Meister-Korelle

Meister-Korelle

Es ist historisch bemerkenswert, daß sich die Mitteldeutsche Photoindustrie seit der Zwischenkriegszeit auf den Kameratypus der Einäugigen Spiegelreflexkamera spezialisiert und diese Gattung zu einer hohen technischen Reife geführt hat. Ein besonderes Marktsegment stellten dabei die Mittelformat-Reflexkameras des Nennformates 6x6 dar, und diese Reflex-Korelle war der Prototyp für diese Gattung.

Reflex-Korelle

1. Der "Innovator" Franz Kochmann

Die 1930er Jahre bildeten eine Ära beispielloser Fortschritte im Kamerabau. Fast 100 Jahre nach der Erfindung der Photographie kam ausgelöst durch Leica und Rolleiflex eine allgemeine Abkehr von photographischen Platten hin zu aufrollbaren Filmbändern in Gang. Schichtträger aus Kunststoff erlaubten es, statt den bisherigen Einzelaufnahmen mehrere Bilder hintereinander ohne großen zeitlichen Verzug anzufertigen und diese auch gemeinsam zu entwickeln. Zwar hatte der Rollfilm schon vor dem Ersten Weltkrieg weite Verbreitung bei Einsteigern und anspruchslosen Amateuren gefunden, doch waren die zugehörigen Kameras zumeist von recht einfach gehaltener Bauweise. Mit der Einführung von Rollfilmkameras als hochwertige Präzisionsgeräte wurde dieses Filmmaterial nun aber auch für ernsthafte Photo-Enthusiasten und Berufsphotographen interessant. Gemeinsames Merkmal dieser neuen Kameras war eine Hinwendung zur Metallbauweise. Auf traditionelle Materialien wie Holz und Leder wurde nun fast vollständig verzichtet. Die Photokamera wurde binnen kurzer Zeit von der bisherigen Tischlerarbeit hin zum Erzeugnis von Schlossern, Drehern, Gießern und Werkzeugmachern. Dieser Wechsel der Herstellungstechnologien eröffnete neuen Firmen den Marktzugang und zu den innovativsten auf diesem Sektor gehörte zweifellos bald die kleine Kamera-Manufaktur von Franz Kochmann (1873 - 1956) in Dresden.

Vier Korellen 1935

Wie viele andere Firmen produzierte Kochmann in den 20er Jahren Platten- und Rollfilmkameras in Metallausführung, wobei als Besonderheit auffällt, daß er für die Grundgehäuse frühzeitig Spritzgußverfahren statt Blechbauweise anwendete. Mit der Korelle K hatte er sogar eine frühe Kleinbildkamera mit dem originalen Kinoformat 18x24 mm auf den Markt gebracht, die in völlig starrer Bauweise ohne einen Lederbalg auskam. Statt aus Metall war ihr Gehäuse aus Preßstoff gefertigt. Als weitere Besonderheit muß hervorgehoben werden, daß diese Kamera einen hinter das Objektiv gesetzten Zentralverschluß aufwies, was das vollständige Auswechseln der Objektive gestattete. Diese später noch ziemlich oft angewendete Bauweise scheint also ebenfalls von Franz Kochmann eingeführt worden sein.

Kochmann Korelle

Auch wenn all diese Geräte äußerlich modern aussahen, so waren sie aus technischer Sicht dennoch sehr konservativ aufgebaut. Das komplexe Kernstück seiner Kameras war das in einem Zentralverschluß gefaßte Objektiv, das Herr Kochmann wie viele seiner Konkurrenten als fertige Einheit zukaufte. Nur in dem "Gehäuse drum herum" konnte man sich von den Mitbewerbern abheben. Insofern unterschieden sich die Korelle-Kameras kaum von den zahllosen Rollfilm-Faltkameras der Zwischenkriegszeit; sie lagen aber andererseits auch vollkommen im Trend.

Mindestpreisabkommen deutsche Kamerahersteller 1933

Der Markt für derartige Rollfilmkameras mit einfachen Durchsichtssuchern und ungekuppelten Zentralverschlüssen zeigte jedoch Anfang der 1930er Jahre bereits deutliche Sättigungserscheinungen. Das führte zu einem harten Konkurrenzkampf unter den Herstellerfirmen und zu einem schleichenden Verfall der Verkaufspreise. Die Existenz gerade der kleineren Betriebe, die den Bau der wenig einträglichen Rollfilmkameras nicht mit größeren Gewinnen aus anderen Produktsektoren quersubventionieren konnten, stand ernsthaft in Gefahr. Da halfen auch die Preisabsprachen nichts, die von führenden Herstellern der Kamerabranche zu Jahresende 1933 angestrengt worden waren [aus: Handelsblatt der Kölnischen Zeitung vom 13. Dezember 1933.]. Sie verschlimmerten eher die stagnierende Nachfrage.

Vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren Franz Kochmann und seine Frau Clara angesehene Dresdner Bürger gewesen, wie diese Privataufnahmen bezeugen [nach: Wilhelm, W: Auf den Spuren von Franz Kochmann, Phot. Cab. 64/2015, S. 22.].

2. Die Reflex-Korelle von 1935

Nein, die Lösung lag nicht im Einfrieren des Erreichten, sondern in der Innovation. Auch Franz Kochmann muß damals erkannt haben, daß seine Rollfilmkameras kaum aus dem eng abgegrenzten Käuferkreis der anspruchslosen Amateure heraustreten können, solange sie keine exakte Bildkompositon erlaubten. Nachdem die zweiäugige Spiegelreflexkameras Rolleiflex von Franke & Heidecke mit ihrer Mattscheibeneinstellung vom Fachpublikum begeistert aufgenommen worden war, entschied er sich, ebenfalls den Schritt zu einer derartigen Kamera zu wagen. Dabei war speziell das 6x6-Format, das Reinhold Heidecke aus der Halbierung seiner 6x13-Stereokamera abgeleitet hatte, nun der ausschlaggebende Faktor dafür, daß die Reflexkamera eine Wiederbelebung erfuhr, denn ein quadratisches Aufnahmeformat erübrigte es, die Kamera oder das Rückteil für etwaige Hochformataufnahmen drehen zu müsse. Außerdem hatten sich die beim üblichen BII8 Film ergebenden Dutzend Aufnahmen am Stück sowohl für den mit Reportagen beschäftigten Berufsphotographen, als auch für den nur gelegentlich knipsenden Amateur als ideal herausgestellt.

Rollfilm BII8

Die Einführung der DIN-Norm 4523 in den 1930er Jahren brachte nicht nur erstmals die genauen Festlegung Abmaße dieses sogenannten BII8-Films, sondern auch die Einführung eines Startpfeils sowie die einheitliche Bedruckung mit den Bildnummern für die kleineren Bildformate 6x6 und 4,5x6 cm – auch wenn es zum Teil Jahre dauerte, bis alle Filmhersteller sich exakt danach richteten. Bis dahin gab es für das 6x6-Format lange Zeit noch das Hemmnis, daß zur Steuerung des etwa 63 mm betragenden Filmtransportweges nicht das beim 6x9-Format übliche Rotfenster in der Kamerarückwand genutzt werden konnte, sondern die Kamera selbst für den entsprechenden Bildschritt sorgen mußte. Angesichts der großen Vorteile des 6x6-Formates war dieses kleine Problem für Franz Kochmann jedoch kein ausreichendes Hindernis, seine Reflexkamera mit dieser Bildgröße 6x6 herauszubringen. Aber anstatt lediglich eine weitere zweiäugige Rolleiflex-Kopie zu entwickeln, wie beispielsweise die zusammenfaltbare Welta Perfekta oder die kurzlebige Zeca-Flex von Ernst Zeh (DRP 633.672), schlug Kochmann bei seiner Reflex-Korelle einen völlig anderen Weg ein: Die Kombination des quadratischen 6x6-Formates mit dem Prinzip der einäugigen Reflexkamera, bei der zur Sucherbetrachtung und zum Aufnehmen ein und dasselbe Objektiv verwendet wird. Schließlich hatte Kochmann bereits zehn Jahre zuvor im Kamerageschäft erste Erfolge ausgerechnet mit einer einfachen einäugigen Reflexkamera für Platten namens "Ernolde"  erzielt.

Reflex-Korelle IIa

Doch eine einäugige Reflexkamera für Rollfilm stellte eine viel größere technische Hürde dar. So mußte beispielsweise der Verschluß einen gedeckten Aufzug haben, damit das Filmband nicht mein nächsten Spannvorgang belichtet wurde. Der große Vorreiter auf diesem Gebiet war zweifellos die Ihagee in Dresden gewesen, bei der in den 20er Jahren sowohl einäugige Reflexkameras (Patent Klapp Reflex von Hermann Frauenstein, DRP 409.587) als auch Rollfilmkameras ohne Springmechanik (z. B. Parvola) entwickelt worden waren. Es war der konstruierende Mechaniker Karl Nüchterlein, der Anfang der 30er Jahre diese Ansätze zusammenführte und die erste moderne Rollfilm-Reflexkamera mit einem mit dem Filmtransport gekuppelten Verschlußaufzug entwickelte. Bei seiner Exakta führte er durch Anordnung der Filmspulen links und rechts vom Spiegelkasten die T-förmige Bauweise einer Reflexkamera ein, bei der sowohl der Verschluß als auch das Filmband ohne Abknicken geradlinig gestreckt ablaufen konnten. Dieser Aufbau hatte ein Minimum an mechanischen Zwängen zur Folge und konnte sich daher in der Folgezeit als bevorzugte Bauart für Spiegelreflexkameras durchsetzen. Aber auch eine zweite Bauform, die in etwa zur selben Zeit bei der Görlitzer Firma Curt Bentzin aus der Kastenform bisheriger Reflexkameras herausentwickelte handliche Würfelform der Primarflex 6x6, hat später noch etliche Nachahmer gefunden.

Reflex-Korelle

Doch ein Problem gab es bei der Exakta: Durch das langgestreckte rechteckige Format wurde der Anwender oft dazu verleitet, die Kamera auf Hochkant zu drehen, um das Motiv im Bildfeld zu placieren. Dadurch wurde aber der Reflexsucher regelrecht unbrauchbar, weil das Sucherbild jetzt von der Seite betrachtet werden mußte und dasselbe obendrein noch auf dem Kopfe stand, was ein Ausrichten der Kamera fast unmöglich machte und das Verfolgen eines bewegten Motives gar aussichtslos werden ließ. Eine Kamera mit quadratischem Format, die nie gedreht werden muß, kannte diese Sorgen von vornherein nicht.

Reflex-Korelle Reklame 1935

Diese Reflex-Korelle ist damit als eine folgerichtige Synthese aus dem vorteilhaften quadratischen Bildformat der Rolleiflex und der T-förmigen Bauweise aus Nüchterleins Exakta zu begreifen. Der große Unterschied zur Exakta lag jedoch darin, daß Kochmann beim Ursprungsmodell der Reflex-Korelle, die zur Frühjahrsmesse 1935 zum ersten Mal gezeigt wurde [Vgl. Weizsaecker, Was wir in Leipzig auf der Photomesse gesehen haben; in: Atelier des Fotografen 1935, S.61.], bewußt die Schwierigkeiten umging, die ein Kuppeln von Filmtransport und Verschlußaufzug mit sich gebracht hätte. Wie bei den bisherigen Korelle-Kameras blieben der Filmtransport und das Spannen des Verschlusses zunächst zwei voneinander getrennte Handgriffe. Nachdem auf der linken Kameraoberseite der Film mit dem Transportrad zur nächsten Nummer weitertransportiert worden war, wobei man sich des Bildzählwerkes auf der Oberseite bediente, mußte anschließend auf der rechten Kameraseite der Verschluß durch drehen des Einstellknopfes gespannt werden. Diese Lösung hatte Kochmann nicht nur wertvolle Entwicklungszeit gespart, sondern verhinderte auch, daß er in Konflikt mit der Ihagee geraten konnte, die nämlich auf die Verkupplung von Transport- und Spannvorgang sowie der gleichzeitigen Spiegelrückführung bereits umfangreich Schutzrechte angemeldet hatte.

Reflex-Korelle Modell B

Kochmanns Entscheidung hatte sich nach kurzer Zeit als richtig herausgestellt. Seine Reflex-Korelle wurde offenbar sehr gut von genau demjenigen Kundenkreis aufgenommen, den er mit ihr angepeilt hatte. Dem anspruchsvollen Amateur war endlich eine Gelegenheit gegeben worden, seine behäbige Plattenkamera gegen eine viel dynamischere Rollfilmkamera auswechseln zu können, ohne den Vorteil einer exakten Bildkomposition mithilfe einer Mattscheibeneinstellung einzubüßen. Gleichzeitig spornte der Verkaufserfolg der Reflex-Korelle dazu an, die Kamera weiterzuentwickeln. Zunächst wurde im Folgejahr ein Zusatzhemmwerk für längere Verschlußzeiten bis 2 Sekunden eingeführt. Und im Jahre 1937 holte Kochmann dann sogar das große Komfortmerkmal der Exakta nach, indem er doch noch den Verschlußaufzug mit dem Filmtransport kuppelte. Damit konnte nicht nur das Problem von Doppelbelichtungen und Leeraufnahmen eliminiert werden, sondern es wurde auch ein automatischer Stop des Bildtransportes möglich, der das Arbeiten mit der Kamera bei schnellen Aufnahmefolgen sehr erleichterte ("Modell II").

Reflex-Korelle Modell IIa

Aus dieser Zeit ist ein Gebrauchsmuster überliefert (das sich leider nur in einer schlechten Kopie erhalten hat), das Kochmanns einfache Lösung für dieses Problem beschreibt und beweist, daß er nicht nur Unternehmer, sondern auch eigener Konstrukteur gewesen ist. Er leitete die Spannbewegung des Verschlusses aus der für den Filmtransport nötigen Drehbewegung des Hebelarms auf der linken Kameraseite ab, indem er quer über die Oberseite der Kamera in einem Kanal einen Seilzug spannte. Die Verbindung geschah durch jeweils eine auf der Verschluß- und auf der Filmtransportachse liegende Seilscheibe, wobei das vollständige Spannen des Verschlusses durch ein Sperrgetriebe gewährleistet wurde. Dieser Aufbau war sehr einfach gelöst und so ausgelegt, daß er ohne große Abänderung der Grundkonstruktion der bestehenden Kamera zusätzlich eingebaut werden konnte. Im praktischen Gebrauch störte allerdings das notorische Durchreißen des ziemlich stark belasteten Seiles, was der Kamera regelmäßige Werkstattaufenthalte bescherte.

DE1326791U Kochmann

Zu den Eigenheiten einer Einäugigen Spiegelreflexkamera gehörte auch, daß der Reflexspiegel vor Beginn der Belichtung die Funktion übernehmen muß, sich an die Mattscheibe zu legen und den Spiegelkasten vor Lichteinfall zu schützen. Karl Nüchterlein hatte bei seiner Exakta einen federbelasteten Spiegel vorgesehen, der nach dem Auslösen der Kamera von selbst nach oben schnellte. Das erforderte aber ein Rückführen dieses Spiegels in die Betrachtungsposition gegen diese Federkraft, die vom Verschlußaufzug abgeleitet werden mußte. Auch darauf hatte die Ihagee international Schutzrechte für sich gesichert. Kochmann umging patentrechtliche Konflikte, indem er das von Platten-Reflexameras bekannte Hubspiegel-Prinzip wählte, bei dem der Reflexspiegel durch den Druck auf den Auslösehebel angehoben wird und nach dem Loslassen des Auslösers durch die bloße Wirkung der Schwerkraft von selbst wieder in die Betrachtungsposition herabfällt.

Reflex-Korelle

Bei einer Kamera mit quadratischem Format, die wie gesagt immer in der gleichen Position gehalten wird und nicht auf Hochformat gedreht werden muß, ist diese Lösung möglich, obgleich sie nicht ideal ist. Es muß nämlich unbedingt verhindert werden, daß der Spiegel wieder zurückfällt, bevor nicht der Verschluß vollständig abgelaufen ist. Das ansonsten in den Spiegelkasten einfallende Licht würde die Aufnahme nämlich sofort verschleiern. Das als einfache Lösung erscheinende Hubspiegel-Prinzip verkomplizierte sich zudem stark, als mit dem Modell IIa ein Selbstauslöser eingeführt wurde.

3. Raub des Lebenswerkes Franz Kochmanns

Die große Leistung Kochmanns als konstruierender Unternehmer wird allerdings kurz darauf jäh durch die politische Entwicklung in Deutschland zunichte gemacht. Ähnlich wie die Kamera-Werkstätten in Niedersedlitz war das Kochmann-Werk von der verbrecherischen Rassenpolitik des Nationalsozialistischen Regimes betroffen. Als Jude seit Jahren bereits stigmatisiert und diskriminiert, soll Franz Kochmann im Jahre 1938 emigriert sein [Vgl. Hummel, Spiegelreflexkameras aus Dresden, 1995, S. 89] – und zwar die in Niederlande nach Utrecht, wo es ihm gelang, zu überleben, während der Rest seiner Familie ermordet worden sei [Vgl. Wilhelm, W: Auf den Spuren von Franz Kochmann, Phot. Cab. 64/2015, S. 23.]. Diesen Angaben steht freilich die Tatsache entgegen, daß er noch Ende Mai 1939 in den Dresdner Neuesten Nachrichten "Tüchtige Foto-Mechaniker und Arbeitsmädchen gesucht" hat.

Franz Kochmann, Korelle

Das Schicksal Franz Kochmanns während der Kriegsjahre liegt sehr im nebulösen. Sicher ist nur, daß er nach 1945 in den Niederlanden gewesen ist, wo er auch wieder im Kamerabau tätig war [nach: Wilhelm, W: Auf den Spuren von Franz Kochmann, Phot. Cab. 64/2015, S. 22.].

Auf der anderen Seite steht fest, daß das Werk Kochmanns zum 1. Januar 1939 "arisiert" – wie man es damals verharmlosend ausgedrückte – und in Korelle-Werk Brandtmann & Co. umbenannt wurde. In Wahrheit verbirgt sich dahinter, daß ein Mann namens Gustav Heinrich Brandtmann zusammen mit einem Alfred Ernst Peters die Gelegenheit nutzte, sich die Firma samt Mitarbeiterstamm kostengünstig "unter den Nagel zu reißen" [aus: Deutscher Reichsanzeiger Nr. 182, 9. August 1939].

Korelle-Werk Brandtmann 1939

Gustav Brandtmann stammte ganz offensichtlich aus dem ostwestphälischen Wallenbrück. Sein Vater, der Schneidermeister Heinrich Brandtmann führte dort ein Kolonialwarengeschäft, das er im Herbst 1924 aufgeben mußte, nachdem im Februar 1922 seine Frau Frederike verstorben war.

Brandtmann 1922
Brandtmann 1924

Möglicherweise erhielt Gustav Brandtmann zunächst eine Ausbildung als Volksschullehrer in Schildesche (heute Bielefeld), wo er im März 1918 als Absolvent der dortigen Präparandenanstalt aufgeführt ist [Vgl. Westf. Ztg. v. 16. März 1918.]. Einige Jahre später ist er als Kaufmann in Siegmar bei Chemnitz in der Louisenstraße 1 (heute Curiestraße) nachweisbar, wo er sich auf die Stahlbranche spezialisiert hatte. Er war im Jahre 1929 zum Prokuristen der Leipziger Firma Backhaus & Langensiepen bestellt worden [Vgl. Deutscher Reichsanzeiger Nr. 67 vom 20. März 1927.], ein Hersteller und Großhändler für Eisenwaren. Bereits im Jahre 1926 war er Prokurist der Bremer Firma Nordstahl AG gewesen [Vgl. Deutscher Reichsanzeiger Nr. 67 vom 20. März 1927.] sowie 1933 in deren Vorstand aufgestiegen [Vgl. Sächsicher Staatssanzeiger Nr. 76 vom 31. März 1926.]. Noch kurz vor der Kristallnacht war er Prokurist bei der Chemnitzer Zweigniederlassung der Düsseldorfer Firma Schmolz & Bickenbach geworden [Vgl. Deutscher Reichsanzeiger Nr. 223 vom 24. September 1938].

Brandtmann Verlobung 1926

Aus Zeitungsannoncen in den "Dresdner Neuesten Nachrichten" des Jahres 1940 ist ersichtlich, daß Brandtmann zunächst Personal für die Verwaltung des weiterhin sehr erfolgreichen Betriebes zu requirieren versuchte. Im Gegensatz zum konstruierenden Kochmann hat sich Brandtmann aber offenbar ausschließlich auf die Geschäftsführung konzentriert. Die Konstruktionsverantwortung lag nun offenbar ganz und gar bei Arthur Schlaubitz, der bereits unter Kochmann viel zu den Entwicklungen beigetragen hat (der von Hummel angegebene Vorname ist Otto ist falsch).

Selbst in den Jahren 1940 bis 1942 sind noch Patentanmeldungen nachweisbar. Interessanterweise wurden im Korelle-Werk mitten im Krieg Lösungsmöglichkeiten für dasselbe Problem erarbeitet, an denen zur gleichen Zeit Karl Nüchterlein nur wenige hundert Meter entfernt tüftelte: Am Funktionsprinzip eines kamerainternen Belichtungsmessers, das wir heute als Innenlichtmessung kennen. Leider existiert hiervon offenbar nur noch ein französisches Patent Nr. 890.808 vom 8. Februar 1943. Dort ist eine deutsche Patentanmeldung vom 25. September 1942 als Priorität aufgefürt, die aber leider nicht auffindbar ist. Anhand der Zeichnungen ist aber gut erkennbar, wie das Selen-Element wegklappbar hinter dem Objektiv angeordnet war, wie der dazugehörige Mechanismus mit dem Spiegel gekuppelt werden sollte und wie die Meßanzeige als Teil des Lichtschachtes konzipiert worden ist, die im aufgeklappten Zustand bequem abgelesen werden konnte. Diese sogenannte Elektro-Korelle erschien jedoch nicht mehr auf dem Markt.

FR890.808 Korelle Innenlichtmessung
Reflex-Korelle Auswechselobjektive
Reflex-Korelle Porst

So war die letzte Innovation vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Reflex-Korelle III. Sie zeichnete sich durch einen weiterentwickelten Schlitzverschluß und ein Schnellwechselbajonett anstelle des bisherigen Gewindeanschlusses aus. Filmtransport und Verschlußaufzug benötigten nur noch einen einzigen Hebelschwung. Äußerlich fiel die Verchromung von Front und Deckkappe auf, die ganz dem Trend der Zeit folgte, der zuvor von der Ihagee oder Zeiss Ikon vorgegeben worden war. Die bald einsetzende Kriegswirtschaft verhinderte jedoch, daß diese perfektionierte Kamera noch eine größere Verbreitung finden konnte.

Reflex-Korelle III Chrom

4. Neuanfang: Die Meister-Korelle

Meister-Korelle

Die Fabrik Brandtmanns, die sich zuletzt in der Augsburger Straße in Dresden befunden hat, wurde im Februar 1945 komplett zerstört. Der Besitzer fing zwar in Strehlen in angemieteten Fabrikräumen wieder an, aber Ende 1945 wurde der Betrieb beschlagnahmt und im darauffolgenden Jahr enteignet. [Vgl. Blumtritt, Dresdner Fotoindustrie, 2000, S. 147.] Unter die Ägide der "Industrieverwaltung 24 OPTIK" gestellt, setzten die Korelle-Kamera-Werke in der Schandauer Straße 38 die Herstellung der Reflex-Korelle zunächst fort und sie sollen das alte Modell auch auf der Frühjahrsmesse 1947 gezeigt haben. Im Jahr darauf wird das Werk allerdings in den "VEB Werkstätten für Feinmechanik und Optik" WEFO eingegliedert. Unter Federführung des vormaligen Inhabers dieser Werkstätte, Max Pfau, wurde daraufhin die unter Qualitätsproblemen und veralteter Konstruktion leidende Reflex-Korelle weiterentwickelt und als Meister-Korelle auf der Frühjahrsmesse 1950 vorgestellt [Vgl. Fotografie 4/1950, S. 92/93.].

Diese Weiterentwicklung war aber zugleich halbherzig wie überambitioniert. So wurde einerseits am völlig veralteten Hubspiegel-Konzept festgehalten, das dem Konstrukteur wie gesagt aufwendige mechanische Kopplungseinrichtungen zur Rückführung des Reflexspiegels ersparte, allerdings zu dem Preis, daß er sich bei längeren Verschlußzeiten und bei Selbstauslöseraufnahmen Probleme mit dem vorzeitigen Rückfallen des Spiegels einhandelte. Andererseits hat Pfau versucht, auf dieser angestaubten Grundkonzeption basierend den Verschluß der Kamera auf sehr moderne Weise durch ein einziges Hemmwerk anzusteuern. 

Meister-Korelle Hemmwerk

Der durch dieses Hemmwerk gesteuerte Schlitzverschluß der Meister-Korelle ließ jedoch wohl kaum eine qualitativ konstante Fabrikation zu. Es sind für mich keinerlei konstruktiv vorgesehene Justierstellen ersichtlich. Die Montage und der Abgleich der Kamera scheinen auf rein handwerkliche Art und Weise vor sich gegangen zu sein, bei der die Messinghebelchen und Federn nach Erfahrung gebogen wurden, bis die Kamera lief. Wie gern würde ich siebzig Jahre in der Zeit zurückreisen und einem damaligen Monteur bei dieser Arbeit zuschauen. Eine reproduzierbare Justage und insbesondere eine profitable Massenfabrikation werden auf dieser Grundlage jedenfalls nicht erreicht worden sein.

Master Reflex Juli 1951

Angesichts dieser grundsätzlichen Probleme half es auch nichts, daß die Produktion dieser Kamera an die erfahrenen Welta-Kamerawerke abgeschoben wurde. Man hätte die Korelle eben gerne weiterhin als "Master Reflex" in die USA exportiert, wo man sie zu Preisen bis zu 200 Dollar verkaufen konnte. Als letzte Hoffnung wurden die vorhandenen Teile den Kamerawerken Niedersedlitz übergeben [Vgl. Blumtritt, Dresdner Fotoindustrie, 2000, S. 148.], die sich zu Beginn der 50er Jahre zur innovativsten Kamerabauanstalt der DDR entwickelt hatten. Doch Siegfried Böhm soll die Produktionsübernahme als hoffnungslos abgelehnt haben. Man kann sagen, aus einer tiefgreifenden, ganz und gar nicht halbherzigen Revision des Grundprinzips der Meister-Korelle ist ab 1954 die Praktisix hervorgegangen, die als Pentacon Six und Exakta 66 zu einer der erfolgreichsten Mittelformat-Spiegelreflexkameras aller Zeiten werden sollte.

Aus dieser Annonce wird offenbar, daß der Grundkörper der Meister-Korelle im VEB Weißensee-Druckguß in Berlin hergestellt wurde. Daraus läßt sich wiederum schließen, wie exklusiv diese Technologie damals noch gewesen ist und daß sie nicht jeder Betrieb beherrschte. Es ist aber auch nicht auszuschließen, daß auch die Grundkörper anderer Dresdner Kameras hier gegossen wurden, und zwar bis in die 80er Jahre hinein.


So eine Meister-Korelle ist schon ein uriges Gerät, wie das folgende Video zeigt. Die Hubspiegelmechanismus fasziniert aus heutiger Sicht und macht die Bedienung dieser Kamera zu einer Besonderheit.

Die Bilder unten sind alle mit der Meister-Korelle und dem Trioplan 2,8/100mm entstanden. Der verwendete Farbumkehrfilm war freilich ein wenig überlagert... ;-)

Die folgenden Schwarzweißaufnahmen sind hingegen mit der obigen Reflex-Korelle IIa angefertigt worden. Das einfache Triplett "Ludwig Victar" hat mich in jeder Form überrascht. Harmonisch weich bei offener Blende (s. Portrait unten) aber scharf und kontrastreich bei mittlerer Abblendung. Das hatte ich bei diesem mehr als 80 Jahre alten Objektiv so nicht erwartet.

Clark Gable Reflex Korelle

Selbst in höchsten Hollywood-Kreisen hatten Reflex-Korelle und  Master Reflex ihre Anwenderschaft gefunden.

Master Reflex James Stewart

Marco Kröger


letzte Änderung: 5. Dezember 2024