Pancolare 2,0 und 1,8

Vom Flexon zum Pancolar

Carl Zeiss Jena

Zeiss Jena Pancolar 1,8/50 (1964)

Die 50er Jahre waren die große Zeit der lichtstarken Normalobjektive mit der Lichtstärke um 1:2,0. Weil die Entspiegelung von Glasoberflächen nun in jeder Objektivbauanstalt zur Standardtechnologie geworden war, war der Weg von dreigliedrigen Objektivtypen wie den Tessaren oder Sonnaren hin zu komplexeren Aufbauten geebnet worden. Das Oberkochener Planar 2/50, das Leitz Summicron 2/50, Ultron, Xenon, Heliogon – das alles waren sehr hochwertige, ausgeklügelte Systeme, mit denen sich die Hersteller gegenseitig zu übertreffen versuchten. Viele von ihnen waren zunächst für die Sucherkamera gedacht und daher auf den Zentralverschluß hin optimiert. Aber die Einäugige Reflexkamera erlebte in den 50er Jahren einen rasanten Zugewinn an Beliebtheit beim Photoamateur; insbesondere nachdem die Hersteller erkannt hatten, daß der Einbau eines Prismensuchers die Handhabung dieses Kameratyps enorm erleichterte.

Und bei der Spiegelreflexkamera ist ein lichtstarkes Objektiv schließlich gleich aus zweierlei Gründen erstrebenswert: Einmal natürlich, um auch bei schlechten Lichtverhältnissen noch Aufnahmen machen zu können und andererseits deshalb, weil ein helles Sucherbild und eine "springende Schärfe" das Fokussieren per Mattscheibenbild deutlich einfacher gestalteten. Dabei hatten für die Reflexkamera geeignete Normalobjektive, die noch auf die Zwischenkiegszeit zurückgingen, wie das Biotar 2/58 oder das Primoplan 1,9/58, ebendiese ungewöhnlich lange Brennweite. Das war zumindest für den Amateur, der sich ja oft erstmal nur dieses eine Objektiv anschaffte, sehr ungünstig, weil er noch weniger "draufbekam", als mit der ohnehin schon zu langen Brennweite von 50 mm. Zur Erinnerung: Die Diagonale, und damit auch die wahre Normalbrennweite, beträgt beim Kleinbild eigentlich 43,3 mm! Um also wenigstens auf den international üblichen Wert von 50 mm zu kommen, arbeiteten im Laufe der 50er Jahre führende Objektivbauanstalten an neuartigen lichtstarken Normalobjektiven speziell für die Reflexkamera. Das grundsätzliche Problem hierbei bestand darin, daß eine Mindestschnittweite von etwa 37...38 mm keinesfalls unterschritten werden durfte, um dem Spiegel den nötigen Ablaufweg einzuräumen. Das sind aber bei auf Unendlich scharfgestelltem Objektiv immerhin ¾ der gesamten Bildweite.

Leitz Summicron R 2/50 scheme

Um angesichts dieser Anforderungen die Brennweite trotzdem auf die üblichen 50 mm verkürzen zu können, mußten die Brechkräfte anders verteilt werden: Wie oben am Beispiel des Leitz Summicron R 2/50 aus den späten 70er Jahren zu erkennen ist, wurden hierfür beide Hauptebenen hinter die Blendenebene verlegt, wobei die vordere Hauptebene H noch weit hinter der hinteren Hauptebene H' zu liegen kam. Die Folge war ein negativer Hauptpunktabstand, der selbst beim deutlich älteren Schneider'schen Xenon 1,9/50 mm für die Edixa bereits minus 4,5 mm betrug [Vgl. Solf, Fotografie, 5. Aufl., Frankfurt, 1975, S. 134.]. Diese neuen Anforderungen haben in den 50er Jahren noch einmal großen Schwung in die Weiterentwicklung des Gaußtyp-Objektives gesorgt, der auch deutlich in der Patentüberlieferung der damaligen Zeit zum Ausdruck kommt.

Flexon und Pancolar 2/50

Auch bei Zeiss Jena wurde seit Beginn der 50er Jahre intensiv an einem solchen Objektiv gearbeitet, um das alte Biotar 2/58 von 1936 ablösen zu können. 1952 und 53 hat es jeweils zwei Prototypen geben (V130 und V136), und am 5. Oktober 1954 wurde schließlich die Rechnung zu einem "Biotar 2/50" fertiggestellt, von dem zum Jahreswechsel 1956/57 einhundert Stück produziert wurden. Eingebaut wurden sie in eine Fassung für die Praktina IIA mit Automatischer Springblende. Das beweist übrigens auch, daß diese Kamera damals schon auf das neue Blendensystem umkonstruiert war, sonst hätte es ja schließlich keinen Sinn gehabt, hundert ASB Objektive für sie zu bauen. Die hundert Stück beziehen sich übrigens nur auf die noch als „Biotar 2/50 mm“ bezeichneten Exemplare. Im gleichen Monat wurden noch weitere 1000 Stück desselben Objektives unter der Bezeichnung „Flexon 2/50“ montiert. Dieser Namenswechsel muß sehr spontan erfolgt sein, denn beauftragt waren die Objektive offenbar noch als Biotar. Der Grund ist aber schnell ersichtlich, wenn man sich vor Augen führt, wie der VEB Zeiss Jena zu genau jener Zeit alle seine Markenbezeichnungen aus der Vorkriegszeit verschleiern mußte, wenn er die entsprechenden Produkte noch auf den Westmärkten verkaufen wollte. So wurde zum Beispiel das "Carl Zeiss Jena Biotar 2/58 mm" mit zusätzlichen Vorschraubringen zum „Jena B“ degradiert. Um aus diesem Zwiespalt herauszukommen, begann man kurzerhand, neue Objektivnamen zu kreieren.

Flexon 2/50 Praktina IIa

Das Flexon ist in erster Linie als Normalobjektiv für die Praktina IIA gebaut worden. Hier war es mit der innenausgelösten Vollautomatischen Springblende und der linearen Abstufung der Blendenzahlen auf dem Blendenring seiner Zeit um Jahre voraus – so wie die Kamera schließlich auch. Einige tausend Stück des Flexons wurden aber offenbar auch in einer Fassung für die Exakta geliefert. Genau an diesem Punkt wird es allerdings kompliziert. Ab Sommer 1959 findet nämlich sukzessive ein Namenswechsel hin zu Pancolar statt, und zwar offenbar inmitten der laufenden Endmontage zweier Fertigungsaufträge. So gibt es auch Flexone für die Exakta und Pancolare für die Praktina. Es war bereits bekannt, daß das Biotar/Flexon 2/50 im Jahre 1960 neu gerechnet wurde und man nahm bislang immer an, der Namenswechsel sei im Gleichzug mit der Neukonstruktion erfolgt. Seit Erscheinen des „Fabrikationsbuch Photooptik II“ von Hartmut Thiele weiß man aber, daß der Namenswechsel schon vor Errechnung des neuen Pancolars 2/50 in Gang gekommen war. Es gibt also auch Pancolare, in denen die Optik von 1954 steckt. Weshalb übrigens der Markenname "Flexon" nun bereits nach kurzer Zeit wieder aufgegeben wurde, ist bislang unklar. Vielleicht wollte man Verwechslungen mit dem "Flektogon" vermeiden.

Flexon 2/50mm

Das Flexon existiert fast ausschließlich in der damals hochmodernen Fassung für die Praktina IIA. Mit seiner Vollautomatischen Springblende und der linearisierten Blendenskala war es 1956 das erste derartige wechselbare Normalobjektiv. Seine Bauart wurde später von der japanischen Photoindustrie ziemlich dreist kopiert.


Der Linsenschnitt unten gilt sowohl für das Flexon von 1954, als auch für das Pancolar von 1960. Gut zu sehen die meniskenförmige Gestalt der Linsen im vorderen Objektivteil, die maßgeblichen Anteil an der Verkürzung der Brennweite hatten, ohne die Schnittweite antasten zu müssen.

Pancolar 2/50 Schema

Dieses Biotar/Flexon 2/50 wurde am 9. September 1956 in der DDR unter der Nummer 16.756 zum Patent angemeldet. Neben Harry Zöllner war Eduard Hubert an der Entwicklungsarbeit beteiligt. Neu gegenüber dem alten, Merté'schen Biotar 2/58mm war, daß alle Linsenelemente VOR der Blende meniskenförmige Gestalt hatten, also alle sechs Flächen zur Dingseite hin gewölbt waren. Mit diesem optischen Kunstgriff konnte die bildseitige Schnittweite S' des Flexons auf 72,4 Prozent der Brennweite angehoben werden. Das wiederum war die Voraussetzung dafür, die Brennweite auf denn Nennwert  50 mm verkürzen zu können, um den unbedingt notwendigen Luftweg von etwa 37 mm hinter dem letzten Linsenscheitel gewährleisten zu können.

DD16.756 Flexon

Als verblüffende Erkenntnis aus dem Studium der Patentschrift ergibt sich auch, daß die vier äußersten Linsen aus ein und derselben Glasart bestehen, nämlich einem Schwerkron mit der Brechzahl 1,662 und der Abbeschen Zahl 56,1. Dahinter verbirgt sich offenbar das neue Schwerkron SK24 – ein modernes Lanthankronglas, wie es seinerzeit auch in der Bundesrepublik zunehmend Eingang in den Bau von Spitzenobjektiven  fand. In der ersten Kittgruppe bildet es mit dem ähnlich hoch brechenden, aber fast doppelt so stark dispergierenden Schwerflint SF5 ein für den Biotar-Typ charakteristisches Nachbarflächenpaar, in dem schließlich das Geheimnis für die gute Behebung der sphärochromatischen und astigmatischen Abbildungsfehler lichtstarker Objektive verborgen liegt. In der zweiten Kittgruppe geschieht dasselbe durch Gegenüberstellung von SK24 mit einer Zerstreuungslinse aus Flint F16.

Flexon 2/50 Prospekt

Erstes Prospekt aus dem Jahre 1958, auf dem hingewiesen wird, daß das neue Flexon zunächst nur für die Praktina IIA gefertigt wird, weil bei dieser Kamera die Automatische Springblende schon fertig entwickelt war, während für die Exakta und die Praktica erst noch neue Lösungen gefunden werden mußten.

Dieses Flexon von 1954 zählte zu den Spitzenobjektiven der damaligen Zeit. Auch im mechanischen Aufbau wurde mit den Vollautomatischen Springblenden und den halbstufig einrastenden Blendenringen mit gleichgroßen Abständen zwischen den Blendenzahlen ein bisher nicht gekannter Bedienungskomfort erreicht. Im Umfeld des oben bereits angesprochenen erneuten Namenswechsels von Flexon zu Pancolar wurde auf eine Neuberechnung mit Abschlußdatum zum 10. November 1960 umgestellt. Worin sich diese Rechnung vom Vorgänger unterschied ist bislang unklar. Am optischen Grundaufbau änderte sich aber nichts und beide Versionen scheinen in der Praxis gleichwertig.

Pancolar 2/50
Pancolar 2/50 Zebra

Das Pancolar 2/50 ist in M42 nicht sehr häufig anzutreffen, denn die meisten Exemplare wurden für die Exakta Varex gebaut. Insbesondere die zweite Version im Zebradesign ist äußerst selten. Die Produktion des Pancolar 1:2,0 lief zum Jahresende 1969 aus, als die Ära der Exakta nach mehr 30 Jahren zuende ging .

Pancolar 2/50 Praktica

Das Flexon 2/50 in der Version von 1954 an der Praktina IIA. Auf dem dicht bewachsenen Jüdischen Friedhof an der Schönhauser war diese Aufnahme trotz Hochsommer nur bei weit geöffneter Blende und 1/15 Sekunde Verschlußzeit möglich. Wie man sieht, kommen trotzdem brauchbare Ergebnisse heraus.

Pancolar 2/50 Schnittzeichnung
Pancolar Reklame
Pancolar Fälschung

An diesem verblüffenden Beispiel kann man ablesen, welch prägenden Standard für ein modernes Normalobjektiv das Jenaer Pancolar Anfang der 60er Jahre gesetzt haben muß. Trotz Herstellung in der DDR scheint es aber noch zu teuer gewesen zu sein, weshalb es durch einen japanischen Hersteller schamlos gefälscht wurde. Bild: Alfred Barten.

Pancolar Fälschung

Das Pancolar 2/50 als Versuchsträger für Asphären

Erwähnenswert ist noch, daß bei Zeiss Jena Mitte der 60er Jahre wieder am Einsatz von deformierten Linsenflächen im Objektivbau gearbeitet wurde. Das war bereits in den 30er Jahren aktuell gewesen und führte zum ersten praktischen Einsatz einer Asphäre in einem photographischen Aufnahmesystem. Die Mitschrift eines Gastvortrages, den Prof. Harry Zöllner am 27. September 1965 in Ilmenau über den "Einsatz von asphärischen Flächen in optischen Systemen" gehalten hat, läßt uns nun wissen, daß diese Technologie damals zur Verbesserung der Leistung des Pancolars 2/50 angewendet worden ist. Genaugenommen ging es erst einmal darum, den Einfluß von Flächenungenauigkeiten auf die Leistungsfähigkeit eines mit einer Asphäre ausgestatteten Systems zu untersuchen. Von der Kugelform abweichende Linsenflächen können halt nicht mit der seit Jahrhunderten etablierten Technologie der Linsenschleiferei hergestellt werden. Das führte dazu, daß die mit den althergebrachten Methoden gewohnten Genauigkeiten bei deformierten Oberflächen lange Zeit nur schwer erreichbar waren.

Deformation Asphäre Pancolar

Die Kurve oben gibt die Abweichung vom Scheitelradius der dritten Linsenfläche dieses speziell berechneten Pancolars wieder. Man erkennt daraus, wie minimal diese Deformationen eigentlich sind. Bei einer Scheitelhöhe im zweistelligen Millimeterbereich liegt die Abweichung von der Kugelform im zweistelligen Mikrometerbereich – also nur wenige Tausendstel. Trotzdem muß diese sehr kleine Änderung der Oberflächengestalt mit größter Genauigkeit ausgeführt sein, damit eine positive Wirkung der Asphäre auf die Korrektur der Bildfehler nicht durch eine wilde Zerstreuung des Lichts aufgrund ihrer mangelnden Ausführung zunichte gemacht wird.


Zöllner gibt als Potential dieser Einführung einer Asphäre in des Pancolar 2/50 an, daß bei der Untersuchung der Moduationsübertragung dieses asphärischen Pancolars im Frequenzbereich zwischen 10 und 30 Linien je Millimeter eine Konstraststeigerung bis 80 Prozent zu verzeichnen gewesen sei. Bei der Untersuchung der Flächenungenauigkeit dieses asphärischen Pancolars im Michelson-Interferometer hätten sich zwar deutlich Deformationen der Wellenfront ergeben (Bild 10) und auch eine Zerissenheit der Kaustik aufgrund dieser Ungenauigkeiten sei zu verzeichnen gewesen (Bild 11), die daraus hervorgegangenen Abweichungen seien aber deutlich unter dem zulässigen Zerstreuungskreisdurchmesser geblieben. Zöllner zog einerseits aus dieser Untersuchung den Schluß, daß die erreichbaren Genauigkeiten beim Schleifen von asphärisch deformierten Flächen mittlerweile ausreichen würden, um solche Asphären durchweg in abbildenden Systemen anwenden zu können; andererseits allerdings nur unter der Maßgabe, daß erst noch entsprechende Fertigungsverfahren zu entwickeln seien, auf deren Basis solche Linsen in größeren Stückzahlen wirtschaftlich herstellbar wären. Wir wissen heute, daß ebenjener Schritt durch den Photoobjektivbau der DDR nicht verwirklicht werden konnte. Dasselbe gilt auch für ein Anfang der 70er Jahre in Görlitz entwickeltes Normalobjektiv 1,7/50 mm mit Asphäre.

Das Pancolar 1,8/50 von 1964

Denn bis zum allgemein üblichen Einsatz von Asphären beim Bau von Massenobjektiven sollte es immerhin noch bis in die 1990er Jahre dauern. Trotzdem schritt die Entwicklung auch während der 1960er Jahre unaufhaltsam voran. Den Takt gab nunmehr die japanische Photoindustrie vor. Und die hatte das 1,8er Normalobjektiv zum Standard etabliert. Diese auf den ersten Blick nur geringfügig erhöhte Öffnung um etwa einen halben Blendenwert verlangte aber defakto nach umfangreichen konstruktiven Weiterentwicklungen der bisherigen Typen. Also wurden in Jena (und übrigens auch in Görlitz) um 1963/64 an entsprechenden Pendants gearbeitet. Zum 10. April 1964 konnte dann die Rechnung eines neuen Pancolars 1,8/50mm abgeschlossen werden, die ein Jahr später in Produktion ging. Dieses Pancolar 1:1,8 blieb auf den M42-Anschluß beschränkt; für die Exakta wurde die vorige Version 1:2,0 weitergebaut.

Pancolar 1,8/50mm erste Version

Dieses neue Pancolar hatte trotz der angehobenen Lichtstärke eine sehr hohe Abbildungsleistung. Um diese Eigenschaften zu erreichen, wurden allerdings offenbar Glassorten mit Thoriumdioxid verbaut, namentlich das Schwerstkron SSK11. Dieses Boratglas war Ende der 50er Jahre im Jenaer Glaswerk unter Werner Vogel und Wolfgang Heindorf entwickelt worden und es erreichte für ein Kronglas (ny-Wert: 52,9) eine außergewöhnlich hohe Hauptbrechzahl von 1,7564. Derartige hochbrechende Gläser ermöglichen Linsen, die bei gleicher Brechkraft kleinere Krümmungshalbmesser aufweisen können und daher die Auswirkungen des Kugelgestaltsfehlers (sphärische Aberration) begrenzen helfen. Außerdem stellt es eines der wichtigsten Korrekturmittel innerhalb der Optik dar, hochbrechende Krongläser mit Flintgläsern zu kombinieren, um bei annähernd gleicher Brechzahl zu stark voneinander abweichenden Farbzerstreuung zu gelangen. Die damit gebildeten sogenannten Nachbarflächenpaare in den mittleren Kittgruppen des Planar-Biotar-Typus sind der Grund für dessen bis heute anhaltenden Erfolg und seine Dominanz im Sektor lichtstarker Objektive.

Pancolar 1,8 1964 Schema

Mit diesem Schwerstkron SSK11 hatte man in der DDR ein optisches Glas auf Spitzenniveau zur Hand, mit dem es gelang, mit den Entwicklungen in den USA (Kodak) und vor allem auch der Bundesrepublik aufzuschließen. Hier gab es damals neben dem Glasforschungslabor bei Leitz Wetzlar insbesondere mit Schott in Mainz einen regelrechten Wettlauf, wo der ehemalige Jenaer Schott-Mitarbeiter Walter Geffcken ebenfalls an hochbrechenden Flint- und Krongläsern arbeitete.

DD22535 Vogel-Heindorf SSK11

Leider hatten diese extremen optischen Eigenschaften des SSK11 auch ihren Preis – und zwar sowohl im direkten wie im übertragenen Wortsinne. Einmal sind derartige Gläser nämlich vergleichsweise teuer in der Herstellung. Nicht nur weil sie als Rohstoffe sogenannte seltene Erden enthalten, sondern auch weil das Schmelzen sehr aufwendig ist. Das im Glassatz enthaltene Fluor verdampft und führt zu Schleiern im erstarrten Glas. Auch können nur verhältnismäßig kleine Mengen auf einmal geschmolzen werden, da ansonsten die Schmelze nicht als amorphe Masse erstarrt, sondern auskristallisiert. Diese Probleme hatte man aber in Jena weitgehend in den Griff bekommen, weshalb man derartige Schwerstkrongläser in der Folgezeit beim Bau von Massenobjektiven zum Einsatz bringen konnte.


Der große Nachteil des SSK11 lag aber darin, daß dessen extreme Eigenschaften nur durch Einsatz von Thoriumdioxyd im Glassatz möglich waren. Dieses Schwermetall ist jedoch schwach radioaktiv, was einerseits die Verarbeitung in der Glasfabrik und vor allem in den Linsenschleifereien verkomplizierte. Das eigentliche Problem liegt aber darin, daß jene Gläser durch die Eigenstrahlung des Thoriums optisch nicht langzeitstabil sind. Sie vergilben mit der Zeit stark und sorgen dabei nicht nur für einen unvertretbaren Farbstich der betroffenen Objektive, sondern auch für Einbußen an ihrer effektiven Lichtstärke, die ja mit ihrem Einsatz zuvor gerade erst auf ein höheres Niveau getrieben worden war. Diese negativen Eigenschaften des SSK11-Glases waren schon nach kurzer Zeit erkannt worden und deshalb setzte bereits nach wenigen Jahren ein Programm zur Substitution dieser Glassorte ein. Daher blieb dieses neue Pancolar 1,8/50 mm, das als Normalobjektiv ja eigentlich ganz besonders auf eine große Massenfertigung hätte ausgelegt sein müssen, nicht sehr lange im Angebot. Es wurde nur zwischen 1965 und 1970 gebaut – allerdings immerhin in einer Stückzahl von knapp 40.000 Exemplaren. Man findet es nur in der damals aktuellen Zebragestaltung. Von seinem Nachfolger, der ganze zehnmal häufiger anzutreffen ist, läßt es sich anhand der kürzeren Fassung unterscheiden.

Pancolar Pentacon Super

Das Pancolar 1,8/50mm in der ersten Version gab es auch in geringen Stückzahlen für die Pentacon Super. Diese Exemplare erkennt man an den zwei Stößeln auf der Rückseite. Beim oberen rechten Stößel handelt es sich um den üblichen Mechanismus für die Druckblendenmechanik. Der untere bewerkstelligt die Offenblendenübertragung dieser Spitzenkamera. Er ist dazu mit dem Blendenring gekuppelt und übermittelt dessen Stellung an das Summengetriebe der Pentacon Super, sodaß sich der zu erwartende Blendenwert ohne abblenden zu müssen im Belichtungsmeßwert wiederfindet. Dieser zusätzliche Stößel kann aber bei Bedarf ausgekuppelt und eingefahren werden, sodaß die damit ausgestatteten Objektive an jeder anderen M42-Kamera nutzbar sind. Genau dazu gibt es auch ein Patent, nämlich die Nummer DD54.185 vom 20. Februar 1967. Hermann Friebe, Paul Klupsch und Dieter Reinicke waren die Urheber. Unten die Abbildung des entsprechenden Mechanismus aus dem besagten Patent.

Das Pancolar 1,8/50 von 1967

Aus den obengenannten Gründen mußte nach nur drei Jahren erneut ein Normalobjektiv mit der Lichtstärke 1:1,8 erarbeitet werden. Bei diesem neuen Pancolar 1,8/50  mit Rechnungsabschluß vom 2. Mai 1967 ging man nun gezielt von den teuren, fertigungstechnisch problematischen und zudem zur Vergilbung neigenden Schwerstkron-Gläsern ab. Vielmehr dominiert jetzt das ebenfalls recht hochbrechende Schwerkron-Glas SK 22, das gleichzeitig in den Linsen 2; 5 und 6 zum Einsatz kam. Hierbei handelt es sich um ein Lanthan-Kronglas ähnlich dem in der Bundesrepublik von der Firma Leitz entwickelten LaK9, das in der Herstellung und Verarbeitung deulich einfacher zu handhaben war. (Mehr zum Hintergrund dieser Lanthan-Krongläser im Zusammenhang mit dem Jena Pancolar 1,4/75 mm.)

DD77.830 Pancolar 1.8/50

Aufgrund der ungünstigeren Brechzahl des SK 22 (n = 1,6779) gegenüber dem bisherigen SSK 11 (n = 1,7564) war allerdings eine Weiterentwicklung des gesamten optischen Aufbaus notwendig, um eine hohe Fehlerkorrektur aufrecht zu erhalten. Wolf Dannberg und Gerhard Risch schafften dies, indem sie eine der beiden charakteristischen inneren Kittgruppen des Gaußtyps in Einzelelemente auflösten. So waren auch andere Hersteller bereits verfahren. Laut DDR-Patentschrift Nummer 77.830 vom 7. Mai 1969 war dies beim neuen Pancolar in der hinteren Systemhälfte geschehen, wodurch zwischen der vierten und der fünften Linse eine Luftlinse entstand, deren Dicke zwischen dem 0,028- und dem 0,048-fachen der Brennweite liegen sollte und deren zerstreuende Wirkung größer sein mußte als 5% aber kleiner als 20% der Wirkung des vor ihr stehenden zersteuenden Innengliedes. Hier wird also einmal deutlich, wie ein zwischen zwei Linsen stehender Luftzwischenraum zur Korrektur des Gesamtsystems ausgenutzt werden kann.

Pancolar 1,8/50 1967
Pancolar 1,8/50 1967 Schema
Pancolar Exakta RTL1000

Mit diesem neuen Pancolar 1,8/50 wurde nun ein Optimum erreicht zwischen einer möglichst guten Bildleistung und einer gleichzeitig ökonomisch vertretbaren Massenfertigung. Es entpuppte sich nicht zuletzt auch aus diesem Grunde in der Folgezeit als eine der glücklichsten Nachkriegsschöpfungen des Zeisswerks. Es wurde bis zur Mitte der 1980er Jahre in für Zeiss-Verhältnissen sehr großen Stückzahlen gefertigt. Alle Fassungsvarianten zusammengenommen dürften es bis 1986 über 375.000 Pancolare 1,8/50 gewesen sein. Zählt man auch jene Fertigungslose mit hinzu, bei denen es im Thiele heißt "Beleg fehlt" oder "Karte fehlt", dann waren es sogar weit über 400.000. Das Pancolar galt seinerzeit stets als die beste Objektivbestückung, wenn man sich eine Praktica kaufte. Es war damals heiß begehrt und ist bis heute sehr beliebt geblieben. Und das nicht zu Unrecht!

Practica VLC Pancolar 1.8
Pancolar 1,8/50
Pancolar 1,8/50 Ratio
Pancolar 1,8/50 MC

Die mehrschichtvergüteten Pancolare  waren in schwarzen Fassungen erhältlich. Links ist eine sehr frühe Version vom Januar 1976 abgebildet. Hier stammt die Blendenmechanik noch von der Zebraversion. Die meisten Pancolare gibt es in der mittleren Fassung mit dem "genormten" Anschlußstück, das es mit anderen Zeissobjektiven jener Zeit gemein hatte. Das rechte Pancolar stammt aus der Endphase der DDR und hat eine deutlich kürzere Fassung, die einen sehr eleganten Eindruck macht.


Unten: Die letzte Bauform des Pancolar 1,8/50 an der letzten Version der Exa, die durch ihre neue "Gehäusebeplankung" noch einmal ein gänzlich gewandeltes Gesicht verpaßt bekommen hatte. Der Plastik-Look entsprach übrigens seinerzeit ganz und gar dem Zeitgeschmack.

Hier einmal ein Vergleich aus der Praxis: Das Pancolar 1,8/50 aus den frühen 1970er Jahren an der Praktica LTL. Oben bei voller Öffnung, unten abgeblendet auf 1:2,8. Scharf gestellt war auf das andere Zugende. Das kommt übrigens einer Einstellung auf Unendlich gleich, die der Photooptiker üblicherweise auf das tausendfache der Brennweite veranschlagt (die BVG-Baureihe H ist  fast 100m lang!). Bei solchen Aufnahmen spielen Allgemeinschärfe und Schärfentiefe ineinander und beeinflussen den letztlichen Bildeindruck, denn nur selten photographiert man rein flächige Motive, wo sich alles in einer Ebene abspielt. Demnach ist es doch interessant, daß sich beim Abblenden, was die Bildschärfe angeht, in der Bildmitte kaum noch etwas ändert. Unter praxisnahen Umständen auf mittelempfindlichem Film und aus der Hand aufgenommen, nutzen wir die Bildleistung selbst der lichtstarken Objektive kaum aus. Kein Wunder, daß solche 50 Jahre  alten Objektive selbst an heutigen Bildsensoren meist noch eine überraschend gute Figur abgeben...

Unten: Das Pancolar 1,8/50 electric an der Praktica VLC3 (nur minimal abgeblendet, um noch mit der 1/1000 Sekunde auszukommen). Kodak Ektachrome 320 Kunstlichtfilm als Farbnegativ entwickelt.

Das Prakticar 1,8/50 mm

Als im Jahre 1979 endlich die neue Praktica-Generation mit Bajonettanschluß auf den Markt kam, wurde natürlich auch das Pancolar 1,8/50 mm in einer solchen Fassung angeboten. Allerdings nicht lange. Es kann eigentlich nur im Verbund mit der Praktica B 200 und allenfalls noch mit der B 100 zusammen ausgeliefert worden sein, denn die Produktionszeit erstreckte sich lediglich zwischen Februar 1979 und Juni 1982. In dieser kurzen Zeit wurden laut "Thiele" reichlich 29.000 Stück hergestellt. Da dort jedoch ein Fertigungslos im Seriennummernbereich 11.018.XXX nicht verzeichnet ist, obwohl es real existiert, kann man wohl von über 30.000 Stück ausgehen. Damit dürfte dieses Jenaer Prakticar 1,8/50 mm trotz der so frühzeitig eingestellten Produktion das am meisten gebaute Zeissobjektiv für diesen Kameraanschluß darstellen.

Carl Zeiss Jena Prakticar 1.8/50mm
Jena Prakticar 1,8/50

Wie alle Objektive zur neuen B-Reihe wurde es "Prakticar" benannt. Das führt dazu, daß das JENA Prakticar 1,8/50 sehr leicht mit einem PENTACON Prakticar 1,8/50 verwechselt werden kann, nicht zuletzt da sich beide Objektive auch äußerlich sehr ähnlich sehen.

Zeiss and Pentacon Prakticar comparison
Praktica BX20 Werbung

Aus Thieles Quellenedition der Fertigungs-Karteiekarten läßt sich ableiten, daß etwa 30.000 Stück des Zeiss Prakticars 1,8/50 hergestellt worden sind. Es kann natürlich sein, daß ein oder mehrere Fertigungslose defacto nicht oder nur teilweise produziert wurden. Man darf bei der Beurteilung dieses Problems aber auch den sehr kurzen Fertigungszeitraum nicht außer Acht lassen, der schließlich zur Folge hat, daß nur relativ frühe Praktica B-Kameras überhaupt mit diesem Normalobjektiv ausgerüstet sein können. Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang übrigens, daß auf Werbeprospekten aus der Zeit zwischen 1987 und 1989 die neue Praktica BX20 auffällig oft mit diesem Objektiv gezeigt wurde, obgleich selbiges doch bereits seit mehr als fünf Jahren ausgelaufen war. Allgemein muß aber gesagt werden, daß angesichts von insgesamt ziemlich genau 1,4 Millionen gefertigten Spiegelreflexkameras mit Praktica-B-Bajonett dieses Zeiss Prakticar 1,8/50 mm generell nur einen verschwindend geringen Anteil ausmachen kann – völlig gleichgültig, ob letzten Endes 30-; 20-; oder gar nur 10-tausend Stück gefertigt wurden.

BX20 mit Zeiss Prakticar 50 mm
Praktica BX20 Zeiss Prakticar 1,8/50

"Portrait". Zeiss Jena Prakticar 1,8/50 mm mit weit geöffneter Blende an der Praktica BX20. Ilford ortho 80.

Marco Kröger


letzte Änderung: 14. September 2023