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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Zeiss-Ikon-Seriennummern
Zur Frage der doppelten Nummernkreise beim VEB Zeiss Ikon
Ein auffälliges Charakteristikum der Photogeräte des Volkseigenen Betriebes Zeiss Ikon, Dresden sind die beiden unterschiedlichen Seriennummern, die jede Kamera – zumindest während großer Zeitabschnitte – aufzuweisen hat. Selbst bei den Kinogeräten, wie den Schmalfilmkameras und den noch in Dresden gefertigten Exemplaren des P8-Projektors, ist dies der Fall. Die offiziellen Bezeichnungen lauteten Fabrikationsnummer und Kameranummer. Insbesondere die Tatsache, daß diese beiden Nummerierungssysteme sich praktisch überhaupt nicht in einen logischen Zusammenhang bringen lassen, hat viele Sammler über Jahre verwirrt und zu falschen Interpretationen verleitet.
Typisch für Zeiss-Ikon-Geräte nach 1945: Oben die Fabrikationsnummer, unten die Kameranummer am Beispiel einer Pentaka 8.
Ich persönlich wurde mit diesem Problem im Jahre 2015 das erste Mal konfrontiert, als mich Yves Strobelt darauf aufmerksam machte, daß in der von ihm zusammengetragenen Seriennummernliste für die Spiegel-Contax das eigentlich viel später erschienene Modell Contax D sporadisch und scheinbar völlig zusammenhangslos unter den Kameranummern sehr früher Contax S auftauchte. Mein Vorschlag, die Reihenfolge der Liste doch einfach mal nach den Fabrikationsnummern zu sortieren, erbrachte leider ein noch schlimmeres Chaos. Die Lösung dieses Rätsels hat sich dann aber durch den glücklichen Umstand ergeben, da ich durch Zufall entdeckt habe, daß sich die vermeintliche Diskontinuität in der Nummernfolge der Contax durch einen umfangreichen nachträglichen Umbau der ursprünglichen Kameras auf den Verschluß der Contax D erklären läßt. Durch einen weiten glücklichen Umstand konnte diese Beobachtung späterhin durch entsprechende Dokumente bekräftigt werden. Mit diesem Aufräumen unter dem Kauderwelsch der ZI-Schlüsselkamera Contax S wurde auch die Erklärung dafür etwas erleichtert, was es mit diesen beiden Seriennummernkreisen auf sich hat.
Versuch der Erklärung mithilfe einer Analogie
Um das dahinterstehende System beigreiflich zu machen, möchte ich aber etwas weiter ausholen. Mir scheint es nämlich zweckmäßig, einen Vergleich zum Nummerierungssystem des Zeisswerks in Jena zu ziehen. Als man hier nämlich um 1890 mit dem Objektivbau begann, bekam jedes einzelne Objektiv eine Nummer, mit dem es sich in eine fortlaufende Reihe eingruppierte. Interessant ist, daß sich später innerhalb dieser fortlaufenden Seriennummern bestimmte Blöcke ausfindig machen lassen. Das ist vor allem mit Zeiss-Objektiven über der Seriennummer 800.000 der Fall, da von diesem Zeitpunkt ab die Jenaer Produktion durch eine umfassende Kartei dokumentiert worden ist, die dank der Herren Thiele und Wimmer überliefert werden konnte. Solch einen Block von beispielsweise 1000 Stück Tessaren 2,8/50 mm möchte ich einmal als "Produktionslos" bezeichnen. Wie diese Gruppen zustandegekommen sind, stelle ich mir folgendermaßen vor. Bedenken Sie dabei immer, daß wir uns in der Zeit vor jeglicher elektronischer Datenverarbeitung befinden. Also: Die Firma Zeiss Ikon in Dresden bestellt bei Carl Zeiss Jena zur Komplettierung von 1000 Stück Contax S eine ebenso große Anzahl von Objektiven Tessar 2,8/50 mm. Mit Eingang dieses Fertigungsauftrages wurde mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Nummernkreis für diese 1000 Objektive festgelegt. So geschehen beispielsweise irgendwann im Laufe des Jahres 1952, als in Jena beginnend mit dem 2. Oktober 1952 1000 Stück oben genannter Tessare montiert wurden, und die dann Fabrikationsnummern zwischen 3.683.001 und 3.684.000 aufgraviert bekamen.
In etwa zur selben Zeit muß vonseiten des Ihagee Kamerawerkes Dresden ein Auftrag über 300 Tessare 2,8/80 mm für die Exakta 6x6 eingegangen sein. Und obwohl deren Fabrikationsnummern zwischen 3.691.001 und 3.691.300 etwas weiter hinten zu liegen kamen, wurden sie bereits beginnend mit dem 7. Juli 1952 montiert. Wir sehen hier, daß zwischen der Verteilung des Nummernkreises im Zuge des Auftragseinganges und der tatsächlichen Auslieferung der Objektive durchaus größere zeitliche Zwischenräume liegen können. Zu den Zeissobjektiven gäbe es natürlich noch mehr zu sagen, aber wir wollen ja hier der Nummernfrage bei Zeiss Ikon auf den Grund gehen.
Denn mein Punkt ist nun folgender: Die Fabrikationsnummer bei Zeiss Ikon, wie sie also beispielsweise auf der Rückwand der Contax oder auf dem Boden der Pentaka zu finden ist, entspricht vom Prinzip her dem, wie die Seriennummern der Zeissobjektive (ursprünglich) aufgebaut waren. Wenn man also bei Zeiss Ikon die Herstellung von 1000 Stück Spiegelcontax beschlossen hatte, dann wurden die 1000 Nummern dieses Produktionsloses innerhalb des Fabrikationsnummernkreises vergeben. Wurde als nächstes die Herstellung von 500 Stück Taxona mit Tessar beschlossen, dann wurde der nächste Nummernkreis hinzugefügt. Diese These wird durch die Nummernsammlung von Yves Strobelt bislang gut gestützt. Ich kann auch sogleich eine Möglichkeit angeben, wie sie widerlegbar wäre. Würden nämlich desöfteren doppelte Fabrikationsnummern auftreten, also eine Contax und eine Taxona mit derselben, dann wäre diese Systematik hinfällig. Bislang ist das aber nicht der Fall und auch die Gruppierung in Produktionslosen zeichnet sich gut ab.
Aber damit ist es freilich noch nicht getan. Ich muß jetzt von Ihnen, werter Leser, die volle Aufmerksamkeit einfordern, weil es jetzt etwas komplizierter wird. Wir haben es nämlich mit dem Umstand zu tun, daß im VEB Carl Zeiss Jena um 1980 herum – also nach immerhin neun Jahrzehnten Photoobjektivbau – vom bisherigen System der Objektivnummern abgegangen worden ist. Der Grund ist schnell genannt; man hatte einfach so große Stückzahlen produziert, daß man die Zehn-Millionen-Marke überschritten hatte und die Ziffernfolge daher unzumutbar lang wurde. Ich kann mir aber auch vorstellen, daß man im Zeitalter der EDV-Systeme das bisherige Verfahren, bei dem zum Teil völlig verschiedene Produkte in ein System gepreßt wurden, nicht mehr als praktikabel erachtete. Man ist daher Anfang der 80er Jahre dazu übergegangen, jeden Objektivtyp für sich zu zählen und mit einer von 1000 ab fortlaufenden Seriennummer zu versehen. Das hat für uns heute einerseits den Nachteil, daß eine zeitliche Einordnung schlechter ist (weil ja unterschiedliche Objektivtypen in ganz verschiedenen Mengen produziert wurden), andererseits läßt sich nun die produzierte Gesamtmenge eines Objektivtyps genau eruieren, weil diese der höchsten Seriennummer minus 1000 entspricht.
Diese Umstellung von 1980 bei Zeiss Jena erwähne ich deshalb, weil sich auf diese Weise am besten verdeutlichen läßt, was es mit der zweiten Nummer auf jeder Zeiss Ikon Kamera auf sich hat. Diese offiziell als Kameranummer bezeichnete Ziffernfolge entspricht nämlich genau diesem Gedanken. Hier werden die Kameras INNERHALB EINER BAUREIHE fortlaufend gezählt. Das ist der große Unterschied zur Fabrikationsnummer und das ist auch der Grund dafür, wieso diese beiden Nummernsysteme auf den ersten Blick so gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen. Sie fügen sich schlichtweg aus Prinzip nicht ineinander.
Für den Sammler scheint auf den ersten Blick nur diese Kameranummer einen Sinn zu ergeben und er kann mit der Fabrikationsnummer wenig anfangen. Wenn wir uns jedoch einmal hineinversetzen in die Zeit, da diese Kameras hergestellt wurden, dann hat die Fabrikationsnummer natürlich einen faszinierenden Hintergrund. Sie erlaubt einen Blick in die Interna des Zeiss Ikon Werkes. Wie groß waren die Produktionslose? Wie verteilten sich die hergestellten Gesamtmengen auf die einzelnen Geräte? Auch erlaubt uns eine solche "Institution" Fabrikationsnummer einen Blick darauf, wie damals in den 50er Jahren logistisch gearbeitet wurde. Zu einem bestimmten Kreis an Fabrikationsnummern der Kameras, deren Produktion beschlossen wurde, gehörte auch ein ebensolcher Nummernkreis an Normalobjektiven, welche bei Zeiss Jena oder Meyer Görlitz in Auftrag gegeben wurden. Solch eine Systematik war offenbar unumgänglich, um in einem Betrieb wie Zeiss Ikon, der ja sehr viele unterschiedliche Kameratypen fertigte, den Überblick behalten zu können. Bei der Ihagee, wo man quasi nur die Exakta und die Exa fertigte, war eine solche Logistik offenbar nicht unbedingt nötig. Bedenken Sie auch, daß die Zeiss Ikon für ein und denselben Objektivtyp auch unterschiedliche Fassungsarten benötigte. Mal wurde ein Tessar in Schneckengang gefaßt, mal dasselbe Objektiv in einem Zentralverschluß. Apropos: Auch unterschiedliche Typen von Zentralverschlüssen mußten den jeweiligen Typen an Zentralverschlußkameras genau zugeordnet werden. Hat man dann nur die Kameranummern der einzelnen Modelle zur Verfügung, die sich unter Umständen willkürlich überschneiden können, dann kann es sehr schnell zu fatalen Verwechslungen kommen. Die Fabrikationsnummer – zumal wenn sie in Verbindung mit der Kameranummer angewendet wurde – schloß solcherlei Verwechslungen von vornherein aus.
Also noch einmal knapp zusammengefaßt: Die Kameranummer beinhaltet die Anzahl der bis dahin gefertigten Exemplare eines bestimmten Modells. Wenn also eine späte Taxona mit der Nummer 129.424 existiert, dann kann man problemlos daraus schlußfolgern, daß auch mindestens so viele Taxona hergestellt worden sind.
Die Fabrikationsnummer spiegelt hingegen die Gesamtzahl aller gefertigten Modelle wieder. Oder noch anders formuliert: Die Summe aller Kameranummern ergibt die Fabrikationsnummer zu einem bestimmten Zeitpunkt. Diese Regel hat jedoch zwei Begrenzungen. Zum einen wurde das System Kameranummer-Fabrikationsnummer später nicht mehr konsequent weitergeführt. Ab wann genau ist nicht bekannt, aber der Bruch scheint mit dem schleichenden Tilgungsprozeß des VEB Zeiss Ikon zusammenzuhängen, der zwischen 1956 und 1958 verortet werden muß. Zweitens wird dieses System der Fabrikationsnummern zwischendurch einmal abgeändert, was an der vorgesetzten Ziffernfolge 50... zu erkennen ist, um dann allerdings später wieder seltsamerweise auf das alte System zurückzuwechseln. Dabei hat Yves folgende Beobachtung gemacht: Das alte System der Fabrikationsnummern endet bei etwa 267xxx und setzt dann aber nach der Umstellung wieder bei ca. 400xxx ein. Ersetzt man nun die dazwischenliegenden Kamerazahlen innerhalb der 50er Nummern als Fortsetzung des alten System, dann kommt man anschließend ziemlich genau wieder bei diesen 400xxx als Fabrikationsnummern an. Um dies sicher zu belegen, müßte man freilich auch die Fabrikationsnummern von Laufbildkameras und Projektionsgeräten in die Untersuchung einbeziehen, was allerdings in der Praxis (insbesondere bei den Großgeräten) nicht ganz einfach ist.
In Bezug auf diese ganze Seriennummer-Problematik hat Yves Strobelt übrigens noch eine weitere interessante Entdeckung gemacht. Ausgangspunkt war die Feststellung, daß es Taxonas gibt, die kleinere Kameranummern aufweisen als die viel eher gebauten Nachkriegs-Tenax. So weist die oben gezeigte Taxona mit der Kameranummer 6066 eine Fabrikationsnummer 62.493 auf. Das würde sich gut in die unten gezeigte Abfolge an Fabrikationsnummern einfügen:
61 772 Contax D Nr. 17461
62 063 Contax D Nr. 45189
62 267 Contax D Nr. 17124
62 294 Contax D Nr. 18948
62 385 Contax D Nr. 17719
62 493 Tenax Nr. 6066
62 582 Contax D Nr. 46914
62 747 Tenax Nr. 6240
Zwischen den Kameranummern der beiden Taxonas Nr. 6066 und 6240 liegen also 174 Kameras. Zwischen ihren Fabrikationsnummern liegen aber 254 Kameras, weil offenbar noch einige Contax D zwischengeschoben sind. (Übrigens erkennt man an diesem Beispiel auch das Durcheinander zwischen neuer Contax D und auf den neuen Verschlußtyp nachträglich umgebauter Contax C.) Interessant ist nun aber, daß es wesentlich ältere Tenax gibt, die ausschließlich eine Kameranummer, aber keine zusätzliche Fabrikationsnummer tragen.
Mit der Nummer 9325 liegt diese Tenax sogar höher als die oben gezeigte spätere Taxona. Von dieser Nachkriegs-Tenax sollen etwa 10.000 Stück gefertigt worden sein. Man muß also daraus schließen, daß man mit der Taxona neu zu zählen begonnen hat. Darüber hinaus hat man ganz offensichtlich die bereits erreichte Zahl 10.000 der gefertigten Tenax zur neuen Fabrikationsnummer gemacht, das heißt man hat von dort an einfach die Fabrikationsnummer weiter gezählt und nur mit den einzelnen Kameranummern neu begonnen. Die Tenax war halt nach dem Kriege die erste Kamera, die bei Zeiss Ikon gefertigt wurde; die Ercona kam erst später hinzu und man mußte nun beginnen, zwischen den Kameras zu unterscheiden, weshalb die Kameranummern eingeführt wurden.
Yves Strobelt und Marco Kröger
letzte Aktualisierung: 4. Juli 2022
Yves Strobelt, Zwickau
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