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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Pancolar 1,8/80
Spätes und gleichsam seltenes Portraitobjektiv des VEB Carl Zeiss Jena
Lichtstarke Objektive für die Kleinbildkamera, deren Brennweite etwa um die Hälfte länger ist als die sogenannte Normalbrennweite, haben eine lange Tradition. Das erste Objektiv dieser Art dürfte das Hektor 1,9/7,3 cm für die Leica gewesen sein. Von Meyer in Görlitz gab es in den 30er Jahren ein Primoplan 1,9/75 mm und von Zeiss Jena ein Biotar 1,5/75 mm für den neuartigen Typus der Kleinbild-Spiegelreflexkamera. Die etwas längere Brennweite wurde aufgrund ihres eingeengten Bildwinkels bevorzugt, um das Motiv aus einem Wirrwarr an Details herauszutrennen oder der günstigeren Perspektive im Nahbereich wegen. Durch die geringe Schärfentiefe ergab sich zudem die Möglichkeit, gekonnt einen gezielten Schärfepunkt im Bild zu setzen und damit eine besonders plastische Bildwirkung zu erzielen. Ich vermute, diese besonderen Eigenschaften wurden aber erst im Nachhinein entdeckt. Der Ursprung der etwas verlängerten Brennweite lag in Fällen wie dem Hektor und dem Biotar eher darin, daß allein schon die Baulänge der gesamten Optik eine kürzere Brennweite gar nicht zuließ. Diese sogenannten Portraitbrennweiten entwickelten sich jedenfalls bei Kennern rasch zu einem äußerst wichtigen Objektivtyp.
Seit dem Auslaufen des veralteten Biotars 1,5/75 mm in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre und der nichterfolgten Serienproduktion des Pancolars 1,4/75 mm gab es allerdings von Zeiss Jena kein solches lichtstarkes Portraitobjektiv mehr. Einzig das Biometar 2,8/80 mm in der Kleinbildvariante (Rechnung von 1948) wurde bis Mitte der 60er noch in geringen Mengen für Exakta und M42 gebaut. Als nach 1975 auch noch das Görlitzer 2,8/100 mm auslief, gab es kein solches Objektiv mehr im Angebot der DDR Photoindustrie.
Von den Photo-Amateuren werden jene Objektive im Brennweitenbereich zwischen etwa dem 1,5- bis 2-fachen der Normalbrennweite allerdings meist etwas geringeschätzt. Sie wollen lieber ein „richtig langes Tele“ mit mindestens 135 mm Brennweite haben. Die Argumente der Kenner, daß diese kleinen Fernobjektive die Tiefenstaffelung des Raumes auf mittlere Distanzen sehr gut wiedergeben und unwichtige Nebensächlichkeiten ausblenden, ziehen meist nicht. Den Amateur stört vielmehr, daß er Schwierigkeiten hat, „alles drauf“ zu kriegen. Als erfahrener Anwender weiß man aber automatisch, wo man zu stehen hat, um die volle Szenerie zu erfassen. Das läuft meist auf einen Aufnahmestandpunkt hinaus, der 2…3 Meter weiter weg liegt, als mit dem Normalobjektiv – und gerade aus diesem Standpunktwechsel ergibt sich ja erst die günstige perspektivische Wirkung dieser Objektive. Ganz zu schweigen natürlich, was diese Objektive mit dem Bildhintergrund anstellen, wenn sie weit geöffnet eingesetzt werden. Dieser versinkt oft regelrecht in Unschärfe. Insbesondere in der Portraitphotographie verhindert man auf diese Weise, daß dem Portraitierten hinter ihm befindliche Äste oder Strommasten regelrecht aus dem Kopfe zu „entwachsen“ scheinen. Im Gegenteil: Bei geschickter Anwendung dieser Objektivtypen werden Bestandteile des Hintergrundes in harmonischer Weise völlig in ihrer Struktur aufgelöst, ohne daß jedoch die Erkennbarkeit des Sujets völlig verloren geht. Kurz gesagt: Bei solchen Portraitobjektiven handelt es sich um herausragende Werkzeuge in der photographischen Praxis, deren Gebrauch aber geübt sein will und deren Potential sich dem Anwender nicht leicht erschließt.
Das Pancolar 1,8/80 mm - oben mit M42-Gewinde und Blendenelektrik und unten als Prakticar 1,8/80 mm in Praktica B-Fassung
Aus diesem Grunde konnten solche Portraitbrennweiten also nie zu einem ähnlich großen Verkausschlager werden, wie im Vergleich dazu die sehr beliebten Teleobjektiven mit 135 oder 200 mm Brennweite – zumal wenn das zugehörige Kamerasystem in erster Linie für den Amateur ausgelegt war. Das lag freilich auch an den vergleichsweise hohen Preisen dieser lichtstarken Portraitobjektive. Zeiss Jena hatte offensichtlich lange Zeit kein Interesse, einen Nachfolger für die oben bereits aufgeführten Vorgänger zu schaffen. Das änderte sich erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre, als ein solches Objektiv aufgrund des Konkurrenzdruckes aus Japan nun einfach zum Portfolio gehörte. Außerdem kam hinzu, daß bei Zeiss Jena Mitte der 70er Jahre mit den vereinheitlichten Anschlußstücken endlich auch eine neue mechanische Basis für den Fassungsaufbau gelegt worden war, der eine neue Linie von Objektiven wahlweise mit elektrischer Blendenwertübertragung erlaubte. Am 30. April 1976 wurde daher die optische Konstruktion eines Pancolars 1,8/80 mm fertiggestellt, das auf dem Grundaufbau des bekannten Normalobjektivs von Wolf Dannberg und Gerhard Risch aus dem Jahre 1967 basierte. Die Serienfertigung begann schließlich im Spätsommer 1977.
Trotz der um 60% längeren Brennweite, konnte die hohe Bildqualität dieser Konstruktion aufrechterhalten werden (was zudem der geringeren Bildwinkelausnutzung zu verdanken ist). Auch hier handelt es sich wieder um ein Objektiv, bei dem ein Optimum zwischen Aufwand und Leistung gefunden wurde. Es gibt vergleichbare Objektive, die auf höchstmögliche Leistung bereits bei offener Blende getrimmt sind, die dann aber meist auf der Grundlage sehr teurer Spezialgläser fußen. Das Pancolar 1,8/80 mm war zwar mit 595,- Mark (828,- Mark für Praktica B) auch nicht gerade billig für DDR-Verhältnisse. Allerdings lag das Problem viel eher darin, daß es schon seinerzeit schwer zu bekommen war, denn es wurden in anderthalb Jahrzehnten lediglich ca. 11.000 Stück für M42 und gar nur 4700 Stück für Praktica-Bajonett gefertigt. Davon dürfte zudem die überwiegende Mehrzahl in den Export gegangen sein.
Oben mit dem Pancolar 1,8/80 an der Praktica EE3, unten mit dem Prakticar 1,8/80 an der Praktica BX20
Jedes Mal nur etwa eine Stufe abgeblendet.
Marco Kröger
letzte Änderung: 26. April 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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