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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Flektogon 2,8/65
Dieses im Jahre 1950 berechnete Weitwinkelobjektiv war wohl die erste Retrofokus-Konstruktion für das Mittelformat. Doch Verzögerungen im DDR-Kamerabau sorgten dafür, daß es erst ab Ende der 50er Jahre in nennenswerten Stückzahlen fabriziert wurde.
Einfach gesprochen handelt es sich bei diesem Objektiv um die Mittelformat-Variante des Flektogons 35 mm. Man brauchte eine Spezialkonstruktion, weil man genau so wie im Kleinbild auch bei den neu aufkommenden Rollfilm-Spiegelreflexkameras vor dem Problem stand, für diese Kameras adäquate Weitwinkelobjektive zur Verfügung zu stellen. Denn große Bildwinkel stehen im Zusammenhang mit kurzen Brennweiten und das bedingt demzufolge auch kurze Schnittweiten. Eine minimale Schnittweite kann wiederum aufgrund des hinter dem Objektiv ablaufenden Spiegels nicht unterschritten werden. Zwar sind beim Format 6x6 alle Brennweiten um den Faktor 1,8 länger, als beim Kleinbild, dafür ist der Spiegel der Rollfim-Spiegelreflexkamera aber auch deutlich größer. Im Endeffekt ist die Aufgabe, für die 6x6-Spiegelreflex ein Weitwinkel zu konstruieren, mit genau denselben optischen Schwierigkeiten beladen, wie beim Kleinbildformat.
So ähnlich hätte das Flektogon 2,8/65 mm an der zeitgenössischen Primarflex II aussehen können. Die Schnittweite wäre gerade lang genug für die in dieser Hinsicht problematische Kamera gewesen. Doch die Produktion der Primarflex, die übrigens am Schluß der Firma Meyer-Optik aufgebürdet wurde, war eingestellt worden, bevor die Musterprüfung des Flektogons abgeschlossen werden konnte.
Kurz nachdem im Sommer 1949 das Flektogon 2,8/35 mm fertiggestellt worden war, muß sich wohl die Entwicklergruppe um Rudolf Solisch mit einem Äquivalent für die 6x6-Reflexkamera beschäftigt haben. Die Konstruktionsarbeiten konnten bereits am 6. Januar 1950 abgeschlossen werden. Interessant dabei ist, daß das 65er Flektogon von Anfang an als Sechslinser ausgelegt war, während das 35er Flektogon in seiner ersten Ausführung damals noch aus sieben Linsen bestand. Hier wurde zunächst das Grundobjektiv, das auf dem Biometar basierte, an der Rücklinse zusätzlich verkittet. Das Flektogon 65 mm hatte aber von Anfang an das "reine" Biometar ohne weitere Verkittung. Diese Ausführung wurde im Kleinbild erst nach einer Neuberechnung von 1952 übernommen. Im Gegensatz zum Flektogon 2,8/35 wurde das Flektogon 2,8/65 bis zur Einstellung der Produktion im Jahre 1969 immer in der ursprünglichen Rechnung von 1950 gefertigt. Zwar ist unter der Nummer 549900 der Versuch 233 vom September 1957 für eine Neurechnung des Flektogons 2,8/65 mm belegt [Vgl. Zeiss Archiv, Signatur BIV 57/71], doch wurde diese Überarbeitung anschließend nicht in die Serienfertigung übernommen.
Wie man oben am Linsenschema gut erkennen kann, gehört das Flektogon 65 mm zu den klassischen Retrofokus-Konstruktionen, die man nach Eberhard Dietzsch als Vertreter des ersten Typs bezeichnen könnte. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß ein Grundobjektiv eingesetzt wird, das seinerseits bereits die gewünsche Endbrennweite aufweist. Weil dieses aber eine viel zu kurze Schnittweite hätte, das heißt der Spiegel würde an der hintersten Linse anschlagen, muß dieser Abstand künstlich verlängert werden. Das ist dadurch möglich, daß dem Grundobjektiv eine Zerstreuungslinse vorgesetzt wird, die den sogenannten hinteren Hauptpunkt des Gesamtobjektivs, von dem ab die Brennweite gemessen wird, nach hinten Richtung Bildebene verlagert. Dazu muß diese Zerstreuungslinse allerdings wiederum in der Nähe der dingseitigen Brennebene des Grundobjektivs placiert werden, andernfalls würde sie nur sinnlos die Brennweite des Grundobjektivs verlängern. Diese Forderung hat zur Folge, daß die Zerstreuungslinse nicht nur in einem ziemlich großen Obstand vor dem Grundobjektiv steht und daher das Objektiv recht lang wird, sondern sie muß, um den großen Bildwinkel nicht abzuschatten, natürlich auch einen großen Durchmesser haben. Solche klassichen Retrofokusobjektive fallen also oftmals nicht sehr kompakt aus.
Ursprünglich war das Flektogon 2,8/65 mm wohl für die Meister-Korelle gedacht. Die Produktion dieser Kamera wurde allerdings eingestellt kurz nachdem die ersten beiden Musterobjektive (Versuch 77 vom Frühjahr 1952) vorlagen. Die Serienfertigung des Flektogons 65 mm lief daher erst im September 1956 an, nachdem die gerade fertiggestellte Praktisix in jenem Herbst erstmals auf der Photokina gezeigt worden war. Das Flektogon war also deren erstes Wechselobjektiv. Dabei geriet das Flektogon viermal lichtstärker als das zeitgenössische Distagon 5,6/60mm zur damaligen Hasselblad 1000F.
Das ganz große Hochleistungsobjektiv ist dieses 65er Flektogon allerdings nie gewesen. Das war übrigens bereits seinerzeit bekannt. [Vgl. Dietzsch, Eberhard: Die Entwicklungsgeschichte der Retrofokusobjektive vom Typ Flektogon; aus: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte, Bd. 4, 2002, S 111.] Das 65er Flektogon ist eine sehr frühe Retrofokuskonstruktion aus der Pionierzeit dieses Objektivtyps. Harry Zöllner und Rudolf Solisch konnten noch auf keinerlei Erfahrungswissen zurückgreifen, als sie an die Schaffung eines solchen Objektives herangingen. Sie stützen sich daher als Grundobjektiv auf den Biometartyp, der kurz vorher in Jena als ein für damalige Begriffe hoch auskorrigiertes Hochleistungsobjektiv entwickelt worden war. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Doppelgauß-Variante, die vom Biotar-Typus abgeleitet wurde. Eberhard Dietzsch urteilte allerdings über diesen Konstruktionsansatz nachträglich:
"Heute, nachdem zahlreiche Retrofokusobjektive vorliegen, wissen wir natürlich, daß die Verwendung eines Gaußtyps als Grundsystem nicht unbedingt die beste Lösung für ein Retrofokusobjektiv darstellt. Das wurde auch in den nachfolgenden Entwicklungen erkannt." [Ebenda]
Insbesondere nachdem 1960 das Flektogon 4/50 herauskam, das auf einem gänzlich anderen Prinzip fußte, gingen die produzierten Stückzahlen des 65er Flektogons merklich zurück (ein paar Hundert je Produktionslos). Nachdem im Frühjahr 1969 noch einmal 1000 Stück montiert worden waren (im Zebra-Design), wurde dieses Objektiv anschließend endgültig aus dem Programm genommen. Nur 8550 Stück waren bis dahin gefertigt worden. Der Endverbraucherpreis (EVP) lag bis zum Frühjahr 1960 bei stolzen 502,- Mark, danach immerhin noch bei 412,- Mark – also 48,- Mark teurer als das Flektogon 4/50. Das beantwortet wohl die Frage, weshalb trotz mehr als 12 Jahren Bauzeit die Gesamtstückzahlen vergleichsweise niedrig liegen. An diesem hohen Preis dürften übrigens die Materialkosten einen nicht geringen Anteil gehabt haben, wenn man bedenkt, daß für die riesige Frontlinse ein großes Stück schweren Kronglases benötigt wurde.
Mir ist es ehrlicherweise bislang noch nicht gelungen, aus dem Flektogon 2,8/65mm wirklich (wie man so sagt) knackscharfe Aufnahmen herauszubekommen. Es handelt sich eben um eine ziemlich betagte Konstruktion, die im Januar 1950 (!) abgeschlossen wurde. Damit zählt dieses Weitwinkel zu den absoluten Pionieren der Retrofokusbauweise. Optimierungsversuche, wie sie so zahlreich beim 35er Flektogon nachweisbar sind, hat man hier offensichtlich unterlassen. Zu groß waren wohl die prinzipiellen Diskrepanzen dieser Bauart. Wie man an den vorderen Treppenstufen erkennen kann, krankt das Flektogon 65mm nämlich auch ein wenig an Distorsion.
Markus Menzer hatte mit seinem 65er Flektogon offensichtlich etwas mehr Glück (oder Geschick?).
Marco Kröger
letzte Änderung: 10. März 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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