Pancolar 2,0

Vom Flexon zum Pancolar

Die Normalobjektive 2/50 mm des VEB Carl Zeiss Jena

Pancolar 2/50 mm

1. Vorbetrachtung: Die stürmischen Fortschritte beim Gaußtyp Anfang der 1950er Jahre

Die 1950er Jahre waren die große Zeit der lichtstarken Normalobjektive mit Öffnungen um 1:2,0. Weil die Entspiegelung von Glasoberflächen nun in jeder Objektivbauanstalt zur Standardtechnologie gehörte, war der Weg von dreigliedrigen Tripletvariationen, wie beispielsweise den Tessaren oder Sonnaren, hin zu komplexeren Aufbauten geebnet worden. Bei Leitz in Wetzlar, wo man schon in den 1930er Jahren zu den Pionieren bei der standardmäßigen Anwendung des sogenannten Doppelgauß-Typs in der Kleinbildphotographie gehörte ("Summar 2/5 cm"), hatten 1949 Gustav Kleineberg und Otto Zimmermann mit dem Summicron 2/50 [Bundes-Patentanmeldung Nr. L869 vom 9. Januar 1950] ein neues Normalobjektiv geschaffen, das die Leistung des bisherigen Summitars [DRP 685.572 vom 16. August 1936] weit übertraf und neue qualitative Maßstäbe setzte. Der siebenlinsige Aufbau und der Einsatz des gerade erst neu entwickelten Lanthan-Kronglases LaK9 in gleich drei Elementen machte dieses Objektiv aber auch unverhältnismäßig teuer. Es konnte zudem erst 1953 in Produktion gehen, nachdem bei Schott in Mainz die serienmäßige Herstellung dieser neuen Glasart sichergestellt war. Außerdem wurde die Frontgruppe noch einmal überarbeitet. Die Grundidee jedoch, wie beim Summitar mit einer über das nötige Maß des Öffnungsverhältnisses hinaus vergrößerten Frontlinse die Ausleuchtung der Bildecken zu verbessern, wurde auch beim Summicron fortgesetzt.

Ähnliche Erfolge hatte zur selben Zeit auch Albrecht Wilhelm Tronnier mit seinem Ultron 2/50 mm [DE945598 vom 11. Juni 1950] vorzuweisen, das als eines der ersten Serienobjektive der Welt das neue Lanthan-Thorium-Schwerstkronglas SSK10 in der vorletzten der insgesamt sechs Linsen enthielt. Auch ihm gelang es, eine bis dahin nicht erreichte zonenarme anastigmatische Bildfeldebnung mit einer hohen Korrektur der komatischen Fehler zu verknüpfen, die bei den älteren Typen bisher das seitliche Bildfeld stark beeinträchtigt hatten. Beide Objektive – das Summicron wie das Ultron – stellten also zur gleichen Zeit eine neue Antwort auf das gleiche alte Problem dar, nämlich daß man beim Gaußtyp bislang entweder nur die Behebung der sphärischen Aberration der schiefen Büschel (ein anderer Ausdruck für die Koma) ODER eine anastigmatische Bildfeldebnung in voll befriedigendem Maße erreichen konnte, aber eben nur schwer beides zugleich. Neue Glasarten und neue Berechnungsmethoden machten dies nun jedoch auch für größere Bildwinkel möglich, was in der Folgezeit einen regelrechten Ansturm auf den lichtstarken Gaußtyp auslöste.

Voigtländer Prominent Ultron
Summicron und Ultron 2/50 1950

Das Summicron 2/50 (links) und das Ultron 2/50 (rechts), wie sie in den im Jahre 1950 kurz hintereinander angemeldeten Schutzschriften dargestellt sind. Deutlich ist bei beiden Objektiven die Tendenz zum Auflösen von Kittgliedern in Einzelelemente zu erkennen, was die neuen Entspiegelungsschichten möglich machten. Beide Objektive zeigen im bildseitigen Systemteil eine nach außen hin ansteigende Brechzahl der Elemente, wobei beim Ultron auffällt, daß gegenüber Tronniers Vorkriegs-Xenon hier die Glasfolge in Flint - Kron - Flint geändert wurde.


Im Falle des Summicrons scheint übrigens das Patent in Deutschland nie erteilt worden zu sein, weshalb keine deutsche Ausgabeschrift existiert, sondern nur das oben gezeigte Patentgesuch und eine amerikanische Patentschrift. Das ist vor allem deshalb seltsam, weil zum 31. August 1954 [Nr. DE939.956] die obige Grundkonstruktion gewissermaßen noch ein zweites Mal angemeldet worden ist – jetzt aber mit dem Augenmerk auf eine bessere Korrektur im Nahbereich: "Die Erfindung löst durch eine besonders gut gelungene Durchrechnung die Aufgabe, die Bildgüte für Entfernungen von unendlich bis sehr kleinen Werten aufrechtzuerhalten". Dieses Patent, das offensichtlich das Nah-Summicron beschreibt, wurde dann tatsächlich knapp zwei Jahre später erteilt. Im Jahre 1957 wurde außerdem der obige Aufbau dann sogar noch auf die Lichtstärke von 1:1,4 gebracht [DE1.044.439]. In den Linsen 3; 6 und 7 wurde dazu ein offenbar bei Leitz entwickeltes Lanthan-Flintglas (ähnlich LaF21) verwendet. Dieses Patent wurde 1961 erteilt, aber offenbar nie in einem Produkt umgesetzt.

Nah-Summicron
Schneider Xenon 2/5 cm 1930er Jahre

Auch die Firma Schneider Optik hatte in der Zwischenkriegszeit zu den Pionieren des lichtstarken Gaußtyps gehört – paradoxerweise ebenfalls durch die Grundlagenarbeiten Tronniers. Da aber jener nun für den Braunschweiger Konkurrenten Objektive entwickelte und er hier seine bisherigen Leistungen selbst in den Schatten stellte, wurde in Bad Kreuznach die Entwicklung durch Günter Klemt und Karl Macher weitergeführt. Ihnen gelang eine Verbesserung des Tronnier'schen Xenon 2/50 mm aus den 30er Jahren [ähnlich US-Patent 2.106.077 vom 7. Mai 1936], indem sie bei gleichem Grundaufbau in Linse Nummer zwei das neuartige Lanthan-Schwerkron LaK2 einführten [DE949.690 vom 1. Mai 1951]. Auch das von Theodor Brendel gerechnete Solagon 2/50 mm des Agfa Camerawerks München [DE833.419 vom 27. Juli 1950] gehört in diese Gruppe, ebenso wie das Heliogon 2/50 mm der Firma Rodenstock. Diese drei letztgenannten Normalobjektive waren hauptsächlich für Sucherkameras mit Zentralverschluß ausgelegt, bei denen ein geringer Durchmesser im Bereich der Blende erreicht werden mußte, um im Kleinbild möglichst mit der Verschlußbaugröße 00 auszukommen.

Schneider Xenon - Agfa Solagon

Das Xenon 2/50 von Günter Klemt und Karl Macher weist den Grundaufbau des Kleinbild-Xenons auf, das Schneider schon seit den 30er Jahren fertigte. Doch die beiden Konstrukteure führten nun die damals aktuelle Glastechnologie in die Konstruktion ein: "Bei einem solchen optischen System nach der Art der Gauß-Doppelobjektive hat sich gezeigt, daß in Abhängigkeit von der Lage des Brechungsvermögens der verwendeten Gläser die Restfehler der sphärischen und komatischen Aberration um so geringer sind, je höher das Brechungsvermögen der Gläser ist."  Demzufolge wendeten sie schwere Kron- und Lanthankron-Gläser an.


Bei Theodor Brendels Solagon 2/50 kamen mit dem SK15, BaF11 und F7 zwar auch hochbrechende, aber keine extremen Gläser zum Einsatz. Auch verzichtete er auf schwierig herstellbare Meniskenformen: "Die vorliegende Erfindung zeigt, daß auch bei Benutzung gebräuchlicher optischer Gläser das gleiche Ziel erreicht wird, wenn fertigungstechnisch einfache Linsenformen verwendet, d. h. beide Kittflächen als Planflächen ausgebildet werden." Mit dieser Maßnahme wurde zudem ein Drittel des Arbeitsaufwandes eingespart, da diese vier Planflächen keinen sphärischen Schliff benötigten. Das unten rechts abgebildete "Karat Xenon" zeigt aber, daß die Firma Agfa durchaus auch das teurere Schneider Objektiv einsetzte, wenn hohe Qualität gefragt war.

Aber auch die Einäugige Reflexkamera erlebte in den 50er Jahren einen rasanten Zugewinn an Beliebtheit beim Photoamateur; insbesondere nachdem die Hersteller erkannt hatten, daß Umkehrprismen die Handhabung dieses Kameratyps enorm erleichterten. Bei so einer Spiegelreflexkamera ist ein lichtstarkes Objektiv freilich gleich aus zweierlei Gründen erstrebenswert: Einmal natürlich, um auch bei schlechten Lichtverhältnissen noch Aufnahmen machen zu können und zum anderen deshalb, weil ein helles Sucherbild und eine "springende Schärfe" das Fokussieren per Mattscheibenbild deutlich einfacher gestalteten. Und was genau dieses Metier der lichtstarken Normalobjektive für die Kleinbild-Reflexkamera betraf war das Zeisswerk in Jena mit dem Biotar 2/58 mm schließlich der große Pionier gewesen – neben dem Görlitzer Konkurrenzunternehmen Hugo Meyer mit dem Primoplan 1,9/58mm.

Biotar 2/58 Zeiss Jena

Ebendieses Biotar 2/58 mm war auch nach 1945 wieder das Spitzenobjektiv des Jenaer Herstellers. Das von Willy Merté geschaffene Normalobjektiv überzeugte nach wie vor durch seine  gute Bildleistung. Doch die ungewöhnlich lange Brennweite störte zumindest den Photoamateur, der sich ja oftmals nur das Normalobjektiv anschaffte, weil er mit den 58 mm noch weniger "draufbekam" als mit der ohnehin schon zu langen Brennweite von 50 mm. Zur Erinnerung: Die Diagonale, und damit auch die wahre Normalbrennweite, beträgt beim Kleinbild eigentlich 43,3 mm! Wie gleich gezeigt werden soll, hatte man in Jena schon sehr früh in den 1950er Jahren erkannt, daß man auch für die Spiegelreflexkamera bei einem Normalobjektiv der Lichtstärke 1:2,0 auf diesen Standardwert von 50 mm kommen müsse. Anders als bei Normalobjektiven, die allein für die Sucherkamera gedacht waren, ergaben sich dabei aber gleich zwei große Schwierigkeiten. Erstens mußte die Bildwinkelleistung des Gauß-Objektives angehoben werden, was angesichts der oben bereits beschriebenen Diskrepanz von Astigmatismus- und Komakorrektur schon problematisch genug war. Zweitens durfte aber trotz Verkürzung der Brennweite eine Mindest-Schnittweite von etwa 37...38 mm keinesfalls unterschritten werden, um dem Spiegel der Kamera den nötigen Ablaufweg einzuräumen. Das sind aber bei auf Unendlich scharfgestelltem Objektiv immerhin ¾ der gesamten Bildweite!

Flexon/Pancolar 2/50 Schnittweite

Was das für den Konstrukteur eines solchen lichtstarken Objektives bedeutete, ist oben einmal im Vorgriff auf die gleich kommenden Ausführungen zum Flexon bzw. Pancolar 2/50 mm gezeigt. Um bei einer zugrundegelegten Brennweite von etwas über 52 mm eine Schnittweite von beinah 38 mm zu erreichen, mußte die hintere Hauptebene H' – von der ab sich die Brennweite bemißt – möglichst nah der hinteren Linse angenähert werden, von deren Scheitel ab diese bildseitige Schnittweite s' gemessen wird. Ein solches für die Reflexkamera geeignetes lichtstarkes Normalobjektiv verlangte also nach einer im Vergleich zur Brennweite sehr langen Schnittweite, was nur durch eine besondere Verteilung der Brechkräfte erreicht werden konnte. Daß dann bei diesen hochgezüchteten "Gaußobjektiven" von einem symmetrischen Doppelanastigmat längst nicht mehr die Rede sein kann, zeigt sich auch darin, daß selbst die vordere Hauptebene H, die sich in einem Doppelobjektiv eigentlich im dingseitigen Systemteil befinden müßte, ebenfalls weit nach hinten verschoben ist – und zwar noch hinter die bildseitige Hauptebene H'. Das erklärt den typischen negativen Hauptpunktabstand dieser Objektive, den man manchmal in den Datenangaben findet.

Xenon 1,9/50 mm

Beim oben abgebildeten Xenon 1,9/50 mm von Schneider Kreuznach betrug dieser Hauptpunktabstand beispielsweise minus 4,5 mm [Vgl. Solf, Fotografie, 5. Aufl., Frankfurt, 1975, S. 134.]. Auch dieses Normalobjektiv stammte aus der "stürmischen" Zeit um 1950. Im Gegensatz zu Tronniers Xenon 2/50 aus den 30er Jahren waren bei diesem Xenon 1,9/50 aber (wieder) beide Innenglieder verkittet. Auch dieses Xenon 1,9/50 ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von Klemt und Macher konstruiert worden. Um den Xenon-Typ gezielt für Spiegelreflexkameras geeignet zu machen, wurde bei dieser Neurechnung die Schnittweite auf 37,3 mm angehoben. Mit dieser Eigenschaft konnte es später sogar bei der Kodak Retina Reflex vor dem Zentralverschluß placiert werden.

Xenon Stopomatic

Dieses Xenon 1,9/50 wurde wurde im Jahre 1950 zunächst mit einer Einrichtung herausgebracht, die ein automatisches Abblenden mit Hilfe eines Doppeldrahtauslösers erlaubte [Vgl. Die Fotografie, Heft 6/1950, S. 148]. Schon kurze Zeit später wurde diese Einrichtung jedoch zur vollautomatischen Druckblende "Stopomatic" weiterentwickelt, die für die Exakta und in ähnlicher Form auch für die Praktica bzw. Spiegelcontax lieferbar war. Mit diesem hochwertigen Xenon 1,9/50 hatte Schneider Kreuznach einen neuen Maßstab für ein modernes Normalobjektiv gesetzt, durch den sich die anderen Hersteller nun herausgefordert sehen mußten.

ISCO Westrocolor

Und so drängten bald immer mehr Hersteller auf den Markt der lichtstarken Normalobjektive, die speziell für Spiegelreflexkameras ausgelegt waren also diese besonders lange Schnittweite hatten. Die Göttinger Firma ISCO, die eng mit der Mutterfirma Schneider verbandelt war, brachte Anfang der 50er Jahre ein Westagon 2/50 mm heraus, das deutlich erkennbar vom Vorkriegs-Xenon bzw. Ultron 2/50 Tronniers abgeleitet war allerdings mit einer kostensparenden Planfläche im hinteren Kittglied. Dieses Objektiv hatte einen sehr guten Ruf. Mit einem späteren Westagon, Westromat bzw. Westrocolor 1,9/50 ging man jedoch anschließend wieder zu den üblichen zwei verkitteten Innengliedern über.

Schacht S-Travelon 1,8/50

Mit ihrem S-Travelon 1,8/50 mm trat um 1960 auch die bisher eher in der dritten Reihe stehende Firma Albert Schacht plötzlich in die Spitzenriege hervor. Es ist bekannt, daß einige dieser Schacht-Objektive vom ehemaligen Zeiss-Ikon-Konstrukteur Ludwig Bertele berechnet worden sind. Es ist allerdings schwer vorstellbar, daß der Meister des Sonnar-Typus jetzt plötzlich Biotar-Typen geschaffen habe. Dieses S-Travelon hatte rasch einen guten Ruf was das Preis-Leistungs-Verhältnis anbetraf.


Angesichts dieser von vielen Seiten her erwachsenden Konkurrenz war es höchste Zeit für den VEB Carl Zeiss Jena, ein modernes Normalobjektiv mit der mittlerweile als selbstverständlich erachteten Brennweite von 50 mm auf den Markt zu bringen. Das Flexon 2/50 mm, dessen Entwicklungsgeschichte hier gleich nachvollzogen werden wird, konnte dann zur Leipziger Frühjahrsmesse 1958 herausgebracht werden [Vgl. Bild & Ton, Heft 4/1958, S. 103.].

Planar 2/50 Contarex

Selbst damit war man noch nicht zu spät, wenn man als Maßstab heranzieht, daß die unmittelbare Konkurrenz in Oberkochen auch erst im Jahr darauf mit einem ähnlichen Spitzenobjektiv herauskommen sollte. Diese Entwicklung von Johannes Berger und Günther Lange hatte zuvor einige Jahre in der Schublade gelegen, weil sich in Stuttgart die Markteinführung einer Kleinbild-Reflexkamera verzögert hatte. Man konnte es sich leisten, den Perfektionismus bis aufs Äußerste zu treiben, denn noch spielten japanische Hersteller eine untergeordnete Rolle. Doch das sollte sich sehr bald ändern...

2. Die Entwicklung eines Biotares 2/50 mm

Im obigen Überblick über die sprunghaften Fortschritte bei den lichtstarken Gaußtyp-Objektiven fällt die Häufung der diesbezüglichen Patente in den Jahren 1950 und 1951 auf. Auch in der Patentabteilung in Jena wird das nicht unbemerkt geblieben sein und man reagierte mit der Aufnahme eigener Forschungsarbeiten. Mit einem Versuchsobjektiv V130 ist der Beginn der Untersuchungen in Bezug auf ein lichtstarkes Normalobjektiv mit einer Nennbrennweite von 50 mm bereits für das Jahr 1952 belegbar.

2.1 Der Versuch V130 von 1952

Hierzu liegt eine Rechnung vom 4. August 1952 für ein Biotar 2/50 vor, bei dem im Gegensatz zu allen nachfolgenden Entwicklungen sowie der Serienobjektive das vordere Kittglied in Einzelelemente aufgespaltet ist. Auf dem ersten Blick würde man es dem Ultron-Typ zusprechen.

Biotar 2/50 Versuch 130

Doch das täuscht, denn es kommt nicht nur auf die Linsenformen an, sondern selbstverständlich auch auf die Glasabfolge. Und mit der Kombination Flint - Schwerkron - Schwerkron im bildseitigen Systemteil ist dieses Biotar V130 nach dem im Abschnitt 1 Gesagten eben nicht Tronniers Ultron zuzurechnen, sondern vielmehr seinem älteren Xenon. Und tatsächlich zeigt sich dieser Versuch 130 sehr ähnlich dem von Günter Klemt und Karl Macher im Bundespatent 949.690 auf moderne Gläser umgestellten Xenon 2/50. Doch genau dieses Patent ist am 25. September 1952 also nur wenige Wochen nach dem Rechnungsabschluß des Versuchs 130 bekannt gemacht worden. Es läßt sich leicht denken, daß damit dieser Xenon-basierte Entwicklungspfad für ein Biotar 2/50 aus lizenzrechtlichen Gründen schon nach kurzer Zeit verstellt war so vielversprechend er auch gewesen wäre. Alle vier äußeren Linsen bestanden aus dem neuen Lanthan-Schwerkron SK21, die inneren beiden aus Schwerflint und Flint. Wie in Abschnitt 5 noch näher gezeigt werden wird, sollte diese Glasabfolge auch bei den späteren Serienobjektiven beibehalten werden und die Glasarten sich nur noch in Nuancen ändern.

2.2 Der Versuch V136 von 1953

Da man keine Patentschwierigkeiten mit dem Xenon von Schneider riskieren konnte, wurde mit dem Versuch Nummer 136 auf Basis einer Rechnung vom 21. März 1953 auf einen anderen Ansatz für ein lichtstarkes Normalobjektiv umgeschwenkt. Man könnte sagen auf den klassischen Ansatz mit zwei verkitteten Innengliedern. Das war durchaus kein Rückschritt, denn auch Schneider entwickelte zu selben Zeit diese Bauform weiter. Jetzt beginnt gewissermaßen die Geschichte des späteren Flexons und Pancolars.

Flexon Versuch 136

Trotz einer auf 52,4 mm verkürzten Brennweite konnte die bildseitige Schnittweite dieses Versuchs 136 bei fast 38 mm gehalten werden, wodurch dieses Normalobjektiv an allen Kleinbildspiegelreflexkameras verwendbar war. Der Linsenschnitt zeigt, wie die drei vor der Blende stehenden Elemente allesamt als Menisken ausgelegt sind, die ihre Wölbung dem Objekt zukehren. Wenn man genau hinschaut, sieht man anhand der eigenhändigen Paraphen, daß neben dem Leiter der Abteilung Photo Harry Zöllner (1912 - 2007) ein Mann namens Eduard Hubert (1910 - 1992) Konstrukteur dieses Objektives gewesen ist.

Mitteilung zum Versuch 136

Im oben auszugsweise wiedergegebenen Prüfbericht zu den beiden auf dem Versuch V136 beruhenden Musterobjektiven vom 21. August 1953 wird denselben eine gute Bildleistung bescheinigt, die mindestens die Leistung des bisherigen Biotares 2/58 mm erreicht. In dieser Hinsicht war die Konstruktion eines lichtstarken Normalobjektivs mit langer Schnittweite speziell für Spiegelreflexkameras also bereits als erfolgreich zu beurteilen. Ganz besonders muß der im Unterpunkt 15.1 genannte Vorteil der geringen Blendendifferenz hervorgehoben werden, denn im Sommer 1953 war klar, daß in Zukunft alle Normalobjektive für Kleinbildreflexkameras mit automatischen Springblenden ausgerüstet werden, bei denen eine merkliche Verlagerung des Schärfepunktes beim Abblenden absolut inakzeptabel ist. Das war einer der Schwachpunkte des Biotars von 1936!

2.3 Der Versuch V136A von 1953

Aus dem Prüfbericht des Versuchs 136 sind aber auch zwei eklatante Schwachpunkte herauszulesen. Einmal die merkliche Verzeichnung (Distorsion), die bei Wiedergabe gerader Kanten deutlich sichtbar wird. Zweitens aber auch der Lichtabfall zum Bildrand hin, der zwar bei Schwarzweißaufnahmen kaum auffällt, aber bei den damals vorherrschenden Farbumkehrfilmen mit ihren geringen Belichtungsspielräumen sehr stören kann. Das war der Grund, weshalb eine Übernahme des Versuchs 136 in die Serie abgelehnt wurde

Mitteilung V136A 1953

Stattdessen wurde ein Versuchsmuster Nr. V136A gerechnet, bei dem zwei Linsendurchmesser erweitert wurden, um dem Lichtabfall zum Rande hin entgegenzuwirken. Das war möglich ohne negative Auswirkungen auf die Bildleistung. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß auch andere Hersteller bereits die Randausleuchtung mit überdimensionierten Frontgruppen zu verbessern versucht hatten. Das Problem war aufgekommen mit Einführung der Farbverfahren Kodachrome und Agfacolor neu in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre. Wie jeder Umkehrfilm hatten diese Materialien nur einen geringen Belichtungsspielraum und waren zudem steil graduiert, was die abgedunkelten Ecken besonders stark sichtbar werden ließ. Das war an sich aber gar nicht das Ausschlaggebende, weshalb jetzt so sehr auf die Randausleuchtung geachtet werden mußte. Vignettierungen am Bildrand werden oftmals als nicht wirklich störend empfunden, sondern sogar als dem natürlichen Seh-Eindruck entsprechend. Bei den frühen Mehrschicht-Farbfilmen bestand aber das Problem, daß mit einer Unterbelichtung fast immer eine Farbverschiebung einherging. Je nach Filmtyp kippte dann ein gleichmäßig blauer Himmel in den Ecken des Bildes ins Grüne, Braune oder gar Violette. Und dieses Phänomen wurde auf jedenfall als sehr störend wahrgenommen und fiel auch Laien sofort ins Auge.

Biotar 2/50 Testaufnahme Harry Zöllner

Oben eine eigenhändige Testaufnahme Dr. Zöllners mit dem Musterobjektiv Nr. 3.746.050M des Biotars 2/50 nach Versuch V136A vom 1. Oktober 1953 bei offener Blende. Er benutzte eine Contax S; dieses Musterobjektiv hatte also M42-Anschluß. Dieses Beispiel zeigt auch, daß es ganz und gar nicht unprofessionell ist, die Leistung eines Objektives anhand von Fernaufnahmen abzuschätzen. Auch der Entwicklungschef bei Zeiss hat sich dieser Methode bedient, um einen ersten Eindruck von seiner Konstruktion zu erhalten.

2.4 Der Versuch V172 von 1954

Aus demselben Grunde rückte deshalb mit der immer stärkeren Verbreitung der Farbphotographie in den 1950er Jahren allgemein der Gesichtspunkt der Farbwiedergabe des Objektives ins besondere Blickfeld. Das war wiederum den damals hauptsächlich verwendeten Farbumkehrfilmen geschuldet, bei denen nicht nur keine partielle Farbkorrektur in den stichigen Bildecken möglich war, sondern überhaupt keine. Beim Umkehrverfahren wurde genau dasjenige Material, das in der Kamera belichtet worden war, anschließend auch im Projektor vorgeführt.  Dadurch fehlte der für das Negativ-Positiv-Verfahren typische Kopiervorgang, der eine nachträgliche Farbkorrektur erlaubt hätte. Der durch die Charakteristik der Emulsion, der Belichtung und der Entwicklung erzeugte Farbton war beim Farbumkehrfilm nachträglich nicht mehr beeinflußbar.

Laborbericht Versuch V172

Um so problematischer war es, wenn bereits das Objektiv nicht neutralfarbig abbildete. Zwar konnte beim Versuchsobjektiv V136A der Lichtabfall zum Rande gemildert werden, doch auch dieses Muster lieferte noch einen merklichen gelben Farbstich. Das wird deutlich aus dem obigen Laborbericht zu einem neuen Versuchsobjektiv Nr. V172 vom 29. Juni 1955. Bei diesem Versuch, der ansonsten auf der Optik V136A basierte, war nun besonders darauf geachtet worden, den starken Farbstich des Vorgängers "durch besondere Maßnahmen" zu kompensieren.

Biotar 2/50 Versuch 172

Diese Neigung zum Gelbstich und damit einer als zu "warm" empfundenen Farbwiedergabe ist eine typische Eigenschaft hochgezüchteter lichtstarker Objektive, wie sie seit den 1930er Jahren entwickelt und gefertigt wurden. Sowohl die neuen hochbrechenden Schwerkron-Gläser SK16, SK18 und SSK5, als auch die Baritflint-Gläser BaF8 bis BaF10, auf denen viele der neuen Biotare und Sonnare fußten, zeigten diese Gelbfärbung. Mit dem Erscheinen der noch höher brechenden Lanthan-Schwerkrongläser und ihrem exzessiven Einsatz verschärfte sich das Problem noch. Beim späteren Flexon/Pancolar wurde das neue Jenaer Schwerkron SK21 gleich in vier der sechs Linsen verwendet und entsprechend summierte sich die Gelbfilterwirkung.

Wie genau die im Laborbericht zur Beseitigung der Gelbfärbung vorgesehenen "besondere Maßnahmen" aussahen, ist nun oben aus dem vollständigen Text zu ersehen. Was man zunächst herausliest: Die bei den Versuchsmustern V136 und V172 ohnehin durch das Schwerkronglas verursachte Gelbfärbung wurde durch einen ungünstig konzipierten Entspiegelungsbelag nur noch weiter verstärkt. Zur Erinnerung: Diese von Zeiss eingeführte Entspiegelung auf Basis des physikalischen Prinzips der Interferenz an dünnen Schichten ermöglicht es, das Licht quasi durch das Glas hindurch zu zwingen, anstatt daß es reflektiert wird. Dazu muß die aufgebrachte Schicht eine Dicke haben, die ein Viertel der Wellenlänge des Lichtes entspricht. Bei einer einschichtigen Vergütung kann also nur für eine bestimmte Farbe eine strenge Wirkung erzielt werden, für die daneben liegenden Spektralbereiche ist die Wirkung entsprechend geringer. Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß mit einer gezielten Steuerung der Vergütungsschichten derjenige Spektralbereich bevorzugt durch das Objektiv "gezwungen" werden kann, der komplementär zur Stichigkeit der Optik liegt, während Lichtwellen, die dem Farbstich entsprechen, in den Bereich der Restreflexion des Entspiegelungsbelages verlegt werden. Das ist oben mit dem Begriff der "Schichtdickenabstimmung" gemeint, bei der die Dicke der Entspiegelung so gesteuert wurde, daß der blaue Spektralbereich stärker durchgelassen, der im Gelbgrünen liegende Bereich jedoch stärker zurückgeworfen wurde. Damit ist das Flexon 2/50 auch als ein frühes Beispiel dafür zu sehen, daß bei einem Photoobjektiv die Vergütung nicht nur zur Beseitigung von Spiegelungen genutzt wurde, sondern zugleich auch die farbselektive Wirkung eines auf Interferenz beruhenden Filters. Später wurde dieses Verfahren am noch viel gelbstichigeren Pancolar 1,4/55 mm weiter ausgebaut.

Biotar 2/50 1954

Mit dem Versuch V172 nach Sachnummer 549900 vom 5. Oktober 1954 lag bereits die optische Konstruktion für das spätere Flexon/Pancolar vor. Das eigentliche Serienobjektiv des zunächst noch als Biotar 2/50 mm bezeichneten Normalobjektivs hatte dann die Sachnummer 550406 vom 3. August 1955, die optisch auf diesem Versuch 172 von 1954 beruht. Wichtig ist jedoch der handschriftliche Zusatz "Farbortkorrig. T-Belag". Die weiteren handschriftlich eingetragenen Änderungen der Lage und Größe der Eintrittspupille zeigen aber bereits, daß an dieser Grundkonstruktion in der Folgezeit immer wieder gearbeitet wurde, was das Nachverfolgen der späteren Geschichte dieses Objektives etwas erschwert. Bemerkenswert ist zudem, daß auf dem obigen Optikdatenblatt bereits handschriftlich "Biotar" durch "Pancolar" ersetzt wurde.

3. Biotar, Flexon oder Pancolar 2/50?

Damit war im Sommer 1955  die auf der Rechnung vom 5. Oktober 1954 basierende erste Serienversion eines "Biotares 2/50" fertiggestellt, von dem laut Zeiss Fertigungsunterlagen zum Jahreswechsel 1956/57 einhundert Stück produziert wurden. Eingebaut wurden sie in eine Fassung für die Praktina IIA mit Automatischer Springblende. Das beweist übrigens auch, daß diese Kamera damals schon auf das neue Blendensystem umkonstruiert war, sonst hätte es ja schließlich keinen Sinn gehabt, hundert ASB Objektive für sie zu bauen. Die hundert Stück beziehen sich übrigens nur auf die noch als „Biotar 2/50 mm“ bezeichneten Exemplare. Im gleichen Monat wurden noch weitere 1000 Stück desselben Objektives unter der Bezeichnung „Flexon 2/50“ montiert. Ob das erste Produktionslos von 100 Stück tatsächlich mit "Biotar" graviert wurde, ist allerdings sehr fraglich.

Paarungsvorschrift 550406B

Einen beredten Einblick in die damals vorherrschende Markenzeichenverwirrung im VEB Zeiss Jena liefert auch diese sogenannte Paarungsvorschrift für das Objektiv 550406 vom 29. Oktober 1957. Der noch auf "Biotar 2/50" lautende Titel wurde bereits dazumal ausgestrichen und durch "Flexon" ersetzt. In der Ergänzung weiter unten ist dann vom "Pancolar 2/50" die Rede

Dieser Namenswechsel von Biotar zu Flexon muß allerdings sehr spontan erfolgt sein, denn beauftragt waren die Objektive offenbar noch als Biotar. Der Grund ist aber schnell ersichtlich, wenn man sich vor Augen führt, wie der VEB Zeiss Jena zu genau jener Zeit alle seine Markenbezeichnungen aus der Vorkriegszeit verschleiern mußte, wenn er die entsprechenden Produkte noch auf den Westmärkten verkaufen wollte. So wurde zum Beispiel das "Carl Zeiss Jena Biotar 2/58 mm" mit zusätzlichen Vorschraubringen zum „Jena B“ degradiert. Hintergrund dafür waren die erbittert geführten juristischen Auseinandersetzungen mit Zeiss Heidenheim. Um den Export nicht zu gefährden, begann man in Jena kurzerhand, neue Objektivnamen zu kreieren.

Flexon 2/50 Praktina IIa

Dieses Flexon 2/50 in der Version 1954 ist übrigens zunächst hauptsächlich als Normalobjektiv für die damalige Spitzenkamera Praktina IIA gebaut worden. Hier war es mit der innenausgelösten Vollautomatischen Springblende und der linearen Abstufung der Blendenzahlen auf dem Blendenring seiner Zeit um Jahre voraus – so wie die Kamera schließlich auch. Für die Exakta dominierte weiterhin das in den USA sehr gefragte Biotar. Zumindest einige tausend Stück des Flexons wurden aber offenbar auch in einer Fassung für die Exakta Varex geliefert.

Flexon 2/50mm

Das Flexon existiert fast ausschließlich in der damals hochmodernen Fassung für die Praktina IIA. Mit seiner Vollautomatischen Springblende und der linearisierten Blendenskala war es 1956 das erste derartige wechselbare Normalobjektiv. Seine Bauart wurde später von der japanischen Photoindustrie ziemlich dreist kopiert.

Genau an diesem Punkt wird es allerdings kompliziert. Ab Sommer 1959 findet nämlich sukzessive ein Namenswechsel hin zu Pancolar statt, und zwar offenbar inmitten der laufenden Endmontage zweier Fertigungsaufträge. So gibt es auch Flexone für die Exakta und Pancolare für die Praktina. Es war bereits bekannt, daß das Biotar/Flexon 2/50 im Jahre 1960 neu gerechnet wurde (siehe Abschnitt 4) und man nahm bislang immer an, der Namenswechsel sei im Gleichzug mit der Neukonstruktion erfolgt. Seit Erscheinen des „Fabrikationsbuch Photooptik II“ von Hartmut Thiele weiß man aber, daß der Namenswechsel schon vor Errechnung des neuen Pancolars 2/50 in Gang gekommen war. Es gibt also auch Pancolare, in denen die Optik von 1954 steckt. Weshalb übrigens der Markenname "Flexon" nun bereits nach kurzer Zeit wieder aufgegeben wurde, ist bislang unklar. Vielleicht wollte man Verwechslungen mit dem "Flektogon" vermeiden.

Pancolar 2/50 Schema

Der Linsenschnitt gilt sowohl für das Flexon von 1954, als auch für das Pancolar von 1960. Gut zu sehen die meniskenförmige Gestalt der Linsen im vorderen Objektivteil, die maßgeblichen Anteil an der Verkürzung der Brennweite hatten, ohne die Schnittweite antasten zu müssen.

Das Biotar/Flexon 2/50 wurde dann am 9. September 1956 in der DDR unter der Nummer 16.756 zum Patent angemeldet. Wie aus den obigen Dokumenten schon herausgelesen werden konnte, war neben Harry Zöllner Eduard Hubert an der Entwicklungsarbeit beteiligt. Neu gegenüber dem alten, Merté'schen Biotar 2/58 mm war, daß alle Linsenelemente VOR der Blende meniskenförmige Gestalt hatten, also alle sechs Flächen zur Dingseite hin gewölbt waren. Mit diesem optischen Kunstgriff konnte die bildseitige Schnittweite S' des Flexons auf 72,4 Prozent der Brennweite angehoben werden. Das wiederum war die Voraussetzung dafür, die Brennweite auf den Nennwert 50 mm verkürzen zu können, um den unbedingt notwendigen Luftweg von etwa 37 mm hinter dem letzten Linsenscheitel gewährleisten zu können.

Flexon 2/50 Prospekt

Erstes Prospekt aus dem Jahre 1958, auf dem hingewiesen wird, daß das neue Flexon zunächst nur für die Praktina IIA gefertigt wird, weil bei dieser Kamera die Automatische Springblende schon fertig entwickelt war, während für die Exakta und die Praktica erst noch neue Lösungen gefunden werden mußten.

4. Entwicklungsschub durch Lanthan-Kron

Als verblüffende Erkenntnis aus dem Studium der Patentschrift ergibt sich auch, daß die vier äußeren Linsen aus ein und derselben Glasart bestehen, nämlich einem Schwerkron mit der Brechzahl 1,662 und der Abbeschen Zahl 56,1. Dabei handelt es sich um eines der neuen Lanthan-Krongläser der Typen SK21 bis SK24 (bei Schott Mainz als LaK1 bis LaK4 bezeichnet) mit einem besonders günstigen Verhältnis von Brechzahl und Farbzerstreuung, wie sie seit Anfang der 1950er Jahre den Objektivbau beflügelten, und zwar in der Bundesrepublik wie in der DDR.

DD16.756 Flexon

Allerdings sind Im Patent Werte für die Brechzahl und den ny-Wert so ungenau gehalten, daß kein Rückschluß darauf möglich ist, welches der damaligen Lanthan-Krongläser genau angewendet wurde. Wie gleich gezeigt werden soll, war das angesichts der damals noch laufenden Optimierungsarbeit nicht verwunderlich. In der ersten Kittgruppe bildete das Schwerkron übrigens mit dem ähnlich hoch brechenden, aber fast doppelt so stark dispergierenden Schwerflint SF5 eine für den Biotar-Typ charakteristische Glaspaarung, bei der mit der Durchbiegung der entstehenden Kittfläche auf die (sphäro-)chromatische Korrektur des Systems Einfluß genommen werden kann. Dahinter verbirgt sich schließlich das Geheimnis für die gute Leistung derartiger Gaußtyp-Objektive und bei vielen Exemplaren dieses Bautyps findet man in den Patenten solch eine Glaspaarung, bei der die Brechzahlen fast identisch sind, die Abbe'schen Zahlen jedoch erheblich voneinander abweichen.

Pancolar 2/50 Schnittzeichnung

Um den Schub für jene starke Verbesserung des Gaußtyp-Objektivs nach 1945 zu verdeutlichen, der von diesen neuen Lanthan-Krongläsern ausging, muß man sich vor Augen führen, daß deren Brechzahlen zwischen 1,64 und 1,68 auf demselben Niveau vieler Schwerflint-Gläser lagen, mit ihren ny-Werten zwischen 55 und 60 aber ganz eindeutig der Gruppe der Krongläser zugehörten. Das eröffnete jene neuen Korrekturmöglichkeiten, die 25 Jahre zuvor, als Willy Merté den Biotartyp entwickelte, noch nicht abzusehen waren.

DE746.997 Schott Lanthan-Glas 1939

Lanthan- und thoriumhaltige Schwerkrongläser hatte erstmals George Morey für Kodak entwickelt und im Britischen Patent Nr. 462.304 vom 3. September 1935 angemeldet (im Deutschen Reich Nr. 691.356 vom 4. September 1936). Doch dieses Patent war zunächst eher von theoretischer Natur, denn abgesehen von Versuchsschmelzen im kleinen Maßstab konnten diese Gläser noch nicht zuverlässig hergestellt werden. Bei Schott ist mit dem Reichspatent Nr. 746.997 vom 12. Dezember 1939 eine Entwicklung auf dem Gebiet der Lanthankrongläser nachweisbar, die von Edwin Berger und Karl Rehm vorangetrieben wurde. Zwar erreichten diese beiden Glaschemiker mit einem Gehalt an Lanthanoxyd bis maximal 20% erstmals fleckresistente Gläser, doch von einer für Massenobjektive nötigen Produktion dieser Lanthan-Krone in entsprechend großen Mengen konnte noch lange Zeit keine Rede sein. Wie die Patentschrift oben zeigt, war die Zusammensetzung der Gläser nicht wirklich komplex. Es zeigte sich jedoch rasch, daß sich diese Gemenge mit einem derart hohen Gehalt an zwei- und dreiwertigen Oxyden nicht mehr in den bisher üblichen Tontiegeln schmelzen ließen. Die aggressive Glasflüssigkeit griff den Ton derart stark an, daß dieser in Lösung ging und es zu Schleiern, Verfärbungen und zur Kristallation kam. Ja der Tontiegel wurde bei Versuchen, diese Glassätze in größeren Mengen z schmelzen, derart stark angegriffen, daß es gar zu Ausfressungen kam und die gesamte Glasmasse auslief (Vergleiche dazu das am selben Tage angemeldete Zusatzpatent Bergers, das jedoch erst am 14. Februar 1953 unter der Nummer 2071 in der DDR veröffentlicht wurde.). Es mußten erst völlig andere Schmelzverfahren mit Platingefäßen und Elektrowärme statt Gasfeuerung entwickelt werden, um diese Lanthan- und Thoriumgläser fabrikmäßig so herstellen zu können, daß genügend Ausbeute erzielt wurde, um Objektive wirklich auf Basis einer Großserie auf ihnen fußen zu lassen. Das wurde sowohl in den USA wie in Deutschland erst ab der zweiten Hälfte der 1940er Jahre wirklich erreicht (vergleiche dazu hier).

5. Die nochmalige Verbesserung des Pancolars von 1960

Dieses Flexon von 1954 zählte damals zweifellos zu den Spitzenobjektiven des Weltmarktes. Das Gütezeichen Q, das genau für derartige "Weltstandsprodukte" eingeführt worden war, trug das Flexon also mit voller Berechtigung. Die Bildleistung des Biotars 2/58 zu übertreffen, obwohl der Bildwinkel von 40 auf fast 46 Grad angehoben wurde, war eine echte Konstruktionsleistung. Trotzdem blieben noch leichte Defizite bei der Auflösung am Bildrand und die schon beim Versuch 136 bemängelte deutlich sichtbare Verzeichnung.

Vergleich Flexon-Pancolar 2/50

Als Teil dieser Optimierungsarbeit scheint bei unverändertem Grundaufbau der Schwerkron-Anteil von SK21 auf das SK24 umgestellt worden zu sein. Trotz umfangreicher Quellenüberlieferung zum Flexon/Pancolar ist jedoch nicht mehr ganz exakt nachvollziehbar, wann genau dieser Wechsel stattgefunden hat. Man könnte auf den ersten Blick meinen, dies sei der eigentliche Kern der neuen Rechnung vom 10. November 1960 gewesen. Bei nur geringfügig höherer Grunddispersion war dieses Lanthan-Kronglas SK24 noch etwas höher brechend als das zuvor verwendete.

Mitteilung Versuch V324

Doch dieser, auf den ersten Blick naheliegenden Schlußfolgerung, daß beim Wechsel der Rechnung von 1954 auf diejenige von 1960 ein Austausch des bisherigen SK21 gegen das SK24 die zentrale Änderung gewesen sei, stehen die Informationen entgegen, die uns das obige Mitteilungsblatt vom Jahresende 1960 vermittelt. Dessen Hintergrund war folgender: Um die Leistung des Pancolars weiter anzuheben, wurde unter der Versuchsnummer V324 eine geringfügige Modifikation erprobt. In dem zugehörigen Datenblatt zu diesem verbesserten Pancolar 2/50 nach Sachnummer 550406C ist nun statt dem bisherigen SK21 das SK24 angegeben. Die Diskrepanz dabei besteht allerdings darin, daß zur Erprobung des Versuches 324 Rohteile aus der laufenden Fertigung des Pancolars 2/50 nach Zeichnungsnummer 550406B verwendet werden sollten, die aber eigentlich noch auf der Rechnung von 1954 und damit dem SK21 basierten.

Pancolar 2/50 Rechnung von 1954

Das Biotar/Flexon/Pancolar mit Rechnungsdatum 5. Oktober 1954 ist mit den Änderungen aus Versuch V172, die sowohl die verringerte Vignettierung, als auch die Neutralisierung des Gelbstichs durch den farbortkorrigierten Transparentbelag betrafen, im April 1957 in die Serienfertigung gegangen. Wichtig für uns ist an dieser Stelle, daß das hier als SK21 bezeichnete Glas mit einem nd = 1,66377 und einem vd = 56,3 weit vom Katalogwert des SK21 entfernt ist, wo als nd = 1,6583 und als vd = 57,1 angegeben sind.


Unten ist im Vergleich dazu der dem Pancolar 2/50 vom 10. November 1960 zugrundeliegende Versuch V324 dargestellt. Hier ist plötzlich als Glasart SK24 angegeben, obgleich die Werte mit einem nd = 1,6628 und einem vd = 56,4 sehr nah an dem liegen, was oben noch als SK21 bezeichnet wurde. Der Glaskatalog von 1960 gibt für SK24 die Werte nd = 1,6636 und vd = 56,4 an. Das ist für uns ein wichtiger Hinweis darauf, daß zumindest in den 50er Jahren die Datenangaben für derartige Glasarten noch nicht zementiert waren und in der Realität von Schmelze zu Schmelze sehr schwanken konnten. Jetzt wird auch klar, weshalb solche Lanthan- und Thorium-Gläser erst praktisch im Objektivbau verwendbar waren, nachdem man sie wie die übrigen Gläser im Tonnenmaßstab fabrizieren konnte. Denn man stelle sich vor, wenn nach wenigen hergestellten Stück eines Objektivs eine Schmelze aufgebraucht gewesen wäre und eine neue hätte angebrochen werden müssen. Bei derart großen Schwankungen in den Brech- und Abbe-Zahlen hätte ein Objektiv ja dauernd neu berechnet werden müssen.

Pancolar 2/50 Rechnung von 1960

Nach einem Hinweis von Günther Benedix haben wir es hier mit einem typischen Beispiel für die Auswirkungen sogenannter Kombinationsrechnungen zu tun, die damals einen Großteil der täglichen Arbeit der Optikrechner ausgemacht haben. Dazu muß man wissen, daß gerade bei solch speziellen Glasarten wie diesen Lanthan-Kronen beträchtliche Schwankungen zwischen den einzelnen Schmelzen auftreten konnten. Die optische Abteilung mußte auf diese Änderungen reagieren, indem beim "Anbrechen" einer neuen Schmelznummer das Objektiv mit den genannten K-Rechnungen an die neuen Verhältnisse angepaßt wurde, um wieder eine optimale Leistung zu erzielen. Es handelte sich dabei um beinah schon routinemäßige Anpassungen des Objektives an die tatsächlichen Daten der gerade vorliegenden Schmelz-Chargen, die im einfachsten Fall nur durch leichte Änderungen von Luftabständen oder Linsendicken ausgeglichen werden konnten. Auf Basis dieser Kombinationsrechnungen wurde dann ein sogenannter K-Schein erstellt, mit dem die Konstruktionsabteilung die Vereinbarkeit der Änderungen mit der Objektivkonstruktion prüfte. Dahinter verbirgt sich jedenfalls die Angabe K14 (Kombination 14) in der obigen Mitteilung und es liegt die Vermutung nahe, daß sich bereits in irgendeiner der vorigen 13 Kombinationen die Werte der Schmelzen so verschoben haben, daß dann auch nominell der Wechsel vom SK21 zum SK24 in einer der Stufen vollzogen wurde. Angesichts der riesigen Mengen des verarbeiteten Glases scheint diese Interpretation sehr plausibel.

Prüfbereicht V324

Doch was wurde eigentlich bei diesem Versuch V324 modifiziert? Aus dem obigen Prüfbericht geht hervor, daß bei gleicher Optik "einfach nur" der Blendenraum um 0,3 mm verkleinert werden mußte, um die gewünschte Verbesserung der Randauflösung sowie die nötige Minderung der Verzeichnung zu erreichen. Wir können heute stark davon ausgehen, daß das bestehende Flexon schlichtweg mit der neuen digitalen Rechentechnik ("OPREMA") über ein Durchspielen von Variationsmöglichkeiten auf Optimierungsmöglichkeiten hin untersucht worden ist. Das zeigt auch die Bemerkung, daß die Musterobjektive die auf Grund der Rechnung zu erwartenden Ergebnisse bestätigten. Am Ende wird zudem ausgeführt, ein "Ablackieren" der Frontlinse, also deren künstliche Verringerung des wirksamen Durchmessers, mit der man sich eine Kontrasterhöhung erhoffte, könne unterbleiben, weil wieder nur eine Verschlechterung der Randhelligkeit die Folge war, für deren Beseitigung ja zuvor die Durchmesser angehoben worden waren.

Pancolar 2-50 Datenblatt

Im Ergebnis wurde also innerhalb der laufenden Fertigung durch Veränderung an der Fassung auf das Pancolar 2/50 Nummer 550406 C umgestellt, das auf dem Versuch V324 vom 10. November 1960 basierte. Damit war ein Optimum erreicht und das Pancolar 2/50 wurde fortan in großen Stückzahlen als Spitzenausstattung insbesondere für die im Export noch sehr erfolgreiche Exakta Varex geliefert. Auch im mechanischen Aufbau mit den Vollautomatischen Springblenden und den halbstufig einrastenden Blendenringen mit gleichgroßen Abständen zwischen den Blendenzahlen sowie der automatischen Schärfentiefenanzeige erreichte dieses Normalobjektiv nun ein bisher nicht gekanntes Maß an Bedienungskomfort.

Versionsgeschichte des Biotar 2/50

Oben ein Überblick über die Evolution des Zeiss Biotars 2/50 anhand seiner Sachnummern und der Datumsangaben der jeweiligen Rechnungen. Ein Überblick, der übrigens mit zunehmender Tiefe der Recherchen immer komplexer geworden ist. Herr Benedix hat hier auch einmal beispielhaft in roter Farbe den Zeitpunkt der nominellen Änderungen der Glasart angegeben, die sich aus den oben genannten Kombinationsrechnungen ergeben haben. Daraus kann man ablesen, daß bei der letzten Rechnung von 1960 mit der Kombination K6 gar das Schwerkron im dingseitigen Systemteil durch Schwerstkron ersetzt, sowie bildseitig ein neues SK25 eingeführt wurde. Das scheint im Juli 1969 geschehen zu sein, wenige Monate bevor das Pancolar 2/50 aus der Produktion genommen wurde (siehe obiges Datenblatt 550406C: "Glasänderung 2. 7. 69).

Pancolar 2/50 Exakta Varex IIa

Späte Modelle der Exakta Varex IIa wurden bereits mit dem Pancolar 2/50 statt dem alten Biotar 2/58 ausgerüstet. Dieses Exportmodell ist mit einem Vorschraubring versehen, mit dem aus "Carl Zeiss Jena" nur "Jena" gemacht wurde. Darunter befindet sich der originale Ring mit einer noch früheren Seriennummer.

Pancolar 2/50 Exakta Varex IIb

Die erste größere Serienfertigung des Pancolar 2/50 mm erfolgte dann mit einer schwarz lackierten Fassung und dem mit Buna-Kautschuk belegten Meterring, der zeitweise auch mit einem Griffring aus Plast ersetzt wurde, der gerne nach kurzer Zeit in Einzelteile zerbröselte.

Pancolar 2/50 Exakta Varex VX1000

In großen Stückzahlen gebaut und zeitlos elegant: das Pancolar 2/50 mm in der sogenannten Zebrafassung (eigentlich: Flachnutenrändel); hier an einer Exakta VX1000.

Das Erscheinungsbild des Pancolars 2/50 für die Exakta läßt die gesamte Vielschichtigkeit erkennen, die in der ersten Hälfte der 1960er Jahre bei Zeiss Jena in Bezug auf die Objektivfassungen geherrscht hat. Dabei stammt das ganz oben gezeigte aus demjenigen Produktionslos, aus dem der Linsensatz herausgenommen wurde, um daraus das Musterobjektiv V324 zu fertigen. Trotz der schwarzen Fassung ist es also ein sehr frühes Modell für die Exakta, was auch daran zu erkennen ist, daß noch nicht die automatische Schärfentiefenanzeige der späteren Exemplare besitzt.

Pancolar 2/50

Das Pancolar 2/50 ist in M42-Fassung nicht sehr häufig anzutreffen, denn die meisten Exemplare wurden für die Exakta Varex gebaut. Insbesondere die zweite Version im Zebradesign ist äußerst selten. Die Produktion des Pancolar 1:2,0 lief zum Jahresende 1969 aus, als die Ära der Exakta nach mehr 30 Jahren zuende ging .

Pancolar 2/50 Zebra
Pancolar 2/50 Praktica

Das Flexon 2/50 in der Version von 1954 an der Praktina IIA. Auf dem dicht bewachsenen Jüdischen Friedhof an der Schönhauser war diese Aufnahme trotz Hochsommer nur bei weit geöffneter Blende und 1/15 Sekunde Verschlußzeit möglich. Wie man sieht, kommen trotzdem brauchbare Ergebnisse heraus.

Pancolar Reklame
Pancolar Fälschung

An diesem verblüffenden Beispiel kann man ablesen, welch prägenden Standard für ein modernes Normalobjektiv das Jenaer Pancolar Anfang der 60er Jahre gesetzt haben muß. Trotz Herstellung in der DDR scheint es aber noch zu teuer gewesen zu sein, weshalb es durch einen japanischen Hersteller schamlos gefälscht wurde. Bild: Alfred Barten.

Pancolar Fälschung

6. Ein Pancolar 2/50 nach Agfa-Patent

Harry Zöllner war mit dem Flexon von 1954 einfach nicht zufrieden. Und zwar nicht etwa deshalb, weil es ein schlechtes Objektiv gewesen ist, sondern weil der Leiter der Abteilung Photo genau denjenigen Perfektionismus zur Grundlage seiner Arbeit gemacht hatte, den man einfach von einem Zeissianer erwartet. Bevor es mit dem Versuch V324 gelungen war, den merkliche Randabfall und die Verzeichnung erheblich zu verbessern, hatte man zwischenzeitlich noch einen anderen Konstruktionsansatz ausprobiert. Obwohl es sich um einen vom Versuch V172 gänzlich unterschiedlichen Aufbau handelte, wurde als Versuchsnummer V172A gewählt.

Prüfbericht V172A "Agfa"

Die Rechnung zu diesem Versuchsmuster datierte auf den 20. März 1958. Die erste Seite des oben gezeigten Prüfberichts vom 3. April 1959 läßt aufhorchen: Ein Objektiv 2/50 nach Agfa-Patent. Das muß schon deshalb verwirren, weil es ja zu jener Zeit noch eine Agfa in Wolfen gab. Doch hier wurden definitiv keine photographischen Objektive entwickelt. Also muß es sich um das Agfa-Camerawerk in München handeln. Dort hatte Ende des 19. Jahrhunderts der ex-Zeissianer Alexander Heinrich Rietzschel  eine eigene Objektivbauanstalt aufgebaut, die aber nach dem Ersten Weltkrieg von Bayer Leverkusen aufgekauft wurde, um dann 1925 unter anderem mit der Agfa im großen IG Farben Konzern aufzugehen. Bis zur Aufkündigung des Warenzeichenverbandes im Jahre 1964 ("ORWO") blieben Agfa Wolfen und Agfa Leverkusen noch eng miteinander verbandelt.

Prüfbericht V172A Ergebnis

Das Prüfergebnis dieses Berichtes zeigt im Vergleich zum Flexon von 1954 zwar eine bessere Bildleistung am Bildrand und auch eine bessere Ausleuchtung in diesem Bereich, jedoch wurde dies erkauft mit einer durch Astigmatismus verursachte schlechtere Leistung in zentralen Bildbereichen. Damit konnte dieses Objektiv trotz seiner etwa 4 mm kürzeren Baulänge der Optik nicht überzeugen.

Pancolar 2/50 Versuch 172A "Agfa"

Stellt sich trotzdem die Frage, was für ein Objektiv das war und wieso man in Jena überhaupt in Betracht zog, ein fremdes Patent zu benutzen, für das trotz Warenzeichenverband Wolfens mit Leverkusen garantiert Lizenzgebühren angefallen wären. Das Optik-Datenblatt oben läßt bei näherer Betrachtung schon erkennen, was so attraktiv an diesem Normalobjektiv gewesen wäre. Genauere Erkenntnisse liefert allerdings erst der Blick in die Patentliteratur. Hier findet sich eine Schutzschrift DE 1.063.824 "Sechslinsiges fotografisches Objektiv", die am 28. Oktober 1952 von Theodor Brendel und Hans Lautenbacher für Agfa Leverkusen angemeldet worden ist. Aus der Tatsache, daß diese Patentanmeldung erst zum 20. August 1959 ausgelegt und bekanntgemacht worden ist, das Versuchsobjektiv V172A aber bereits im März 1958 gerechnet worden ist, läßt sich schließen, daß Zeiss Jena mit dem Agfa Camerawerk München in Verbindung gestanden haben muß.

DE1063824 Agfa Solagon 2/55 mm

Dieses Patent, das am 4. Februar 1960 erteilt worden ist, zeigt auf, daß dieses Objektiv ganz anders konzipiert war als das Flexon bzw. Pancolar. Statt Lanthankrongläsern in vier von sechs Linsen wurden hier vornehmlich Flintgläser eingesetzt. Nur Linse Nummer fünf bestand aus lanthan- und thoriumhaltigem Schwerstkron SSK10 (genaue Glasfolge: BaSF8 - BaF10 - SF9 - SF15 - SSK10 - BaSF8). Attraktiv war dieses Normalobjektiv aber nicht nur wegen eventuell geringerer Materialkosten, sondern noch aus einem ganz anderen Grund: Wenn die Radien r4 und r7 hier mit unendlich beziffert werden, dann bedeutet das nichts anderes, als daß nicht weniger als vier von insgesamt zwölf Flächen überhaupt keines sphärischen Schliffes bedurften, sondern einfach nur plan poliert werden mußten. Das stellte natürlich eine ganz erhebliche Kostenersparnis dar. Dieses Patent lag dem Color-Solagon 2/55 mm zugrunde, das die Agfa für ihre Zentralverschluß-Reflexkameras Ambiflex und Selectaflex im Angebot hatte.

7. Das Pancolar 2/50 als Versuchsträger für Asphären

Auch späterhin suchte Professor Zöllner weiteres Verbesserungspotential für das Pancolar. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Standardoptik war ja stets das Aushängeschild einer Objektivbauanstalt, da sie definitionsgemäß zusammen mit der Kamera geliefert wurde. Auf Zöllners Anregung hin wurde daher Mitte der 60er Jahre der Einsatz von deformierten Linsenflächen im Objektivbau untersucht. Wenig bekannt ist heute, daß auf diesem Gebiet Zeiss Jena in den 1930er Jahren der absolute Pionier gewesen ist und unter Ernst Wandersleb und Willy Merté wertvolle Grundlagenforschung erarbeitet werden konnte, die anschließend zum ersten praktischen Einsatz einer Asphäre in einem photographischen Aufnahmesystem geführt hatte.

Pancolar 2/50 asphärisch

Ein Musterobjektiv des asphärischen Pancolars 2/50 mm nach dem Versuch Nummer V347 [Sammlung Günther Benedix].

Die Mitschrift eines Gastvortrages, den Prof. Harry Zöllner am 27. September 1965 in Ilmenau über den "Einsatz von asphärischen Flächen in optischen Systemen" gehalten hat, läßt uns nun wissen, daß diese Technologie damals zur Verbesserung der Leistung des Pancolars 2/50 untersucht worden ist. Genaugenommen ging es erst einmal darum, den Einfluß von Flächenungenauigkeiten auf die Leistungsfähigkeit eines mit einer Asphäre ausgestatteten Systems zu untersuchen. Von der Kugelform abweichende Linsenflächen können halt nicht mit der seit Jahrhunderten etablierten Technologie der Linsenschleiferei hergestellt werden. Das führte dazu, daß die mit den althergebrachten Methoden gewohnten Genauigkeiten bei deformierten Oberflächen lange Zeit nur schwer erreichbar waren.

Deformation Asphäre Pancolar

Die Kurve oben gibt die Abweichung vom Scheitelradius der dritten Linsenfläche dieses speziell berechneten Pancolars wieder. Man erkennt daraus, wie minimal diese Deformationen eigentlich sind. Bei einer Scheitelhöhe im zweistelligen Millimeterbereich liegt die Abweichung von der Kugelform im zweistelligen Mikrometerbereich – also nur wenige Tausendstel. Trotzdem muß diese sehr kleine Änderung der Oberflächengestalt mit größter Genauigkeit ausgeführt sein, damit eine positive Wirkung der Asphäre auf die Korrektur der Bildfehler nicht durch eine wilde Zerstreuung des Lichts aufgrund ihrer mangelnden Ausführung zunichte gemacht wird.

Zöllner gibt als Potential dieser Einführung einer Asphäre in des Pancolar 2/50 an, daß bei der Untersuchung der Modulationsübertragung dieses asphärischen Pancolars im Frequenzbereich zwischen 10 und 30 Linien je Millimeter eine Konstraststeigerung bis 80 Prozent zu verzeichnen gewesen sei. Bei der Untersuchung der Flächenungenauigkeit dieses asphärischen Pancolars im Michelson-Interferometer hätten sich zwar deutlich Deformationen der Wellenfront ergeben (Bild 10) und auch eine Zerrissenheit der Kaustik aufgrund dieser Ungenauigkeiten sei zu verzeichnen gewesen (Bild 11), die daraus hervorgegangenen Abweichungen seien aber deutlich unter dem zulässigen Zerstreuungskreisdurchmesser geblieben. Zöllner zog einerseits aus dieser Untersuchung den Schluß, daß die erreichbaren Genauigkeiten beim Schleifen von asphärisch deformierten Flächen mittlerweile ausreichen würden, um solche Asphären durchweg in abbildenden Systemen anwenden zu können; andererseits allerdings nur unter der Maßgabe, daß erst noch entsprechende Fertigungsverfahren zu entwickeln seien, auf deren Basis solche Linsen in größeren Stückzahlen wirtschaftlich herstellbar wären. Wir wissen heute, daß ebenjener Schritt durch den Photoobjektivbau der DDR nicht verwirklicht werden konnte. Dasselbe gilt auch für ein Anfang der 70er Jahre in Görlitz entwickeltes Normalobjektiv 1,7/50 mm mit Asphäre.

Besonderer Dank gilt Herrn Günther Benedix für das Aufarbeiten und Zurverfügungstellen von Originalquellen zur Entstehung dieses Objektives.

Marco Kröger


letzte Änderung: 19. Oktober 2024