit Mühe 1915 erahnen. Aus dem Inhaltsverzeichnis kann man lediglich mit Gewißheit sagen, daß dieses Tessar die Daten 3,5/300 mm gehabt hat. Die langen Zahlenreihen unter dem Datenblatt beziehen sich wohl auf den Grad der Deformation ausgedrückt als r-σ.

Tessar mit deformierter Hinterlinse

Auf diesen Ansatz, einzelne Flächen des Tessares von der Kugelform abweichen zu lassen, um die von dieser Kugelform herrührenden Bildfehler besser beherrschen zu können, griffen Willy Merté und Ernst Wandersleb Anfang der 1930er Jahre wieder zurück, als es darum ging, ein Tessar zu schaffen, das es mit den Sonnaren seines konzerninternen Konkurrenten Ludwig Bertele aufnehmen konnte. Das früheste Anzeichen dafür ist das unten gezeigte Datenblatt "Deform. lichtstarkes Objektiv 1:2, f  = 46,2 mm v. 27. 2. 32" auf Karte 957 der Zeiss-Sammlung. Genauer gesagt ist die "Fläche 5 deformiert". Äußerlich handelt es sich um eine Tessarform mit dem neuen Schwerkron SK16 in der vorderen und dem Baritflint BaF10 in der hinteren Sammellinse. Beide negative Komponenten bestehen aus Flintglas.

Deformiertes lichtstarkes Objektiv 1932

Willy Merté und Ernst Wandersleb scheinen sich in dieser Zeit sehr intensiv mit den Möglichkeiten deformierter Linsenflächen auseinandergesetzt zu haben, worüber ein Patent Nr. 645.202 vom 31. Januar 1934 Zeugnis ablegt. Das dort beschriebene Objektiv aus zwei Menisken, die ihre erhabenen Flächen einander zukehren ist ebenfalls in der Zeiss-Datenblattsammlung erhalten und zeigt eine ganz erstaunliche Leistung.

asphärisches Tessar 2/5 cm 1935

Doch besonders hoch muß der Drang gewesen sein, das Tessar mit all seinen Vorteilen durch Nutzung von asphärischen Flächen auf eine höhere Lichtstärke zu bringen. Oben sieht man anhand des Datenblatts für den Versuch V1935 Nr. 11 (Karte 1085), wie man in den letzten mehr als drei Jahren vorangekommen war. Mittlerweile wurde die erste Fläche deformiert. Die Kurve für die sphärische Aberration verläßt die y-Achse praktisch nicht mehr. Der Bildwinkel erreicht jedoch nicht einmal 40 Grad, wobei die Werte für den Astigmatismus und die Verzeichnung bereits ziemlich erheblich sind.

asphärisches Tessar 1,5/5 cm 1934

Schon im Jahr zuvor hatte man mit dem Versuch 11 aus 1934 ein sphärisches Tessar 1:1,5/5 cm gerechnet. Auch hier war die erste Fläche deformiert. Doch diese begehrenswerten lichtstärkeren Varianten wären allenfalls für Schmalfilmkameras geeignet gewesen, denn sie erreichten den für ein Kleinbild-Normalobjektiv nötigen Bildwinkel von 46 Grad nicht (das gelang nur bei zwei Versuchsobjektiven 2,8/5 cm  Nr. V6 und V8 aus 1934). Abgesehen von den fertigungstechnischen Schwierigkeiten, die Asphären mit sich gebracht hätten, mag dieser ungenügende Bildwinkel ausschlaggebend dafür gewesen sein, daß letztlich keines dieser deformierten Tessare in die Serienfertigung gelangte.

DD2905 Wandersleb eingebettete Asphäre

Doch genau zu diesem Problem, daß sich asphärische Flächen (noch lange Zeit) nicht mit der nötigen Präzision herstellen ließen, hatte sich Ernst Wandersleb Gedanken gemacht. Seine Lösung lag darin, frei an Luft nur sphärische Flächen grenzen zu lassen, die deformierten Flächen jedoch gewissermaßen in eine Verkittung mit einer anderen Linse einzubetten, wo die Forderungen an die Genauigkeit ihrer Ausführung herabgesetzt waren. Bemerkenswert an diesem Patent ist, daß es zwar im Juli 1939 angemeldet wurde, aber erst im Februar 1953 vom DDR-Patentamt erteilt worden ist.

Tessar mit in Verkittung eingebetteter deformierten Flähe

Oben ist ein Versuchsobjektiv Nr. 40 für ein Tessar 2/5 cm von 1939 zu sehen, das genau eine solche in eine Verkittung eingebettete deformierte Fläche zeigt. Mit L4 ist offenbar das Verkittungsmittel gemeint.

DD2675 Merté Tessar mit Asphäre

Auch erst vom Nachfolgestaat DDR wurde ein zweites Patent am 23. Juli 1954 veröffentlicht, das sich direkt auf diese asphärischen Tessare bezieht und das am 6. Dezember 1940 angemeldet worden war. Der Urheber Willy Merté war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits seit sechs Jahren verstorben. Im Prinzip hatte sich Merté hier auf seinen eigenen Namen dasjenige patentieren lassen, was oben mit den Datenblättern der Jahre 1934 und 35 schon gezeigt worden ist und was er mit hoher Wahrscheinlichkeit zusammen mit Ernst Wandersleb erarbeitet hatte. Es fällt jedoch auf, daß er die noch vor dem Kriegsausbruch auf Wandersleb angemeldete Einbettung der asphärischen Fläche in eine Kittschicht ziemlich explizit herausnimmt und von einem dünnen Luftspalt spricht, um die Schutzrechte Wanderslebs nicht zu verletzen. Zumindest vor dem Patentgesetz waren alle Deutschen noch gleich. Denn während es für Merté nach Kriegsausbruch wegen seiner hochgradig rüstungsrelevanten Objektiventwicklungen auf der Karriereleiter steil nach oben ging, war Wandersleb, der eigentliche "Vater der Tessare", zur selben Zeit beinah ins Bodenlose abgestürzt.

Emmy und Ernst Wandersleb

Und das hatte nichts mit einem Verschulden Wanderslebs zu tun, sondern beruhte auf rein rassistischen Grundlagen. Nach der Diktion der Nazis lebte Wandersleb mit seiner jüdischen Ehefrau in einer sogenannten "Mischehe". Seit Juli 1938 war dies offiziell als Grund für eine Scheidung anerkannt, was im Umkehrschluß bedeutete, daß vom "arischen" Ehepartner erwartet wurde, sich scheiden zu lassen, wenn er weiterhin als Volksgenosse seine vollwertigen Bürgerrechte wahrnehmen wollte. Für Wandersleb, der seine Frau damit der völligen Entrechtung preisgegeben hätte, kam dies jedoch nicht infrage, weshalb es mit ihm in der Folgezeit im NS-Musterbetrieb Zeiss steil bergab ging. Daran hatte nicht zuletzt Willy Merté einen entscheidenden Anteil, indem er Wandersleb bei der Gestapo anschwärzte und damit seinen ehemaligen Vorgesetzten erfolgreich aus dem Weg räumen konnte [Vgl. Walter. Zeiss 1905-1945, S. 214f.]. Ihm muß klar gewesen sein, daß er Wandersleb damit auch leicht ins KZ hätte bringen können. Es ist neben dem Geschäftsführer August Kotthaus wohl nicht zuletzt auch dem Heliar-Erfinder Johannes Harting zu verdanken, daß es Wandersleb damals nicht "an den Kragen ging" und er für die Dauer des Krieges unter der Hand weiterhin mit Arbeitsaufträgen versorgt wurde, um sich und seiner Frau das Überleben zu sichern. Oben sieht man Ernst Wandersleb mit seiner Ehefrau Emmy, die noch kurz vor Kriegsende nach Theresienstadt deportiert worden war, das KZ jedoch überlebte, im hohen Alter zu Beginn der 1960er Jahre. Ihre Schwester, die Berliner Bildungsreformerin Lisa Eppenstein, die zunächst noch in Jena bei den Wanderslebs Zuflucht gefunden hatte, war dagegen im Mai 1942 nach Bełżyce deportiert und dort im Oktober desselben Jahres ermordet worden.

5. Harry Zöllners Vervollkommnung des Tessars zum modernen Universalobjektiv

5.1 Notabene '45

Die Firma Carl Zeiss Jena hatte zweifellos zu den zentralen Rüstungslieferanten gehört und damit auch zu den größten Profiteuren des Krieges. In den Jahren zwischen 1939 und 1944 wurden Güter im Umfang von mehr als einer Milliarde Reichsmark gefertigt [kumuliert nach Walter, Zeiss 1905-1945, S. 241.], wobei der zivile Anteil rasch keine nennenswerte Rolle mehr gespielt hatte. Vor diesem Hintergrund erscheint es fast schon verwunderlich, daß Jena mit dem Zeisswerk mitten in der Innenstadt erst im März 1945 aus der Luft angegriffen wurde.

Zeiss Jena ausgebombt 1945

Für große Teile der sogenannten "Heimatfront" rückte das Elend erst jetzt voll ins Bewußtsein. Die eigenen Wohnungen waren ausgebombt, es gab keinen Strom und erstmals seit fünf Jahren Krieg brach für die Deutschen im Frühjahr 1945 die Lebensmittelversorgung zusammen. Wenn wir uns hier an dieser Stelle überhaupt damit beschäftigen, weshalb nur wenige Wochen und Monate nach dem Ende des Krieges unbedingt die Produktion von so etwas völlig nebensächlichen wie Kameras und Photoobjektiven wieder angefahren wurde, dann läßt sich dies mit einem Wort auf den Nenner bringen: Hunger. Hatte das NS-Regime die Ernährung ihrer arischen Volksgemeinschaft bisher dadurch sicherstellen können, daß man insbesondere in Osteuropa Hunderttausende Menschen hat verhungern lassen, so wendete sich jetzt das Blatt. Schon seit den Anfängen der Industriezeit war das Deutsche Reich darauf angewiesen gewesen, Lebensmittel in großem Umfange zu importieren, um den Bedarf zu decken. Doch mit einer völlig wertlosen Reichsmark war dies nun aussichtslos.

Bombenschäden Bau 13 und Bau 15

Was hingegen nachgefragt war – im zahlungskräftigen Ausland – das waren feinmechanisch-optische Geräte deutscher Produktion. So hatte sich beispielsweise auf dem riesigen US-amerikanischen Markt ein großer Bedarf an hochwertigen Photogeräten aufgestaut, den die eigene Photoindustrie einfach nicht zu stillen im Stande war. Vor diesem Hintergrund darf es nicht verwundern, wenn man in den einschlägigen Zentren in Dresden, Braunschweig und Wetzlar quasi noch aus den Trümmern heraus versuchte, so rasch wie möglich wieder Kameras auszuliefern. Und dazu wurden natürlich die passenden Objektive benötigt. Insbesondere in Bezug auf den Tessartyp war abzusehen, daß jener aufgrund seiner guten Eignung für die Massenfertigung schnell wieder an seine alte Bedeutung würde anknüpfen können. So läßt sich schon im Juli 1945 eine Montage von mehreren tausend Stück Tessare 2,8/5 cm nachweisen für Praktiflex und Exakta. Sicherlich handelte es sich dabei hauptsächlichum die Montage noch auf Lager liegender Teile, doch belegt das die unmittelbar nach Kriegsende vorhandene Nachfrage nach diesen Erzeugnissen.

Zeiss Jena Demontage 1946/47
Zeiss Jena Demontage 1946/47

Doch dann geschah bei Zeiss in Jena etwas, was dieses gerade exakt 100 Jahre alt gewordene Werk beinah für immer ausgelöscht hätte. War im Frühjahr 1945 durch Bombenabwürfe die Gebäudesubstanz zu etwa einem Viertel zerstört worden, so wurde nun im Herbst 1946 aus den zu großen Teilen bereits wiederhergerichteten Fabrikanlagen fast der gesamte Maschinenpark ausgebaut und in Kisten verpackt, um auf das Territorium der Sowjetunion verbracht zu werden. Es ist heute wohl für niemanden mehr nachvollziehbar, wie es den Menschen in Jena damals gelungen ist, nach diesem Aderlaß vom Winter 1946/47 Zeiss Jena noch einmal quasi aus dem Nichts heraus aufzubauen und sogar wieder zu jener Weltfirma werden zu lassen.

5.2 Tief-Flint statt Lanthan-Kron: Das neue Tessar 2,8/5 cm vom Oktober 1947

Zu diesem Aderlaß der unmittelbaren Nachkriegszeit ist auch zu zählen, daß die US-Truppen, die Thüringen zuerst eingenommen und anschließend vereinbarungsgemäß an die Sowjets übergeben hatten, fast das komplette wissenschaftliche Spitzenpersonal des Zeisswerkes deportierten; wobei wir davon ausgehen können, daß es den betroffenen Personen angesichts der katastrophalen Verhältnisse in Deutschland wie ein großes Glück vorgekommen sein muß, das Leben in den USA fortsetzen zu können. Wie dem auch sei – auf diese Weise jedenfalls hatte die Abteilung Photo des Zeisswerkes ihren bisherigen Leiter Dr. Willy Merté verloren, der obendrein im Frühjahr 1948, noch keine 60 Jahre alt, in den USA verstarb (nach anderen Angaben ist Merté in Landshut gestorben). Zum neuen Leiter der Abteilung Photo (bzw. des Rechenbüros) stieg bald Dr. Harry Zöllner auf. Der im Jahre 1912 geborene Thüringer hatte in Jena Mathematik und technische Physik studiert und Mitte der 1930er Jahre wurde er als Werksstudent bei Arthur König in der Zeiss-Astro-Abteilung in die Berechnung von Objektiven eingeführt. Zwischen 1938 und 1945 war er dann bei Voigtländer in Braunschweig als Optik-Rechner und Forschungsleiter tätig. Im Jahre 1946 wurde er von Hans Harting nach Jena geholt [Vgl. Dietzsch, Nachruf für Prof. Dr. Harry Zöllner, Photo Antiquaria, 2008, S. 45.]. Harry Zöllner, der Ende des Jahres 2007 kurz vor seinem 96. Geburtstag verstarb, muß auf derselben Ebene wie Rudolph, Wandersleb und Merté als hochtalentierter Objektivschöpfer begriffen werden, wovon nicht zuletzt seine Entwicklungsarbeiten zum Tessar nach 1945 zeugen.

Harry Zöllner Zeiss Jena

Gewissermaßen die  Verkörperung des Wiederaufbaus der Abteilung Photo des Zweisswerks nach dem II. Weltkrieg: Dr. Harry Zöllner

Man muß wohl davon ausgehen, daß ursprünglich der im Jahre 1904 geborene Dr. Robert Tiedeken, der seit 1943 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Merté beschäftigt war, als neuer Leiter der Photoabteilung vorgesehen gewesen war. Vermutlich dürfte daher auf ihn das Versuchsobjektiv Nr. 1 für ein Tessar 3,5/5 cm mit Rechnungsdatum vom 18. September 1946 zurückzuführen sein. Anfang Oktober 1946 wurden zwar zwei Musterobjektive fertiggestellt, doch kaum drei Wochen später,  in der Nacht vom 21. zum 22. Oktober 1946, lief die von Stalin schon seit dem Sommer geplante "Aktion Osoawiachim" an, die vorsah, tausende von Wissenschaftlern und Facharbeitern in die Sowjetunion zu verschleppen, während zugleich wichtige Schlüsselbetriebe demontiert werden sollten. Ohne Übertreibung darf man von einer Nacht- und Nebel-Aktion sprechen. Einer der von der Aktion betroffenen Zeissianer war von den Umständen der Verschleppung derart mitgenommen, daß er einen Herzanfall erlitt und daran verstarb. Für Zeiss Jena bedeutete diese Aktion der Besatzungsmacht neben der bereits angesprochenen 94 prozentigen Demontage des Maschinenparks und sonstiger Einrichtungen einen nochmaligen Verlust von weiteren etwa 250 wichtigen Fachkräften. Und einer von diesen war Robert Tiedeken [Vgl. Hellmuth/Mühlfriedel, Zeiss 1945-1990, S. 44.]. Er kehrte erst 1952 in die DDR zurück und damit auch in ein bereits wieder völlig verändertes Zeisswerk.

Objektiv 2,8/50 vom April 1947

Nicht in die Sowjetunion verschleppt worden war jedoch der gerade erst eingestellte Harry Zöllner, den die Besatzer mit seinen 34 Jahren möglicherweise auch als zu unerfahren eingeschätzt haben. Das war eine eklatante Fehleinschätzung und sie sollte sich als großer Glücksfall für den Jenaer Photoobjektivbau erweisen, denn Zöllner, dem nun nach dem Ende der Demontagen die Leitung der Abteilung "PhotoRech" übertragen wurde, entwickelte sehr bald eigene Ideen, die über das Rekonstruieren des bisherigen Standes weit hinausreichten. Um das zu verdeutlichen ist oben einmal das Achsenschnittbild des Versuchs V2 für ein "Objektiv 1:2,8; f = 5 cm" vom 2. April 1947 wiedergegeben [Sammlung Benedix]. Das Tessar ist hier so abgewandelt, daß das Kittglied nach vorn gekehrt und außerdem dreiteilig ausgeführt wurde. In diesem Kittglied ist eine Zerstreuungslinse aus dem offenbar während des Krieges neu entwickelten Doppel-Leichtflint LLF8 zwischen zwei Sammellinsen aus dem hochbrechenden Schwerkron SK18 eingebettet. Wir müssen uns vor Augen führen, daß zu diesem Zeitpunkt die Demontagen gerade erst seit drei Wochen beendet gewesen waren und daß außerdem der Geschäftsleiter Victor Sandmann eigentlich vorgegeben hatte, Experimente mit Neuentwicklungen unbedingt zu unterlassen [Vgl. Hellmuth/Mühlfriedel, Zeiss 1945-1990, S. 55.].

Wir müssen uns andererseits aber auch im Klaren darüber sein, daß die Photosparte damals eine ganz besondere Stellung innehatte und sie offenbar für die sowjetischen Besatzer eine zentrale Priorität darstellte. Schließlich war schon seit September 1945 auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration der Aufbau einer Fertigung der Contax-Meßsucherkamera in Jena forciert worden und dieses ohnehin schon stark in Verzug geratene Vorhaben wurde nun während der Demontagen so weit wie möglich von diesen ausgespart und von Störungen ferngehalten [Vgl. Hellmuth/Mühlfriedel, Zeiss 1945-1990, S. 35, 38, 40, 55.]. Zu wichtig waren offenbar die beim Verkauf dieser Kameras in Übersee in Aussicht stehenden Deviseneinnahmen. Und aus der Tatsache, daß diese begehrten Kameras derart protegiert wurden, muß man schlußfolgern, daß auch die Fertigung der Photoobjektive einen besonderen Stellenwert genossen haben muß, denn ohne Objektivausstattung hatte die Ablieferung von Kameragehäusen schließlich keinen Sinn. Diese besonderen Umstände muß man wohl als Erklärung dafür ansehen, weshalb in der Photoabteilung über die reine Rekonstruktion des bisherigen Fertigungsprogrammes hinaus sofort im Anschluß an die Katastrophe von 46/47 ein unerwartet großer Technologiesprung zu beobachten ist.

Prüfbericht Tessar 1948

Einen tiefen Einblick in die damalige Zeit, der weit über den bloßen Entwicklungsablauf des Tessares hinausgeht, liefert uns nun die oben abgebildete erste Seite des Prüfberichtes Nr. 1/48 vom 19. Februar 1948 [Sammlung Benedix]. Erst einmal finden wir hier eine zeitgenössische Selbstauskunft Zöllners darüber, daß er die Leitung des Rechenbüros tatsächlich erst nach den Demontagen übernommen hat. Zweitens erfahren wir, daß das eingangs gezeigte fünflinsige Triplet zwar eine deutlich höhere Bildleistung zu bieten hatte als das bisherige Tessar 2,8/5 cm, daß dasselbe aber mit Ausnahme einer Spezialanwendung für eine Mikrofilmkamera nicht in die Fertigung gelangte, weil Dr. Zöllner inzwischen eine befriedigende Verbesserung des vierlinsigen Tessares 2,8/5 cm gelungen sei. Besonders wichtig für uns ist nun der dritte Absatz, der deutlich macht, daß die Anhebung der Leistung des Tessares 1:2,8 auf ein befriedigendes Niveau nur durch den Einsatz von Glasarten mit nach damaligen Verhältnissen als extrem anzusehenden Eigenschaften möglich gewesen war.

Entwicklung Tessar 2,8/50 nach 1945

Um zu verstehen, wie es Harry Zöllner damals gelungen ist, das traditionell aufgebaute Tessar 2,8/5 cm wieder zu einem international konkurrenzfähigen Spitzenobjektiv zu ertüchtigen, muß dieser dritte Absatz seines Prüfberichts im Verbund mit der oben gezeigten Tabelle betrachtet werden, die uns in ihrem oberen Teil einen Einblick in den genauen Entwicklungsablauf bietet. Mit einem Versuch V4 vom 13. Mai 1947 brachte er mit dem Schwerkron SK22 erstmals einen Vertreter der von ihm angesprochenen hochbrechenden Thorium-Lanthan-Gläser zum Einsatz. Wir dürfen wohl davon ausgehen, daß diese für die optische Industrie später noch so bahnbrechenden neuartigen Schwerkrongläser bereits während des Zweiten Weltkrieges bei Schott in Jena entwickelt worden waren. Der Grundsätzliche Aufbau und die verlockenden optischen Eigenschaften derartiger Glasarten waren zwar bereits seit den Patenten George Washington Moreys Mitte der 1930er Jahre bekannt [DRP 691.356 und 722.329], doch eine fabrikmäßige Herstellung war aus vielen verschiedenen Gründen lange Zeit nicht gelungen. Bei Schott hatten es Edwin Berger und Karl Rehm zwar bis 1939 geschafft, lanthanhaltige Gläser so zu konzipieren, daß sie überhaupt als amorphe Masse erstarrten, statt völlig unbrauchbar auszukristallisieren [DRP. 746.997 vom 12. Dezember 1939], doch auch hier war an eine Produktion außerhalb von Kleinstmengen im Labormaßstab noch lange Zeit nicht zu denken. Es sollte sich erweisen, daß erst die Einführung völlig neuer Schmelzmethoden mit Platingefäßen statt Tontiegeln und dem Einsatz von Elektrowärme statt Gasheizung nötig waren, um diese Glasarten in regulärer Massenfabrikation ausstoßen zu können. Auch in den USA gelang dies erst in den späten 1940er Jahren. Wie aus Harry Zöllners Prüfbericht hervorgeht, spielte dafür, daß  diese neuen LaK-Gläser in Jena für die Massenfertigung nicht infrage kamen, zudem eine Rolle, daß in der Sowjetischen Besatzungszone zur damaligen Zeit auch die Beschaffung der nötigen Rohstoffe nicht sichergestellt werden konnte. Die Versuche V5 vom Juni und V12 vom August 1947 basierten daher wieder auf Glasarten, die bereits in den 30er Jahren verfügbar gewesen waren. Mit diesem Material war freilich kein besonderer Fortschritt gegenüber dem zu erwarten, was das Rechenbüro Mertés bis zum Kriegsausbruch bereits erreicht hatte. Nachdem Zöllner im September 1947 noch einmal einen Versuch V15 mit einem der neuen Lanthan-Gläser in der hintersten Linse unternommen hatte, mußte dieser Ansatz aus den oben bereits dargelegten Gründen nun aber gänzlich ad acta gelegt werden.

Tessar 2,8/5 29. Oktober 1947

Stattdessen hatte Harry Zöllner mit dem Versuch Nr. 18 mit Rechnungsabschluß vom 29. Oktober 1947 die oben gezeigte Lösung gefunden. Mit dem Schwerkron SK18 in der vorderen und dem Schwerstkron SSK5 in der hintersten Linse sehen wir hier einen Materialeinsatz, der weitgehend den bereits im Abschnitt 3.2 gezeigten Lösungen aus den 1930er Jahren entspricht. Neu hingegen war das Glasmaterial für die beiden Zerstreuungslinsen. Im hinteren Kittglied kam das oben bereits angesprochene neue Doppel-Leichtflint LLF8 zum Einsatz. Entscheidend für die Leistungsanhebung des Tessares 2,8/5 cm gegenüber der Rechnung von 1933 dürfte allerdings das Flintglas F16 in der einzeln stehenden Zerstreuungslinse gewesen sein. Denn erstens war es mit einer Hauptbrechzahl von 1,5995 für ein Flintglas ungewöhnlich niedrig brechend. Man hatte dafür die Bezeichnung Tief-Flint eingeführt, ohne daß dies freilich im Glaskatalog durch eine besondere Kategorie kenntlich gemacht worden wäre. Denn was andererseits die Abbe-Zahl als Maß für die mittlere Farbzerstreuung anbelangte, so war dieses F16 mit dem Wert 35,2 durchaus ein typisches Flintglas. Ausschlaggebend für die mit dieser Glaszusammensetzung erreichbare deutliche Verringerung der sphärochromatischen und komatischen Fehler des Tessares 2,8/5 cm dürfte jedoch der spezielle Verlauf der Dispersionskurve gewesen sein, den dieses neue Tiefflint mit sich brachte.

Prüfbericht Tessar 2,8/5 cm 1948

Die zweite Seite des Prüfberichts vom 19. Februar 1948 zeigt uns nun, daß das neue Tessar 2,8/5 cm von 1947 sowohl gegenüber dem Typ von 1933 als auch gegenüber dem bisher als ideal angesehenen Tessar 3,5/5 cm von 1931 im direkten Vergleich nicht nur ein nennenswert höheres Auflösungsvermögen erreichte, sondern vor allem ein über das Bildfeld hinweg deutlich gleichmäßigeres. Darüber hinaus konnte auch der Lichtabfall zum Rand hin verringert werden, was angesichts der mittlerweile etablierten Farbphotographie einen weiteren großen Vorteil bedeutete, da die damaligen Farbumkehrfilme bei Unterbelichtung zum Kippen der Farben neigten, was beispielsweise in gleichmäßigen Farbflächen wie Himmelspartien zu heftigen Farbstichen führen konnte. Die Konkurrenzfirmen, die nach 1945 ebenfalls ihre Standardobjektive sukzessive den gestiegenen Anforderungen anpassten, machten diese Fortschritte oftmals dadurch deutlich, indem sie den etablierten Objektivbezeichnungen ein "Color" vorsetzten.

Laufzeiten Tessar 2,8/50

Oben läßt sich anhand eines Vergleiches der sogenannten Laufzeiten zwischen dem eingangs gezeigten, von Zöllner neu geschaffenen fünflinsigen Objektiv 2,8/5 cm (hier als verbesserter Versuch V14) und dem bisherigen Tessar 2,8/5 cm noch einmal deutlich machen, welch einen Mehraufwand es damals noch bedeutete, wenn ein Objektiv eine zusätzliche Linse benötigte. Der Begriff Laufzeit ist hier als Fertigungszeit in Stunden pro Stück zu verstehen, und zwar bei einer Losgröße von 1000 Stück, was die Verteilung des Aufwandes zum Einrichten der Bearbeitungsmaschinen beinhaltet. Man erkennt zwar einerseits, daß damals die Herstellung der Fassung unvergleichlich mehr Fertigungszeit in Anspruch nahm als die Optik (es gab noch keine  computergestützten Metallbearbeitungsmaschinen). Doch der Anstieg der Bearbeitungszeit der Optik von 2 auf 2,7 Stunden also um 35 Prozent, obwohl nur 25 Prozent mehr Linsen gebraucht wurden ist durchaus beachtlich. Man muß sich heute, wo selbst billige Massenobjektive ein Dutzend oder mehr Linsen haben, vor Augen führen, wie wichtig es in den späten 40er Jahren noch war, eine gute Bildleistung mit so wenig wie möglich Linsenaufwand zu erreichen.

Die oben wiedergegebene Niederschrift einer aus heutiger Sicht historischen Sitzung vom 12. November 1947 [Sammlung Benedix] gibt uns einen verblüffenden Einblick darin, wie sich die Abteilung Photo des Zeisswerkes nur ein Jahr nach Beginn der Demontagen konsolidiert hatte, welche Aufbruchstimmung damals vorgeherrscht haben muß und wie unter Dr. Zöllner mit wissenschaftlicher Grundlagenarbeit völlig neue qualitative Perspektiven geschaffen worden waren. Demnach war beim Tessar 2,8/5 cm die Entwicklung der Optik abgeschlossen und es sollte mit der Konstruktion der Fassung mit Frontlinseneinstellung für Zentralverschlüsse und mit Schneckengangfassung für die Dresdner Kleinbildkameras Exakta, Praktiflex und Spiegel-Contax begonnen werden.


Doch darüber hinaus enthält dieses Dokument unschätzbar wertvolle Informationen über das Zusammenwirken Jenas mit den neugegründeten Schwesterfirmen in Westdeutschland, die bislang weitgehend im Dunkeln lagen und über die daher viel spekuliert worden ist. So ist in Punkt 2 von einem neu zu entwickelnden Tessar 2,8/3,75 cm als Ersatz für eine Rechnung von 1937 für Tenax und Robot die Rede. Dieses Objektiv kam freilich nie auf den Markt. Punkt 3 gibt uns unmißverständlich Auskunft darüber, daß Zeiss Jena damals natürlich auch noch die Objektive für Zeiss Ikon in Stuttgart gerechnet hat. Die Ikonta 35 sollte die erste Kleinbildkamera aus der in die westlichen Besatzungszonen verlagerten Zeiss Ikon AG werden. Ein noch am 22. November 1939 gerechnetes Tessar 2,8/4,5 cm war nicht mehr verwendbar. Die im Rechenbüro Zöllners erfolgte Neurechnung wurde jedoch nie aus Jena geliefert, sondern später durch Opton Oberkochen. Bis dahin behalf man sich bei Zeiss Ikon Stuttgart mit einem einfachen Novonar bzw. einem Xenar 2,8/4,5 cm von Schneider. Von einer gerade laufenden Überarbeitung des Tessares 2,8/8 cm für die Stuttgarter Super Ikonta 6x6 ist in Punkt 4 die Rede. Für die Rolleiflex dagegen war laut Punkt 5 aber bereits im November 1947 eine Ablösung durch einen fünflinsigen Typ beschlossene Sache, von dem in Punkt 8 gesagt wird, es solle "aus Propagandagründen [gemeint ist aus Werbegründen] einen neuen Namen bekommen". Wir wissen heute, daß es sich dabei um das neue Biometar 2,8/8 cm handelt, dessen erste Rechnung nach Versuch V26 am 26. Januar 1948 fertiggestellt werden wird. Interessant sind auch die Ausführungen in Punkt 6 zum Tessar 3,5/7,5 cm, wo Oberkochen erwähnt wird sowie in Punkt 7 der Nachfolger für das bisherige Biogon 2,8/3,5 cm, das wegen des veränderten Verschlusses der gerade in der Entwicklung befindlichen Contax IIa nicht mehr verwendet werden konnte. Auch hier wird im Februar 1948 mit dem Versuch V27 ein Biometar-Typ gerechnet.

Tessar Glasarten

Doch zurück zum Tessar 2,8/5 cm. Schon im Februar 1948 kam als erste Hiobsbotschaft obige Mitteilung, wonach die beiden neuen Glasarten LLF8 und F16 nicht in Massenobjektiven eingesetzt werden sollten, da diese Gläser nicht preßfähig seien. Dahinter verbirgt sich folgende Herausforderung im Herstellungsprozeß: Nach der Feinkühlung liegt optisches Glas meist in handlichen Tafeln vor. Im traditionellen Herstellungsverfahren werden aus einer solchen Platte nun quaderförmige Stücke herausgetrennt von der für die spätere Linse nötigen Größe. Um vor dem Schleifvorgang diese Würfel überhaupt in die Nähe der späteren Linsenform bringen zu  können, müssen Einschnitte der nötigen Tiefe vorgenommen und dann das überflüssige Material mit Zangen und dergleichen abgebröckelt werden. Das ist insgesamt natürlich eine langwierige und schmutzige Handarbeit. Besser ist es, wenn das Glas im erhitzten, zähflüssigen Zustand bereits in die nötige Grundform gepreßt werden kann. Doch aus glastechnischen Gründen ist dafür eben längst nicht jede optische Glasart geeignet. Und da in Aussicht stand, daß das neue Tessar 2,8/5 cm in großen Stückzahlen hergestellt werden wird, entpuppte es sich nun als große fertigungstechnische Hürde, wenn zwei der vier nötigen Linsen dabei viel Aufwand verursachten.

Der große Rückschlag kam dann am 16. März 1948. Die oben angegebenen Umstände hatten zur Folge, daß der Herstellungsaufwand des neuen Tessars 2,8/5 cm nicht mit den damaligen Fertigungskapazitäten in Einklang zu bringen waren und daher das international konkurrenzfähige Normalobjektiv nicht nur im restlichen, sondern auch im kommenden Jahr nicht in die Produktion überführt werden könne.

Ganz so schlimm kam es dann doch nicht. Dieses neue Normalobjektiv wurde einfach dringend gebraucht. Insbesondere die Dresdner Spiegelreflexkameras benötigten ein lichtstarkes Normalobjektiv, um zu einem möglichst hellen Sucherbild zu gelangen. Schon im Juni 1949 gelangten daher Stückzahlen im vierstelligen Bereich in die Endfertigung. Binnen kürzester Zeit geriet das neue Tessar 2,8/50 nun zum neuen qualitativen Standard und es wurde vergleichsweise intensiv Reklame gemacht zumindest in Hinblick darauf, daß dies für Normalobjektive sonst nicht so üblich ist. Daraus könnte man schließen, daß man in Jena darauf bedacht war, vom eher zweifelhaften Ruf des bisherigen Tessars 2,8/5 cm loszukommen.

Tessar 2,8/50 Prospekt 1951

Aus der Tatsache heraus, daß in den folgenden Monaten die hergestellten Stückzahlen rasch anstiegen und "das neue Tessar 1:2,8" bald auch für solch eher simple Kameramodelle wie die Beltica, die Welti und sogar die Mimosa geliefert wurde, kann man wohl schließen, daß man die fertigungstechnischen Hürden ziemlich rasch überwunden hat, um ein gegenüber der Konkurrenz führendes Normalobjektiv anbieten zu können. Dem Photo-Rechenbüro unter Harry Zöllner war es im Oktober 1947 gelungen, ein derartiges Optimum zwischen Aufwand und resultierender Bildleistung zu erreichen, daß das Tessar 2,8/50 bis in das Jahr 1988 – also vier Jahrzehnte lang – optisch unverändert gefertigt werden wird. Dabei erreichte dieser Typ die höchsten Stückzahlen eines Zeiss-Objektivs überhaupt. Zwischen Sommer 1949 und Frühjahr 1988 wurden den Zeiss-Fertigungsunterlagen zufolge sage und schreibe mindestens 2.895.600 Exemplare hergestellt. Damit dürfte das Tessar 2,8/50 mm mit Rechnung vom 29. Oktober 1947 die erfolgreichste Objektivkonstruktion aller Zeiten sein.

Vergleich Tessar/Primotar 2,8/50

Es ist dazu allerdings anzumerken, daß sich diese Spitzenposition nach und nach relativierte, nachdem andere Hersteller nachgezogen hatten und dabei einen noch höheren Materialeinsatz wagten. So war beispielsweise Ende der 50er Jahre von Meyer in Görlitz ein Primotar 2,8/50 mm herausgebracht worden, bei dem für die beiden Zerstreuungslinsen ebenfalls F16 und LLF8 Verwendung fand. Die vordere Sammellinse bestand jedoch aus einem der LaK-Gläser, die dem Tessar 1947 noch verwehrt worden waren. Und bei der hinteren Sammellinse kam statt des Schwerstkron SSK5 aus den 30er Jahren sogar das neue Spitzenglas SSK10 zum Einsatz. Deutlich sind oben die erheblich höheren Brechzahlen der beiden im Primotar eingesetzten Krongläser erkennbar. Dieses ernsthafte Konkurrenzprodukt wurde von Zeiss aber durch Kürzung der Glaslieferungen an Görlitz in einer Weise torpediert, daß dieses Primotar 2,8/50 rasch wieder aus dem Angebot verschwand. Der dem Tessar 2,8/50 ernstlich drohende Verlust des Gütezeichens Q konnte auf diese Weise noch um einige Jahre abgewendet werden

Tessar 2,8/50 mm

Eine weite Verbreitung fand das neue Tessar 2,8/50 mm seit den 1950er Jahren sowohl als Normalobjektiv für einfache Sucherkameras als auch für teils sehr teure Spiegelreflexkameras. Bei den einfachen Sucherkameras wie von Balda bzw. Belca war die große Lichtstärke von 1:2,8 nicht immer voll ausnutzbar, weil die Entfernung geschätzt werden mußte. Bei Reflexkameras gab es hingegen große Vorteile in bezug auf die Sucherbildhelligkeit und damit für das Schafstellen - auch wenn dann bei der Aufnahme in den meisten Fällen ebenfalls ziemlich stark abgeblendet wurde. Mit Auslaufen der Werra-Reihe in den späten 60er Jahren wurde das Tessar 2,8/50 dann nur noch für die Spiegelkameras Exa und die Praktica angeboten, für die es bis ins Jahr 1988 (!) im Programm blieb.

Tessar 2.8/50 Carl Zeiss Jena

Im Jahre 1954 wurde noch einmal das neue Tessar 2,8/50 mm nach Rechnung vom 29. Oktober 1947 mit der alten Version vom 8. Mai 1933 verglichen. Hier fällt der Lichtabfall zum Bildrand erstaunlicherweise wieder etwas ungünstiger im Vergleich zum Vorgänger aus. Die Wölbung der Bildschalen und der Astigmatismus sind zwar verringert, verharren aber nach heutigem Verständnis auf einem merklichen Niveau. Nicht unerheblich ist auch der Wert der Blendendifferenz, zumal er im roten Spektralbereich auch noch ausbricht. Im Anbetracht der um 1950 zur Verfügung stehenden Filmmaterialien waren das aber eine vollkommen ausreichende Bildleistung, die damals auch hohe Ansprüche befriedigte.

Tessar Fehlerkurven

Die Abbildung oben zeigt uns die in der Literatur veröffentlichten Bildfehlerkurven des Tessars 2,8/50 mm in der Version von 1947 [nach Fincke]. Mit etwas Übung läßt sich aus ihnen ablesen, weshalb dieses Tessar nach heutigen Maßstäben bei offener Blende nicht das beste Objektiv der Welt ist, wieso diese Schwächen aber bereits bei leichter Abblendung weitgehend verschwinden. Die Kurve a) gibt die sphärische Aberration wieder sowie (gestrichelt) die Abweichung von der Sinusbedingung. Beide Kurven liegen übereinander, was sehr wünschenswert ist. Nicht verwirren lassen sollte man sich dadurch, daß alle Zahlenangaben hier auf eine Brennweite von 100 mm bezogen sind, was schlichtweg eine Konvention darstellt, um Längen in Millimeter als Prozent der Brennweite ausdrücken zu können. Die sogenannte Einfallshöhe des Lichtbündels, die auf beiden Seiten der y-Achse je etwa 17,5 mm beträgt, also zusammengenommen etwa 35 mm, paßt nun geradewegs etwa 2,8 mal in die Brennweite von 100 mm, woraus sich die bekannte Lichtstärke unseres Tessars 2,8/50 ergibt. Auffällig ist nun, daß die Kurven in a) eine ziemliche Ausbeulung aufweisen, die der Photooptiker als Zonen bezeichnet. Der Punkt der schärfsten Abbildung liegt an diesen Stellen nicht genau auf der Bildebene (= y-Achse), wie das bei Lichteinfall entlang der optischen Achse (= x-Achse) der Fall ist, sondern der Schärfepunkt liegt bei einer Einfallshöhe von 15 mm reichlich 0,5 % VOR der Bildebene. Weil, wie oben erwähnt, die Brennweite des Tessars 2,8/50 auf 100 mm umgerechnet ist, sind das also auch reichlich 0,5 mm Abweichung bzw. reichlich 0,25 mm bezogen auf die tatsächliche Brennweite des Tessars von 50 mm. Wer gern mit Formeln hantiert, der kann sich die Größe des Unschärfekreises ausrechnen, der sich aus dieser Verschiebung des Schärfepunktes ergibt. Er überschreitet zwar noch nicht den für das Kleinbild zulässigen Wert, kommt ihm aber ziemlich nahe. Wichtig ist aber, daß diese Überlagerung des scharfen "Kern-Bildes" nur von solchen Lichtstrahlen hervorgerufen wird, die das Tessar in den äußersten Bereichen des Linsendurchmessers durchlaufen. Bei einer Abblendung auf 1:5,6 (entsprechend einer Einfallshöhe von etwa 9 mm) wird die sphärische Aberration hingegen rasch vernachlässigbar. Wie man erkennt, beginnt die Kurve erst oberhalb der 10-mm-Marke auszubrechen. Damit war der durchaus merkliche Restbetrag des Öffnungsfehlers dieses Tessars 2,8/50 in der Praxis nur bei denjenigen seltenen Gelegenheiten wirklich zu spüren, in denen einmal mit weitgeöffneter Blende photographiert wurde. Da das Tessar 2,8/50 spätestens ab Mitte der 60er Jahre eine Rolle als preiswertes Amateurobjektiv zugewiesen bekommen hatte, war seine Charakteristik, daß es erst bei leichter Abblendung richtig leistungsfähig wird, völlig unproblematisch.

Diese Eigenart des kräftigen Leistungsanstiegs beim Abblenden wird auch noch einmal in diesen beiden MTF-Diagrammen deutlich, wo das Tessar 2,8/50 mm dem zeitgenössischen Meritar 2,9/50 mm von Ludwig gegenübergestellt ist. Die Aussagekraft solcher Diagramme ist immer begrenzt, zumal die hier zu sehende Darstellung aus den frühen 70er Jahren stark von der heute üblichen abweicht, weil die Kontrastübertragung in Abhängigkeit von der sog. Ortsfrequenz abgetragen ist, während heutzutage für 3...4 feste Frequenzen die Kontrastleistung in Abhängigkeit von der Bildhöhe dargestellt wird. Aufschlußreich sind die beiden Diagramme aber deshalb, wiel sie ja mit demselben Meßverfahren ermittelt wurden und daher einen direkten Vergleich beider Objektive ermöglichen. Man erkennt, daß das Meritar das damals übliche "Schärfekriterium" 40 Linien je Millimeter bei 40 Prozent Kontrast selbst bei Abblendung nur geradeso überschreitet. Während das Tessar 2,8/50 bei offener Blende ebenfalls sehr schwache Leistungen zeigt, kann man sehr gut den kräftigen Zuwachs bei Abblendung um zwei Stufen erkennen. Vergleicht man die Kurven des Tessars allerdings mit denjenigen, die zum Beispiel auf der entsprechenden Seite für das Oreston 1,8/50 mm angegeben sind, so erkennt man, daß ein solcher Gaußtyp bei Abblendung noch einmal deutlich besser wird als das an die Grenzen seiner Leistung gebrachte Tessar 1:2,8. Positiv fallen beim Tessar jedoch die eng beieinander liegenden Kurven für Mitte und Rand auf, die in der Praxis eine gleichmäßige Verteilung der Schärfe über das Bildfeld hinweg erwarten lassen.

Tessar 2,8/50 Springblende

Während man im Hinblick auf den optischen Aufbau für die nächsten vier Jahrzehnte auf dem Stand von 1947 verharrte, gehört zur Geschichte des Tessares 2,8/50 mm andererseits die ständige Weiterentwicklung der Objektivfassung, die es erlaubte, dieses berühmte Objektiv stets auf dem Stand der zugehörigen Kameras zu halten. Der erste Schritt war die Einführung einer sogenannten Vorwahlblende, die ab August 1951 erstmals geliefert wurde. Ein Vorwahlring konnte auf eine bestimmte Blendenzahl eingerastet werden und dann konnte der Blendenring ohne hinzusehen einfach bis zu diesem mechanischen Anschlag zugedreht werden. Um den Anwender auch auch noch von dieser Manipulation zu entlasten, wurde die sogenannte Springblende eingeführt (später als Halbautomatische Springblende bezeichnet). Mit einem Spannhebel mußte die Blende geöffnet werden bis sie einrastete. Beim Druck auf den Auslösearm sprang sie kurz vor der Aufnahme auf den Arbeitswert zu. Diese Einrichtung wurde im Februar 1953 erstmals für die neue Praktina FX eingeführt, etwas später auch für die Exakta. Die oben gezeigte Form der Springblende, bei der kein zusätzlicher Spannhebel mehr vorhanden war, sondern der Blendenring nur bis zum Anschlag auf den größten Öffnungswert gedreht werden mußte, wurde im Jahre 1952 im VEB Zeiss Ikon entwickelt [DDR-Patent Nr. 10752 vom 3. Mai 1952]. Sie wurde ab Oktober 1955 für die kommende  Praktica FX2 gefertigt, die mit einer dafür notwendigen Auslösewippe im Spiegelkasten versehen war. Kurz darauf wurde auch die Contax F mit diesem Mechanismus gelieferte. Gegenüber der zur selben Zeit eingeführten Druckblende lag der Vorteil dieses Systems darin, daß der Auslöser kaum mit einer zusätzlichen Kraft belastet wurde. Als Nachteil ergab sich aber, daß nach jeder Verschlußauslösung die Blende stets wieder manuell geöffnet werden mußte. Daher Halbautomatische Springblende.

Oben: Der Inbegriff des Tessartyps ist für viele Amateurphotographen das Tessar 2,8/50 mm. Es wurde in die einfache Beltica genau so eingebaut wie in die Spitzenmodelle der Werra-Reihe. Selbst für die Praktina IIA - mit dem Tessar immerhin sechs mal so teuer wie die Beltica II - war dieses Objektiv in Hinblick auf die Abbildungsleistung damals auf dem nötigen Niveau. Wichtig ist aber, daß das Tessar wiederum auch mechanisch mit der Zeit ging. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre war das Tessar 2,8/50 eines der ersten Objektive weltweit, das mit Vollautomatischer Springblende (ASB) versehen wurde, bei der kein zusätzliches Spannen mehr nötig war. Auch der rastende Blendenring mit konstanten Abständen zwischen den Blendenwerten war eine unerhörte Neuheit, die uns heute nur deshalb kaum spektakulär vorkommt, weil das später alle Hersteller so nachgebaut haben.

Prakticar 2,8/50 mm

Im oben gezeigten Prakticar 2,8/50 mm steckt auch ein Tessar, und zwar dasjenige vom Oktober 1947. Das Besondere ist aber, daß dessen Gläser hier – und auch nur hier! – mehrschichtvergütet gewesen sind. Das nur in geringen Stückzahlen gefertigte Prakticar 2,8/50 stellt also die höchste Entwicklungsstufe des Jenaer Tessars 2,8/50 dar. Das spiegelte sich freilich auch im Preise wieder. Kostete das Tessar 2,8/50 mit Druckblende für die Praktica MTL oder die Exa Ib 140,- Mark, so hatte sich dessen Preis als Prakticar mit 320,- Mark mehr als verdoppelt. Da das Kombinat Pentacon mit Erscheinen der B-Reihe ein seit zehn Jahren in der Schublade liegendes Projekt für ein Prakticar 2,4/50 wieder hervorholte und dieses Objektiv durch Auftragsfertigung bei IOR in Bukarest zudem im Preis auf 275,- Mark gedrückt werden konnte, wurde das Saalfelder Prakticar 2,8/50 rasch eingestellt. Schon als die Auslieferung der Praktica B100 begann, befand es sich bereits im Abverkauf. Nur 2600 Stück waren bis dahin entstanden.

Bislang völlig unbekannt war, daß offenbar Restbestände des Tessares 2,8/50 mm noch NACH der Deutschen Wiedervereinigung in den Handel gelangten. Anders ist weder die Aufschrift "Made in Germany" zu erklären, noch die völlig von allen Schemata abweichende Seriennummer 0417. Es ist sehr wahrscheinlich, daß für Reparaturzwecke noch auf Lager liegende Teile montiert und evtl. durch die Nachfolgefirma Docter abverkauft wurden. Bild: Felix Heil

Querfehler, Farbkoma & Co. neue Qualitätsmaßstäbe nach 1945

Die Photographie wurde gerade Einhundert Jahre alt, als in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre "Kodachrom(e)" und "Agfacolor neu" noch einmal für ganz frischen Wind sorgten: Farbaufnahmen für Jedermann waren plötzlich möglich geworden. Und das in einer erstaunlichen Bildqualität mit wirklich leuchtenden Farben und einem ganz feinen Auflösungsvermögen. Dabei unterschied sich die Handhabung dieser Farbfilme nicht von den bisherigen Materialien, prinzipiell war jede Kamera geeignet und der Agfacolorfilm erreichte noch vor Kriegsausbruch die damals als Standard geltende Lichtempfindlichkeit von etwa 15 DIN. Doch mit dieser Verbreitung der Farbphotographie stellten sich auf einmal auch neue Qualitätsfragen für die Konstrukteure lichtstarker Spitzenobjektive. Denn ist es schon schwierig genug, ein lichtstarkes Objektiv mit einem großen Bildwinkel zu konstruieren, so kommt noch erschwerend hinzu, daß diese Bildfehler auch mit der Farbe des Lichtes variieren.

chromatische Längs- und Querabweichung

Oben ist einmal versucht darzustellen, wie sich die chromatische Längs- und Querabweichung auswirken [nach Fincke]. Ein chromatisch unkorrigiertes Objektiv (a) hat die einzelnen farbigen Abbilder an verschiedenen Orten (weil die Farben unterschiedlichen Schnittweiten haben) und in verschiedenen Größen (weil für die Farben unterschiedliche Brennweiten wirksam sind). Der Farblängsfehler macht sich hauptsächlich in der Bildmitte bemerkbar, während der Farbquerfehler mit wachsendem Bildwinkel immer mehr zum Problem wird. Wenigstens für den blauen bis gelben Spektralbereich muß man diese chromatischen Fehler gut beheben, in dem man zuerst die Lage der Farben längs der optischen Achse zusammenlegt (b) und zweitens dann die farbigen Bilder möglichst gleichgroß werden läßt (c).

Um einen weiteren Eindruck davon zu bekommen, wie es sprunghaft schwieriger wird, wenn ein Objektiv mit einer bestimmten Bildwinkelleistung zugleich möglichst lichtstark gemacht werden soll, muß man sich über die Existenz eines Abbildungsfehlers namens Koma im klaren sein. Es ist leider so, daß der überwiegende Teil des Lichtes, das von unserem Objektiv zur Abbildung gebracht wird, nicht als dünner Strahl entlang der optischen Achse einfällt, sondern eben gemäß dem Bildwinkel schräg dazu und bei offener Blende eben als regelrechtes Büschel an Lichtstrahlen. Aufgrund dieser Tatsache sind die parallel zum Hauptstrahl einfallenden Komastrahlen (-2 bis +2) in einem unterschiedlichen Ausmaß mit sphärischer Aberration behaftet. Die Folge sind asymmetrisch verwischte Schleier (Zerstreuungsfiguren) auf der Bildebene, die diesem Abbildungsfehler den Namen geben.


Ohne daß hier an dieser Stelle noch weiter auf diese Erscheinungen eingegangen werden kann, da man ab einem gewissen Punkt nicht mehr ohne unverständliche mathematische Formulierungen auskommt, sei noch angemerkt, daß bei hochwertigen Objektiven, die vor allem auch in der Farbphotographie Spitzenleistungen bringen sollen, es nicht mehr genügt, die Koma nur noch für monochromatisches Licht zu verfolgen. Vielmehr variieren auch diese Bildfehler der schief einfallenden Lichtbüschel mit der farblichen Zusammensetzung des Lichtes, was in der Fachliteratur mit den Begriffen Farbkoma und Farbquerfehler der Hauptstrahlen zum Ausdruck gebracht wird. Im Abschnitt 5.5 wird im Zusammenhang mit dem Tessar 2,8/80 mm dazu noch eine Kurvendarstellung geliefert.

Tessar sphärische Querabweichung

Oben ist der Erfolg der qualitativen Verbesserung des Tessars in der Zeit um 1930 und nach 1945 in Form von Kurven für die Querabweichungen dargestellt  einem Konglomerat aus sphärischer Aberration und meridionaler Koma. Als Referenz dient das Tessar 1:6,3 von 1902. Auf der x-Achse ist der Tangens des halben bildseitigen Bildwinkels δ' (= kleines Delta) und auf der y-Achse Δy' (= großes Delta) als Querabweichung in der besten Einstellebene angegeben. Alle Zahlenwerte verstehen sich auf eine Brennweite von 100 mm bezogen. Anmerkung: Beim Tessar 4,5 muß es statt 1939 sicherlich 1929 heißen. Ganz unten vergleicht Harry Zöllner sein verbessertes Tessar 2,8/50 von 1947 mit dem Vorgänger von Willy Merté aus dem Jahre 1931. [nach Zöllner, Harry: 70 Jahre Tessar; in: Fotografie 4/1972, S. 33.].

5.3 Neue Tessare 1:3,5?

Nachdem Mitte der 1920er Jahre das Tessar 1:3,5 mit einem für Normalobjektive nötigen Bildwinkel eingeführt worden war (siehe Abschnitt 3.1.1), hatte sich speziell diese Tessar-Ausführungsform während der 1930er Jahre als größter Verkaufserfolg der Jenaer-Photosparte entwickelt. Diese zentrale Rolle betrifft dabei nicht allein die bloße Zahl der hergestellten Mengen, sondern auch das Prestige, das mit diesen Objektiven verbunden war. Diese Tessare 1:3,5 gehörten einfach zur Spitzenausstattung vieler neuer Kleinbild- und Rollfilm-Kameras, die ihrerseits die bisherigen Plattenkameras binnen kürzester Zeit fast vollständig aus den Geschäften verdrängt hatten. Es sollte daher nicht verwundern, wenn genau diese Tessarausführung nun auch nach dem Krieg beim Wiederanlaufen der deutschen Photoindustrie eine große Rolle spielte.

Tessare 1:3,5 1947/48

Nach dem Erfolg mit dem neuen Tessar 2,8/5 cm hatte man sich in der Abteilung Photo offenbar erhofft, auch bei den Tessaren 1:3,5 eine substantielle qualitative Verbesserung durch den Einsatz neuer Gläser erreichen zu können. So wurde zum 6. November 1947 mit dem Versuch V19 das Tessar 3,5/5 cm mit neuen Gläsern berechnet und zum 11. November das Tessar 3,5/3,75 cm für die Tenax/Taxona. Wirklich neu war dabei nur das Tiefflint in der einzeln stehenden Zerstreuungslinse, das hier mit dem Typ F17 sogar noch etwas niedriger brechend war als das F16 beim Tessar 2,8/5 cm (Brechzahl 1,5823 versus 1,5995). In Verbindung mit dem Schwerkron SK18 (n = 1,6385) in der vorderen und dem  Schwerstkron SSK5 (n = 1,6584) in der hinteren Sammellinse wird dieser Konstruktionsansatz wohl ziemlich vielversprechend gewesen sein. So wurde etwa ein Vierteljahr später im Februar 1948 mit dem Versuch V24 auch das Tessar 3,5/7,5 cm für das Format 6x6 und mit Versuch V29 das Tessar 3,5/10,5 für das Format 6x9 auf dieser Basis neu berechnet. Um es vorweg zu nehmen: Nach heutigem Wissensstand ist keine dieser Versuchsrechnungen jemals in die Serienfertigung gelangt.

Datenblatt Tessar 3,5/7,5 cm

Am Beispiel des Tessars 3,5/7,5 cm läßt sich nun zeigen, was dagegen tatsächlich gefertigt wurde. Es existiert für dieses 6x6-Normalobjektiv ein Rechnungsabschluß vom 28. Mai 1947, für den jedoch gar keine Versuchsrechnungen nachweisbar sind. Ein Blick auf die im zugehörigen Datenblatt angegebenen Glasarten läßt sofort erkennen, daß der hier verwendete Aufbau dem im Reichspatent Nr. 463.739 von 1926 geschützten Tessar 1:3,5 mit vergrößertem Bildwinkel entspricht, so wie es Abschnitt 3.1.1 dargestellt wurde. Es wurde also ganz offensichtlich der bewährte Typ, auf dem auch die bisherige Rechnung vom Juni 1934 basierte, weiter gebaut. Für viele dieser bereits seit etlichen Jahren im Fertigungsprogramm befindlichen Objektive wurden im Frühjahr und Sommer 1947 einfach nur neue Datenblätter angelegt und aus bisher nicht genau nachvollziehbaren Gründen wurde mal ein neues Abschlußdatum vergeben und ein anderes mal eben nicht.

Tessar 3,5/75 mm

Diese Deutung der vorliegenden Unterlagen deckt sich auch mit der Aussage von Dr. Zöllner in einer Besprechung am 12. November 1947, wonach die Konstruktion des Tessares 3,5/7,5 zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen sei [vgl. die im Abschnitt 5.2 wiedergegebene Gesprächsniederschrift vom 12. November 1947]. Diese Rechnung vom 28. Mai 1947 ist dann bereits im August 1947 in Produktion gegangen und das erste Fertigungslos von immerhin 3000 Stück wurde exklusiv an die Firma Franke & Heidecke in Braunschweig geliefert. Deren Rolleiflex galt neben der Leica damals als die begehrenswerteste Kamera des Weltmarktes und sie konnte in großen Stückzahlen in die USA abgesetzt werden. Zweiter Hauptabnehmer des Tessares 3,5/7,5 cm war die Zeiss Ikon AG in Stuttgart, die dieses Objektiv für ihre Super Ikonta und die Ikoflex benötigte. Auf diese Weise wurden daher zwischen 1947 und 1951 mehr als 50.000 Stück des Tessares 3,5/7,5 cm in die westlichen Besatzungszonen bzw. in die junge Bundesrepublik geliefert.

Tessar 3,5/7,5 cm 1948

Für das Tessar 3,5/7,5 cm wiederholte sich nicht, was beim neuen Tessar 2,8/5 cm so viel Erfolg gebracht hatte: Auf moderne Schwerkron-Gläser und auf das Tiefflint des Versuchs V24 vom 18. Februar 1948 wurde zugunsten des bewährten Aufbaus verzichtet. Als kommendes Spitzenobjektiv setzte man dagegen in Jena bald auf das neue Biometar.

Rolleiflex Tessar

Oben ist zweimal der Rolleiflex Automat gezeigt; links das Modell kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, rechts das nur geringfügig veränderte Modell aus der Nachkriegszeit. Beide sind mit einem Tessar 3,5/75 mm ausgestattet; links von Zeiss Jena, rechts von Zeiss-Opton. Anhand der Jenaer Fertigungsunterlagen läßt sich nachweisen, daß die Lieferung des Tessares 3,5/75 mm aus der DDR ind die Bundesrepublik im Sommer 1951 plötzlich abbricht. Offenbar war zu diesem Zeitpunkt der Objektivbau in Oberkochen so weit angelaufen, daß auch Franke & Heidecke nicht mehr auf "Lieferungen aus der Zone" angewiesen war. Dabei hat sich immer die Frage gestellt, ob dieser Abbruch der Beziehungen zu Jena rein politische Gründe hatte oder aber eine angebliche Unzuverlässigkeit Jenas ausschlaggebend war. Anhand der Quellenüberlieferung läßt sich jedenfalls nachweisen, daß zwischen August 1947 und August 1951 immerhin 43.500 Tessare 3,5/75 speziell für die Rolleiflex geliefert worden waren. Das war angesichts der großen Nachfrage nach der Rolleiflex möglicherweise nicht genug, was auch die damals begonnene Zusammenarbeit Franke & Heideckes mit Schneider Kreuznach erklärt. 

Seit den Währungsreformen vom Sommer 1948 und spätestens seit Gründung zweier getrennter deutscher Staaten war der wirtschaftliche Austausch über die sogenannte Zonengrenze hinweg immer schwieriger geworden. Auf beiden Seiten begann man, sich möglichst voneinander unabhängig zu machen. Die in Oberkochen sukzessive aufgebauten Produktionskapazitäten sorgten Anfang der 50er Jahre in Jena nun dafür, daß der Export in die Bundesrepublik ziemlich abrupt abbrach und sich deswegen große Lagerbestände an nicht verkaufbaren Erzeugnissen anstauten - auch im Bereich Photo [Vgl. CIA-RDP82-00457R014000020002-6 vom 29. September 1952]. "[...] deliveries to West Germany and the Western countries have stopped almost entirely. This is due to the East-West trade restrictions and the fact that Zeiss-Opton in West Germany has reached the stage where it is in active competition in many respects with Zeiss Jena."

Auch wenn die Kurven für die Modulationsübertragung dieses Tessars 3,5/75 mm nur einen bescheidenen Eindruck hinterlassen (oben), so handelt es sich in der Praxis dennoch um ein ganz hervorragendes Universalobjektiv für das Mittelformat 6x6. Wie bei dem Bildbeispiel unten auf 1:5,6 abgeblendet, lassen sich zumindest Aufnahmen auf Schwarzweißfilm nicht von denjenigen unterscheiden, die mit den viel aufwendigeren 5-; 6- oder gar 7-linsigen Normalobjektiven der späteren Zeit angefertigt worden sind.

Rolleiflex Tessar 75 mm

Einen Eindruck davon, weshalb diese neuen Tessare 1:3,5 mit Tiefflint in der einzeln stehenden Zerstreuungslinse offenbar allesamt nie in die Produktion überführt worden sind, vermittelt uns der unten gezeigte Prüfbericht zum Tessar 3,5/10,5 cm nach Versuch V29 vom 27. Februar 1948 [Sammlung Benedix]. Zunächst verwundert das Datum des Berichtes vom 26. April 1957. Zu diesem Zeitpunkt war die Herstellung des Tessars 3,5/105 mm gerade ausgelaufen, weil die zugehörigen Kameras Ercona/Exona nach dem Zusammenbruch des VEB Zeiss Ikon endgültig aus dem Programm genommen worden waren. Niemand wollte diese antiquierten 6x9 Faltkameras damals mehr kaufen. Es ist also unklar, weshalb man sich zu diesem Zeitpunkt noch einmal mit der seit neun Jahren auf Eis liegenden Konstruktion befaßte.

Doch der Prüfbericht zeigt ziemlich eindeutig, daß im Grunde genommen auch mit dem Einsatz neuer Gläser kaum noch substantielle Verbesserungen erzielbar waren. Zwar verblüfft der bei den Musterobjektiven fast nicht mehr vorhandene Astigmatismus und die gegenüber der Rechnung vom 26. Mai 1936 nochmals verbesserte Auflösung. Aber geradezu katastrophal fiel bei beiden Versionen der Verlust an Bildhelligkeit aus, der in den Ecken nur noch ein Fünftel der Lichtmenge in der Bildmitte betrug. Bei den seit der Zwischenkriegszeit üblichen Schwarzweiß-Rollfilmen mit doppelschichtiger Emulsion, wie zum Beispiel dem Agfa Isopan F, die alle einen sehr großen Belichtungsspielraum aufwiesen, fiel dieser Lichtabfall um mehr als zwei Blendenstufen kaum ins Gewicht. Ein Farbfilm jedoch, wie er nun in den 1950er Jahren von jedem Amateur gekauft werden konnte, wird darauf sicherlich mit kräftigem Farbkippen reagiert haben. Doch für Farbaufnahmen war dieser Kameratyp ohnehin ungeeignet. Farbnegativfilme für Papierbilder waren damals bei Amateuren noch unüblich. Und was sollte man mit 6x9-Diapositiven anfangen?

Tessar 3,5/10,5 nach V29

Die theoretisch vorausberechneten Verbesserungen durch den Einsatz der neuen Glasarten, die anhand der beiden Musterobjektive [Bilder Sammlung Benedix] tatsächlich auch deutlich in der meßtechnischen Untersuchung zum Ausdruck kamen, rechtfertigten wohl nicht, die alte Rechnung gegenüber der neuen aufzugeben. Immerhin hätte der Einsatz des Tiefflint-Glases, das nicht gepreßt werden konnte, zu einer nicht unbeträchtlichen Kostensteigerung geführt. Und anders als die Rolleiflex der Braunschweiger Firma Franke & Heidecke gehörte die Ercona des VEB Zeiss Ikon nicht zu den Spitzenprodukten des Weltmarktes. Es blieb daher bei der Konstruktion von 1936, bis die Produktion zu Jahresbeginn 1957 ersatzlos auslief. Knapp 50.000 Tessare 3,5/105 mm waren seit 1947 immerhin gebaut worden. Man hat fast den Eindruck, das Photorechenbüro unter Harry Zöllner erachtete schon seit 1948 das Tessar 1:3,5 im Grunde genommen als nicht mehr substantiell weiterentwicklungsfähig.

Auch für die Primarflex wurde das Tessar 3,5/105 mm, solange diese Kamera noch existierte, weiterhin als bevorzugtes Normalobjektiv geliefert. Hier konnte diese Brennweite ihre Vorteile deutlich ausspielen, weil im Format 6x6 cm statt 105 mm Bildkreis nur 80 mm genutzt wurden. Das sind aber nur 41,7 statt 54 Grad Bildwinkel, weshalb über das gesamte Bildfeld eine sehr gute Leistung erreicht wurde. Auch bei dem oben gezeigten, sehr späten Exemplar aus der letzten Bauserie vom Sommer 1953, das bereits eine Einrichtung zur Blendenvorwahl besitzt, blieb es bei der Rechnung vom 30. Mai 1936.

Tessar 3,5/105 mm Primarflex

Es ist schon paradox: Während vor ziemlich genau einhundert Jahren Herren wie Wandersleb und Merté inklusive all ihrer Rechenassistenten über Monate hinweg schier endlose Zahlenkolonnen auf hunderte Seiten Papier geschrieben haben, nur zu dem Zweck, um genau in der Einstellebene eine möglichst scharfe Abbildung eines Objektpunkts zu erzielen, interessieren sich photographische Praktiker der heutigen Zeit oftmals eher dafür, in welcher möglichst harmonischen Form ihr altes Objektiv gerade die unscharfen Bildteile außerhalb dieser Einstellebene wiedergibt. Das obige Tessar 3,5/105 mm bei voller Öffnung, Primarflex II, Fortepan 100.

Tessar 3,5/37,5 mm

Auch beim Tessar 3,5/37,5 mm erfolgte offenbar keine Fertigung nach der neuen Versuchsrechnung V20 vom 11. November 1947. Stattdessen wurde eine Rechnung vom 4. Juli 1946 gefertigt, die offenbar wiederum nur eine Rekonstruktion der bisher verwendeten vom 5. Oktober 1937 gewesen sein dürfte. Dieses Objektiv wurde für die Bestückung der Tenax benötigt, die nun als Taxona neu herausgebracht werden sollte. Mitte Oktober 1947 ging das erste Produktionslos in die Endfertigung. Dasselbe Objektiv wurde später auch für die Belplasca verwendet, deren etwas größeres Format 24x29 mm eine Diagonale aufwies, die genau der Größe der Brennweite dieses Tessares entsprach.

Praktiflex M42

Auch das erfolgreiche Tessar 3,5/5 cm war zwar neu berechnet worden, wurde dann aber trotzdem nach der alten Rechnung aus den 1930er Jahren weiter gebaut. Schon unmittelbar nach der Demontage war ab März 1947 die Fabrikation dieses dringend benötigten Objektivs fortgesetzt worden, um die wieder anlaufende Fertigung von Sucher- und Spiegelreflexkameras mit einem Normalobjektiv mittlerer Preislage ausrüsten zu können. Das oben gezeigte Exemplar vom März 1948 repräsentiert dabei eines der ersten Objektive mit dem neuen M42-Gewinde (genaugenommen ist es wohl das siebenundsiebzigste). Der international als Praktica- oder Pentax-Gewinde bekannte M42-Standard sollte eigentlich "Praktiflex-Gewinde" heißen.

Dieses stattliche Tessar 3,5/165 wurde in einer Fassung für die Primarflex in vergleichsweise großen Stückzahlen gebaut. Auch dabei handelt es sich um eine ziemlich betagte Konstruktion aus dem Jahre 1926, die für das Großformat 9x12 bzw. 10x15 gedacht war und daher 6x6-Format mit erstaunlich guter Qualität ausleuchtet. Mit dem Auslaufen der Produktion der Primarflex und der Meister-Korelle 1951 oder 52 endete auch hier die Produktion ersatzlos. Die Tessare 1:3,5 verschwanden im Laufe der 1950er Jahre zunächst aus dem Fertigungsprogramm des Jenaer Objektivherstellers.

Vergleich Tessar 3,5/5 cm und 2,8/5 cm von 1947

Oben ist zur Verdeutlichung des neuen Konstruktionsansatzes für verbesserte Tessare im Rechenbüro Zöllners nach dem Zweiten Weltkrieg der Glaseinsatz des in Produktion gegangenen Tessars 2,8/5 cm des nicht produzierten Tessars 3,5/5 cm dargestellt.

Tessar Glasarten 1947/48

Um diese Tessar-Entwicklungen der Jahre 1947/48 noch etwas besser einordnen zu können, ist oben ein Auszug aus dem Übersichtsplan für die damals lieferbaren optischen Glasarten wiedergegeben. Rot sind die Gläser SK16, SK18, SSK5 und BaF10 markiert, blau das neue Doppelleichtflint LLF8 sowie die beiden ebenfalls neuen Tiefflinte F16 und F17. Durch diese Art der Visualisierung läßt sich auch dem Laien ein Eindruck davon vermitteln, wie all diese Gläser durchweg in den unteren und den oberen Extrembereichen des "Glaskontinents" angesiedelt waren. Und mit extremen Gläsern ließen sich eben auch höchste optische Anforderungen erfüllen.

5.4 Erneute Versuche zur Steigerung der Lichtstärke des Tessares

In Abschnitt 4 wurde berichtet, wie in den 1930er Jahren im Rechenbüro Mertés und Wanderslebs Versuche unternommen worden waren, die Lichtstärke des Tessartyps über den Wert 1:2,8 hinaus anzuheben. Auch direkt nach dem Zweiten Weltkrieg hat es nicht an Bestrebungen gefehlt, den Tessartyp über diese Grenze hinauszubringen. Zu verlockend war der vergleichsweise einfache Aufbau dieses Objektivs. Außerdem hat das Tessar als Tripletabkömmling gegenüber dem Gaußtyp einen entscheidenden Vorteil: die hintere Hauptebene, von der ab sich die Brennweite bemißt, liegt innerhalb der hinteren sammelnden Komponente, weshalb sich ganz von selbst eine für Spiegelreflexanwendungen ausreichend lange Schnittweite ergibt. Das ist das ein nicht von der Hand zu weisender Vorteil angesichts der großen Schwierigkeiten, die demgegenüber der Doppelgauß in dieser Hinsicht bereitete.

Tessar 2/5 cm

Mit den asphärischen Tessar-Versuchen der 30er Jahre hat das hier zu sehende Tessar 1:2/5 cm [Bilder: Stefan Baumgartner] allerdings nichts zu tun. Der Hintergrund war ein anderer: Der Zeiss-Mitarbeiter Fritz Disep (bekannt als Schöpfer des Apo-Germinars) hatte während seiner Kriegsgefangenschaft den Konstruktionseinfall, die Anordnung von Zerstreuungs- und Sammellinse im hinteren Systemteil des Tessares umzukehren, wodurch gleichzeitig der Radius der Kittfläche nicht mehr wie sonst zur Blende erhaben und Richtung Bild hohl ausgerichtet war, sondern genau umgekehrt. Dem unten gezeigten Dokument zufolge [Sammlung Benedix] wußte Herr Disep nichts davon, daß Willy Merté diese Idee bereits in den 1920er Jahren gehabt und bei einer seiner Entwicklungsansätze für das Tessar 1:2,7 angewandt hatte (siehe Abschnitt 3.1.3).

Mit dieser Umkehrung der Kittfläche beim Tessar ließ sich die sphärische Abweichung besser in den Griff bekommen, was sicherlich schon Merté 25 Jahre zuvor aufgefallen war. Diese Eigenschaft wiederum ist eine der wichtigsten Vorratssetzungen, wenn bei einem bestehenden Objektivtyp die Lichtstärke angehoben werden soll. Basierend auf diesem Konstruktionsgedanken Diseps wurde unter der Nummer V25 am 14. Januar 1948 die Rechnung für ein Tessar 2,8/5 cm abgeschlossen und jenes anschließend mit dem alten und neuen Tessar 2,8/5 cm mit üblicher Ausrichtung des bildseitigen Kittgliedes verglichen. Wie aus dem oben wiedergegebenen Prüfbericht ersichtlich ist, hatte dieses Objektiv zwar eine außergewöhnlich gute Bildleistung in der Mitte, über das Feld hinweg war das Auflösungsvermögen aber ungünstiger – ebenso wie der Bildkontrast. Ausschlaggebend dafür, weshalb der Versuch V18 gegenüber diesem Versuch V25 den Vorzug erhielt, war jedoch hauptsächlich die stärker gekrümmte Kittfläche des letzteren, die in der Fertigung aufwendiger war.

Tessar 2/50 Versuch 49

Aus dem letzten Absatz dieses Prüfberichtes erfahren wir einerseits, daß dieser Versuch V25 kurzzeitig als Ansatz für ein Tessar 2,8/8 cm für die Rolleiflex hergenommen wurde (siehe dazu Abschnitt 5.5). Zweites nutzte man den geringen Kugelgestaltsfehler dahingehend aus, um die Lichtstärke auf 1:2,0 anzuheben. Diese Rechnung wurde am 12. August 1948 abgeschlossen. Wie eingangs erwähnt, ließ sich auf diese Weise problemlos eine Schnittweite erzielen, die 78 Prozent der Brennweite betrug. Beim Gaußtyp mußte dagegen viel Aufwand betrieben werden, um knapp über 70 Prozent zu erreichen. In der Frontlinse wurde das neue Lanthan-Schwerkron SK21 und in der einzeln stehenden Zerstreuungslinse das Tiefflint F16 verwendet.

Tessar asphärisch exakta

Offenbar zegte dieser Versuch V49 aber keine befriedigende Bildleistung. Der unten zu sehende Prototyp eines Tessares 2/50 mm mit der Seriennummer 3.543.297 [Bild: Nico Schulze] ist jedoch ein Beleg dafür, daß die Arbeiten an derartigen Tessaren mit erhöhter Lichtstärke auch noch mehr als zwei Jahre später nicht aufgegeben worden waren. Denn dieses Versuchsobjektiv Nr. V93 wurde am 23. Oktober 1950 gerechnet und gelangte am 15. Dezember 1950 in die Fertigung. Mittlerweile waren die Glasoberflächen allesamt mit einem Transparenzbelag versehen.

Tessar 2/50 Versuch
Tessar 2/50 Versuch 93

Das Linsenschnittbild oben [Sammlung Benedix] beweist, daß auch dieses Versuchsobjektiv noch auf Diseps Ansatz mit der umgekehrten Kittfläche beruhte. Hier ist diese Kittgruppe jedoch dreiteilig ausgeführt, indem ein zerstreuender Minus zwischen den beiden Hälften des Achromaten eingefügt wurde. Auf diese Weise wurde der eigentlich durch seinen einfachen Aufbau gekennzeichnete Tessartyp jedoch über alle Maßen verkompliziert. Keines der hier gezeigten Beispiele erreichte daher Serienwirksamkeit. Im darauffolgenden Jahr wurde mit der Entwicklung eines Doppelaußobjektivs begonnen, das im späteren Flexon/Pancolar 2/50 mm mündete.

5.5 Doch noch Lanthan-Kron: Ein neues Tessar 2,8/80 mm

Die Tessare 1:2,8 waren bereits bei ihrem ersten Erscheinen Anfang der 1930er Jahre ziemlich mit Kompromissen behaftet gewesen. Doch solche Kompromisse mußten eingegangen werden, wenn man mit seinen Produkten im schnellebigen Photomarkt konkurrenzfähig bleiben wollte. Die Firma Leitz Wetzlar beispielsweise hatte für die Leica ein Hektor 2,5/5 cm herausgebracht ein Objektiv, das dem Anwender schon sehr viel an Weitherzigkeit abverlangte. Es verschwand daher auch schnell wieder aus dem Angebot. Was jedoch blieb, das war das von diesem Erzeugnis gesetzte Lichtstärke-Niveau, das den Käufern im Gedächtnis blieb. Und es fällt geradezu ins Auge, wie sich als Reaktion darauf die konkurrierenden Kameraersteller nun offenbar an die Abteilung Photo des Zeisswerkes gewendet haben: Wir brauchen auch so ein lichtstarkes Objektiv. Für die neue Baby-Rolleiflex 4x4 wurde am 8. Oktober 1931 ein Tessar 2,8/6 cm abgeschlossen, für die Exakta 4x6,5  am 18. Januar 1932 ein Tessar 2,8/7,5 cm und schließlich am 27. Januar 1933 die Rechnung für ein Tessar 2,8/8 cm für das Mittelformat 6x6.

Datenblatt Tessar 2,8/8 cm 1933

Oben ist dieses Tessar 2,8/8 cm nach Rechnung vom 27. Januar 1933 auf einem im Juli 1947 neu angefertigten Datenblatt gezeigt [Sammlung Benedix]. Mit der Glasfolge SK10, F4, LF5 und BaF10 war es genau so aufgebaut, wie das im Anschnitt 3.2.1 beschriebene "Kontax-Tessar" 2,8/5 cm. Dieses Tessar 2,8/8 cm war eigentlich exklusiv für die Rolleiflex 6x6 der Partnerfirma Franke & Heidecke geschaffen worden, doch die Arbeiten an diesem Projekt wurden 1934 schon nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Zwar hätte der Übergang zur nächstgrößeren Verschlußbaugröße eine weitgreifende Neukonstruktion der Kamera verlangt, doch war es gar nicht der technische Aufwand, der die Serienproduktion der Rolleiflex 2,8 damals noch vereitelte, sondern die als mangelhaft empfundene Abbildungsleistung dieses Tessares [Vgl. Prochnow, Rollei-Report, 1993, S. 190.].

Weitaus geringere Qualitätsbedenken scheint man dagegen damals in Stuttgart gehabt zu haben, wo ab 1934 die Zeiss Ikon Super Ikonta 6x6 in erstaunlich großen Stückzahlen mit diesem Tessar 2,8/8 cm versehen wurde. Aber auch die Reflex-Korelle wurde ab 1935 regelmäßig in drei- und sogar vierstelligen Stückzahlen mit diesem Objektiv ausgeliefert. Als wirklichen Angriff auf die eigene Marktnische muß man in Braunschweig dann aber die für das Frühjahr 1939 angekündigte Ikoflex III der Zeiss Ikon AG empfunden haben, die nicht nur denselben Bedienkomfort wie die Rolleiflex zu bieten hatte, sondern obendrein noch mit dem lichtstärkeren Tessar versehen war. Diese neue Konkurrenzlage muß bei Franke & Heidecke ein rasches Umdenken nach sich gezogen haben. Noch während des Jahresablaufs 1939 wurde die Konstruktion einer Rolleiflex 2,8 fertiggestellt, doch eine Serienfertigung kam wegen fehlender Werkzeuge vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht mehr in Gang [Vgl. Prochnow, Rollei-Report, 1993, S. 345.]. Wenig bekannt war bislang, daß bereits zwischen Januar und Juli 1939 mindestens 5000 Stück Tessare 2,8/8 cm bei Zeiss explizit für diese neue Rolleiflex in die Endfertigung gelangt waren, die nun allerdings für die nächsten zehn Jahre in Jena oder Braunschweig auf Lager liegen sollten, bevor die Rolleiflex 2,8 im Jahre 1949 wirklich in den Serienbau gelangte.

Tessar 2,8/8 cm Rolleiflex

Dieses Tessar 2,8/8 cm mit der Seriennummer 2.310.969 einer Rolleiflex A entstammt einem Produktionslos von 1000 Stück aus dem Januar 1939, das eigentlich für die Ikoflex ausgewiesen ist, dann aber offenbar an Franke & Heidecke geliefert wurde. Was dann mit dieser neuen Kamera und vor allem den vielen tausend bis zum Sommer 1939 bereits fertiggestellten Tessaren während des Krieges passiert ist, liegt ziemlich im Dunkeln. Man muß wohl vermuten daß einbaubereite Teile der neuen Kamera und eben auch diese Objektive bis 1949 auf Lager gelegen haben, bis diese dann tatsächlich montiert wurden und zur Auslieferung gelangten. Beachtenswert ist dabei die Vergütung dieses Exemplares, die mit Sicherheit nicht von 1939 stammt! Bild: SF Au.

Versuchentwicklung Tessar 2,8/80 mm
Tessar 2,8/8 cm 1947

Während dieser zehn Jahre war die bereits 1939 nicht mehr ganz frische Konstruktion natürlich noch weiter veraltet. So verwundert es nicht, daß in dem bereits im Abschnitt 5.2 wiedergegebenen Protokoll zu einer Besprechung vom 12. November 1947 von einem Ersatz des bisherigen Tessars 2,8/8 cm für die Rolleiflex K7 die Rede ist. Aus dieser Niederschrift wird deutlich, daß im November 1947 parallel sowohl an einer Verbesserung des vierlinsigen Tessars 2,8/8 cm als auch an einer fünflinsigen Neukonstruktion gearbeitet wurde, aus der später das Spitzenobjektiv "Biometar"  hervorgehen sollte.

Tessar 2,8/8 cm V16

Doch auch im Hinblick auf die klassische vierlinsige Tessarkonstruktion verliefen die Entwicklungsarbeiten im Jenaer Rechenbüro auf mehreren Gleisen parallel. Den Beginn der Bemühungen zu einer Leistungssteigerung verkörpert das oben gezeigte Datenblatt für ein Tessar 2,8/8 cm nach Versuch V16 vom 11. September 1947, bei dem SK18 in der vorderen und SSK5 in der hinteren Sammellinse verwendet wurde. Eine derartige Glaskombination hätten jedoch bereits in den 1930er Jahren Merté und Wandersleb einsetzen können, weshalb das Potential für einen nennenswerten Fortschritt von vornherein gering war. Ein zweiter Weg schien da vielversprechender:

Tesser 2,8/8 cm nach Versuch V51

Im vorhergegangenen Abschnitt 5.4 wurde mit dem Prüfbericht 3/48 vom 30. August 1948 ein Versuch V25 für einen Tessarentwurf von Fritz Disep vorgestellt, bei dem die Anordnung von Zerstreuungs- und Sammellinse im bildseitigen Kittglied umgedreht worden war. Am Ende dieses Prüfberichtes wurde ausgesagt, daß aus dem vielversprechenden Konstruktionsansatz einerseits ein Tessar 2/5 cm abgeleitet werden soll, als andererseits auch eine Version 2,8/8 cm für das Mittelformat. Letzteres wurde zum 11. Oktober 1948 mit dem Versuchsobjektiv V51 tatsächlich verwirklicht. Wie das zugehörige Datenblatt zeigt, wurde hier mit einem ganz ähnlichen Glaseinsatz gearbeitet.

Die bis hierhin bereits erzielten Ergebnisse mit den verschiedenen Lösungsansätzen für ein Objektiv 2,8/8 cm wurden mit dem oben gezeigten Prüfbericht Nr. 1/49 vom 15. Januar 1949 miteinander verglichen [Sammlung Benedix]. Während der Versuch V16 gar nicht weiter thematisiert wird, beziehen sich V26 und V50 auf den Fünflinser, aus dem später das Biometar werden wird. Und V51 ist der aus V25 entwickelte Tessartyp mit umgekehrtem Kittglied. In drei Punkten wird nun folgende Schlußfolgerung ausgeführt:


  1. Ein Tessar 2,8/8 cm nach dem Vorbild des neuen Tessares 2,8/5 cm durch Einsatz von Tiefflintgläsern zu verbessern wurde zu diesem Zeitpunkt noch abgelehnt.
  2. Vollste Zufriedenheit wurde mit dem fünflinsigen Biometar erzielt, das gerade noch im Compur 0 unterzubringen war. Ich erlaube mir an dieser Stelle einmal die Bemerkung, weshalb der VEB Zeiss Jena dieses neue Biometar nicht umgehend hat patentieren lassen anstelle den Konkurrenten Tür und Tor für einen Nachbau eröffnen.
  3. Auch das Tessar 2,8/8 cm nach dem Ansatz Diseps zeichnete sich in der Bildmitte gegenüber der bisherigen Rechnung von 1933 durch ein besseres Auflösungsvermögen aus, doch wie zuvor beim Versuch V25 brach die Leistung zum Bildrand hin doch ziemlich drastisch ein.


Auf der letzten Seite wird anhand der graphischen Darstellung noch einmal deutlich, wie bescheiden doch das alte Tessar von 1933 vor allem im mittleren Bildfeld gewesen ist. Aus dem abschließenden Resümee liest man heraus, daß Dr. Zöllner zweifellos sein neues Biometar bevorzugte und das Tessar nur als alternative Lösung für preisbewußte Anwendungen ansah. Wir wissen heute aus dem weiteren Fortgang der Entwicklung, daß die Firma Franke & Heidecke letztlich lediglich 2000 Exemplaren eines zwischen Oktober 1950 und November 1952 gefertigten Biometars 2,8/8 cm abnahm. Ein Jenaer Tessar 2,8/8 cm aus Nachkriegsfertigung sollte dagegen in keine Rolleiflex mehr gelangen.

Tessar 2,8/80 mm nach Versuch V72

Doch das konnte man in den Jahren 1948/49 ja noch nicht wissen. Offenbar wurde aus Braunschweig weiterhin Interesse am Tessar 2,8/8 cm gezeigt, zumal abzusehen war, daß die Lagerbestände an diesem Objektiv aus der Vorkriegszeit zuende gehen würden. Auch dürfte sich abgezeichnet haben, daß das Biometar, von dem im August 1949 eine erste Nullserie angelaufen war, zu einer nicht unbeträchtlichen Verteuerung der Kamera geführt hätte. Daher wandte man sich im Jenaer Rechenbüro zum Jahresende 1949 wieder dem Tessar zu. Das Ergebnis waren zwei kurz aufeinanderfolgende Versuchsrechnungen V72 und V72a, die als Ausdruck eines deutlichen Sinneswandels in Jena verstanden werden können. Das oben zu sehende Datenblatt dieses zuerst erarbeiteten Versuchs V72 zeigt uns, wie Zöllner entgegen der von ihm noch zu Jahresanfang 1949 geäußerten Einschätzung in der einzeln stehenden Zerstreuungslinse nun doch noch das Tiefflint F16 zum Einsatz brachte. Zu diesem Zeitpunkt war das neue Tessar 2,8/50 mm bereits in die Serienfertigung gelangt und man hatte offenbar die Probleme mit der fehlenden Preßfähigkeit dieser Glasarten überwunden. Doch es hat den Eindruck, daß man im Rechenbüro schon geahnt haben mag, daß dieser beim Kleinbild-Tessar so erfolgreiche Ansatz für die im Mittelformat nötige längere Brennweite sowie den größeren Bildwinkel nicht ganz ausreichen könnte.

Tessar 2,8/80 mm nach Versuch V72a

In diesem Sinne muß wohl der obige Versuch V72a verstanden werden, der zwar ebenfalls das Rechnungsdatum vom 1. Dezember 1949 trägt, dessen Datenblatt jedoch etwas später zum 24. Januar 1950 erstellt wurde. Man erkennt hier einen noch viel weiter greifenden Strategiewechsel. Zunächst fällt natürlich auf, daß mit dem Schwerkron SK21 nun doch noch eines dieser neuen hochbrechenden Lanthan-Thorium-Gläser in die Entwicklung einbezogen wurde, was zwei Jahre zuvor mit der Begründung mangelnder Rohstoffe noch abgelehnt worden war (siehe Prüfbericht 1/48 in Abschnitt 5.2). Der durch das Vorliegen beider Datenblätter erleichterte direkte Vergleich des SK21 mit dem bisher verwendeten SSK5 zeigt, daß beide Gläser faktisch dasselbe Brechungsvermögen hatten (n = 1,6599 gegenüber 1,66074). Doch mit ny-Werten von 57,0 gegenüber 50,9 dispergierte das Lanthankronglas in einem entscheidend geringerem Maße. Dieser Vorteil der weitaus geringen Farbzerstreuung allein wäre schon ein ausreichender Hebel für eine nennenswerte Verbesserung gewesen angesichts der Tatsache, daß bei einem derart lichtstarken Objektiv und einem ziemlich großen Bildwinkel von etwa 54 Grad es bereits einen großen Einfluß auf die Bildgüte ausübt, daß beispielsweise auch das Ausmaß der sphärischen Aberration der schiefen Büschel mit der Farbe variiert. Der Fachmann sprich von der Farbquerkoma.

meridionale Farbquerkoma Tessar-Biometar

Vermutlich steht es mit diesem starken Ausbrechen der Farbkoma im blauen Spektralbereich beim Tessar 1:2,8 im Zusammenhang, daß im Versuch V72a mit dem Spezialglas Kurzflint KzF2 in der Zerstreuungslinse des Kittgliedes experimentiert wurde. Kurzflint (auch Fernrohrflint genannt) gehört von seinen Brech- und Abbezahlen her zu denjenigen Glasmaterialien, die man als Grenzgänger zwischen den Flint- und den Krongläsern ansehen könnte. Erst bei einem Blick auf die in Glaskatalogen angegebenen relativen Teildispersionen wird klar, daß sich an diesem Punkt Kurzflint doch ganz anders verhält als die üblichen Glasarten. Statt den kurzwelligen Bereich stärker in seine Farben zu zerlegen als den langwelligen ist es bei Kurzflint gewissermaßen genau andersherum. Mit einer derartigen Eigenschaft lassen sich durch den Einsatz von Kurzflint nicht nur die chromatische Quer- und Längsabweichung über den vollen Spektralbereich beheben, wie es eben für Fernrohre und Mikroskope erstrebenswert war, sondern offenbar auch die farblichen Abweichungen von Bildfehlern wie der sphärischen Aberration und der Koma, die bei lichtstarken Objektiven geradezu sprunghaft anwachsen. Dabei scheint die Idee zum Einsatz von Kurzflint nicht neu gewesen zu sein. Offenbar hatte Willy Merté schon in seinem Reichspatent 558.058 für sein Tessar 1:2,7 von 1928 das Kurzflint-Glas KzF3 in der Zerstreuungslinse des Kittgliedes verwendet (siehe Abschnitt 3.1.4). Es sollte allerdings nicht verschwiegen werden, daß mit der Verwendung eines solchen Spezialglases die Berechnung eines Gesamtsystems noch einmal erheblich verkompliziert wurde.

Tessar 2,8/80 nach Versuch V85
Tessar 2,8/80 nach Versuch V86

Auf dieser Basis des Versuchs V72a wurden dann im Juli 1950 die beiden oben gezeigten Versuchsrechnungen V85 und V86 abgeleitet, die sich im Grunde genommen nur durch die bei Optimierungsarbeiten üblichen Änderungen von Radien, Dicken und Abständen vom Versuch V72a sowie voneinander unterscheiden. Besonders interessant für uns sind die handschriftlichen Ergänzungen "eilig! Für F&H" und "eilt sehr! für F&H". Daraus muß man schließen, daß die Firma Franke & Heidecke im Sommer 1950 durchaus noch auf eine Lieferung von neuen Tessaren 2,8/80 mm gedrungen hat.

Tessar 2,8/80 mm 1951

Doch wir müssen wohl davon ausgehen, daß man in Jena mit dem gewählten Ansatz einfach nicht mehr weitergekommen ist. Das oben gezeigte Datenblatt für ein Tessar 2,8/80 mm nach Sachnummer 550104B mit Rechnungsdatum vom 24. Januar 1951 ist das letzte mit dem expliziten Hinweis "für Rolleiflex". Dagegen ist man erstmals vom Kurzflint in der hinteren Zerstreuungslinse abgegangen. Stattdessen hat man es durch Kron-Flint KF5 ersetzt, das in Hinblick auf Brechzahl und Farbzerstreuung sehr ähnlich ist, also ebenso auf der Grenze zwischen Flint und Kron changiert (daher der Name), jedoch nicht über diese spezielle verkürzte Dispersion im Blaubereich verfügt.

Tessar 2,8/80 mm Meister-Korelle

Bei diesem Aufbau sollte es nun bleiben, auch wenn Franke & Heidecke als Abnehmer mittlerweile endgültig passé war. Doch dieses Tessar 2,8/80 mm wurde trotzdem gebraucht und zwar von der eigenen Photoindustrie der gerade erst gegründeten DDR. Im Juni 1951 wurde das oben zu sehende Datenblatt abgeschlossen, das als Rechnungsdatum seltsamerweise wieder den 7. Juli 1950 trägt. Für die Meister-Korelle, die hier explizit als Einsatzzweck genannt ist, konnten die Linsendurchmesser etwas größer sein. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1950 war diese stark modernisierte Reflex-Korelle vorgestellt worden [Vgl. Fotografie 4/1950, S. 92/93.] und sie verkaufte sich als "Master Reflex" offenbar ziemlich gut in den USA. Einige Zeit lang waren für diese Kamera jedoch ausschließlich Objektive vom Konkurrenten Meyer-Optik in Görlitz lieferbar. Man sieht nun gut, wie Zeiss Jena im Laufe des Jahres 1951 auf die DDR-eigenen Abnehmer umschwenkte. Dabei spielte auch großer politischer Druck auf den Betrieb eine große Rolle, der gezwungen wurde, sich "vom Westen" abzukoppeln.

Meister Korelle Tessar 2,8/80 mm 1951

Der erste Einsatzfall dieses neuen Tessares 2,8/80 mm mit Lanthankronglas und der umgedrehten Kittgruppe war die Meister-Korelle, für die im Juli 1951 die ersten 192 Stück in die Endfertigung gelangen. Das oben gezeigte Exemplar stammt aus dieser ersten Serie. Bild: Fernando Blanco.

Tessar 2,8/80 Exakta 6x6

Nun schien es Schlag auf Schlag zu gehen. Ein Jahr später, zur Frühjahrsmesse 1951, stellte die Ihagee Dresden eine stark überarbeitete Version ihrer kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges herausgebrachten Exakta 6x6 vor [Vgl. Fotografie, 4/1951, S. 121.]. Auch wenn diese Kamera nach kurzer Zeit wieder zurückgezogen wurde, war jedoch unübersehbar, daß für die Einäugigen Spiegelreflexkameras des Mittelformates 6x6 aus Dresdner Produktion durchaus ein Bedarf nach einem Normalobjektiv der Lichtstärke 1:2,8 bestand. Mehrere 100 Stück dieser Tessare 2,8/80 mm, die Zeiss Jena bereits im Sommer 1951 für die gescheiterte Exakta 6x6 gefertigt hatte, wurden knapp drei Jahre später für die völlig neu konstruierte Exakta 6x6 "vertikal" ertüchtigt, indem sie für deren größer dimensioniertes Bajonett serienmäßig mit einem Adapter versehen wurden.

Zeiss Jena Tessar 2,8/80 mm

Ab Jahresanfang 1954 bereicherte zudem die neue Meßsucher-Faltkamera Certo Six das Angebot im Mittelformat-Bereich. Sie wurde umfangreich mit dem Tessar 2,8/80 ausgestattet. Mindestens 12.000 Stück sind für diese Kamera gefertigt worden, wobei wiederum die meisten von ihnen im DDR-Zentralverschluß Tempor gefaßt wurden. Offenbar für diesen Einsatzfall ist im Mai 1952 die Ausführung 550104D geschaffen worden, die nach Entscheidung Walter Swarofskys am 21. September 1953 wegen der "einheitlichen Zentrierung" in Fertigung ging, wie das unten gezeigte Schriftfeld des Datenblattes zeigt. Diese Tessare hatten alle einen "farbortkorrigierten T-Belag", um die merkliche Gelbfärbung des Lanthan-Kron etwas auszugleichen.

Tessar 2,8/80 mm Cerosix
Jena Tessar 2,8/80mm

Noch einmal einen großen Schub für das Tessar 2,8/80 mm brachte jedoch ab 1956 die Praktisix. Diese 6x6-Reflexkamera war im VEB Kamera-Werke Niedersedlitz nach den modernsten Erkenntnissen im Kamerabau völlig neukonstruiert worden und sie wurde auch auf den westlichen Märkten umgehend mit erstaunlicher Begeisterung aufgenommen. Das versprach auch gute Exportaussichten für den VEB Zeiss Jena. Zwischen Juni 1956 und Februar 1958 wurden deshalb mit über 11.000 Stück auf einmal sehr große Mengen des Tessares 2,8/80 mm in einer damals weltweit konkurrenzlos modernen Fassung gefordert.

Tessar 2,8/80 Prakisix

In dieser Fassung war das Tessar 2,8/80 mm mit einer Vollautomatischen Springblende ausgestattet, für die im Februar 1956 ein letztes Datenblatt mit der Sachnummer 550104E geschaffen wurde, bei der der Durchmesser der größten Blendenöffnung um einige Millimeterbruchteile reduziert werden mußte, weil ansonsten die Spitzen der Blendenlamellen sichtbar gewesen wären. Diese Blendenmechanik mußte zudem kugelgelagert werden, damit die geforderten sehr kurzen Blendenschließzeiten eingehalten werden konnten. Dieser hohe Aufwand in der Auslegung der Fassung stand nun in zunehmenden Maße im Widerspruch mit dem auf sparsamen Materialeinsatz getrimmten Einsatz des Tessartyps.

Zeiss Jena Tessar 2,8/80mm

Denn auch der Einsatz von Lanthan-Kronglas sowie der aus der Reihe fallende Bau mit dem umgedrehten Kittglied konnten letztlich die generellen Begrenzungen des Tessartyps nicht aus der Welt schaffen. Insbesondere die Restbeträge eines nicht ideal auskorrigierten Kugelgestaltsfehlers hatten einen Hang des Tessars 2,8/80 zur Blendendifferenz zur Folge. Dieser Bildfehler ist bei Kameras mit Mattscheibeneinstellung besonders problematisch weil sich die Schärfeebene als "Stelle der engsten Einschnürung" innerhalb des durch die Restbeträge des Kugelgestaltsfehlers definierten "Lichtschlauches" (Kaustik) entlang der optischen Achse verschiebt, wenn das Objektiv abgeblendet wird. Damit liegt dieser Punkt der höchsten Schärfe also bei offener Blende geringfügig woanders als bei der tatsächlichen Aufnahmeblende. Da die Praktisix voll und ganz auf diese Vollautomatische Springblende hin ausgerichtet war, bei der also das Scharfstellen generell bei voller Objektivöffnung stattfand, wirkte sich der Hang zur Blendendifferenz beim Tessar nun ganz besonders ungünstig aus. Anhand der eigenen Bekundungen Prof. Zöllner aus späterer Zeit lag darin einer der wesentliche Gründe, weshalb das Tessar 2,8/80 mm im Jahre 1959 durch das neue Biometar 2,8/80 mm abgelöst wurde.

Bei voller Öffnung ist das Tessar 2,8/80 mm wirklich schwach. Schon bei Abblendung zwischen 1:4,0  und 5,6 werden jedoch die Auswirkungen der merklichen Zonen der sphärischen Aberration deutlich zurückgedrängt und aus einem ziemlichen Weichzeichner wird die bekannte Strichschärfe des Tessars. Ein derartig "launiges" Verhalten war jedoch für ein modernes Normalobjektiv Ende der 50er Jahre nicht mehr akzeptabel. Exakta 6x6, Fortepan 100, 1/25 sec.

Vergleich Tessar 2,8/80 1933 und 1950

Trotzdem darf man sagen, daß als Frucht dieser langwierigen Optimierungsarbeiten im Jahre 1951 das bis dahin aufwendigste Jenaer Tessar geschaffen worden war. Durch den Einsatz der neuen Lanthan-Schwerkrongläser war es dem Entwicklerkollektiv um Harry Zöllner gelungen, diesen ein halbes Jahrhundert zuvor im eigenen Hause entwickelten Objektivtyp wieder in einer international konkurrenzfähigen Ausführung auf den Markt bringen zu können. Daß inzwischen mit der Super Ikonta aus Stuttgart und der Rolleiflex aus Braunschweig zwei wichtige Absatzmöglichkeiten für das Tessar 2,8/80 mm verloren gegangen waren, das hatte zu einem großen Teil auch mit der mittlerweile äußerst schwierigen deutsch-deutschen Lage zu tun.

DD8721 Zöllner Tessar

Vor diesem neuen technischen Hintergrund ist auch das oben gezeigte DDR-Patent Nummer 8721 vom 17. März 1951 zu sehen. So fällt ins Auge, daß sich hinter dem Glas in Frontlinse des Patentbeispiels 1 das neue SK22 verbirgt. Und trotzdem ist an diesem Patent etwas anders als zuvor: Bei all den Tessarpatenten, die hier bislang erläutert wurden, ist immer darauf hingewiesen worden, daß neben den ausdrücklich erwähnten bestimmten Verhältnisse der Krümmungsradien zueinander oder ähnlicher Konstruktionselemente stets vom Leser mitgedacht werden muß, daß darüber hinaus auch die in den Patentbeispielen versteckten Glasarten implizit – also nicht ausdrücklich erwähnter – einen zentralen Teil der Schutzansprüche bilden. In diesem Patent Dr. Zöllners ist das anders. Explizit werden hier die Summe der Brechzahlen und die Summe der ny-Werte zum Zentrum der neuen Erfindung deklariert.


Auf der anderen Seite muß man ehrlich sagen, daß ab diesem Zeitpunkt die Weiterentwicklung der Tessare als Aufnahmeobjektive für Amateurkameras in Jena bereits ihren Höhepunkt erreicht hatte. Während in der Bundesrepublik und später auch in Japan und der Sowjetunion zum Teil noch extremere Glasarten zum Einsatz gebracht wurden, hatte man bei Zeiss Jena richtigerweise erkannt, daß eine weitere Leistungssteigerung und damit naturgemäß auch eine weitere Verteuerung für ein derart dezidiertes Amateurobjektiv nur noch wenig sinnvoll erschien. Diese Entscheidung ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, daß sich weitere Fortschritte in der Bildleistung durch Einsatz extremerer Gläser kaum noch wirklich in der praktischen Anwendung der Objektive bemerkbar machten – zumindest nicht mit den damals zur Verfügung stehenden Aufnahmematerialien. Noch im Jahre 1972 verweist Zöllner in seinem Aufsatz zum 70. Jubiläum des Tessares darauf, daß selbst mit den mittlerweile zur Verfügung stehenden rechnergestützten Optimierungsprogrammen einfach keine wesentliche Verbesserung der Bildleistung dieses Objektivtyps mehr möglich sei. Dessen namensgebende vier Linsen, damit vier verschiedene Glassorten, vier Linsendicken, zwei Lufträume und – durch die Verkittung – insgesamt sieben frei wählbare Radien ließen nur wenig Spielraum für weitere Leistungssteigerungen [Vgl. Zöllner, Harry: 70 Jahre Tessar; in: Fotografie 1972, S. 33.]. Um so höher ist die damalige Leistung Paul Rudolphs und seiner Nachfolger zu bewerten, die für das Auffinden und Optimieren solcher optischen Systeme seinerzeit noch keine automatisch arbeitenden Computer zur Verfügung hatten, sondern die einzig und allein auf ihr außergewöhnliches Talent und ein tiefgreifendes Verständnis der optischen Materie vertrauen konnten.

Begrenzte Erfindungshöhe: Tessar-Patente Anfang der 50er Jahre

In der Bundesrepublik wurde dieses Tessar-Patent von Harry Zöllner allerdings erst zum 27. Februar 1952 angemeldet und die Patentansprüche sind viel spezifischer formuliert. Von dieser Patentanmeldung Nr. 1.076.960 existiert allerdings nur eine erst 1960 ausgegebene Auslageschrift, sodaß man davon ausgehen muß, daß in der Bundesrepublik niemals eine Erteilung des Patentes stattgefunden hat.

DE950503 Tronnier Color-Skopar

Tronnier hatte bereits im Juni 1949 das obige Patent für sein Color-Skopar 3,5/50 mm angemeldet, bei dem er eine sehr gute sphärochromatische Korrektur erreichen konnte. Er verwendete SK16 in der Frontlinse und SSK9 in der Rücklinse.

DE969674 Agfa Color-Solinar

In noch ganz anderen Sphären bewegten sich aber Theodor Brendel und Hans Lautenbacher vom Agfa-Kamerawerk München. Sie verwendeten in ihrem Bundespatent Nr. 969.674 vom 10. Juni 1951 LaK9 oder SSK10 in der Front- und LaF3 oder LaF2 in der Rücklinse. Mit diesem extrem hohen Materialaufwand, der offenbar dem Color-Solinar 1:2,8 zugrunde lag, waren sie den Mitbewerbern vorausgeeilt.

DEZ1935MAZ Tessar mit LaK9

Die wohl erste Patentanmeldung von Zeiss Opton Oberkochen auf dem Gebiet der photographischen Objektive betrifft ebenfalls ein Tessar 1:2,8. Die Entwicklung stammt hier von Günther Lange und Robert Richter und wurde mit dem oben gezeigten Schreiben am 12. Juni 1951 beim Bundesatentamt angemeldet - also knapp zwei Monate nach der von Zeiss Jena in der DDR. Die Patentansprüche stellen im Wesentlichen darauf ab, daß die Frontlinse als Meniskus ausgeführt ist; allerdings mit einer nur ganz schwach Richtung Dingseite gekrümmten zweiten Fläche. Auch hier spielt natürlich in Wahrheit der Einsatz extremer LaK- und LaF-Gläser die zentrale Rolle. Doch das reichte dem Münchner Patentamt als Erfindungshöhe nicht aus. Wie das Patent Zöllners wurde auch dieses in der Bundesrepublik nie erteilt. Und auch spätere Tessar-Patente Oberkochens hatten es in der Bundesrepublik schwer.

5.6 Berufsphotograph statt Amateurkamera: Neue Tessare 1:4,5

Im Jahr 1948 wurden auch einige Tessare 1:4,5 einer deutlichen Optimierungsarbeit unterzogen. Wie die unten zu sehende Übersicht ausweist, hatte man auch hier auf einen Ansatz zurückgegriffen, der demjenigen bei den neuen Tessaren 1:2,8 und 1:3,5 ähnelte. Im hinteren Kittglied wurde dem Schwerstkron SSK5 das Doppelleichtflint LLF6 gegenübergestellt. In der vorderen Sammellinse setzte man jedoch auf das Schwerkron SK16, das mit einer Brechzahl von 1,62 nicht ganz so hochbrechend war wie das SK18 in den anderen Versionen, aber mit einem ny-Wert von 60,3 geringer dispergierte als manches einfaches Kronglas.

Tessare 1:4,5 von 1948

Damit war nach mehr als vier Jahrzehnten das Tessar 1:4,5 als das berühmte "Adlerauge der Kamera" abermals auf einen modernen Stand gebracht worden wenn auch mit den Glasarten, die bereits in den 1930er Jahren verfügbar gewesen wären. Aber es wurde schon im Abschnitt 3.2.3 im Zusammenhang mit dem damaligen BaF10-Ansatz angedeutet, daß es für diese  lichtschwächeren Varianten des Tessars nicht immer sinnvoll war, diese Verbesserungen auch wirklich in die Fertigung zu übernehmen. Denn einer in der Praxis möglicherweise kaum sichtbaren Anhebung der Bildleistung stand garantiert eine nicht unbeträchtliche Verteuerung der Fertigungskosten gegenüber.

Tessar 4,5/40 mm

20. 04. 1948

1955 eingestellt

Tessar 4,5/50 mm

26. 06. 1948

bis 1953, ab 1958 wieder R. v. 1930

Tessar 4,5/75 mm

(16. 09. 1947)

vermutlich keine Neurechnung

Tessar 4,5/105 mm

14. 01. 1948

1951 neu gerechnet

Tessar 4,5/135 mm

10. 02. 1948

1957 neu gerechnet

Tessar 4,5/180 mm

09. 02. 1948

ab 1953 wieder Rechnung von 1929

Tessar 4,5/210 mm

16. 02. 1948

nur 100 Stück, dann Rechng. v. 1929

Tessar 4,5/300 mm

04. 06. 1948

nur bis 1952, dann wieder R. v. 1928

Doch seit der letzten großen Überarbeitung Ende der 1920er Jahre waren eben zwei Jahrzehnte vergangen. War das Tessar 1:4,5 zumindest in seinen kurzbrennweitigen Versionen während der 30er Jahre langsam zur hochwertigen, aber durchaus preiswerten Ausstattung für Amateurkameras "abgestiegen", dessen einstige Spitzenstellung nun durch die lichtstärkeren Versionen 1:3,5 und 1:2,8 übernommen wurde, so war nun nach 1945 kaum noch zu erwarten, daß das Tessar 1:4,5 für in Massen hergestellte Platten- und Rollfilmkameras verbaut worden wäre. Dagegen war abzusehen, daß mit dieser Lichtstärke das Tessar vielmehr beim Berufslichtbildner, in der technischen Photographie, in den Repro- und Vergrößerungsanstalten usw. eingesetzt würde, wo die Mengen vergleichsweise gering waren, aber der Preis dafür nicht das Ausschlaggebende. Schaut man sich oben nun die Tabelle derjenigen im Jahre 1948 neuberechneten Tessare 1:4,5 an, von denen tatsächlich eine Serienfertigung nachweisbar ist, dann fällt allerdings auf, daß dieser Ansatz mit dem SK16 in der vorderen und dem SSK5 in der hinteren Sammellinse um 1952/53 durchweg wieder aufgegeben wurde. In den meisten Fällen ist man zu den Rechnungen aus der Zeit Ende der 20er Jahre zurückgekehrt (siehe Abschnitt 3.1.2). In zwei Fällen gab es aber eine nochmalige Neurechnung.

Tessar 4,5/135, Rechnung 1948

Ein Beispiel dafür ist das Tessar 4,5/135 mm, bei dem anhand des Bildes oben zu sehen ist, daß im Jahre 1948 mehr als nur ein Austausch der Glasarten stattgefunden hat. Bei dieser Rechnung 10. Februar 1948 fällt nämlich gegenüber seinen Vorgängern und übrigens auch gegenüber seinem Nachfolger von 1957 (unten) die deutlich vergrößerte Frontlinse auf. Damit hat man mit hoher Wahrscheinlichkeit der Randabdunklung entgegentreten wollen. Zweitens stechen bei meinem Exemplar vor allem in der Frontlinse die in großer Vielzahl vorhandenen Glasbläschen ins Auge, die erkennen lassen, daß sich die Schwerkrongläser mit der damaligen Technologie noch nicht ganz ohne diesen Schönheitsfehler herstellen ließen. Kenner wußten seinerzeit, daß diese Bläschen nicht als Zeichen für dritte Wahl, sondern für den höchstmöglichen Materialeinsatz zu deuten sind.

Tessar 4,5/135, Rechnung 1957

Dieser Materialeinsatz ist  aber offenbar nach kurzer Zeit als zu aufwendig und damit als unrentabel erkannt worden.  Das Tessar 4,5/105 mm ist daher 1951 neu gerechnet worden und das Tessar 4,5/135 mm wurde in der oben bereits angesprochenen Form überarbeitet. Eine Besonderheit stellte zudem das Tessar 4,5/165 mm dar, das zunächst seit 1945 überhaupt nicht mehr produziert worden war und das erst im Jahr 1960 wieder ins Angebot aufgenommen wurde. Dafür war am 18. Juli 1959 eine neue Rechnung angefertigt worden, die nun gleich diejenige vom 23. August 1911 ersetzte, da diese Brennweite offensichtlich nie durch Merté überarbeitet worden war. Das Tessar 4,5/165 mm kann somit bereits als jüngste Tessar-Rechnung aus Jena angesehen werden, die für einen regulären photographischen Einsatz gedacht war.

Tessare Prospekt 1951

Die neuen Tessare 1:4,5 im Katalog von 1951. Kurz darauf wurden diese Neukonstruktionen bereits wieder aufgegeben.

Tessare 1:4,5

Das Tessar 1:4,5 lieb auch nach 1945 noch ein fester Anker im Objektiv-Programm Zeiss Jenas. Die Brennweiten 50; 75; 105; 135; 165; 180; 210; 250; 300 und 360 mm wurden nachweislich noch bis in die 1980er Jahre gefertigt. Auch das rechts zu sehenden Tessar 4,5/50 mm ist ein Beispiel dafür, daß Neurechnungen der Zeit um 1948 später wieder wieder aufgegeben wurden. Es war am 26. Juni 1948 neu berechnet und bis 1953 in dieser Konfiguration hergestellt worden. Das nächste Produktionslos von 1958 verwendete dann allerdings wieder die Rechnung vom 15. September 1930. Auf dieser Grundlage von 1930 wurde das Tessar 4,5/50 mm gebaut, bis die Produktion im März 1985 mit einer letzten Serie auslief.

Tessare in Normalfassung für sogenannte Reise- und Atelierkameras blieben noch bis zum Ende der DDR im Produktionsprogramm des VEB Carl Zeiss Jena; ja sie gehörten wohl mit zu den allerletzten Photoobjektiven, die überhaupt noch die traditionsreichen Werkshallen in Jena bzw. Saalfeld verlassen haben. Das Tessar 4,5/135 lief 1986 aus, das Tessar 4,5/360 zum Jahresende 1985. Die letzten Tessare 4,5/180; 210; 250 und 300 mm wurden hingegen noch im April bis Juni 1991 in historisierenden Messingfassungen montiert. Dann wurden die Reste des Kombinates endgültig zerschlagen und der Saalfelder Betriebsteil durch eine Nachfolgefirma weitergeführt, die auch diese traditionsreichen Objektive noch eine Weile im Angebot führt. Die Stückzahlen dürften aber marginal gewesen sein. In den 80er Jahren beim Tessar 4,5/180 mm noch übliche Produktionslose von bis zu 2000 Stück hat es sicherlich nicht wieder gegeben. Die Nachfrage blieb zu DDR-Zeiten auch deshalb hoch, weil diese Tessare zur Standardbestückung der Fachkameras Mentor Studio und Mentor Panorama gebraucht wurden. Da diese beiden Großformatkameras außergewöhnlicherweise mit Schlitzverschlüssen ausgestattet waren und diese Tessare somit keinen eigenen Zentralverschluß benötigten, konnte Zeiss Jena am Ende des 20. Jahrhunderts noch so viele Großformatobjektive in der mittlerweile eigentlich ungebräuchlichen Normalfassung absetzen.

Tessare 1:4,5

Zum großen Kuriosum der Wendezeit dürfte auch gehören, daß einige dieser Großformat-Tessare in Messingfassungen mit der Gravur "Meyer-Optik Germany" versehen wurden. Solcherlei Objektive müssen wir heute als historische Überreste aus einer rasch von den Folgeentwicklungen überrannten Zeitspanne ansehen, die uns daran erinnern, daß nach 1985 das ehemalige Weltunternehmen in Görlitz neben Saalfeld zur bloßen Fertigungsstätte eines alles überragenden Kombinates in Jena degradiert worden war.

Tessar 6,3/135 mm

Interessant ist, daß über die DDR-Zeit hinweg auch einige Tessare 1:6,3 noch längere Zeit im Angebot blieben. Mit dieser Lichtstärke wurde dieser Typ immerhin 1902 ursprünglich geschaffen. Genau genommen waren es noch zwei Modelle. Das oben zu sehende Tessar 6,3/135 mm stammt aus dem vorletzten Produktionslos vom Januar 1961. Ein Jahr später erfolgte die letzte Fertigung. Noch bis zum Oktober 1975 wurde hingegen ein Tessar 6,3/210 mm hergestellt. Zuletzt angeblich sogar noch einmal 1000 Stück. Die lange Produktionszeit von letzterem läßt sich daraus erklären, daß es mit der Öffnung 1:6,3 in einer Normalfassung N42 Platz fand bzw. in einem Verschluß der Baugröße 1, der noch kurze Verschlußzeiten bis zur 1/400 Sekunde zuläßt. Außerdem ließ sich ihr Bildwinkel bis an die 70 Grad ausnutzen und sie boten damit größere Verstellreserven an den Fachkameras.

Zeiss Tessare Großformat

Oben einmal eine Tabelle der lieferbaren Tessare aus dem Jahre 1987 [aus: Brauer, Egon: Foto Optik; eine Warenkunde für den Fachverkäufer und den Fotoamateur, 8. Aufl. Leipzig, 1987]. Diese Angaben sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, weil die Bücher Brauers nicht gut recherchiert sind bzw. nachlässig aktualisiert wurden. Wie gerade dargelegt, war die Produktion des Tessars 6,3/135 bereits 25 Jahre zuvor eingestellt worden. Auch die Angabe der Masse in der letzten Spalte stimmt vorn und hinten nicht.


Unten ein Prospekt über Großformat-Tessare für den westdeutschen Markt aus dem Jahre 1969. "Carl Zeiss Jena" wurde zu aus Jena und das "Tessar" zum JENA-T "entschärft.

5.7 Letzter Frühling für den Tessartyp: Einsatz in Spezialanwendungen

Im Abschnitt 5.3 wurde dargelegt, daß bei den Tessaren 1:3,5, die seit den 1930er Jahren zu den wichtigsten Photoaufnahmeobjektiven Zeiss Jenas gehört hatten, die 1948 versuchte Weiterentwicklung auf Basis neuer Gläser in der Serienfertigung schon nicht umgesetzt wurde. Im Laufe der 1950er Jahre lief diese Lichtstärke dann sogar ganz und gar aus, weil schlichtweg die Rollfilm- und Kleinbildkameras, in denen sie zum Einsatz gekommen waren, aus dem Programm genommen wurden. Es verblieben nur noch das Tessar 2,8/50 für Kleinbildgeräte und die Tessare 1:4,5 für die Großformate.

Tessar Dokumator

Eine fast lückenlose Weiternutzung der Tessare gab es dagegen als Wiedergabeoptiken im Mikrofilmsystem des VEB Zeiss Jena vom Typ Dokumator. Für die Dokumator-Lesegeräte wurde, um die unterschiedlichen Abbildungsgrößen 17,5x; 13,5x; 9,0x und 6,5 x zu erreichen, die oben gezeigte Reihe an Tessaren verwendet [Bild: Günther Benedix]. Für das ganz links zu sehende Tessar 3,5/37,5 mm wurde nach dem Auslaufen der Taxona die Produktion im Oktober 1963 wieder aufgenommen. Das geschah zunächst auf Basis der Rechnung vom Juli 1946, die dann aber im Januar 1976 zunächst durch eine Rechnung von 1975 und anschließend seltsamerweise durch eine frühere von 1973 ersetzt wurde. Für die 13,5-fach Vergrößerung wurde zunächst das Tessar 2,8/50 von 1947 verwendet, doch später durch neu gerechnete Tessare 3,5/50 mm von 1975 und dann anschließend von 1973 ersetzt. Für die 9-fache Vergrößerung war im Juli 1962 ein Tessar 3,7/70 mm gerechnet worden, das dann 1975  durch das oben gezeigte, am 15. Februar 1972 gerechnete Tessar 3,5/70 mm ersetzt wurde (die Angabe der Lichtstärke 1:3,7 bei Thiele für letzteres Tessar  ist falsch).

Dokumator-Tessare

Bemerkenswert für uns sind diese in den 1970er Jahren geschaffenen Tessare 3,5/37,5 mm und 3,5/50 mm (sowie offenbar auch das Tessar 3,5/70 mm). Denn hier wurde, um höchstmögliche Abbildungsleistung sicherzustellen, in den beiden Sammellinsen das thoriumhaltige Schwerstkron SSK11 eingesetzt. Dieses Glas hatte mit n = 1,7564 einen extrem hohen Brechungsindex, während es gleichzeitig mit einer Abbeschen Zahl von 52,9 vergleichsweise niedrig dispergierte. Aus dem Schriftverkehr in Bezug auf das neue Prakticar 1,4/50 mm wissen wir, daß dieses Schwerstkron trotz seiner Nachteile wie den radioaktiven Stäuben bei seiner Verarbeitung und der Neigung zur Vergilbung nicht durch thoriumfreie Gläser ersetzbar war, wenn die hohe Bildleistung aufrecht erhalten werden sollte.

Dokumator-Tessare

Und genau diese hohe Abbildungsleistung mußte aufgrund des Einsatzes dieser Tessare in der Mikrofilm-Projektion bereits bei voller Öffnung zur Verfügung stehen. Diese Dokumator-Wiedergabeojektive stellen daher zweifellos den höchstentwickelten Tessartyp dar, der in Jena während der letzten sieben Jahrzehnte gerechnet worden war. Damit bestätigt sich die zwar vereinfachende, aber trotzdem nicht von der Hand zu weisende These auf Neue, daß eine bestimmte Objektivbauform mit dem Einsatz immer extremerer Glasarten zu immer höheren Leistungsmerkmalen getrieben werden kann.

MTF Tessar 3,5/50 SSK11

Zur Bestätigung sind oben einmal die Kurven der Kontrastübertragungsfunktion am Beispiel des "Lesegerät-Tessars" 3,5/50 mm wiedergegeben [erstellt von G. Benedix]. Es fällt der sehr gleichmäßige Verlauf für die einzelnen Ortsfrequenzen über das Bildfeld hinweg auf mit quasi deckungsgleich übereinanderliegenden Kurven für die sagittale und tangentiale Spaltausrichtung. Das wiederum läßt darauf schließen, daß insbesondere die im Abschnitt 5.2 schon angesprochenen Fehler der schiefen Büschel sehr gut behoben werden konnten. Das war auch ein Ergebnis der mittlerweile im VEB Zeiss JENA erarbeiteten Optimierung optischer Systeme mittels digitaler Rechenmaschinen und im eigenen Hause entwickelter Korrekturprogramme. Es leuchtet ein, daß nicht der Einsatz extremer Gläser allein den Erfolg brachte, sondern die möglichst geschickte Abstimmung des Gesamtsystems ausschlaggebend war.

Tessar 3,5/50 mm SSK11

Und obwohl wie die Bedeutung des Tessarobjekivs für die bildmäßige Photographie seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre immer weiter zurückgegangen war, weil sich mit der Verbilligung der Herstellungskosten für die Einzellinsen das lichtstarke Gaußobjekiv immer stärker durchsetzen konnte, verschwand das Triplet mit verkitteter Hinterlinse dennoch nicht gänzlich aus den Konstruktionsansätzen der Systementwickler. Es hat fast den Eindruck, es sei sogar das Gegenteil der Fall gewesen: In den 1970er Jahren wurden bei Zeiss Jena so viele Tessare neu entwickelt wie seit langem nicht. Freilich waren diese neu eingeführten Tessarformen nur noch für Spezialanwendungen vorgesehen und nicht mehr als klassische Photoaufnahmeobjektive für Amateurkameras. Es seien zum Beispiel die Tessare 4,8/15 und 4,8/30 mm zur Sternprojektion in Zeiss-Planetarien genannt oder das unten gezeigte Tessar 4/16 mm.

Tessar 4/16 mm

Dieses Tessar 4/16 mm war im August 1973 geschaffen worden. Aus den Angaben 7,8 x 10,6 mm im unten abgebildeten Datenblatt zu diesem Objektiv läßt sich schließen, daß es das 16-mm-Schmalfilmformat mit 45 Grad Bildwinkel abdeckte, wobei allerdings die Schnittweite von 13 mm für normale Schmalfilmkameras etwas kurz gewesen wäre. Handschriftlich ist auf dem Datenblatt jedoch "8x11/Diag. 13,60" ergänzt. Das bringt uns auf den wahren Verwendungszweck: Dieses Objektiv wurde in einer Spezialkamera des Ministeriums für Staatssicherheit eingesetzt, die als Zeisig II bezeichnet wurde. Ihr Einsatzzweck war das heimliche Abphotographieren von Dokumenten, wofür die Kamera möglichst klein sein sollte. Verwendet wurden sogenannte Minox-Kassetten gefüllt mit ORWO-Dokumentenfilm. Zwischen 1973 und 1980 wurden immerhin knapp 1000 Stück dieser Tessare 4/16 mm hergestellt; über 10.000 jedoch fest abgeblendet als Tessar 8/16 mm mit einem bislang unbekannten Einsatzzweck (interner Code: 551107).

Zeiss Tessar 4/16 mm

Das oben gezeigte Datenblatt zu diesem Tessar 4/16 mm bestätigt noch einmal den Aufwand, der mittlerweile bei diesen Tessaren für Spezialanwendungen getrieben wurde, um bei mittleren Lichtstärken eine sehr hohe Bildgüte zu erzielen. Lanthankron SK22 in der vorderen und Lanthan-Schwerkron SSK11 in der hinteren Sammellinse sowie die einzeln stehende Zerstreuungslinse aus Tiefflinte F16. Das alles war nötig, um für den Spionageeinsatz ein möglichst feines Auflösungsvermögen auf dem Dokumentenfilm zu erreichen. Der zu enge Bildwinkel der für dieses kleinere Format nun zu langen Brennweite sowie die Forderung nach einer weiteren Miniaturisierung der Kameras hatten zur Folge, daß bei Zeiss für die Stasi bald noch viel aufwendigere Objektive für diesen Einsatzzweck geschaffen werden mußten. Für mittlere Bildwinkel hatte das Tessar jedoch über 70 Jahre hinweg seine außergewöhnlich gute Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt.

6. Zum Abschluß: Der Fall Dominar

Zum Abschluß möchte ich noch auf ein kleines Mysterium verweisen: Um 1930 herum wurden von Zeiss Ikon Kameras mit zwei verschiedenen Tessartypen ausgestattet. Einmal natürlich das Zeiss Tessar; zum anderen aber auch ein "Dominar-Anastigmat". Der unten zu sehende Ausschnitt aus dem Zeiss-Ikon-Katalog von 1932 zeigt, daß diese beiden, demselben Typus angehörenden Objektive, tatsächlich nebeneinander aufgelistet sind.

Zu diesem Dominar, über das man ansonsten sehr wenige Informationen findet, habe ich nun zwei Theorien parat. Die eine lautet: Es handelt sich um Restbestände des früheren "Ernoplast", das der Tessartyp der Vorgängerfirma Ernemann gewesen ist, das aber nun nicht mehr so heißen durfte, weil die Gründung der Zeiss Ikon AG ja nun gerade darauf abzielte, konkurrierende Objektivbaufirmen auszuschalten. Auch ein kurz vor der Einverleibung in den Zeiss-Konzern bei Goerz entwickelter Tessartyp kommt in Frage [Vgl. Merté: Objektiv-Sammlung des Zeiss-Photo-Rechenbüros, Karten Nummer 707 und 709.]. Nachdem es abverkauft wurde, verschwindet dieses Dominar wieder aus den Katalogen und es bleibt nur noch das Zeiss'sche Tessar.

Ernemann Ernoplast

Meine zweite, nicht minder plausibel klingende Theorie, fußt auf der Tatsache, daß Ende der Zwanziger Jahre alle bisherigen, von Wandersleb geschaffenen Tessare, durch Willy Merté auf Basis verbesserter Glastechnologie neu berechnet wurden. Durch die Auflistungen im Thiele kann man belegen, daß der Übergang von den alten, noch vor dem Ersten Weltkrieg berechneten Tessaren, auf die neuen, verbesserten Tessare, SUKZESSIVE erfolgte. Das lag zum Teil auch daran, daß es beispielsweise beim stark nachgefragten Tessar 1:4,5 keinen abrupten Übergang gegeben hat, weil jede Brennweite für sich langwierig neu berechnet wurde. Man muß daher davon ausgehen, daß über eine gewisse Zeitspanne hinweg BEIDE Tessare – also zum Beispiel ein neues Tessar 4,5/135 und ein altes 4,5/135 – gleichzeitig im Handel auftauchten bzw. noch bei den Kameraherstellern vorrätig blieben. Möglicherweise wurde bei Zeiss Ikon dieser Umstellung begegnet, indem das alte Tessar als "Dominar" preiswerter angeboten wurde. Denn im Katalog von 1931 kann man lesen: "Übertroffen wird das Dominar nur von dem in der Genauigkeit der Ausführung und Sorgfalt bei der Glaswahl einzigartigen, weltberühmten Zeiss Tessar 1:4,5." Ab der zweiten Hälfte der 30er Jahre findet das Dominar dann keine Erwähnung mehr in den Zeiss-Ikon-Publikationen.

Dominar Anastigmat

Rechnungen ausgewählter Tessartypen: Serienversionen

 


Tessar 2,8/50

 

1:         02. 04. 1931             ca. 1500 Stck.

2:         08. 10. 1931             über 10. 000

3:         08. 05. 1933             Großserie (v.a. Contax)

4:         29. 10. 1947             Einstellung der Produktion Frühjahr 1988

 


Tessar 2,8/80

 

1:         27. 01. 1933            

2:         07. 07. 1950             letzte Stücke im Febr. 1958 für Praktisix ASB

 


Tessar 3,5/50

 

1:         25. 07. 1929             Kolibri

2:         27. 02. 1931             Contax Ära, Herstellung bis Jahresende 1954 (Exakta)

 


Tessar 3,5/75

 

1:         20. 02. 1920             Nur wenige Exemplare

2:         01. 06. 1934             DIE Normaloptik für Rolleiflex etc.

3:         28. 05. 1947             letzte Großserie 3000 Stck. Jahresende 1955 für Weltax



Tessar 3,5/105

 

1:         31. 03. 1926             Etwa 7000 Stck. bis 1936

2:         26. 05. 1936             Produktion 1957 ausgelaufen (Ercona)

 


Tessar 4,5/135

 

1:         18. 07. 1911                        

2:         28. 05. 1929                        

3:         10. 02. 1948             große Frontlinse

4:         07. 03. 1957             bis 1986



Tessar 4,5/180

 

1:         04. 07. 1911            

2:         28. 05. 1929             bis zum Ende 1991 (Messingversionen)

3:         09. 02. 1948             nur ca. 300 Stck. 1951/52, dann wieder Version 2

 


Tessar 4,5/210

 

1:         05. 08. 1911

2:         06. 06. 1929             bis zum Schluß 1991 (Messing)

 


Tessar 4,5/300

 

1:         16. 09. 1911 

2:         05. 08. 1928             bis zum Ende 1991 (Messingversionen)

3:         04. 06. 1948             nur ca. 450 Stck. 1948-52, dann Rechnung aufgegeben

 


Tessar 4,5/360

 

1:         30. 01. 1912            

2:         08. 10. 1928             1985 letzte Serie von 500 Stck.

Nach 1945 neu gerechnete und neu geschaffene Tessare (ohne Prototypen):


Tessar 2/16 mm:        19. 07. 1949

Tessar 2/28 mm:        01. 10. 1949

Tessar 2,8/16 mm:     27. 04. 1948

Tessar 2,8/50 mm:     29. 10. 1947

Tessar 2,8/80 mm:     07. 07. 1950

Tessar 3,5/37,5mm:   04. 07. 1946; 12. 12. 1973 und 19. 09. 1975

Tessar 3,5/50 mm:     12. 10. 1973 und 18. 09. 1975

Tessar 3,5/70 mm      05. 07. 1962; 15. 02. 1972

Tessar 3,5/75 mm:     28. 05. 1947

Tessar 3,7/70 mm:     Übertragungsfehler von Thiele. In Wahrheit 3,5/70 mm

Tessar 4/16 mm:        07. 08. 1973

Tessar 4/24 mm:        04. 03. 1973

Tessar 4,5/40 mm:     20. 04. 1948

Tessar 4,5/50 mm:     26. 08. 1948

Tessar 4,5/75 mm:     16. 09. 1947

Tessar 4,5/105 mm:   14. 01. 1948 und 02. 07. 1951

Tessar 4,5/115 mm:   29. 06. 1949

Tessar 4,5/135 mm:   10. 02. 1948 und 07. 03. 1957

Tessar 4,5/150 mm:   23. 10. 1947

Tessar 4,5/165 mm:   18. 07. 1959

Tessar 4,5/180 mm:   09. 02. 1948

Tessar 4,5/210 mm:   16. 02. 1948

Tessar 4,5/300 mm:   04. 06. 1948

Tessar 4,8/15 mm:     28. 08. 1964 und 20. 06. 1970

Tessar 4,8/30 mm:     28. 02. 1974

Tessar 5/13,5 mm:     22. 09. 1986

Tessar 5/16 mm:        15. 06. 1978

Tessar 5,6/100mm:    31. 01. 1975

Tessar 5,6/135 mm:   12. 02. 1975

Tessar 6,3/135 mm:   16. 08. 1947

Tessar 6,3/210 mm:   03. 09. 1947

Tessar 6,3/300 mm:   14. 05. 1946

Tessar 8/16 mm:        07. 08. 1973

Für die Zeit nach 1945 möchte ich Herrn Günther Benedix für das Bereitstellen sehr wichtiger Informationen und Originalquellen danken




Marco Kröger


letzte Änderung: 18. Februar 2025