Pancolar 1,8

Das Pancolar 1,8/50

VEB Carl Zeiss Jena

Zeiss Jena Pancolar 1,8/50 (1964)

1. Das Pancolar 1,8/50 von 1964

Mit dem Pancolar 2/50 mm in der Version vom November 1960 schien man im VEB Carl Zeiss JENA endlich ein Optimum zwischen Aufwand und resultierender Abbildungsleistung gefunden zu haben. Doch die Ansprüche wuchsen rasch weiter und Konkurrenzfirmen wie Asahi Pentax oder Albert Schacht in Ulm hatten bereits mit Normalobjektiven der Lichtstärke 1:1,8 einen neuen Standard etabliert. Diese auf den ersten Blick nur geringfügig erhöhte Öffnung um etwa einen halben Blendenwert verlangte aber nach umfangreichen konstruktiven Weiterentwicklungen der bisherigen Typen, weil gleichzeitig eine weiter gesteigerte Abbildungsleistungen verlangt wurde. Also hat man in Jena (und übrigens zur selben Zeit auch in Görlitz) ein völlig neues Normalobjektiv 1,8/50 mm erarbeitet.

Pancolar 1,8/50 1963

In den Unterlagen von Günther Benedix, die jener in der Nachwendezeit vor der Vernichtung sichern konnte, findet sich das oben gezeigte Blatt mit "Vorläufige[n] Angaben Objektiv 1,8/50 für SR-36", das auf den 10. bzw. 11. Oktober 1963 datiert und das früheste Zeugnis für das spätere Pancolar 1,8/50 mm darstellt. Das Serienobjektiv basierte auf einem Versuch V371, dessen Rechnung zum 10. April 1964 abgeschlossen werden konnte.

Mitteilung V371 Pancolar 1,8/50

Die obige Mitteilung vom 22. Mai 1964 zeigt, daß dieses neue Pancolar 1,8/50 mm nun mit großer Eile in die Serienfertigung überführt werden sollte. Der Hinweis mit dem Kombinationsschein bedeutet, daß die Grundkonstruktion durch sogenannte Kombinationsrechnungen auf das damals tatsächlich lagermäßig vorhandene Glasmaterial abgeglichen werden sollte. Meist genügten leichte Änderungen an Linsendicken und Luftabständen, um das theoretisch errechnete Objektiv an die oftmals nur in den hintersten Stellen leicht abweichenden Werten der ny-Zahlen und Brechungsindizes anzupassen. In der (Groß-)Serienfertigung wurde dann meist umgekehrt vorgegangen und versucht, Glas einer bestimmten Schmelze für den Bau eines bestimmten Objektives vorgehalten. Bei einem Normalobjektiv, von dem in kurzer Zeit Glas für viele tausend Exemplare verbraucht wird, waren trotzdem ständig diese Kombinationsrechnungen nötig.

Prüfbericht V371 Pancolar 1,8/50

Das eingangs erwähnte Bemühen des VEB Carl Zeiss Jena, seine Spitzenpositionen auf dem Weltmarkt zu verteidigen, wird oben gut aus der Zusammenfassung des Prüfberichtes zum Versuch V371 deutlich. Nach dem Durchmessen von drei Musterobjektiven konnte dem neuen Pancolar 1,8/50 mm eine geradezu glänzende Abbildungsleistung bescheinigt werden, die in der nüchternen Art von Physikern und Mathematikern natürlich nicht mit jener überschwänglichen Ausdrucksweise verpackt wird, wie sie Beispielsweise die Anwender derartiger Objektive verwenden würden. Das Pancolar 1,8/50 von 1964 ist einfach ein herausragendes Objektiv. Zentraler Konstrukteur war der Diplomphysiker Wolf Dannberg, der ohne Übertreibung zu den bedeutendsten Optikrechnern des 20. Jahrhunderts gezählt werden muß.

Pancolar 1,8/50 mm erste Version 1964

Im Schlußsatz der Ergebniszusammenfassung des obigen Prüfberichtes ist allerdings zu lesen: "Einer Einführung in die Produktion steht bezüglich der Bildleistung nichts im Wege." Eine derartige Formulierung, die natürlich nicht ohne Bedacht gewählt wurde, läßt beim aufmerksamen Leser sofort die Frage aufkommen, welcher Grund es denn dann sein könnte, der einer Einführung in die Produktion entgegenstehen würde? Die Antwort auf diese Frage zirkelt um das in den obigen Dokumenten bereits mehrfach vorgekommene Kürzel SSK11. Es steht für die Glasart Schwerstkron SSK11. Dieses Boratglas war Ende der 50er Jahre im Jenaer Glaswerk unter Werner Vogel und Wolfgang Heindorf entwickelt worden und es erreichte für ein Kronglas (ny-Wert: 52,9) eine außergewöhnlich hohe Hauptbrechzahl von 1,7564. Sie beflügelte den Jenaer Objektivbau Anfang der 1960er Jahre regelrecht. Rein allgemein gesprochen bedeutete ein solches Glas, daß mit ihm Linsen herstellbar waren, die bei gleicher Brechkraft mit deutlich flacheren Krümmungen auskamen, als wenn dafür ein älteres Kronglas mit sehr viel kleinerer Brechzahl verwendet worden wäre. Kleine Krümmungshalbmesser führen aber mit sich, daß die bei lichtstarken Objektiven ganz besonders schädlichen Wirkungen des Kugelgestaltsfehlers (sphärische Aberration) begrenzt werden konnten. Zweitens stellt es eines der wichtigsten Korrekturmittel innerhalb der Optik dar, hochbrechende Krongläser mit Flintgläsern zu kombinieren, um bei annähernd gleicher Brechzahl zu stark voneinander abweichenden Farbzerstreuung zu gelangen. Die damit gebildeten sogenannten hyperchromatischen Paare in den mittleren Kittgruppen des Planar-Biotar-Typus, die historisch gesehen den großen Durchbruch für die Beherrschung der sphärochromatischen Restfehler beim Doppelgaußobjektiv mit sich brachten, sind der Grund für dessen anschließenden Erfolg im Sektor lichtstarker Objektive und sicherlich auch für seine bis heute anhaltende Dominanz.

Pancolar 1,8 1964 Schema

Wie oben zu sehen, war dieses Schwerstkron SSK11 beim Pancolar 1,8/50 in nicht weniger als vier der sechs Linsen eingesetzt worden! Dabei wurde es in den inneren Kittgliedern dem Schwerflint SF15 (n = 1,699; ny = 30,1) gegenübergestellt. Mit diesem neuen Schwerstkron hatte man in der DDR der frühen 60er Jahren gewißlich ein optisches Glas auf Spitzenniveau zur Hand, mit dem es gelang, mit den Entwicklungen in den USA (Kodak) und vor allem auch der Bundesrepublik aufzuschließen. Dabei wird meist übersehenen, daß es nicht nur auf die genaue Zusammensetzung des Glases ankam, sondern auch auf den Aufbau der nötigen Technologie, um ein derartiges Glas fabrikmäßig in großen Mengen herstellen zu können. Nur so war überhaupt der Einsatz in ausgesprochenen Massenerzeugnissen wie einem Normalobjektiv in den Bereich des Möglichen zu bringen. Und genau so ist die versteckte zweite Bedeutung des Schlußsatzes im obigen Prüfbericht zu verstehen: Es mußte auch im Hinblick auf die Materialbasis sichergestellt werden, das völlig auf dem neuen Schwerstkron basierende Pancolar 1,8/50 mm in die Serienfertigung überführen zu können.

Pancolar 1,8/50 Praktica electronic

Denn leider hatten diese extremen optischen Eigenschaften des SSK11 auch ihren Preis – und zwar sowohl im direkten wie im übertragenen Wortsinne. Einmal sind derartige Gläser nämlich vergleichsweise teuer in der Herstellung. Nicht nur weil sie als Rohstoffe sogenannte seltene Erden enthalten, sondern auch deshalb, weil das Schmelzen sehr aufwendig ist. Die kompliziert aufgebauten Schmelzsätze neigen zum auskristallisieren, anstatt als amorphe Masse zu erstarren, was sie völlig unbrauchbar werden lässt. Auch können nur verhältnismäßig kleine Mengen auf einmal geschmolzen werden. Wenn man sich vor Augen führt, daß bereits bei "normalen" optischen Gläsern der Großteil einer Schmelze letztlich verworfen werden muß, weil er den extrem anspruchsvollen Schlußprüfungen nicht standhält, so ist das bei einem Glas, das unter Umständen kiloweise sehr teure Rohstoffe enthält, besonders problematisch. Und problematisch kann es vor allem auch deshalb sein, weil das verworfene Glas nicht mehr für die Fertigung von Alltagsgegenständen umgenutzt werden kann, sondern als Giftmüll entsorgt werden muß.

DD22535 Vogel-Heindorf SSK11

Denn der große Nachteil des SSK11 lag schließlich darin, daß dessen extreme optische Eigenschaften nur durch Einsatz von Thoriumdioxyd im Glassatz möglich waren. Und dabei handelt es sich nicht nur um ein giftiges Schwermetall, sondern es ist obendrein noch schwach radioaktiv. Das verkomplizierte einerseits das Erschmelzen in der Glasfabrik aber vor allem auch die Verarbeitung in den Linsenschleifereien, denn die dabei freiwerdenden Stäube sind hochgradig karzinogen. Als noch viel größeres Problem stellte sich aber bald heraus, daß jene Schwerstkron-Gläser durch die Eigenstrahlung des Thoriums optisch nicht langzeitstabil sind. Sie vergilben mit der Zeit stark und sorgen dabei nicht nur für einen unvertretbaren Farbstich der betroffenen Objektive, sondern letztlich durch den Transparenzverlust des Glases auch für eine merkliche Einbuße an effektiver Lichtstärke des Objektivs. Aber genau jene war ja mit ihrem Einsatz zuvor gerade erst auf ein höheres Niveau getrieben worden – was sich für den Hersteller als unauflöslicher Widerspruch offenbarte.

Pancolar 1.8 Pentacon Super

Das Pancolar 1,8/50 mm in der ersten Version gab es auch in geringen Stückzahlen für die Pentacon Super. Diese Exemplare erkennt man an den zwei Stößeln auf der Rückseite. Beim oberen rechten Stößel a) handelt es sich um den üblichen Mechanismus für die Druckblendenmechanik. Der untere Stößel b) dagegen bewerkstelligt die spezielle Offenblendenübertragung dieser Spitzenkamera. Er ist dazu durch den Mitnehmer c) mit dem Blendenring gekuppelt und übermittelt dessen Stellung an das Summengetriebe der Pentacon Super, sodaß sich der zu erwartende Blendenwert ohne abblenden zu müssen im Belichtungsmeßwert wiederfindet. Dieser zusätzliche Stößel kann aber bei Bedarf ausgekuppelt und eingefahren werden, sodaß die damit ausgestatteten Objektive an jeder anderen M42-Kamera nutzbar sind. Genau dazu gibt es auch ein Patent, nämlich die Nummer DD54.185 vom 20. Februar 1967. Hermann Friebe, Paul Klupsch und Dieter Reinicke waren die Urheber. Unten die Abbildung des entsprechenden Mechanismus aus dem besagten Patent.

Diese negativen Eigenschaften des SSK11-Glases waren schon nach kurzer Zeit erkannt worden und deshalb setzte bereits nach wenigen Jahren ein Programm zur Substitution dieser Glasart ein. Dahinter verbirgt sich der Grund, weshalb dieses neue Pancolar 1,8/50 mm nicht sehr lange im Angebot verblieb. Angesichts der Tatsache, daß nun bald in Dresden fast im Minutentakt eine Praktica vom Band lief, war es schlichtweg zu teuer und zu aufwendig in der Herstellung. Es wurde deshalb nur zwischen 1965 und 1970 gebaut – allerdings immerhin in einer Stückzahl von knapp 40.000 Exemplaren! Man findet es nur in der damals aktuellen Zebragestaltung und es blieb auf den M42-Anschluß beschränkt – für die Exakta wurde die vorige Version 1:2,0 weitergebaut. Von seinem Nachfolger, der ganze zehnmal häufiger anzutreffen ist, läßt es sich anhand der kürzeren Fassung unterscheiden.

Jena Pancolar 50 mm f/1.8 (version 1964)

Jena Pancolar 1,8/50 mm in der Ausführung von 1964 bei voll geöffneter Blende. Praktica DTL3, Ilford Pan F.

Pancolar 1964
Pancolar 1964

Hier sind jeweils oben und unten die Flachnuten-Fassungen der beiden Pancolare 1,8/50 mm von 1964 sowie 1967 gegenübergestellt. Und zwar jeweils einmal mit den üblichen schwarz ausgelegten Blendenzahlen. Beide Objektive gab es jedoch auch mit einem schwarz lackierten Blendenring, bei dem die Blendenzahlen weiß ausgelegt waren. Das ist das äußere Kennzeichen dafür, daß dieses Objektiv (oder zumindest einzelne Exemplare des Produktionsloses) für die Pentacon Super gedacht war. Diese Kamera hatte eine Direktablesung der Blendenzahl im Prismensucher und man erachtete wohl weiße Ziffern auf schwarzen Grund für besser sichtbar als schwarze Ziffern auf glänzender Fläche. Das 1967er Pancolar mit einem derartigen schwarzen Blendenring ist nur in sehr geringen Stückzahlen gefertigt worden.

Pancolar 1967
Pancolar 1967

Stückzahl

Seriennummernbereich

Fertigung

50

7.028.451 bis 7.028.500

Nullserie 1965

100

7.082.601 bis 7.082.700

20. 09. 1965

1320

7.089.581 bis 7.089.900

24. 01. 1968

3000

8.052.501 bis 8.055.500

05. 01. 1968

2500

8.055.501 bis 8.058.000

02. 01. 1968

3000

8.233.863 bis 8.236.862

11. 06. 1968

3000

8.236.863 bis 8.239.862

15. 10. 1968

3500

8.473.605 bis 8.477.104

13. 06. 1969

10.000

8.529.600 bis 8.539.599

07. 01. 1970

3600

8.539.600 bis 8.543.199

04. 09. 1970

6400

8.543.200 bis 8. 549.599

01. 07. 1970

3000

8.549.600 bis 8.552.599

24. 11. 1970

Die Tabelle oben [nach Thiele] bietet nun noch einmal einen anderen Einblick in die tatsächliche Fertigungsgeschichte des Pancolars 1,8/50 mm. Demnach ist nach Abschluß der Konstruktion im Jahre 1965 erst einmal nur eine sehr kleine Anzahl von 150 Stück gefertigt worden. Die tatsächliche Großserienfertigung beginnt dagegen erst im Jahre 1968, nachdem der im nächsten Abschnitt beschriebene Nachfolger bereits konstruiert worden war! Weitere große Stückzahlen folgen gar erst im Jahresverlauf 1970. Zudem werden die erste und die zweite Version kurzzeitig parallel produziert (das erste mit Beleg gesicherte Fertigungsdatum von 10.000 Stück der zweiten Version ist der 6. Oktober 1970). Man erkennt gut, wie die neue Praktica L-Reihe, die durch ihren modularen Aufbau noch besser für die Fließbandfertigung ausgelegt war, nach bisher nicht gekannten Stückzahlen an Normalobjektiven verlangte.

2. Das Pancolar 1,8/50 von 1967

Das Schwerstkronglas SSK11 für ein Massenobjektiv einzusetzen, das muß sich bereits nach kurzer als eine Art Faustischer Pakt für den Hersteller herausgestellt haben. Denn wenn nun, wie oben dargestellt, in nur etwa zwei Jahren Produktionszeit fast 40.000 Stück ausgestoßen wurden, dann heißt das ja, daß man bei Carl Zeiss Jena von einer Nachfrage überrascht wurde, die man so nicht erwartet hatte. Wie bereits erwähnt lag das natürlich einerseits an den sehr hohen Stückzahlen, mit denen die Praktica-Kameras nun ausgestoßen wurden. Zweitens hatte es aber auch mit einem Wandel der Rolle des Tessares 2,8/50 zu tun, das von der üblichen Standardbestückung für eine Spiegelreflexkamera immer mehr zum preiswerten Einsteigerobjektiv geriet. Man erkennt das auch daran, daß das Tessar nie mit Blendenelektrik für die Praktica-Spitzenmodelle gefertigt wurde. Demgegenüber entwickelte sich in den 1960er Jahren das vom Doppelgauß abgeleitete Normalobjektiv nun zur selbstverständlichen Normalausstattung einer Spiegelreflexkamera, was unter anderem damit zu tun hatte, daß dessen vormaligen Nachteile in den letzten Jahren quasi vollständig beseitigt werden konnten. Wir können diesen Wandel auch daran ablesen, daß der Konkurrent in Görlitz seit etwa 1965 überhaupt kein mittel-lichtstarkes Normalobjektiv mehr im Programm hatte und stattdessen ausschließlich auf sein Oreston 1,8/50 mm setzte.

Bericht V406 1967

Die oben angesprochenen Schwierigkeiten mit dem neuen Pancolar 1,8/50, die damals vor allem von der Notwendigkeit zur ständigen Beschaffung des sehr aufwendigen Schwerstkron SSK11 in großen Mengen ausgingen, müssen schon relativ kurz nach Anlaufen der ersten kleineren Serienproduktion zu Tage getreten sein. Es ist davon auszugehen, daß schon im Jahre 1966 erste Arbeiten aufgenommen wurden, um dieses Objektiv wieder abzulösen. Ergebnis war der sogenannte Glasversuch V406 vom 2. Mai 1967, der die Grundlage für das spätere Serienobjektiv eines neuen Pancolares 1,8/50 mm bildete. Die beiden oben und unten wiedergegebenen Dokumente vom September 1967 geben einen Eindruck davon ab, wie man bei Carl Zeiss Jena den Spagat zu meistern suchte zwischen dem notwendigen Ersatz des SSK11 einerseits und einer trotzdem möglichst geringen Einbuße an bisher erreichter Abbildungsleistung.

Mitteilung V406 Pancolar 1,8/50

Es wird auch deutlich, wie den Verantwortlichen klar war, daß eine Entscheidung für die Umstellung auf den Versuch V406 eine sei, welche "die Fertigung der nächsten Jahre" bestimmen wird. Wir wissen heute, daß es sogar die nächsten zwei Jahrzehnte gewesen sind. Und angesichts dieser langen Fertigungsdauer und den großen Stückzahlen, die letztlich von diesem Normalobjektiv noch gebaut werden sollten, war es im Nachhinein betrachtet eine absolut richtige Entscheidung sich vom Pancolar 1,8/50 auf SSK11-Basis so rasch wie möglich zu verabschieden. Das bisher Gesagte macht aber auch deutlich, daß man in Jena damals extrem mit der Entscheidung gehadert hat, auf die Neurechnung überzuwechseln.

Pancolar 1,8/50 1967 Schema

Denn ein Verzicht auf diese schwersten Krongläser mußte zwangsläufig auf einen Kompromiß hinauslaufen. Bei diesem neuen Pancolar 1,8/50 mit Rechnungsabschluß vom Mai 1967 dominiert jetzt das Schwerkron-Glas SK 22, das gleichzeitig in den Linsen 2; 5 und 6 zum Einsatz kam. Hierbei handelt es sich um ein Lanthan-Kronglas ähnlich dem in der Bundesrepublik verwendeten LaK 2, das in der Herstellung und Verarbeitung deutlich einfacher zu handhaben war. (Mehr zum Hintergrund dieser Lanthan-Krongläser im Zusammenhang mit dem Jena Pancolar 1,4/75 mm.) Das Flint F16 in Linse Nummer drei wurde übrigens ab der Kombination K93 durch das etwas höher brechende F2 abgelöst. Eine Kombination mit der Nummer 93 liefert auch einen Einblick, welche enormen Anzahlen an Kombinationsrechnungen sich bei einem derart lange und in großen Mengen produzierten Objektiv anhäuften, da bei Stückzahlen von 10.000 je Produktionslos ständig neue Glasschmelzen verwendet werden mußten.

DD77.830 Pancolar 1.8/50

Aufgrund der ungünstigeren Brechzahl des SK 22 (n = 1,6779) gegenüber dem bisherigen SSK 11 (n = 1,7564) war allerdings eine Weiterentwicklung des gesamten optischen Aufbaus notwendig, um eine hohe Fehlerkorrektur aufrecht zu erhalten. Wolf Dannberg und Gerhard Risch schafften dies, indem sie eine der beiden charakteristischen inneren Kittgruppen des Gaußtyps in Einzelelemente auflösten. So waren auch andere Hersteller bereits verfahren. Laut DDR-Patentschrift Nummer 77.830 vom 7. Mai 1969 war dies beim neuen Pancolar in der hinteren Systemhälfte geschehen, wodurch zwischen der vierten und der fünften Linse eine Luftlinse entstand, deren Dicke zwischen dem 0,028- und dem 0,048-fachen der Brennweite liegen sollte und deren zerstreuende Wirkung größer sein mußte als 5% aber kleiner als 20% der Wirkung des vor ihr stehenden zerstreuenden Innengliedes. Hier wird also einmal deutlich, wie ein zwischen zwei Linsen stehender Luftzwischenraum und eine zusätzlich gewonnene Fläche zur Korrektur des Gesamtsystems ausgenutzt werden kann.

Pancolar 1,8/50 1967

Bei der zweiten Version des Pancolars 1,8/50 mm wurde die bisherige, sehr kompakte Fassung aufgegeben und durch eine etwas längere ersetzt, in der die Optik deutlich zurückgesetzt lag, was die Streulichtempfindlichkeit deutlich herabsetzte.

Pancolar Exakta RTL1000

Das oben gezeigte Pancolar 1,8/50 für die Exakta RTL 1000 stammt aus der allerersten Serie dieser neuen Version von 5000 Stück. Es wurde hergestellt, als offenbar noch die erste Version in Fertigung war. Bei Thiele ist leider kein Produktionsdatum verzeichnet, aber es könnte bereits spät im Jahr 1969 produziert worden sein.

Mit diesem neuen Pancolar 1,8/50 wurde nun ein Optimum erreicht zwischen einer möglichst guten Bildleistung und einer gleichzeitig ökonomisch vertretbaren Massenfertigung. Es entpuppte sich nicht zuletzt auch aus diesem Grunde in der Folgezeit als eine der glücklichsten Nachkriegsschöpfungen des Zeisswerks. Es wurde bis zur Mitte der 1980er Jahre in für Zeiss-Verhältnissen sehr großen Stückzahlen gefertigt. Alle Fassungsvarianten zusammengenommen dürften es bis 1986 über 375.000 Pancolare 1,8/50 gewesen sein. Zählt man auch jene Fertigungslose mit hinzu, bei denen es im Thiele heißt "Beleg fehlt" oder "Karte fehlt", dann waren es sogar weit über 400.000. Das Pancolar galt seinerzeit stets als die beste Objektivbestückung, wenn man sich eine Praktica kaufte. Es war damals heiß begehrt und ist bis heute sehr beliebt geblieben. Und das nicht zu Unrecht!

Pancolar electric

Das Pancolar in der Rechnung von 1967 war ab 1969 das erste und lange Zeit auch einzige Zeiss-Objektiv mit der Blendenelektrik für die Praktica LLC. Erst ab Mitte der 1970er Jahre kamen weitere Zeiss-electric-Objektive hinzu. Charakteristisch die drei federnden Kontakte, die die Abgriffe des mit der Blende gekoppelten exponentialen Spannungsteilers an das Kameragehäuse weitergeben.

Pancolar 1,8/50 MC
Pancolar 1,8/50
Pancolar 1,8/50 Ratio

Hier ist die zeitliche Abfolge der mehrschichtvergüteten Pancolare 1,8/50 gezeigt, deren gemeinsames Merkmal darin besteht, daß ihre Fassungen gänzlich schwarz lackiert wurden. Ganz oben ist eine sehr frühe Version vom Januar 1976 abgebildet, bei der die Blendenmechanik noch von der Zebraversion stammt. Die meisten Pancolare wurden jedoch in der mittleren Bauform mit dem "genormten" Anschlußstück geliefert, das es mit anderen Zeissobjektiven jener Zeit gemein hatte. Die dritte Variante des MC-Pancolars stammt aus der Endphase der DDR und hat eine deutlich kürzere Fassung, die einen sehr eleganten Eindruck macht.

Pancolar 50 mm f/1.8 Zebra

Bereits bei späten Zebra-Pancolaren 1,8/50 wurde damit begonnen, die Objektivbezeichnung nicht mehr auf dem Ring zu gravieren, sondern offenbar zu drucken. Das sparte Kosten und das Schriftbild sah gleichzeitig modern aus. Weiterhin graviert wurde jedoch die Seriennummer, weil die prinzipbedingt bei jedem Objektiv unterschiedlich ausfiel. Die Praktica LTL3 gehört übrigens noch nicht zur sogenannten 3er-Reihe, sie ersetzte nur das Modell LTL2 mit ihrem Belichtungsabgleich per Leuchtfelder und kehrte damit wieder zum mechanischen Meßwerk der Praktica LTL zurück.

Pancolar Praktica EE2

Auch die Frontringe der ersten Version der MC-Pancolare hatten zunächst diese gedruckte Namensbezeichnung; allerdings mit einem Unterschied: Erstmals wurden für Blendenelektrik hergerichete Zeiss-Objektive mit dem Zusatz "electric" versehen. Und wie die Seriennummer war auch diese Zusatzbezeichnung aufgraviert. Zebra-Pancolare mit Blendenelektrik waren hingegen nie als solche gesondert gekennzeichnet worden. Bei der zweiten, in sehr großen Stückzahlen gebauten Version des MC-Pancolars wurde die Objektivbezeichnung samt Seriennummer dann wieder vollständig graviert – nun offenbar mit elektronisch gesteuerten Automaten anstelle der zuvor verwendeten handgeführten Fünfspindel-Graviermaschinen

Practica VLC Pancolar 1.8

Die letzte Bauform des Pancolar 1,8/50 an der letzten Version der Exa, die durch ihre neue "Gehäusebeplankung" noch einmal ein gänzlich gewandeltes Gesicht verpaßt bekommen hatte. Der Plastik-Look entsprach übrigens seinerzeit ganz und gar dem Zeitgeschmack.

Hier einmal ein Vergleich aus der Praxis: Das Pancolar 1,8/50 aus den frühen 1970er Jahren an der Praktica LTL. Oben bei voller Öffnung, unten abgeblendet auf 1:2,8. Scharf gestellt war auf das andere Zugende. Das kommt übrigens einer Einstellung auf Unendlich gleich, die der Photooptiker üblicherweise auf das tausendfache der Brennweite veranschlagt (die BVG-Baureihe H ist  fast 100m lang!). Bei solchen Aufnahmen spielen Allgemeinschärfe und Schärfentiefe ineinander und beeinflussen den letztlichen Bildeindruck, denn nur selten photographiert man rein flächige Motive, wo sich alles in einer Ebene abspielt. Demnach ist es doch interessant, daß sich beim Abblenden, was die Bildschärfe angeht, in der Bildmitte kaum noch etwas ändert. Unter praxisnahen Umständen auf mittelempfindlichem Film und aus der Hand aufgenommen, nutzen wir die Bildleistung selbst der lichtstarken Objektive kaum aus. Kein Wunder, daß solche 50 Jahre  alten Objektive selbst an heutigen Bildsensoren meist noch eine überraschend gute Figur abgeben...

Oben: Das Pancolar 1,8/50 electric an der Praktica VLC3 (nur minimal abgeblendet, um noch mit der 1/1000 Sekunde auszukommen). Kodak Ektachrome 320 Kunstlichtfilm als Farbnegativ entwickelt.


Unten: Erdbeerwein - das Zeiss Jena Pancolar 1,8/50 mm an der Praktica EE3 bei völlig geöffneter Blende. Ein Kodak Elitechrome 100 wurde ebenfalls in C41 zum Farbnegativ entwickelt.

Pancolar 50mm f/1.8

3. Das Prakticar 1,8/50 mm

Als im Jahre 1979 endlich die neue Praktica-Generation mit Bajonettanschluß auf den Markt kam, wurde natürlich auch das Pancolar 1,8/50 mm in einer solchen Fassung angeboten. Allerdings nicht lange. Es kann eigentlich nur im Verbund mit der Praktica B 200 und allenfalls noch mit der B 100 zusammen ausgeliefert worden sein, denn die Produktionszeit erstreckte sich lediglich zwischen Februar 1979 und Juni 1982. In dieser kurzen Zeit wurden laut "Thiele" reichlich 29.000 Stück hergestellt. Da dort jedoch ein Fertigungslos im Seriennummernbereich 11.018.XXX nicht verzeichnet ist, obwohl es real existiert, kann man wohl von über 30.000 Stück ausgehen. Damit dürfte dieses Jenaer Prakticar 1,8/50 mm trotz der so frühzeitig eingestellten Produktion das am meisten gebaute Zeissobjektiv für diesen Kameraanschluß darstellen.

Carl Zeiss Jena Prakticar 1.8/50mm
Jena Prakticar 1,8/50

Wie alle Objektive zur neuen B-Reihe wurde es "Prakticar" benannt. Das führt dazu, daß das JENA Prakticar 1,8/50 sehr leicht mit einem PENTACON Prakticar 1,8/50 verwechselt werden kann, nicht zuletzt da sich beide Objektive auch äußerlich sehr ähnlich sehen.

Zeiss and Pentacon Prakticar comparison
Praktica BX20 Werbung

Aus Thieles Quellenedition der Fertigungs-Karteiekarten läßt sich ableiten, daß etwa 30.000 Stück des Zeiss Prakticars 1,8/50 hergestellt worden sind. Es kann natürlich sein, daß ein oder mehrere Fertigungslose de facto nicht oder nur teilweise produziert wurden. Man darf bei der Beurteilung dieses Problems aber auch den sehr kurzen Fertigungszeitraum nicht außer Acht lassen, der schließlich zur Folge hat, daß nur relativ frühe Praktica B-Kameras überhaupt mit diesem Normalobjektiv ausgerüstet sein können. Merkwürdig ist in diesem Zusammenhang übrigens, daß auf Werbeprospekten aus der Zeit zwischen 1987 und 1989 die neue Praktica BX20 auffällig oft mit diesem Objektiv gezeigt wurde, obgleich selbiges doch bereits seit mehr als fünf Jahren ausgelaufen war. Allgemein muß aber gesagt werden, daß angesichts von insgesamt ziemlich genau 1,4 Millionen gefertigten Spiegelreflexkameras mit Praktica-B-Bajonett dieses Zeiss Prakticar 1,8/50 mm generell nur einen verschwindend geringen Anteil ausmachen kann – völlig gleichgültig, ob letzten Endes 30-; 20-; oder gar nur 10-tausend Stück gefertigt wurden.

BX20 mit Zeiss Prakticar 50 mm
Praktica BX20 Zeiss Prakticar 1,8/50

"Portrait". Zeiss Jena Prakticar 1,8/50 mm mit weit geöffneter Blende an der Praktica BX20. Ilford ortho 80.

Marco Kröger


letzte Änderung: 21. April 2024