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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Pentaplast
Diese aufwendige Stereo-Spiegelreflexkamera war eine Produkt-Fehlentwicklung zu viel für den VEB Zeiss Ikon
1. Eine Weltfirma in Auflösung
Dreißig Jahre nach ihrer Gründung ist in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre eine Weltfirma verschwunden. Schleichend und – wie man so sagt – sang- und klanglos. Zunächst waren ab Herbst 1956 eilig die in der Bundesrepublik erteilten und anhängigen Patente des VEB Zeiss Ikon auf Alibi-Firmen umgeschrieben worden. Gleichzeitig scheint die Entwicklungsabteilung für Stehbildkameras aufgelöst und an den VEB Kamera-Werke Niedersedlitz angegliedert worden zu sein. Im Frühsommer 1957 dann, nachdem man noch im März die neue Contax FM bzw. FBM unter dem Markenzeichen "Zeiss Ikon" auf der Messe vorgestellt hatte, wurde in der Fachliteratur fast als Nebenbemerkung verkündet, der Kamerabau des VEB Zeiss Ikon werde nun durch den VEB Kamera-Werke fortgesetzt. Ein knappes Jahr später im März 1958 wurde auch für die verbliebene Produktion der Laufbildgeräte das Label "Zeiss Ikon" unvermittelt aufgegeben. Dieser Firmenname verschwand anschließend restlos aus dem öffentlichen Bewußtsein, wie als hätte es ihn nie gegeben. Ab dem 1. Januar 1959 firmierte dann die fusionierte Dresdner Kameraindustrie unter "VEB Kamera- und Kinowerke".
Oben: Im März-Heft der Zeitschrift "Bild & Ton" war in der Berichterstattung zur Leipziger Frühjahrsmesse 1957 die Contax noch ein Produkt des VEB Zeiss Ikon.
In der Messe-Berichterstattung der Zeitschrift "Fotografie" jedoch fand sich dann drei Monate später die einfach nur als lapidar zu bezeichnende Öffentlichmachung der Tatsache, daß "neuerdings ein sehr wesentlicher Teil der Dresdner Kameraproduktion" an den VEB Kamera-Werke Niedersedlitz übergegangen sei und daß unter dem Betriebsnamen VEB Zeiss Ikon nur noch die Produktion von Kinogeräten weiterliefe [aus: Fotografie, Heft 6/1957, S. 179 und 182.].
Wie konnte das nur geschehen? Über viele Jahrzehnte hinweg wurde in der Literatur für das Verschwinden des VEB Zeiss Ikon Dresden nur eine einzige Begründung angegeben: Die Markenrechtsstreitigkeiten mit der Zeiss Stiftung in der Bundesrepublik. Das war naheliegend. Auch zu DDR-Zeiten sprach man davon – wenn lange Zeit auch nur unter vorgehaltener Hand. Über die Niederlage der DDR-Industrie vor bundesrepublikanischen Gerichten wurde offiziell der Mantel des Schweigens gedeckt. Das hing wohl auch damit zusammen, daß die Auseinandersetzungen um die viel wesentlicheren Zeiss-Markenrechte noch völlig in der Schwebe lagen und sich immer mehr zuspitzen. Zeiss Ikon war demgegenüber beinah nur ein Kollateralschaden.
Es gab aber noch einen zweiten Grund dafür, weshalb dieser Betrieb seit Mitte der 1950er Jahre trotz seiner großen Beschäftigtenzahl mit einem außergewöhnlichen Anteil an hochspezialisierten Facharbeitern sowie seines ausgedehnten Gebäudekomplexes mehr und mehr in die Bedeutungslosigkeit abglitt. Und dieser hatte nicht mit von außen einwirkenden Unbilden zu tun, sondern mit schwerwiegenden internen Versäumnissen. Im Artikel zur Spiegel-Contax wurde geschildert, wie lang sich der Werdegang dieser Kleinbild-Spiegelreflexkamera hinzog. Bedenkt man, daß der Beginn der Entwicklungsarbeiten schon im Sommer 1945 (!) zu verorten ist, dann dauerte es mehr als vier Jahre, bis im Herbst 1949 die erste bescheidene Serienfertigung anlaufen konnte. Doch anders als erhofft, entpuppte sich diese bereits nach kurzer Zeit nicht als Befreiungsschlag, sondern als eine Katastrophe. Die voreilig in den Export geschickten Kameras versagten bereits nach kurzer Zeit massenweise ihren Dienst und der viel zu hoch angesetzte Verkaufspreis war nicht zu halten. Die Kamera wurde wieder aus der Produktion genommen und ihr Verschluß eilig umkonstruiert. Alsdann wurden im Herstellerwerk auf Lager liegende sowie schadhaft zurückkommende Kameras in großem Umfange auf den neuen Verschluß umgebaut. Erst mit der auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1952 vorgestellten Contax D konnten die Probleme überwunden und endlich eine serientüchtige Kamera ausgeliefert werden. Von Spitzenposition und Alleinstellungsmerkmal konnte zu dieser Zeit freilich schon längst nicht mehr die Rede sein. Und der VEB Zeiss Ikon war obendrein in eine bedrohliche ökonomische Schieflage geraten [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 58.].
Der Ernemannturm am 1. Mai 1954. Die Aussicht, daß sich die Deutschen noch einmal an einen Tisch setzten würden, war damals auf einem Nullpunkt angekommen. Zerwürfnis, Spaltung und ideologische Diffamierung beherrschten diese Jahre. Auch die beiden Zeiss-Ikon-Firmen bekriegten sich gegenseitig mit Klagen und einstweiligen Verfügungen. [Höhne/Pohl, Deutsche Fotothek, Datensatz 90012574]
2. Ausloten der Marktnische der Stereo-Reflexkamera
Doch nun hatte die Entwicklungsabteilung des VEB Zeiss Ikon endlich wieder "den Kopf frei". Anhand der Quellenüberlieferung des Herstellers ist deutlich erkennbar, wie sich die Konstrukteure in der Folgezeit neuen Ideen widmen konnten, um dem Betrieb wieder Geltung zu verschaffen. Im wesentlichen lassen sich drei Entwicklungslinien ausmachen, die allesamt gemein haben, daß sie nie zum Abschluß gelangten – zumindest nicht unter der Ägide des VEB Zeiss Ikon. Zum einen war dies ein Projekt für eine Kleinbild-Spiegelreflexkamera mit Zentralverschluß nach dem Vorbild der westdeutschen Contaflex. Diese Kamera wurde erst nach einer völligen Änderung des Konzeptes vom Nachfolgebetrieb als die ziemlich glücklose Pentina herausgebracht. Zweitens hatten die Konstrukteure ambitionierte würfelförmige Spiegelreflexkameras mit Wechselkassetten als Pentosix für das Format 4,5x6 cm und als Pentax für das Format 24x36 mm entwickelt, die trotz Serienreife nicht in Produktion gingen, da der DDR-Außenhandel keine Absatzchancen feststellen konnte. Diese Kameras waren weit davon entfernt, was sich selbst anspruchsvolle Photoamateure in den 50er Jahren hätten leisten können und wollen.
Als dritten Entwicklungspfad hatte man die Idee einer Spiegelreflexkamera für Raumbildaufnahmen im Sinn. Und aus der Quellenüberlieferung läßt sich herauslesen, daß der eigentliche Ausgangspunkt für das letztlich wieder völlig überambitionierte Endprodukt Pentaplast im Grunde genommen ziemlich sinnvoll gewesen ist. Denn ein frühes Konzept des damaligen Chefs der Zeiss-Ikon-Entwicklunsabteilung Wilhelm Winzenburg zu einer Stereo-Spiegelreflexkamera ging von seiner Spiegelcontax mit ihrem bildumkehrenden Prismensucher aus. Dieses bildete beste Voraussetzungen für eine Stereokamera, denn zwei aufrechtstehende und seitenrichtige Mattscheibenabbildungen im Augenabstand hätten bereits VOR DER AUFNAHME zu einem plastischen wirkenden Sucherbild geführt, was in der technisch und künstlerisch stets ziemlich anspruchsvollen Stereophotographie einen unschätzbaren Wert dargestellt hätte. Der Lichtschachtsucher mit seinem seitenverkehrten Sucherbild hatte solche Bestrebungen bislang vereitelt, weshalb hochwertige Stereo-Reflexkameras von Voigtländer oder Franke & Heidecke stets mit getrennten Aufnahme- und Sucherobjektiven gearbeitet hatten (sozusagen dreiäugige Reflexkameras). Diese frühen Ideen der Zeiss-Ikon-Konstruktionsabteilung bezüglich einer Stereo-Spiegelreflexkamera sind uns durch ein DDR-Patent mit der Nummer 1315 vom 29. Mai 1951 (Wilhelm Winzenburg, Robert Geißler und Egon Kaiser) überliefert. Genauer gesagt besteht es aus drei gesonderten Vorschlägen, und der erste dieser drei Vorschläge zeigt uns das Konzept einer quasi verdoppelten Spiegelcontax.
Leider war eine Stereokamera nach dieser eigentlich ziemlich logisch erscheinenden Bauweise damals noch nicht praktisch umsetzbar. Der Hintergrund liegt darin, daß bei jeder Stereokamera dieser Art die Größe des Teilbilds, der Filmtransport und die Stereobasis miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Für eine verdoppelte Spiegelcontax lief das darauf hinaus, daß jene nur dann einen Sinn ergeben hätte, wenn die Sucherokulare im durchschnittlichen Augenabstand von etwa 65 mm angeordnet gewesen wären, damit sich beide Mattscheibenbilder gleichzeitig hätten betrachten und zu einem stereoskopischen Sucherbild verschmelzen lassen. Um diese Forderung zu gewährleisten, hätte dann aber auch der Bildfensterabstand dieser Kamera im Bereich des durchschnittlichen Augenabstandes liegen müssen. Mit Ausnahme des durch die französische Firma Richard verwendeten, ungleichmäßig verschränkten Schaltschrittes sowie einer in Vergessenheit geratenen Abwandlung des gleichmäßig verschränkten Colardeau-Schaltschrittes der schweizer Firma Kern, gab es zu jener Zeit noch kein Verfahren, wie man aus dem gegebenen Perforationslochabstand des 35-mm-Filmes eine Objektivbasis von etwa 65 mm verwirklichen konnte. Erst nachdem die Spiegelcontax bereits einige Jahre auf dem Markt war, wurde im VEB Belca-Werk an einer eigenen Variante des verschränkten Richard-Schaltschrittes gearbeitet, der die oben genannten Probleme in optimaler Weise löste. Mit einem Bildfensterabstand von 64 mm und einer Objektivbasis von 63,2 mm wäre er eine ideale Grundlage für eine solche Stereo-Spiegelreflexkamera gewesen. Dieser Betrieb brachte aber leider nur eine schlicht gehaltene Sucherkamera namens Belplasca mit diesem Belca-Schaltschritt heraus.
Doch 1951 stand für dieses Problem wie gesagt noch keine befriedigende Lösung bereit. Daher gibt das Patent DD1315 noch zwei weitere Möglichkeiten zur Verwirklichung einer Stereo-Spiegelreflex an, die keines speziellen Filmtransportes bedurften, sondern mit zwei auf dem Film direkt nebeneinander liegenden Teilbildern arbeiteten. Im ersten Fall wird die normale Spiegelcontax mit den damals schon zur Verfügung stehenden Zeiss Vorsatzprismen benutzt. Hinzugefügt wird lediglich ein spezieller Zusatzsucher, (siehe Abbildung oben) der die beiden Teilbilder den jeweiligen Augen zuführt. Dieser Sucher hätte mit einer zweiten Mattscheibe gearbeitet und dürfte angesichts des ohnehin schon finsteren Sucherbildes der Contax in der Praxis weitgehend unbrauchbar gewesen sein. Die auswechselbaren Stereosucher der Exakta und Praktina waren da der bessere Weg.
3. Die Wahl fällt auf ein Prismenverfahren mit getrennten Teilbildern
Viel interessanter ist die dritte Variante, die das Patent vorschlägt (oben). Hier wurde mit zwei nebeneinanderliegenden Objektiven gearbeitet, deren Basis gegebenenfalls mittels Vorsatzprismen vergrößert werden konnte. Auch hier lagen die Teilbilder nebeneinander auf dem Film und für die Sucherbildbetrachtung wurden sie durch ein Porroprismensystem auf Betrachtungsabstand gebracht. Auch diese dritte Möglichkeit war gegenüber der ersten, mit zwei getrennten, im Augenabstand angeordneten Aufnahmeobjektiven die schlechtere Lösung. Sie ist aber deshalb wichtig, weil sie, nachdem sich Winzenburg aus der unmittelbaren Konstruktionstätigkeit weitgehend zurückgezogen hatte, wieder aufgegriffen und im späteren Pentaplast-Prototyp verwirklicht wurde.
Dies geschah der Quellenlage zufolge bereits in den Jahren 1954/55. Helmut Fischer, Herbert Ziegler und Egon Kaiser können als Konstrukteure benannt werden. Zuerst wurde an einem Stereo-Prismensucher gearbeitet, der die beiden eng nebeneinander liegenden Teilbilder auf den betrachtungsfähigen Augenabstand brachte. Als Quellenmaterial ist uns das DDR-Patent Nr. 12.976 vom 6. März 1954 und das Schweizerische Patent mit der Nummer 327.752 überliefert, das am 14. Januar 1955 angemeldet worden ist. Der Sucher war abnehmbar gestaltet und ermöglichte den Einblick entweder in Richtung der optischen Achse oder senkrecht dazu. Außerdem konnte er abgenommen und zum Diabetrachter umfunktioniert werden. Die Patentzeichnungen lassen erahnen, daß die Kamera mit zwei nebeneinanderliegenden Teilbildern in einem annähernd quadratischen Format arbeitete.
Blick auf die Rückseite der Pentaplast bei abgenommenem Sucherprisma. Deutlich sind die beiden nebeneinanderliegenden quadratischen Teilbilder zu sehen, die von einem schmalen Trennungsstrich voneinander getrennt sind.
Bei näherem Hinsehen erkennt man gut, daß tatsächlich ein Teil des Sucher-Prismensystems fester Bestandteil der Kamera ist, so wie das oben in den Patentzeichnungen ersichtlich ist. Was man auch sieht: Der Schlitzverschluß hatte geometrisch gestaffelte Verschlußzeiten, die mit einem einzigen Einstellknopf ohne irgendwelche Umstellungen auf Langzeiten wählbar waren. Wirklich gebaut wurde bei Zeiss Ikon hingegen eine Spiegelreflexkamera deren umständlich zu bedienender Verschluß auf dem technischen Stand der späten 1940er Jahre verharrte.
Da die beiden Stereo-Teilbilder unmittelbar nebeneinander lagen, mußten besondere Maßnahmen ergriffen werden, um zu verhindern, daß sich die beiden Strahlengänge der Objektive gegenseitig überschneiden. Die einfachste Lösung, den Spiegelkasten in zwei getrennte Kammern aufzuteilen, kam nicht in Frage, da dann mit zwei getrennten Spiegeln hätte gearbeitet werden müssen, die sich nur schwer zueinander dauerhaft justieren ließen. Im Patent Nr. DD12.799 vom 11. August 1954 hatten Herbert Ziegler, Helmut Fischer und Arno Gottschalk eine Stegblende ersonnen, die die Verwendung eines durchgängigen Spiegels erlaubte und trotzdem beide Strahlengänge lichtdicht voneinander abschirmte. Nebenbei gibt uns dieses Patent 12.799 darüber Auskunft, daß die Pentaplast mit einem vertikal ablaufenden Rolloverschluß ausgestattet war.
4. Herausforderung Prismenvorsatz
Wenn wir oben noch einmal einen Blick auf eine Zeichnung aus dem Patent DD12.976 vom 6. März 1954 werfen, dann erhalten wir auch bereits einen ersten Eindruck vom eigentlichen Kameragehäuse. Es lag zu jener Zeit sicherlich schon als Prototyp vor. Allerdings scheinen die Herren Fischer und Ziegler noch mindestens zwei Jahre am nötigen Vorsatzprismensystem gearbeitet haben. Daraus läßt sich aufgrund der noch folgenden Patentanmeldungen schließen. Das früheste stammt bereits vom 31. August 1954 und wurde in der DDR angemeldet (Nr. DD14.325). Interessant ist, daß ein gleichlautendes Patent erst mehr als zwei Jahre später unter der Nummer 1.037.258 in der Bundesrepublik angemeldet wurde (6. Dezember 1956).
Da die »Pentaplast« mit einem quadratischen Aufnahmeformat 24 x 24 mm arbeitete, bei dem die beiden Teilbilder unmittelbar nebeneinander plaziert waren, so lag auch der Achsenabstand des Objektivpaares bei ebenfalls etwa 24 mm. Das ist natürlich viel zu wenig, um bei Normalaufnahmen zu einem plastischen Raumeindruck zu gelangen. Daher war diese Kamera auf ein Vorsatzsystem angewiesen, das die Objektivbasis künstlich auf den Wert des Augenabstandes vergrößerte. Zu dieser Problematik existieren die besagten Patente DD14.325 bzw. DE1.037.258, die ein solches Vorsatzprismen- bzw. Spiegelsystem beschreiben, mit dem sich als Besonderheit drei feste, einstellbare Objektivbasen realisieren ließen. Eine kleine Basis von den etwa 24 mm ergab sich bei Verwendung der Objektive ohne Prismenvorsatz. Wurde aber der Prismenvorsatz benutzt, dann konnte dieser auf zwei verschiedene Basen eingestellt werden. Patentgemäß wurde dies erreicht durch Abschaltung einer der beiden Basiserweiterungen, sodaß bei einem der beiden Objektive der direkte Lichtweg, beim anderen Objektiv aber der durch das Prismensystem verlängerte Lichtweg wirksam wurde. Durch Verwendung beider Prismen ergab sich dann die längste Basis.
Detailaufnahme des monströsen Vorsatzprismas an einer ohnehin schon monströsen Kamera. Diese Pentaplast vermittelt den Eindruck, als wäre sie Mitte der 50er Jahre das "liebste Spielzeug" der Zeiss-Ikon-Entwicklungsabteilung gewesen. Hätte der VEB Zeiss Ikon zur selben Zeit lieber einen Nachfolger für die Contax S mit all diesen Ausstattungsmerkmalen entwickelt, denn dann hätte der Betrieb vielleicht die weltweite Führungsrolle im Markt behalten können.
Leider liefert das Patent keine Aussagen zur genauen Länge der Basen. Beim Pentaplast-Prototyp scheint man aber bei Verwendung beider Prismensysteme eine Basis von etwa 100 mm zugrunde gelegt zu haben, die für die plastische Wiedergabe weiter entfernter Gegenstände sinnvoll ist. Bei Abschaltung eines der beiden Prismen müßte sich demzufolge in etwa die Normalbasis von 65 mm (Augenabstand) ergeben zu haben. Bei abgenommenem Prismenvorsatz stand die verkürzte Basis von etwa 24 mm zur Verfügung, wie gut geeignet gewesen ist, um stereoskopische Aufnahmen im Nahbereich anfertigen zu können, denn wenn man in diesem Motivgebiet eine Normalbasis von 65 mm verwenden würde, dann bliebe ab einem bestimmten Abbildungsmaßstab so wenig zulässige Raumtiefe übrig, daß sich kaum noch ein Gegenstand mit einer normalen Tiefenausdehnung wiedergeben ließe. Hier ermöglicht der Umweg über verkürzte Basen, wieder zu sinnvollen Raumtiefen zu gelangen, auch wenn sich dadurch bei der Betrachtung stereoskopische Verzerrungen ergeben, die als Gigantismuserscheinungen bekannt sind [Vgl. dazu Pietsch, Werner: Die Praxis der Stereo-Nahaufnahmen, 3. Aufl., Halle, 1957.]. Die Möglichkeit, verschiedene Basen einstellen zu können, muß also ausdrücklich als Vorteil dieses Pentaplast-Bauprinzips genannt werden. Das Patent liefert ferner noch Angaben über die Art der Befestigung des Vorsatzes an der Kamera.
Die Patentzeichnung oben verdeutlicht, wie eine „mittlere“ Basisweite erreicht werden sollte, indem eines der beiden Prismensysteme aus dem Strahlengang ausgerückt (verschoben) wird. Dabei erhält das eine der beiden Objektive sein Licht auf direktem Wege, während der Strahlenverlauf des anderen Objektivs weiterhin abgeknickt wird. In diesen direkten Strahlengang wird dann ein leichtes Graufilter eingeschwenkt, um den Lichtverlust auszugleichen, der auf der Seite mit dem Prisma hervorgerufen wird.
Nun halte ich es für bemerkenswert, daß ein weiteres auf den Prismenvorsatz bezogenes Patent sogar erst am 20. Juni 1957 in den USA angemeldet wurde [Nr. 2.922.350], und zwar mittlerweile unter der Ägide des VEB Kamerawerke Niedersedlitz. Man darf also auch hier von einem „geerbten Projekt“ sprechen. Der Inhalt des US-Patentes ist in Grundzügen deckungsgleich mit den früheren vom August 1954 bzw. vom Dezember 1956. Man kann allerdings aus dem US-Patent erahnen, daß zumindest im ersten Halbjahr 1957 noch an dieser Stereokamera gearbeitet worden sein muß, denn in einigen Details wie der Anwendung von Filtern oder der genauen Befestigung des schweren Vorsatzes an der Kamera sind noch Verbesserungen zu erkennen. Auch die detailreicheren Zeichnungen lassen auf fortgesetzte Konstruktionstätigkeit schließen, an deren Ende vielleicht der fertige Prototyp vorlag. Ich kann mir freilich sehr gut vorstellen, daß nach Erreichen dieses Stadiums die Arbeiten an der Pentaplast endgültig eingestellt wurden. Als der VEB Kamera-Werke Niedersedlitz die Gerätefertigung von Zeiss Ikon im Frühsommer 1957 übernehmen mußte, hatte man bestimmt gerade andere Sorgen als die Verwirklichung von Prestige-Projekten, die man von einer vormaligen Konkurrenzfirma geerbt hatte.
Denn so beeindruckend diese Kamera auch aussah – der monströse Prototyp kann in den Technischen Sammlungen der Stadt Dresden begutachtet werden – so wenig marktträchtig war diese Entwicklung. Das liegt zum einen natürlich daran, daß wohl kaum jemand dieses Ungetüm gekauft hätte, um seine Urlaubsbilder damit zu machen. Das wäre aber ausschlaggebend gewesen, denn eine Stereokamera, die allein für Berufsphotographen ausgelegt ist, hatte kaum eine Daseinsberechtigung. Das ist namentlich darauf zurückzuführen, daß sich Raumbilder aus technischen Gründen weder in Zeitschriften noch in Bildbänden ohne größere Schwierigkeiten vermarkten lassen. Vielmehr war die Stereophotographie stets auf den enthusiastischen Amateur angewiesen, der sich trotz technischer Hürden auf dieses Spezialgebiet einlassen wollte. Und hierbei galt: Je ausgefeilter und teurer die Gerätschaften zur Aufnahme und Wiedergabe der Raumbilder ausfielen, um so kleiner war das Absatzpotential und um so schneller war es auch gesättigt. Das muß auch als Ursache dafür gesehen werden, weshalb die aus dem Bau von hochwertigen Stereokameras hervorgegangene Braunschweiger Firma Franke & Heidecke nach dem Zweiten Weltkrieg die Rückkehr in dieses Marktsegment letztlich unterlassen hat.
Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, weshalb dieses gesamte Pentaplast-Projekt regelrecht zum Scheitern verurteilt war. Ich habe mich viel mit Stereokameras beschäftigt und kann sagen, daß das bei der Pentaplast zugrundegelegte Bauprinzip als falsch angesehen werden muß. Sicherlich ist es für den Kamerakonstrukteur verlockend, die beiden Teilbilder in der Kamera direkt nebeneinander anzuordnen. Das hat einerseits den Vorteil, daß kein spezieller Filmtransport notwendig ist. Außerdem kann bei geschickter Auslegung des gesamten Betrachtungssystems ein Zerschneiden und Neupositionieren der Teilbilder vermieden werden. Das hat aber den massiven Nachteil zur Folge, daß die „unbewaffnete“ Kamera mit einer kleinen Basis arbeitet, die dann mit aufwändigen, teuren und sehr sperrigen Prismenvorsätzen auf das Normalmaß vergrößert werden muß. Selbiges gilt für den Sucher, wenn der prinzipielle Vorteil der Spiegelreflexkamera ausgenutzt werden soll, daß die spätere Raumwirkung der Aufnahme bereits bei Betrachtung des Sucherbildes beurteilt werden kann. Gleich zwei solcher großer Zusatzteile aus Prismen und Linsen machten das Konzept, das der Pentaplast zugrundelag, für Amateuranwendungen gänzlich ungeeignet. Und mit Einzelanfertigungen für ein ausgewähltes Publikum konnte kein Großbetrieb mit fast 3000 Beschäftigten ausgelastet werden. Wie zuvor die Pentax wurde daher auch die Pentaplast eingemottet. Mehrere Jahre an Konstruktionstätigkeit waren damit ohne verwertbares Ergebnis geblieben.
Allem Anschein nach gab es noch einen zweiten Prototyp der Pentaplast, der sogar mit einem Motorantrieb versehen war. Es fragt sich sofort, wer eigentlich Raumbildaufnahmen, die stets sehr sorgfältig komponiert werden müssen, um keine Verschmelzungsstörungen zu riskieren, in rascher Folge hätte aufnehmen wollen. Durch das abgenommene Vorsatzprisma ist gut zu erkennen, daß als Aufnahmeobjektive mit dem Tessar 3,5/37,5 mm derselbe Typ vorgesehen war, der auch in der Belplasca zum Einsatz kam.
Ich denke, ich kann mir die Beurteilung anmaßen, daß die Geschichte einer Stereo-Spiegelreflexkamera beim VEB Zeiss Ikon ganz anders hätte ausfallen können, wenn man den ersten Ansatz gewählt hätte, den Winzenburg im Jahre 1951 aufgezeigt hatte. Eine quasi verdoppelte Spiegelcontax mit dem verschränkten Filmtransport des Belca-Werkes (abwechselnd 7 und 20 Perforationslöcher bei einer Bildgröße von etwa 24x29 mm) hätte sicherlich zu einer noch amateurgerecht kompakten Kamera geführt, die sich angesichts des „Stereo-Booms“ der 50er Jahre vielleicht auch hätte verkaufen lassen. Zumindest wäre eine solche „Reflex-Belplasca“ international ohne Konkurrenz gewesen. Daß eine Verknüpfung von Belplasca und Contax übrigens nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, habe ich kürzlich erst entdeckt: Aufgrund einer Mitteilung Werner Pietschs im Vorwort seines oben angegebenen Buches wissen wir nämlich, daß neben Konrad Koehl auch ein gewisser Heinz Kuhnert Konstruktionsverantwortung für die Belplasca trug. Dessen Bruder (?) Rudolf Kuhnert war einer der maßgeblichen Schöpfer der Spiegelcontax.
Aus der Rückschau heraus wäre zweifellos eine verdoppelte Contax S mit zwei getrennten, im Augenabstand angeordneten Aufnahme- und Sucherstrahlengängen, wie sie im "Konzept-Patent" Wilhelm Winzenburgs von 1951 als Variante 1 vorgestellt wurde, die bessere Lösung gewesen, als das letztlich in der Pentaplast umgesetzte Verfahren mit aufwendigen Prismensystemen. Zumal wenn man diese "Stereo-Contax" mit dem sinnreichen Filmtransport der späteren Belplasca versehen hätte. Ob dieses Produkt dann aber wirklich ein Verkaufsschlager für den VEB Zeiss Ikon geworden wäre, das bleibt jedoch fraglich...
Marco Kröger
letzte Änderung: 22. August 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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