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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Objektive aus Rathenow
Die Objektivbaustandorte im thüringischen Jena und im niederschlesischen Görlitz dürften jedem Photofreund hinlänglich bekannt sein. Kaum beachtet wird jedoch, daß es auch im Brandenburgischen eine vergleichbar geschichtsträchtige Objektivbauindustrie gegeben hat.
Duncker
Und dabei dürfte das brandenburgische Rathenow sogar der traditionsreichste Standort der optischen Industrie auf dem Territorium des heutigen Deutschlands sein. Neben dem in Leipzig geborenen und später in Wien tätigen Johann Christoph Voigtländer (1732 - 1797) gilt nämlich Johann Heinrich August Duncker (1767 - 1843) als großer Pionier des optischen Handwerks im späten Heiligen Römischen Reich. Freilich gab es dazumal in jeder größeren Stadt einen optischen Handwerksbetrieb, aber Duncker tat sich in Rathenow aus der Masse der Optiker dadurch hervor, daß er mithilfe der von ihm entwickelten Vielspindelschleifmaschine die Herstellung optischer Linsen in einer bislang nicht gekannten Weise mechanisieren konnte. Dadurch erhöhte sich Produktivität in diesem Gewerbe derart, daß das Brillenglas nunmehr zum Massenartikel wurde. Ein James Hargreaves der Optik beinah. Dieser Schritt lag jedenfalls vollkommen im Zeitgeist des anbrechenden Industriezeitalters an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.
Ein originalgetreuer Nachbau der Duncker'schen Vielspindelschleifmaschine von 1801. Es konnten nun selbsttätig gleich elf Glasrohlinge gleichzeitig geschliffen bzw. poliert werden. Zum schleifen wurde gemahlener Sandstein verwendet, zum polieren zunächst Kieselgur oder Quarz, später das als Polierrot bekannte Eisen(II)oxyd.
Unten: Wer am Rathenower Bahnhof ankommt, der wird umgehend auf die herausragende Bedeutung Dunckers für die Stadt aufmerksam gemacht.
Busch
Emil Busch (1820 - 1888), Dunckers Enkel, hat diesen Ansatz, die Fertigung von Linsen mit hochproduktiven Maschinen zu beschleunigen, perfektioniert, als er im Jahre 1845 die Firma übernahm. Es ist einleuchtend, daß gerade bei der Herstellung von optischen Massenbedarfsartikeln wie den Brillengläsern eine Mechanisierung und Automatisierung die Konkurenzfähigkeit eines in diesem Metier tätigen Unternehmens enorm steigerte. Aber Emil Busch konnte die Bedeutung seines Betriebes vor allem auch dadurch mehren, indem er dessen Tätigkeitsfelder auf weitere Bereiche der optischen Instrumente ausdehnte. So unter anderem ab Mitte der 1850er Jahre auch auf den Photoobjektivbau.
Im Jahre 1834 zog die Rathenower Optische Industrie-Anstalt in dieses Gebäude in der Berliner Sraße 5
Pantoscop
Als besonders bemerkenswerte Einzelleistung der Emil Busch AG im Sektor des Photoobjektivbaus muß dabei das Pantoscop von 1865 hervorgehoben werden, ein "Mittelding zwischen Periskop und Kugelobjektiv" [Eder, Handbuch, Band 1, Teil 4, 1911, S. 102.]. Mit dieser Kobstruktion gelang es erstmals, einen Bildwinkel von 100 Grad zu überschreiten. Es war neben dem besagten Harrisons'schen Kugelobjektiv in den 1860er Jahren die einzige Lichtbildlinse, die es gestattete, Gebäude in engen städtischen Milieus in ihrer Gänze aufzunehmen. Da jedoch die sphärische Aberration und die Koma nicht korrigiert waren, konnten dem Pantoscop (später Pantoskop geschrieben) nur sehr kleine Öffnungen um 1:30 oder 1:40 mitgegeben werden, was in der Architekturphotographie freilich kaum störte, weil hier lange Belichtungszeiten in Kauf genommen werden können. Allerdings mußte aufgrund der hohen natürlichen Vignettierung dafür gesorgt werden, daß die Bildränder gegenüber der Mitte reichlich nachbelichtet wurden.
Vario-Glaukar
Untrennbar mit dem Namen Busch verbunden, wenn auch beinah ein dreiviertel Jahrhundert später, ist zudem das Vario-Glaukar 2,8/25-80 mm für die Siemens FII 16 mm-Schmalfilkamera. Es gilt nämlich als eines der ersten Zoomobjektive der Welt. In Deutschland jedenfalls war es das erste vollständig ausgebildete, als Gesamtsytem konzipierte und dabei noch pankratische Varioobjektiv, d. h. die Bildebene wanderte beim Verstellen der Brennweite nicht aus. Der konkurrierende Transfokator von Astro Berlin war dagegen ein brennweitenloser Vorsatz mit veränderlichem Abbildungsmaßstab, der vor das fest eingebaute Objektiv der Siemens-Schmalfilmkameras Typ A oder B gesetzt werden konnte.
Bild: Marcel Wieditz
Bei Busch in Rathenow hat man sich seit Anfang der 30er Jahre intensiv mit brennweitenveränderlichen Objektiven befaßt. Der Antrieb dafür kam ursprünglich aus dem Geschäftsfeld der Kino-Projektionsobjektive, in dem die Firma Busch stark vertreten war. Hier gab es das Problem, bei gegebenen Raumverhältnissen in einem Lichtspieltheater das Filmbild in genau der richtigen Größe auf der Leinwand abzubilden, wozu ein Arsenal an Projektionsobjektiven mit fein abgestufter Brennweite vorgehalten werden mußte. Akut wurde das Problem jedoch mit Einführung des Tonfilmes, als in einer Übergangszeit das alte Stummfilmformat und das neue, durch die Lichttonspur verkleinerte Tonfilmformat im Wechsel vorgeführt werden mußten. Diesem Problem begegnete die Firma Busch mit dem Vario-Neokino 2/70-140 mm, das im Reichspatent Nr. 590.881 vom 12. März 1931 geschützt wurde.
Für ein variofokales Aufnahmeobjektiv, das ein größeres Verstellintervall der Brennweite abdecken und gleichzeitig pankratisch arbeiten sollte, war jedoch ein anderer Aufbau nötig. Das Vario-Glaukar 2,8/25-80 mm war in drei Gruppen aufgeteilt, von denen zwei beweglich gelagert wurden. Die positiv wirkende Frontgruppe entwarf ein reelles Bild, das allerdings noch vor seinem Zustandekommen von dem negativ wirkenden Mittelglied aufgenommen wurde. Das dadurch entstehende virtuelle Bild wurde dann je nach Stellung des Mittelgliedes vergrößert, gleich groß oder verkleinert von dem aus vier einzeln stehenden Linsen aufgebauten Grundobjektiv auf der Schicht abgebildet [Vgl. Naumann, Das Auge meiner Kamera, 2. Auflage, 1951, S. 120/121]. Auf der Abbildung oben sind die stark von linearen Bewegungen abweichenden Kurven sichtbar, mit denem die beiden Glieder beim Brennweitenwechsel jeweils verschoben werden. Linear ist nur die zusätzliche Verstellung der Vordergruppe zum Zwecke der Entfernungseinstellung. Die Herstellung einer derartigen Fassung war für die technologischen Bedingungen der 30er Jahre eine große Herausforderung.
Auf dem Linsenschnittbild oben ist noch einmal dargestellt, welche Positionen die beiden Gruppen im vorderen und mittleren Systemteil einnehmen. Deutlich ist erkennbar, daß die Frontgruppe obendrein eine Umkehrbewegung vollziehen muß, weil sie in der kürzesten wie in der längsten Brennweite die hintere Position einnimmt. Das verkomplizierte den mechanischen Aufbau des Objektives immens.
Es ist immer wieder behauptet worden, das Grundprinzip des Vario-Glaukars sei im Deutschen Reichspatent Nr. 597.354 vom 19. April 1931 geschützt worden. Ein Studium dieser Patentschrift läßt jedoch unschwer erkennen, daß hier alle drei Glieder beweglich gelagert sind und daß das Objektiv für eine Brennweitenspanne von 80 bis 200 mm ausgelegt ist. Auch hier standen also noch Projektionszwecke im Hintergrund. Möglicherweise handelt es sich dabei um das Poly-Neokino von Busch.
Aus einer Schutzanmeldung für das Vario-Neokino in den Vereinigten Staaten erfährt man übrigens, daß Helmut Naumann dessen Urheber gewesen ist. Nauman hat damals für die Busch AG gearbeitet. Man kann daher mit großer Sicherheit davon ausgehen, daß er auch der Urheber des Vario-Glaukars gewesen ist. In seinem 1937 erstmalig erschienen Standardwerk "Das Auge meiner Kamera" verschweigt er dies allerdings bescheiden, obgleich er seine Erfindung in der Neuauflage seines Buches aus dem Jahre 1951 überaus kenntnisreich beschreibt.
Möglicherweise hat das auch damit zu tun, daß das Vario-Glaukar bestehende Schutzrechte Dritter erletzt hat. Schließlich fällt auf, daß von diesem Zoomobjektiv nur sehr geringe Stückzahlen existieren. So wurden in den Jahren 1938/39 offenbar nur 44 Stück fabriziert. Das kann natürlich auch mit der außerordentlich schwierig herstellbaren Fassung zusammenhängen.
Laack und ROW
Ab 1948 wurde der Photoobjektivbau im verstaatlichten VEB Rathenower Optische Werke (ROW) weitergeführt. Die weiteste Verbreitung dürfte nun das Pololyt 3,5/75 mm für die Zweiäugige Spiegelreflex "Reflekta" erfahren haben. Dieser Dreilinser ging aber nicht auf die Busch-AG, sondern auf die ebenfalls in Rathenow ansässige Firma Julius Laack zurück, die nun ebenfalls im VEB ROW aufgegangen war. Die Firma Laack war 1883 gegründet worden und stellte etwa seit 1900 Objektive für den rasch wachsenden Photomarkt her. Für die "Weltaflex" wurde später bei ROW das verbesserte Triplet Rectan 3,5/75 mm geschaffen. Auch das unten gezeigte Orthan 4,5/55 wurde in den 1950er Jahren in relativ großen Stückzahlen ausgestoßen. Der billige Dreilinser gehörte zur standardmäßigen Ausstattung einfacher Vergrößerungsgeräte wie dem Adjutar vom VEB Aspekta. Dasselbe Objektiv wurden auch unter dem Namen Definon 4,5/55 vertrieben.
Für das Großformat fertigte der VEB ROW Rathenow noch einige Zeit ein Leukar nach dem "System Busch". Dabei handelt es sich um einen ganz klassischen Doppelanastigmaten nach dem Vorbild des Goerz'schen Dagors. Diese streng symmetrischen Objektive waren lange Zeit noch beliebt, weil sie nur aus zwei Gruppen bestanden und daher sehr brillant arbeiteten. Dieses Nachkriegsobjektiv ist zudem noch vergütet. Freilich waren solcherlei Doppelobjektive bereits nach dem Ersten Weltkrieg schon nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Sie ließen sich aber billig aus mittlerweile standardisierten Gläsern herstellen. Das läßt sich auch am Verzicht auf eine Irisblende zu Gusten einer einfachen Revolverblende ablesen. Das sich daraus ergebende urtümliche Aussehen läßt auf den ersten Blick nicht erahnen, daß es sich um ein Exemplar aus den 1950er Jahren handelt.
Da aktuell auch die Großformat-Photographie wieder eine Renaissance erlebt, und sogar alte Verfahren wie das das nasse Kollodium oder gar die Daguerre'sche Platte wieder hervorgeholt werden, sind auch solche alten Objektivkonstruktionen wieder interessant geworden. Sie weisen nämlich eine ganz eigentümliche, mit Worten nicht zu beschreibende Abbildungscharakteristik auf. Das Aufnahmeformat sollte bei Verwendung dieser Typen aber wenigstens 13x18 cm betragen, damit diese Wirkung auch zur Geltung gelangen kann.
Das Leukar ist ein klassicher Doppelanastigmat nach dem Vorbild des Goerz`schen Dagors, also streng symmetrisch aufgebaut aus zwei Hälften, die jeweils für sich schon gut auskorrigiert sind. Astigmatismus und Verzeichnung sind gering, aber die deutlichen sphärischen Zonen lassen nur mäßige Lichtstärken zu. Ansonsten bekommt man rasch ein Weichzeichnerobjektiv. Beschränkte man sich in der Lichtstärke, hatte man allerdings ein sehr kontrastreich arbeitendes Objektiv mit nur vier gegen Luft gestellten Glasflächen.
Rectimascop
Neben Aufnahme- und Vergrößerungsobjektiven oblag dem VEB ROW auch ein Gutteil der Sparte der Projektionsoptik in der DDR. Aus der Patentüberlieferung des Betriebes läßt sich etwa die Entwicklung der bekannten anamorphotischen Vorsätze für das Breitwandkino vom Typ Rectimascop nachvollziehen (federführend durch Alfred Lehr). Gut ist unten auf dem Schnittmodell der zylindrische Schliff der Linsen zu erkennen, der dafür sorgt, daß die entzerrende Brechkraft des Vorsatzes nur für die horizontale Ebene wirksam wird, die Bildhöhe jedoch unangetastet bleibt Auch das Ciomascop 64/1,2x wurde für den Lichtspielbetrieb entwickelt, offenbar um Filme nach dem Totalvisions-Verfahren und Filme nach dem Kasch-Verfahren ohne Bildfeldverlust auf dieselbe Leinwand projizieren zu können.
Visionar
Obwohl der VEB ROW mit seinem Quasi-Monopol auf die Herstellung von Brillengläsern in der DDR ausgelastet war, wurden auch die bei Zeiss Jena unter Robert Tiedeken entwickelten Hochleistungs-Projektionsobjektive vom Typ Visionar [DD22.291 vom 29. Oktober 1958, zusammen mit Harald Maenz und Rudolf Wanke] in Rathenow gefertigt. Zu jener Zeit hatte der VEB ROW durch Eingliederung in das Kombinat Carl Zeiss JENA seine Eigenständigkeit verloren. Mit den Visionaren wurde auf die deutlich erhöhten Anforderungen des Breitwandkinos an das Auflösungsvermögen des Kino-Projektionsobjektives reagiert. Dazu war ein sechslinsiger Gaußtyp und der Einsatz schwerer Kron- und Flintgläser nötig.
Als in der DDR Mitte der 60er Jahre mit dem DEFA-70-Verfahren ein eigenes 70-mm-Breitwandkino geschaffen wurde, erfolgte bei ROW die Entwicklung entsprechender Projektionssysteme unter der Bezeichnung Neoluxim. Sie wurden am Hochleistungs-Universalprojektor Pyrcon UP 700 eingesetzt.
Diarectim
Bis bis in die 60er Jahre kamen zudem auch viele Objektive für die Dia- und Epiprojektion aus Rathenow, so wie das unten gezeigte Diarectim 2,8/150 zum Beispiel. Der klassische Dreilinser fand im Mittelformat-Bildwerfer Prokyon der Leipziger Firma Heinrich Malinski Anwendung. Später spezialsierte sich der VEB Feinoptisches Werk Görlitz auf dieses Gebiet der Projektionsobjektive für Diaprojektoren.
Mikrophot
Abschließend möchte ich noch ein Spezialgebiet erwähnen, in dem es dem VEB ROW gelungen ist, in herausragender Weise Photographie und Mikroskopie miteinander zu verknüpfen. Dazu hatte dieser Betrieb sich eine besondere Expertise im Bereich der Kameramikroskope erarbeitet. Als Höhepunkt dieser Entwicklungsarbeiten läßt sich das Mikrophot 16 B-Z anführen, das auf der Frühjahrsmesse 1959 vorgestellt wurde [Vgl. Fotografie 5/1959, S. 197]. Bei diesem Gerät wurde die Mikrokamera nicht mehr irgendwo als Zusatzgerät angeflanscht, sondern war integraler Bestandteil des Mikroskops. Dazu war eine Aufnahme von Kassetten für 35mm-Meterware direkt im Mikroskopständer vorgesehen. Bei Betätigen des im Mikroskop eingebauten Belichtungs-Verschlusses wurde zugleich der Strahlengang von visueller Beaobachtung auf photographische Aufnahme umgeschaltet. Dieses kompromißlose Gerät, das offenbar im DDR-Patent Nr. 31.351 geschützt ist, wurde von Hans-Günter Scheplitz und Alfred Lehr geschaffen. Zuvor war bereits der im Mikrophot verwendete Mikroskoptubus mit binokularem Einblick durch das Patent Nr. DD29.950 geschützt worden.
Marco Kröger
letzte Änderung: 22. Januar 2023
Yves Strobelt, Zwickau
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