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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Reflex- und Meister-Korelle
Es ist historisch bemerkenswert, daß sich die Mitteldeutsche Photoindustrie seit der Zwischenkriegszeit auf den Kameratypus der Einäugigen Spiegelreflexkamera spezialisiert und diese Gattung zu einer hohen technischen Reife geführt hat. Ein besonderes Marktsegment stellten dabei die Mittelformat-Reflexkameras des Nennformates 6x6 dar, und diese Reflex-Korelle gilt als Prototyp für diese Gattung.
1. Der "Innovator" Franz Kochmann
Die 1930er Jahre bildeten eine Ära beispielloser Fortschritte im Kamerabau. Fast 100 Jahre nach der Erfindung der Photographie kam ausgelöst durch Leica und Rolleiflex eine allgemeine Abkehr von photographischen Platten hin zu aufrollbaren Filmbändern in Gang. Schichtträger aus Kunststoff erlaubten es, statt den bisherigen Einzelaufnahmen mehrere Bilder hintereinander ohne großen zeitlichen Verzug anzufertigen und diese auch gemeinsam zu entwickeln. Zwar hatte der Rollfilm schon vor dem Ersten Weltkrieg weite Verbreitung bei Einsteigern und anspruchslosen Amateuren gefunden, doch waren die zugehörigen Kameras zumeist von recht einfach gehaltener Bauweise. Mit der Einführung von Rollfilmkameras als hochwertige Präzisionsgeräte wurde dieses Filmmaterial nun aber auch für ernsthafte Photo-Enthusiasten und Berufsphotographen interessant. Gemeinsames Merkmal dieser neuen Kameras war eine Hinwendung zur Metallbauweise. Auf traditionelle Materialien wie Holz und Leder wurde nun fast vollständig verzichtet. Die Photokamera wurde binnen kurzer Zeit von der bisherigen Tischlerarbeit hin zum Erzeugnis von Schlossern, Drehern, Gießern und Werkzeugmachern. Dieser Wechsel der Herstellungstechnologien eröffnete neuen Firmen den Marktzugang und zu den innovativsten auf diesem Sektor gehörte zweifellos bald die kleine Kamera-Manufaktur von Franz Kochmann (1872 - 1956) in Dresden.
Wie viele andere Firmen produzierte Kochmann in den 20er Jahren Platten- und Rollfilmkameras in Metallausführung, wobei als Besonderheit auffällt, daß er für die Grundgehäuse frühzeitig Spritzgußverfahren statt Blechbauweise anwendete. Mit der Korelle K hatte er sogar eine frühe Kleinbildkamera mit dem originalen Kinoformat 18x24 mm auf den Markt gebracht, die in völlig starrer Bauweise ohne einen Lederbalg auskam. Statt aus Metall war ihr Gehäuse aus Preßstoff gefertigt. Als weitere Besonderheit muß hervorgehoben werden, daß diese Kamera einen hinter das Objektiv gesetzten Zentralverschluß aufwies, was das vollständige Auswechseln der Objektive gestattete. Diese später noch ziemlich oft angewendete Bauweise scheint also ebenfalls von der Firma Franz Kochmann eingeführt worden sein.
Auch wenn all diese Geräte äußerlich modern aussahen, so waren sie aus technischer Sicht dennoch sehr konservativ aufgebaut. Das komplexe Kernstück seiner Kameras war das in einem Zentralverschluß gefaßte Objektiv, das Herr Kochmann wie viele seiner Konkurrenten als fertige Einheit zukaufte. Nur in dem "Gehäuse drum herum" konnte man sich von den Mitbewerbern abheben. Insofern unterschieden sich die Korelle-Kameras kaum von den zahllosen Rollfilm-Faltkameras der Zwischenkriegszeit; sie lagen aber andererseits auch vollkommen im Trend.
Der Markt für derartige Rollfilmkameras mit einfachen Durchsichtssuchern und ungekuppelten Zentralverschlüssen zeigte jedoch Anfang der 1930er Jahre bereits deutliche Sättigungserscheinungen. Das führte zu einem harten Konkurrenzkampf unter den Herstellerfirmen und zu einem schleichenden Verfall der Verkaufspreise. Die Existenz gerade der kleineren Betriebe, die den Bau der wenig einträglichen Rollfilmkameras nicht mit größeren Gewinnen aus anderen Produktsektoren quersubventionieren konnten, stand ernsthaft in Gefahr. Da halfen auch die Preisabsprachen nichts, die von führenden Herstellern der Kamerabranche zu Jahresende 1933 angestrengt worden waren [aus: Handelsblatt der Kölnischen Zeitung vom 13. Dezember 1933.]. Sie verschlimmerten eher die stagnierende Nachfrage.
Wer war Franz Kochmann?
Über die eigentliche Person hinter dem berühmten Dresdner Kamerawerk war lange Zeit wenig bekannt. Ohne Zweifel hat das damit zu tun, daß Franz Kochmann Jude war. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das persönliche Schicksal von Juden während der NS-Zeit lange noch ein großes Tabu. Für die DDR kam hinzu, daß Kochmann nicht nur Jude war, sondern auch als Kapitalist angesehen wurde. Das war gewissermaßen ein doppeltes Stigma. An eine Würdigung und Rehabilitation Kochmanns als bedeutender Dresdner noch zu seinen Lebzeiten war deshalb nicht zu denken. Auf diese Weise sind er selbst sowie seine ehemaligen Mitarbeiter und Zeitgenossen nach und nach gestorben, ohne daß sich beispielsweise die Zeitung oder der Rundfunk für ihre Vergangenheit interessiert hätten, weshalb viel Wissen verloren gegangen ist, das später oft durch Vermutungen ersetzt wurde.
Erst die Digitalisierung der Archive macht es möglich, der Wahrheit wieder etwas näher auf die Spur zu kommen. Der obige Melderegisterauszug der Stadt Den Haag enthält eine ganze Vielzahl an Informationen, aus denen wchtige Erkenntnise abgeleitet werden können. Zunächst gibt er aber erst einmal verlässliche Personenstandsdaten: Demnach wurde Franz Kochmann am 12. September 1872 in Gleiwitz geboren, seine Frau Klara Anna Sprotte am 12. Dezember 1875 in Breslau [Vgl. Stadtarchiv Den Haag, Standesamtsregister, Archiv 0354-01, Inventarnummer 940, 1913]. Sie haben offenbar im Januar 1892 in Dresden geheiratet. Franz Kochmanns Eltern hießen Fischel Ferdinand Kochmann und Friederike Mannaberg.
Zu den vielen Behauptungen über Franz Kochmann in der Literatur gehört, Dresden sei seine Heimatstadt gewesen. Nun, da wir wissen, daß er aus Oberschlesien stammte, stellt sich die Frage, ob er nicht derjenige Kaufmann gewesen sein könnte, der am 25. Januar 1898 im Alter von 25 Jahren von einem Valentin Cohn eine Mineralwasserfabrik im nahegelegenen Kattowitz übernommen hat?
Deutlich stichfester kann Franz Kochmann hingegen mit folgender Firma in Zusammenhang gebracht werden: Im Jahre 1901 hatte Eduard Robert Claus in Dresden zusammen mit dem Photographen R. F. Trau eine sogenannte Lichtdruckerei gegründet. Im Jahr darauf werden beide zu 300 Mark Geldstrafe oder 30 Tagen Gefängnis verurteilt, weil sie "Postkarten mit anstößigen Abbildungen" in den Verkehr gebracht hatten. Im Januar 1911 wird die Firma in die Robert Claus Lichtdruck GmbH umgewandelt, die jedoch als GmbH bereits zum 29. November 1913 wieder aufgelöst wird. Wie oben zu sehen, übernimmt nun Franz Kochmann die Lichtdruckerei zum 11. Dezember 1913.
Im Juni 1918 scheidet Kochmann nach knapp fünf Jahren wieder als Inhaber der "Robert Claus Lichtdruckerei" aus, wie die oben stehende Meldung aus dem Deutschen Reichsanzeiger vom 9. September 1918 wissen läßt.
Der Beginn Franz Kochmanns als ein bald überregional und sogar international bekannter Kamerahersteller datiert dann auf den 1. Oktober 1921.
Vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren Franz Kochmann und seine Frau Klara angesehene Dresdner Bürger gewesen, wie diese Privataufnahmen bezeugen [nach: Wilhelm, W: Auf den Spuren von Franz Kochmann, Phot. Cab. 64/2015, S. 22.]. Bis 1935 gab es sogar eine erfolgreiche lokale Fußballmannschaft namens "Kochmann-Elf".
Aus der Art und Weise wie bislang in der Literatur über das Ende Kochmanns als Dresdner Kamerafabrikant berichtet wurde, mußte man förmlich den Eindruck gewinnen, Kochmann sei 1938 ins Exil gegangen und erst daraufhin habe ab Januar 1939 ein Gustav Brandtmann die Firma weitergeführt. Mit dieser Verdrehung der historischen Wahrheit setzt sich der Abschnitt 3 näher auseinander. Wir aber wissen nun anhand der neu aufgefundenen Dokumente, daß Kochmann erst sehr viel später ins niederländische Exil gegangen ist – und zwar letztlich nur wenige Wochen bevor die Wehrmacht die Niederlande trotz deren Neutralität besetzen wird. Und es läßt sich auch nachweisen, daß er um den Erhalt seines Lebenswerks gekämpft hat bis es wirklich keinen Ausweg mehr gab.
Es waren wohl die jüdischen Haager Photohändler Jacob und Izaak Hijmans, mit denen Franz Kochmann bereits seit vielen Jahren gute Geschäftsbeziehungen pflegte, die nun halfen, sich im holländischen Exil zurechtzufinden. Das Photo oben aus der Zeit um 1930 zeigt das Fachgeschäft in der Waagenstraat 67 mit einer überdimensionierten Kochmann-Enolde-Kamera als Reklame.
Der eingangs gezeigten Meldekarte zufolge war das Ehepaar Kochmann spätestens am 24. Februar 1940 in Den Haag angekommen. Binnen kürzester Zeit sind sie dreimal umgezogen. Sofort sticht bei dem Dokument in der rechten oberen Ecke das rote J für "Jude" ins Auge, das sicherlich mit der seit Januar 1941 durch das deutsche Besatzungsregime eingeführten Registrierungspflicht für die in den Niederlanden lebenden Juden in Zusammenhang steht (sog. Judenkartei). Doch viel entscheidender ist für uns die Spalte "Kerkgenootschap" – Glaubenszugehörigkeit. Während nämlich bei Herrn Kochmann erwartungsgemäß "N.I." für Nederlands Israëlitisch steht, lesen wir bei seiner Frau "R.K." für römisch katholisch. Das ist deshalb von ausschlaggebender Bedeutung, weil die kruden nationalsozialistischen Einteilungen von Menschen in lebenswert und nicht lebenswert durch die Existenz sogenannter Mischehen erheblich gestört wurde. Fast bis zum Schluß war man in der NS-Führung uneins darüber, wie mit diesen "Fällen" umgegangen werden soll. Für Herrn Kochmann hatte das zur Folge, daß er zwar weiterhin tiefsten Demütigungen ausgesetzt war, doch war der jüdische Lebenspartner in einer derartigen "Mischehe" insofern geschützt, als noch lange Zeit während des Krieges keine unmittelbare Gefahr der Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager drohte. Daraus erklärt sich, daß Kochmann eben nicht sofort nach der "Kristallnacht" panikartig das Land verlassen mußte, wie Juden ohne diesen besonderen Schutz, sondern wenigstens die Chance hatte, die Flucht zu planen. Mit welchen Ängsten und Nöten diese makabre Form der "Privilegierung" trotzdem verknüpft war, ist ja seit der Veröffentlichungen der Tagebücher des Victor Klemperer Mitte der 1990er Jahre Teil der Weltliteratur geworden. Und so wie der Philologe Victor Klemperer in Dresden oder Ernst Wanderslebs Ehefrau Emmy in Jena durch die fest an ihrer Seite stehenden Ehepartner nur ganz knapp und mit reichlich Glück die nationalsozialistische Barbarei überlebt hatten, so war das auch Franz Kochmann in den besetzten Niederlande vergönnt gewesen.
Wie genau Franz Kochmann und seine Frau diese Kriegsjahre überstanden haben, das läßt sich freilich nur erahnen. In kaum einem der von den Deutschen besetzten Ländern konnte der Holocaust so "effektiv" durchgesetzt werden wie in den Niederlanden. Von den etwa 140.000 Juden haben auf diese Weise fast drei Viertel die Verfolgung nicht überlebt. Etwa 14.000 davon waren in den Niederlanden lebende deutschstämmige Juden, wie die weltweit durch ihr Tagebuch bekannt gewordene Anne Frank, die ebenso wie die niederländischen Juden deportiert und in Lager verschleppt wurden. Vielfach wurden die deutschen Besatzer beim "Aufspüren" der Juden von antisemitisch eingestellten Niederländern unterstützt. Dem mittlerweile Haagse Fotohandel HAFO genannten Unternehmen, für das Kochmann offenbar gearbeitet hat, wurde 1943 ein mit den Deutschen kollaborierender "arischer" Verwalter zugeteilt. Der Firmengründer Jacob Bernhard Hijmans, der den Kochmanns wohl das Überleben ermöglicht hatte, wurde im Januar 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet. Franz Kochmann blieb nach dem Kriege weiterhin eng mit dem niederländischen Fotohandel in Verbindung. Er soll auch am Entwurf einer kleinen Rollfilmkamera namens Venaret beteiligt gewesen sein [nach: Wilhelm, W: Auf den Spuren von Franz Kochmann, Phot. Cab. 64/2015, S. 22.]. Er starb am 25. Juni 1956 im Alter von 83 Jahren.
2. Die Reflex-Korelle von 1935
Angesichts dieser damals in den 20er Jahren einsetzenden Übersättigung des Marktes mit einfachen Rollfilmkameras lag die Lösung nicht im Einfrieren des Erreichten, sondern in der Innovation. Auch Franz Kochmann muß damals erkannt haben, daß seine Rollfilmkameras kaum aus dem eng abgegrenzten Käuferkreis der anspruchslosen Amateure heraustreten können, solange sie keine exakte Bildkompositon erlaubten. Nachdem die zweiäugige Spiegelreflexkameras Rolleiflex von Franke & Heidecke mit ihrer Mattscheibeneinstellung vom Fachpublikum begeistert aufgenommen worden war, und auch die unweit angesiedelte Ihagee des Johan Steenbergen mit ihrer Einäugigen Reflexkamera Exakta großen Anklang gefunden hatte, entschied man sich inder Firma Kochmann, ebenfalls den Schritt zu einer derartigen Kamera zu wagen. Dabei erwies sich speziell das 6x6-Format, das Reinhold Heidecke aus der Halbierung seiner 6x13-Stereokamera abgeleitet hatte, als besonders günstig für die Reflexkamera, denn ein quadratisches Aufnahmeformat erübrigte es, die Kamera für etwaige Hochformataufnahmen drehen zu müssen, was stets den Verlust der Mattscheibenbetrachtung bedeutete. Außerdem hatten sich die beim üblichen BII8 Film ergebenden ein Dutzend Aufnahmen am Stück sowohl für den mit Reportagen beschäftigten Berufsphotographen als auch für den nur gelegentlich knipsenden Amateur als ideal herausgestellt.
Die Einführung der DIN-Norm 4523 in den 1930er Jahren brachte nicht nur erstmals die genauen Festlegung Abmaße dieses sogenannten BII8-Films, sondern auch die Einführung eines Startpfeils sowie die einheitliche Bedruckung mit den Bildnummern für die kleineren Bildformate 6x6 und 4,5x6 cm – auch wenn es zum Teil Jahre dauerte, bis alle Filmhersteller sich exakt danach richteten. Bis dahin gab es für das 6x6-Format lange Zeit noch das Hemmnis, daß zur Steuerung des etwa 63 mm betragenden Filmtransportweges nicht das beim 6x9-Format übliche Rotfenster in der Kamerarückwand genutzt werden konnte, sondern die Kamera selbst für den entsprechenden Bildschritt sorgen mußte. Angesichts der großen Vorteile des 6x6-Formates war dieses kleine Problem für Franz Kochmann jedoch kein ausreichendes Hindernis, seine Reflexkamera mit dieser Bildgröße 6x6 herauszubringen. Aber anstatt lediglich eine weitere zweiäugige Rolleiflex-Kopie zu entwickeln, wie beispielsweise die zusammenfaltbare Welta Perfekta oder die kurzlebige Zeca-Flex von Ernst Zeh (DRP 633.672), schlug Kochmann bei seiner Reflex-Korelle einen völlig anderen Weg ein: Die Kombination des quadratischen 6x6-Formates mit dem Prinzip der einäugigen Reflexkamera, bei der zur Sucherbetrachtung und zum Aufnehmen ein und dasselbe Objektiv verwendet wird. Schließlich hatte Kochmann bereits zehn Jahre zuvor im Kamerageschäft erste Erfolge ausgerechnet mit einer einfachen einäugigen Reflexkamera für Platten namens "Enolde" erzielt.
Doch eine einäugige Reflexkamera für Rollfilm stellte eine viel größere technische Hürde dar. So mußte beispielsweise der Verschluß einen gedeckten Aufzug haben, damit das Filmband nicht mein nächsten Spannvorgang belichtet wurde. Der große Vorreiter auf diesem Gebiet war zweifellos die Ihagee in Dresden gewesen, bei der in den 20er Jahren sowohl einäugige Reflexkameras (Patent Klapp Reflex von Hermann Frauenstein, DRP 409.587) als auch Rollfilmkameras ohne Springmechanik (z. B. Parvola) entwickelt worden waren. Es war der konstruierende Mechaniker Karl Nüchterlein, der Anfang der 30er Jahre diese Ansätze zusammenführte und die erste moderne Rollfilm-Reflexkamera mit einem mit dem Filmtransport gekuppelten Verschlußaufzug entwickelte. Bei seiner Exakta führte er durch Anordnung der Filmspulen links und rechts vom Spiegelkasten die T-förmige Bauweise einer Reflexkamera ein, bei der sowohl der Verschluß als auch das Filmband ohne Abknicken geradlinig gestreckt ablaufen konnten. Dieser Aufbau hatte ein Minimum an mechanischen Zwängen zur Folge und konnte sich daher in der Folgezeit als bevorzugte Bauart für Spiegelreflexkameras durchsetzen. Aber auch eine zweite Bauform, die in etwa zur selben Zeit bei der Görlitzer Firma Curt Bentzin aus der Kastenform bisheriger Reflexkameras herausentwickelte handliche Würfelform der Primarflex 6x6, hat später noch etliche Nachahmer gefunden.
Doch ein Problem gab es bei der Exakta: Durch das langgestreckte rechteckige Format wurde der Anwender oft dazu verleitet, die Kamera auf Hochkant zu drehen, um das Motiv im Bildfeld zu placieren. Dadurch wurde aber der Reflexsucher regelrecht unbrauchbar, weil das Sucherbild jetzt von der Seite betrachtet werden mußte und dasselbe obendrein noch auf dem Kopfe stand, was ein Ausrichten der Kamera fast unmöglich machte und das Verfolgen eines bewegten Motives gar aussichtslos werden ließ. Eine Kamera mit quadratischem Format, die nie gedreht werden muß, kannte diese Sorgen von vornherein nicht.
Diese Reflex-Korelle ist damit als eine folgerichtige Synthese aus dem vorteilhaften quadratischen Bildformat der Rolleiflex und der T-förmigen Bauweise aus Nüchterleins Exakta zu begreifen. Der große Unterschied zur Exakta lag jedoch darin, daß Kochmann beim Ursprungsmodell der Reflex-Korelle, die zur Frühjahrsmesse 1935 zum ersten Mal gezeigt wurde [Vgl. Weizsaecker, Was wir in Leipzig auf der Photomesse gesehen haben; in: Atelier des Fotografen 1935, S.61.], bewußt die Schwierigkeiten umging, die ein Kuppeln von Filmtransport und Verschlußaufzug mit sich gebracht hätte. Wie bei den bisherigen Korelle-Kameras blieben der Filmtransport und das Spannen des Verschlusses zunächst zwei voneinander getrennte Handgriffe. Nachdem auf der linken Kameraoberseite der Film mit dem Transportrad zur nächsten Nummer weitertransportiert worden war, wobei man sich des Bildzählwerkes auf der Oberseite bediente, mußte anschließend auf der rechten Kameraseite der Verschluß durch drehen des Einstellknopfes gespannt werden. Diese Lösung hatte Kochmann und seinem Konstrukteur Arthur Schlaubitz nicht nur wertvolle Entwicklungszeit gespart, sondern verhinderte auch, daß die Firma in Konflikt mit der Ihagee geraten konnte, die nämlich auf die Verkupplung von Transport- und Spannvorgang sowie der gleichzeitigen Spiegelrückführung bereits umfangreich Schutzrechte angemeldet hatte.
Kochmanns Entscheidung hatte sich nach kurzer Zeit als richtig herausgestellt. Seine Reflex-Korelle wurde offenbar sehr gut von genau demjenigen Kundenkreis aufgenommen, den er mit ihr angepeilt hatte. Dem anspruchsvollen Amateur war endlich eine Gelegenheit gegeben worden, seine behäbige Plattenkamera gegen eine viel dynamischere Rollfilmkamera auswechseln zu können, ohne den Vorteil einer exakten Bildkomposition mithilfe einer Mattscheibeneinstellung einzubüßen. Gleichzeitig spornte der Verkaufserfolg der Reflex-Korelle dazu an, die Kamera weiterzuentwickeln. Zunächst wurde im Folgejahr ein Zusatzhemmwerk für längere Verschlußzeiten bis 2 Sekunden eingeführt. Und im Jahre 1937 holten Kochmann und Schlaubitz dann sogar das große Komfortmerkmal der Exakta nach, indem sie doch noch den Verschlußaufzug mit dem Filmtransport kuppelten. Damit konnte nicht nur das Problem von Doppelbelichtungen und Leeraufnahmen eliminiert werden, sondern es wurde auch ein automatischer Stop des Bildtransportes möglich, der das Arbeiten mit der Kamera bei schnellen Aufnahmefolgen sehr erleichterte ("Modell II").
Aus dieser Zeit ist ein Gebrauchsmuster Nr. 1.326.791 vom 29. Januar 1935 überliefert, das sich leider nur in einer schlechten Kopie erhalten hat (siehe Abbildung unten). Demnach leitete Schlaubitz die Spannbewegung des Verschlusses aus der für den Filmtransport nötigen Drehbewegung des Hebelarms auf der linken Kameraseite ab, indem er quer über die Oberseite der Kamera in einem Kanal einen Seilzug spannte. Die Verbindung geschah durch jeweils eine auf der Verschluß- und auf der Filmtransportachse liegende Seilscheibe, wobei das vollständige Spannen des Verschlusses durch ein Sperrgetriebe gewährleistet wurde. Dieser Aufbau war sehr einfach gelöst und so ausgelegt, daß er ohne große Abänderung der Grundkonstruktion der bestehenden Kamera zusätzlich eingebaut werden konnte. Im praktischen Gebrauch störte allerdings das notorische Durchreißen des ziemlich stark belasteten Seiles, was der Kamera regelmäßige Werkstattaufenthalte bescherte.
Zu den Eigenheiten einer Einäugigen Spiegelreflexkamera gehörte auch, daß der Reflexspiegel vor Beginn der Belichtung die Funktion übernehmen muß, sich an die Mattscheibe zu legen und den Spiegelkasten vor Lichteinfall zu schützen. Karl Nüchterlein hatte bei seiner Exakta einen federbelasteten Spiegel vorgesehen, der nach dem Auslösen der Kamera von selbst nach oben schnellte. Das erforderte aber ein Rückführen dieses Spiegels in die Betrachtungsposition gegen diese Federkraft, die vom Verschlußaufzug abgeleitet werden mußte. Auch darauf hatte die Ihagee international Schutzrechte für sich gesichert. Die Firma Kochmann umging patentrechtliche Konflikte, indem sie das von Platten-Reflexameras bekannte Hubspiegel-Prinzip wählte, bei dem der Reflexspiegel durch den Druck auf den Auslösehebel angehoben wird und nach dem Loslassen des Auslösers durch die bloße Wirkung der Schwerkraft von selbst wieder in die Betrachtungsposition herabfällt.
Bei einer Kamera mit quadratischem Format, die wie gesagt immer in der gleichen Position gehalten wird und nicht auf Hochformat gedreht werden muß, ist diese Lösung möglich, obgleich sie nicht ideal ist. Es muß nämlich unbedingt verhindert werden, daß der Spiegel wieder zurückfällt, bevor nicht der Verschluß vollständig abgelaufen ist. Das ansonsten in den Spiegelkasten einfallende Licht würde die Aufnahme nämlich sofort verschleiern. Das als einfache Lösung erscheinende Hubspiegel-Prinzip verkomplizierte sich zudem stark, als mit dem Modell IIa ein Selbstauslöser eingeführt wurde.
3. Raub des Lebenswerkes Franz Kochmanns
Die große Leistung Kochmanns, von Null ab in weniger als einem anderthalben Jahrzehnt und zudem noch unter wirtschaftlich sehr schwierigen Grundbedingungen ein weltweit beachtetes Kamerabau-Unternehmen aufgebaut zu haben, wird allerdings kurz darauf jäh durch die politische Entwicklung in Deutschland zunichte gemacht. Ähnlich wie die Kamera-Werkstätten in Niedersedlitz war das Kochmann-Werk von der verbrecherischen Rassenpolitik des Nationalsozialistischen Regimes betroffen. Da er Jude bzw. "jüdischen Glaubens" gewesen sei, soll Franz Kochmann im Jahre 1938 "emigriert" sein, wie es sowohl Richard hummel, als auch Herbert Blumtritt in die Welt gesetzt haben – um Begriffe wie Pogrom und Arisierung machen beide "Historiker" vorsichtshalber einen großen Bogen [Vgl. Hummel, Spiegelreflexkameras aus Dresden, 1995, S. 89 sowie Blumtritt, Dresdner Fotoindustrie, 2000, S. 92.].
Dabei muß man doch, wenn man die historische Wahrheit nicht unter den Teppich kehren will, gerade in diesem Punkt ganz eindeutig sein: Es war ja nicht so, daß Herr Kochmann emigriert ist und dann deshalb sein Unternehmen von jemand anderem weitergeführt wurde, sondern genau andersherum. Spätestens mit dem "Anschluß" vom Frühjahr 1938 wurde den Juden in Deutschland und Österreich das Leben endgültig zur Hölle gemacht. Zu Hetze und Gewaltaktionen traten nun Maßnahmen, die das wirtschaftliche Überleben der Juden unmöglich machen sollten. Einer der zentralen Hintergründe lag darin, daß das Regime zu dieser Zeit kurz vor der Pleite stand und es mußten Lösungen gefunden werden, die immense Verschuldung für die Rüstung auszugleichen. Bis zum Sommer 1938 hatten alle Juden ihre Vermögen oberhalb einer Grenze von 5000 Reichsmark detailliert gegenüber dem Finanzamt offenzulegen. Vielen jüdischen Geschäftsleuten war spätestens ab diesem Zeitpunkt klar, daß sie um genau diese Vermögen gebracht werden sollten. Gleichzeitig war damit erschwert worden, dieses Vermögen und sich selbst ins Ausland retten zu können. Diese immer bedrohlicher werdende Lage spitzte sich zu im November 1938, als nach der sogenannten Kristallnacht etwa 30.000 insbesondere vermögende Juden verhaftet und in die Konzentrationslager verschleppt wurden, um sie zur Flucht und damit zugleich zu einem Verkauf ihrer Geschäfte weit unter Wert zu nötigen. Man kann sich unschwer ausmalen, welchen Eindruck das Schicksal dieser sogenannten "Aktionsjuden" auch auf diejenigen jüdischen Geschäftsleute hinterlassen hat, die nicht verhaftet worden waren.
Vor diesem existentiell bedrohlichen Hintergrund verwundert die oben zu sehende Anzeige in den Dresdner Neuesten Nachrichten Ende Mai 1939, in der Franz Kochmann "Tüchtige Foto-Mechaniker und Arbeitsmädchen gesucht" hat. Damit fällt schon mal die ganze Erzählung in sich zusammen, daß Kochmann 1938 einfach abgehauen ist und sich dann ein Mann namens Gustav Heinrich Brandtmann gewissermaßen erbarmt hat, die im Stich gelassene Firma zur retten. Nein, Brandtmann und sein Compagnon haben schlichtweg die Gelegenheit genutzt, sich die Firma samt Mitarbeiterstamm zum 1. Januar 1939 kostengünstig "unter den Nagel zu reißen" [aus: Deutscher Reichsanzeiger Nr. 182, 9. August 1939]. Das und nichts anderes, liebe Leser, haben wir unter dem zynischen Nazi-Ausdruck "Arisierung" zu verstehen.
Aber entweder hatte Franz Kochmann zunächst noch die Gefahr unterschätzt oder er vermochte es einfach nicht, von seinem Lebenswerk loszulassen. Anscheinend versuchte er ernsthaft, nach dem Verlust seiner Firma noch einmal einen neuen Kamerabaubetrieb auf die Beine zu stellen. Doch spätestens mit dem Kriegsausbruch war dies völlig aussichtslos geworden. Kochmann und seine Frau mußten ihr Anwesen und die Kunstsammlung in Dresden zurücklassen und flüchteten in die Niederlande, wo sie den Krieg zu überlebten, während der Rest seiner Familie ermordet worden sei [Vgl. Wilhelm, W: Auf den Spuren von Franz Kochmann, Phot. Cab. 64/2015, S. 23.]. Eine kleine Meldung im Reichsanzeiger kündet noch davon, daß das erfolgreiche geschäftliche Wirken Franz Kochmanns in Dresden zum 24. August 1939 endgültig ausgelöscht worden war.
4. Die Ära Brandtmann
Also müssen wir uns an dieser Stelle nun mit dem arischen Mitglied der deutschen Volksgemeinschaft namens Gustav Brandtmann auseinandersetzen, wenn wir die Entwicklung der Reflex-Korelle weiter nachvollziehen wollen. Dieser Mann stammte ganz offensichtlich aus dem ostwestphälischen Wallenbrück. Sein Vater, der Schneidermeister Heinrich Brandtmann führte dort ein Kolonialwarengeschäft, das er im Herbst 1924 aufgeben mußte, nachdem im Februar 1922 seine Frau Frederike verstorben war.
Möglicherweise erhielt Gustav Brandtmann zunächst eine Ausbildung als Volksschullehrer in Schildesche (heute Bielefeld), wo er im März 1918 als Absolvent der dortigen Präparandenanstalt aufgeführt ist [Vgl. Westf. Ztg. v. 16. März 1918.]. Einige Jahre später ist er als Kaufmann in Siegmar bei Chemnitz in der Louisenstraße 1 (heute Curiestraße) nachweisbar, wo er sich auf die Stahlbranche spezialisiert hatte. Er war im Jahre 1929 zum Prokuristen der Leipziger Firma Backhaus & Langensiepen bestellt worden [Vgl. Deutscher Reichsanzeiger Nr. 67 vom 20. März 1927.], ein Hersteller und Großhändler für Eisenwaren. Bereits im Jahre 1926 war er Prokurist der Bremer Firma Nordstahl AG gewesen [Vgl. Deutscher Reichsanzeiger Nr. 67 vom 20. März 1927.] sowie 1933 in deren Vorstand aufgestiegen [Vgl. Sächsicher Staatssanzeiger Nr. 76 vom 31. März 1926.]. Noch kurz vor der Kristallnacht war er Prokurist bei der Chemnitzer Zweigniederlassung der Düsseldorfer Firma Schmolz & Bickenbach geworden [Vgl. Deutscher Reichsanzeiger Nr. 223 vom 24. September 1938].
Aus Zeitungsannoncen in den "Dresdner Neuesten Nachrichten" des Jahres 1940 ist ersichtlich, daß Brandtmann zunächst Personal für die Verwaltung des weiterhin sehr erfolgreichen Betriebes zu requirieren versuchte. Im Gegensatz zu Franz Kochmann, der auch ein gewisses technisches Können und Urteilsvermögen gehabt zu haben schien, hat sich Brandtmann aber offenbar ausschließlich auf die Geschäftsführung konzentriert. Die Konstruktionsverantwortung lag nun offenbar ganz und gar bei Arthur Schlaubitz, der bereits unter Kochmann der zentrale Konstrukteur gewesen sein wird (der von Hummel angegebene Vorname ist Otto ist falsch). Schlaubitz hatte nach 1945 eine eigene Werkstatt zur Herstellung und Reparatur von Kameras und anderer mechanischer Geräte in der Dresdner Nagelstraße 8.
Selbst in den Jahren 1940 bis 1943 sind noch Patentanmeldungen nachweisbar. Interessanterweise wurden im Korelle-Werk mitten im Krieg Lösungsmöglichkeiten für dasselbe Problem erarbeitet, an denen zur gleichen Zeit Karl Nüchterlein nur wenige hundert Meter entfernt tüftelte: Am Funktionsprinzip eines kamerainternen Belichtungsmessers, das wir heute als Innenlichtmessung kennen. Leider existiert hiervon offenbar nur noch ein französisches Patent Nr. 890.808 vom 8. Februar 1943. Dort ist eine deutsche Patentanmeldung vom 25. September 1942 als Priorität aufgeführt, die aber leider nicht auffindbar ist. Anhand der Zeichnungen ist aber gut erkennbar, wie das Selen-Element wegklappbar hinter dem Objektiv angeordnet war, wie der dazugehörige Mechanismus mit dem Spiegel gekuppelt werden sollte und wie die Meßanzeige als Teil des Lichtschachtes konzipiert worden ist, die im aufgeklappten Zustand bequem abgelesen werden konnte. Diese sogenannte Elektro-Korelle erschien jedoch nicht mehr auf dem Markt.
So war die letzte Innovation vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Reflex-Korelle III. Sie zeichnete sich durch einen weiterentwickelten Schlitzverschluß und ein Schnellwechselbajonett anstelle des bisherigen Gewindeanschlusses aus. Filmtransport und Verschlußaufzug benötigten nur noch einen einzigen Hebelschwung. Äußerlich fiel die Verchromung von Front und Deckkappe auf, die ganz dem Trend der Zeit folgte, der zuvor von der Ihagee oder Zeiss Ikon vorgegeben worden war. Die bald einsetzende Kriegswirtschaft verhinderte jedoch, daß diese perfektionierte Kamera noch eine größere Verbreitung finden konnte.
5. Neuanfang: Die Meister-Korelle
Die Fabrik Brandtmanns, die sich zuletzt in der Augsburger Straße in Dresden befunden hat, wurde im Februar 1945 komplett zerstört. Der Besitzer versuchte daher, in angemieteten Fabrikräumen wieder anzufangen. Diese befanden sich in der Caspar-David-Friedrich-Straße 39 in Strehlen in den Anlagen der ehemaligen Maschinenfabrik Richard Gäbel (nicht Gebel, wie bei Hummel), die ihrerseits bereits im Sommer 1945 demontiert worden war und im darauffolgenden Jahr enteignet wurde [Vgl. Sächs. Staatsarchiv, Bestand 11659, Maschinenfabrik Richard Gäbel, Dresden, Findbuch.].
Die Angabe bei Hummel, die Firma Gustav Brandtmanns sei bereits Ende 1945 beschlagnahmt und im darauffolgenden Jahr enteignet worden [Vgl. Hummel, Spiegelreflexkameras aus Dresden, 1995, S. 120.], kann so nicht stimmen. Im "Neuen Firmenverzeichnis für Industrie, Handel und Gewerbe" von 1946 ist sie auf Seite 75 in der oben gezeigten Form enthalten. Und selbst im "Sachsenbuch" von 1948 ist Brandtmann noch als "Korellewerk, Bürobedarfkleinhandel" verzeichnet. Ganz so rasch kann er also nicht enteignet worden sein. Tatsächlich ist erst im "Sachsenbuch" von 1949 das Korelle-Werk OHNE Brandtmann verzeichnet.
Das Korellewerk oben im Sachsenbuch 1948, unten dann in der Ausgabe von 1949 erstmals ohne Erwähnung Brandtmanns.
Das ist insofern von Bedeutung, als Hummel und damit auch Blumtritt angeben, ein Korelle-Kamera-Werk in der Schandauer Straße 38 habe unter der Ägide der "Industrieverwaltung 24 OPTIK" die Herstellung des Vorkriegs-Modells der Reflex-Korelle fortgeführt und sie in dieser Form auf der Frühjahrsmesse 1947 gezeigt. Da Herbert Blumtritt ebenso wie Richard Hummel das Belegen ihrer Angaben per Fußnote unbekannt war, können wir heute nicht mehr nachvollziehen, woher beide Autoren ihre Informationen bezogen haben. Es scheint jedoch recht unwahrscheinlich, daß es zur selben Zeit zwei unterschiedliche Korelle-Werke in zwei verschiedenen Straßen Dresdens gab, wobei die eine Korelle-Firma eine Kamera hergestellt hat und die andere nicht. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, daß es 1947 doch noch Brandtmann selbst gewesen ist, der seine höchstwahrscheinlich aus vorhandenen Teilen montierten Kameras auf der Messe gezeigt hat.
Die Verwirrung setzt sich fort mit dem "VEB Werkstätten für Feinmechanik und Optik" WEFO., da auch hier wieder zwei Standorte existieren: Einmal die besagte Schandauer Straße 38 und einmal in der Bergmannstraße 46. Die Erklärung Hummels ist nun, daß die Werkstätte des A. Lorenz, die von einem Max Pfau geführt worden sei, zum 21. April 1948 verstaatlicht wurde. Das Korelle-Werk sei nun eingegliedert worden und dabei sei gleichzeitig der Umzug von WEFO in die Schandauer Straße erfolgt, wo nach der Ansicht Hummels ja das Korelle-Werk schon seit September 1947 beheimatet gewesen sei. Diese zeitliche Abfolge ist nach dem oben über Brandtmann Gesagten jedoch ziemlich zweifelhaft.
Nachdem es einige Rückmeldungen von verwirrten Lesern gab, die nicht nachvollziehen konnten, worauf ich mich beziehe, habe ich mich entschlossen, hier einmal die Ausführungen Blumtritts (oben) und Hummels (unten) zur Nachkriegsgeschichte des Korelle-Werkes gegenüberzustellen. Man muß schon fast Methoden der Komparatistik anwenden, um herauszufinden, von wem genau welche Fehler eingebracht wurden. An Schreibweisen wie "Gebel" statt "Gäbel" kann man ablesen, daß Hummel seine Informationen viel aus Hörensagen bezogen haben muß. Blumtritt übernimmt diese Fehler und baut neue ein, indem er "A. Pfau, Inhaber Max Pfau" statt "A. Lorenz, Inh. Max Pfau" schreibt.
Als sicher ist jedoch anzunehmen, daß hier in der Schandauer Straße tatsächlich im Laufe des Jahres 1949 mit angestammten und neuen Mitarbeitern die neue Meister-Korelle entwickelt und in die Produktion überführt wird. Fakt ist auch, daß diese modernisierte 6x6-Reflexkamera auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1950 vorgestellt wurde [Vgl. Fotografie 4/1950, S. 92/93.].
Diese Weiterentwicklung war aber zugleich halbherzig wie überambitioniert. So wurde einerseits am völlig veralteten Hubspiegel-Konzept festgehalten, das dem Konstrukteur wie gesagt aufwendige mechanische Kopplungseinrichtungen zur Rückführung des Reflexspiegels ersparte, allerdings zu dem Preis, daß er sich bei längeren Verschlußzeiten und bei Selbstauslöseraufnahmen Probleme mit dem vorzeitigen Rückfallen des Spiegels einhandelte. Andererseits hat Pfau versucht, auf dieser angestaubten Grundkonzeption basierend den Verschluß der Kamera auf sehr moderne Weise durch ein einziges Hemmwerk anzusteuern.
Der durch dieses Hemmwerk gesteuerte Schlitzverschluß der Meister-Korelle ließ jedoch wohl kaum eine qualitativ konstante Fabrikation zu. Es sind für mich keinerlei konstruktiv vorgesehene Justierstellen ersichtlich. Die Montage und der Abgleich der Kamera scheinen auf rein handwerkliche Art und Weise vor sich gegangen zu sein, bei der die Messinghebelchen und Federn nach Erfahrung gebogen wurden, bis die Kamera lief. Wie gern würde ich siebzig Jahre in der Zeit zurückreisen und einem damaligen Monteur bei dieser Arbeit zuschauen. Eine reproduzierbare Justage und insbesondere eine profitable Massenfabrikation werden auf dieser Grundlage jedenfalls nicht erreicht worden sein.
Angesichts dieser grundsätzlichen Probleme half es auch nichts, daß die Produktion dieser Kamera an die erfahrenen Welta-Kamerawerke abgeschoben wurde. Man hätte die Korelle eben gerne weiterhin als "Master Reflex" in die USA exportiert, wo man sie zu Preisen bis zu 200 Dollar verkaufen konnte. Als letzte Hoffnung wurden die vorhandenen Teile den Kamerawerken Niedersedlitz übergeben [Vgl. Blumtritt, Dresdner Fotoindustrie, 2000, S. 148.], die sich zu Beginn der 50er Jahre zur innovativsten Kamerabauanstalt der DDR entwickelt hatten. Doch Siegfried Böhm soll die Produktionsübernahme als hoffnungslos abgelehnt haben. Man kann sagen, aus einer tiefgreifenden, ganz und gar nicht halbherzigen Revision des Grundprinzips der Meister-Korelle ist ab 1954 die Praktisix hervorgegangen, die als Pentacon Six und Exakta 66 zu einer der erfolgreichsten Mittelformat-Spiegelreflexkameras aller Zeiten werden sollte.
Aus dieser Annonce wird offenbar, daß der Grundkörper der Meister-Korelle im VEB Weißensee-Druckguß in Berlin hergestellt wurde. Daraus läßt sich wiederum schließen, wie exklusiv diese Technologie damals noch gewesen ist und daß sie nicht jeder Betrieb beherrschte. Es ist aber auch nicht auszuschließen, daß auch die Grundkörper anderer Dresdner Kameras hier gegossen wurden, und zwar bis in die 80er Jahre hinein.
So eine Meister-Korelle ist schon ein uriges Gerät, wie das folgende Video zeigt. Die Hubspiegelmechanismus fasziniert aus heutiger Sicht und macht die Bedienung dieser Kamera zu einer Besonderheit.
Die Bilder unten sind alle mit der Meister-Korelle und dem Trioplan 2,8/100mm entstanden. Der verwendete Farbumkehrfilm war freilich ein wenig überlagert... ;-)
Die folgenden Schwarzweißaufnahmen sind hingegen mit der obigen Reflex-Korelle IIa angefertigt worden. Das einfache Triplett "Ludwig Victar" hat mich in jeder Form überrascht. Harmonisch weich bei offener Blende (s. Portrait unten) aber scharf und kontrastreich bei mittlerer Abblendung. Das hatte ich bei diesem mehr als 80 Jahre alten Objektiv so nicht erwartet.
Selbst in höchsten Hollywood-Kreisen hatten Reflex-Korelle und Master Reflex ihre Anwenderschaft gefunden.
Marco Kröger
letzte Änderung: 15. Februar 2025
Yves Strobelt, Zwickau
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