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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Als großer Hoffnungsträger für das ausgebombte und demontierte Zeiss-Ikon-Werk aufwendig neu konstruiert und entsprechend vollmundig auf den Markt gebracht, sollte sich die Spiegel-Contax bald als schwere Belastung für den Neuanfang dieses Dresdner Vorzeigebetriebes herausstellen.
Die „Spiegel-Contax“ gehört sicherlich zu den faszinierendsten und legendärsten Photogeräten, die der Dresdner Kamerabau je hervorgebracht hat. Das mag natürlich an ihrer Pionierrolle liegen, an der Tatsache, daß sie als die erste wirklich „komplette“ Spiegelreflexkamera angesehen werden kann. Wir müssen uns heute einfach vergegenwärtigen, daß es etwas völlig Neuartiges darstellte, in eine Spiegelreflexkamera „hineinschauen“ zu können wie in eine Sucherkamera und dabei eine aufrechtstehende und seitenrichtige Abbildung auf einer Mattscheibe zu erblicken. Bislang bedeutete der Spiegelreflexsucher immer einen Einblick im rechten Winkel zur Aufnahmerichtung und überdies ein seitenvertauschtes Sucherbild. Beides war beim Amateur unbeliebt und verhinderte eine weitere Verbreitung dieses Kameratyps. Doch diese technische Hürde konnte durch das Umkehrprisma endlich überwunden werden. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, daß mit diesem Schritt das wunderbare Prinzip der Einäugigen Spiegelreflexkamera ein zweites Mal geboren wurde.
Eine Contax S die im Gleichklang zu einigen Geschmacksmustern der bei Zeiss Jena rekonstruierten Contax II elfenbeinfarben lackiert und braun beledert wurde? Die Authentizität ist fraglich; zumal Zeiss Jena und der VEB Zeiss Ikon in Dresden schließlich nicht dasselbe waren. Hübsch anzuschauen ist diese Kamera aber auch dann, falls sie eine Fälschung sein sollte. [Bild: Jüttner; Sammlung Baumgartner].
Es darf aber auch nicht verschwiegen werden, wie sehr die Begeisterung für die hübsche Kamera eine nüchterne Analyse ihres Werdeganges offenbar vereitelt hat. Wie weiter unten im Abschnitt 5 noch weiter ausgeführt werden wird, wurde zur Leipziger Herbstmesse 1949 eine quasi nicht-serienreife Kamera auf den Markt gebracht und – um die hochgesteckten Exportziele des VEB Zeiss Ikon endlich zu erfüllen – auch gleich noch umfangreich in das westliche Ausland verkauft. Der resultierende Reputationsverlust und die notwendige Neukonstruktion der Kamera haben den Betrieb anschließend sehr belastet. Das hat einen gewichtigen Teil dazu beigetragen, daß der große Kamerabaubetrieb in der Schandauer Straße letztlich nie wieder an diese zentrale weltweite Bedeutung anknüpfen konnte, die er vor 1939 innegehabt hatte.
Doch damit nicht genug. Die Contax S ist auch ein eindrückliches Exempel dafür, wie mit falschen Inanspruchnahmen und manipulierten Fakten die historische Wirklichkeit langfristig verfälscht werden sollte. Konkret geht es um technikgeschichtliche Prioritätsansprüche, die in Wahrheit in wohl keinem der behaupteten Punkte einer kritischen Betrachtung standhalten. Einen besonders faden Nachgeschmack hat das Ganze aber vor allem deshalb, weil diese Manipulationen auch viel mit gekränkten Eitelkeiten und verschleppten Minderwertigkeitskomplexen bei den damals Beteiligten zu tun zu haben scheinen. Daß von Seiten einiger Autoren versucht wurde, dieses schiefe Bild bis in die jüngste Zeit aufrechtzuerhalten, legt sich zusätzlich wie ein grauer Schleier über die vorgeblich so glanzvolle Erfolgsgeschichte dieser Kamera. Auch darüber wird deshalb noch näher zu sprechen sein.
Dies ist das Titelbild desjenigen Prospektes, das im Februar 1949 gedruckt worden war, als die neue Contax S zum ersten Male auf der Leipziger Frühjahrsmesse vom 6. bis 13. März 1949 gezeigt wurde (Sammlung Worsley). Nach allem was bisher bekannt ist, wurde sie damals als Prototyp vorgestellt, der noch nicht reif für die Produktionsaufnahme war. Das hatte sich zur folgenden Herbstmesse geändert, wo die Kamera im Werte von mehreren Hunderttausend Dollar verkauft wurde, obwohl die Serienfertigung noch nicht einmal angelaufen war.
Besondere Beachtung verdient hier zunächst die Abbildung der Kamera auf diesem Prospekt, die schließlich den Eindruck erweckt, das gesamte Prismengehäuse samt Objektiv sei retuschiert worden. Sichtlich fehlt dort der grüne Grundton des restlichen Kameragehäuses. Möglicherweise wurde ein ursprünglich zu sehendes und eigens von Zeiss Ikon für die Contax-S konstruiertes Sonnar 2/57 mm durch ein Zeiss Biotar ersetzt. Eine ganz besondere Rolle spielt aber die hin zu einem schwarzen Untergrund mit weißem Firmensignet retuschierte Frontfläche des Prismendoms. Denn nach derzeitigem Kenntnisstand wurde genau nach diesem manipulierten Photo später innerhalb der Gerätesammlung des VEB Pentacon oder im damaligen Technischen Museum der Stadt Dresden eine wesentlich jüngere Kamera gefälscht, um offenbar einen früheren Beginn der stabilen Serienfertigung der Contax-S vorzutäuschen. Mehr zu dieser sagenhaften Geschichtsfälschung im Abschnitt 5.2.
1. Die Stunde Null als als Chance für Zeiss Ikon
Nüchtern und mit der nötigen Distanz betrachtet, ist unsere "Spiegelcontax" also alles andere als eine reine Erfolgsgeschichte. Sie ist eher das Symptom des insgesamt ziemlich problematischen Wiederaufbaus des VEB Zeiss Ikon nach 1945. Vor dem Hintergrund der Kriegszerstörungen, der anschließenden Demontagen durch die Sowjetunion sowie des Verlustes an qualifizierter Facharbeiterschaft ist das nicht gerade verwunderlich. Hinzu kam, daß im Bereich der sogenannten Stehbildsparte die Produktentwicklung in den zehn Jahren bis etwa 1956 einen insgesamt ziemlich erratischen Eindruck hinterließ. Diese Aussage trifft allerdings nicht für das zweite Standbein des Betriebes zu, nämlich den von Ernemann geerbten Laufbildsektor. Offensichtlich konnte in diesem Bereich viel besser an Kontinuitäten angeknüpft werden, sodaß sich die Dresdner Kinomaschinen vom Typ Ernemann VIIb rasch wieder gut verkaufen ließen und mit der Dresden D1 sogar neue Spitzenprodukte auf den Markt gebracht werden konnten.
Im Bereich der Photokameras war die Situation jedoch viel schwieriger. Das lag unter anderem daran, daß die hochwertigen Rollfilmkameras, für die die Zeiss Ikon AG international bekannt war, bereits in den 30er Jahren im Stuttgarter Werk gefertigt wurden, sodaß es in Dresden für dieser Kameras keine Fertigungstradition mehr gab. Die innovativen Kleinbildkameras, die aus dem Dresdener Hauptwerk kamen, fielen mit Ausnahme der kleinen Tenax nach 1945 aber ebenso aus dem Angebot heraus. Denn mit der Demontage der Fertigungsanlagen für die Contax II und III und deren Neuaufbau in der Sowjetunion konnten nicht nur diese Meßsucherkamera, sondern auch die auf ihrem Metallrolloverschluß aufbauenden Schwesternkameras wie die Super Nettel nicht in Dresden produziert werden.
Doch ohnehin hatten sich die Perspektiven im Kamerabau schon seit den seit den 30er Jahren sukzessive verschoben: Von der Sucherkamera mit gekuppeltem Meßsucher hin zur Spiegelreflexkamera. Man darf nicht übersehen, welche Erfahrung des zunehmenden Konkurrenzdrucks die neue Zeiss Ikon AG seit ihrer Gründung 1926/27 bereits gemacht hatte. Es genügte nicht, der größte Kamerahersteller zu sein, wenn ständig kleine, aber sehr innovative Mitbewerber mit einer Vielzahl an neuen Produkten auf den Markt drängten. Dazu gehörten vor allem ernstzunehmende Einäugige Spiegelreflexkameras mit Schlitzverschluß, wie die Reflex-Korelle und die Primarflex. Noch besorgniserregender dürften allerdings die Kiné-Exakta und die Praktiflex gewesen sein, mit denen die neue Sparte der Kleinbild-Spiegelreflexkameras geschaffen worden war und auf die die Zeiss Ikon AG keine Adäquate Antwort parat hatte. Noch wenige Jahre zuvor wäre belächelt worden, wer dem Zeiss-Ikon-Chef Heinrich Küppenbender prophezeit hätte, daß mit der Ihagee und den Kamera-Werkstätten Niedersedlitz binnen kurzer Zeit zwei sehr ernsthafte Konkurrenzfirmen erwachsen würden.
Die Zeiss Ikon AG Dresden hatte im Jahre 1935 eine eigene Kleinbild-Spiegelreflexkamera herausgebracht, mit der man meinte, die technische Führungsrolle für sich gesichert zu haben. Doch diese "Contaflex" genannte Kamera war eine Fehlentwicklung. Klobig, schwer und für die damaligen Verhältnisse völlig überteuert entwickelte sie sich – trotz innovativer Details wie den eingebauten Belichtungsmesser – zum Flop. Durch das bei ihr angewandte zweiäugige Prinzip, bei dem Aufnahme- und Sucherobjektiv getrennt waren, geriet die prinzipiell interessante Möglichkeit, Wechselobjektive zu verwenden, letztlich genauso schwer beherrschbar, wie bei den Sucherkameras Contax und Leica. Das lag daran, daß das Sucherobjektiv nicht mit gewechselt wurde. Mit dem Erscheinen der einäugigen Kiné Exakta der Ihagee Dresden ein Jahr später, war diese überkandidelte Contaflex dann bereits passé – eine schwere Bürde für den Kamerariesen Zeiss Ikon.
Doch insbesondere die auf der Frühjahresmesse 1936 vorgestellte Exakta mußte gleich in zweierlei Hinblick ein Schock für die Zeiss Ikon AG gewesen sein. Zum einen hatte es Karl Nüchterlein mit wenigen Kollegen geschafft, nicht nur einen hochentwickelten Schlitzverschluß zu konstruieren, sondern ihn auch noch perfekt mit der Spiegelmechanik und dem Filmtransport zu kuppeln. Dazu hätte es bei der großen Zeiss Ikon vermutlich einer ganzen Entwicklungsabteilung bedurft. Zweitens war es Nüchterlein mit einer ganz simplen Lösung gelungen, einen Großteil der Skepsis gegenüber einer Kleinbildreflexkamera vom Tisch zu wischen. Hatte die Zeiss Ikon AG bei der Contaflex nämlich noch ein Sucherobjektiv mit der längeren Brennweite von 80 mm eingesetzt, um zu einer brauchbar großen Mattscheibenabbildung zu gelangen, so konnte Nüchterlein dieses Problem dadurch lösen, indem er einfach eine vergrößernde Bildfeldlinse in Form einer Visolettlupe verwendete. Das Sucherbild erschien dadurch nicht nur groß genug zum Komponieren des Bildes, sondern es war aufgrund der Kollektivwirkung dieser Linse auch noch bis in die Ecken hell. Die daraufhin vom Markt begeistert aufgenommene Kiné-Exakta muß damals bei der nur wenige hundert Meter entfernten Zeiss Ikon AG einen großen Handlungsdruck ausgelöst haben. Doch der Krieg und die nationalsozialistische Rüstungsfertigung, später die Bombardements und die versprengte Facharbeiterschaft sorgten zu Beginn der 1940er Jahre für eine tiefe Zäsur, die bald alle Kamerabaubetriebe gleichermaßen erfaßte.
Völlig absurd: Im Jahre 1944, während die Deutschen in ganz Europa Krieg führten und Jagd auf Hunderttausende machten, um sie zu versklaven und zu ermorden, schaltete die Zeiss Ikon AG solche Inserate in der Auslandspresse, wie zum Beispiel in den Niederlanden, um an den Zusammenhalt der Europäer beim wirtschaftlichen Austausch zu appellieren.
Insofern waren die Karten im Frühjahr 1945 neu gemischt worden. Der schleppende Wiederaufbau bei der ausgebombten Ihagee und die großen Probleme bei den Kamera-Werken Niedersedlitz, von einer handwerklichen auf eine industrielle Produktion umzustellen, verschafften Zeiss Ikon eine Zeitspanne, in der eine Aussicht darauf bestand, den wettbewerblichen Rückstand wieder aufholen zu können. Dies wurde auch dadurch beflügelt, daß sich während des Krieges auf den internationalen Märkten ein großer Nachfragestau nach hochwertigen Photogeräten gebildet hatte, der den Aufwand zur Innovation lohnenswert erscheinen ließ.
2. Der lange Weg zum Pentaprisma
2.1 Die Dresdner Entwicklung seit den 1930er Jahren
Dieser Umstand gab der Zeiss Ikon AG eine Chance, nicht nur zu den lange unterschätzten Mitbewerbern aufzuholen, sondern sie sogar wieder zu übertrumpfen. Und diese Chance lag in der einzigen großen Schwäche, die Praktiflex und Exakta noch zeigten: Das seitenverkehrte und nur von oben zu betrachtende Sucherbild. Schließlich war es jener Einblick im rechten Winkel zur Aufnahmerichtung und das im Sucher in falscher Richtung ablaufende Geschehen, das den Kameratyp der Einäugigen Reflexkamera für viele Aufnahmegebiete wie die Kinder- und Naturphotographie, Sport, Portraits, usw., die ein rasches Nachverfolgen des Motivs verlangen, als ungeeignet erscheinen ließ. Die Amateure genauso wie die Berufsphotographen blieben in diesen Motivbereichen daher vorerst lieber bei den Sucherkameras, obwohl sie in Bezug auf Wechselobjektive so viele Nachteile aufwiesen. Genau hier lag nun der Ansatzpunkt, an dem die Zeiss Ikon AG wieder eingreifen und Marktanteile zurückerobern konnte. Es müßte nur gelingen, das seitenverkehrte Sucherbild der Spiegelreflex umzukehren und gleichzeitig den Strahlengang dergestalt abzuknicken, daß man quasi wie bei der Sucherkamera meint, "hindurchzuschauen", obgleich man doch in Wirklichkeit nach wie vor eine Mattscheibenabbildung betrachtet.
Und tatsächlich kann man nachweisen, daß die Zeiss Ikon AG angesichts der oben aufgeführten Nachteile des herkömmlichen Reflexsuchers bereits seit Ende der 1930er Jahre intensiv an einer einäugigen Kleinbildspiegelreflexkamera mit Geradsichtsucher und seitenrichtigem Sucherbild gearbeitet hat – also schon lange vor dem sogenannten "Syntax-Projekt" der Kriegsjahre. Am 8. September 1938 erfolgte eine Patentanmeldung [auf dessen Existenz allerdings nur noch mithilfe eines Proritätsvermerks in einer Schweizerischen Patentschrift Nr. CH214.918 vom August 1939 geschlußfolgert werden kann] für ein Prismensuchersystem, aus dessen Zeichnungen zu erkennen ist, daß eines der beiden Prismen aus einem rechtwinkligen Halbwürfel gebildet wurde, wie er beim Bau terrestrischer Fernrohre schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts angewendet worden war. Diese Bauform wird nach ihrem Erfinder auch Porro-Prisma genannt.
Schaut man sich die oben wiedergegebenen Zeichnungen aus der Schutzschrift genau an, dann kann man ein quadratisches Bildfeld erahnen. Da wir uns zum Zeitpunkt der Patentanmeldung in der Ära der Tenax 24x24 mm befinden, scheint eine solche Annahme nicht ganz unbegründet. Ein ausgesprochen rechteckiges Aufnahmeformat, wie es beim üblichen Kleinbild 24x36 mm der Fall ist, wäre mit einem derart aufgebauten Suchersystem nur schwer abzudecken gewesen. Das liegt daran, daß sich die zwei großen Vorteile, die das Porrosystem im Fernglasbau zu bieten hat, als Umkehrsystem für Kamerasucher zum Nachteil verkehren. Beim Fernglas sorgt der lange Lichtweg durch die beiden miteinander verschränkten Prismen dafür, daß das langbrennweitige Objektiv mechanisch an das Okular herangerückt und damit das Fernglas insgesamt bedeutend kürzer gebaut werden kann. Zweitens führt der prinzipielle Aufbau des Porrosystems dazu, daß die optische Achse des Fernglasobjektivs und des zugehörigen Okulars parallelverschoben sind. Das hat den Vorteil, daß der Objektivabstand eines binokularen Fernglases größer gemacht werden kann, als der Augenabstand, womit die stereoskopische Basis der Augen künstlich erweitert wird und sich der besonders eindrucksvolle plastische Effekt solcher Porro-Ferngläser einstellt.
Diese extrem kompakte Bauweise mit einem derart niedrigen Sucherdom, wie bei der Spiegel-Contax, konnte nur durch Anwendung eines Penta-Dachkantprismas aus optischem Glas erreicht werden.
Für einen bildumkehrenden Kamerasucher ist es nun aber gänzlich unerwünscht, wenn sich ein langer Lichtweg zwischen Mattscheibe und Okular ergibt. Ein Fernrohr arbeitet (dem Einsatzzweck entsprechend) mit einem langbrennweitigen Objektiv und einem dazugehörigen engen Bildwinkel. Das verhält sich beim Spiegelreflexsucher aber genau umgekehrt. Hier versucht man, ein möglichst weitwinkliges Okular so nah wie möglich an die Mattscheibe heranzuführen, um das gesamte Sucherbild unter einer möglichst starken Vergrößerung betrachten zu können. Ein Porrosystem mit seinen langen Lichtwegen sorgt dafür, daß sowohl der Betrachtungswinkel stark begrenzt wird, als auch ein langbrennweitiges Okular verwendet werden muß, das dann nur eine geringe Vergrößerung des Mattscheibenbildes zuläßt. Der Zweck des Reflexsuchers, nämlich anhand der Mattscheibenabbildung präzise scharfstellen zu können, wird somit stark in Zweifel gestellt. Wenn überhaupt, dann könnte man mit dem engen Durchlaß des langen Porrosystems allenfalls noch ein quadratisches Mattscheibenbild abdecken. Das Sucherbild wäre aber trotzdem enttäuschend klein und dunkel. Porroprismen- und Porrospiegelsucher haben sich daher im Kamerabau nie richtig durchsetzen können, obwohl es vonseiten der Kamerahersteller nicht an Versuchen gefehlt hat, sie ab und an einzusetzen.
Obwohl diese Porro-Anordnung also noch nicht die finale Lösung für ein Umkehrsystem darstellte, die für eine Kleinbildspiegelreflex geeignet gewesen wäre, hat sich die Zeiss Ikon AG meiner Einschätzung nach mit ihr ein geschickt ausformuliertes Grundlagenpatent sichern können. Das Faktum nämlich, daß es sich bei dem Ausführungsbeispiel um zwei (miteinander verkittete) rechtwinklige Prismen handelt, ist nämlich nur ein kleiner Bestandteil des Patentes, der zudem noch in den Unteransprüchen versteckt ist. Der eigentliche Kern dieses Patentes liegt nämlich vielmehr darin, daß es ein Suchersystem schützt, bei dem zum einen die grundlegende Anordnung eines Prismenumkehrsystems „im Lichtweg zwischen Mattscheibe und Einblicksöffnung“ (Unteranspruch 1) geschützt wird und zum anderen, daß in der Einblicksöffnung ein als „Bildfeldlinse“ bezeichnetes Okular angeordnet ist (Unteranspruch 4). Bei genauer Betrachtung könnte man also schlußfolgern, die Zeiss Ikon AG habe versucht, sich mit diesem Patent die Priorität für Prismenumkehrsysteme bei Reflexkameras schlechthin zu schützen.
Denn immer wieder wird von verschiedenen Autoren behauptet, ein Patent Kurt Staudingers [Nr. DE556.783 vom 8. August 1931] sei Grundlage für den Prismensucher der Spiegelcontax gewesen. Dabei muß bei bloßer Betrachtung der beigefügten bildlichen Darstellungen seiner Erfindung sofort auffallen, daß Staudingers Patent ein wesentliches Bauteil fehlt, um es als Suchersystem nach den Bedingungen funktionieren zu lassen, wie ich sie oben bereits umrissen habe: Das Okular nämlich!
Es ist doch ziemlich offensichtlich, daß diese Spiegelanordnung Staudingers noch ganz und gar auf die altmodischen, voluminösen Platten-Spiegelreflexkameras mit einem Aufnahmeformat von etwa 13x18 cm zugeschnitten war. Nur ein solches Mattscheibenbild ist nämlich groß genug, um es aus der für ein normalsichtiges Auge üblichen deutlichen Sehweite von 25 bis 30 cm betrachten zu können. Für alle Formate, die kleiner sind, braucht man aber ein Okular – also ein sammelnd wirkendes Augenglas, durch dessen Wirkung man die physiologisch gegebene deutliche Sehweite unterschreiten kann. Aus diesem Grunde hat beispielsweise das Okular einer Kleinbild-Mattscheibenkamera einen Vergrößerungsfaktor von etwa 1:5, denn 5 x 36 mm Bildbreite ergibt dann wieder die 18 cm, die auch das "unbewaffnete" Auge bequem überblicken kann.
Die Brennweite des dafür notwendigen Okulars erhält man nun, wenn man die deutliche Sehweite von 250 mm durch den Vergrößerungsfaktor teilt. Sie liegt demnach bei etwa 50 mm. Das wiederum bedeutet, daß bei einer Kleinbildkamera zwischen Okular und Mattscheibe nur allerhöchstens 50 mm Luftzwischenraum liegen darf. Das klingt nach viel, aber in der Praxis wird der Lichtweg durch die notwendige zweimalige Spiegelung rasch aufgezehrt. Diese zweimalige Spiegelung ergibt sich, weil das Sucherbild erstens auf Seitenrichtigkeit gedreht und zweitens gleichzeitig aufrecht gestellt werden muß. Anders als in Staudingers Patentzeichnung hat es sich später durchgesetzt, daß das Licht dazu nach Eintritt in das Prisma zunächst auf eine sogenannte Dachkante trifft. Diese bewirkt zwar einerseits, daß die Seitenverdrehung des Bildes behoben wird, andererseits stellt sie dasselbe nun auf dem Kopf. Deshalb ist eine weitere plane Reflexionsfläche vonnöten, die zunächst das Bild wieder aufrecht stehen läßt und als eine zweite Wirkung die gewünschte Knickung des Strahlenganges um 90 Grad hervorruft, sodaß die optische Achse des Suchereinblicks jetzt parallel zur Achse des Aufnahmeobjektivs zu liegen kommt. Für den Kameranutzer ergibt sich dadurch eine Wirkung, wie als würde er direkt "durch das Objektiv schauen".
Für diesen Zweck ein monolithisches Prisma aus Glas zu verwenden, statt die Reflexion über Spiegel zu bewerkstelligen, bot mehrere Vorteile. Einmal beruht die Richtungsänderung des Lichtes in einem Prisma im Wesentlichen auf dem physikalischen Prinzip der Totalreflexion, wodurch Reflexionsgrade nahe 100 % erreicht werden können, während selbst an besten Silberspiegeln mindestens 10 % Absorptionsverluste auftreten. Ein Glasprisma hat zudem gegenüber einem Spiegelsystem den Vorteil, daß die Brechzahl des Glases eine scheinbare Verkürzung des Lichtweges bewirkt. So wie unter Wasser alle Gegenstände um ein Drittel näher zu liegen scheinen, weil der Brechungsindex von Wasser bei 1,33 liegt, so sorgt ein Glas mit der Brechzahl 1,5 dafür, daß die Mattscheibe um die Hälfte näher und damit auch 50 % größer erscheint, als wenn sich zwischen Okular und Mattscheibe nur Luft befände. Dachkant-Umkehrsysteme auf Basis von Spiegeln wurden später allenfalls bei preiswerten Autofokus-Spiegelreflexkameras eingesetzt, bei denen ein entsprechend kleines und dunkles Sucherbild zugunsten einer massiven Gewichtseinsparung in Kauf genommen wurde.
Solcherlei Umkehrprismen brachten anfänglich natürlich etliche konstruktive Schwierigkeiten mit sich. Bildfeldlinse, Prisma und Okular zusammengenommen ergaben schließlich ein optisches System, wie man es im Prinzip auch aus Prismenfernrohren kannte, aber mit dem Unterschied, daß hier ein sehr großer Blickwinkel abgedeckt werden mußte. Bei einem derart großen Blickwinkel hat man aber das Problem, daß die Randstrahlen nicht mehr genau senkrecht auf die Eintritts- und Austrittsflächen des Prismas auftreffen, sondern leicht schräg. Schräger Lichteinfall in ein Prisma bringt aber die Gefahr mit sich, daß das Licht in seine spektralen Bestandteile zerlegt würde. Das hätte eine Abbildung mit farbigen Rändern nach sich gezogen. Außerdem tritt bei schräg durchlaufenden Lichtstrahlen in Prismen leicht Astigmatismus auf. Diese Schwierigkeiten scheinen auch der Grund gewesen zu sein, weshalb ursprünglich bei der Spiegelcontax keine bildaufhellende Feldlinse eingesetzt, sondern kurzerhand die gesamte untere Lichteintrittsfläche mattiert wurde. Durch das auf diese Weise völlig diffus gemachte Licht konnte jegliche problematische Richtungswirkung eliminiert werden. Ein Bericht von einer Tagung des Fachausschusses Photo vom 27. Juli 1948 läßt uns jedoch wissen, daß ursprünglich eine separate Mattscheibe vorgesehen war. Weil es aber zwischen dieser Mattscheibe und dem Prisma zu Reflexionen kam, fragte der Chefkonstrukteur Winzenburg bei Zeiss an, ob man das Belegen mit T-Belag versuchen könne, um Abhilfe zu schaffen [Zeissarchiv, Bestand 19117]. Da genau dies bei den späteren Seriengeräten nicht umgesetzt wurde, können wir davon ausgehen, daß das direkte Mattieren der Prismenunterseite auch dem Vermeiden von Reflexen geschuldet war. Oder aber es liegt an den Schutzrechten, die der Italiener Telemaco Corsi (1899 - 1978) in dieser Beziehung bereits für sich gesichert hatte (siehe Abschnitt 2.2).
Zur weiteren Erschwernis bei der serienmäßigen Fertigung dieses Umkehrprismas gesellte sich, daß sich die verwendete Glasart mit hoher Lauterkeit herstellen lassen mußte, denn die besagten langen Lichtwege im Prisma verlangten nach absolut klaren sowie blasen- und schlierenfreien Glasstücken, da eine noch so kleine Störung bei der Sucherbildbetrachtung sichtbar gewesen wäre. Die Herstellung solcher Glasstücke in großen Stückzahlen war zu jener Zeit offenbar noch eine große Herausforderung, zumal die dafür notwendige technische Ausrüstung den Quellen zufolge 1946/47 in die Sowjetunion verbracht worden war [sog. "Schüttelanlagen", vgl. CIA-RDP82-00457R011800300007-5 und CIA-RDP82-00457R000400690010-5].
Das direkte Mattieren der Lichteintrittsfläche des Prismas statt einer Bildfeldlinse hatte damals den angenehmen Nebeneffekt, die Kamera insgesamt sehr niedrig halten zu können. Der Nachteil dieser Bauart lag aber darin, daß von der mattierten Prismenunterseite keinerlei Kollektivwirkung ausging, das heißt das Licht wurde wild zerstreut statt gezielt ins Okular gelenkt zu werden. Dadurch erschienen insbesondere die äußeren Bereiche des Bildfeldes derart abgedunkelt, daß als Notbehelf die Ränder der Prismenunterseite facettiert wurden, um auf diese Weise wenigstens einen hellen Rahmen zu erzeugen, der das Bild eindeutig äußerlich abgrenzte.
Im Zuge einer offenbar "schleichenden" Übernahme der Konstruktionsverantwortung für die Spiegelcontax durch den VEB Kamerawerke Niedersedlitz erhielt zur Herbstmesse 1956 [Vgl. Brauer, Egon: Herbstmesse 1956 in Leipzig; in: Bild & Ton, Heft 9/1956, S. 246f.] das neue Modell Contax F nicht nur umgehend eine Springblendenauslösung, wie sie in etwa zur selben Zeit auch bei der neuen Praktica FX2 ergänzt wurde, sondern auch endlich eine – wenn auch recht dünne – Bildfeldlinse. Dadurch konnte nicht nur die Bildhelligkeit in den Randzonen ein wenig erhöht werden, sondern es wurde auch möglich, ein Meßkeilpaar zur besseren Scharfstellung zu integrieren. Damit näherte sich das mittlerweile ziemlich betagte Suchersystem der Spiegelcontax wieder ein wenig dem internationalen Stand der Technik an.
Die Umkehrprismen der Spiegelcontax. Jeweils links die ursprüngliche Bauform, bei der die gesamte Lichteintrittsfläche mattiert war. Gut zu sehen die Abschrägung (Facettierung) am Rand, die den hellen Rahmen zur Abgrenzung des Bildfeldes bewirkt. Ab 1956 wurde das Prisma unten verkürzt und dafür eine flache Bildfeldlinse angekittet. Neben einer leichten Aufhellung des Sucherbildes war es auf diese Weise erstmals möglich, die Contax mit einem Meßkeilpaar anbieten zu können (Contax FM bzw. FBM).
Denn man merkte der Spiegelcontax mittlerweile ihre Pionierrolle deutlich an. Als sie damals im Jahre 1949 erschien, war die herausragende Bedeutung ihres Prismensuchers vielleicht noch nicht zu 100% abzusehen. Die meisten Hersteller von Reflexkameras – und so viele waren das damals noch nicht – hielten erst einmal am Lichtschacht fest oder fuhren zumindest zweigleisig, indem sie das Prisma nur zum auswechseln oder gar nur zum auf den Lichtschacht aufsteckbar anboten. Die Situation kippte erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Die Kameranutzer hatten quasi mittels ihres Kaufverhaltens über die Frage Prismensucher oder Lichtschacht abgestimmt. Am Anfang wurde der Prismensucher von den Herstellern nur als optionales Zubehör angesehen, vom dem man ausging, daß ihn nur die „ernsthaften“ Amateure zusätzlich anschaffen würden. Das stellte sich aber als falsch heraus. Das Umkehrprisma wurde aufgrund seiner Vorteile sehr stark nachgefragt. Und da zum Beispiel das unpraktische Aufsatzprisma für die Praktica FX die besagten Vorteile einigermaßen verspielte, wurde es damals scharf in der Presse kritisiert, woraufhin die Kamerawerke den Lichtschacht der Praktica FX2 derart umkonstruierten, daß das Umkehrprisma regelrecht in ihn hineingesetzt werden konnte, nur um kurze Zeit später diese Bauweise ganz und gar aufzugeben. So geschah es, daß auf der Frühjahrsmesse 1959 gleich zwei konkurrierende Spiegelreflexkameras mit FEST EINGEBAUTEM Prismensucher erschienen: Die Praktica IV und die Exa II. Das fest eingebaute Prisma war auf einmal zur Standardbauweise geworden. Zur selben Zeit beging die Spiegelcontax, die diese Idee etabliert hatte, freilich bereits ihr zehntes Jubiläum.
Der Pfad, der letztlich zu dieser Reflex-Contax geführt hat, war jedoch ausgesprochen steinig und lang gewesen. Der ganze Anfang dieses Projektes ist schon allein durch die Vorgabe des damaligen ZI-Chefs Heinrich ("Heinz") Küppenbender erschwert worden, weil dieser unbedingt den patentrechtlich umfassend geschützten Metallrolloverschluß der Contax auch für das Projekt einer Kleinbildreflexkamera eingesetzt sehen wollte. Dieses Ansinnen erwies sich sehr bald als unerfüllbar. Die obere Welle des über die kurze Bildfensterseite ablaufenden Rolloverschlusses befand sich nämlich genau dort, wo bei der Reflexkamera das Prisma und das Okular zu liegen hatten. Diese Syntax als oft erwähnter Ausgangspunkt einer "Spiegelreflexversion" der Contax Meßsucherkamera ist aufgrund eines französischen Patentes Nr. 875.596 vom 1. September 1941 überliefert. Eine noch während des Krieges unter Friedrich Schieber und dem verwundet nach Dresden zurückgekehrten Siegfried Böhm erarbeitete Alternative war bereits von diesem Ansatz abgekehrt. Doch diese Arbeiten sind bei dem verheerenden Bombenangriff auf die Stadt vom Februar 1945 allesamt verbrannt. Die Entwicklergruppe unter Wilhelm Winzenburg mußte also noch einmal völlig von Neuem beginnen, als sie nur wenige Wochen nach dem Kriegsende zum dritten Mal an die Aufgabe gingen, der Zeiss Ikon endlich zu einer Einäugigen Kleinbildspiegelreflexkamera zu verhelfen.
Oben ist die sehr bekannte Zeichnung aus dem französischen Patent 884.054 vom August 1941 zu sehen, das stets zur Illustration des Syntax-Projektes angeführt wird. Man erkennt sofort, woran die angestrebte Synthese aus der Contax Meßsucherkamera mit dem Spiegelreflexprinzip damals krankte: Der Schlitzverschluß der Contax vertrug sich nicht mit dem großen Glaskörper des Umkehrprismas.
Wenig bekannt sind übrigens zwei Schweizer Patente zur Syntax mit den Nummern CH219162 vom 15. April 1940 und CH229553 8. Oktober 1941, die sich beide mit dem Spiegelmechanismus dieser Kamera beschäftigen. Das erste beschreibt die Kupplung von Spiegel und Schlitzverschluß, das zweite baute die Lösung sogar für einen echten Rückkehrspiegel aus. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß später der Spiegelmechanismus der Stuttgarter Contarex nach diesem Prinzip arbeitete.
2.2 Die Priorität des italienischen Kamerabaus
"Die erste Spiegelreflex-Camera mit Prismenfernrohrsucher und horizontalem Einblick ist die CONTAX S 24x36 mm" – so zumindest behauptet es die oben zu sehende Werbeanzeige, die der VEB Zeiss Ikon in dieser Form in den Jahren 1950/51 geschaltet hat. Auch wenn man Werbetexte im Allgemeinen nicht zu ernst nehmen sollte, so verbirgt sich hinter dieser Aussage nicht weniger als die Auseinandersetzung um die Priorität des ersten Einsatzes eines Prismen-Umkehrsystems im Kamerabau schlechthin. Dabei hatte sich die über Jahre und Jahrzehnte wiederholte Behauptung des VEB Zeiss Ikon und seiner Nachfolgebetriebe "wir waren die ersten" so festgesetzt, daß Fachleute völlig verunsichert waren, als sie später auf handfeste Anzeichen stießen, die darauf schließen ließen, daß die italienische Rectaflex schon Monate vor dem Erscheinen der Contax S mit einem solchen Prismensucher ausgeliefert worden war.
Wann genau man den Startpunkt für die Serienfertigung der Rectaflex ansetzt, ist eine Frage des Standpunktes. In verschiedenen italienischen Veröffentlichungen wird der Jahresbeginn 1949 als Übergang von der Nullserienmontage zur Serienfabrikation angegeben. Weniger in Italien selbst, dafür aber in anderen westeuropäischen Ländern sowie auf dem Nord- und Südamerikanischen Markt tauchte die Rectaflex jetzt nach und nach im Handel auf. Natürlich darf man sich das nicht so vorstellen, daß sie überall in diesen Ländern sofort in den Auslagen aller Fachgeschäfte stand, denn dafür waren die hergestellten Stückzahlen angesichts der recht schleppend vor sich gehenden Fabrikation viel zu klein. Zudem wird von zahlreichen Reklamationen berichtet sowie einem Vorgang, den wir heute als Rückrufaktion bezeichnen würden. Diese Umstände ändern aber rein gar nichts daran, daß die Rectaflex trotzdem die erste Kleinbildspiegelreflexkamera der Welt mit Pentaprismensucher gewesen ist. Und in der Reaktion des VEB Zeiss Ikon, der im März 1949 rasch Patente anmeldete und die Kamera auf der Messe zeigte, obwohl sie noch gar nicht produktionsreif war (siehe folgende Abschnitte), muß man aus heutiger Sicht als eine Panikhandlung ansehen, weil man sich seinerzeit in Dresden bewußt wurde, die Priorität für diese Pionierleistung gerade eingebüßt zu haben. Da half es auch nichts, daß der VEB Zeiss Ikon in der Folgezeit seinen Prioritätsanspruch auf das Penta-Dachkantprisma derart aggressiv in den Werbeannoncen und Pressetexten für sich in Anspruch nahm.
Wie es mit der Priorität der Rectaflex in der Realität aussah, das läßt dieses Schweizer Patent Nr. 264.025 vom 18. März 1948 erkennen, das eindeutig einen Prismensucher zeigt. In Italien ist dieses Patent bereits am 3. Juni 1947 (!) angemeldet worden. Telemaco Corsi war der Mann hinter der Rectaflex. Der springende Punkt: dieses Patent wurde am 30. September 1949 bekannt gemacht und am 16. Dezember erteilt. Das waren exakt jene Wochen, als die Contax S nach so langer Zeit der Entwicklung endlich in die Serienfertigung gelangte. Im Abschnitt 5.3 wird noch gezeigt, daß man in Dresden spätestens im Januar 1950, als die ersten Contax S in New York ankamen, gewußt hat, daß die Rectaflex ebenfalls einen Prismensucher besitzt und außerdem zu einem deutlich günstigeren Preis verkauft wird
Zum 24. Mai 1948 (Italien: 16. April 1948) wurde ein französisches Patent Nr. 58.366 nachgeschoben, bei dem verschiedene Bauweisen des Umkehrprismas geschützt wurden. Im Patentbeispiel 2 ist eindeutig ein Penta-Dachkantprisma zu sehen. Die in der deutschen Literatur immer wieder vorgebrachte Behauptung, die Rectaflex sei zunächst nur mit einem Spiegelsucher und einem seitenverkehrten Sucherbild auf den Markt gebracht worden und die Contax S sei deswegen mit dem Umkehrsucher früher dran gewesen, entbehrt angesichts dieser Patente jeglicher Grundlage. Wie angesichts dieser schutzrechtlichen Priorität Corsis die Spiegel-Contax überhaupt herausgebracht werden konnte, das verlangt noch nach genauerer Klärung.
Zum 22. März 1949 hatte Telemaco Corsi in Italien ein Patent angemeldet, mit dem er dem Übelstand begegnete, daß die Brennweite des Okulars nicht kürzer sein kann als der Lichtweg innerhalb des Umkehrprismas. Dadurch ist die Bildgröße eingeschränkt. Mit dem Einführen von sphärisch gekrümmten statt planen Flächen konnte er nicht nur ein größer erscheinendes Sucherbild erzielen, sondern auch ein deutlich helleres. Diese neue Bauform des Prismas wurde nach allem was bisher bekannt ist ebenfalls noch im Jahr 1949 in die Serie überführt.
Selbst die äußere Gestalt der Rectaflex wurde in Italien bereits Wochen vor der ersten Vorstellung der Contax S in Leipzig zum Patent angemeldet, wie aus diesem US-amerikanischen Design Patent hervorgeht.
Diese angebliche Priorität bei der Anwendung eines Prismensuchers zum Erzielen eines geradsichtigen Einblicks und eines zugleich seitenrichtigen Sucherbildes durch den Dresdner Kamerabau ist spätestens seit der Jahrtausendwende in der Literatur zweifelsfrei widerlegt und die diesbezügliche Vorreiterrolle der Rectaflex mittlerweile weltweit anerkannt. Um so ärgerlicher ist es, wenn Fachautoren wie Alexander Schulz oder Gerhard Jehmlich diese peinliche Manipulation der Wahrheit bis in die jüngste Zeit durch ihre Veröffentlichungen weiterverbreitet haben.
An diesem Prospektausschnitt aus dem Jahre 1960 wird deutlich, daß die Manipulationen in Hinblick auf die Priorität der Spiegelcontax eine lange Tradition haben. Mag sein, daß man in Dresden bereits im Jahre 1947 erstmals ein Umkehrprisma in einen Contax-Prototypen eingebaut hat; ein fertiges Produkt war diese Kamera damals aber noch lange nicht! Für uns ist diese Annonce aber ein Indiz dafür, daß man in Dresden wohl meinte, nachweisen zu können, schon im Jahre 1947 mit Umkehrprismen an Prototypkameras gearbeitet zu haben. Bei einer möglichen gerichtlichen Auseinandersetzung mit Telemaco Corsi, glaubte man wohl, auf diese Weise dessen Priorität in Zweifel ziehen zu können. Doch dazu kam es offenbar nie. Auch die westdeutsche Zeiss Ikon AG hatte ab 1954 eine Spiegelreflexkamera mit Prismensucher im Programm, ohne mit der Firma Corsis rechtlich ins Gehege zu geraten. Das liegt auch daran, daß die Firma, die die Rectaflex hergestellt hat, bereits seit 1952 in eine wirtschaftliche Krise abrutscht, von der sie sich nicht wieder erholen kann. Der Aufbau der ganzen Fabrik war nur durch Aufnahme hoher Kredite möglich gewesen, und nachdem dieses Geld langsam aufgebraucht war, ging der Firma die Puste aus.
4. Der Schlitzverschluß der Spiegelcontax
Wilhelm Winzenburg und seine Leute haben sich das grundsätzliche Konzept des Leica-Verschlusses zum Vorbild genommen, als sie kurz nach dem Kriegsende das Projekt einer Kleinbildreflexkamera mit Geradsichtsucher wieder aufnahmen. Das erkennt man an wesentlichen Gestaltungsmerkmalen des Verschlußaufbaus. Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die nötigen etwa 40 mm Tuchlänge abrollen zu lassen. Die Schlitzverschlüsse des alten Prinzips arbeiteten quasi alle mit relativ dünnen Walzen, auf denen die Rollos aufgewickelt werden. Diese müssen sich also mehrfach um die eigene Achse drehen, um die gesamte Länge der Vorhänge aufwickeln zu können. Mit der Schlitzweitensteuerung, die sich um weniger als 360 Grad drehen darf, sind diese Walzen daher durch eine Getriebeübersetzung verbunden. Nach diesem Prinzip arbeiten auch die Verschlüsse der Exakta und der Praktiflex/Praktica. Bei der Leica hingegen sind die Rollowalzen derart groß vom Durchmesser gewählt, daß auf ihrem Umfang die gesamte Tuchlänge Platz findet, obgleich der Drehwinkel des Zeiteinstellknopfs ebenfalls unter 360 Grad bleibt. Der große Vorteil dieser Bauart ist, daß schwierig herzustellende, platzintensive und stets Hemmungen mit sich bringende Getriebeteile entfallen können. Bei der Leica kommt noch hinzu, daß der erste Verschlußvorhang den Start des zweiten Vorhanges über eine reine Hebelkonstruktion auslöst, also ebenfalls getriebelos. So eine simple Konstruktion kam für Winzenburg allerdings nicht infrage, denn sein Ziel war es, mit einer einzigen Ansteuerung alle Zeiten von einer Sekunde bis zur Tausendstel abzudecken.
Grundsätzliches Funktionsprinzip des Leicaverschlusses mit seinen drei Wellen und der Steuerwalze mit dem großen Durchmesser. Die Getriebeteile, die hier zu sehen sind, haben nur die Funktion, den Verschlußaufzug mit dem Filmtransport zu kuppeln. Für die Verschlußzeitenbildung sind sie prinzipiell nicht nötig.
Wilhelm Winzenburg (1895 bis 1972) war von Hause aus Kinotechniker. Viel bedeutender als seine Konstruktionsarbeit an der Spiegelcontax war eigentlich sein Beitrag zur Verbesserung der Lichttheaterprojektion. Auf seine Anregung hin wurden ab etwa 1922 statt Linsenkondensoren Spiegeloptiken zur Durchleuchtung des Bildfensters eingesetzt (sog. „Artisollampe“). Die großen Lichtspielhäuser der goldenen Ära des Kinos mit ihren großen Leinwänden und den vielen hundert Sitzplätzen wären ohne solche Spiegelsysteme nicht denkbar gewesen. Winzenburg arbeitete für die Hahn AG in Kassel, die eine Tochterfirma der Goerz AG gewesen ist und zusammen mit dieser 1926 in der neuen Zeiss Ikon AG Dresden aufging. Winzenburg ging nach Dresden und entwickelte hier die Projektoren „Kinobox“ und „Phonobox“, die als kompakte, transportable Projektoren für den Landfilm entwickelt wurden und als Vorläufer des Tonkoffers TK35 angesehen werden können. Während des Krieges war er mit der Konstruktion von Bombenzielgeräten befaßt [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 60.]. Aufgrund seiner umfangreichen feinwerktechnischen Kenntnisse wurde Winzenburg gleich nach dem Kriege wohl auf direkte Anordnung von Seiten der Besatzungsmacht zum Chefkonstrukteur bei der Dresdner Zeiss Ikon AG gemacht, wo er die Arbeiten an der Spiegel-Contax leitete. Nach "Fertigstellung der wesentlichen Arbeiten an diesem Projekt" sei er wieder in sein Spezialgebiet der Kinogeräte gewechselt und unter seiner maßgeblichen Verantwortung wurde die oben bereits gezeigte „Dresden D1“ als Nachfolgerin der berühmten Ernemann VIIB Theatermaschine entwickelt. Später habe er die Gesamtleitung der Abteilung Forschung und Entwicklung des VEB Zeiss Ikon übernommen [Angaben nach Schulze-Manitus, Hans: Technische Filmchronik, Bild und Ton 7/1960, S. 223].
Das offizielle Pressephoto zeigt den Zeiss-Ikon-Chefkonstrukteur Wilhelm Winzenburg (rechts) zusammen mit seinen beiden Mitstreitern Rudolf Kuhnert (links) und Walter Hennig (Mitte).
Nüchtern betrachtet muß man es im Nachhinein regelrecht als Glücksfall ansehen, daß vom „Syntax-Projekt“ nach dem Ausbrennen des Zeiss-Ikon-Werkes nichts übrig geblieben war. Denn vor allem in Hinblick auf das Herzstück einer solchen Kamera – den Schlitzverschluß nämlich – konnten nun Wilhelm Winzenburg und Rudolf Kuhnert einen völlig neuen Weg einschlagen. Das wirkte sich dadurch letztlich auch positiv auf den gesamten Grundaufbau der Kamera aus. Wenn man es drastisch ausdrücken möchte, so konnten die Konstrukteure sich nun gänzlich von dem Murks frei machen, den es bedeutet hätte, den Zweiwellen-Metallrolloverschluß der Contax-Meßsucherkamera in die Reflexkamera einbauen zu müssen.
4.1 Das Hauptpatent
Sich von einem falschem Konstruktionspfad zu lösen, zieht aber auch zwangsläufig das Problem nach sich, einen besseren finden zu müssen. Schließlich lag die Prämisse ja darin, daß die neue Reflex-Contax kaum mehr bauliches Volumen einnehmen sollte als ihre Meßsucher-Vorgängerinnen. Daher mußten Wege gefunden werden, den nun über die lange Bildfensterseite ablaufenden Schlitzverschluß so kompakt wie möglich zu bauen. Wichtigste Quelle für ein Nachvollziehen der diesbezüglichen Konstruktionsarbeiten Winzenburgs und Kuhnerts ist das Patent Nr. DD5395 „Schlitzverschlußeinrichtung für photographische Kameras“ vom 6. März 1949. Diese umfängliche Patentschrift erhebt nicht weniger als 22 schutzrechtliche Ansprüche. Sie gibt nicht den Entwicklungsstand der Spiegelcontax im Frühjahr 1949 – also kurz vor dem Anlaufen der ersten Serienproduktion – wieder, sondern das Grundprinzip des Verschlusses, das über mehrere Jahre hinweg erarbeitet worden war. Nicht alle im Patent genannten Details stimmen daher mit dem tatsächlich in die fertige Kamera eingebauten Verschluß überein, sondern zeigen die verschiedenen Lösungswege, die von der Entwicklergruppe eingeschlagen worden waren. Allerspätestens wenn ein Produkt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ist es ratsam, sich diese Neuerungen und Entwicklungspfade patentrechtlich schützen zu lassen, um zunächst einfach einen bloßen Nachbau zu verhindern. Kein Wunder also, daß die Anmeldung der Schlüsselpatente der neuen Kamera mit der Eröffnung der Leipziger Frühjahrsmesse 1949 vom 6. bis 13. März 1949 zusammenfiel. Gleichsam ist eine solche Patentanmeldung natürlich auch eine der wichtigsten Möglichkeiten für Konstrukteure, ihre abgeschlossenen Entwicklungsarbeiten zu Veröffentlichen und damit einen Beitrag zur Eruierung des internationalen technischen Standes zu leisten. Offenbar wurden die Konstruktionsarbeiten für die Spiegelcontax im Frühjahr 1949 als weitgehend abgeschlossen angesehen.
Bevor ich auf einige Details des Patents eingehe noch ein paar Worte zum Grundprinzip des Contax-Verschlusses. Das absolut Neue und mithin Moderne dieses Verschlusses war ein Aufteilen des Mechanismus in denjenigen Part, der die Rollos antreibt und denjenigen, der den Ablauf dieser Rollos steuert. Bei Kameras wie der Leica, Exakta und Praktica sind diese beiden Teile untrennbar miteinander verknüpft, das heißt diejenige Kraft, die die Rollos bewegt, treibt auch das Zeitsteuerwerk mit an. Die Bildung des Belichtungsschlitzes und damit der Verschlußzeit wird dadurch erreicht, daß aus der Kraft, die den ersten Verschlußvorhang antreibt, ein Hemmwerk angesteuert wird, das den Ablauf des zweiten Vorhanges um den entsprechenden Betrag verzögert. Bei der Spiegelcontax hingegen wird die in den Federwalzen gespeicherte und für eine gleichmäßige Belichtung möglichst exakt justierte Kraft allein zum Ablauf der Vorhänge genutzt. Die Ansteuerung der Vorhänge erfolgt durch ein gesondertes Zeitbildungswerk, das wie eine mechanische Uhr durch eine eigene Feder angetrieben wird, die mit dem Filmtransport/Verschlußaufzug stets aufs Neue gespannt wird. Diese Ablaufsteuerung „sagt“ den beiden Verschlußvorhängen, die bei gespanntem Verschluß durch Klinken festgehalten werden, wann diese ablaufen dürfen. Das ist technikgeschichtlich ein bemerkenswertes Konzept. Zwanzig Jahre später wurde im VEB Pentacon Dresden am Verschluß der Praktica electronic gearbeitet, deren Ablaufsteuerung auf ähnliche Weise funktioniert; mit dem Unterschied, daß hier nicht ein mechanisches Uhrwerk die Zeitbildung bewerkstelligte, sondern eine elektronische Schwellwertschaltung. Der Start des zweiten Verschlußvorhanges wird bei dieser Kamera nur nicht wie bei der Contax auf mechanischem Wege durch eine sich drehende Nockenscheibe ausgelöst, sondern dadurch, daß das Feld eines kleinen Elektromagneten zusammenbricht und dadurch der bis dahin eingeklinkte Vorhang freigegeben wird. Nach genau diesem Prinzip arbeiten alle elektronisch gesteuerten Verschlüsse bis zum heutigen Tag. Der Schlitzverschluß der Spiegelcontax war also nichts weniger als der Pionier der modernen, fremdgesteuerten Verschlußbauarten.
Oben das sogenannte Turmlager der Spiegelcontax, in dem die Steuerwalze des Verschlusses läuft. Gut zu sehen sind die beiden schwarzen Hebel, die die Vorhänge in Position halten, wenn der Verschluß gespannt ist. Diese Hebel werden dann nacheinander vom sogenannten Zeitwerk (unten) ausgerückt, das mit seinen Nocken den Ablauf der Vorhänge wie ein Uhrwerk steuert. Der dritte Hebel aus Messing dient der Blitzsynchronisation. Der zugehörige Kontakt ist ganz links erkennbar.
Noch ein Wort zur Gravur der Werte der Verschlußzeiten auf diesem Zeitwerk: Gut ist die Wiederkehr des 1-; 2-; 5-Schemas zu erkennen. 1; 2; 5; dann 10; 20 und 50 sowie 100; 200; 500 und am Ende noch einmal eine 1 bei der 1/1000. Das ist die technische Schönheit, die Ingenieure anstreben. Die ganzen Interpretationen zum Beispiel bei Alexander Schulz, die Gravur habe sich gegenüber den Prototypkameras geändert, weil die Zeiten nicht eingehalten werden konnten, sind reine Erfindungen des Autors. Bei keinem mechanisch gesteuerten Verschluß läßt sich dauerhaft eine eindeutige Unterscheidung beispielsweise zwischen einer 1/20 Sekunde (= 50 Millisekunden) und einer 1/25 Sekunde (= 40 Millisekunden) einjustieren. Die Verschlußzeiten sind stets Nennwerte und da die Belichtung ein exponentielles Maß ist, kommt es gar nicht so sehr auf den Absolutwert der Belichtungszeit an, sondern um einen verlässlichen Abstand zur nächstkürzeren oder nächstlängeren Verschlußzeit, was möglichst einer Halbierung oder Verdoppelung nahekommen sollte, damit dieselbe Wirkung auftritt, wie wenn die Blende um einen Wert geöffnet oder geschlossen wird.
Unten ist noch einmal dargestellt, wie lt. Patentschrift die obengenannten Hebel zur Auslösung der Verschlußvorhänge an den Nockenscheiben des Zeitwerkes (bzw. Auslösewerkes) anliegen.
Aus der Patentschrift geht übrigens hervor, daß auch der erste Verschlußvorhang vom Zeitwerk ausgelöst wird und nicht direkt vom Auslöser (Patentanspruch 11). Das hat den Hintergrund, daß auf diese Weise der Ablauf des ersten Vorhanges kontrolliert verzögert werden konnte, bis der Reflexspiegel wirklich seine obere Position eingenommen hat. Durch diesen Kunstgriff konnte auf alle Fälle ausgeschlossen werden, daß sich der Verschluß öffnet, noch bevor der Spiegel den Lichtpfad völlig frei gegeben hat. Diesen Fehler zeigte namentlich die Praktica, die Siegfried Böhm (1921-2016) von einem Hub- auf einen Klappspiegel umkonstruiert hatte. In vollem Bewußtsein über dieses Problem, das vor allem bei zu raschem Druck auf den Auslöser zu beklagen war, hatte Böhm die Verschlüsse seiner Praktina und Praktisix so konzipiert, daß diese erst durch den oben angekommen Spiegel ausgelöst wurden. Die Contax ging einen anderen Weg, indem sozusagen eine feste Verzögerungszeit für den Verschlußablauf einprogrammiert wurde, die auch bei einer recht energischen Verschlußauslösung dem Spiegel noch genügend Zeit zum vollständigen Hochklappen beließ.
Der gesamte Verschlußablauf der Spiegelcontax beruht also darauf, daß ein mal als Zeitwerk, mal als Auslösewerk bezeichneter Steuermechanismus stets eine volle Umdrehung ausführt (Patentanspruch 2) und während dieser Umdrehung den ersten Verschlußvorhang durch eine feststehende Nocke, den zweiten Vorhang durch eine in der Position veränderliche Nocke auslöst (Patentanspruch 3). Die Breite des Belichtungsschlitzes und damit die Länge der Verschlußzeit ergibt sich also daraus, welchen Winkel diese beiden Nocken zueinander einnehmen. Dazu ist die Nocke des zweiten Verschlußvorhanges über eine Friktion verstellbar; das heißt ursprünglich wäre eine stufenlose Einstellung der Verschlußzeit möglich gewesen, denn von einer Rastung ist weder im Text noch in der Zeichnung etwas zu erfahren. Ebenfalls später nicht so verwirklicht wurde, daß ein für die längeren Zeiten notwendiges Hemmwerk (Patentanspruch 4) je nach eingestellter Verschlußzeit SELBSTTÄTIG zugeschaltet wurde (Patentanspruch 5). Da sich dieses Ansinnen offenbar nicht umsetzen ließ, wurde bei den späteren Serienkameras das Hemmwerk mit dem bekannten Schieber an der Rückseite der Deckkappe manuell zugeschaltet und gleichsam der Einstellindex auf die roten Zahlen umgestellt. Wichtig zu erwähnen ist noch, daß das Aufziehen des Zeitwerkes in zwangsläufiger Kupplung mit dem Zurückführen der Verschlußvorhänge und dem Filmtransport geschah (Patentanspruch 1). Damit wurde die Energie für den zeitlichen Verschlußablauf bei jedem Filmtransport neu zugeführt. Die übrigen Schutzansprüche beschäftigen sich hauptsächlich mit den nötigen mechanischen Triebmitteln, die ein solch komplexer Aufbau insgesamt benötigt.
4.2 Das Zusatzpatent
Für die Geschichte der Spiegelcontax ziemlich interessant ist weiterhin ein Zusatzpatent Nr. DD5403, das Winzenburg zwar am selben Tag wie das obige angemeldet hat, dessen Ideen aber deutlich jünger zu sein scheinen, weil sie erst im Laufe der Entwicklungsarbeiten zur Contax aufgekommen sein müssen. Das Zusatzpatent befaßt sich mit dem Problem, daß insbesondere die kürzeste Verschlußzeit bei einem Schlitzverschluß große konstruktive Probleme bereitet. Bei einer tausendstel Sekunde liegt die Weite des Belichtungsschlitzes gerade einmal um einen Millimeter herum. Jede kleinste Abweichung von dieser Spaltbreite – und sei es in der Größenordnung eines Zehntelmillimeters – führt dazu, daß die tatsächliche Belichtungszeit massiv vom Nominalwert abweicht. Noch schlimmer ist allerdings, wenn sich diese Abweichungen ergeben, während dieser schmale Spalt über das Bildfenster wandert. Lichtabfall über die Breite des Negativs hinweg oder auch häßliche streifige Belichtung, die mit keinem Mittel der Welt mehr im Kopierprozeß zu korrigieren sind, wären die Folge. Ganz offensichtlich litten die ersten Nullserienmodelle der Spiegelcontax unter diesem Problem, denn Sammler haben Modelle aufgetan, bei denen die kürzeste Verschlußzeit auf eine 1/500 Sekunde beschränkt wurde. Mit solch einer Beschränkung wollte man sich aber offenbar bei Zeiss Ikon nicht zufriedengeben. Deshalb hat Winzenburg seinen Verschluß dergestalt umgeändert, daß nach dem im verdeckten Zustand erfolgten Zurückführen der Verschlußtücher diese freigegeben werden und in ihre bereits oben angesprochenen Halteklinken fallen. Diese sind nun aber so zueinander angeordnet, daß der erste Verschlußvorhang (= Öffnungsvorhang) wieder ein Stück zurückläuft, bevor er in seine Klinke fällt. Dadurch wird der gedeckte Zustand des Verschlusses bereits am Ende des Spannvorganges beendet und es bildet sich ein Belichtungsschlitz von gerade derjenigen Breite heraus, der für die Verschlußzeit von einer 1/1000 Sekunde nötig ist (0,6mm Normwert lt. Montageanweisung). Bei dieser kürzesten Verschlußzeit werden also beide Vorhänge in diesem festgelegten Abstand gleichzeitig ausgelöst; wobei gewährleistet ist, daß die korrekte Spaltbreite beim Abgleich des Verschlusses genau einjustiert werden kann, sodaß die 1/1000 Sekunde sehr präzise eingehalten wurde.
Die genaue Justage der Spaltbreite und damit auch der 1/1000 Sekunde erfolgt an dem im roten Kreis sichtbaren Excenter.
4.3 Der Schrägauslöser
Ebenfalls am 6. März 1949 wurde noch ein drittes Patent mit der Nr. DD978 angemeldet. Es beschreibt den für die Contax so typischen Schrägauslöser. Zynischerweise hatte die schreckliche Verwüstung Dresdens für Zeiss Ikon den positiven Effekt, daß man quasi von vorn beginnen mußte. Alle Vorarbeiten der Kriegszeit bezüglich der Kleinbildreflexkamera waren zunichte gemacht. So waren Winzenburg und seine Leute gezwungen, „from scratch“ neu zu starten, wie die Engländer sagen. In vielen Beziehungen ist das aus heutiger Sicht als Glücksfall anzusehen, denn so war es möglich, sich von vielem Ballast der Küppenbender-Zeit freizumachen.
So kann man aus dem besagten Patent Nummer 978 beinah wörtlich herauslesen, daß Winzenburg vom koaxial in den Transportknopf der Contax-Meßsucherkamera eingelassenen Auslöser gar nichts hielt. Er hatte daher den Auslöser bei der Spiegelcontax so angeordnet, daß der Auslösedruck der natürlichen Fingerbewegung folgen konnte. Außerdem stellte sich später heraus, daß die nach hinten unten gerichtete Bewegung die Kamera in die sie haltende Handfläche drückte und damit ein Verreißen der Kamera am besten verhindert werden konnte. Das ist der Grund dafür, weshalb diese Anordnung des Auslösers später zum regelrechten Markenzeichen des Dresdner Kamerabaus geworden ist. Die Praktina, die Praktisix, die Belmira, die Pentacon Super, die Praktica nova und L-Serie– alle diese Kameras haben diesen Schrägauslöser übernommen. Eine bessere Anerkennung für die Arbeit eines Konstrukteurs läßt sich kaum finden.
5. Die historische Einordnung der Spiegelcontax
Spätestens seit dem Fall der Mauer gibt es eine Debatte um die herausgehobene geschichtliche Bedeutung der Contax S. Die hübsch anzuschauende Kamera wurde offenbar nun auch von westdeutschen Kamerasammlern nicht mehr als ostzonales, sondern als gesamtdeutsches Erzeugnis anerkannt und sie hat sich im Zuge dessen sukzessive zu einem regelrechten Zankapfel entwickelt. Schließlich ist der Titel "erste Spiegelreflex der Welt mit Geradsichtsucher" zu vergeben. Wahlweise wird die Contax S dann in einen Wettbewerb mit einer italienischen oder einer ungarischen Kamera gebracht und es wird um das früheste Datum des ersten Erscheinens der Kameras gestritten. Diese zum Teil sehr kleinlich geführten Prioritätsdebatten scheinen mir aber den Blick auf die eigentliche Kernfrage verstellt zu haben, wieso es nämlich nach den vielen Vorankündigen so lang gebraucht hat, bis diese Spiegelcontax wirklich in die Geschäfte gelangte. Offensichtlich war der gesamte Werdegang dieser Kamera außerordentlich problembehaftet.
5.1 Schleppender Entwicklungsprozeß
Sowohl die Quellenüberlieferung als auch Indizien an den Kameras zeugen davon, daß Wilhelm Winzenburg und seine Mitstreiter damals große Schwierigkeiten gehabt haben, ihre Neukonstruktion zu einem funktionsfähigen Produkt zuendezuentwickeln. So muß man davon ausgehen, daß sie etwa vier Jahre an dieser Kamera laboriert hatten, nur um dann ab Ende des Jahres 1949 wiederum mit immensen Problemen beim Anlauf der Serienfertigung kämpfen zu müssen. Daraus könnte man schlußfolgern, daß schlichtweg die Zielvorgaben für die neu zu entwickelnde Präzisionskamera zu hoch gesteckt waren. Die Ansteuerung aller Verschlußzeiten durch ein einziges Hemmwerk stellten eine große Herausforderung dar, zumal der gesamte Verschlußaufbau gleichzeitig auf größte Kompaktheit getrimmt werden mußte, um die Kamera möglichst zierlich zu halten.
Dabei hinterläßt der gesamte Entwicklungsprozeß der Contax S den Eindruck, außergewöhnlich langwierig verlaufen zu sein. Immerhin waren die Arbeiten bereits im Sommer 1945 aufgenommen worden. Daß der Beginn schleppend verlief, das ist zunächst allzu verständlich. Schließlich müssen wir uns vor Augen führen, in welcher katastrophalen Lage sich die Zeiss Ikon AG unmittelbar nach Kriegsende wiederfand. So war beispielsweise der auf die Ernemann AG zurückgehende Gebäudekomplex in der Schandauer Straße Ecke Junghansstraße (oben etwa 1925) im Frühjahr 1945 weitgehend ausgebrannt [Bilder unten: Höhne Pohl, Deutsche Fotothek, Datensatz 70600289]. Nicht viel anders sah es offenbar auch am Stammsitz der Ica AG Schandauer Straße 76 aus, wo sich bis dahin die Entwicklungsabteilung befunden hatte.
Zweitens hatte sich der kleine Stab an Spezialisten, der während der gesamten Kriegszeit am Projekt einer Einäugigen Reflex-Contax weitergearbeitet hatte, nun komplett zerstreut. Zum großen Teil hatten sich diejenigen Konstrukteure, die den Angriff vom Februar '45 überlebt hatten, in die westlichen Besatzungszonen abgesetzt. Die in Dresden Verbliebenen waren dagegen hauptsächlich mit der von der Sowjetischen Besatzungsmacht angeordneten Rekonstruktion der Contax-Meßsucherkamera beschäftigt. Die Neukonstruktion der Contax S muß jedoch während der ganzen Zeit "auf kleiner Flamme" weitergeführt worden sein. Vom April 1946 existieren Protokollvermerke über die Gewährung von Arbeitsstunden für die Konstruktionsarbeit durch die Sowjetische Militärverwaltung und im darauffolgenden September ist in verschiedenen Quellen von ersten Handmustern die Rede, mit denen die Verantwortlichen von der Fortsetzung der Arbeiten überzeugt werden sollten.
Am 2. oder 3. Dezember 1949 gab es im VEB Zeiss Ikon eine Veranstaltung, mit der die Aufnahme der Serienfertigung der Contax S gefeiert wurde. Hier hielt der Chefkonstrukteur Winzenburg eine Rede, bei der er offenbar auch den Werdegang der Neuschöpfung rekapitulierte. Die Aufnahmen von Höhne/Pohl belegen, daß dabei die Funktionsmodelle und Musterkameras präsentiert wurden, die nach und nach entstanden waren. Diese Geräte befinden sich offenbar bis heute in den Technischen Sammlungen der Stadt Dresden, sodaß über den Entstehungsprozeß der Kamera kein Zweifel bestehen kann.
Aus den Jahren 1947/48 sind zwar in der damaligen Fachpresse verschiedene Andeutungen zu einer in Dresden in Konstruktion befindlichen neuen Kleinbild-Spitzenkamera zu finden, doch mit konkreten Aussagen hielt man sich auffallend zurück. Das hat schlicht und ergreifend damit zu tun, daß die Kamera in vielen Details nach wie vor im Prototypstatus verharrte. Und das galt nicht allein für den Schlitzverschluß. Im Abschnitt 2 wurde bereits erwähnt, daß aufgrund einer Mitteilung aus der Tagung des Fachausschusses Photo vom 27. Juli 1948 rückgeschlossen werden kann, daß zu diesem Zeitpunkt auch der Prismensucher noch nicht fertig war. Hier wurde mit einer freistehenden Mattscheibe experimentiert, bei der zum Zwecke der Reflexionsmilderung das Aufbringen eines T-Belages versucht werden sollte. Es ist also verständlich, daß der VEB Zeiss Ikon nicht mit einer unfertigen Kamera an die Öffentlichkeit ging und sich deshalb mit genauen Aussagen auffallend zurückhielt.
Sie ist da: die "Contax-S". Mit diesem Artikel in der Fachzeitschrift "Die Fotografie", Ausgabe 2/1949 (April/Juni), im Nachklapp zur Frühjahrsmesse 1949, wurde die neue Kamera erstmals dem Fachpublikum in der DDR journalistisch vorgestellt. Wirklich "da" war sie zu diesem Zeitpunkt freilich noch lange nicht. Besonderes Augenmerk sollte übrigens auf die Abbildung der Kamera gelegt werden, die den Eindruck erwecken könnte, die Vorderfläche ihres Prismendoms sei dunkel gefärbt statt verchromt. Dieses Detail spielt eine gewisse Rolle in der späteren Verfälschung der Geschichtsschreibung zu dieser Kamera (siehe 5.4).
Erst im Herbst 1948 wagte man offenbar eine erste öffentliche Präsentation in Schweden, die allerdings damals von der Fachwelt kaum beachtet wurde. Insofern dürften viele Experten glaubhaft überrascht gewesen sein, als die neue Contax S auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1949 tatsächlich das erste Mal in großem Stile vorgeführt wurde. Dieses plötzliche Erscheinen der neuen Kamera fast vier Jahre nach Kriegsende – und obendrein scheinbar aus dem Nichts heraus – hat übrigens geradezu absurde Legenden zum Ursprung der Contax S nach sich gezogen. In der Sowjetunion bzw. Rußland muß es beispielsweise eine Veröffentlichung gegeben haben, in der behauptet wurde, die Spiegelcontax sei eine Konstruktionsarbeit eines Majors der Roten Armee gewesen und der VEB Zeiss Ikon habe sie lediglich übernommen. Diese Legende, die Contax S sei russischen Ursprungs, war dort offenbar noch bis in die jüngste Zeit weit verbreitet. Ferner hatte sich in der Ära vor dem Internet durch diverse Sammlerzeitschriften auch eine Erzählung herausgebildet, die Contax S sei eigentlich eine Konstruktion der ungarischen Firma Gamma. Auch diese Legende wurde schon vor Jahren u.a. durch Alexander Schulz richtiggestellt. Es sei an dieser Stelle aber schon vorweggenommen, daß auch von Deutscher Seite immer wieder kräftig an solchen Mythen und Verdrehungen mitgestrickt worden ist.
5.2 Vorschußlorbeeren und verfrühte Lieferverträge
Es ist heutzutage leider nicht mehr nachvollziehbar, was genau sich im Zeitraum zwischen der offiziellen Vorstellung der Contax S zu Jahresanfang 1949 und dem Beginn der Serienfertigung zum Jahresende 1949 bei Zeiss Ikon wirklich abgespielt hat. Man muß wohl intensiv an der Serienertüchtigung der Kamera gearbeitet haben, damit man sie endlich an den Handel ausliefern konnte. Die weitere Geschichte hat aber gezeigt, wie diese offensichtliche Eile und der äußere Druck zur Folge hatten, daß letztlich ein unausgereiftes Produkt das Werk verließ. Diese Tatsache scheint in der jungen DDR tabuisiert und offenbar sogar betriebsintern unter den Teppich gekehrt worden zu sein. Doch eine nüchterne Einschätzung der Arbeit Winzenburgs, die sich der damals noch sehr an Jena und Dresden interessierte Amerikanische Geheimdienst durch einen Informanten eingeholt hat, fällt demgegenüber geradezu entlarvend aus [CIA-RDP82-00457R006200340005-5 vom 20. Dezember 1950].
Die Zuträger des CIA bescheinigten Winzenburg, er habe in Bezug auf die Konstruktion der Spiegelcontax ein regelrechtes Unvermögen unter Beweis gestellt. Das ganze Rätselraten um die frühe Spiegelcontax, die wenigen Kameras im Originalzustand, die Verwirrung in bezug auf Seriennummern und äußere Erkennungsmerkmale sowie die allgemein im Dunkeln liegende frühe Fertigungsperiode kann man daher als Anzeichen dafür hernehmen, daß der VEB Zeiss Ikon mit einem katastrophalen Produktionsstart der neuen Kamera konfrontiert war, über den man so weit es ging den Mantel des Schweigens gedeckt hat. Die Folgen waren aber immens. Nicht nur mußten offenbar in einem großen Umfang Kameras zurückgerufen und nachgebessert werden, sondern parallel dazu verlangte der quasi funktionsuntüchtige Verschlußaufbau nach einer weitgehenden Neukonstruktion. Neuesten Erkenntnissen zufolge haben der VEB Zeiss Ikon bzw. die Vertragswerkstätten noch auf Jahre hinaus mit dem Umbau der fehlerhaften Kameras auf den nachgebesserten Verschluß zu tun gehabt. Ausführlicher gehe ich auf diesen Aspekt in einem gesonderten Aufsatz ein.
Was war damals geschehen? Während im März 1949 in Leipzig von der Contax-S offenbar nur Mustergeräte gezeigt worden waren, wurden nun Ende August/Anfang September auf der Herbstmesse im großen Umfang Verkaufsabschlüsse unterzeichnet. Daraus müssen wir schließen, daß man mittlerweile in die Serienfertigung eingetreten war bzw. man kurz davor stand. War die DDR-Tagespresse im Frühjahr noch weitgehend stumm geblieben, so überschlug sie sich sie jetzt geradezu angesichts der enormen Verkaufserfolge. So wurde beispielsweise die neue Contax S im obigen Bericht der "BZ" vom 4. September 1949, dem Schlußtag der Herbstmesse, einen amerikanischen Handelsvertreter zitierend als "das Großartigste, was je gefertigt wurde" gefeiert. Der Absatz in großen Mengen ausgerechnet an US-amerikanische Abnehmer hatte damals angesichts des sich verschärfenden Kalten Krieges eine enorme propagandistische Wirkung in der Sowjetischen Besatzungszone. Interessant ist aber, daß hier freimütig Handelsketten sowie Waren- und Versandhäuser als Abnehmer genannt werden, also so etwas wie Kaufhof, Hertie oder Neckermann in deutscher Analogie. Wir wissen heute, daß damit bereits der Grundstein dafür gelegt war, daß die Spiegel-Contax in der Folgezeit auf dem US-Markt nicht seriös über den Fachhandel verkauft, sondern über Ladenketten und Mailorder verscherbelt wurde.
Die gesamten Geschäfte der Photogerätebranche in der Ostzone mit den USA wurde dabei über die New Yorker Importfirma "Steelmasters" abgewickelt. Der obige Artikel aus dem ND vom 8. September 1949 teilt uns mit, daß bis zum Ende der Herbstmesse Kameras im Werte von 500.000 Dollar in die USA abgesetzt wurden, davon mehr als die Hälfte alleine mit der neuen Contax S. Um den Wert dieser Lieferungen richtig einschätzen zu können, muß man wissen, daß der Dollar damals vor 75 Jahren mehr als 13 mal "wertvoller" war als heute. Für einen Dollar wiederum bekam man ab September 1949 4,20 D-Mark der Westzonen. Wir müssen also die obigen Dollarbeträge mit etwa 55 multiplizieren, um die wahre Bedeutung dieses Exportgeschäfts für die Ostzone ermessen zu können.
Am 20. November 1949 hatte es die neue Contax S sogar bis auf die Titelseite der SED-Tageszeitung "Neues Deutschland" geschafft. Im Wert von mehr als einer halben Million Dollar hatte man die Kamera bis dahin bereits allein in die USA verkauft. Vorauseilend wurde der VEB Zeiss Ikon nun zum Vorbild für andere DDR-Betriebe deklariert – de facto eine schwere Bürde für den Kamera-Betrieb. Denn wir können uns ausmalen, wie vor diesem Hintergrund die Verantwortlichen in Dresden nun unter Druck standen, die Kamera erfolgreich in die Serienfertigung zu überführen und die Exportaufträge schnellstmöglich zu erfüllen.
Durch einen glücklichen Umstand sind genau von diesem Serienanlauf der Contax S Aufnahmen der Photoreporter Erich Höhne und Erich Pohl erhalten geblieben. Die Deutsche Fotothek gibt zwar bei einigen dieser Bilder an, sie würden vom März 1951 stammen [hier Datensatz 70600522]. Gegen diese Datierung spricht jedoch eindeutig der Blindstopfen auf der Gehäuseöffnung für den Selbstauslöser-Spannhebel, der auf allen Bildern zu sehen ist. Diese verchromte Abdeckung mußte bei den frühen Kameras übrigens nicht deshalb installiert werden, weil man keine Vorlaufwerke produzieren konnte, sondern weil die Kupplung dieses Auslösewerkes mit dem Start des Spiegels und des Verschlusses zusätzliche Probleme bereitete, die bei Serienanlauf der Kamera noch nicht befriedigend gelöst waren. Man wollte schlichtweg zusätzliche Fehlerquellen vermeiden. Im Jahre 1951 waren diese Blindabdeckungen dann nicht mehr nötig.
Wir können also mit sehr großer Sicherheit davon ausgehen, daß all diese Aufnahmen im Rahmen der bereits erwähnten großen Feierstunde im VEB Zeiss Ikon am 2. bzw. 3. Dezember 1949 entstanden sind [und damit zum Datensatz 70603483 gehören]. Und damit haben wir es bei den hier zu sehenden Kameras leider auch gerade mit denjenigen Geräten zu tun, die dem Betrieb kurze Zeit später so viele Ausfälle bescheren und einen solch nachhaltigen Reputationsverlust einbringen sollten.
Anlaß der Feier war die Fertigstellung der tausendsten Contax S. In der Deutschen Fotothek ist zwar der 2. Dezember genannt, aber die Erinnerungsplakette, die jeder Teilnehmer trägt und von denen sich einige erhalten haben, trägt das Datum vom 3. Dezember 1949. Das war ein Samstag. Auch die symbolische Fahrkarte für die Contax "in die weite Welt hinaus", die unten zu sehen ist, trägt als Datum den 3. Dezember.
Auf diesen Bildern sieht man noch einmal unverkennbar Wilhelm Winzenburg bei seinem Vortrag. Leider ist schwer zu sagen, um wen es sich bei den beiden anderen Herren handelt. Möglicherweise waren es der Werkleiter Otto Hechler, der Direktor Kurt Fabian oder der spätere technische Direktor Hajesch. Auch ein Herr Part(z)sch und ein Herr Neubert spielten damals im Betrieb eine zentrale Rolle. Sicherlich wird auch der im Jahre 1949 als technischer Direktor fungierende Kurt Maul auf einer der vielen Aufnahmen zu sehen sein. Dieser Mann hatte das Unglück, zum Sündenbock für den völlig mißglückten Serienanlauf der Contax S gemacht zu werden. Seine Kollegen spannen Intrigen gegen ihn, um von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken. Er wurde seiner Funktion enthoben und im Jahre 1952 sogar für mehrere Monate inhaftiert. Die Anschuldigungen wurden jedoch nie aufgeklärt und Kurt Maul auch nie rehabilitiert, weil das ganze Debakel um die fehlkonstruierte Contax S am Ende unter den Teppich gekehrt wurde [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 56.].
Oben sieht man zudem ein gigantisches Modell der Spiegelcontax, durch dessen „Spiegelkasten“ offenbar der dahinterliegende Festsaal betreten werden konnte. Weitere Archivbilder zeigen, daß dem förmlichen Teil noch ein ziemlich lustiger Abend folgte. Die neue Kamera wurde nach fast fünf Jahren intensiver Arbeit also gebührend gefeiert.
Schauen Sie sich diese Bilder von dieser Feierstunde an! Walter Hennig muß vielsagend eine Contax aus einem Käfig befreien, ein anderer Mitarbeiter bekommt die Contax in Form eines Rettungsringes überreicht. Die Symbolik dieser Aufnahmen ist unverkennbar. Es scheint fast, die Contax S verkörpere die ganze Last der Kriegs- und Nachkriegszeit, die nun von dem Menschen abfällt. Im sprichwörtlich aus Ruinen wiederauferstandenen Zeiss-Ikon-Werk feierte man den Befreiungsschlag – noch nichts ahnend von den bald folgenden Ausfällen der zu großen Anteilen sogleich in die USA gelieferten ersten Contax-S-Kameras. Von da ab waren Ideal und Wirklichkeit aufs Tiefste gestört und das Bild nur durch Manipulationen aufrechtzuerhalten!
5.3 Schleppender Absatz und Preisverfall
Unmittelbare Folge dieses Desasters war wohl ein massiver Reputationsverlust des traditionsreichen Dresdner Kameragiganten – insbesondere auf den westlichen Exportmärkten, wohin die Spiegelcontax gleich zu Anfang zu sehr hohen Preisen exportiert worden war. Als weitere Folge ist daher auch ein drastischer Wertverfall dieser Kamera zu verzeichnen gewesen, von dem sich die gesamte Baureihe nie wieder erholen sollte. Die wahren Ursachen dafür wurden in der DDR durch die üblichen Propagandalügen verschleiert, die selbst viele Jahre nach dem Mauerfall noch in diesem Film verbreitet wurden.
Die obige Annonce aus der "Popular Photography" vom März 1950 belegt, wie überstürzt damals die Spiegelcontax einerseits auf den Markt gebracht wurde und wie hoch zudem der Preis angesetzt war. 475 Dollar des Jahres 1950 entsprechen heute im Jahr 2022 annähernd 6000 Dollar! man erkennt auch, daß die Strategie, Kaufdruck aufzubauen, weil nur begrenzte Mengen vorrätig sind, eine lange Tradition haben.
Ein Grund für die große Eile lag auch im parallelen Erscheinen der Contax IIa von Zeiss Ikon Stuttgart. Schon im Folgemonat April schaltete die Kamera-Handelsfirma von Abe Cohen in der US-Zeitschrift "Popular Photography" die obige Annonce, bei der er die neue Contax S aus der "Eastern Zone" direkt der ebenfalls neuen Contax IIa aus der "Western Zone" gegenüberstellte. Mit dem jeweiligen Normalobjektiv 1:2,0 kostete die westdeutsche Kamera "nur" 385 statt 475 Dollar. Selbst mit dem hochlichtstarken Sonnar 1,5/50 mm war sie noch 15 Dollar preiswerter. Angesichts dieser Konkurrenz kann man nachvollziehen, weshalb die Spiegel-Contax wie Blei in den Auslagen der Fachgeschäfte und der Mailorderfirmen lag.
Diese oben gezeigten Annoncen wurden von der Ercona Corporation aufeinanderfolgend im Mai und Juni, die zweite im Juli, die dritte im August und die vierte im September 1950 in der "Popular Photography" geschaltet. Interessant ist, die jeweiligen Veränderungen des Textes links zu verfolgen. Wenn wir diesen Werbeanzeigen vertrauen schenken können, dann war die erste Lieferung der Contax S bereits zur Mitte des Jahres ausverkauft 1950. "Die begehrteste Kamera der Welt" lautete der Slogan. Man liest aber auch heraus, daß der Nachschub stockte. Die Augustanzeige bekräftigt, daß die große Nachfrage die Produktionskapazitäten überstiegen hätten, nun aber neue Lieferungen einträfen um die Bestellungen abzudecken. Auch die Anzeige vom September stuft die Contax S noch als schwer erhältlich ein.
Im Dezember 1950 wird mit der obigen Anzeige das Modell 1951 angekündigt, das sich durch den Einbau eines Selbstauslösers von dem vorigen Modell abhebt. Der Preis liegt nach wie vor bei 475 Dollar mit dem Biotar. Ob man diesen behaupteten Verkaufserfolgen glauben schenken darf, oder ob nicht das ganze Gegenteil der Fall war und die Annoncen deshalb geschaltet wurden, weil man die Kamera nicht los wurde, das läßt sich heute nur schwer einschätzen. Aber angenommen, daß der Anfangserfolg wirklich so groß gewesen war, so muß nun in der Folgezeit eine deutliche Sättigung der Nachfrage eingetreten sein, denn Fakt ist, daß sich das Blatt nun rasch Richtung Übersättigung gedreht haben muß und der Verkaufspreis massiv gesenkt werden mußte. Außerdem wissen wir von Äußerungen der US-Vertreter, daß etwa die Hälfte der Kameras wegen Totalausfällen zurückgenommen werden mußten [Vgl. Schulz, Contax, 2006, S. 54.].
Oben: Als eine weitere Folge daraus, daß die Contax S- bzw. Pentacon-Kameras regelrecht auf den amerikanischen Markt geschmissen wurden, häuften sich später größere Überbestände an, die sich offenbar nur schwer abbauen ließen. Verschärfend kam hinzu, daß Zwischenhändler bzw. Ladenketten durch fortgesetztes "Umlabeln" einen Unterbietungswettbewerb in Gang brachten, der letztlich den Preis- und Reputationsverfall dieser Kamera nur noch weiter anheizte. Neben der oben gezeigten "Hexacon" von Peerless [Bild: Paulo Moreira] gab es mindestens noch eine "Astraflex 35" (Sterling-Howard), eine "Consol" (Grand Central Store, Haber & Fink), eine "Ritacon" (American Camera Exchange) sowie eine "Super D". Interessant auch das aus inländischer Produktion stammende Normalobjektiv "AMOTAL" von Taylor & Hobson an der Hexacon.
Die hier zu sehenden Annoncen aus der US-Amerikanischen Zeitschrift "Popular Photography" vom Sommer 1956 zeigen sogar auf, daß diese Hexacon mit dem Amotal von Taylor & Hobson 20 Dollar preiswerter angeboten wurde als mit dem Biotar von Zeiss Jena. Der Hintergrund liegt darin, daß dieses Objektiv eigentlich für eine Meßsucherkamera "FOTON" von Bell & Howell gedacht war, nach deren Scheitern aber offensichtlich auf Lager lag und für das M42-Gewinde umgefaßt wurde. Bei dem, was hier als "brand new" angepriesen wurde, handelte es sich also höchstwahrscheinlich in Wahrheit um massiven "stockpile".
Oben habe ich einmal den Versuch unternommen, den Fall Spiegel-Contax nachzuvollziehen, wie er sich in den Jahren 1949/50 einem Leser der Tagespresse in der Hauptstadt offenbarte. Anfangs wurde die neue Kamera in der Berliner Zeitung regelmäßig als eindrucksvolles Erfolgsprodukt geschildert. Doch dann wird es plötzlich still um die Contax S. Erst aus einer Meldung in der "Neuen Zeit" vom Dezember 1950 erfährt der Leser, daß es zwischenzeitlich konstruktiver und qualitativer Verbesserungen bedurft hat.
Im Dezember 1951 wurde der Verkaufspreis der Contax S mit Biotar von 3000,- auf 2000,- Mark gesenkt. Wir wissen heute, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit auf diese Weise das alte Modell auf dem DDR-Inlandsmarkt abgesetzt wurde, während im Export bereits das ertüchtigte Modell (die spätere Contax D) lief. Versagte dem DDR-Kunden seine Contax S nach Ablauf der Garantiezeit, so konnte er sie zu einem Selbstkostenanteil von 87,- Mark nachträglich auf das Modell D umbauen lassen.
Wenn auch die großen Probleme mit der Funktionssicherheit der Contax schließlich mit dem neu konstruierten Modell D ab 1952 überwunden werden konnten, so gelang es dennoch nicht, die Reputation der ganzen Reihe völlig wiederherzustellen. Ich habe noch Photoamateure gekannt, die sich dazumal lieber für eine Praktica entschieden haben, weil ihnen der Händler unter vorgehaltener Hand von der Contax abgeraten hatte. Trotzdem sind – soweit man Richard Hummels Zahlenangaben Glauben schenken kann – bis zum Frühjahr 1962 immerhin 186.990 Stück der gesamten Reihe hergestellt worden. Für eine 13-jährige Produktionszeit und für einen Kamera-Großbetrieb ist das aber eine recht moderate Zahl. Im deutlich kleineren VEB Kamera-Werke Niedersedlitz sind im gleichen Zeitraum von der Praktica-Reihe mit 377.775 Stück exakt doppelt so viele Kameragehäuse gefertigt worden. Und da ist die Praktina mit über 100.000 Stück zwischen 1953 und 1960 noch gar nicht berücksichtigt.
Aus diesem Grunde arbeitete der VEB Zeiss Ikon bis zu seiner Auflösung fast durchweg verlustbringend [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 58.]. Letztlich bedeutet das, die Kameras wurden weitgehend auf Basis staatlicher Subvention gebaut – nicht zuletzt, um die bereits eingeplanten Deviseneinnahmen sicherzustellen. Der obige Ausschnitt aus einem CIA-Bericht [CIA-RDP83-00415R013200080002-4] bringt die schwierige Lage noch einmal drastisch zum Ausdruck, in die der VEB Zeiss Ikon Anfang der 50er Jahre geraten war. Demnach fielen 40% der Kameraproduktion auf die Contax S Modell A bis C (!), diese seien aber qualitativ minderwertig und könnten nicht mit westdeutschen Produkten konkurrieren. Zudem sei das Zeiss-Ikon-Werk in eine finanzielle Schieflage geraten, nicht zuletzt aufgrund der großen Auslandsreklamationen.
Vielsagend: Noch bevor die neue Spiegel-Contax überhaupt der breiten Öffentlichkeit gezeigt worden war, wurde in diesem kleinen Artikel in der Berliner Zeitung vom 18. Januar 1949 bereits darauf verwiesen, daß ihre Produktion unökonomisch ist.
Daß diese Einschätzungen über die Contax S weitgehend zutreffen und sich bereits sehr frühzeitig abzeichnete, daß sich die neue Kamera zu einem wirtschaftlichen Debakel entwickeln könnte, wird durch einen Bericht eines Vertreters der Firma Steelmasters bestätigt, der in Dresden auf einer Tagung des Fachausschusses Photo am 23. Januar 1950 vorgelegt wurde. Anlaß für den Bericht bildeten die ersten 25 Exemplare der Spiegel-Contax, die kurz zuvor in New York eingetroffen waren. Demnach sehe sich die Kamera einer starken Konkurrenz in Form der neuen Contax IIa aus Stuttgart ausgesetzt. Kritisiert wird auch die Lieferung der Gehäuse mit schwarz lackierten Objektiven, die von der Kundschaft abgelehnt würden. Zudem werde eine italienische Kamera – mit der zweifellos die Rectaflex gemeint ist – zum halben Preis angeboten [Vgl. BACZ 19117, in: Thiele, SBZ, S. 44.]. Daraus können wir schließen, daß zumindest auf dem US-Kameramarkt die beiden Pioniere dieses neuen Typs der Prismensucher-Reflexkamera etwa zeitgleich erschienen waren.
Mit diesem Bericht des Steelmaster-Vertreters vom Januar 1950 haben wir aber auch einen zeitgenössischen Beleg dafür, daß man sich im VEB Zeiss Ikon schon kurz nach Beginn der Auslieferung der auf der Herbstmesse 1949 verkauften Kameras bewußt darüber geworden sein muß, daß diese Verkäufe auf Basis viel zu hoch angesetzter Preise abgeschlossen worden waren. Auch ohne die noch bevorstehenden Reklamationen wegen der technischen Mängel der gelieferten Geräte wäre die Spiegel-Contax wohl ein wirtschaftlicher Fehlschlag geworden. Die zu späte Markteinführung, die erst erfolgte, nachdem man die Konkurrenz schon an den Fersen spürte, hatte zur Folge, daß die Contax S letztlich doch nicht ganz zu jenem Meilenstein geriet, wie sie zuvor die Leica, die Rolleiflex oder die Kiné Exakta verkörpert hatten.
Auch intensivste Bildbearbeitungskunst macht es nicht möglich, den Fließtext dieser "Erinnerungs-Urkunde" vom 3. Dezember 1949 lesbar zu machen. Dazu müsste man das Originalnegativ mikroskopisch untersuchen. Nur mit allergrößter Phantasie läßt sich im dritten Absatz erahnen "Die ersten Vorarbeiten begannen bereits [?] 1945" sowie das Jahr 1947 am Ende der ersten Zeile. Es ist nicht auszuschließen, daß man sich in der Betriebsleitung des VEB Zeiss Ikon bereits zu jenem Zeitpunkt bewußt war, daß die Contax S bei ihrer Markteinführung schon nicht mehr die einzige Kleinbildspiegelreflexkamera mit Prismensucher mehr ist.
5.4 Contax S: Spielball geschichtsverfälschender Manipulationen
Auf der "Erinnerungs-Urkunde" zur Feierstunde vom 3. Dezember 1949 ist ein Detail zu erkennen, auf das ich hier noch einmal gezielt hinweisen will, auch wenn sich auf dem ersten Blick die Relevanz dieses Gesichtspunktes nicht gleich erschließen mag. Offensichtlich scheinen in der Frühgeschichte der Contax S Photos der Kamera bzw. davon abgeleitete Zeichnungen eine dominante Rolle zu spielen, die vom VEB Zeiss Ikon selbst in Werbebroschüren verbreitet wurden, die aber auch den Weg in die Fachzeitschriften fanden. Charakteristisch an diesen besagten Abbildungen ist dabei, daß bei ihnen die Frontfläche des Prismendoms schwarz gefärbt zu sein scheint. Schon auf der allererste Broschüre zur Contax-S vom Dezember 1948 ist dieses Merkmal vorhanden.
Es gibt überhaupt gar keinen Hinweis darauf, daß diese Fläche jemals bei irgendeiner dieser Kameras nicht verchromt gewesen wäre. Eine derartige Retusche der Abbildungen könnte jedoch bewußt vorgenommen worden sein, um angesichts der damaligen drucktechnischen Möglichkeiten das Signet des Herstellers kontrastreicher sichtbar werden zu lassen. Schließlich waren bei den ersten Kameras die Schriftzüge noch nicht schwarz ausgelegt und daher auf Photos bei ungünstigem Lichteinfall unter Umständen nicht so gut lesbar. Das ist aber nur eine Vermutung und man könnte das wie gesagt alles für eine Nebensächlichkeit halten. Das Problem liegt aber darin, daß in den Technischen Sammlungen der Stadt Dresden die berüchtigte Kamera mit der Nummer 1527 vorhanden ist, die als Repräsentantin der Frühphase der Contax S stehen soll.
Die berüchtigte Contax S mit der Seriennummer 1527 und der schwarz lackierten Fläche des Prismengehäuses. Sie wurde viele Jahre lang in den Technischen Sammlungen gezeigt; seit geraumer Zeit ist sie nun dort aber aus den Vitrinen verschwunden.
In verschiedenen Veröffentlichungen war bereits vor vielen Jahren darauf hingewiesen worden, daß damit weder ihre vierstellige Seriennummer in Einklang zu bringen ist, noch die Tatsache, daß man deutlich erkennt, wie hier nachträglich die vordere Fläche des Prismendoms mit schwarzer Farbe übermalt worden ist. Man kann also nicht umhin, diese Kamera als historische Fälschung zu bezeichnen und der Skandal liegt darin, daß ihr Ursprung eindeutig in der Gerätesammlung des VEB Pentacon bzw. im späteren Museum zu suchen ist.
Diese gefälschte Kamera wurde gebraucht, damit Richard Hummel eine von ihm frei erfundene erste Serie von 2400 Stück der Contax S bildlich belegen konnte, die zwischen September und Dezember 1949 produziert worden sei. Wie man anhand des obigen Ausschnittes aus seinem Werk "Spiegelreflexkameras aus Dresden" sehen kann, wäre seiner Ansicht nach die schwarze Schrägfläche am Prisma erst bei der nächsten Serie ab März 1950 weggefallen. Das ist natürlich alles kompletter Unsinn, wie bereits in den vorausgegangenen Abschnitten anhand zeitgenössischer Aufnahmen dieser Kameras ersichtlich war. Das Problem liegt aber darin, daß diese frei erfundenen Fakten Hummels überschattet haben, daß die angegebene Modellfolge in Form von Ausführung A bis C sehr wohl authentisch ist. Hinter ihr verbergen sich drei zeitlich voneinander abgrenzbare Schritte der Überarbeitung der Ursprungsausführung, mit denen der Versuch unternommen wurde, die mißglückte Konstruktion doch noch zu retten. Für die Überführung dieser Änderungen in die Produktion wurden die laufenden Montagearbeiten offenbar immer wieder unterbrochen. Am Ende konnte das ganze Dilemma um die Contax S erst gelöst werden, nachdem mit dem Modell D eine tiefgreifend überarbeitete Kamera geschaffen worden war.
Das Unheil, das Richard Hummel mit seinem Buch insbesondere in Hinblick auf die Contax angerichtet hatte, sorgte dafür, daß nach seinem Tode die Debatte um diese Kamera teils in vergiftete Formen abglitt. Verschiedene Autoren verließen sich in den 90er und früher 2000er Jahren in ihren Buchveröffentlichung naiverweise auf Hummels Angaben und übernahmen sie. Insbesondere Alexander Schulz wurde anschließend aus Kreisen der Kamerasammler stark angegriffen. Warum sich Hummel und offenbar auch Mitarbeiter des Museums überhaupt zu derartigen Fälschungen hinreißen ließen, ist aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar. Ohne hier psychologisieren zu wollen, fällt bei Richard Hummel allgemein ein Hang zum Minderwertigkeitskomplex ins Auge. Bei der Spiegel-Contax mußte unbedingt ein Vorrang gegenüber der italienischen "Rectaflex" und einer ungarischen "Gamma Duflex" konstruiert werden. Bei der Kiné Exakta wollte er unbedingt ein früheres Erscheinen gegenüber der sowjetischen "Sport" beweisen. In Wahrheit hat er dem Dresdner Kamerabau damit jedoch einen Bärendienst erwiesen. Für uns ist das heute eine Mahnung, sich bewußt zu machen, daß in der Geschichtsschreibung zum Dresdner Kamerabau über lange Zeit manipuliert, zurechtgebogen, gefälscht und gelogen wurde und es deshalb gilt, bei zukünftigen Veröffentlichungen genau nachzuforschen und dabei das nötige Maß an kritischem Blick anzulegen.
6. Modellübersicht
Contax S Nr. 13045, Fabrikationsnummer 57443 mit Blitzanschluss in der Stativmutter und
feststellbarem Auslöser-Knopf
Contax S D Nr. 16442, Fabrikationsnummer 60793 mit Blitzanschluss auf der Deckkappe, der Auslöser ist nicht mehr feststellbar.
Contax D Nr. 80732, Fabrikationsnummer 261135
Mit der Vorstellung der Contax D zur Leipziger Herbstmesse im September 1952, bekam diese eine Reihe
an Zubehör an die Seite gestellt, was ihre Einsatzgebiete erheblich erweiterte.
Contax D Nr. 82464, Fabrikationsnummer 261293
Pentacon "ZI"
Sach-Nr. Gruppe 133
Diese Variante der Pentacon, wie sie eigentlich richtig heißt, wird nur zur Unterscheidung von weiteren Varianten mit dem Zusatz "ZI" versehen. In den Bedienungsanleitungen wird sie als "Pentacon" bezeichnet. Eine Bedienungsanleitung in englischer Sprache beweist die Existenz dieser Variante schon im Jahr 1952. Niedrige Seriennummern lassen sogar den Schluß zu, das die ersten "Pentacon ZI" zeitgleich mit der Contax S D gebaut wurden.
Pentacon "ZI" Nr. 66545, Fabrikationsnummer 245449, Bestell-Nr. 133/62
Die vollständige Dokumentation zu dieser Pentacon umfasst die Bedienungsanleitung, den Garantieschein, die Kontroll-Karte in englisch (Test-card) eine Bedienungsanleitung zur Blendenvorwahl des Objektives und die Rechnung. Die Originalverpackung, das Objektiv und die Bereitschaftstasche sind auch vorhanden.
Der Garantieschein trägt nur die Fabrikationsnummer, diese ist zudem handschriftlich geändert worden, die genauen Gründe dafür sind noch unbekannt, es ist aber kein Einzelfall. Die Kontroll-Karte trägt vorn den Namen der Kamera, die Bestellnummer und die Fabrikationsnummer. Rückseitig sind die Seriennummer (ganz oben) die Unterschriften der Kontrolleure und die Objektivnummer (handschrifftlich) vermerkt.
Pentacon ZI Nr.: 83665, Fabrikationsnummer: 262970
Pentacon Nr.: 93049, Fabrikationsnummer: 5009477
Contax E Nr. 94727, Fabrikationsnummer 5018651
Die Erste in meiner Sammlung war die Contax E Nr. 101017, Fabrikationsnummer 5031497
Sach-Nr. Gruppe: 133
Pentacon F Nr. 105291, Fabrikationsnummer 5083208, Bestell-Nr. 133/854
Zu dieser Kamera liegen der Garantieschein, die Prüfkarte und die Rechnung vor. Die Bestell-Nr. 133/854 belegt, das die Kamera am 16. Oktober 1957 verkauft wurde und das dazugehörige Objektiv ab Werk geliefert wurde. Der zweite Ziffernblock bezieht sich auf das Objektiv, ein C.Z.Jena B 1:2 f = 58 (Biotar)
Contax F Nr. 106722, Fabrikationsnummer 5084296
Sach-Nr. Gruppe: 131
Pentacon FM Nr. 134794, Fabrikationsnummer 432438
Sach-Nr. Gruppe: 133
Pentacon F Nr. 140157, Fabrikationsnummer 471351
Sach-Nr. Gruppe: 130
Contax F Nr. 152115, Fabrikationsnummer 491122
Sach-Nr. Gruppe: 131
Pentacon FM Nr. 161744
Diese Kamera wurde laut Garantieschein im Oktober 1959 im Werk geprüft und am 05. Juni 1961 verkauft.
Pentacon FM Nr. 190106
Yves Strobelt, Marco Kröger 2017
letzte Änderung: 16. Juni 2025
Yves Strobelt, Zwickau
zeissikonveb@web.de
Wir bitten, von Reparaturanfragen abzusehen!