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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Überholen ohne einzuholen?
Die vollautomatische Amateurkamera
PRAKTI
Diese Kamera und ihre Epoche – der Start in die 1960er Jahre – markieren den größten Umbruch der Mitteldeutschen Photoindustrie seit den späten 20er Jahren. Die Prakti ist in diesem Zusammenhang sowohl als Einzelkonstruktion, wie als Teil eines Gesamtphänomens, meiner Ansicht derart von Bedeutung, daß es mir gerechtfertigt scheint, ihr eine größere Darstellung zu widmen.
Eigentlich wollte ich hier ja in den üblichen Verriß dieser Kamera einstimmen. Unter dem Motto: „der Anfang vom Ende“ oder „das kommt davon, wenn man sich übernimmt“, usw. Und im Grunde genommen stimmt das ja auch. Die Prakti war ein kapitaler Reinfall für den Dresdner Kamerabau, von dem sich die Sparte der hochwertigen Sucherkameras nie wieder richtig erholt hat. Und unter dieser Kategorie ist sie dann auch in die Geschichte eingegangen. Überall steht das so nachzulesen.
Allerdings wäre es nicht sehr weise, über Dinge zu schreiben, von denen man keine rechte Ahnung hat. Und dazu gehört nun einmal, die Kamera, über die man sich auszulassen gedenkt, vorher ausprobiert zu haben. Also wollte ich nicht eher ein endgültiges Urteil fällen, bevor es mir nicht gelänge, wenigstens ein einziges Exemplar dieses Konstrukts PRAKTI wieder zum Laufen zu bringen. Und nun, da dies geglückt ist, bin ich auf einmal verblüfft über die Qualität der Bildergebnisse, die sie abliefert. Eine vorgefertigte Meinung ist unter dem Eindruck der Empirie ins Wanken geraten. Damit dürfte klar sein, daß die Prakti an dieser Stelle ambivalent zu betrachten ist.
Die Prakti im Landschaftsmodus. Das bedeutet, daß sich bei einer vorgewählten Verschlußzeit von einer 1/60 Sekunde die Blendenöffnung automatisch einstellt. Später hat man dieses Konzept allgemein als Blendenautomatik bezeichnet. Ein Portra 400 wurde auf 24 DIN belichtet.
Ich danke Herrn Dirk Bonnmann, der mir die Kameras zu diesem Artikel zur Verfügung gestellt hat. Ich hoffe er nimmt es mir nicht übel, daß ich das Verfassen dieses Aufsatzes beinah zwei Jahre vor mir hergeschoben habe...
1. Die Ära der Prakti
Selbst in der kleinen DDR gab es so etwas wie eine Wirtschaftswunderzeit – wenn auch unrühmlicherweise nun gerade durch den Mauerbau ausgelöst. Hatten bis dahin jährlich zwischen einer Viertel- und einer Drittelmillion gut ausgebildeter DDR-Bürger das Land durch Flucht verlassen, so blieb nach dem 13. August nun allen Dagebliebenen gar keine andere Wahl, als sich in diesem verbarrikadierten System einzurichten. Die Menschen konnten ja nichts anderes tun, als hier ihre Kinder zur Welt zu bringen, einer Arbeit nachzugehen, usw. Und wer sich einigermaßen brav fügte, in den wesentlichen Bereichen mitschwamm und in heiklen Fragen lieber den Mund hielt, der konnte in den 60er Jahren vielleicht zum ersten Male einen Urlaub im Ausland verbringen, ein eigenes Motorrad oder sogar einen Trabant kaufen und am Ende des Jahrzehnts standen nicht selten ein Fernseher im Wohnzimmer und ein Kühlschrank in der Küche. Denjenigen DDR-Bürgern, deren prägende Jahre der Kindheit durch die Entbehrungen der Nachkriegszeit dominiert worden waren, muß diese Zeit durchaus als ein großer Fortschritt vorgekommen sein. So jedenfalls hat das die Generation meiner Großeltern empfunden, die in den 60er Jahren junge Leute gewesen sind. So abwegig es uns heute auch vorkommen mag – die Parole der SED, nicht nur rasch zum Westen aufschließen zu können, sondern ihn sogar bald zu übertrumpfen, klang für einen Teil der Bevölkerung zu jener Zeit durchaus plausibel. Auf Kopfschütteln stieß freilich die Behauptung, dieses Übertrumpfen sei ohne einen Einholprozeß möglich. Die dazu nötigen völlig neuen Methoden und Herangehensweisen waren von der verknöcherten Ulbricht-Führung kaum zu erwarten. Auch die fast schon radikale Öffnung der Gesellschaft, durch die die Bundesrepublik seit den späten 60er Jahren so nachhaltig modernisiert wurde, ging an der DDR weitgehend vorbei.
Schon nach kurzer Zeit zeigte sich dann auch, daß ein bloßes Abschotten der DDR von der Konkurrenz des westlichen Systems nicht ausreichte, um Sozialismus und Planwirtschaft erfolgreich werden zu lassen. Der Selbstmord Erich Apels vom Dezember 1965, der sich damit – ob nun aus Mut oder Verzweiflung – der Anprangerung als Sündenbock für die wirtschaftliche Stagnation der DDR und der geplatzten Versprechungen entzogen hatte, geriet genauso zum Fanal, wie die Reaktion des Politbüros auf diesen Zwischenfall: Statt auf dem 11. Plenum Wirtschaftsfragen zu diskutieren, wurde die Choreographie eilig zu jenem berüchtigten Rundumschlag gegen die Kulturschaffenden umgestaltet. Eigentlich hätte man ja die gesellschaftlichen und ökonomischen Widersprüche des Landes diskutieren müssen. Aber diese Diskussion wurde abgewürgt. Es galt, die Macht der Partei zu sichern und auszuweiten. Wer hätte damals gedacht, daß es noch 25 Jahre so weiter gehen würde.
Den Satiriker Ernst Röhl brachte Anfang der 60er Jahre unter anderem folgende, harmlos scheinende Szene wegen "staatsfeindlicher Hetzte" in den Knast:
Kommt ein Kunde in ein Schuhgeschäft. „Haben Sie Stiefel?“ „Nein, Stiefel haben wir nicht.“ „Haben Sie Halbschuhe?“ „Nein, Halbschuhe haben wir nicht.“ „Herr Gott, haben sie wenigstens ein Paar Sandalen?“ „Nein, Sandalen haben wir nicht.“ „Gut, dann müssen wir Westdeutschland eben barfuß überholen.“
Diese 60er Jahre sind also unheimlich zwiespältig zu beurteilende Jahre. Es war vielleicht die beste Zeit, die die DDR je erlebt hat, und gleichzeitig traten bereits alle späteren Probleme deutlich zutage. In Hinblick auf die Kameraindustrie bedeutet dies: In den 60er Jahren war fast die gesamte Branche verstaatlicht worden. Es gab daher keinerlei private Initiative mehr, keine Marktmechanismen, keine Entscheidungen auf „kurzem Wege“. Stattdessen wurde der Dresdner Kamerabau in der zweiten Hälfte der 60er Jahre zum Kombinat umgebaut und damit völlig der Kontrolle durch Plankommission und Partei unterstellt. Als Folge daraus ergab sich, daß das gesamte Produktionsprofil auf solche Geräte konzentriert wurde, die besonders hohe Absatzchancen auf westlichen Märkten versprachen, damit die DDR mit ihnen ihre Devisenbilanz aufbessern konnte. Der Bedarf des durchschnittlichen DDR-Bürgers spielte demgegenüber eine immer untergeordnetere Rolle. Diese Produktpolitik führte dazu, daß zu Anfang der 70er Jahre in der DDR quasi keine hochwertigen Sucherkameras für den Amateur mehr gefertigt wurden – jene Kameraklasse also, für die die PRAKTI zu Anfang des Jahrzehnts eigentlich ein neues Zeitalter hätte einläuten sollen.
2. Die Position der Sucherkamera im Portfolio des Dresdner Kamerabaus
Es ist wohl unstrittig, daß in den 1950er Jahren Einäugige Reflexkameras aus Dresdner Fertigung eine – auch international gesehen – herausragende Rolle für sich verbuchen konnten. Die große Dominanz japanischer Spiegelreflexkameras sollte sich erst im Laufe der 1960er Jahre einstellen. Kameras wie die Praktica und die Exakta verkauften sich gut und dienten ja schließlich auch den Konkurrenten als Vorbilder, die diese in teils dreister Manier kopierten. Deutlich anders sah die Situation dagegen im Bereich der Sucherkameras aus. Die kleineren Kamerawerke wie der VEB Belca hatten einfache Kleinbildkameras wie die Beltica herausgebracht, die noch auf Konstruktionen aus der Zwischenkriegszeit aufgebaut waren. Abgelöst wurde sie durch die neukonstruierte Belmira, die für DDR-Verhältnisse einen Fortschritt bedeutete, aber nicht auf internationales Niveau abzielte. Der VEB Zeiss Ikon hatte mit der Taxona eine Kamera wiederaufgelegt, die kurz vor dem Kriege geschaffen worden war. Mit der Pentona folgte nur noch eine ganz einfache Amateurkamera, von der es in der Bunderepublik mindestens ein Dutzend Entsprechungen gab. Mit der Certi versuchte das Certo Kamerawerk den Schritt hin zu einer Kamera mit Belichtungsvollautomatik zu wagen. Diese hochwertig verarbeitete Kamera erreichte jedoch aus Aufwandsgründen technisch gesehen nur ein geringes Niveau. Vergleichbares kann über die Beier-matic der Kamerafabrik Freital gesagt werden. Im Gegensatz zum Spiegelreflexbereich hatte der Dresdner Kamerabau also auf dem Gebiet der Sucherkameras in den späten 1950er Jahren kaum etwas anzubieten, das sich auf den internationalen Märkten hätte gut verkaufen lassen. Genau das war aber eine der Aufgaben der zu Jahresanfang 1959 gegründeten vereinigten Kamera- und Kinowerke.
Interessanterweise hat sich im Zuge der Recherche zur Prakti ergeben, daß es bei der 1957 stark überarbeiteten Altix-Reihe wohl Ansätze gab, diese Sucherkamera in der Perspektive deutlich stärker zur Systemkamera auszubauen, als dies tatsächlich mit den Modellen Altix-n und nb verwirklicht werden konnte. Eine Parallele zwischen beiden Kameras ergibt sich nun durch den Konstrukteur Klaus Hintze, der sowohl für die Altix-n als auch für viele Ideen zur späteren Prakti verantwortlich zeichnet. Allerdings legt die Patentüberlieferung nahe, daß die Arbeiten an einer solchen motorgetriebenen Kamera mit Belichtungsautomatik etwa seit dem Frühjahr 1960 in eine Richtung liefen, die zu einer völlig von bisherigen Geräten abgekoppelten Kamera führten. Daß ein erstes Muster dieser vollautomatischen Kamera dann bereits auf der Herbstmesse 1960 gezeigt wurde, und überhaupt ihr gesamter Werdegang übereilt erscheint, darin könnte unter Umständen die ganze Krux der Entwicklungsgeschichte unserer Prakti gelegen haben.
Ich habe ein Photo der auf der Leipziger Herbstmesse 1960 gezeigten Musterkamera der Prakti gefunden. Beim Vergleich mit der Abbildung im unten wiedergegebenen Messebericht aus der Bild & Ton, Heft 9/1960, S. 258 ist bei genauem Hinsehen erkennbar, daß die Seriennummern der Objektive (Endziffern 507) identisch sind. [Höhne/Pohl, Deutsche Fotothek, Datensatz df_hpm_0011171_002. Die Datierung der SLUB mit "1965.01" ist demnach falsch.]
Aus dem unten im Auszug wiedergegebenen Messebericht lassen sich bereits drei große Belastungspunkte herauslesen, die zum späteren Dilemma der Prakti einen Beitrag geleistet haben: Entwicklung unter Zeitdruck, Vorschußlorbeeren als vermeintliches Spitzenerzeugnis, das "allen vorangeht" sowie die im SED-Staat stets allgegenwärtige ideologische Überprägung, bei der selbst eine Produktneuschöpfung als Beweis für den gelungenen Schulterschluß zwischen Arbeiterschaft und Intelligenz herhalten mußte.
Um es an dieser Stelle vorweg zu nehmen: Ihre übereilt erarbeitete Konstruktion war derart unausgereift, daß die Prakti auch ein Jahr nach ihrer Messepräsentation noch nicht produktionsreif war. Klaus Hintze muß sich noch kurz vor dem Mauerbau in den Westen abgesetzt haben [Vgl. Blumtritt, Prakti, 2002, S16. Letztes DDR-Patent Hintzes vom April 1961.]. Nach einer Überarbeitung unter Herbert Welzel konnte die Prakti erst gegen Ende des Jahres 1961 schleppend in die Serienfertigung überführt werden. Dabei war es wohl alles andere als hilfreich, daß die Montage aus politischen Gründen einem Jugendkollektiv übertragen wurde. Und offenbar nur deshalb, weil über diesen Montageprozeß zu Propagandazwecken offen berichtet werden durfte, ist überliefert, daß im Jahre 1962 bis zu 40% (!) der hergestellten Kameras bei der werkseigenen Endkontrolle aussortiert werden mußten [Vgl. edenda, S. 19.]. Mehr dazu im Abschnitt 7.
3. Vollautomatisch belichtende Kameras auf dem westdeutschen Markt
Seit den späten 50er Jahren hatten die bundesrepublikanischen Firmen Deckel und Gauthier den westdeutschen Kameraherstellern eine Reihe an Zentralverschlüssen anzubieten, mit denen jeweils eine vollautomatische Belichtungssteuerung realisiert werden konnte. Das Arbeitsprinzip dieser Zentralverschlüsse entsprach in den meisten Fällen dem, was wir heute als Blendenautomatik bezeichnen: Die Verschlußzeit wurde vorgewählt und die zugehörige Blende stellte sich je nach Belichtung des Selenelements selbsttätig ein. Dabei unterschieden sich die Typen wie Prontor-Lux, Prontor-matic, Prontormator, Prontormat-S und Compur-Automat usw. unter anderem im Verschlußzeitenbereich und im Steuerungsumfang der Belichtung, was sich anschließend in den unterschiedlichen Preisklassen der mit ihnen bestückten Kameras widerspiegelte. Für uns sind hierbei zweierlei Fakten ausschlaggebend: Erstens mußten sich die westdeutschen Kamerahersteller keine Gedanken um die technischen Lösungsmöglichkeiten für eine Belichtungsautomatik machen – das erledigten die Verschlußhersteller für sie. Zweitens führte genau diese Vielfalt an technischen Lösungen seit Anfang der 60er Jahre zu einer regelrechten Flut an vollautomatisch belichtenden Kameras unterschiedlicher Preisklassen auf dem bundesrepublikanischen Kameramarkt. Zum Teil war das jeweilige Automatikmodell eines Herstellers sogar mit zwei oder drei verschiedenen Automatik-Verschlüssen gleichzeitig am Markt. Unsere Prakti, die unten im beispielhaften „Deutschen Photo Katalog 1963“ ebenfalls mit aufgeführt ist, geht also regelrecht in diesem mannigfaltigen Angebot unter.
In diesem Katalog von 1963 sind übrigens noch keinerlei japanische Geräte enthalten. Es sollte nur wenige Jahre dauern, bis sich dies komplett geändert hatte. Ebenso begannen etwa zwei Jahre später die Photowiderstände die bisherigen Selen-Sperrschichtelemente in Windeseile abzulösen, was wiederum nicht nur neue technische Lösungen im Kamerabau nach sich zog, sondern auch all die oben gezeigten Modelle bereits nach kurzer Zeit wieder vom Markt wischte. Auch westdeutsche Hersteller hatten deshalb arge Probleme, mit der schnelllebigen Entwicklung Schritt zu halten.
Exkurs: Automatik-Verschlüsse in der Bundesrepublik zu Beginn der 60er Jahre
PRONTOR-LUX
Automatische Steuerung der Blendenöffnung im Bereich 1:2,8 bis 22. Fünf Verschlußzeiten zwischen 1/30 und 1/500 Sekunde. Der Haken daran: Jede Verschlußzeit war genau einer Filmempfindlichkeit zugeordnet; und zwar von 12 DIN entsprechend 1/30 Sekunde bis 24 DIN entsprechend 1/500 Sekunde. Daher stand in der Praxis jeweils nur eine einzige der fünf Verschlußzeit zur Verfügung, was die Kamera regelrecht auf das Niveau einer Box herabsinken ließ.
PRONTORMAT-S
Bei diesem Verschluß waren Zeit und Blende in einer Weise zusammengelegt, daß sich eine Art Programmautomatik ergab, bei der sich die längste Verschlußzeit von 1/30 Sekunde bei der größten Blendenöffnung von z.B. 1:2,8 einstellte und die kürzeste von 1/300 Sekunde dementsprechend bei Blende 22. Diese Lösung einer Belichtungsautomatik wurde freilich in der photographischen Praxis als sehr unbefriedigend empfunden, weil sich die kürzesten Verschlußzeiten (Sportaufnahmen!) nur in Verbindung mit den kleinsten Blendenöffnungen einstellten - also quasi nie! Das erkannten auch die Käufer, die beispielsweise die mit diesem Verschluß ausgestattete Rollei-magic in den Läden stehen ließen. Der Filmempfindlicheitsbereich lag allerdings bei weitgespannten 9 bis 33 DIN. Späterhin wurde dieser Verschluß dahingehend aufgewertet, daß sich wenigstens bei abgeschalteter Automatik Zeit und Blende frei wählen ließen. Erkennbar ist dieser verbesserte Prontormat an der auf 1/500 Sekunde verkürzten Belichtungszeit.
PRONTOR-MATIC
Erst bei diesem Verschluß konnte man von einer echten Blendenautomatik mit frei wählbaren Verschlußzeiten sprechen. Diese erstreckten sich von der 1/30 bis zur 1/500 Sekunde bei einem weitgespannten Filmempfindlichkeitsbereich von 11 bis 30 DIN. Zudem waren bei abgeschalteter Automatik Zeit und Blende frei wählbar.
PRONTORMATOR
Speziell für AGFA-Kameras geschaffener Verschluß, bei dem sich immer erst die kürzeste Verschlußzeit (= 1/250 Sekunde) einstellte, bevor sich bei ausreichendem Licht die Blende zu schließen begann. Auch nicht des Rätsels beste Lösung.
COMPUR-AUTOMAT
Wie beim Prontor-matic echte Blendenautomatik mit manueller Zeitvorwahl im Bereich von 1/30 bis zur 1/500 Sekunde und über einen Empfindlichkeitsbereich von 11 bis 32 DIN hinweg. Eine hochwertige Konstruktion; hauptsächlich für die Kodak Retina-Automatik Modelle eingesetzt. Die ganze Belichtungssteuerung war so ausgelegt, daß die zu erwartende Blende auf der Oberseite der Kamera vor-angezeigt werden konnte, wodurch der Kameranutzer trotz Vollautomatik eine vollständige Kontrolle über die Aufnahmeparameter behielt. Mit diesem technischen Stand der Belichtungsautomatik war das Potential der Selenzelle vollständig ausgeschöpft worden.
COMPUR-SPEZIAL
Programmverschluß nach demselben Prinzip wie beim Prontormat-S von Gauthier und daher auch grundsätzlich mit denselben Defiziten. Die Unterschiede lagen aber darin, daß beim Compur-Spezial von vornherein Zeit und Blende bei abgeschalteter Automatik auch freizügig einstellbar waren. Außerdem wurde als kürzeste Verschlußzeit eine 1/500 Sekunde erreicht, die sich freilich im Automatikbetrieb ebenfalls nur im Bunde mit der Blende 22 einstellte und daher noch seltener zu erwarten war, als beim Prontormat-S.
Nach: Foto-Magazin 6/1961, S. 62/63.
4. Das Ansinnen hinter der Prakti
Um zu verstehen, weshalb die Konstrukteure in Ost und West damals so intensiv an solchen automatisierten Kameras arbeiteten, muß man sich noch einmal vor Augen zu führen, was für eine Vielzahl an Meß-, Einstell-, und Denkprozessen die bisherigen Amateurkameras von den Photoamateuren verlangten. Nehmen wir einmal an, in eine Beltica wurde ein Agfacolor Umkehrfilm Ultra T mit 16 DIN Empfindlichkeit eingelegt. Dieser Film mußte nicht nur sehr genau belichtet werden, durch seine vergleichsweise geringe Empfindlichkeit konnte auch nicht allzu weit abgeblendet werden. Trotz der ziemlich kurzen Brennweite des Tessars oder Trioplans von 50 mm mußte daher einigermaßen präzise scharfgestellt werden. Im Nahbereich brauchte man wenigstens ein Maßband, um zu sicherer Schärfe zu gelangen. Sehr beliebte Zusatzgeräte waren auch kleine Entfernungsmesser zum Aufstecken, wie der Certos oder ein Modell von AMF. Der vom Entfernungsmesser abgelesene Wert mußte dann auf die Skala am Meterring des Objektives übertragen werden. Danach mußte die Belichtung gemessen werden. Auch dieser Meßwert war auf die Kamera zu übertragen. In einem ersten Schritt mußte man sich überlegen, ob man eine kurze Belichtungszeit von beispielsweise 1/250 Sekunde braucht, oder eine längere von 1/50 ausreicht. Danach richtete sich, welcher Blendenwert auf der Rechenscheibe des Belichtungsmessers abzulesen und am Objektiv der Beltica einzustellen war. Unter Umständen mußte jetzt noch der Film transportiert werden. Zusätzlich war ein Handgriff nötig, um den Zentralverschluß zu spannen. Denn der war bei einer Beltica nicht mit dem Filmtransport gekuppelt. Nach all diesen Einstellvorgängen konnte endlich das Motiv anvisiert und ausgelöst werden – vorausgesetzt dasselbe hatte sich nicht mittlerweile aus der eingestellten Schärfezone bewegt oder es hatte sich keine Wolke vor die Sonne geschoben. Diese gesamte Prozedur an Einzelschritten war also nicht nur zeitraubend, sondern überforderte den Photoamateur nichtselten. Vor allem Farbaufnahmen, bei denen einfache Faustregeln wie „Wenn Sonne lacht, nimm Blende 8“ nicht hinreichten, führten auf diese Weise oft zu enttäuschenden Mißerfolgen. Aber auch die modernen Schwarzweiß-Dünnschichtfilme, die prinzipiell sehr scharfe Aufnahmen garantieren konnten, mußten sehr genau belichtet werden, wenn man ihre Vorteile der großen Abzüge oder des genügend großen Spielraumes für Ausschnittsvergrößerungen nutzen wollte.
Mit diesem Problemaufriß vergleichbare grundlegende Überlegungen wird man auch in den neuen Kamera- und Kinowerken kurz nach deren Gründung im Jahre 1959 vorgenommen haben. Man kam wohl zu der Schlußfolgerung, daß eine neuzeitliche Kamera die oben aufgezeigten Meß-, Ablesungs-, Übertragungs-, Spann- und Transportvorgänge deutlich vereinfachen bzw. den Photoamateur gänzlich von ihnen entlasten sollte. Zwar waren in den 50er Jahren in der Bundesrepublik die Zusatzgeräte wie Belichtungs- und Entfernungsmesser schon vielfach in die Kamera eingebaut worden. In einem zweiten Schritt hatten die Hersteller auch bereits den Belichtungsmesser mit der Blenden- und Zeitverstellung und den Entfernungsmesser mit der Scharfstellung gekuppelt. Diese Kameras waren sehr gute Arbeitsgeräte für fortgeschrittene Amateure, die wußten, was Zeit, Blende und Entfernung ist und die nun bei Verwendung der gekuppelten Einstellhilfen sehr schnell und präzise arbeiten konnten. Diejenigen Photoamateure jedoch, für die all diese Parameter „böhmische Dörfer“ darstellten, waren mit den teuren vollgekuppelten Kameras hingegen manchmal noch stärker überfordert, als mit einem einfachen Knippskasten. Das führte im Laufe der 50er Jahre dazu, daß die Photoindustrie mit ihren immer komplexeren Kameras diesen großen Käuferkreis gar nicht mehr erreichte.
Die Hersteller hatten daher auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges erkannt, daß eine neue Klasse von Sucherkameras geschaffen werden müsse, die ähnlich gute und sichere Bildergebnisse liefern könne, wie die vollgekuppelten Spitzengeräte. Restliche und unvermeidbare Einstellvorgänge müßten aber auf eine Ebene gebracht werden, die auch von einem phototechnischen Laien zu bewerkstelligen wären. Bei der Prakti ging dabei die Überlegung davon aus, die Entscheidungsfindungen des Anwenders wegzubringen von Zahlenwerten und Phototechnik hin zu der Frage: „Welches Motiv will ich eigentlich aufnehmen?“
Bei der Prakti wurde versucht, die Aufnahmeparameter Zeit, Blende und Entfernungseinstellung so zusammenzufassen, indem bestimmte Motivgebiete gebildet wurden. Zu den charakteristischsten Merkmalen der Prakti gehört daher auch ihr "Motivregister". Mit einer Drehung des breiten Einstellringes am Objektiv wurden entsprechende Motivgebiete vorgewählt und auf der Oberseite der Kamera angezeigt. Im Inneren der Kamera waren damit natürlich umfangreiche Verstellungen verknüpft. Erfinder dieser Anzeige waren Klaus Hintze und Günter Hausmann, die ihr Patent Nr. DD26.898 am 11. Juli 1960 angemeldet hatten.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Klaus Hintze seine Inspiration für die Prakti sehr wesentlich aus der Dacora-matic 4 D geschöpft hat, die 1960 von der Firma Dangelmaier in Reutlingen herausgebracht worden war. Diese Kamera wies gleich vier separate Auslösetasten auf, um damit je nach Motivgebiet die entsprechenden Entfernungsbereiche vorzuwählen. Diese Drucktastenbedienung wird ausdrücklich im oben gegannten DDR-Patent Nr. 26.898 erwähnt und gleichsam deren Nachteile erläutert. Zu diesen gehörte nach Ansicht Hintzes neben dem unverhältnismäßigen getrieblichen Aufwand für eine derartige Entfernungseinstellung per Drucktaste auch die Tatsache, daß die Kamera stets umgedreht werden mußte, um die richtige Taste zu finden. Die an sich intuitiv wirkende Einstellmethode über Tasten verleite aber zur Blindbedienung, die die Gefahr einer Fehleinstellung in sich berge, wenn sie nicht ständig intensiv geübt werde. Hintze nahm die offensichtlichen Defizite dieser Dacora-matic zum Anlaß, die Vorwahl des Motivbereichs bei seiner Lösung nicht nur bequem von oben ablesbar zu gestalten, sondern durch einem um das Objektiv angeordneten Schaltring auch eine unvergleichlich einfachere Verknüpfung mit der Entfernungseinstellung zu verwirklichen, wie ich das weiter unten in Punkt 5.8 erläutern werde. Und weil die Dacora-matic 4 D nur mit dem einfachen Prontor-Lux ausgerüstet war, gab es bei ihr ohnehin keine Verknüpfung der Motivwahl mit der Belichtungsautomatik. Auch in dieser Hinsicht sollte sich die Prakti deutlich von ihr unterscheiden.
Erfinder dieser Scharfstellung per Drucktasten war übrigens Johannes Gottschalk, der seine recht aufwendig geratene Lösung am 21. November 1959 in der Bunderepublik zum Patent angemeldet hatte [Nr.DE1.120.264].
5. Die technische Evolution der Prakti
5.1 Motorantrieb
Es sieht so aus, als seien die ersten Schritte hin zu einer automatisierten Kamera von der Idee ausgegangen, einen für den Filmtransport und das Verschlußspannen nötigen motorischen Antrieb auch für das Einstellen der Belichtung vorzusehen. Das zumindest läßt sich aus Patenten herauslesen, die federführend durch Klaus Hintze im Winter und Frühjahr 1960 angemeldet wurden. Dazu muß vorausgeschickt werden, daß Hintze (zusammen mit Kurt Heinze) zuvor im Jahre 1957 den Umbau der Altix hin zu einem mit dem Filmtransport gekuppelten Verschlußaufzug bewerkstelligt und dazu ein entsprechendes Getriebe entwickelt hatte. Er war also mit dieser Problematik stark vertraut und wollte nun offenbar einen Schritt weiter gehen.
Hintzes erstes Richtung Prakti abzielendes Patent Nr. DD26.879 vom 30. Januar 1960 beschäftigt sich beispielsweise mit dem kleinen Problem, wie bei zu schlechten Lichtverhältnissen zu verhindern sei, daß man trotzdem den Auslöser durchdrücken kann. Bislang brauchte man dafür eine mechanische Sperre, die von dem dünnen Zeiger des Drehspulinstruments hätte betätigt werden müssen, was diesen beschädigt hätte. Dadurch daß ein Elektromotor nicht nur den Filmtransport und Verschlußaufzug, sondern auch Belichtungsautomatik antreibt, mußte nun lediglich ein Kontakt zum Elektromotor unterbrochen werden, um ein Auslösen zu verhindern.
In einem weiteren Patent Nr. DD27.306 vom 18. März 1960 hatten Klaus Hintze und Wolfgang Reiher sogar geplant, mit diesem Motor den Objektivschneckengang zum Scharfstellen antreiben. Diese auf das Vorbild einer entsprechenden westdeutschen Kamera reagierende Erfindung wurde in der Prakti allerdings nicht realisiert.
Eine der wichtigsten Schutzanmeldungen zur Prakti verbirgt sich dagegen hinter dem DDR-Patent Nr. 27.678 vom 25. Mai 1960 bzw. seinem bundesdeutschen Pendant Nr. DE1.117.997 vom 27. Mai 1960. Einmal deshalb, weil es für den Aufbau der Kamera wichtig ist und andererseits, weil es offenbar die jungen Kamera- und Kinowerke Dresden damals gewaltig in Aufruhr versetzt hat. Klaus Hintze stand vor dem Problem, irgendwo in seiner motorisch angetriebenen Kamera den recht voluminösen Elektromotor unterbringen zu müssen. Hans Schwartz vom Hamburger Kamerahersteller Iloca war 1956 auf die Idee gekommen, den Motor innerhalb der Aufwickelspule für den Film anzuordnen, um Platz zu sparen [DBP Nr. 1.027.981 vom 14. Dezember 1956, Hans Schwartz]. Bei seiner Lösung waren allerdings zusätzliche Schleifkontakte für die Stromzuführung zu dem sich als Aufwickelspule insgesamt drehenden Motor notwendig. Bei geringen Betriebsspannungen stellen aber alle zusätzlichen Kontakte aufgrund von Übergangswiderständen immer ein großes Problem dar.
Hintze kam nun ohne solche zusätzliche Kontakte für die Stromzuführung zum Motor aus, weil sich bei seiner Lösung nicht der gesamte Motor drehte, sondern nur der sogenannte Rückschlußring. Ein solcher ferro-metallischer Rückschlußring (Teil 2 in der Patentabbildung oben) ist bei einem Gleichstrommotor nötig, um den magnetischen Fluß zwischen den Permanentmagneten zu gewährleisten. Nur dadurch kann der Motor ein gutes Drehmoment entwickeln. Normalerweise trägt dieser metallische Mantel auch die Permanentmagnete. Diese hatte Hintze aber in einem separaten Stator aus Kunststoff integriert, der sich innerhalb des Rückschlußringes befand, ohne aber wie sonst üblich mit dem Metallmantel fest verbunden zu sein. Hintze hatte damit also einen permanenterregten Gleichstrommotor geschaffen, bei dem sich der äußere Metallmantel um die inneren Permanentmagnete drehen und auf diese Weise neben der nötigen magnetischen Rückschlußfunktion gleich noch die Rolle als Filmaufwickelspule übernehmen konnte. Dazu war der Stahlmantel einfach mit einer Filmklemmfeder versehen. Der Antrieb dieser Aufwickelspule erfolgte über das im Bild unten sichtbare große Zahnritzel, das über eine Rutschkupplung mit dieser Spule verbunden war.
Die ganzen Probleme mit diesem Motorpatent scheinen nun aus einer ungeschickten Formulierung herzurühren, die den Erfindungsgedanken Hintzes nicht ausreichend von den Schutzansprüchen der Iloca GmbH abgrenzte. Das letztlich erst im August 1972 erteilte Patent weist deutliche textliche Abweichungen von der Auslegeschrift vom November 1961 auf. Das deutet darauf hin, daß die Kamera- und Kinowerke Dresden die Formulierungen im Nachhinein ändern mußten, um nicht mit der Erfindung Hans Schwartz' in Konflikt zu geraten. Nach Blumtritt waren dessen Patente nach dem Konkurs der Iloca-Werke an das Agfa Camerawerk München übergegangen [Vgl. Blumtritt, Prakti, 2002, S30.]. Das Prakti-Motorpatent lag also gewissermaßen für mehr als ein Jahrzehnt "in der Schwebe". Aus der Tatsache heraus, daß es am Ende doch noch dem VEB Pentacon Dresden (bzw. für die Elbe-Kamera-GmbH) zugesprochen wurde, erscheint es unverständlich, weshalb Blumtritt noch 30 Jahre später behauptete, daß der Dresdner Kameraindustrie in der Ausenandersetzung mit dem Agfa Camerawerk ein Schaden von 100.000 Mark entstanden wäre.
Es sollte auch nicht verschwiegen werden, daß dieser in Plastik gelagerte Motor sich später als wesentlich mitverantwortlich für die große Ausfallrate der Prakti herausstellen sollte. Das Anlaufmoment bei lediglich 3 Volt Bemessungsspannung erwies sich als zu groß angesichts schwergängiger Filmpatronen und störrischer Filme bei tieferen Temperaturen. Der Hauptgrund für diese häufigen Transport- und Spannprobleme lag aber in den damals katastrophal schlechten Zink-Kohle Batteriezellen der Bauform Mignon bzw. Gnom, die meist schon nach kurzer Lagerung einen so großen Innenwiderstand aufwiesen, daß der Motor gar nicht erst anlief. Mit den heutigen Alkalinezellen ist das kein Problem mehr.
Ein zweiter fataler Grund für den Ausfall des motorischen Antriebs lag darin, daß dieser von Piko (bzw. EIO) zugelieferte Motor einzig und allein an einem Zapfen im Kameragehäuse befestigt war, der ebenfalls aus Plastwerkstoff bestand. Damit hatte dieser Zapfen nicht nur das gesamte Drehmoment abzustützen, sondern wurde auch stark von den Rüttelbewegungen des Motors bzw. der Aufwickeltrommel belastet. Die Folge war eine klassische Sollbruchstelle, an der dieser Zapfen dann auch regelmäßig abbrach. Unter anderem dieser Fehler machte die Prakti zu einem häufigen Gast in den Reparaturwerkstätten.
5.2 Kontaktbaugruppen
Eng verknüpft mit dem elektromotorischen Antrieb waren die zugehörigen Kontakte für die Motorsteuerung. Am leichtesten verständlich dürfte dabei sein, daß der Elektromotor nach dem Transport einer Bildbreite abgeschaltet werden mußte. Dazu wurde von der Perforation ein entsprechendes Zahnrad mitgenommen. Waren acht Perforationslöcher transportiert, wurde der Strom zum Elektromotor durch öffnen eines Kontaktes im Bodenraum der Kamera unterbrochen. Wurde nun ein Bild gemacht, so wurde vom abgelaufenen Verschluß ein zweites Kontaktpaar geschlossen, das den geöffneten Kontakt im Bodenraum gewissermaßen überbrückte, damit der Motor für den Filmtransport und das Verschlußspannen anlaufen konnte. Der laufende Motor wurde dann wieder durch den Kontakt im Bodenraum abgeschaltet, sobald Filmtransport und Verschlußaufzug abgeschlossen waren.
Der Kontakt im Bodenraum hatte aber zusätzlich eine zweite Aufgabe zu erfüllen. Eine große Schwierigkeit bei allen automatisch transportierenden Kameras ist das Erkennen des Filmendes. Im schlimmsten Fall könnte der Film aus der Patrone herausgerissen werden, wenn der Motor mit aller Gewalt am Film zieht. Dies war bei der Prakti durch die Rutschkupplung der Aufwickeltrommel ausgeschlossen. Doch hätte dann am Ende des Films die Gefahr bestanden, daß der Filmtransport nicht zuende geführt werden kann und der Motor und die Rutschkupplung im Ernstfall so lange weiterlaufen, bis die Batterien leer sind. Deshalb hatten Klaus Hintze und Günter Hausmann den Kontakt im Bodenraum der Kamera so ausgelegt, daß er auch vom Bildzählwerk angesteuert werden konnte. Abweichend von der im Patent Nr. DD28.539 vom 2. September 1960 angegebenen Lösung wurde das Problem in der Prakti letztlich so gelöst, daß das Zählwerk stets rückwärts zählte und beim Zählstand 0 den Motorkontakt öffnete um dessen Stromzuführung zu unterbrechen. Das Zählwerk mußte also beim Filmeinlegen stets auf die maximale Bilderzahl des Filmes eingestellt werden.
Oben sieht man die Kontaktgruppe G107 im Bodenraum der Kamera. Der Kontakt öffnet sich, sobald der Filmtransport beendet ist, sodaß der Motor abgeschaltet wird. Außerdem wird dieser Kontakt zwangsweise offengehalten, wenn das Bildzählwerk den Zählerstand Null erreicht hat, was das Filmende signalisiert.
Unten ist die zweite Kontaktbaugruppe am Verschluß gezeigt. Dieser Kontakt ist Bestandteil des Prestor und wird sofort nach Ablaufen des Verschlusses geschlossen, damit der Motor anlaufen kann. Sobald das Spannen des Verschlusses beginnt, wird dessen Kontakt zwar sofort geöffnet, aber zu diesem Zeitpunkt hat bereits die Kontaktbaugruppe im Bodenraum der Kamera den Stromfluß für den Motor übernommen und führt den Spannzyklus zuende. Für einen gewissen Abschnitt des Spannvorgangs überschneiden sich also beide Kontakte.
Auf den ersten Blick mag es seltsam erscheinen, weshalb man sich sogar diese vergleichsweise simple Kontaktanordnung schützen ließ. Aber sie stellte halt eine grundlegende Lösung für ein konstruktives Problem dar und wie oben im Punkt 5.1 gereits gezeigt, hatten derartige Patente durchaus den Zweck, auch eine noch so naheliegende Lösung einfach für konkurrierende Kameraubaufirmen zu versperren. Man erkennt auch hier wieder die dahinterstehende Eile, möglichst die Ersten zu sein und das noch nicht betretene Neuland für sich zu sichern.
Damit wäre aber auch gleich die Kehrseite der Medaille benannt: So wenig Vorbilder es für solch eine Kamera gab, so wenig Erfahrung hatte man damals offenbar auch mit den eingesetzten Materialien. Um es vorwegzusagen: Neben der Motorbefestigung erwiesen sich die Kontaktbaugruppen als größter Störfaktor für die Prakti, der die Kamera meist schon nach wenigen Jahren vollständig außer Betrieb setzte. Im Bild oben, das den Kontakt G107 im Bodenraum der Kamera zeigt, ist im roten Kreis schon zu sehen, was einem heute fast bei jeder Prakti erwartet, wenn man die Bodenkappe abnimmt: Der Kunststoff, der beide Kontakte im korrekten Abstand hält, ist an einer oder mehreren Stellen gebrochen oder gar regelrecht zerbröselt. Wie beim Motor erwies sich der eingesetzte Kunststoff einfach nicht als ausreichend langzeitstabil. Offenbar wurde das Material durch Verfliegen der Weichmacher rasch spröde. Wie ich weiter unten noch zeigen werde, waren Reparaturen offenbar schon zu DDR-Zeiten nicht mehr möglich, da etwaige auf Lager liegende Kontaktbaugruppen ja ebenfalls aus den frühen 60er Jahren stammten und dementsprechend instabil geworden waren.
Es gibt dazu noch zwei Dinge anzumerken: Erstens ist der Anlaufkontakt des Motors von diesem Problem nicht betroffen, weil er Teil des Prestor-Verschlusses ist und sein Kunststoff auf einem anderen Material basiert (hellblaue Farbe). Die Kontaktbaugruppe G107 gibt es hingegen aus schwarzem und durchsichtigem Plastik, die aber quasi dieselben Stabilitätsprobleme haben. Unter der Voraussetzung jedoch, daß das Material noch nicht völlig zerbröselt ist, besteht eine kleine Chance zur Reparatur. Der hier eingesetzte Kunststoff ist nämlich sehr gut mit bestimmten Klebstoffen verträglich, wie sie im Modellbau eingesetzt werden. Deren Wirkprinzip beruht dabei eigentlich nicht auf dem Verkleben zweier Materialen, sondern darauf, sie anzulösen. Nach dem Verdunsten des Lösungsmittels sind beide Teile dann regelrecht miteinander verschweißt. Auf diese Weise läßt sich mit Glück und Geschick die Kontaktbaugruppe in einer Form retten, wie das oben gezeigt ist. Da derartige Bastelverfahren natürlich nicht für Werkstätten infrage kamen, erklärt sich, weshalb die Prakti schon zu DDR-Zeiten schnell „aus dem Straßenbild verschwunden“ war.
5.3 Spanngetriebe
Daß auf der Herbstmesse 1960 mit Sicherheit zunächst nur ein Prototyp der Prakti vorgestellt worden war, das kann man daraus schließen, daß erst zum 10. April 1961 eine Lösung für das Spannen des Verschlußspannmechanismus zum Patent angemeldet wurde [Nr. DD40.189]. Anstatt eines Kurbelgetriebes hatten Hinze und Hausmann einen Zahnstangenantrieb vorgesehen. Im Gegensatz zu einer Kurbel, die stets automatisch zurückgeführt wird, muß eine Zahnstange in ihrer Bewegung umgekehrt werden. Das geschah durch eine ausrückbare Sperrklinke, wodurch die Zahnstange nach dem Spannen des Verschlusses durch Federkraft in ihre Ausgangsposition zurückschnellte. Eine sehr platzsparende Lösung, die gleichzeitig eine sehr gleichmäßige Drehmomentbelastung des Motors mit sich brachte.
Eng in Verbindung mit dem Patent DD40.189 steht auch DD37.700, das ebenso am 10. April 1961 von Hintze, Hausmann und zusätzlich Werner Frenzel angemeldet wurde. Es beschreibt den unten gezeigten Sperrhebel mit seiner Sperrscheibe, der den Spannmechanismus nach dem Durchlauf eines Spannzyklus stets an derselben Stelle zum stehen bringt. Das war nötig, weil das bloße Unterbrechen des Stromzufuhr des Motors nicht für die nötige Bildstandsgenauigkeit sorgen konnte.
Man muß wohl davon ausgehen, daß die Prakti frühestens in der zweiten Jahreshälfte 1961 in Produktion gegangen ist. Die offizielle Montageanleitung des VEB Kamera- und Kinowerke weist den Fertigungsstand vom 1. Februar 1962 aus. Ich erwähne das deshalb, weil ich es für bemerkenswert halte, daß noch nach diesem Produktionsstart außergewöhnlich viele Schutzrechtsanmeldungen nachweisbar sind, die ein langwieriges Laborieren an den Schwächen der Prakti erkennen lassen. Mindestens genau so bemerkenswert ist dabei die Tatsache, daß der Großteil dieser Nachbesserungen wiederum gar nicht mehr umgesetzt wurde. Wertvoll sind diese Patente für uns aber heute, weil sie als Nebeneffekt ziemlich genau beschreiben, welche konstruktiven Schwächen der Prakti sich im Nachhinein herausstellten. Außerdem ergibt sich das Bild, daß dieses Prakti-Projekt offenbar seinem ursprünglichen zentralen Konstrukteur Klaus Hintze regelrecht aus den Händen genommen wurde. So gibt es bereits vom 22. April 1961 ein DDR-Patent Nr. 43.801 von den ehemaligen Zeiss-Ikon-Leuten Manfred Wießner, Horst Strehle und Walter Hennig, das seinen direkten Bezug auf die Prakti kaum leugnen kann, ohne daß diese Kamera freilich genannt wird. Von „schädlichen Schaltstößen“ und „ungleichmäßigen Bildabständen“ ist die Rede.
5.4 Zusätzlicher Handaufzug
Schon nach kurzer Zeit scheint man zudem erkannt zu haben, welche Probleme ein rein elektromotorischer Filmtransport mit sich bringt. Von Zeitzeugen wird berichtet, daß die damaligen Gnomzellen auf Zink-Kohle-Basis nicht einmal einen Film lang durchgehalten haben. „Es besteht aber bei photographischen Kameras mit elektromotorischem Triebwerk das Bedürfnis, daß beispielsweise bei Störungen des elektromotorischen Antriebs oder auch bei vorzeitigem Verbrauch der als Stromquelle dienenden Batterien trotzdem mit der Kamera photographische Aufnahmen vorgenommen werden können.“ – so steht es unzweideutig in einem DDR-Patent Nr. 31.085 vom 13. September 1962. Herbert Welzel und Heinz Bachmann hatten hierin als Abhilfe für dieses Problem einen zusätzlichen Handaufzug entwickelt, der bei Bedarf ausgeklappt und mit dem bestehenden Getriebe gekuppelt werden konnte. Interessant ist, daß der Co-Entwickler der Prakti, Günter Hausmann, noch als Inhaber des Patentes mitgenannt wird, ohne selbst Erfinder dieses Handaufzugs gewesen zu sein. Verwirklicht wurde diese Lösung indes nicht.
Aber das Problem scheint akut geblieben zu sein, denn ganze zehn Monate später, am 16. Juli 1963, haben Hausmann, Welzel und Bachmann ein Zusatzpatent Nr. 43.802 zur obigen Lösung angemeldet, das uns mitteilt, weshalb jene erste Version des zusätzlichen Handaufzuges damals nicht verwirklicht werden konnte: „Dies liegt hauptsächlich daran, daß der Handaufzug in einem zu engen Abstand neben der Einrichtung zum Entkuppeln des Filmtransportrades angeordnet und hierdurch die Betätigung der zum Entkuppeln vorgesehenen Auslösestange erschwert ist, andererseits eine in einem weiten Abstand voneinander angeordnete Lagerung dieser Einrichtungen wegen des alsdann zusätzlichen Getriebeaufwandes nicht vertretbar ist.“ Aber auch die in diesem Patent gefundene Lösung einer koaxialen Anordnung wurde nicht mehr umgesetzt, weil sie wohl einen zu starken Umbau der Prakti erfordert hätte. Oder aber, weil das Projekt Prakti bereits mausetot war.
Das Sachnummernverzeichnis der DDR-Photoindustrie informiert uns darüber, daß eine Prakti III mit einem erweiterten Filmempfindlichkeitsbereich vorgesehen war sowie dem beschriebenen zusätzlichen Handaufzug.
Im Zusammenhang mit den Nachbesserungen an der Prakti ist auch ein Patent Nr. DD42.609 vom 22. April 1961 zu nennen, mit dem Hennig, Strehle und Wießner mithilfe eines verbesserten Filmzählwerks eine größere Funktionssicherheit des Filmtransportes erreichen wollten. Als größtes Problem ergab sich nämlich, daß bei der Prakti (anders als im oben schon erwähnten Patent Nr. DD28.539 ursprünglich vorgesehen) kein automatisch rückstellendes Bildzählwerk umgesetzt werden konnte, weil es nun einmal Filme mit sehr vielen unterschiedlichen Längen gibt. Daher wurde letztlich ein Zählwerk eingebaut, das händisch auf die maximale Bilderzahl plus zwei Leeraufnahmen eingestellt werden mußte. Wurde dieses Einstellen aber vergessen, kam es am Ende des Filmes zwangsläufig zu Schäden an der Perforation durch das weiterlaufende Transportgetriebe, was beim Rückspulen wiederum leicht einen Filmriß zur Folge haben konnte. Aber auch die Nachbesserung durch Hintzes Kollegen, die ein automatisch rückstellendes Zählwerk mit voreinstellbarer Filmlänge entwickelt hatten, wurde letztlich nicht umgesetzt. Wirklich zuverlässige motorische Filmtransporte konnten erst umgesetzt werden, nachdem man in den 70er Jahren eine elektronische Erkennung des Filmendes durch Überwachung des Motorstromes eingeführt hatte. So etwas war zu Zeiten der Prakti aber noch nicht denkbar.
5.5 Belichtungsautomatik
Während die mechanische Konzeption der Prakti von Klaus Hintze und Günter Hausmann stammt, wurde ihre Belichtungssteuerung offenbar von Werner Hahn und Johannes Weise erarbeitet. Werner Hahn war (oftmals im Bunde mit seinem Bruder Erich Hahn) der Fachmann für Belichtungsmessung und -steuerung im VEB Kamera- und Kinowerke und später bei Pentacon. Die tatsächlich in der Prakti umgesetzte Belichtungsautomatik verlangte allerdings kaum Grundlagenforschung, weshalb es diesbezüglich auch keine Patente gibt. Die Kamera besitzt eine klassische Blendenautomatik, bei der also die Verschlußzeit vorgewählt und die passende Blende dazu vom Belichtungsmesser eingesteuert wird. Daß diese Eigenschaft der Prakti in der Bedienungsanleitung und den Werbeschriften regelrecht verschleiert wurde, darauf gehe ich noch näher im Abschnitt zum Zentralverschluß ein. Die Vorwahl der Verschlußzeit wurde regelrecht in der Motivgruppenwahl versteckt.
In der Abbildung unten ist das recht einfache Funktionsprinzip der Prakti-Belichtungsautomatik gut zu erkennen, das prinzipill nichts Neues darstellte [nach Frielinghaus]. Der vom Lichteinfall auf das Selen-Photoelement abhängige Zeigerausschlag des Drehspulmeßwerks wird von einem Kamm abgetastet, dessen einzelne Abstufungen direkt im Zusammenhang mit der resultierenden Blendenöffnung stehen. Sowohl für die Filmempfindlichkeitseinstellung, als auch um die verschiedenen Verschlußzeiten in die Messung einzubeziehen, wird zusätzlich das Drehspulmeßwerk als Ganzes verdreht. Diese mechanisch sehr aufwendige Bauart war deshalb notwendig, weil der äußerts geringe Strom des Photoelements nicht zum direkten Antreiben von Stellgliedern verwendet werden konnte. Bevor es transistorisierte Meßverstärker gab, war man auf diesen indirekten Weg der Auswertung des Ausschlags eines Meßwerks angewiesen. Dabei ergab sich das Problem, daß die mechanische Abtastung das filigrane, nadelgelagerte Meßwerk stark belastete und langfristig beschädigen konnte.
Dabei gingen die in drei Patenten geschützten Arbeiten Hahns und Weises zur Belichtungsautomatik weit über das in der Prakti umgesetzte Maß hinaus. Sie hatten eine regelrechte Programmsteuerung angedacht – und zwar in genau dem Sinne, wie wir diesen Fachbegriff auch heute noch benutzen. Bei einer Programmautomatik übernimmt die Kamera sowohl wechselweise die Einstellung der Blendenöffnung wie der Belichtungszeit. Im DDR-Patent Nr. 32.418 vom 21. Juli 1961 ist in all dem Wirrwarr an Triebmitteln und Hebeln gut zu erkennen, wie ursprünglich sowohl die Blendenöffnung als auch die Verschlußzeit in Abhängigkeit vom Zeigerausschlag des Meßinstruments gesteuert werden sollte. Möglicherweise war diese Belichtungssteuerung auch für den nie umgesetzten Nachfolger Prakti III vorgesehen.
In einem am selben Tag angemeldeten Patent Nr. DD23.419 war beschrieben, wie die oben dargestellte Belichtungsautomatik für Blitzlichtaufnahmen abgeschaltet werden könne, um die Blendenwerte manuell in die Kamera einzugeben (Zeichnung unten). Auch diese Lösung mit der zusätzlichen Anzeige von Blendenwerten auf der Kameraoberseite wurde in dieser Form nicht umgesetzt.
Aber gerade in Hinblick auf solch eine manuelle Blendeneinstellung wirkte sich besonders negativ aus, daß in der Prakti letztlich aus Aufwandsgründen nur eine sehr vereinfachte Belichtungsautomatik umgesetzt wurde. Eine Möglichkeit des Abschaltens der Blendenautomatik und eine manuelle Vorwahl der Blende war für Aufnahmen mit einem Blitzgerät und bei Langzeitbelichtungen im B-Bereich schlichtweg unverzichtbar. Die tatsächlich bei der Prakti verwirklichte manuelle Blendeneinstellung geriet aber zu einem regelrechten Offenbarungseid für die unausgereifte Konstruktion dieser Kamera. Erstens verlangte man vom Anwender doch tatsächlich, die Einstellung der Filmempfindlichkeit zu verändern, um die Blende manuell festzulegen. Wehe der Amateur vergaß nach dem Blitzen, die korrekte Empfindlichkeit wieder einzugeben. Aber schlimmer noch: Man versäumte obendrein auch noch, diese Blendenwerte auf der Trommel für die Empfindlichkeitseinstellung anzugeben. Jedem vollen DIN-Wert war eine feste Blendenöffnung zugeordnet: Von Blende 4 bei 15 DIN bis Blende 16 bei 27 DIN. Um das in Erfahrung zu bringen, mußte man aber jedesmal in der Bedienungsanleitung nachschlagen! Erst mit der Prakti II, die ansonsten identisch ist, hatte man diesen Fehler behoben und die Blendenwerte mit auf der Empfindlichkeitswalze aufgraviert (wobei es auch Exemplare der Prakti II ohne diese Eigenschaft gibt). Man wollte wohl ursprünglich verhindern, daß der Amateur durch die Blendenwerte verunsichert wird, da die Blendenöffnung im Automatikbetrieb schließlich von selbst eingesteuert wurde. Eine simple Abdeckung, die im Normalbetrieb die Sicht auf die Blendenskala verdeckt und nur bei Blitz- und B-Aufnahmen freigegeben hätte, wäre doch ausreichend gewesen, um solche Verwirrungen zu vermeiden. Doch diese Art der konstruktiven Unterlassungen sorgten bereits für einen Ruf der Prakti als unausgegorene Entwicklung, noch bevor die anschließenden Zuverlässigkeitsprobleme diesen gänzlich zerstörten.
Etwa bei den letzten 10.000 Stück der Prakti hatte man es endlich geschafft, dem Anwender mitzuteilen, welche Blende er bei B- und Blitzaufnahmen eigentlich eingestellt hatte. Diese Kameras wurden dann großspurig PRAKTI II genannt (allerdings uneiheitlich). Am Grundproblem, daß diese manuelle Blendeneinstellung nur über ein Manipulieren am Wert der Filmempfindlichkeit möglich war, deren Rückstellung leicht vergessen werden konnte, änderte sich freilich nichts. [Bild: Benjamin Kotter]
Bleibt nur noch der Vollständigkeit halber ein Patent Nr. DD32.425 vom 28. Juli 1961 zu erwähnen, mit dem Hahn und Weise ihre letztlich nicht verwirklichte Programmsteuerung mechanisch vervollkommnet hatten. Ebenso sollte nicht verschwiegen werden, daß noch am 13. Juni 1963 (!) Herbert Welzel, Johannes Weise und Rolf Noack ein Patent angemeldet hatten [Nr. DD44.584], das unverkennbar auf die oben bereits angesprochenen Schwächen der damaligen Belichtungsautomatiken reagierte. Es hatte sich wohl gezeigt, daß die auftretenden Kräfte beim Abtasten des Zeigerausschlags die empfindliche Lagerung des Drehspulmeßwerks überlasteten. Tatsächlich funktioniert bei vielen Prakti heute die Belichtungssteuerung nicht mehr. Das liegt allerdings nicht wie oftmals angenommen an einer toten Selenzelle, sondern an einem beschädigten Meßwerk. Und die dahinterstehenden Ursachen waren ganz offensichtlich dazumal bereits bekannt.
5.6 Zentralverschluß
Oben habe ich bereits angedeutet, wie sehr das regelrechte Ausschweigen über die tatsächlichen Belichtungszeiten der Prakti auffällt. In der Bedienungsanleitung und den zeitgenössischen Annoncen wird darüber nichts ausgesagt. Das verführte Siegfried Kaufmann und Walter Dreizner in ihrer weiter unten gezeigten Jubelbesprechung über die Prakti gar zu der Angabe „Hochwertiger Zentralverschluß (bis zur 1/500 bzw. 1/750 s)“. Und was soll ich Ihnen sagen, lieber Leser, sogar die offizielle Montageanweisung zur Prakti Sachnummer 127.009 vom 1. Februar 1962 schweigt sich über die Verschlußzeitenwerte beharrlich aus. Allein der Zeiss-Belichtungsmesserexperte Alfred Krohs hat für seinen Aufsatz „Belichtungsmesser und Belichtungsmessung“ in Teichers „Handbuch der Fototechnik“ [2. Auflage, Dezember 1962, S. 300/301.] folgende Zeitwerte in Erfahrung bringen können:
Porträt: 1/30 s
Gruppe: 1/60 s
Landschaft: 1/60 s
Sport: 1/250 s
Blitz: 1/30 s
Das würde ja bedeuten, der mit einem unheimlichen Aufwand entwickelte Durchschwingverschluß Prestor, dessen tragischer Werdegang eine Geschichte für sich ist, wäre in der Prakti auf bloße drei verschiedene Belichtungszeiten abgespeckt worden. Aber genau das ist tatsächlich der Fall. Eigene Messungen an einem Exemplar haben genau diese Abstufungen bestätigt. Der ganze Aufwand, mit dem Durchschwingverfahren kürzere Verschlußzeiten als 1/500 Sekunde zu erreichen, wäre also im Falle der Prakti in völliger Nutzlosigkeit verpufft. Aber es ist wirklich so. In der Prakti wurde eine stark abgespeckte Version des Prestor 00 verbaut. Zwar abgespeckt, aber trotzdem speziell für diese Kamera konstruiert. Es konnte dabei letztlich nur auf die Langzeiten verzichtet werden – Synchron- und Zusatzhemmwerk sind dennoch vorhanden. Als Besonderheit ist außerdem zu erwähnen, daß der Prestor in der Prakti mit seinem charakteristischen Hilfsverschluß Richtung Objektiv – also gewissermaßen verkehrtherum – eingebaut ist. Und daß auf diesen Hilfsverschluß, der nun einmal unbedingt bei einem Durchschwingverschluß benötigt wird, auch bei dieser einfachen Version nicht verzichtet werden konnte, machte den Einsatz bei der Prakti besonders unökonomisch. Hier hätte ein viel einfacherer Zentralverschluß mit hin- und herschwingenden Sektoren vollauf genügt.
5.7 Sucher
Das Suchersystem der Prakti wurde entwickelt von Rolf Jurenz. Dieser Mann sollte später zum führenden Experten für Suchersysteme und Belichtungsmessung werden. Unter anderem war er beteiligt an der Entwicklung der Pentacon Innenlichtmessung mit Lichtkonzentrator. Auch die wunderbare Einstellscheibe mit Tripelmeßkeil für die Praktica B-Reihe stammt von ihm. Es ist wohl letztlich kaum dieser Mann dafür verantwortlich zu machen, daß der Sucher der Prakti ebenso sinnlos überkonstruiert erscheint, wie ihr Zentralverschluß.
Denn Jurenz ging sicherlich davon aus, daß der Sucher einer hochwertigen Sucherkamera ein möglichst großes Sucherbild mit einem sich eindeutig abzeichnenden Sucherrahmen aufweisen müsse. Um dies zu erreichen, bedient man sich am besten der Bauform eines Durchsichtssuchers mit reeller Zwischenbildebene. Jurenz hatte schon mit dem DDR-Patent Nr. 23.826 vom 11. Juni 1959 diesbezüglich erste Erfahrungen gesammelt. Für die Prakti hatte er diesen Sucher von einem Spiegelsystem umkonstruiert auf eine verspiegelte plankonvexe Bildfeldlinse. Diese aufwendige Konstruktion mit reeller Zwischenbildebene hatte den Vorteil, daß genau in dieser Ebene eine exakt das Bildfeld begrenzende Bildfeldmaske untergebracht werden konnte. Außerdem ermöglichte eine sogenannte Einspiegelungsfacette (8') in genau dieser Ebene außerhalb des Bildfeldes den Meßwerkzeiger einzuspiegeln. Dieser war dadurch sowohl scharf abgebildet wie scharf abgegrenzt vom Sucherbild. Meiner Ansicht nach eine grobe Verschwendung von Potential. Denn anstatt hier – wie es durch diesen optischen Aufwand möglich gewesen wäre – eine filigrane Blendenskala einzuspiegeln, die den zu erwartenden Blendenwert angezeigt hätte, war einfach nur der Meßwerkzeiger vor einem gelben Hintergrund zu sehen. Der Photographierende hatte dabei lediglich darauf achten, daß der Zeiger zu sehen war, bevor er auslöste, um sich auf diese Weise zu vergwissern, daß genügend Licht vorhanden war. Dazu hätte man aber nicht diese optisch exakte und stark vergrößerte Einspiegelung des Zeigers gebraucht. Hier hätte durchaus eine farbige Warnmarke genügt. Drei Linsen, ein Spiegel und zwei Glasprismen – eines davon sogar mit Dachkante – waren sehr viel Aufwand für dieses magere Ergebnis. Ein weiterer Grund für den fast unerschwinglichen Endverbraucherpreis, mit dem die fertige Prakti am Ende zu Buche schlug.
Durch seine Auslegung als Sucher mit einem reellen Zwischenbild ergibt sich bei der Pakti die Besonderheit, daß der vordere "Ausguck" des Suchers im Durchmesser sehr klein gehalten werden konnte. Im Gegensatz zu den vielen Sucherkameras, die nach dem Newton'schen Prinzip des virtuellen Zwischenbildes arbeiten, wird die Deckkappe der Prakti also nicht durch ein großes Sucherfenster dominiert.
5.8 Entfernungseinstellung
Die zentrale Konstruktionsidee der Prakti lag darin, die Einstellungen der Kamera an wenigen charakteristischen Motivgruppen auszurichten. Diese Motivvorwahl bestimmte direkt den Wert der Verschlußzeit und den Bereich der Entfernungseinstellung und damit indirekt das Größenmaß an Bewegungsunschärfe sowie natürlich die Schärfentiefe. Man darf an dieser Stelle vorwegnehmen, daß diese von den Konstrukteuren festgelegte starre Verknüpfung von Belichtungszeit und Scharfstellung damals den größten Widerspruch in der Fachpresse hervorrief. Man darf aber ebenso vorwegnehmen, daß diese starre Vorgabe im praktischen Gebrauch der Prakti weniger Probleme verursachte, als man auf den ersten Blick fürchten mag. Zumindest gilt dies, wenn man einigermaßen lichtempfindliche Filme benutzte.
Diese Kupplung der Verschlußzeit mit der Entfernungseinstellung wurde nun auf eine ausgesprochen geschickte und simple Weise bewerkstelligt. Um das Objektiv der Prakti ist der breite Schaltring für die Motivbereiche als zentrales Bedienorgan angeordnet. Im Inneren dieses Schaltringes wird nun ein konzentrisch um das Objektiv gelagerter Ring mitgenommen, auf dem im Abstand von je 120 Grad drei sogenannte Treppenkurven aufgebracht sind. Das axial verschiebbare Objektiv wird dabei mittels drei straffer Federn gegen diese Kurven gedrückt. Die unterschiedliche Höhe der Treppenstufen ergibt dabei die unterschiedlichen Objektivauszüge, die somit den jeweiligen Motivgebieten fest zugeordnet sind. Diese Lösung kam also ohne Schneckengang aus und war mittels dreier Stellschrauben auf sehr einfache Weise justierbar.
Die Entfernungsverstellung der Prakti. Unten ist einmal eine der drei Zugfedern abgeschwenkt, um einen Blick auf die treppenförmige Verstellkurve und den justierbaren Taststift zu ermöglichen.
Diese mit der Zeiteinstellung gekuppelte Entfernungseinstellung ist ein wenig versteckt Bestandteil des Patentes DD27.271 vom 9. Juni 1960 (Unteranspruch 4), das seinerseits das Grundprinzip der Prakti schützte. Als Kuriosum ist zu erwähnen, daß in der DDR-Patentschrift als Erfinder Siegfried Böhm, Werner Hahn, Walter Hennig und Johannes Weise benannt werden, während Klaus Hintze nur in der einen Tag später angemeldeten bundesdeutschen Patentschrift Nr. DE1.181.048 Erwähnung findet.
Auch für diese ursprüngliche Lösung gibt es wieder ein späteres „Nachbesserungspatent“. Hahn, Noack und Weise hatten erkannt, daß eine starre Paarung von Verschlußzeit und Entfernungsbereich nicht immer zweckmäßig sei: „Da mitunter kombinierte Motive wie Sport und Landschaft auftreten und dieser Kombination die Einstellung der Kamera angepaßt werden soll, ist es Aufgabe der Erfindung, eine Relativverstellung zwischen den Einstellern für Belichtungszeit und Entfernung vorzusehen.“ Dieses Patent Nr. 34.201 vom 5. September 1963 wäre möglicherweise Bestandteil einer projektierten Prakti III gewesen, kam jedoch nie in die Serienfertigung.
Schon vom 6. Juni 1963 liegt ein Patent Nr. DD 40.258 vor, das beschreibt, wie diese gegeneinander verschobenen Einstellwerte auf der Kamera anzuzeigen gewesen wären. Hier ging es hauptsächlich darum, die bei der Prakti problematischen Bedingungen für Blitz- und B-Belichtungen zu verbessern. Für eine entkoppelte Einstellung von Blende und Entfernung hätten zusätzliche Sichtfenster die Entfernungsbereiche, Leitzahlen oder Blendenwerte anzeigen müssen. Mit dieser Verkomplizierung wäre ein Gutteil der Grundidee hinter der Prakti, nämlich dem Amateur eine hochwertige Kamera ohne jegliche Skalen und zusätzliche Einsteller zu bieten, freilich wieder zunichte gemacht worden. Man erkennt also sehr gut, wie die Konstrukteure 1963 im Zwiespalt zwischen möglichst weit getriebener Entlastung des Photoamateurs durch Automatisierung und Vereinfachung einerseits, und den vielen Beschränkungen durch diese Vereinfachung auf der anderen Seite gefangen und in eine regelrechte Sackgasse geraten waren, die letztlich darauf hinauslief, daß diese Form der Photokamera ohne Nachfolger aufgegeben wurde.
5.9 Das Objektiv der Prakti
Zu den vielen Neuerungen, die mit der Prakti zum ersten Male eingeführt wurden, gehört auch ihr Objektiv. Nicht nur, daß es speziell für diese Kamera neu geschaffen wurde. Man hat hier auch etwas getan, was sich später allgemein durchgesetzt hat und solcherlei Sucherkameras sehr erfolgreich werden ließ. Bislang wurde nämlich bei den Kameraneuerscheinungen stets die sogenannte Normalbrennweite von 50 mm zugrundegelegt. Zum Beispiel auch bei der 1954 eingeführten Werra-Reihe. Hier gab es kurze Zeit noch ein Novonar, doch schon bald wurde nur noch das Tessar 2,8/50 mm eingebaut. Dessen tatsächliche Brennweite liegt aber sogar bei 52,3 mm [Vgl. Finke, Auge deiner Kamera, S. 98]. Angesichts einer Bilddiagonale des Kleinbildformates von 43,3 war das alles reichlich lang. Man argumentierte damals: Aufgrund des sehr kleinen Formates sollte in der Kleinbildphotographie alles möglichst groß aufgenommen werden, weil man sonst rasch an die Grenzen des Auflösungsvermögens stoßen würde. Diese Argumentation war fragwürdig. Es stellte sich heraus, daß der Photoamateur es bevorzugte, lieber mit einer kürzeren Brennweite näher an das Motiv heranzugehen. Außerdem hatte er mit den langen Brennweiten stets Probleme, „immer alles drauf zu bekommen“. Ganz zu schweigen davon, daß solche kürzeren Brennweiten natürlich auch viel günstigere Schärfentiefenverhältnisse bieten können.
In der Bundesrepublik wurde im Laufe der 1950er Jahre vielfach wenigstens auf eine Brennweite von 45 mm übergegangen, die deutlich näher an der tatsächlichen Bilddiagonale lag. Bei Kameras wie der Pentona wurde mit dem Trioplan 3,5/45 auch in der DDR diesem Trend gefolgt. Einen ganzen Schritt weiter ging man nun jedoch mit dem Domiton 4/40 mm für die Prakti. Auf dem ersten Blick scheint die Reduktion der Brennweite um weitere fünf Millimeter nicht sehr erheblich zu sein. Tatsächlich bedeutet dies aber, daß damit die Bilddiagonale erstmals wirklich unterschritten und zu einem leichten Weitwinkel übergegangen wurde. Später haben sich sogar noch etwas kürzere Brennweiten von 38 oder 35 Millimetern für Amateurkameras durchgesetzt. Die Weitwinkelwirkung ist hier noch so gering, daß sie den Bildeindruck nicht dominiert. Dem stehen deutlich bessere Schärfentiefenverhältnisse gegenüber, die ein Schätzen der Entfernung selbst bei näheren Aufnahmedistanzen unproblematisch werden läßt. Denken Sie an die sehr erfolgreiche Rollei 35 mit ihrem Tessar 3,5/40 mm, die schließlich auch keinerlei Scharfstellhilfen hatte.
Wolfgang Hecking stand nun vor der Aufgabe, ein solches Objektiv zu entwickeln, bei dem der Mittelpunkt der Blende den Wert der Brennweite nicht übersteigen durfte. Das geht aus dem Gebrauchsmuster Nr. 12.095 vom 2. Januar 1961 ebenso hervor, wie die Tatsache, daß die Schnittweite mit 33,2 mm bei 83 Prozent der Brennweite lag. Das war wichtig, weil auch bei der Prakti wieder das Konzept des sogenannten Hinterlinsenverschlusses angewendet wurde. Der Verschluß saß also nicht zwischen der vorderen und hinteren Objektivgruppe, sondern hinter dem gesamten Objektiv. Durch die kürzere Brennweite des Domitons konnte der Prestor Zentralverschluß nun aber gänzlich im Kameragehäuse versenkt (integriert) werden und wurde nicht wie bei der Werra auf dem Gehäuse aufgesetzt. Der vordere Tubus umschloß nur noch das Objektiv. Um Grunde genommen war von außen gar nicht mehr zu erkennen, ob die Prakti nun einen Schlitz- oder einen Zentralverschluß hat.
Hecking legte für das Domiton 4/40 den Tessartyp zugrunde. Es sollte uns also nicht verwundern, daß sowohl in der DDR, wie auch in der Bundesrepublik [Nr. 1.839.653] von vornherein nur ein Gebrauchsmusterschutz angestrebt wurde. Nach 60 Jahren ständiger Optimierung waren kaum noch patentfähige Neuerungen an Tessartypen möglich. Das Gebrauchsmuster läßt uns aber heute noch wissen, daß der Bildwinkel bei geradezu idealen 57 Grad lag. Und die durch die Schutzschrift mitgeteilten Glassorten geben uns auch die Erklärung dafür, warum dieses Domiton eine so erstklassige Bildleistung aufzuweisen hat. In den beiden Sammellinsen kamen mit dem SK 18 und dem SK 24 hochbrechende Krongläser zum Einsatz. Das Schwerkron SK 24 war gar erst kurze Zeit zuvor entwickelt worden. Es handelte sich um ein lanthanhaltiges Glas, wodurch trotz des hohen Brechungsvermögens eine nur geringe Farbzerstreuung erreicht werden konnte.
Es spricht wieder Bände, daß man sich ebenso wie über den wahren Verschlußzeitenbereich in den Werbeannoncen und – schlimmer noch: in der Bedienungsanleitung – über die Lichtstärke dieses Meyer Domiton bedeckt hielt. Sich auf das maximale Öffnungsverhältnis von 1:4,0 beschränkt zu haben, war ja eigentlich eine sehr weise Entscheidung. Erstens war nur durch diese Beschränkung in der Lichtstärke das Abschätzen der Entfernung durch die grobe Motivwahl sicher beherrschbar. Zweitens kann der Tessartyp nur dann seinen Ruf als „Adlerauge der Kamera“ erfüllen, wenn nicht mit der maximalen Öffnung übertrieben wird. Wir müssen aber sehen, daß zu einer Zeit, wo konkurrierende Kameras alle mit Lichtstärken von mindestens 3,5 und 2,8 oder gar 2,0 protzten, eine Lichtstärke von 1:4,0 beim Käufer eher ein enttäuschtes Gesicht hervorrief. Vor allem auf westlichen Märkten mit ihrer aggressiven Werbung war dies der Fall. Dort wurde nicht hinterfragt, was einem ein flau zeichnender Dreilinser mit Lichtstärke 1:2,8 nützen sollte, dessen Bild man aufgrund der geringen Schärfentiefe gar nicht scharfgestellt bekam. Zu Unrecht also wurde einer solch teuren Sucherkamera wie der Prakti angekreidet, daß sie nicht mit fabulösen Zahlenangaben hervorstechen konnte, die in der Praxis ohnehin wenig nutzten. Aber an diesem Grundproblem hat sich ja bis heute kaum etwas geändert. Der Schein bestimmt halt das Bewußtsein.
6. Die Formgestaltung der Prakti
Das Motivregister, der Durchschwingverschluß, der Motorantrieb, das Weitwinkelobjektiv, die Kamerakonzeption an sich – all dies waren Felder, auf denen die Kamera- und Kinowerke 1960/61 durchaus Neuland betreten hatten. Man könnte nun die Ansicht vertreten, es wäre im Hinblick auf all diese technischen Neuerungen geradezu fatal gewesen, wenn man diese in eine hergebrachte Kameraform gepreßt hätte. Wie weiter oben schon näher erläutert, bot sich mit der technischen Auslegung der Prakti die Möglichkeit, den Zentralverschluß fast vollständig in das Kameragehäuse zu versenken, ohne daß letzteres unzumutbar dick geworden wäre (wie noch zehn Jahre zuvor bei der Mimosa).
Für die Prakti konnte daher eine Gestaltung des Gehäuses entworfen werden, die von großen Glattflächen einerseits und von dezent gewinkelten und abgestuften Akzentuierungen andererseits geprägt ist. Nichts steht unnütz hervor. Durch den Motorantrieb und die auf ein Minimum reduzierten Bedienungselemente gibt es keinerlei Hebelchen und Rädchen und Drücker wie sie seinerzeit zu Hauf die üblichen Kameras überfrachteten. Die wenigen Abstufungen im Kameragehäuse folgen nicht der Notwendigkeit, daß der Kamerakonstrukteur unbedingt unter einer „Kraftbeule“ etwas unterbringen mußte, sondern weil der Gestalter diese Brechungen im glattflächigen Äußeren bewußt gesetzt hat.
Verantwortlich für die Gestaltung der Prakti zeichnete Manfred Claus (Bild oben). Dieser Mann hat die äußerliche Erscheinung unzähliger Dresdner Photogeräte über Jahrzehnte hinweg geprägt wie kein Zweiter. Doch die Formgebung von technischen Geräten wie Photoapparaten ist kein leichtes Metier. Allzu leicht werden hier seit langem etablierte Erwartungen verletzt. Die Pentina als Zeitgenossin der Prakti, die von Claus' Kollegen Jürgen Peters geformt wurde, wird immer wieder als regelrechte Verunstaltung der an sich als ästhetisch wahrgenommenen Grundbauform der einäugigen Reflexkamera abgelehnt. Zusammen mit der kleinen Penti haben diese drei Kameras der Zeit um 1960 aber die Gemeinsamkeit, daß sie als Rahmenkonstruktion ausgelegt wurden: Ein Grundgerüst, in das die „Innereien“ eingebaut sind, wurde mit Gehäuseschalen verschlossen. Als Besonderheit sind bei diesen Kameras jedoch äußerlich keinerlei Schrauben zur Befestigung dieser Teile erkennbar. Im engen Verbund mit den Kamerakonstrukteuren konnte Claus diese glattflächige Bauform dadurch verwirklichen, daß die äußeren Gehäuseschalen dieser neuartigen Kameras unter Ausnutzung der wenigen ohnehin notwendigen Anbauteile am Kameragehäuse befestigt wurden. So wird beispielsweise bei der Prakti die obere Deckkappe mitsamt der sogenannten Sichthaube G21 aus transparentem Kunststoff (übrigens ein weiteres Sorgen-Bauteil dieser Kamera) allein durch die beiden Trageriemenbefestigungen („Ansatzschrauben“) am Gehäuserahmen fixiert. Die Befestigung der Bodenkappe erfolgte dezent mit Zierringen am Stativgewinde und unter der Rückspulkurbel. Die gesamte Vorderfront der Kamera wurde kurzerhand mit einer einzigen Aluminiumplatte verschlossen und damit ebenfalls weitgehend geglättet.
Das dadurch erzielte kantige und vergleichsweise nüchterne Aussehen der Geräte war angesichts des in den 50er Jahren dominierenden Nierentischchen-Schwulstes geradezu revolutionär. Ich habe den Eindruck, daß damals in der DDR eine junge Generation an Industrieformgestaltern nach vorn drängte, die grundlegende Prinzipien des zuerst von den Nazis verfemten und anschließend von den Stalinisten als formalistisch gebrandmarkten Bauhaus-Stiles für sich wiederentdeckt hatte. Und diese neue Generation war unter Umständen rascher im Abschneiden alter Zöpfe zugange, als es die angepeilte Käuferschicht vertragen konnte...
Die Unterseite der Kamera wird mit dem sogenannten Bodenrahmen G32 verschlossen. Das geschah nicht mit den sonst üblichen Schräubchen, sondern es wurden die ohnehin vorhandenen "Herausführungsspunkte" am Stativgewinde und an der Rückspulkurbel zur Befestigung genutzt; und zwar mithilfe des Rückspulrings -2010 und der Überwurfmutter -2011 (unten). Diese Form des Anbringens von Verkleidungsteilen folgte einem österreichischen Patent Nr. AU217.852 Walter Hennigs vom 15. Februar 1960, das er für die sich zur selben Zeit in der Entwicklung befindlichen Pentina angemeldet hatte.
Die zahlreichen Produktneuentwicklungen der jungen Kamera- und Kinowerke Dresden aus der Zeit um 1960 sind nicht nur durch technische, sondern auch formgestalterische Innovation geprägt. Die vielen Anbauteile einer solch komplexen Kamera wurden "einfach" mit einer Platte ("Vorderschale G54") abgedeckt, die ihrerseits dadurch weitgehend nach rein ästhetischen Gesichtspunkten geformt und ausgestaltet werden konnte. Daß diese Innovationen jener Zeit manchmal nicht nur technisch nicht völlig ausgereift, sondern auch gestalterisch umstritten waren, steht freilich auf einam anderen Blatt. Bei der Prakti schieden sich die Geister aber eher an einem anderen Punkt: Wer sie zum ersten Mal in die Hand nahm, war überrascht darüber, was für ein voluminöser Klotz sie ist. Von der Baugröße her lag sie beinah auf dem Niveau einer Spiegelreflexkamera. Dieser Gesichtspunkt ist aber Manfred Claus nun wirklich nicht zur Last zu legen.
Die Innovationen in Technik und Formgestaltung gingen bei der Prakti übrigens sogar noch über das reine Kamergehäuse hinaus. Manfred Claus hatte eine wirklich außergewöhnlich praktische Bereitschaftstasche entwickelt, die aus zwei getrennten Schalen mit schräg verlaufenden Abschlußkanten bestand. So war gewährleistet, daß im Bereich der Kameraoberseite die hintere Schale das Motivregister nicht verdeckte. In seinem bundesdeutschen Gebrauchsmuster Nr 1.854.280 vom 4. September 1961 deutet Claus an, daß mit der Ausführung seiner Bereitschaftstasche aus zwei aus einem Stück gefertigten Halbschalen eine einfachere Fertigung und damit ein günstiger Preis möglich sei. Defacto geriet die Bereitschaftstasche der Prakti mit ihrem EVP von 60,- Mark aber ziemlich genau doppelt so teuer als die üblichen Taschen in dieser Kameraklasse. Die aus dem Ruder gelaufene Preisgestaltung war eine der drei großen Bürden, die unsere Prakti zu jenem historisch signifikanten Kameraflop werden lassen sollten.
An geschmackbezogenen Fragen scheiden sich bekanntermaßen rasch die Geister. So sehr heute auch wieder ins trashige abgleitendes Kuldesign der 60er Jahre Konjuktur haben mag; ich persönlich halte die zeitlose Eleganz für dauerhaft tragfähiger. Die Prakti kann als Besonderheit vielleicht für sich beanspruchen, ein wenig in beiden Welten zuhause zu sein.
7. Die Prakti – ein mißglückter Überholversuch?
Multikausal. Das scheint mir das Stichwort zu sein, das im Zusammenhang mit dem Debakel um die Prakti am besten paßt. Ihr eklatanter Mißerfolg ist letztlich als das Resultat einer Verknüpfung mehrerer Fehlentscheidungen und unglücklicher Umstände zu sehen.
In diesem Zusammenhang muß zunächst einmal mit einigen Legenden und Irreführungen aufgeräumt werden, die über die Jahre hinweg das Bild verwässert haben. Dafür scheint mir allem voran Herbert Blumtritt wesentlich verantwortlich zu sein. Ich habe schon an anderer Stelle beklagt, daß Blumtritt jegliche Objektivität als Sachbuchautor vermissen läßt, wenn er Walter Hennig über den Klee lobt, ohne auch nur einmal auf die vielen Irrwege und Fehlentscheidungen einzugehen, die seine Ägide geprägt haben. Stattdessen ließ sich Blumtritt zu einer fahrlässig undifferenzierten Hymne auf Hennig hinreißen [Vgl. Blumtritt, Herbert: Die Geschichte der Dresdner Fotoindustrie, Stuttgart, 2000, S. 188]. Ebenso ist es nach der Beschäftigung mit dem regelrechten Patentreigen zur Prakti für mich wirklich nicht erklärlich, wie Blumtritt in Hinblick auf Walter Hennig zur Einschätzung gelangt: „Sein Meisterstück, sein ‚Juwel‘, war die ‚Prakti‘“[Ebenda]. Sicherlich war Hennig als Leiter der Konstruktionsabteilung seinerzeit verantwortlich für alles, was in den Kamera- und Kinowerken entstand, aber der zentrale schöpferische Anstoß hinter der Prakti kam – wie oben ausführlich gezeigt – eindeutig von Klaus Hintze. Die Aussage, sie sei von Hennig konstruiert [Vgl. Ebenda, S. 165.] ist also eindeutig falsch. Es drängt sich doch der Eindruck auf, daß hier Blumtritt – wenn auch unbewußt – jene unsägliche DDR-Praxis fortführt, Republikfüchtlinge rasch und konsequent aus dem öffentlichen Bewußtsein zu tilgen.
Die im Punkt 5.1 bereits erwähnte Aussage Blumtritts, die Prakti sei auch dadurch ein großes Problem für den Herstellerbetrieb gewesen, da sie aufgrund von Patentverletzungen 100.000 Mark Schaden verursacht habe [Vgl. Blumtritt, Die Prakti, 2002, S. 30.], hat bereits Gerhard Jehmlich in seinem Pentacon-Buch in Zweifel gezogen [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 104, Endnote 7.]. Es stimmt zwar, daß es mit Hintzes Motorpatent ganz offensichtlich große Schwierigkeiten gab. Immerhin dauerte es mehr als 12 Jahre, bis es vom Münchner Patentamt endlich erteilt wurde. Aber die von Blumtritt behauptete Patenverletzungsklage mit ihren finanziellen Folgen ist einfach nicht belegbar. Mir scheint Blumtritt in diesem Punkt auch ein wenig auf seine eigene Zeitzeugenschaft hereinzufallen, wenn er seine Behauptungen mit seinem persönlichen beruflichen Werdegang zu stützen versucht. Er habe im Sommer 1961, als er gerade seine Tätigkeit in der Patentabteilung des VEB Kamera- und Kinowerke aufgenommen hatte, bezüglich des elektrischen Antriebs der Prakti eine "gereizte Stimmung" wahrgenommen [Vgl. Blumtritt, Die Prakti, 2002, S. 29.]. Ich halte es auch in diesem Fall nicht für ausgeschlossen, daß auf diese Weise der gerade zuvor in den Westen geflüchtete Klaus Hintze nachträglich diskreditiert werden sollte.
Auch ein anderer Tenor in Blumtritts Prakti-Büchlein von 2002 ist nur schwer erträglich: Ganz in DDR-Manier wird die Verantwortung für die Probleme der Prakti notorisch an andere Stellen weitergeschoben. So schreibt er gleich zweimal auf einer Seite, es sei der Photohandel gewesen, der es versäumt habe, die neue Käufergruppe für die Prakti zu umwerben [Vgl. Blumtritt, Die Prakti, 2002, S. 25.]. Oder:
"Auch vermochten viele fotointeressierte Menschen nicht die Leistung des Formgestalters, der diese so formschöne Kamera geschaffen hatte, zu erkennen. [...] Das erforderliche neue Stilempfinden war nicht geschult. Dieses Versäumnis war jedoch am wenigsten dem Hersteller anzulasten [...]." [Ebenda, S. 25.].
Aha. Der kulturlose Kunde war also selber schuld, wenn ihm die Prakti nicht gefiel. Noch perfider werden aber diese Schuldzuweisungen gegenüber dem Anwender, wenn es um die technischen Ausfälle der Prakti geht. Dieser Unterpunkt 4.2 nennt sich dann bei Blumtritt auch in apodiktischer Manier: "Bedienfehler schaffen ein Imageproblem". Für unterbelichtete Dias macht er hierin den Anwender der Prakti verantwortlich, der die Anleitung nicht gelesen und die Filmempfindlichkeit nicht nach Vorschrift 3 DIN niedriger eingestellt habe. Die Wahrheit liegt darin, daß der Hersteller bei den ersten Serien der Prakti die Justierung des Meßwerks großzügig ausgelegt hatte, um in Ausnutzung des Belichtungsspielraumes von Schwarzweißfilmen ein wenig mehr Einstellreserve für die Kamera zu schaffen. Das rächte sich dann bei den Umkehrfilmen mit ihrem geringen Belichtungsspielraum. Diese törichte Praxis hat man später aufgegeben, weshalb auch entsprechende Hinweise in den Anleitungen entfielen.
Leider ist dieser Grundtenor, die Verantwortung für die mannigfaltigen Probleme der Prakti hauptsächlich auf Andere abzuwälzen, auch bei Gerhard Jehmlich herauszulesen. Bei ihm bezieht sich das insbesondere auf die Zulieferer: Auf die Hersteller des Motors, des Meßwerks und der Batterien nämlich. Dabei liegt es doch wohl ausschließlich in der Verantwortung des Produzenten eines Produktes, wenn er es zuläßt, daß überhaupt unzureichende Komponenten verbaut werden. Zweitens war nun einmal der Elektromotor durch Hintze genau so konstruiert worden, daß er einseitig an einem dünnen Zapfen befestigt war. Selbst daß dieser Zapfen aus Kunststoff zu bestehen hatte, geht aus seinem Patent hervor. Diese Sollbruchstelle war also in den Motor hineinkonstruiert worden. Was soll der Zulieferer da machen? Sollte etwa Piko dem VEB KKW Nachhilfe darin erteilen, wie letzterer seine Komponenten auszulegen habe?
Dasselbe auch mit dem Meßwerk: Dafür, daß dieses filigrane Gebilde mechanisch überlastet wurde, weil die Konstruktion der Belichtungssteuerung unzureichend war, liefern die Kamera- und Kinowerke selbst den entsprechenden Offenbarungseid, indem sie im Sommer 1963 ein Patent anmeldeten, das als nichts anderes als eine Reaktion auf die häufigen Beschädigungen dieses Meßwerks zu deuten ist, wie sie damals offenbar schon nach kurzer Zeit auftraten.
Noch haarsträubender ist freilich die Batterie-Problematik. Die trat sicherlich erst zutage, nachdem das Kind ohnehin schon in den Brunnen gefallen war. Aufgrund des unheimlichen Drucks auf den gerade gegründeten VEB Kamera- und Kinowerke, doch so rasch wie möglich weltmarktfähige Produkte auf den Markt zu bringen, ging die Prakti nicht nur ohne Nullserienerprobung in die Produktion, sondern der Ausschuß, der zwangsläufig bei solch einem Unterfangen herauskommen mußte, wurde zu allem Übel gleich noch in den Westen verschickt [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 99.]. Nachdem daraufhin der Prakti das voreilig vergebene Gütezeichen Q wieder entzogen wurde, war an einen Westexport nun nicht mehr zu denken [Vgl. ebd. S. 100.]. Daraus ergaben sich nun unmittelbar zweierlei Konsequenzen: Einmal fiel natürlich der bereits fest eingeplante Devisenerlös weg, der das aufwendige Prakti-Projekt bis hier hin überhaupt gerechtfertigt hatte. Zweitens stand der Hersteller nun vor dem Problem, die produzierten Geräte irgendwie auf dem DDR-Inlandsmarkt loswerden zu müssen. Jetzt stellte sich jedoch auf einmal heraus, daß die in der DDR erhältlichen Gnomzellen vielleicht dazu genügten, in einer kleinen Taschenlampe eine Zwergglühlampe zum glimmen zu bringen; nicht aber, um den stark belasteten Motor der Prakti zuverlässig in Gang zu setzen. Mögen es der Hersteller und der Außenhandel gegenüber den Prakti-Interessenten in der DDR noch geschafft haben, die Exportprobleme dieser Kamera auf den Westmärkten erfolgreich zu vertuschen, so dürfte sich nun wie ein Lauffeuer die Nachricht verbreitet haben, daß die Prakti mit den DDR-Batterien nicht zuverlässig zu gebrauchen war. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie die Prakti damals im Herstellerwerk mit den guten Westbatterien getestet wurde und wie die Kamera nun angesichts halbleerer Zink-Kohle Zellen aus dem Provinz-Konsum in die Knie ging. Mit allem mögen die Ingenieure in Dresden gerechnet haben; nur nicht mit den realsozialistischen Gegebenheiten ihres Landes.
Für die Montage der Prakti wurde propagandawirksam ein Jugendkollektiv eingesetzt. Die Partei hatte halt überall ihr Wörtchen mitzusprechen. Möglicherweise sorgte diese Entscheidung für zusätzliche Schwierigkeiten im ohnehin schon chaotischen Produktionsanlauf der Prakti, der dadurch geprägt war, daß die laufende Produktion von ständigen Konstruktionsänderungen überlagert wurde. (Bild oben: Höhne/Pohl; unten Wolfgang Schröter/Deutsche Fotothek)
Wie also im Abschnitt 5 ausführlich gezeigt wurde, gehört zum eratischen Werdegang der Prakti auch die auffällige Tatsache, daß noch längere Zeit nach ihrem Produktionsstart Patente angemeldet wurden, die gleichermaßen als ein Reagieren der Konstruktionsverantwortlichen auf Zweifel an der qualitativen Ausführung ihres Produktes wie an dessen konzeptioneller Grundidee verstanden werden müssen. Beide Problemfelder – der Verlust der Westmärkte durch die mangelhafte Qualität des Produktes sowie die Zweifel der verbliebenen Käuferschaft (und offenbar auch des Handels) an der grundsätzlichen Konzeption der Prakti – führten dazu, daß der Traum von einer internationalen Spitzenkamera neuen Typs offenbar bereits geplatzt war, noch während die Konstrukteure nachbesserten.
Die oben aufgezeigten Verbesserungen konnten letztlich nicht mehr in einer weiterentwickelten Prakti umgesetzt wurden. Eine derartig ertüchtigte Prakti hätte neue Investitionen erfordert, und die hätten offenbar nicht im Verhältnis zum bisherigen ökonomischen Ergebnis dieser Kamera gestanden. Die Prakti erwies sich schlichtweg als wirtschaftlicher Fehlschlag. Nachdem der Export dieser Kamera ins westliche Ausland weggefallen war, hatte es der Hersteller sichtlich schwer, das Modell an den Kunden zu bringen. Für keine Kamera wurde in der ersten Hälfte der 60er Jahre in der Photoamateur-Zeitschrift Fotokino-Magazin so viel Werbung gemacht, wie für die Prakti (gefolgt übrigens von der Pentina!). Vom schlechten Ruf der Kamera abgesehen, war dafür sicherlich auch ihr enormer Preis verantwortlich: Von anfänglich über 500,- Mark sank er später auf 390,- Mark plus jeweils noch einmal 60,- Mark für die Bereitschaftstasche. Der Verkaufspreis der Tasche wurde später übrigens dadurch systematisch gedrückt, indem man kurzerhand Exemplare mit dem Stempel "II. Wahl" versah und damit den Preis auf die Hälfte reduzierte. Ende der 60er Jahre kostete die Prakti II im Abverkauf schließlich nur noch 300,- Mark (und zwar offenbar inklusive Tasche).
Der erste DDR-Preis der Prakti incl. Tasche war wohl mit 580,- Mark veranschlagt, wurde dann aber rasch auf 460,- reduziert. Kurze Zeit später wurde der Hinweis "Auch Teilzahlung möglich" in die Annoncen gedruckt, um die Ausgabe für eine Photokamera in Höhe eines Monatseinkommens nicht gar so abschreckend wirken zu lassen. Angesichts des schleppenden Abverkaufs der Prakti war ihr Preis im November 1968 bereits auf 300,- Mark "zusammengeschrumpft".
Aus diesem für die DDR-Wirtschaft ziemlich einzigartigen Preisverfall muß man schlußfolgern: Für den engen Käuferkreis, der sich ausschließlich auf photographische Laien und anspruchsvolle Amateurknipser beschränkte, war die Prakti schlichtweg zu teuer. Die elektronisch gesteuerte Pentacon electra mit ihrer echten Zeitautomatik kostete ab 1968 mit 195,- Mark nur halb so viel. Zu diesem Zeitpunkt lief auch die Produktion der Prakti aus, wobei es sich ohnehin nur noch um eine Montage "aus noch vorhandenen Material- und Teilevorräten" gehandelt hat [Blumtritt, Prakti, 2002, S. 18.].
Im Anbetracht dessen, was für einen Leumund die Prakti offenbar bereits nach kurzer Zeit hatte, sah sich der Hersteller noch im Jahre 1963 gezwungen, statt der damals üblichen 6 Monate eine Garantie von 24 Monaten zu offerieren. Auch daraus konnte der aufmerksame Beobachter der Szenerie bereits wieder seine Schlüsse ziehen.
Ungewöhnlich für DDR-Verhältnisse ist zudem, daß im Zusammenhang mit der Prakti in der Fachpresse negative Stimmen von der Verbraucherseite aus laut wurden. Im Normalfall sind damals ablehnende Leserbriefe persönlich beantwortet worden und landeten dann in der Schublade. Es gab nur ganz wenige Medien in der DDR – allem voran die Satirezeitschrift Eulenspiegel – wo überhaupt negative Ansichten veröffentlicht werden konnten. Ganz besonders heikel wurde es, wenn ein Thema ohnehin schon tabu war, weil sich unter vorgehaltener Hand herumgesprochen hatte, daß an der Sache irgendetwas faul ist. So verwundert es, daß das FOTOKINO-magazin in seiner Ausgabe vom November 1963 auf Seite 334 folgende Stellungnahme des Lesers Detlef Steinberg aus Dessau veröffentlichte:
"Ich hielt die 'Perfektion der Vollautomatik' bisher nur für eine Erscheinung des kapitalistischen Marktes. So wurde mir schon durch die Prakti direkt ein Schlag in die Magengegend versetzt."
Bemerkenswert sind diese zwei Sätze deshalb, weil in ihnen deutlich der Vorwurf zum Ausdruck kommt, der VEB Kamera- und Kinowerke würde blindlings den Tendenzen des Klassenfeindes hinterherlaufen.
Noch brisanter war diese Lesermeinung, weil sie als direkte Reaktion auf einen im Heft des Vormonats erschienenen „Testbericht“ zur Prakti von Siegfried Kaufmann und Walter Dreizner zu sehen ist, den man einfach nur als wohlfällige Jubelbesprechung charakterisieren muß. In diesem Pamphlet wurde quasi allem widersprochen, was an Zweifeln an der Prakti vorhanden sein könnte: Nein, die Automatik ist NICHT unpersönlich. Nein, die Prakti macht selbst bei Temperaturen von minus 20 Grad nicht schlapp, und auch nicht, wenn es heiß ist. Nein, die starr festgelegten Motivprogramme sorgen nicht dafür, daß die Schärfe am falschen Ort liegt. Und wenn es doch mal bei schwierigen Lichtbedingungen zu Fehlbelichtungen kommen sollte, dann nur deshalb, weil das „ein Mangel, der bisher noch j e d e r B-Automatik anhaftet“ sei – also eine Gesetzmäßigkeit, der man sich ohnehin nicht entziehen kann. Die Autoren lassen sich sogar dazu hinreißen, daß es arg menschelt, wenn sie bescheinigen, nach langer Beschäftigung mit dem Roboter Prakti dessen Seele entdeckt zu haben.
Diese Jubelbesprechung dürfte der Prakti zusätzlich sehr geschadet haben. Warum? Die DDR-Bevölkerung erwartete nun einmal nicht, in ihren Presseerzeugnissen die Wahrheit zu lesen. Im Gegenteil: Abgestumpft durch die endlosen, sich immer wiederholenden Verlautbarungen der offiziellen Sicht glaubte man im Zweifelsfall lieber genau das Gegenteil. Ein bisher gegenüber der Prakti völlig argloser Abonnent des FOTOKINO-magazins mußte nun nach dem Lesen eines solchen „Tests“ geradezu alarmiert in Bezug auf diese Kamera sein. Aufgrund seiner Erfahrungen mit den DDR-Medien war ihm nach dieser Lektüre sofort klar, mit der Prakti ist etwas oberfaul. Und weil es sich die Autoren am Ende ihres Plädoyers nicht nehmen ließen, zu allem Übel noch ausdrücklich zu versichern: „Wir betonen nochmals: Die Prakti hat uns bei k e i n e r Gelegenheit verlassen!“, wußte der gemeine DDR-Leser auch gleich, was genau an dieser Prakti faul ist: Sie litt ganz offensichtlich an Zuverlässigkeitsproblemen. Ein gelernter DDR-Bürger las diese Quintessenz fast automatisch aus solch einem Text heraus, wie als stünde es genau so schwarz auf weiß gedruckt. So war das eben damals, liebe Leser von heute.
Unten ein kleines Beispiel für die Reparatur-Situation der Prakti. Eine Frau Taubert aus Riesa hatte kurz vor Weihnachten 1965 eine Prakti II mit Tasche für insgesamt 450,- Mark erworben. Noch 1981 war es möglich, sie reparieren zu lassen. Gerhard Kreuchwig in Luckenwalde nahm sich der "innerlich sehr stark defekten" Kamera an. Er muß wohl auch noch die problematischen Plast-Bauteile wie die Kontaktgruppe und die Sichthaube als Ersatzteil auf Lager gehabt haben, denn diese tauschte er für wenige Mark aus. Längere Freude scheint Frau Taubert an ihrer Prakti II dennoch nicht gehabt zu haben, denn im Dezember 1985 erbrachte eine Reparaturanfrage an den Photomechaniker Hans-Joachim Meyer in der Berliner Florastraße 37 folgende Antwort: "Betr. 'Prakti II' Für diese Type besteht kein Postverkehr! Bei Möglichkeit persönliche Abgabe: In 2 Jahren erneut wieder anfragen, dennoch Wartezeiten von 1 - 3 Jahre. Keine weitere Werkstatt bekannt." Also alles in allem voraussichtliche Dauer: Fünf Jahre. Leider kam da die Wende dazwischen. (Scans: Benjamin Kotter)
Die oben geschilderten Hintergründe zur Prakti hinterlassen doch den Eindruck eines VEB Kamera- und Kinowerke Dresden (KKWD), der sich in der Zeit um 1960 in einer geradezu verheerenden Lage befunden haben muß. Demgegenüber fällt auf, daß über diesen ziemlich offensichtlichen Umstand bislang nur wenig Konkretes in der existierenden Standardliteratur zu lesen ist, obgleich doch deren Autoren diese wichtige Ära der Dresdner Photoindustrie selbst miterlebt hatten. Daraus könnte man wiederum schlußfolgern, daß den Beschäftigten dieses Betriebes dazumal nur wenig über die Hintergründe für dessen mißliche Situation bekannt war und diese daher auch nicht öffentlich diskutiert werden konnten. Wie denn auch, in einem Land, wo es keine freien Medien gab und der Inhalt der Zeitungen quasi vom Politbüro festgelegt wurde.
Um so wertvoller ist eine an Deutlichkeit nicht zu überbietende zeitgenössische Einschätzung dieser Lage des VEB Kamera- und Kinowerke, die ich im Februar 2022 in den Akten des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) gefunden habe.
Lage im Bezirk Dresden
Als Schwerpunktbetrieb im Bezirk Dresden ist z. Zt. der VEB Kamera- und Kinowerke Dresden einzuschätzen, wo es große Schwächen in der Leitungstätigkeit, Unklarheiten über Fragen der Weltspitze und Schlamperei gibt. Bereits auf dem V. Parteitag der SED wurde das Kamera- und Kinowerk Dresden (KKWD) kritisiert, weil es mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt nicht standgehalten hat. Die seit dieser Zeit stehende Aufgabe, durch straffe Leitungstätigkeit die Stagnation im Betrieb zu überwinden, neue Geräte zu entwickeln und schnellstens in die Produktion zu überführen, die Planerfüllung zu gewährleisten und die Rekonstruktion zum Großbetrieb durchzuführen, wurden nicht gelöst. In der Abteilung Forschung und Entwicklung wurde die Kritik zwar richtig erkannt und [es gelang] einige neue Geräte (vollautomatische Kamera »Prakti«, halbautomatische Kamera »Pentina«), die Weltspitze aufweisen, zu entwickeln. Aber es ist nicht gelungen, diese und andere Geräte wie vorgesehen bereits 1960 und im I. Quartal 1961 dem Handel zur Verfügung zu stellen. Für verspätete Lieferungen dieser und anderer Geräte und für auftretende Gütemängel wurde der Betrieb im Jahre 1960 mit einer Vertragsstrafe von 105 000 DM belegt. Das Exportprogramm konnte ebenfalls nicht erfüllt werden und es besteht ein Rückstand von 940 000 DM. [...]
Quelle: Info Nr. 91/61, BStU, MfS, ZAIG 382, Bl. 1–19 (5. Expl.).
Dieser Ausschnitt aus einem geheimen Lagebericht des Ministeriums für Staatssicherheit vom 27. Februar 1961 läßt zunächst einmal kaum einen Zweifel daran, daß die schlimme Situation des zu Jahresanfang 1959 gegründeten Kamera-Großbetriebs noch zu großen Teilen auf dessen Vorgängerbetriebe – also auf den VEB Zeiss Ikon – zurückzuführen ist, denn der im Text angesprochene V. Parteitag der SED fand bereits im Juli 1958 statt. Auch daß hier explizit Versäumnisse der Entwicklungsabteilung als mitverantwortlich ausgemacht werden, deckt sich mit Beobachtungen, die ich bereits zu Kameras wie der Penti, der Pentaflex 8, den Kameraprototypen Pentax und Pentaplast, dem Zentralverschluß Prestor und natürlich der Pentina geäußert habe. Letztere wird ja auch im obigen Lagebericht ausdrücklich neben der Prakti gewissermaßen als Beispiele für einen „Lichtblick“ erwähnt, wobei die Tragik dieser Einschätzung darin liegt, daß wir heute wissen, welch regelrechte Fehlentwicklungen diese beiden Kameras waren und wie sie vor allem die finanzielle Lage und die Erfüllung der Exportaufträge des VEB KKWD noch verheerender werden ließen. Aus dem weiteren Wortlaut dieses Lageberichts (der vollständig auf der Seite zur Pentina im Unterpunkt 4 nachzulesen ist) kann man herauslesen, daß der VEB KKWD offenbar bereits 1961 von der Deutschen Notenbank finanziell gestützt werden mußte, damit er nicht bankrottgeht – eine für DDR-Verhältnisse absolut außergewöhnliche Situation!
Wie sich aus diesen Gründen die Situation des DDR-Kamerabaus in der Folgezeit noch weiter zuspitzte, das vermittelt zweieinhalb Jahre später eine geheime Einschätzung des MfS zur Lage des DDR-Außenhandels im Umfeld der Leipziger Herbstmesse 1963.
Situation auf der Leipziger Herbstmesse 1963
„Erhebliche Schwierigkeiten gibt es beim Export von Kameras in das kapitalistische Ausland, da sich der Abstand zur Weltspitze ständig vergrößert. Das hat einen rapiden Preisverfall für Erzeugnisse aus der DDR zur Folge. (Der Preis der Exakta-Varex, der 1957 noch bei 100 bis 150 Dollar lag, beträgt jetzt nur noch 60 bis 65 Dollar.) Die Funktionssicherheit der Geräte ist unbefriedigend. In einer Reihe von Ländern treten zum Beispiel bei sämtlichen gelieferten Kameras mit eingebautem Belichtungsmesser Reklamationen auf.“
Quelle: 3. Bericht, Info Nr. 523/63, BStU, MfS, HV A 200, Bl. 182–187 (2. Expl.).
8. Fazit: Die Prakti als Kind ihrer Zeit
Es läßt sich also nicht von der Hand weisen, daß die Prakti dem Hersteller sowohl in technischer wie in wirtschaftlicher Hinsicht große Probleme bereitet hat. Doch auch wenn sie anschließend wie Blei in den Läden gelegen haben mag, so wurden von ihr letztlich dennoch über 61.000 Stück gefertigt. Diese Zahl wäre nicht erreicht worden, wenn es sich tatsächlich um eine hoffnungslose Fehlkonstruktion gehandelt hätte. Die Prakti konnte halt nur nicht die in sie gesetzten Erwartungen als Durchbruch zu einer wirklich vollautomatischen Kamera erfüllen. Wir müssen uns heute fragen, ob dies nicht einfach nur daran lag, daß diese Erwartungen von vornherein völlig falsch gesetzt waren. Und genau in dieser Hinsicht scheint die Prakti eben ein typisches Kind ihrer Zeit gewesen zu sein.
Nachdem sich die Position Walter Ulbrichts nach dem 17. Juni gefestigt hatte und innerparteiliche Gegner wie Karl Schirdewan erfolgreich kaltgestellt worden waren, richtete sich sein Blick nun darauf, auf Biegen und Brechen unter Beweis zu stellen, daß der (sein) Sozialismus das überlegene System sei. Diese Doktrin wurde auf dem V. Parteitag der SED im Sommer 1958 als die neue „ökonomische Hauptaufgabe der DDR“ proklamiert. Sie hatte zum Ziel, „die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber der kapitalistischen Herrschaft“ hauptsächlich daran festzumachen, „daß der Pro-Kopf-Verbrauch der werktätigen Bevölkerung an allen wichtigen Lebensmitteln und Konsumgütern“ innerhalb weniger Jahre ein höheres Niveau erreichen sollte „als der Pro-Kopf-Verbrauch der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland“ [nach: Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands 1958-1959, S. 259.]. Die Durchsetzung dieser politische Doktrin hauptsächlich mit wirtschaftlichen Maßnahmen führte jedoch in der Folgezeit zu starken Friktionen, da sie in weiten Teilen auf einer tiefen Selbstüberschätzung der tatsächlichen ökonomischen Potenz des kleinen Landes beruhte. Den Ingenieuren war dabei die Rolle zugewiesen, Ulbrichts Vision in technisch-wirtschaftlicher Sicht so rasch wie möglich in die Tat umzusetzen. Teilweise lief dies auf regelrechte Höhenflüge hinaus, von denen manche zwangsläufig im Debakel endeten. Zu den bekanntesten Beispielen dürfte der Versuch gehören, die DDR zu einem Pionier für große Passagierflugzeuge mit Strahltriebwerken zu machen. Der daraus resultierende Druck auf die sogenannte technische Intelligenz und die Facharbeiterschaft auf der einen Seite und das angesichts steigender Einkommen stagnierende Warenangebot auf der anderen Seite sorgten dafür, daß die Zahl derjeniger, die diesen Staat über das Nadelöhr Friedrichstraße verließen in den letzten Monaten vor dem Mauerbau ein neues Rekordniveau erreichte.
In diesem Umfeld erscheint unsere kleine Prakti auf den ersten Blick natürlich nur ein unbedeutendes Beispiel zu sein. Für den Wirtschaftszweig der Photoindustrie jedoch, der schließlich nicht nur ein wichtiger Exportfaktor für die DDR-Wirtschaft gewesen ist, sondern der auch ein aus der Vergangenheit ererbtes industrielles Aushängeschild auf dem Weltmarkt für das Land darstellte, spielt die Prakti aber durchaus eine zentrale Rolle. Deutlich zeigt sie die Symptomatik eines Prestigeprojektes, das nach kurzer Zeit auf den Boden der Realität zurück geholt wurde. Während die Pentina noch als ein reines Nacheifern westdeutscher Entwicklungen gedeutet werden kann, sind an der Prakti und auch an der Pentaflex 8 Anzeichen zu erkennen, wie mit großem Aufwand versucht wurde, die konkurrierenden Firmen in der Bundesrepublik zu übertrumpfen, ohne jedoch erst auf den von ihnen vorgegebenen technischen Stand aufholen zu müssen. Genau das war der Impetus jener Zeit. Er entsprang einer gewissen kurzzeitigen Aufbruchstimmung im sozialistischen Lager in den späten 50er Jahren, die durchaus als vom Sputinik-Erfolg initiiert angesehen werden kann. Ungemein vorangetrieben durch die unverhohlenen Schockreaktionen in der westliche Welt schien es plötzlich möglich zu sein, jene auf völlig überraschende Weise aus dem Nichts heraus übertrumpfen zu können. Dieses Erlebnis löste offenbar eine kurzfristige Neueinschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit des sozialistischen Lagers aus, die teils bis auf die Ebene der Ingenieure und Produktionsarbeiter durchdringen konnte, die aber von der Staatsführung der DDR in Anbetracht des Kalten Krieges derart überzogen wurde, daß sie vielfach einer bloßen Selbstüberschätzung gleichkam. Die Bestätigung für diese Einschätzung schien die Führung selbst zu liefern, als sie im Sommer 61 unvermittelt die Reißleine zog.
Doch was Fragen der industriellen Konkurrenzfähigkeit anbelangt war ohnehin bereits eine neue Epoche angebrochen. Der starre Blick Richtung Bundesrepublik hatte bewirkt, daß weltweite Tendenzen zunächst nicht wahrgenommen wurden. Dabei war es ausgerechnet der Sektor der Photoindustrie, der sich nun zu einem wichtigen Indikator für die wachsende Bedeutung japanischen Wirtschaftspotentiales herauskristallisierte. Dieser japanische Aufstieg im Bereich der Kameras, Photoobjektive und sogar Filmmaterialien hatte seinen Ursprung zunächst in der großen Nachfrage auf dem US-amerikanischen Konsumgütermarkt nach preiswerten Qualitätsprodukten. Während man in Dresden den neuen VEB Kamera- und Kinowerke als Fortführer der Tradition aus den späten 1880er Jahren aufzubauen versuchte, verblüfften die meist recht jungen japanischen Firmen mit ihrer außergewöhnlichen Innovationsfreude. Die Zeit, wo man in Fernost einfach schamlos europäische Produkte kopierte wurde rasch abgelöst durch technisch vorauseilende Produkte.
Ein Beispiel dafür waren Sucherkameras mit Belichtungsautomatiken; meist in Form von Blendenautomatiken: Dazu wurde ein mechanisch gesteuerter Zenralverschluß eingesetzt und die Öffnung der Objektivblende nach Abtasten eines Drehspulinstruments automatisch passend dazu eingestellt, wie es eingangs dargestellt auch in der Bundesrepublik üblich war. Die Japaner revolutionierten allerdings diese Technik, indem der Strom für das Meßwerk nicht mehr aus dem Selenelement kam, sondern aus einer Batterie und einem vorgeschalteten CdS-Photowiderstand gespeist wurde. Beispiele dafür waren die Minolta Hi-matic 7 ab 1963 (!) und die Canonet S aus dem Jahre 1964. Eine völlig neue Möglichkeit der Belichtungsautomatik wurde dann ab 1966 mit der Yashica electro 35 etabliert, bei der nach Vorwahl der Blende die Belichtungszeit automatisch und stufenlos auf rein elektronischem Wege gebildet wurde. Mit diesen modernen Belichtungsautomatiken war die japanische Konkurrenz binnen kurzer Zeit den Firmen aus Europa davongeeilt. Zur Scharfeinstellung kamen bei diesen hochwertigen Modellen durchweg Meßsucher zum Einsatz. Die Idee der Prakti, Verschlußzeit- und Entfernungsbereiche anhand von Motivgruppen miteinander zu verbinden, hat zumindest bei Sucherkameras der höheren Preisklassen keine Nachahmer gefunden.
Diese technischen Innovationen und die rasche Produktfolge der japanischen Firmen brachten die gesamtdeutsche Photoindustrie in große Bedrängnis. Versandhäuser wie Porst oder Foto-Quelle bezogen ihre Geräte immer öfter aus Japan und verkauften sie unter ihrer Eigenmarke. Das wirkte sich auch auf die DDR-Photoindustrie aus. Die in der Bundesrepublik und Österreich ausschließlich durch Quelle vertriebene Werra-Reihe, die eigentlich mit dem Modell Werra supermatic zur Blendenautomatik weiterentwickelt werden sollte, wurde angesichts der technischen Rückständigkeit gänzlich eingestellt. Von einer Prakti sprach zu jener Zeit längst niemand mehr. Nach ihrem Abverkauf auf dem Inlandsmarkt lief diese vorerst letzte hochwertige Sucherkamera aus DDR-Produktion ersatzlos aus. Während der 70er Jahre folgten in diesem Marktsegment lediglich vergleichsweise billige Plastikkameras mit einfachen dreilinsigen Objektiven. Erst die Beirette electronic mit ihrem Tessartyp und der Zeitautomatik war Anfang der 1980er Jahre ein Versuch, wieder ein wenig an den Trend japanischer Kompaktkameras anzuknüpfen.
9. Die Prakti in der Praxis
Wie schon zu Beginn des vorigen Abschnittes gesagt: Pentacon hätte nicht 61.431 Prakti produziert [Vgl. Blumtritt, Prakti, 2002, S. 20.], wenn sie die Montage dieser Kamera nicht nach einiger Zeit in den Griff bekommen hätten. Gekauft wurde diese Kamera dann beispielsweise von einer damals 27-jährigen Christa Taubert – von Menschen also, die qualitativ hochwertige Aufnahmen machen wollten, ohne sich großartig mit Aufnahmetechnik befassen zu müssen. Um es vorwegzunehmen: In der Praxis erfüllt unsere Prakti diese Anforderungen eigentlich ziemlich gut. Vorausgesetzt es gibt genügend Licht bzw. der Film ist empfindlich genug, dann blendet die Automatik das Domiton auf mittlere Werte ab und die Schärfentiefenbereiche überschneiden sich so günstig, daß selbst bei unsicherer Wahl des Motivbereichs kaum völlige Fehlresultate durch Unschärfe zu befürchten sind. Man muß aber dazu sagen, daß dies für die heutigen Filme mit Empfindlichkeiten zwischen 21 DIN/100 ASA und 27 DIN/400 ASA und deren große Belichtungsspielräume gilt. Mit einem ORWOCOLOR Umkehrfilm UT 16 als typischen Farbfilm der 60er Jahre waren diesbezüglich die Spielräume deutlich kleiner, wenn es sich nicht gerade um einen sommerlichen Sonnenscheintag handelte.
Als größte Einschränkung, wenn man mit der Prakti unterwegs ist, empfindet man ihre Verschlußzeiten. Im Grunde genommen stellt sich nach kurzer Zeit das Gefühl ein, man photographiere mit einer Boxkamera. Denn die beiden am meisten verwendeten Motivbereiche GRUPPE und LANDSCHAFT basieren auf der fest eingestellten Verschlußzeit von 1/60 Sekunde. Zur der Zeit, als die Prakti konzipiert wurde, ergaben die damaligen Filme bei dieser Belichtungszeit und bei guten Lichtverhältnissen mittlere Blendenwerte von 5,6 oder 8. An einem trüben Tag jedoch, lag die Blende dann schon am offenen Anschlag oder die Lichtstärke von 1:4,0 reichte unter Umständen nicht einmal mehr aus.
Damals gab es aber bereits hochempfindliche Schwarzweißfilme mit Werten zwischen 21 DIN/100 ASA und 27 DIN/400 ASA. Heute liegen fast alle Farbnegativfilme im Bereich 200 oder 400 ASA. Mit diesen Filmen erreicht man auch an einem recht trüben Tag mit der Verschlußzeit 1/60 Sekunde ideale Blendenöffnungen von 5,6 oder 8. Kommt dann aber die Sonne heraus, so ist diese 1/60 Sekunde plötzlich viel zu lang und selbst die Blende 16 führt noch zu Überbelichtungen. Heutige Farbnegativfilme vertragen Überbelichtungen bis zwei Blendenstufen meist problemlos, deshalb kann man bei viel Licht beispielsweise einfach 18 oder 21 statt der tatsächlichen 24 DIN an der Kamera einstellen um zu verhindern, daß bei viel Licht die Blende ständig am Anschlag bei Blende 16 ist. Die zweite Möglichkeit besteht darin, auf den Motivbereich SPORT zu wechseln, obgleich man gar kein echtes Sportmotiv photographiert. Es stellt sich zwar dann die kürzeste Verschlußzeit von 1/250 Sekunde ein, aber durch die hohe Lichtempfindlichkeit heutiger Filme schließt sich die Blende trotzdem auf den Wert 8 oder 11. Aus diesem Grund ist dann auch die Schärfentiefe in diesem Motivbereich größer als die in der Bedienungsanleitung angegebenen 4 bis 40 Meter, sodaß auch Vordergrund und Landschaft im Sportmodus gleichzeitig aufgenommen werden kann. In diesem Hinblick war es andererseits ziemlich unglücklich gewählt, daß bei Nahaufnahmen in der Stellung PORTRAIT die Belichtungszeit auf den längsten zur Verfügung stehenden Wert von 1/30 Sekunde fixiert worden ist. Photographieren bei schlechtem Licht, wo die Blende meist völlig offen ist, war dadurch zwangsläufig auf den Nahbereich bis etwa 3 Meter beschränkt.
Als Fazit zur Belichtungsautomatik der Prakti läßt sich also sagen, daß man die Wahl des Filmes viel stärker auf die zu erwartenden Wetter- bzw. Lichtverhältnisse anpassen mußte (und immernoch muß), als mit Kameras, bei denen man die Verschlußzeit frei wählen kann. Dieser schwerwiegende Kritikpunkt war schließlich der Hintergrund hinter den Patenten Nr. DD34.201 und DD40.258, mit denen die Konstrukteure 1963 nachträglich versuchten, die bislang zementierte Verknüpfung von Verschlußzeit und Entfernungseinstellung zu entkoppeln (siehe Unterpunkt 5.8). Diese vielleicht für ein Nachfolgemodell PRAKTI III angedachte Verbesserung wurde leider nicht mehr umgesetzt. So blieb es beim Drei-Zeiten-Verschluß mit seinen nicht immer ganz passenden Verknüpfungen von Entfernungen und Schärfentiefenbereichen. Erst die heutigen Filme mit ihren gutmütigen Belichtungsspielräumen nehmen diesen konstruktiven Beschränkungen der Prakti einiges an Brisanz.
Wer also das Glück hat, eine funktionstüchtige Prakti zu besitzen, der kommt in den Genuß einer außergewöhnlich schnappschußfreudigen Sucherkamera. Den Umgang mit dem Motivregister beherrscht man bereits nach kurzer Zeit. Das Sucherbild ergibt eine deutliche Abgrenzung der Motivränder. Mit einem kurzen Blick auf das rechts neben dem Sucherbild stehende gelbe Feld vergewissert man sich eigentlich nur noch, ob man in den beiden 1/60-Sekunden-Bereichen bleiben kann, oder auf den Bereich mit 1/250 Sekunde wechseln muß, weil die Szenerie zu hell ist. Erfahrene Photographen ärgern sich, daß man damals in Dresden die Chance ausgelassen hat, im gelben Feld eine Blendenskala anzuordnen. Zu gern wüßte man den tatsächlichen Blendenwert – auch um die Kamera gelegentlich mit einem Vergleichsbelichtungsmesser auf korrekte Belichtung zu überprüfen.
Bleibt noch eine Sache anzumerken: Die Bedienungsanleitung warnt auf ihrer letzten Seite ausdrücklich davor, das Selenelement versehentlich mit den Fingern abzudecken. Das ist übrigens bei allen Kameras ein Problem, bei denen die Belichtungsmessung während der Belichtung stattfindet. Man kann diesen Warnhinweis aber auch ebensogut in seinem Sinn umkehren: Sehr oft kommen nämlich Aufnahmesituationen vor, in denen der Hintergrund viel heller ist, als das eigentliche Motiv im Vordergrund. Insbesondere Selenbelichtungsmesser, die einen großen Meßwinkel haben, werden dann von diesem Hintergrundlicht sehr getäuscht, wodurch das Motiv stark unterbelichtet wird. In solchen Fällen kann es sehr hilfreich sein, das Fenster des Belichtungsmesser bewußt abzudecken, um einen Ausgleich der Belichtung zu erzwingen. Hält man etwa die Hälfte des Belichtungsmessers mit den Fingern zu, denn stellt sich mindestens die nächstgrößere Blendenöffnung ein. Entwickelt man das nötige Gespür für solche schwierigen Aufnahmesituationen, dann wird man auch mit der einfachen Belichtungsmessung der Prakti 100 Prozent korrekt belichtete Bilder auf einem Filmstreifen erreichen können.
Neuverschließung. Diese Aufnahme aus der Zeit des ersten Corona - Lockdowns im Frühjahr 2020 zeigt, daß Nahaufnahmen ab 1 Meter Abstand für die Prakti keinerlei Problem darstellen.
Unten: "Ruhig bleiben und Dildos benutzen". Der ansonsten stets geschäftige Bahnhof Schöneweide zeigt sich im April 2020 menschenleer
Die Motivarten GRUPPE und LANDSCHAFT liegen von den Entfernungsbereichen her so nahe beieinander, daß sie sich bei guten Lichtverhältnissen aufgrund der hohen Schärfentiefe des Domiton 4/40 oftmals überschneiden. Oben wurde bei der Südringkurve der Berliner Stadtbahn wegen des Vordergrundes die Einstellung GRUPPE angewandt. Trotzdem ist auch die Tiefe des Bildes scharf.
Die Kleinstadtidylle im erzgebirgischen Zschopau wurde hingegen im Landschaftsmodus festgehalten. Die Bildleistung des Domiton ist stets absolut überzeugend.
Oben: Durch den aufwendig gebauten Sucher mit seiner reellen Zwischenbildebene stimmt das von ihm angezeigte Bildfeld sehr genau mit der tatsächlichen Aufnahme überein - viel besser jedenfalls, als es sonst in dieser Kameraklasse üblich ist.
Unten: Die Prakti entpuppt sich, wenn man sich näher auf sie einläßt, als außergewöhnlich agile Schnappschußkamera. Und ein Portra 160, der durchweg auf 21 DIN/100 ASA belichtet wurde, entpuppte sich als idealer Sommerfilm für dieses Gerät.
Oben: Hier war die Blende mal voll geöffnet.
Unten mußte hingegen auf den Motivbereich "Sport" umgestellt werden, weil es so hell war, daß die hier zugrundegelegte 1/250 Sekunde benötigt wurde, um den Zeiger des Belichtungsmessers im gelben Feld zu halten.
Oben sind einmal die Grenzen der Prakti aufgezeigt. Erstens, weil aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse die Blende voll geöffnet war und zweitens, weil selbst die 1/250 Sekunde nicht ausgereicht hat, um den Eilgüterzug völlig bewegungsscharf abzubilden. Dabei hätte ja der aufwendige Prestor eigentlich das Potential für eine 1/750 Sekunde als kürzeste Verschlußzeit geboten...
Marco Kröger M.A., Sommer 2021
letzte Änderung: 9. Januar 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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