Flektogon 2,8/35

Flektogon 2,8/35

Mit einem Rechnungsabschlußdatum vom 13. August 1949 kommt dem Flektogon 2,8/35 wohl die Priorität zu, das erste Retrofokus-Weitwinkelobjektiv für die Kleinbild-Spiegelreflexkamera gewesen zu sein.

Zeiss Jena Flektogon 2,8/35

1. Wieso überhaupt ein neuer Objektivtyp?

Als in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre der neuartige Typus der Kleinbild-Spiegelreflexkamera aufkam und sich rasch zu einem unerwartet großen Erfolg entwickelte, da ergab sich das Problem, daß die bisher für die Kleinbild-Sucherkameras geschaffenen Weitwinkelobjektive nicht für die neue Kamerabauart geeignet waren. Um wenigstens ein bißchen mehr Bildwinkel anbieten zu können, wurde bei Zeiss Jena im Januar 1938 ein Tessar 4,5/4 cm geschaffen. Bei einer Bilddiagonale von 43,3 mm sind natürlich 40 mm Brennweite kein wirkliches Weitwinkel. Aber das war die kürzeste Brennweite, die mit den mechanischen Anforderungen der Kleinbild-Reflexkamera in Einklang zu bringen war. Zwar hatte Ludwig Bertele mit dem Biogon 2,8/3,5 cm schon in den 30er Jahren gezeigt, daß lichtstarke Objektive mit mehr als 60 Grad Bildwinkel durchaus im Bereich des Machbaren liegen. Allerdings war dieses Objektiv für die Spiegelreflexkamera denkbar ungeeignet, denn seine Rücklinse reichte bis kurz an die Verschlußvorhänge. Ein Weitwinkel für die Reflexkamera müßte hingegen so konstruiert sein, daß trotz der kurzen Brennweite noch genügend Freiraum hinter dem letzten Linsenscheitel frei bliebe, damit der Spiegel nicht anschlägt. Bildseitige Schnittweite nennt der Fachmann diesen Abstand zur Brennebene. Beim Biogon betrug diese Schnittweite aber nur etwa 7,5 mm. Für eine Kleinbild-Spiegelreflexkamera wäre dieser Wert jedoch fast um den Faktor fünf zu verlängern gewesen.

Schnittweiten Biogon/Flektogon

Dazu bedurfte es eines ganz und gar von bisherigen Objektiven abweichenden Aufbaus. Die theoretischen Grundlagen dafür waren freilich schon seit Jahrzehnten bekannt: Eine Verlängerung dieser Schnittweite ist dadurch möglich, wenn man einem kurzbrennweitigen Grundobjektiv ein zerstreuend wirkendes Glied vorsetzt. Normalerweise würde eine solche Zerstreuungslinse nur die Brennweite des Grundobjektivs sinnlos verlängern, wie dazumal die Distarlinsen in der Zeit der Plattenkamera. Ordnet man sie allerdings nahe am dingseitigen Brennpunkt dieses Grundobjektivs an, dann bleibt die äquivalente Brennweite des gesamten Systems unangetastet und es findet lediglich eine Verschiebung des bildseitigen Hauptpunktes Richtung Bildebene statt. Der gewünschte Effekt stellt sich nun dadurch ein, daß das gesamte optische System um genau diesen Betrag von der Bildebene weggerückt werden kann und auf diese Weise genügend Spielraum für den Reflexspiegel frei wird.

Bauprinzip Retrofokus Objektiv

Beim Flektogon 2,8/35 mm besteht nun dieses Grundobjektiv aus dem für die Contax Meßsucherkamera entwickelten Biometar 2,8/35, dem in einem entsprechend großen Luftabstand ein zerstreuender Meniskus beachtlichen Durchmessers vorgesetzt wurde. Der Luftabstand zwischen erster und zweiter Linse beträgt laut Patentschrift immerhin fast 73 % der Brennweite des Gesamtobjektivs. Im Prinzip ähnelt ein solches als „Retrofokus“ bezeichnetes Weitwinkelobjektiv einem umgedrehten Teleobjektiv. Statt aber die Hauptebenen nach vorn zu verlegen, damit der optische Aufbau möglichst nah an die Brennebene herangerückt werden kann, wird beim Retrofokus quasi der umgekehrte Weg beschritten und die Schnittweite künstlich verlängert.

2. Das Flektogon als "exemplum primum"

Die Zerstörung Dresdens am Ende des Zweiten Weltkrieges hatte naturgemäß auch eine große Hemmwirkung auf den dortigen Kamerabau. Nur mit großer Mühe gelang es beispielsweise der Ihagee, ein neues Werk aufzubauen und an den Stand vor 1939 anzuknüpfen. Auch bei den Kamera-Werkstätten in Niedersedlitz war zunächst eine große Reorganisation des Fertigungsablaufs inklusive einer Ertüchtigung der Kamera hin zur Massenproduktion nötig. Doch gegen Ende der 1940er Jahre war unübersehbar, daß die Kameraproduktion der Sowjetzone vor allem mit ihren Kleinbildreflexkameras erfolgreich im Weltmarkt bestehen konnte. Während die Objektivhersteller im Bereich der Normalobjektive und längerer Brennweiten ausreichend vielfältige Erzeugnisse aus der Vorkriegszeit im Angebot hatten, fehlte aber ein wirklich als Weitwinkel zu bezeichnendes Objektiv. Das bedeutete, daß die übliche Grenze zum Normalobjektiv mit einen Bildwinkel deutlich über 60 Grad überschritten werden mußte. Zweitens wollte man in Jena offenbar auch nicht gegenüber dem bereits im Jahre 1936 mit dem Biogon erreichten technischen Stand zurückfallen und eine Lichtstärke von 1:2,8 anbieten. Das erste eindeutige Zeugnis dafür, daß bei Zeiss Jena an einem solchen Spezialobjektiv für Spiegelreflexkameras gearbeitet wurde, findet sich bereits im Frühjahr 1948 mit dem Versuch V39 vom 25. Mai für ein "Objektiv 2,8/3,5 cm mit langer Schnittweite".

Datenblatt Flektogon 2,8/35 mm 1949

Aus technikgeschichtlicher Sicht sensationell: Zu diesem Pionier unter den Retrofokus-Objektiven ist tatsächlich das Datenblatt der allerersten Version erhalten geblieben, das eindeutig das Rechnungsabschlußdatum vom 13. August 1949 belegt.

Die Initiative zum Bau eines solchen Weitwinkels ging vom Leiter der Abteilung Photo des VEB Carl Zeiss JENA, Harry Zöllner, aus. Der eigentliche Konstrukteur war aber ein Mann namens Rudolf Solisch, der die Durchrechnung dieses Weitwinkels zu großen Teilen persönlich bewerkstelligte und dabei lediglich von einigen Optik-Rechnern unterstützt wurde [Vgl. Dietzsch, Retrofokusobjektive, 2002, S. 4]. Die damalige Arbeitsweise erscheint heute geradezu unvorstellbar:


„Nun sieht der Sachverhalt vom heutigen Standpunkt recht einfach aus, aber Ende der 40er Jahre war eine solche Entwicklung sehr schwierig. Die Strahldurchrechnungen erfolgten manuell, entweder logarithmisch oder mittels achtstelliger mechanischer Rechenmaschinen vom Typ Mercedes Euklid, aber immer unter Zuhilfenahme von trigonometrischen siebenstelligen Tafelwerken. Zur Genauigkeitssteigerung wurde zweimal interpoliert. Für einfachere Rechnungen kamen auch die von Zöllner eigens herausgegebenen fünfstelligen Tafeln der trigonometrischen Funktionen zur Anwendung. Für die Durchrechnung einer einzelnen brechenden Fläche brauchte ein geübter Rechner ca. 5 Minuten. Windschiefe Strahlen konnten praktisch nicht gerechnet werden, deren Durchrechnung dauerte mit Maschine ca. 20 min/Fläche.

Um sich ein Bild über die Korrektion zu verschaffen, mußten wenige Strahlen genügen; das erforderte gute Kenntnis und Einfühlungsvermögen in das Korrektionsverhalten und Beherrschung der Aberrationstheorie. Über die Brauchbarkeit konnte letztlich nur ein gefertigtes Versuchsmuster entscheiden. [...]

Bei der eigentlichen Korrektur, d.h. bei Änderung der optischen Parameter wurde an vorangegangene Rechnungen angeschlossen. Zur Verringerung des Rechenaufwandes wurden Änderungen daher vorwiegend an den letzten Systemflächen vorgenommen. Von großer Bedeutung waren eine hohe Rechensicherheit und eine geringe Fehlerrate Forderungen, die nur von wenigen Spezialisten erfüllt werden konnten.“ [Ebenda, S. 3.]

Zeiss Jena Flektogon 35 mm 1949

In der ersten Version des Flektogons war die hintere Linse noch als Kittglied ausgelegt. Aus dem oben gezeigten Datenblatt geht auch hervor, daß 1949 noch nicht die neuen Lanthan-Krongläser verwendet werden konnten, die dann bei der späteren Groß-Serien-Version zum Einsatz kamen.

Jena Flektogon 35 mm 1952

Der Ansatz, das hoch auskorrigierbare Biometar als Grundobjektiv zu verwenden, war zwar vielversprechend, der Erfolg aber alles andere als sicher, da es keinerlei Vorbilder gab. Wir wissen zwar heute, daß zur selben Zeit auch in Frankreich ein sehr ähnliches Objektiv entwickelt wurde, aber davon erfuhren beide Firmen erst im Nachhinein. Als Indiz dafür, daß sich tatsächlich gewisse Schwierigkeiten während der Optimierung dieser Jeaner Konstruktionsidee ergaben, könnte man hernehmen, daß in der ersten Version von 1949 das Biometar-Grundobjektiv noch mit einer hinteren Kittgruppe versehen werden mußte. Viele Jahre später, nachdem man ausreichend Erfahrungen mit Retrofokusobjektiven gesammelt und dahingehende wissenschaftliche Untersuchungen unternommen hatte, kam man zu der schlichten Erkenntnis, daß ein Gaußtyp nicht gerade die beste Lösung für das Grundobjektiv eines Retrofokus darstellt [Vgl. Dietzsch, Retrofousobjektive, 2002, S. 6]. Hier fanden bald herstellerübergreifend nur noch vom Triplet abgeleitete Systeme Verwendung.

DD10604 Flektogon 2,8/35
DD10604 Flektogon 2,8/35

Was übrigens heute in Vergessenheit geraten ist: Rudolf Solisch muß dann einige Monate nach der Patentierung des Flektogons 2,8/35 mm, die erst 1953 nachgeholt wurde, in den Westen gegangen sein, denn er hat dort am 10. November 1956 ein Patent für die Firma ISCO Optische Werke in Göttingen angemeldet [Nr. DE1.063.826]. Diese Schutzschrift beschreibt ein Retrofokus-Weitwinkel, das unter der Bezeichnung Westrogon 4/24 mm bekannt geworden ist. Es handelt sich wiederum eine echte Pionierleistung, da es bei diesem Objektiv zum ersten Male gelang, den Bildwinkel eines Kleinbildobjektives auf über 80 Grad auszudehnen, ohne daß die Funktion des Reflexspiegels behindert wurde. Das Grundobjektiv dieses Westrogons ist übrigens auch ein Biometar! Solisch hat seine Idee offenbar auf seiner Flucht aus der DDR "im Reisegepäck mitgenommen". Der Weggang des Zeissianers Rudolf Solisch war demnach ein echter Verlust für Zeiss Jena. Die dadurch verursachte Einbuße an Konkurrenzfähigkeit konnte erst sukzessive durch die Arbeiten der Konstrukteure Wolf Dannberg und Eberhard Dietzsch wieder aufgeholt werden. Rudolf Solisch ist heute zu Unrecht ein vergessener Meister seines Faches!

Zöllner und Abteilung Photo 1956

Doktor Harry Zöllner (erste Reihe, dritter von rechts) und seine Mitarbeiter in der "Abteilung Photo" im Jahre 1956. Dieser Mann hatte nach den Zerstörungen des Zeisswerkes durch die Bombentreffer am Ende des Krieges das Werk gerade wieder konsolidiert, als dann im Winter 46/47 mit den sowjetischen Demontagen die nächste Katastrophe folgte. Mit um so größerer Bewunderung müssen wir es heute betrachten, wenn bereits in den Jahren 1948/49 mit einem Retrofokusobjektiv optisches Neuland betreten wurde. [aus: Dietzsch, Retrofousobjektive, 2002, S. 108.]

3. Das Flektogon als Rekordhalter bei der Anzahl der Versionen

Wie komplex die Schaffung eines derart lichtstarken Retrofokus-Weitwinkels damals gewesen ist, läßt sich auch an den geradezu haarsträubend vielen unterschiedlichen Rechnungen ablesen, die zum Flektogon 2,8/35 mm erfolgt sind. Aus Originaldokumenten, die Herr Günther Benedix freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, läßt sich erstmals detailreich der Werdegang und die allmähliche Perfektionierung dieses Objektives nachvollziehen.

Optikdatenblätter Flektogon 2,8/35
Flektogon 35 mm Varianten

Nicht weniger als 13 (!) verschiedene Optikdatenblätter haben sich zum Flektogon 2,8/35 mm auffinden lassen. Dieses Objektiv wurde so oft abgeändert und in Details weiterentwickelt wie sicherlich kein zweites bei Zeiss Jena. Günther Benedix konnte aus seinen Unterlagen gar 15 unterschiedliche Varianten ableiten, die sich aus den Versuchsobjektiven und ihren jeweiligen Serienversionen zusammensetzen. 

3.1 Die Originalversion von 1949

Das Flektogon 2,8/35 mit Rechnungsabschlußdatum vom 13. August 1949 wurde erstmals auf der  Leipziger Frühjahrsmesse vom 5. bis 12. März 1950 gezeigt, wie aus dem unten gezeigten Messebericht hervorgeht [Vgl. Die Fotografie, Heft 4/1950, S. 89.]. Im Juli 1950 wurde eine erste Serie von 50 Stück fabriziert (bei Thiele als Flektogon 3,5 cm gelistet). Ein auf der Messe gezeigtes Musterobjektiv hatte offenbar die Seriennummer 3.419.976. Im November 1950 folgten weitere 200 Exemplare. All diese Objektive besaßen offenbar bereits eine Einrichtung zur Blendenvorwahl.

Flektogon 2,8/35 Frühjahrsmesse 1950

Es ist nicht ganz klar, ob das oben angesprochene Flektogon 2,8/35 mm mit der Seriennummer 3.419.976 auf der Frühjahrs- oder der Herbstmesse 1950 gezeigt worden ist. Dieses aus dem selben Fertigungslos stammende Exemplar mit der Nummer 3.419.983 beweist, daß diese Flektogone bereits eine Fassung mit Vorwahlblende aufwiesen! [Bilder: Alun Thomas].

Flektogon 2,8/35 Prospekt 1951

Damit konnte zum ersten Mal ein lichtstarkes Weitwinkelobjektiv insbesondere für die neue Exakta Varex angeboten werden, die sich Anfang der 50er Jahre sehr erfolgreich in westliche Länder wie die USA exportieren ließ. Quasi im Schlepptau mit den Kameras waren dann immer auch die Objektive erfolgreich. Diese siebenlinsige Version fand sich dann auch erstmals in einem Zeiss Objektiv-Prospekt vom Februar 1951, wie oben zu sehen ist. Ein solches lichtstarkes Weitwinkelobjektiv stellte zur damaligen Zeit einen immensen Fortschritt dar.

Flektogon 1949 und 1951

Andererseits fällt jedoch auf, daß man weder was den Grundaufbau betrifft, noch den Glaseinsatz, bereits in ein Optimum gefunden hatte. Wie gleich gezeigt werden soll, gab es in der folgenden Zeit noch beträchtliche Veränderungen, die weitgehend auf eine Verbesserung der Bildleistung abzielten. Eine große Rolle dabei spielte dabei die Einführung völlig neuer Glasarten. Wie oben aus dem Original-Datenblatt ersichtlich ist, war das ursprüngliche Flektogon von 1949 noch aus Gläsern aufgebaut, die bereits im Schott-Katalog von 1937 enthalten waren. Mit dem Versuch V113 vom 13. Dezember 1951 konnte nun das Grundobjektiv auf den "Standard-Biometartyp" reduziert also ohne die Verkittung des hintersten Elementes. Das war wohl in erster Linie dem damals neuartigen Lanthan-Kron zu verdanken. Wie die obigen Schnittzeichnungen, die den originalen Zeiss-Datenblättern entnommen sind, ersichtlich machen, ergab sich zudem als fertigungstechnische Vereinfachung, daß die Kittfläche im einzig verbliebenen Kittglied nunmehr plan ausgeführt werden konnte. Von dieser Rechnung wurde allerdings den Quellen zufolge nur ein einziges Versuchsmuster gefertigt.

3.2 Die erste Großserien-Version von 1952

Den eigentlichen Durchbruch für das Flektogon 2,8/35 mm brachte aber der Versuch V118 vom 8. Februar 1952. Erst auf seiner Grundlage konnte dann ab 1953 die wirkliche Großserien-Fertigung dieses Weitwinkelobjektives anlaufen. Wie an der Abbildung unten zu erkennen ist, wurden bei dieser Optimierung die herausragenden Eigenschaften der neuen Lanthan-Krongläser ausgenutzt, die zur damaligen Zeit dem Objektivbau völlig neue Möglichkeiten eröffneten. So wurde das neue Schwerkron SK22 (ähnlich LaK2) nun gleich in zwei Linsen eingesetzt. Dagegen wurde der große zerstreuende Meniskus vor dem Grundobjektiv erstmals nicht mehr aus Schwerkron SK16, sondern aus dem extrem niedrig dispergierenden Fluor-Kron FK5 gefertigt (ny-Wert 70,0!).

Flektogon V118

Auf dieser Basis wurde dann das Flektogon auch patentiert, und zwar mit der oben schon gezeigten DDR-Schutzschrift DD10.604 (DDR; 8. März 1953) und der bundesdeutschen DE953.471 (20. Dezember 1953), sowie ferner in den USA und Großbritannien (1955). Diese späte Patentierung war offenbar ausschlaggebend dafür, daß das Flektogon international bislang nicht als Zeitgenosse des Angénieux Retrofocus wahrgenommen wurde. Wie man sieht, waren in den Patenten völlig andere Glasarten angegeben, als sie tatsächlich im Erzeugnis verwendet wurden. Doch hier kam es ja nur auf die Patentfähigkeit der in den Schutzansprüchen formulierten Brechzahlabfolge an. Von dieser Version 550602A (1952) wurden zwischen September 1953 und Februar 1957 sogleich über 11.000 Stück hergestellt. Das war für die damalige Zeit und für ein derart viellinsiges Objektiv eine sehr beachtliche Stückzahl. Das läßt auf eine große Nachfrage nach einem lichtstarken Weitwinkel schließen.

Mitteilung Versuch V118

Zu diesem Versuch V118 sind nun Dokumente erhalten geblieben, die sehr wertvolle Einblicke in die damaligen Hintergründe liefern. Allem voran die obige Aktennotiz vom 18. Mai 1953. Daraus geht hervor, daß drei von den zum Jahresende 1952 nach der Rechnung vom 8. Februar 1952 gefertigten ersten zehn Nullserien-Objektiven daraufhin untersucht wurden, ob sie erstens der Leistung der beiden Versuchsmuster V118 entsprachen, sowie zweitens "dem Retrofocus". Mit letzterem ist nichts anderes gemeint, als das Angénieux Retrofocus R1 2,5/35 mm des französischen Konkurrenten, das mittlerweile ebenfalls am Markt war. Aus den Ausführungen ist entnehmbar, daß die Leistung des neuen Flektogons in der Bildmitte mit dem des Angénieux Retrofocus identisch und zum Rand hin sogar höher war. Dasselbe positive Ergebnis zeigte auch der photographische Praxistest. Auch wenn das in der obigen Quelle nicht direkt drin steht, so läßt sich hier doch eindeutig folgende Schlußfolgerung ziehen: Nachdem die Firma Angénieux ihr Weitwinkel auf den Markt gebracht hatte, war Zeiss Jena mit dem Flektogon von 1949 qualitativ ins Hintertreffen geraten. Deshalb wurde dessen Serienproduktion ausgesetzt und erst dann wieder aufgenommen, als man die bisherige Konstruktion durch eine konkurrenzfähige Optik ersetzt hatte.

Funktionsmusterprüfung Flektogon 1953
Funktionsmusterprüfung Flektogon 1953

Dieser Antrieb zur Innovationstätigkeit durch Konkurrenzerzeugnisse ausländischer Firmen wird auch daran deutlich, daß selbst in den Unterlagen zur Funktionsmusterprüfung vom 9. September 1953 ausdrücklich auf das "Vergleichsobjektiv: Retrofocus" von Angénieux als Maßstab abgestellt wird (und nicht etwa auf den Vorgänger). Hier wird übrigens auch ersichtlich, daß die Brennweite des Flektogons in Wahrheit fast 37 mm betrug. Die gemessene sphärische Abweichung ist fast durchweg besser als die theoretisch ermittelten Werte.

Nachtrag Funktionsmusterprüfung Flektogon 1953

In diesem Zusammenhang ist noch der obige Nachtrag zur Funktionsmusterprüfung vom 28. September 1953 interessant. Er bezieht sich auf das Problem, daß Retrofokusobjektive dieser Bauart ziemlich reflexanfällig sind. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die große Frontlinse auch eine ungewöhnlich große Oberfläche hat, die Spiegelungen innerhalb des Objektivs naturgemäß sehr begünstigt. Es war also keine Geldschinderei, wenn dazumal der Photohändler mit dem Objektiv zusammen gleich die passende Gegenlichtblende verkaufen wollte. Für uns wichtiger ist aber der fast schon als Postskriptum stehende Satz: "Mit diesem Versuch ist für WOPho im Augenblick das Flektogon 2,8/35 abgeschlossen und wird als fertigungsreif angesehen."   wobei die Floskel "im Augenblick" gestrichen wurde. Tatsächlich war zum 12. September 1953 bereits die Endmontage der ersten 400 Stück des neuen Flektogons 2,8/35 mm angelaufen.

Flektogon 2,8/35

Oben ist nun ein Exemplar des Flektogons 2,8/35 mm aus jener ersten Bauserie von 1953 zu sehen. Schon auf den ersten Blick fällt auf, daß kein Filtergewinde vorhanden ist. Dieses Objektiv sollte ausschließlich mit den damals noch alternativ angebotenen Aufsteckfiltern verwendet wurden, um Vignettierungen auszuschließen. Später ging man von dieser Praxis ab und lieferte sogenannte W-Filter, die eingeschraubt werden konnten und trotzdem den Bildwinkel nicht beschnitten.

Flektogon Vignettierungen

Daß dieser zunächst erfolgte Verzicht auf ein Filtergewinde nicht dem Zufall entsprungen ist, sondern auf einer wissenschaftlichen Grundlage basiert, zeigt das obenstehende Dokument vom 5. September 1953. Hieraus wird deutlich, daß mit einem damals üblichen Einschraubfilter ab einem Bildkreis größer als 30 mm massive Abschattungen ermittelt wurden, die sich zur ohnehin recht hohen Randabdunkelung dieses Systems addierten, bis die Ausleuchtung fast gegen Null ging.

3.3 Die Überarbeitung von 1955

Gewisse Rätsel gibt das Flektogon 2,8/35 mm nach Versuch V187 auf, das ein Rechnungsabschlußdatum vom 6. September 1955 trägt. Es hat nämlich den Anschein, daß diese Rechnung nicht den Zweck hatte, die Bildleistung weiter anzuheben, sondern Kosten zu sparen. Denn als wesentlicher Unterschied fällt auf, daß für die massive Frontlinse das Fluor-Kron durch Borosilikat-Kron ersetzt wurde. Erst war dies das BK3 und später (offenbar auch) das BK7, die beide als Material für Prismen und Spiegel in großen Mengen hergestellt wurden und entsprechend preiswert waren.

Flektogon Versuch V187
Prüfbericht V187 D

Die Vermutung der Kosteneinsparung wird auch durch einen Vergleich dieses neuen Flektogons nach dem Versuch V187 D wurde mit einem Musterobjektiv nach V118 A genährt. Und daraus muß man schließen, daß das das ältere Musterobjektiv 3.743.853 vom September 1952 ein eindeutig höheres Auflösungsvermögen zu bieten hatte als die beiden Musterobjektive 3.746.195 und 196 nach neuer Rechnung. (Die unten zu sehende Datumsangabe 6. 8. 55 ist sicherlich ein Versehen, es muß der 6. 9. 55 gewesen sein.)

vergleich V118 mit V187

Doch genau diese neue Version V187 D und das aus ihr abgeleitete Flektogon 2,8/35 mm nach Zeichnungsnummer 55 06 02B war nun diejenige, die in der Folgezeit in die Produktion übernommen und in noch viel höheren Stückzahlen ausgestoßen wurde. Bereits im Oktober 1956 wurde inmitten eines Fertigungsauftrages auf die neue optische Version umgestellt. Bis Jahresanfang 1963 wurden auf ihrer Basis etwa 44.000 Flektogone 2,8/35 mm hergestellt. Das waren für die damalige Zeit und dafür, daß es sich ja um ein Zusatzobjektiv handelte, unvorstellbar große Stückzahlen. Zeiss Jena fertigte damals ein Weitwinkelobjektiv für die Spiegelreflexkamera in einem Umfang, wie andere Hersteller allenfalls ein Normalobjektiv.

Flektogon 2,8/35 mm Version 1955

Es hat sich eine Kopie des Datenblatts zum Flektogon 2,8/35 mm nach Sachnummer 55 06 02 B erhalten, die auf dem Versuch von V187 vom 6. September 1955 basierte. Gut zu sehen anhand von späteren handschriftlichen Eintragungen ist, wie das Objektiv an andere Glasarten angepasst wurde. Zweitens ist ersichtlich, daß der sogenannte farbkorrigierte Transparenzbelag angewandt wurde, mit dem eine von den Lanthan-Schwerkrongläsern herrührende warme Charakteristik des Objektives durch Steuerung der Restreflexion ein wenig in den neutralen Bereich verschoben werden konnte.

3.4 Das WERRA-Flektogon von 1956

Im Jahre 1956 wurde im Werk Eisfeld des VEB Carl Zeiss JENA für die Kleinbildkamera Werra ein neuartiger Meßsucher inklusive Entfernungsmesserkupplung entwickelt. Das bedeutet, bereits zu diesem Zeitpunkt war betriebsintern klar, daß diese Kamera auf Wechselobjektive umgerüstet werden sollte. Da hierfür weiterhin die standardmäßigen Zentralverschlüsse der Baugröße 00 verwendet werden sollten, bedeutete dies, daß für die Objektive sehr starke Restriktionen in Bezug auf den Durchmesser der hinteren Linsengruppen bestanden. Denn es war auch klar, daß die Objektive mit ihren rückwärtigen Teilen in die Öffnung des Verschlusses eintauchen mußten, um das volle Kleinbildformat bis in die Bildecken ausleuchten zu können.

Flektogon V214

Aus der Überlieferung der Zeiss-Fertigungsunterlagen war bereits bekannt, daß es für diesen Zweck eine gesonderte Rechnung des Flektogons 2,8/35 mm vom 12. März 1956 gegeben hat, doch war nicht klar, worin sich diese von der Variante für die Spiegelreflexkameras unterschied. Das originale Datenblatt zu diesem Flektogon nach Sachnummer 55 02 06C für die Werra zeigt nun, daß dasselbe grundsätzlich identisch mit der Spiegelreflexversion 55 02 06B ist. Selbst die möglicherweise später erfolgte Umstellung der Frontlinse von BK3 auf BK7 ist auch hier vermerkt. Die Unterschiede lagen jedoch in rein mechanischen Dimensionen. Um in den engen Zentralverschluß zu passen, wurde beim Werra-Flektogon der Durchmesser der hintersten Linse um etwa zwei Millimeter reduziert, während die Frontlinse um etwa denselben Betrag vergrößert wurde. Immerhin 11.000 Stück dieses speziell angepaßten Werra-Flektogons wurden hergestellt und zwar in nur zwei Bauserien im Sommer und im Herbst 1958, als die Werra III und IV in Produktion gegangen waren.

Werra III Flektogon 2.8/35

Das Flektogon 2,8/35 mm an einer Werra III. Da die Werra auf Basis eines sogenannten Hinterlinsenverschlusses konzipiert war, bei dem der Zentralverschluß zwischen Kameragehäuse und Wechselobjektiv placiert ist, benötigte die Werra ebenso wie Spiegelreflexkameras eine Retrofokuskonstruktion mit einer verlängerten Schnittweite als Weitwinkelobjektiv. Als Schwierigkeit ergab sich jedoch ihr sehr eng bemessener Zentralverschluß, der aus der Großserienfertigung übernommen wurde.

3.5 Die "finale" Version von 1960

Daß die Leistung eines Objektives nicht allein mit dem Auflösungsvermögen, also der Abbildung feinster Linien auf hochauflösenden Platten, zu bemessen ist, zeigte sich, als im Laufe der 1950er Jahre die Farbphotographie von der ursprünglichen Ausnahme zum üblichen Standard geworden war – auch beim photographischen Amateur. Schwächen in der Korrektur der von der Lichtwellenlänge abhängigen Bildfehler wurden nun nicht mehr nur als "duftige Unschärfe", sondern als Farbsaum im Bilde sichtbar.

Versuch V269

Schon vom Juni 1958 liegen Belege für ein Versuchsobjektiv V269 vor, das bei gleichem Glaseinsatz mit leicht abgeänderten Radien und Dicken versehen wurde. Daraufhin wurden drei Musterobjektive gefertigt, die im Januar 1959 geprüft wurden und die laut unten wiedergegebenem Schreiben eine deutliche Verbesserung insbesondere der sogenannten Farbquerkoma zeigten, was sich in einer besseren Bildleistung bei kritischen Beleuchtungssituationen auf Farbfilm widerspiegelte.

Mitteilung Versuch 269

Doch dieses Objektiv wurde nicht sofort in die Serienfertigung übernommen sondern daraus ein Versuch V269A vom 23. September 1960 entwickelt. Aus dem erhaltenen Schriftverkehr muß man schließen, daß mittlerweile nicht mehr unbedingt die Objektivkonstruktion an die vorhanden Glasschmelzen angepaßt, sondern letztere genau auf die nötige Belange des Objektivs hin zugeschnitten wurden. Das jedenfalls muß wohl darunter verstanden werden, wenn unten steht, die Gläser seien "auf die o. g. nd - Lage zu kühlen". Mittlerweile war die Glasschmelztechnik so weit vorangeschritten, daß im Prozeß der sogenannten Feinkühlung das Glas durch ein ganz bestimmtes Steuern der Wärmezufuhr gezielt auf ein bestimmtes Maß der Brechzahl und des ny-Wertes eingestellt werden konnte. Den damaligen Fortschritten in der Glasschmelztechnik wird zumindest in der populären Fachliteratur so gut wie keine Aufmerksamkeit gewidmet.

Flektogon V269A

Mit diesem Versuch V269A vom September 1960 wurde aber gleichzeitig noch ein anderes Problem behoben. Es hatte sich als sehr unwirtschaftlich herausgestellt, für Spiegelreflexkameras und für die Werra zwei unterschiedliche Versionen eines ansonsten identischen Objektives zu fertigen mit all der lästigen Lagerhaltung, die ein solches Verfahren nach sich zieht. Wie aus dem unten gezeigten Schreiben vom 14. Oktober 1960 hervorgeht, war aus dem Versuch V269A eine neue Zeichnungsnummer 55 06 02D hervorgegangen, die die bisherigen Flektogon-Rechnungen B für SR-Kameras und C für die Werra ablöste und zu einer Version vereinigte.

Mitteilung V269A Werra

Die im obigen Schreiben erwähnten Überprüfungen entsprechender Versuchsobjektive wurde dann im März 1961 durchgeführt. Man kann nur vermuten, daß sich die unten erwähnte Dringlichkeit daraus ergab, daß für die Werra neue Flektogone benötigt wurden, weil die letztmals im Jahre 1958 gefertigten Linsensätze aufgebraucht waren. Das jedenfalls verbirgt sich dahinter, wenn unten von einem Ablackieren (also künstlichem Verringern) der Flächen 10 und 11 auf 13,5 bzw. 15,0 mm die Rede ist. Das korrespondierte exakt mit den maximalen Durchmessern, die bei Verwendung an der Werra zugelassen waren.

Mitteilung V269A 1961
Prüfbericht Flektogon V269A

Nur etwa drei Wochen später stand dann das Ergebnis dieser Prüfung fest: Auf Basis des Versuchs V269A wurde das Flektogon 2,8/35 mm für die Werra (55 06 02D) und Spiegelreflexkameras (55 06 02E) in einer gemeinsamen Ausführung vereint. Das heißt auch für Spiegelreflexkameras wurde nun die im Durchmesser verringerte hinterste Linse verwendet, ohne daß sich dabei Einbußen in der Bildqualität ergeben hätten. Dieses neue Flektogon mit Rechnungsdatum 23. September 1960 ging ab Januar 1963 in die Serienfertigung. Es wurde noch bis Dezember 1985, also fast 20 Jahre nach dem Ende der Werra, in sehr großen Stückzahlen gefertigt, obwohl schon seit Mitte der 1970er Jahre ein deutlich modernerer Nachfolger zur Verfügung stand.

Flektogon 2.8/35 Schnitt

Man kann davon ausgehen, daß die oben dargestellten Optimierungsarbeiten seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre auch stark von der neu zur Verfügung stehenden digitalen Rechentechnik profitiert haben bzw. überhaupt von jener vorangetrieben wurden. Denn mit der Optikrechenmaschine OPREMA war es nun möglich, die riesigen Mengen an Parameterrechnungen, die selbst bei kleinsten Änderungen von Linsenradien, -dicken, und Brechkräften bei einem sechslinsigen Objektiv in tausende – ja zehntausende – Rechenoperationen ausarten, schnell, fehlerfrei und ohne Ermüdungserscheinungen durchzuführen. Auch komplexere Strahlenverfolgung wurde dadurch möglich und es gelang, sich auf dem Gebiet der Fehlerbeseitigung immer mehr einem Optimum anzunähern, wie es in dieser Art vorher undenkbar gewesen wäre.

Mit der zunehmenden Beherrschung dieser neuen Konstruktionsmethoden wurde aber auch aufgedeckt, daß sich bestimmte sphärochromatische Fehler (vor allem am Bildrand) einfach nicht vollauf befriedigend korrigieren ließen, wie die oben gezeigten Kurven verdeutlichen [aus: Dietzsch, Eberhard: Die Entwicklungsgeschichte der Retrofokusobjektive vom Typ Flektogon; aus: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte, Bd. 4, 2002, Anhang.]. Genauere wissenschaftliche Untersuchungen auf diesem Gebiet, die späterhin durch Wolf Dannberg und Eberhard Dietzsch vorangetrieben wurden, führten dann dazu, daß letztlich der mit dem Flektogon 2,8/35 mm im Jahre 1949 eingeschlagene Konstruktionsansatz nicht für die Weiterentwicklung neuer Retrofokus-Weitwinkel brauchbar war und daher aufgegeben werden mußte.

Das Flektogon 2,8/35 mm ist bei vielen photographischen Praktikern beliebt, weil es sich sehr gut als Schnappschußobjektiv eignet. Insbesondere die sogenannte Zebra-Version mit ihrem extrasteilen Schneckengang ermöglicht ein flexibles Arbeiten mit diesem Werkzeug. Über die Bildwirkung braucht man wohl keine weiteren Worte verlieren. Photographiert von Avital Nathansohn, Israel, mit der Exakta Varex .

4. Die Vielfalt der äußeren Erscheinungsformen des Flektogons

Das sollte jedoch den Blick nicht darauf verstellen, daß das Flektogon 2,8/35 mm über Jahrzehnte hinweg ein sehr beliebtes Zusatzobjektiv gewesen ist – und das obwohl es stets ziemlich teuer war. In der Version der 1950er Jahre mit Vorwahlblende kostete es 280,- Mark. Mit der Halbautomatischen Springblende für M42 oder Exakta stieg der Preis sogar auf 348,- Mark an. Das war fast teurer wie das Kameragehäuse einer Contax F, mit der diese Springblende ausgenutzt werden konnte. Das Modell mit Vollautomatischer Springblende für die Praktina IIA kostete 1959 gar 396,- Mark. Mit dem großen Preisschnitt vom Frühjahr 1960 verbilligte sich der Kaufpreis aber um durchschnittlich 100 Mark. Damit war dieses Objektiv auch für Amateure erschwinglich und wurde gern gekauft, wenn man es in der DDR ergattern konnte. Alle Typen und Rechnungsvarianten zusammengenommen wurden zwischen Mitte 1950 und Jahresende 1985 über 196.000 Flektogone 2,8/35 mm hergestellt. Damit dürfte dieses Weitwinkelobjektiv nicht nur zu den ersten, sondern auch den am längsten gebauten und zahlenmäßig erfolgreichsten Retrofokusobjektiven der Geschichte gehören.

Flektogon 35 mm Praktina
Flektogon 35 mm Exakta

Neben den Normalobjektiven Tessar 2,8/50 und Biotar 2/58 war das Flektogon das einzige Objektiv, das Zeiss Jena serienmäßig mit Halbautomatischer Springblende ausgeliefert hat. Und zwar offenbar nur die Praktina FX und die Exakta, nie jedoch für M42. Halbautomatische Springblende bedeutet, der Blendenmechanismus mußte vor der Aufnahme gespannt werden. Dazu hatten die sogenannten SB-Objektive für Exakta und Praktina diesen charakteristischen Spannhebel. Dabei öffnete sich die Blende vollständig. Bei Betätigen des Auslösers sprang sie dann rasch auf den vorgewählten Arbeitswert.  Im Gegensatz zu den Exakta-Objektiven wurden diejenigen für die Praktina vom Inneren des Kameragehäuses aus angesteuert.

Flektogon ASB Praktina
Flektogon 35 Exakta ASB

Kaum war bei den Praktina-Flektogonen im Februar 1954 die Halbautomatische Springblende eingeführt worden, so folgte bereits im Juni 1956 eine erste Serie mit der Vollautomatischen Springblende ASB. Grund dafür war die kurzfristige Umstellung der Blendenfunktion bei dem neuen Modell Praktina IIA. Nur noch kurze Zeit wurden zur Komplettierung vorhandener Praktina FX die miteinander inkompatiblen SB- und ASB-Versionen parallel gefertigt. Im Gegensatz dazu wurde die Version für die Exakta Varex erst im September 1960 auf ASB umgestellt. Hier dann aber sofort und endgültig.

Jena Flektogon 2,8/35 mm
Jena Flektogon 2,8/35mm

Die hier gezeigte Fassungsgestaltung des Flektogons 2,8/35 mm mit der "genoppten" Entfernungseinstellung war Anfang bis Mitte der 60er Jahre üblich. Der bisherige Vulkanitbelag auf dem Meterring, wie er vom Fernglasbau oder von der Außenhaut der Werra her bekannt war, wurde durch das Aufspritzen einer anderen Kunststoffart ersetzt. Dieses Material bewährte sich aber nicht. Es ging oftmals keine wirklich feste Haftung mit dem Alumiunium ein, sodaß der Ring nach kurzer Zeit zum freien Durchdrehen neigte. Außerdem schien der verwendete Kunststoff rasch zu verspröden und zerbrach dann bei äußerer Belastung. Gleichzeitig mit dieser Fassungsgestaltung wurde beim 35er Flektogon der extrasteile Schneckengang eingefürt, der Nahaufnahmen bis 18 cm ab Bildebene zuließ. Eine Einrichtung zur automatischen Blendenkorrektur, die den nötigen Verlängerungsfaktor berücksichtigt, sorgte dafür, daß auch im Nahbereich die Belichtung des Filmes konstant blieb. Man erkennt das daran, daß sich bei vollem Auszug nur noch die Blende 4 als größte Öffnung einstellen läßt.

Flektogon 35 mm Zebra
Flektogon 35 mm Zebra

Sehr weit verbreitet wird das Flektogon 2,8/35 mm wohl auch in der sogenannten Zebra-Fassung sein. In dieser Form wurde es etwa zehn Jahre lang gefertigt.

Als wahres Kuriosum ist anzusehen, daß das alte Flektogon 2,8/35 noch bis 1985 weiter gefertigt wurde, nachdem sein Nachfolger Flektogon 2,4/35 längst schon in Produktion war. Trotz schwarzer Kreuzrändelfassung hat das 2,8/35 aber keine mehrschichtvergüteten Glasoberflächen, was auf ein Aufbrauchen vorhandener Linsensätze schließen läßt. Eigenartig ist zudem die Tatsache, daß diese späten Flektogone ausschließlich eine Exakta-Fassung aufweisen, obgleich in der DDR schon seit Ende der 70er Jahre keine Kameras mit diesem Anschluß mehr hergestellt wurden.

Flektogon 2.8/35

Egal ob 1960 oder 1975 das Flektogon ging mit der Zeit.

Praktica LTL2 Flektogon 35mm
Flektogon 2,8/35 an Werra

Das "vereinheitlichte" Flektogon 2,8/35 mm an einer späten Werra 3E aus der zweiten Jahreshälfte 1960.

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5. Ein Flektogon 4/30 mm

Flektogon 4/30 mm Versuchsobjektiv

Nur noch das oben gezeigte Versuchsmuster [Bild: Günther Benedix] zeugt davon, daß Zöllner und Solisch im Jahre 1950 die Flektogon-Konstruktion sogar auf einen Bildwinkel von 70 Grad bringen wollten. Dabei hatten sie bei Beibehalten des Flektogon-Grundaufbaus die Lichtstärke um eine Stufe reduziert. Die Schnittzeichnungen aus dem Datenblatt zeigt, daß auch hier die hinterste Linse des Biometar-Grundobjektivs verkittet war, wie das damals auch bei der 35-mm-Variante noch der Fall war. Dafür ist der vor der Blende stehende dicke Meniskus anders als sonst beim Biometar in diesem Fall nur als Einzellinse ausgeführt. Daher war dieses Flektogon 4/30 insgesamt sechslinsig.

Flektogon 4/30

"lt. Zö für Kiné Exakta" steht unter dem Schriftfeld vermerkt. Das erinnert uns, wie unglaublich früh diese Entwicklung angesiedelt ist. Dieses Flektogon 4/30 mm hätte einen ersten Bildwinkelrekord für die Kleinbild-Reflexkamera bilden können. Doch gefertigt wurde es nicht. Es existieren zwei Rechnungen vom 12. und vom 16. August 1950, die was Radien, Dicken und Abstände betrifft völlig identisch sind, obgleich in Linse 3 unterschiedliche Gläser eingesetzt wurden. Umgesetzt wurde aber offenbar nur die Version V88.

Flektogon 4/30 mm

Besonderer Dank gilt Herrn Günther Benedix für das geduldige Aufarbeiten und Digitalisieren des hier gezeigten wertvollen Quellenmaterials.

Marco Kröger


letzte Änderung: 23. November 2024