Apo-Germinar

Zeiss Repro-Optik

Apo-Planar, Apo-Tessar und Apo-Germinar

Es hat einmal Anwendungsfälle für die Photographie gegeben, die heute beinah schon vergessen sind, weil sie mittlerweile vollständig durch neue Technologien abgelöst wurden. Dazu gehörte die Reproduktionsphotographie, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert erstmals ermöglichte, realitätsgetreue Abbildungen mit dem bereits seit längerer Zeit mechanisierten (Buch-) Druck zu verknüpfen. Es mußten nicht mehr Bilder von Gegenständen, Gebäuden, Landschaften usw. gezeichnet bzw. von Hand in Holz geschnitten werden, sondern es konnten nun Druckformen ("Clichés, eingedeutscht: Klischees") direkt von einer auf photographischem Wege erzeugten Vorlage gewonnen werden. 

Apo-Reproduktionsoptik Zeiss Jena

Da bei diesen Druckverfahren die Vorlage jeweils in einzelne Rasterpunkte aufgelöst werden mußte, wurden bis hierhin nicht gekannte Anforderungen an die Abbildungsleistung des Objektives gestellt. Hinzu kam, daß auf diese Weise – und zwar schon lange bevor sich farbphotographische Verfahren etablieren konnten – bereits Drucke in natürlichen Farben möglich geworden waren, indem vom Original Farbauszüge hergestellt und diese mit drei Druckfarben und zusätzlich Schwarz übereinander gedruckt wurden (Vierfarbendruck). Insbesondere für diesen Zweck mußten die Objektive für alle Farben genau dieselbe Brennweite haben, d.h. alle drei Teilbilder hatten genau gleich groß zu sein. Die dafür notwendige Behebung der Farbquerabweichung über das gesamte sichtbare Spektrum hinweg konnte erstmals in Perfektion verwirklicht werden, nachdem das Schott'sche Glaswerk in Jena seit der zweiten Hälfte der 1880er Jahre optische Gläser mit völlig neuartigen Eigenschaften hervorgebracht hatte.

1. Problemaufriß: Beherrschung der Farbfehler

Man muß sich natürlich vor Augen führen, daß seinerzeit diese Weiterentwicklung der Repro-Optik gleichzeitig und parallel mit der Verbesserung der reprographischen Techniken stattfand. So wurde in den 1880er Jahren überhaupt erst die Grundlage dafür geschaffen, daß auch Halbtonvorlagen drucktechnisch wiedergegeben werden konnten (Linienraster Georg Meisenbachs, Glasraster der Gebrüder Levy). Mit diesen neuen Techniken erlebte der Illustrationsdruck in Büchern und Zeitschriften an der Wende zum 20. Jahrhundert einen enormen Aufschwung. Und im selben Maße wuchsen auch die Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Reprokamera und ihrer Optik.

chromatische Längs- und Querabweichung

Obgleich schon zu Zeiten der Aplanate die Lösung solch grundlegender Probleme wie die allgemeine Scharfzeichnung, die Orthoskopie und die Zusammenlegung von chemischem und optischem Fokus befriedigend gelungen war und ab 1890 durch Beseitigung des Astigmatismus auch die Bildqualität außerhalb der Achse stark verbessert werden konnte, blieb speziell für den Farbendruck ein sehr störender Restfehler: Das sekundäre Spektrum. Mit dem Aufkommen der sogenannten Farbsensilbilisierung in den 1870er Jahren war es unter Anwendung strenger Auszugsfilter möglich geworden, die in der Natur vorkommenden Farben über drei farbige Teilauszüge zu extrahieren. Als Problem stellte sich dabei der Rotauszug dar. Zwar war es mit dem bereits seit dem 18. Jahrhundert bekannten Verfahren gelungen, die chromatischen Fehler eines Objektivs für den Bereich der kurzen und der mittleren Wellenlängen in den Griff zu bekommen ("Achromat"), aber mit den bisherigen Gläsern war das nicht gleichzeitig auch im langwelligen Rot erzielbar. Anhand des obigen Schemas erkennt man, daß bei einer chromatisch unkorrigierten Optik (a) die farblichen Teilbilder für blau gelb und rot nicht nur an unterschiedlichen Stellen entlang der optischen Achse zustandekommen (Farblängsfehler), sondern daß die Bilder auch noch alle unterschiedlich groß sind (Farbquerfehler). Man kann nun mit den üblichen Glasarten den Fokus für den kurzen und mittleren Spektralbereich an dieselbe Stelle legen (b) und im nächsten Schritt sogar die Abbildung für diese beiden Farbbereiche gleich groß machen (c). Aber es bleibt dabei ein Fehlerrest im langwelligen Bereich übrig, den man bei hohen Ansprüchen an die Bildqualität nicht mehr ignorieren kann.

Teildispersionen optischer Gläser

Der Grund dafür, weshalb dieser rote Fehlerrest so schwer beherrschbar ist, liegt darin, weil die Farbzerstreuung vieler optischer Medien über das Spektrum hinweg nicht konstant ausfällt. Vielmehr ist es bei den üblichen optischen Gläsern so, daß bei ihnen der kurzwellige Bereich weiter aufgefächert ist als der langwellige (a). Diese Eigenart bleibt auch erhalten, wenn man einfach nur stärker brechende Glasarten einsetzt (b) das Ausmaß der ungleichgewichtigen Dispersion wächst dann nur proportional mit den Brechzahlen an. Erst spezielle Gläser mit einem umgekehrten Verhalten (c), bei denen also der langwellige Bereich weiter aufgespreizt ist als der kurzwellige, erlauben eine Korrektur der auseinanderlaufenden chromatischen Fehler über das gesamte Spektrum hinweg. Derartige Glasarten mit einem vom üblichen Verlauf abweichenden Dispersionsverhalten konnten erstmals in den 1880er Jahren im Jenaer Glaswerk Schott & Gen. geschaffen werden, nachdem man erkannt hatte, daß die Zugabe großer Mengen an Antimonoxyd (Sb2O3) zur Schmelze zu einem derartigen Verhalten führte. Ihrem ersten Einsatz im Teleskopbau nach wurden diese neuen Glasarten zunächst als Fernrohrflint bezeichnet. Später hat sich wegen der charakteristischen Eigenschaft der verkürzten Dispersion im kurzwelligen Spektralbereich der Begriff Kurzflint (KzF) durchgesetzt.

Sphärochromasie

Mit diesen neuen Gläsern war es erstmals möglich, Objektive für Fernrohre und Mikroskope apochromatisch zu korrigieren. Es sei allerdings an dieser Stelle nur angedeutet, daß es insbesondere für photographische Objektive mit ihren großen Bildwinkeln nicht genügt, nur die Bilder für alle Farben an dieselbe Stelle auf der optischen Achse zu bringen und sie dabei gleichgroß zu machen. Vielmehr muß auch das Ausbrechen des Öffnungsfehlers über das Spektrum hinweg ("Sphärochromasie") eingehegt werden. Erst dann läßt sich nach Ernst Abbe von einem vollkommenen Apochromaten sprechen. Später hat man dann erkannt, daß auch schief durch das Objektiv gehende Lichtbüschel zu Querfehlern führen, die mit der Farbe variieren ("Farbquerkoma") und dabei die Bildqualität für die sehr hohen Anforderungen der Reproduktionsphotographie ungenügend machen können. All diese Herausforderungen haben die Repro-Optik über Jahrzehnte hinweg zu einer High-Tech-Anwendung für photographische Optik gemacht.

2. Ausgangspunkt: Apo-Planar

Das erste photographische Objektiv der Firma Zeiss überhaupt, das Abbe-Rudolph-Triplet, war bereits ein solcher Apochromat. Ausgehend von ihren ersten großen Erfolgen beim Einsatz der neuen Glasarten in Mikroskop-Objektiven hatten Ernst Abbe und Paul Rudolph die Farbfehler dieses dreigliedrigen Objektivs sehr sorgfältig behoben. Bei der genauen Überprüfung stellte sich jedoch heraus, daß diese Konstruktion eine derartige Wölbung der Bildschalen mit sich brachte, die sie für den praktischen Einsatz in der bildmäßigen Photographie beinah unbrauchbar machte und selbst in der Reproduktionsanstalt, wo keine übermäßigen Bildwinkel verlangt wurden, nur bedingt geeignet war. Paul Rudolph gelang es zwar kurz darauf mit seinem Anastigmaten, diese Bildfehler der Wölbung und des Astigmatismus zu eliminieren, doch waren bei diesem später als Protar bezeichneten Objektiv wiederum die sphärischen und sphärochromatischen Fehler nicht genug korrigierbar, um wirklich perfekte Schärfe liefern zu können. Sein "Reproduktions-Anastigmat" fand daher noch wenig Verbreitung.

Zeiss Apo-Planar

Diese Sackgasse konnten erst überwunden werden, als Paul Rudolph mit dem symmetrischen Gauß-Typus dessen hervorragende chromatischen Korrekturmöglichkeiten mit der bislang bei ihm nicht möglichen Behebung der astigmatischen Fehler verknüpfen konnte. Und der Einsatz der neuartigen Gläser mit vermindertem sekundärem Spektrum in diesem ohnehin schon sphärochromatisch gut korrigierten neuen Typ erlaubte die Konstruktion eines nach damaligen Maßstäben nicht für möglich gehaltenen Hochleistungsobjektivs. Mit Lichtstärken ab 1:7,2 war Rudolph aber zweifellos ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Zur Einordnung: Der Verkaufspreis von 6000,- Reichsmark für die längste Brennweite des Apo-Planars war exakt so hoch wie Paul Rudolphs Jahresverdienst bei Zeiss!

3. Das Apo-Tessar

Für den rein professionellen Einsatzzweck, für den diese Repro-Optiken vorgesehen waren, spielten diese hohen Verkaufspreise möglicherweise nicht die entscheidende Rolle. Doch zeigte sich rasch, daß auch diese extreme Lichtstärke des Apo-Planars für die Reprographie keine greifbaren Vorteile mit sich brachte. Vielmehr offenbarte der Planar-Typ im praktischen Einsatz seine Schwächen, weil mit seinen gegeneinander gestellten konkaven Flächen selbst unter kontrollierten Laborbedingungen deutliche Kontrastbeeinträchtigungen durch den Einfluß von Spiegelungen auftreten konnten.

Apochromat-Tessar 10/640 mm

An ähnlichen Streulicht-Problemen litt auch das von Paul Rudolph im Anschluß an das Planar eingeführte Unar von 1899/1900. Sein Ausweg aus dieser Sackgasse stellte 1902 das neue Tessar 1:6,3 als leistungsstarkes Universalobjektiv dar. Nach neuesten Erkenntnisse erarbeitete Rudolph parallel ein "Reproductions-Tessar 1:10", das ab 1903 als Apochromat-Tessar Serie VIII speziell für die Reproduktionsphotographie auf den Markt gebracht wurde [Bild: Maximiliam Gernandt].

Reproductions-Tessar 1902

Hier sind zwei originale Datenblätter zu Rudolphs "Reproductions-Tessar 1/10 640 mm" wiedergegeben. Oben nach einer Rechnung vom 23. Juni 1902, unten vom 15. September. Die vordere und die hintere Sammellinse sind aus schwerem Barytkron gefertigt (vorn ähnlich dem späteren SK5, hinten ähnlich SK2). Die beiden inneren Zerstreuungslinsen dagegen bestehen aus Fernrohr-Flint mit verkürzter Dispersion im Blaubereich. Im Datenblatt unten kann man aus den a-Kurven sehen, daß die sphärische Aberration für die unterschiedlichen Farben gleich gut behoben war. Der Bildwinkel lag bei nur etwas über 20 Grad.

Reproductions-Tessar 1902

Diese Apochromat-Tessare, die wohl als letzte von Paul Rudolph noch aus eigener Hand geschaffenen Zeiss-Objektive angesehen werden müssen, entwickelten sich in den folgenden Jahren regelrecht zu einem Standard in den Reproduktionsanstalten, auch wenn insbesondere die längeren Brennweiten sehr hohe Verkaufspreise aufwiesen. Das hatte aber auch damit zu tun, daß Zeiss auch die notwendigen Zusatzgeräte in vollem Umfang bereitstellen konnte. Dazu gehörten vor allem die für die Bildumkehrung nötigen Prismen, für die teils riesige Stücke reinsten Borkron-Glases notwendig waren.

Apo-Tessar Reproduktion
Zeiss Repro-Objektive 1920er Jahre
Apo-Tessar 9/24 cm

In den Jahren 1927 bis 1929 wurden unter Willy Merté alle Brennweiten auf Basis aktueller Glasarten neu berechnet. Die Lichtstärke betrug nun 1:9 bei Brennweiten von 24 bis 90 cm sowie 1:11 bei der in nur wenigen Exemplaren hergestellten Brennweite 120 cm. Der Bildwinkel lag bei voller Öffnung bei nur etwa 20 Grad, doch bei einer für Reproduktionen üblichen Abblendung auf 1:22 bzw 1:32 wuchs er auf 40 bzw. 45 Grad an. Damit hatte das neue Apo-Tessar eine um 25 Prozent größere Bildwinkelleistung zu bieten als der bisherige Typ [Vgl. Jahrbuch für Photographie, Kinematographie und Reproduktionstechnik, 1928/29, S70/71.]. Im Jahre 1939 waren noch zwei kurzbrennweitige Apo-Tessare 9/14 und 9/18 cm hinzugekommen.

Apo-Tessar 9-30 cm
Apo-Tessar 1955

Wie oben anhand des Achsenschnittbildes zu erkennen ist, war bei manchen dieser Apo-Tessare im bildseitigen Systemteil die Kittfläche aufgelöst und durch eine ganz dünne Luftlinse ersetzt worden. In der Praxis wurde das dadurch bewerkstelligt, daß zwischen den entsprechenden Linsen drei um 120 Grad versetzte Metallplättchen ("Stanniol") eingelegt wurden.

Apo-Tessar

Eine letztmalige Überarbeitung erfuhren die Apo-Tessare dann Mitte der 1950er Jahre. Genau genommen wurden meist nur die Rechnungen Mertés aus den 20er und 30er Jahren mit den Werten der aktuellen Schmelzen neu durchgerechnet. Wie oben anhand des Apo-Tessars 9/750 beispielhaft zu sehen, war man in Bezug auf die Kombinationsrechnungen bei der K37 angelangt. Beim 9/600 war es die K40 und beim viel gekauften 9/300 sogar die K58. Wenn man sich die Dokumentenüberlieferung der Abteilung Photo nach 1945 in ihrer Gesamtheit anschaut, läßt sich sagen, daß desöfteren bei einem bestimmten Punkt innerhalb einer Vielzahl an K-Rechnungen ein komplett neues Rechnungsabschlußdatum vergeben wurde. Nach welchen Kriterien dieser Punkt festgelegt wurde, das ist heute nur noch schwer nachzuvollziehen. Jedenfalls war mit dieser Überarbeitung das Apo-Tessar mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem ersten Erscheinen noch einmal auf den Stand der Technik gebracht worden. Die Produktion der einzelnen Brennweiten lief bis etwa 1970 aus.

4. Das Apo-Germinar

In den 1950er Jahren nahm die Bedeutung der farbigen Reproduktion immens zu. Von illustrierten Zeitschriften wurde nun verlangt, daß zumindest die Titelseite ein Farbphoto zeigt. Immer mehr Publikationen, wie Mode-Zeitschriften oder Reiseführer etc., waren sogar durchweg "bunt". Der dazu nötige Vierfarbendruck verlangte nach hochwertigen Repro-Objektiven. Die Apo-Tessare konnten mit den Anforderungen nicht mehr mithalten, denn bei diesem asymmetrischen Typ ließ sich nicht für alle infrage kommenden Abbildungsmaßstäbe die Farbquerkoma beseitigen. Für eine gute Fehlerkorrektur hatten es die Konstrukteure Harry Zöllner und Fritz Disep als vorteilhaft erkannt, wenn alle Glieder eines solchen Spezialobjektives von sammelnder Wirkung sind, um auf diese Weise die Einzelbrechkräfte der Linsen möglichst klein zu halten. Gleichzeitig war dadurch gewährleistet, das System möglichst gedrängt aufzubauen, um eine gute Lichtverteilung im Bildfeld zu gewährleisten. Diese Erkenntnisse waren der Grund, weshalb bei Zeiss Jena Anfang der 1950er Jahre ein völlig neuartiges symmetrisches Repro-Objektiv entwickelt wurde.

Apo-Germinar V115

Als Ausgangspunkt lässt sich der Versuch V115 vom 16. Januar 1952 für ein Reproduktionsobjektiv 9/600 mm ausmachen. Von den späteren Apo-Germinaren war dieser V115 aber noch sehr weit entfernt. Das gilt sowohl für den Grundaufbau als auch die Verwendung der Glasarten. In einem entfernten Sinn kann dieses Repro-Objektiv nach V115 als von Ernst Arbeits Euryplan abgeleitet angesehen werden, das dann später Paul Rudolph zum Plasmat weiterentwickelt hat. Die inneren Sammellinsen weisen hier jedoch ihre erhabenen Flächen der Blende zu, was diesen V115 als eigenständigen Typ ausweist.

Von diesem V115 ist zwar kein Prüfbericht mehr vorhanden, aber die obige Mitteilung, aus der hervorgeht, daß die Prüfergebnisse sehr schlecht ausgefallen waren. Aus der nun in Auftrag gegebenen Ursachenforschung, weil die Meßergebnisse offenbar so eklatant von der Rechnung abwichen, können wir bereits ersehen, wie schwierig die Herstellung dieser langbrennweitigen Hochleistungsobjektive ist. Kleinste Abweichungen in den Linsenradien, Flächenfehler, Verspannungen usw. führen dazu, daß die in der Rechnung zugrundegelegte hohe Bildleistung in der Praxis nicht erreicht werden kann.

Apo-Germinar V137

Von diesem V115 wurde zum 24. Juli 1953 ein V137 abgeleitet, bei dem die inneren sammelnden Menisken stärker durchbogen waren. Die Brechkräfte der äußeren Kittglieder waren halbiert, die der inneren Sammellinsen um 50 % erhöht worden. Die Zerstreuungslinsen in den Kittgliedern wurde auf das anomal dispergierende Doppel-Leichtflint LLF8 umgestellt, das im Gegensatz zum KzF5 auf der gegenüberliegenden Seite der Normalgeraden lag.

Apo-Germinar

Auf der Basis dieses V137, also mit den Gläsern SK16, LLF8 und KzF5, wurden in den Jahren 1953/54 noch mehrere Versuche gerechnet und davon wiederum verschiedene Brennweiten abgeleitet. Die daraus gewonnenen Musterobjektive konnten aber offenbar alle nicht befriedigen und wurden daher nicht in die Serienfertigung übernommen. Es bedurfte eines anderen Konstruktionsansatzes.

Apo-Germinar

Daraufhin verließen Zöllner und Disep den bisherigen Aufbau weitgehend und erarbeiteten bis zum Dezember 1956 einen neuen Ansatz eines symmetrischen Repro-Doppelobjektives. Das für die apochromatische Korrektur nötige Kurzflint wanderte nun in die Zerstreuungslinsen des Kittgliedes. Die inneren Elemente aus niedrig brechendem BK10 hatten kaum noch Brechkraft, ihre der Blende zugewandten Flächen waren plan ausgeführt.

Ausgangspunkt für diesen neuen Konstruktionsansatz war der Versuch V239 mit Rechnungsabschluß vom 14. Dezember 1956. Von diesem Versuch gab es zwei Varianten: Eine mit verkitteten Linsen 1 und 2 sowie 5 und 6 sowie eine Variante, bei der anstatt der Kittflächen Stanniolplättchen von 0,4 mm Dicke an den äußersten Randflächen der Linsen eingelegt wurden, um statt der Kittflächen zu einem auf die Achse bezogenen Luftabstand von 0,585 mm zu gelangen. Die Prüfung beider Versuchsvarianten muß ergeben haben, daß die Rechnung mit Luftraum statt Kittflächen die besseren Resultate bringt. Auf dieser Basis des V239 wurde der Versuch V267 abgeleitet, der dasselbe Rechnungsdatum vom 14. Dezember 1956 trägt und der auch exakt dieselben Radien, Dicken und Luftabstände aufweist. Bei ihm sind aber die Durchmesser beider Linsen so erweitert worden, daß die Zerstreuungslinsen direkt auf den Rändern der Sammellinsen aufliegen konnten und sich auf diese Weise ebenfalls der Luftabstand 0,585 mm ergab. Die auf dieser Basis des V267 gefertigten Serienobjektive kamen also am Ende ohne solche Stanniolplättchen aus.

DD24255 Apo-Germinar

Beide Entwicklungen – die mit den von der Blende abgewandt gekrümmten Menisken des Versuchs V115ff sowie die tatsächliche Serienversion des V239ff – wurden am 9. Juli 1960 unter der Nummer DD24.255 in der DDR zum Patent angemeldet. Unter der Bezeichnung Apo-Germinar wurden die neuen Repro-Objektive zur Leipziger Frühjahrsmesse 1961 offiziell herausgebracht [Vgl. Fotografie 3/1961, S. 182.].

Apo-Germinar

Von diesem sechslinsigen Aufbau wurden in den Jahren 1956/57 die Brennweiten 140; 240; 180, 300; 375; 450; 600; 750 und 900 mm gerechnet sowie die Brennweite 1200 mm mit der Öffnung 1:11. Doch produziert wurden sie nur kurze Zeit und zudem nur in wenigen Dutzend Exemplaren. Diese Objektive stellten extreme Anforderungen an die Präzision der Fertigung. Die letztlich nicht vermeidbaren Toleranzen vor allem im Hinblick auf die endgültigen Dicken der einzelnen Linsen führten dazu, daß ihre Zusammenstellung zu eine Gesamtobjektiv mit Rechenarbeiten verbunden waren, die am Ende einer Einzelanfertigung jedes einzelnen Objektivs gleichkamen.

Apo-Germinar

Die kritische Schlußbetrachtung des Zeiss-Prüflabors weist für die neuen Apo-Germinare eine deutlich bessere Leistung gegenüber den bisherigen Apo-Tessaren aus. Vorhandene Restbeträge der Koma verschwanden allerdings erst bei Abblendung auf mindestens 1:16 (was bei Reproduktionen ohnehin als Arbeitsblende gilt). Ab Blende 22 war auch die künstliche Vignettierung verschwunden, die sich aus dem gegenüber dem Apo-Tessar längeren Bau ergab.

Obwohl sich die einzelnen Brennweiten der Apo-Germinare untereinander sehr ähneln, unterscheiden sich die Formen der Linsen teils erheblich, was mit der Art der Befestigung in der Fassung zusammenhängt. Außerdem mußten die Flächen 2/3 und 10/11 in ihren Durchmessern so aufeinander abgestimmt sein, daß sich zwischen ihnen der dünne Luftspalt mit hoher Exaktheit ergab, wenn diese Linsen sich mit ihren Rändern aufeinander abstützen. Die obigen Schnittbilder sind den originalen Optik-Datenblättern der jeweiligen Brennweiten entnommen.

Apo-Germinar vierlinsige Version

Im Jahre 1962 wurden alle Apo-Germinare auf Basis der vorhandenen Versuchsnummern noch einmal neu durchgerechnet, und weiter optimiert, wobei sich neue Radien, Dicken und Abstände ergaben. Die Brechkräfte der Linsen änderten sich jedoch nur ganz minimal. Oben ist jeweils ein Exemplar der Apo-Germinare 9/140 und 9/180 gezeigt aus dem ersten Fertigungslos auf Basis der überarbeiteten Rechnungen, die beide auf das Jahr 1965 datieren. Anders als Sie das an verschiedenen Stellen im Internet lesen können blieb es es also zunächst beim sechslinsigen Aufbau!

Apo Germinar from 1970 onwards

Im Jahre 1970 wurde durch Gerhard Risch aber eine vollständige Überarbeitung der Apo-Germinar-Reihe vorgenommen. Bei den kürzeren Brennweiten setzte man bei Zeiss nun auf einen äußeren Aufbau aus vier einzelnstehenden Linsen, wie bei den weiter oben im Prüfbericht schon erwähnten Apo-Ronaren von Rodenstock. Im Zuge dieser Neurechnung waren die Brennweiten 140 und 180 mm ersatzlos weggefallen und die bisherige Brennweite 375 mm wurde durch 360 mm ersetzt worden. Übrig blieben daher vier vierlinsige Apo-Germinare 1:9 mit den Brennweiten 240; 300; 360 und 450 mm, die Risch im Laufe des Jahres 1970 fertiggestellt hatte.

Stellvertretend für die anderen Brennweiten ist oben einmal der Musterprüfbericht V421 für das neue Apo-Germinar 9/300 wiedergegeben [Sammlung Benedix]. Aus den letzten Zeilen erfährt man, daß der neue Typ bessere Leistungen brachte als das Apo-Tessar und das bisherige Apo-Germinar 9/300 mm. Aus dem Punkt 2 wird aber noch einmal deutlich, welche extreme Anforderungen an die Exaktheit der Fertigung von Linsen und Fassungen bei solchen Hochleistungsobjektiven gestellt werden. Schon leichteste Verspannungen und Verdrehen der Elemente in der Fassung sorgen dafür, daß diese Objektive nicht jene Leistung erbringen können, für die sie gerechnet sind.

Apo-Germinar 9/600 1970

Für die verbleibenden drei längeren Brennweiten 600; 750 und 1000 mm wurde jedoch weiterhin ein sechslinsiger Aufbau gewählt, der sich jedoch erheblich von den bisherigen Sechslinsern von 1957/62 unterschied. Das läßt sich vor allem daran festmachen, daß die vier inneren Linsen des Doppelobjektivs nun von negativer Brechkraft waren. Weiter ist von Bedeutung, daß diese drei sechslinsigen Versionen nun nicht mehr einander ähnlich waren. So hatte das Apo-Germinar 9/600 mm nach V 426 vom 6. November 1970 äußere Sammellinsen von erkennbar bikonvexer Form. Auch die nachfolgende Zerstreuungslinse war eindeutig bikonkav, wobei die der Sammellinse zugewandte Fläche denselben Radius wie die benachbarte Fläche der Sammellinse hatte. Beim Apo-Germinar 9/750 nach V425 vom 30. November 1970 war das schon weniger deutlich ausgeprägt: Die einander zugewandten Flächen von Sammel- und Zerstreuungslinse hatten zwar noch betragsmäßig dieselbe Krümmung, diese näherte sich jedoch mit einem Halbmesser von knapp einem Meter fast einer planen Fläche an.

Apo-Germinar 12/1000 mm

Beim Apo-Germinar 12/1000 mm hatte sich dieses Verhältnis weiter verschoben. Hier waren nun alle Linsen meniskenhaft von der Blende weggewölbt. Die Radien 2 und 3 sowie 10 und 11 waren nun nicht mehr betragsmäßig identisch, sodaß sich der Luftraum zwischen ihnen Richtung Linsenrand vergrößerte. Die Halbmesser beider Flächenpaare waren jedoch so groß, daß die Flächen auf dem Achsenschnittbild fast plan aussehen. Dieses Apo-Germinar 12/1000 mm ersetzte dabei die beiden älteren Typen 9/900 und 11/1200 mm.


Bereits Mitte der 60er Jahre sind bei Zeiss Bestrebungen nachweisbar, den Bildwinkel von Repro-Objektiven auf über 80 Grad zu erweitern, womit man im Repro-Studio viel Platz hätte sparen können [DDR-Patent Nr. 57.451 vom 5. Oktober 1966, Wolfgang Naundorf und Harald Maenz]. Dieses Objektiv mit seinem beträchtlichen Aufwand wurde aber meines Wissens nicht in Serie gebaut.

5. Apo-Germinar W

Erst Anfang der 1980er Jahre wurden in dieser Richtung wieder Arbeiten aufgenommen und auch in einer größen Serienfertigung praktisch umgesetzt. Ziel war es, bei einer Arbeitsblende von 1:16 und Abbildungsmaßstäben zwischen 1:5 und 5:1 einen Bildwinkel bis etwa 75 Grad abzudecken. Das Ergebnis, das "Apo-Germinar W", wurde von Walter Hörichs und Volker Tautz am 3. Mai 1982 patentiert [Nr. DD207.268]. Es wurden drei unterschiedliche Ausführungen mit Brennweiten von 150; 210 und 240 mm geschaffen, die unter Ägide des VEB Carl Zeiss JENA jeweils etwa 800 bis 850 mal gebaut wurden. Eine weitere Herstellung (oder zumindest Montage vorhandener Teile) durch die Nachfolgefirma des Betriebsteiles Saalfeld nach der Wende muß zudem hinzugerechnet werden.

Apo Germinar W

Auch bei diesem Apo-Germinar W wird in den Linsen drei und sechs jeweils Kurzflint eingesetzt, um die apochromatische Korrektur zu erreichen. Insgesamt verblüfft jedoch, daß diese hochwertigen Repro-Objektive ohne extreme Glasarten auskamen. Die großen zerstreuenden Menisken, die das System nach vorn und hinten abschließen, bestehen aus gewöhnlichem Flint. Das SK16 in den nachfolgenden sammelnden Menisken ist zwar ein sehr gering dispergierendes Schwerkronglas, war aber bereits seit den 1930er Jahren im Objektivbau verfügbar. Das gilt prinzipiell auch für das Phosphat-Schwerkron PSK2, das durch seine spezielle Lage im n-ny-Diagramm aber nach wie vor zu den ganz besonderen Gläsern gehörte. Die besonderen Eigenschaften wurden durch Zugabe von Phosphorpentoxyd (P2O5) zur Schmelze erreicht.

Apo-Germinar W

Die drei im Februar 1981 berechneten Varianten dieses Weitwinkel-Reproduktionsobjektivs gehörten zum Besten, was international in diesem Metier angeboten wurde. Um den einzig verbleibenden "Bildfehler", nämlich den natürlichen Lichtabfall zum Bildrande hin, der sich bei solche großen Bildwinkeln zwangsläufig einstellt, zu kompensieren, wurden noch eigens für das jeweilige Objektiv berechnete Grau-Verlaufsfilter geschaffen und  am 1. Juni 1983 in der DDR-Schutzschrift Nr. 215.872 patentiert. Dazu wurde eine Chrom-Nickelschicht derart auf das Filterglas aufgedampft, daß die Transparenz zum Rande radial von 40 auf 100 % zunimmt. Diese Grau-Verlaufsfilter sind in der obigen Abbildung auf den drei Apo-Germinaren W aufgesetzt.

Apo-Germinar W

Marco Kröger


letzte Änderung: 24. Oktober 2025