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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Die Praktica L-Reihe
Mit dem Aufstieg des Japanischen Kamerabaus während der 1960er Jahre stand die DDR-Photoindustrie unter einem enormen Zugzwang. Dabei fällt bei dieser neuen Praktica-Reihe nicht nur das Bestreben auf, technisch konkurrenzfähig zu bleiben, sondern mit einer Vielzahl an Eigenentwicklungen auch die Lizenznahme ausländischer Patente zu vermeiden.
1. Der Weg aus der Orientierungslosigkeit
Kaum einer der Artikel zu den Kameras der DDR-Photoindustrie, den Sie hier bislang zu lesen bekamen, drehte sich nicht um den VEB Zeiss Ikon oder den Nachfolger VEB Kamera- und Kinowerke sowie die problematische Situation, in denen sich diese Betriebe in den 50er und frühen 60er Jahren befanden. Da haben wir eine Contax S, deren letztlich fast zwölfjährige Produktionszeit nicht darüber hinwegtäuschen darf, welch schwierigen Start diese Kamera hatte und wie sehr sie den VEB Zeiss Ikon gleich zu Beginn der Nachkriegszeit belastete. Eine kurz darauf entwickelte 16-mm-Schmalfilmkamera mit bis dahin in ihrem Bereich ungekannten technischen Merkmalen scheint auf den internationalen Märkten nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt zu haben. Und als dann die Zeiss-Ikon-Konstruktionsabteilung den Ausweg mit noch ambitionierteren würfelförmigen Reflexkameras sowie einer Stereo-Spiegelreflexkamera zu suchen meinte, kamen die Entwicklungen schon nicht mehr über den Prototypstatus hinaus. Dasselbe geschah allerdings auch mit einer offenbar als Volks-Spiegelreflex angelegten Zentralverschlußkamera, deren Entwicklung abgebrochen und erst durch den Nachfolgebetrieb fortgeführt wurde, der damit dann allerdings sogleich einen ökonomischen Fehlschlag einfuhr. Selbst eine ganz einfach gehaltene, modern gestaltete Sucherkamera, mit der der VEB Zeiss Ikon eigentlich sehr adäquat auf die in der DDR bei den Photoamateuren klaffende Angebotslücke reagiert hatte, geriet zum Fanal, da ihre lang erwartete Serienproduktion erst unter dem Label des langjährigen Konkurrenzbetriebes VEB Kamera-Werke Niedersedlitz anlaufen konnte. Ein von Walter Hennig als einfach zu handhabende "Damen-Kamera" entwickeltes Erzeugnis mußte gar unter dem Markenzeichen der zweitklassigen Welta-Werke in Freital herausgebracht werden.
Doch auch das Fallenlassen des problembehafteten Zeiss-Ikon-Warenzeichens und die zunehmende Konzentration und Zusammenarbeit der vielen Einzelbetriebe brachten vorerst noch nicht den Durchbruch. So konnte zwar das kleine Altissa-Werk in Dresden ihre Sucherkameras mit wechselbaren Objektiven mit Hilfe der Kamera-Werke Niedersedlitz durch eine völlige Neukonstruktion ersetzen, doch kurz nach Gründung des neuen Kamera-Großbetriebes wurde die Weiterentwicklung dieser Altix-n bereits wieder auf Eis gelegt und die Herstellung dann gänzlich eingestellt. Dem Vernehmen nach geschah dies auch deshalb, um mit einer auf völlig neuen Prinzipien basierenden Automatik-Kamera wieder Exporteinnahmen auf den westlichen Märkten zurückzugewinnen, anstatt nur den DDR-Inlandsbedarf zu befriedigen. Doch genau unter diesem (aus Sicht der Staatsführung essentiellen) Gesichtspunkt betrachtet, scheiterte diese "Prakti" genau so, wie die noch vom VEB Zeiss Ikon stammende Konstruktion einer aufwendigen 8-mm-Schmalfilm-Spiegelreflexkamera, da beide kaum die gewünschte Beachtung auf den Westmärkten fanden.
Aber auch dieser gegenüber den übrigen Kamerabetrieben stete Bedeutungsgewinn des damaligen VEB Kamera-Werke Niedersedlitz darf nicht zu falschen Schlüssen führen. Denn so gut sich auch die Praktica-Kleinbildspiegelreflexkameras verkaufen ließen – die strukturelle Krise der gesamten Kameraindustrie ging auch an diesem erfolgsverwöhnten Vorzeigebetrieb nicht vorbei. Mit 1300 Beschäftigten war der VEB Kamera-Werke zwar Ende der 50er Jahre von einer Manufaktur zum großen Industriebetrieb emporgestiegen und das Hauptprodukt – die Praktica – hatte die gesamte Zeit über seine Position als meistgebaute Spiegelreflexkamera der DDR behalten [Daten nach Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 76]. Doch im Jahre 1960 war nicht nur die Produktion der Spitzenkamera Praktina überraschend eingestellt worden, sondern auch die Fertigung der begehrten Praktisix war mit 104 Stück quasi zum erliegen gekommen. Der junge VEB Kamera- und Kinowerke befand sich in einer schweren strukturellen Krise; wohl hauptsächlich hervorgerufen durch die Unsicherheit, welche Richtung einzuschlagen sei.
Es dauerte nun einige Zeit, bis man in Dresden erkannt hatte, daß es nicht viel Sinn ergab, noch länger der Kameraentwicklung in der Bundesrepublik hinterherzulaufen. Der Bau von Zentralverschluß-Spiegelreflexkameras wurde nach kurzer Zeit eingestellt und auch im Metier hochwertiger Sucherkameras fanden keine Entwicklungsarbeiten mehr statt. Dafür konzentrierte man sich in Dresden nun endlich auf diejenigen Geräte, die man tatsächlich gut verkauft bekam – und zwar seit vielen Jahren schon, wie die Grafik oben zeigt: Einäugige Spiegelreflexkameras. Erst gegen Mitte der 1960er Jahre hatte man es im jetzt VEB Pentacon genannten Großbetrieb geschafft, sich von all den verzettelten Entwicklungsarbeiten des ehemaligen VEB Zeiss Ikon zu lösen und sich ganz und gar auf die Produktion der beliebten Praktica-Kameras zu fixieren.
Vorzeigeobjekt Fließbandmontage Praktica Nova. Gern werden hier ausländische Delegationen herumgeführt, wie in diesem Fall ein sowjetischer Minister im Jahre 1966 [Bild: Höhne/Pohl, Deutsche Fotothek, Datensatz 70604152].
Unten: Wie üblich in einem totalitären System so wurde auch die Fließbandmontage der Spiegelreflexkameras propagandistisch verwertet [Datensatz 70606754].
Diese auf Alois Hoheisels Praktiflex zurückgehende Kleinbild Reflexkamera war unmittelbar nach dem Kriege durch Siegfried Böhm zunächst von einer manufakturellen zu einer industriellen Herstellungsweise ertüchtigt worden. Parallel wurde im VEB Kamera-Werke Niedersedlitz an einer fortwährenden Aufwertung dieser Kamera gearbeitet, sodaß sich durch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis die erreichbaren Stückzahlen auch hervorragend absetzen ließen. Dabei wurde der Grundaufbau mit dem einfachen Vierwellen-Rolloverschluß der Vorkriegs-Praktiflex stets beibehalten, aber die Verschlußzeitensteuerung sowie das Spiegel- und das Suchersystem wurden sukzessive erweitert und modernisiert. Einen ersten Abschluß erreichte man in der Zeit um 1963/64 mit dem Modell Praktica Nova (Abb. oben), die durch ein deutlich gefälligeres Aussehen auffiel. Mit dieser neuen Praktica-Generation entschied man sich nun in Dresden, auf eine Großserienproduktion auf Basis einer Fließbandmontage umzustellen. Die Anlagen dazu wurden im ehemaligen Ica-Werk in der Schandauer Straße 76 eingerichtet. [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 127]). Statt etwa 2500 Kameras pro Monat in Niedersedlitz, konnten hier nun mehr als 5000 Stück gefertigt werden und nach Aufbau eines zweiten Fließbandes waren es fast 8000.
Doch dieser wirtschaftliche Erfolg konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit das Potential dieser aus den späten 30er Jahren stammenden Grundkonstruktion bereits vollkommen ausgeschöpft worden war. Die Bauteile des Gummituchverschlusses mußten beispielsweise einzeln nacheinander in den Druckgußkörper der Kamera eingebaut werden [Höhne/Pohl, Deutsche Fotothek, Datensatz 70604545, 1959/60]. Für eine noch rationellere Produktion wäre es unumgänglich, bereits vormontierte Baugruppen nur noch einbauen und abgleichen zu müssen.
2. Mutiger Schritt in die völlige Neukonstruktion
Dafür bedurfte es aber einer komplett neukonzipierten Kamera, die strikt nach der sogenannten Modulbauweise konstruiert sein müßte. Das heißt die Kamera gliedert sich nur noch in wenige Hauptbaugruppen, die ihrerseits teils automatisiert vorgefertigt werden könnten und anschließend nur noch zusammengefügt werden müßten. Es waren diese Erkenntnisse aus den ersten Erfahrungen mit der Fließbandfertigung, die dazu führten, daß sich der VEB Pentacon Dresden in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre dazu entschloß, eine vollkommen neue Kamerageneration zu entwickeln und damit Hoheisels Ansatz nach ziemlich genau drei Jahrzehnten ad acta zu legen.
Zu den wichtigsten Schritten auf dem Weg in diese konsequente Modulbauweise gehörte die Separierung des gesamten Suchersystems samt Spiegelmechanik in einer eigenen Baugruppe, die in Dresden schlicht als Träger bezeichnet wurde. Neben dem Spiegel und seiner Rückschwing-Einrichtung wurde hier auch der Prismensucher mitsamt Lichtkonzentrator und Fotowiderstand untergebracht, wenn das entsprechende Kameramodell mit einer Innenlichtmessung ausgestattet sei sollte. Auch die Abgleichanzeige des Belichtungsmessers im Sucher entweder per Drehspulmeßwerk oder durch Leuchtfelder war Teil dieses Trägers. Die vielen unterschiedlichen Ausstattungsvarianten, durch die die Praktica L-Reihe gekennzeichnet war, manifestierten sich dabei zum überwiegenden Teil in einer unterschiedlichen Bestückung dieses Trägers. Waren beim Grundmodell Praktica L der Raum für den Lichtkonzentrator und das Meßinstrument einfach freigelassen, so wurden beispielsweise bei der Praktica LTL2 durch Glühlampen illuminierte Leuchtfelder neben dem Sucherbild installiert.
Diese in unterschiedlichen Ausstattungen bestückten und vorjustierten Träger wurden dann in das eigentliche Chassis der Kamera montiert, wo die Bildführung, das Spann- und Transportgetriebe, das Sucherokular und natürlich der Schlitzverschluß untergebracht waren. Dieser Kameragrundkörper war gewissermaßen bei allen Kameramodellen der Praktica L-Reihe gleich aufgebaut. Nennenswerte Unterschiede gab es nur zwischen den verschiedenen Generationen der fast genau 20 Jahre lang gefertigten L-Reihe. So wurde beispielsweise mit der dritten Generation in den späten 70er Jahren ein verbessertes Okular mit vergrößertem Einblick und einer Linse aus Glas statt aus Plastwerkstoff eingeführt. Auch die Befestigung des Blitzschuhs wurde abgeändert, um das zum Blindwerden neigende Prisma austauschen zu können, ohne den ganzen Träger demontieren zu müssen. Von diesen Detailveränderungen abgesehen zeugt das von einer außerordentlich geglückten Konstruktion. Die Praktica L-Kameras blieben ja nicht zuletzt auch deshalb noch so lange im Programm, weil sie sich so kostengünstig herstellen ließen und daher noch bis in die späten 80er Jahre bei westdeutschen Versandhändlern guten Absatz fanden, wo ein außerordentliche harter Preiskampf stattfand.
Die zentrale Baugruppe für diese Modulbauweise war natürlich der Stahllamellenverschluß, der Ende der 60er Jahre die große Innovationsleistung für diese völlig neue Praktica-Generation darstellte. Das namensgebende L bezieht sich dabei auf die charakteristischen Lamellenpakete, die eine völlige Abkehr vom bisherigen Gummituch-Rolloverschluß einleiteten. Diese Abkehr war in Etappen erfolgt, da für die etwas ältere Spitzenkamera Pentacon Super noch eine Verschlußkonstruktion entwickelt worden war, die sich gewissermaßen als eine Gemischtbausweise aus Rollo- und Lamellenverschluß ansehen läßt (siehe weiter unten). Durch konsequente Weiterentwicklung war für die neue Mittelklassen-Kamera Praktica L eine reine Metallbauweise ohne die anfälligen Gummitücher erzielt worden.
Zur neuen Modulbauweise trug natürlich im erheblichen Ausmaß bei, daß auch dieses Herzstück der Kamera nun vollständig als vormontierte Einheit eingebaut werden konnte, und nicht mehr aus Einzelteilen heraus wie ein Puzzle innerhalb der Kamera zusammengesetzt werden mußte. Zwar wurden zu jener Zeit in der japanischen Photoindustrie auch Rolloverschlüsse in Form von separaten Baugruppen entwickelt, doch besticht ja gerade der Lamellenverschluß der Praktica durch seine flache Gestalt, seine wenigen Einzelteile und vor allem durch die Abwesenheit irgendwelcher Zahnradgetriebeteile. Solange sich die Kamerahersteller noch nicht durch ausgesprochene Kompaktbauweise ihrer Reflexkameras zu übertreffen versuchten, stellte diese in Dresden gefundene Bauweise ein sehr gutes Optimum zwischen Aufwand und Leistungsfähigkeit dar.
Interessant ist, wie man diese neue Bauweise aus Kameragrundkörper und getrenntem Träger in den 60er Jahren bei Pentacon entwickelt hat. Dieses filigrane Holzmodell, das sich aus jener Zeit erhalten hat, zeugt von einer Arbeitsweise lange vor jeder computergestützten Konstruktion und automatischer Fertigungsanlagen. Während man derartige sogenannte Urformen heute mit einem 3D-Drucker per Mausklick fertigen kann, war damals großes handwerkliches Geschick beim Anfertigen eines derartigen Musters nötig. Es handelt sich um ein spezielles Holz, sehr leicht und gleichzeitig sehr fest.
Im Vergleich mit einem L-Grundkörper sieht man die etwas kompaktere Form des Musters. Der Ausschnitt für die große PX21-Batterie der Praktica LLC ist aber bereits vorhanden; ebenso der Batterieraum im Boden des Trägers.
3. Die Evolution des Praktica-Lamellenverschlusses
Auf gewissen Internetseiten muß man lesen, daß Pentacon bei der Praktica L-Reihe und der Exakta RTL1000 einen Schlitzverschluß von Copal verbaut habe. Das ist natürlich Unsinn und soll hier einmal richtiggestellt werden.
Abstract: Unlike you can read on the internet the Praktica L series and the Exakta RTL1000 were NOT equipped with a focal plane shutter made by Copal. As a matter of fact this shutter was developed by Pentacon itself during the 1960s and patented correspondingly.
Die Praktica LLC war das Spitzenmodell der 1969 vorgestellten neuen Baureihe. Zu diesem Zeitpunkt war sie international vollkommen konkurrenzfähig - nicht zuletzt auch aufgrund des modernen Verschlusses.
Die Entwicklung des Stahllamellenschlitzverschlusses, wie er seit 1969 in der Praktica L-Reihe eingesetzt wurde, hat eine viel weiter zurückreichende Geschichte, als bislang allgemein bekannt ist. Wenn man bedenkt, daß mit der Konica F im Jahre 1960 das erste Mal eine Kamera mit einem solchen Verschluß vorgestellt wurde und diese zudem fast nur auf dem Japanischen Markt einen gewissen Erfolg verbuchen konnte, so muß man von einer raschen Reaktion der Dresdner Konstrukteure auf diesen neuen Entwicklungspfad sprechen, wenn sie bereits ein Jahr später selbst erste Patentanmeldungen auf diesem Gebiet vorzuweisen hatten. Es liegt nämlich eine DDR-Schutzschrift Nr. 27.434 vom 4. Mai 1961 vor, bei der das Grundprinzip des späteren Scherenhebelverschlusses schon erkennbar ist. Horst Strehle, Günter Heerklotz und Hans Zimmet arbeiteten damals an dieser Konstruktion.
In dieser ersten Ausführungsform bestand der Scherenhebelverschluß aus nur zwei Lamellen je Vorhang. Das wäre natürlich auf eine ziemlich voluminöse Bauart hinausgelaufen, die sich kaum in einer üblichen Kameraform hätte unterbringen lassen.
Die hauptsächliche Problematik eines solchen Lamellenverschlusses dreht sich nämlich darum, wie die fächerartig übereinandergelegten Lamellen beweglich gelagert werden, damit sie sowohl im eingefahrenen wie im entfalteten Zustand parallel zueinander liegen. Der Japanische Verschlußhersteller Copal arbeite bei seinem Copal Hi Synchro mit einer sogenannten Parallelkurbelführung. Hier waren die Metalllamellen durch aufwendige Vernietungen an zwei parallelen Hebelarmen befestigt. Es hat sich herausgestellt, daß dieser Aufbau aus verschiedenen Gründen der zweckmäßigste ist. Vor allem als ab Mitte der 1970er Jahre immer kompaktere Spiegelreflexkameras angestrebt wurden, zeigten sich die platzsparenden Lösungsmöglichkeiten, die dieser Konstruktion innelagen. Kompakter Aufbau bedeutet aber auch gleichsam geringes Gewicht und damit auch geringe Trägheitsmomente. Das war Grundvoraussetzung für immer schnellere Ablaufgeschwindigkeiten der Vorhänge und damit kürzere Verschlußzeiten und kurze Offenzeiten. Und nicht zuletzt was die elektromagnetische Ansteuerung der Lamellenpakete betrifft, bot der Parallelkurbelverschluß günstigere Möglichkeiten. Heute sind daher quasi alle Lamellenverschlüsse nach diesem Prinzip aufgebaut.
Für den VEB Kamera- und Kinowerke Dresden kam seinerzeit diese Lösung aber durch patent- bzw. lizenzrechtliche Hindernisse nicht infrage. Ihre eigene Entwicklung arbeitete nicht mit parallelen, sondern überkreuzliegenden Traghebeln, vergleichbar mit einer Schere. Es hat sich zwar gezeigt, daß auch nach diesem Prinzip leistungsfähige Lamellenverschlüsse in sehr hohen Stückzahlen mit langer Lebensdauer fabriziert werden konnten. Nur der Miniaturisierung dieser Bauweise waren von Anfang an Grenzen gesetzt.
Auf der anderen Seite waren die Kamera- und Kinowerke bzw. Pentacon mit dieser Entwicklungsarbeit ganz weit vorn im internationalen Vergleich. An die Konstruktion und industriemäßige Herstellung von Metalllamellenschlitzverschlüssen wagten sich nur wenige Konkurrenzfirmen. Selbst die führenden Japanischen Kamerahersteller verzichteten praktisch vollständig auf Eigenkonstruktionen, sondern kauften die ausgereiften Lamellenverschlüsse der Anbieter Copal oder Seikosha und paßten sie in ihre Kameras ein. So kommt es, daß die Kameras erbitterter Konkurrenten dieselben Schlitzverschlüsse haben.
Wie oben begründet, hat der Verschluß nach Patent Nr. 27.434 den Nachteil, sehr voluminös zu sein. Außerdem befürchtete man, die beiden großen Lamellen je Vorhang würden zu schwer, um schnelle Ablaufgeschwindigkeiten zu erreichen. Daher hat man diesen o.g. Verschluß im Bundesdeutschen Patent Nr. 1.145.474 vom 22. Juni 1961 so abgewandelt, daß nur noch eine Lamelle verwendet wurde, die das Bildfenster nur teilweise abdeckte. Der Rest des Bildfensters wurde mit flexiblem Gummituch verschlossen, das jeweils auf einer Federwalze aufgerollt oder alternativ einfach umgebogen wurde. Genau diese Kombination aus Lamellen- und Rolloverschluß wurde 1967 in der Profikamera Pentacon Super verwirklicht. Der große Vorteil dieser Lösung bestand darin, daß tatsächlich hohe Ablaufgeschwindigkeiten erreichbar waren und die auftretenden Kräfte im beherrschbaren Maß blieben. Damit war es möglich bei der Pentacon Super eine kürzeste Verschlußzeit von 500 µs zu erreichen, die erfahrungsgemäß auch ein halbes Jahrhundert später noch sehr exakt eingehalten wird. Der Nachteil bestand aber darin, daß auch dieser Verschluß alles andere als kompakt ausfiel, was zu einer entsprechend groß gebauten Kamera führte.
Daß diese Verschlußtechnologie offenbar schon im Sommer 1961 bereitstand, gibt zu denken. Welche Entwicklung hätte der Dresdner Kamerabaustandort nehmen können, wenn man zu jener Zeit die Produktion der Praktina nicht eingestellt, sondern diese Kamera entsprechend weiterentwickelt hätte. Wir wissen ja heute in der Rückschau, daß die Dresdner ihr weltweit erstes, hochentwickeltes und professionellen Ansprüchen genügendes Kamerasystem gerade eingestellt hatten, als sich der Markt für solch ein Segment erst voll auszubilden begann. Diese Lücke wurde quasi nahtlos von den in den Startlöchern sitzenden japanischen Herstellern wie Nikon oder Topcon besetzt und war 1968, als die Pentacon Super endlich ausgeliefert wurde, ein für alle Mal verloren.
Nicht verloren war hingegen das Marktsegment der anspruchsvollen Amateurreflexkameras. In einer Zeit, als in der Bundesrepublik fast die gesamte Kameraindustrie ihrem Ende entgegenging, hatte man in Dresden eine neue Kamerageneration entwickelt, die mit ihren technischen Leistungsmerkmalen und ihrem äußeren Erscheinungsbild durchaus international konkurrenzfähig war. Dazu trug nicht zuletzt auch der Verschluß der L-Reihe bei, der eine Verkollkommnung des seit Anfang der 60er eingeschlagenen Scherenhebel-Prinzips darstellte. Der Unterschied lag darin, daß dieser nun mit drei sich übereinanderlegenden, hauchdünnen Stahllamellen arbeitete. Dazu waren im wesentlichen zwei Entwicklungen nötig, die in den DDR-Schutzschriften Nr. 67.026 und 67.027 vom 2. Februar 1968 dargelegt sind. Diese Patente betreffen in der Hauptsache die Aufhängung der Lamellenpakete und deren Parallelführung.
Damit war der Scherenhebelverschluß eine vollkommen eigenständige Entwicklung der Dresdner Kamerabauindustrie, die den Zukauf dieser zentralen Baugruppe von Spezialfirmen erübrigte. Er war nicht die Ideallösung, was sich etwa zehn Jahre später zeigte, als mit der Praktica B200 eine Kamera in Kompaktbauweise entwickelt werden sollte und die Problem nur dadurch gelöst werden sollte, daß die Lamellenpakete hinter dem Sucherokular eintauchten. Für die Praktica BX20 ging man daher 1987 zum Parallelkurbelverschluß über, da die mittlerweile abgelaufenen Grundpatente dies ermöglichten. Trotzdem hat sich der Scherenhebelverschluß der L-Reihe als ausgereift und standfest erwiesen. Immerhin wurde er in mehr als 4,85 Millionen Kameras eingebaut. Mit der Praktica B-Reihe zusammengenommen waren es sogar fast exakt sechs Millionen.
Darauf waren sie bei Pentacon richtig stolz: Der Ringtisch zur Bearbeitung der rohen Druckgußgehäuse [Deutsche Fotothek Nr. 70062827]. Dieses Gerät konnte bohren, senken, gewindeschneiden etc. und zwar an allen sechs Seiten der Kamera. Oben, unten, vorn, hinten, links, rechts. Im Inneren des Gerätes waren bis zu 48 Bearbeitungsmaschinen und Kontrollstationen befestigt und auf dem äußeren Ring wurden die Kameragehäuse eingespannt um dann zwischen 50 und 60 Bearbeitungen zu durchlaufen. Die Taktzeit betrug je Kamera bloße 45 Sekunden. Per Hand hätte man ein Vielfaches an Zeit dafür gebraucht. [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 149].
Marco Kröger
letzte Aktualisierung: 12. Mai 2024
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