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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Verordnete Preissenkungen
Und ihre Auswirkungen auf den Kamerabau der DDR
Das Themenfeld der Endverbraucherpreise in der Deutschen Demokratischen Republik ist wahrlich eine Geschichte für sich. Zwar gab es auch in der Bundesrepublik noch bis Ende der 60er Jahre in bestimmten Konsumgüterbereichen – wie zum Beispiel im Photohandel – eine Preisbindung; diese ging jedoch vonseiten der Hersteller aus. In der DDR mit ihrer Zentralverwaltungswirtschaft war der Endverbraucherpreis hingegen staatlich festgelegt und er wurde vor allem bei hochwertigen technischen Konsumgütern oft auffallend hoch angesetzt, um bei der Bevölkerung Kaufkraft abzuschöpfen und damit den Staatshaushalt zu finanzieren. Das sorgte verständlicherweise für Unmut. Nach dem 17. Juni 1953 wurde dadurch gegenzusteuern versucht, indem die Produktion neuer, bewußt preiswert gehaltener Photogeräte nach Tonnenideologie initiiert wurde. Das änderte aber nichts daran, daß sich die Bevölkerung in Hinblick auf die eigentlich gewünschten Spitzenprodukte weiterhin die Nasen an den Schaufensterscheiben plattdrückte. Das lag auch daran, daß die Preise für frei verkäufliche Güter in den Geschäften der Handelsorganisation ("HO") durch zusätzliche Aufschläge weiter verteuert wurde ("Akzise").
Um dem zu begegnen, hat es in der jungen DDR immer wieder größere Preissenkungen nicht nur im Bereich der Nahrungsmittel und der Produkte des täglichen Bedarfs gegeben, sondern eben auch bei hochwertigen Konsumgütern wie den damals sehr begehrten Kameras und Photoobjektiven. Eigentlich muß sogar von regelrechten von oben verordneten Preisschnitten gesprochen werden, die aufgrund ihres Ausmaßes auch entsprechend tiefgreifende Auswirkungen auf den Photo-Binnenhandel der DDR gehabt haben. Genau genommen handelt es sich um zwei einzelne Ereignisse, bei denen in den Jahren 1956 und 1960 die Preise kurz hintereinander jeweils um bis zu 30 Prozent gedrückt wurden. Dahinter stand das Ansinnen, den breiten Bevölkerungskreisen einen Kauf solcher Geräte zu erleichtern und dies gleichsam entsprechend propagandistisch auszuschlachten. Dabei ist bislang allerdings wenig thematisiert worden, inwieweit sich diese beiden Preissenkungen voneinander unterscheiden und weshalb insbesondere diejenige von 1960 offenbar so nachhaltig auf die Kameraindustrie rückgewirkt hat.
Bilder von der Preissenkung vom Sommer 1956 aus einem Beitrag für die Aktuelle Kamera vom 5. Juli 1956 [Deutsches Rundfunkarchiv]. Bei der Betrachtung der alten Preise sollte man bedenken, daß ein Angestellter in der DDR Mitte der 50er Jahre etwa im Bereich 300,- Mark pro Monat verdient hat.
Wie die obigen Bilder zeigen, ließ die 17. Preissenkung vom 4. Juni 1956 Kameras wie die Beltica II oder der Welti I um beinah 100 Mark billiger werden. Ähnlich war das bei der Spiegelreflexkamera Praktica FX. Kostete diese ausgestattet mit dem Primoplan 1,9/58 mm im Jahre 1955 noch 558,19 Mark, so hatte sich mit dem Stichtag 4. Juni 1956 der Preis derselben Ausrüstung nun auf 329,- Mark reduziert. Bei diesem großen Rückgang von über 40 Prozent mag auch eine Rolle gespielt haben, daß das im Auslaufen befindliche Primoplan 1,9/58, das nicht mehr auf Automatikblende umgerüstet wurde, im Anbetracht der bald erscheinenden Praktica FX2 mit ihrer Druckblendenautomatik in den Abverkauf gelangte und sein Preis daher ebenfalls deutlich gesenkt wurde. Diese Beispiele von einerseits ziemlich veralteten Rollfilm- und Kleinbildkameras wie der Welti, der Beltica, der Precisa oder der Belfoca, die noch mit Balgen und Springmechanik versehen waren, oder von Auslaufprodukten wie der Praktica FX, deuten darauf hin, daß mit der Preissenkung von 1956 vor allem das Ziel verfolgt wurde, die mit "Ladenhütern" gefüllten Lager zu räumen [Vgl. dazu: Stimmung zur Preissenkung, Info Nr. M128/56, BStU, MfS, AS 80/59, Bd.1a, Bl.266–270.].
Der 28. Mai 1960
Im Vergleich dazu war die Preisanordnung Nr. 1343 für "Fotografische Aufnahmeapparate" mit Wirkung zum 28. Mai 1960 von einem deutlich anderen Schlage. Zwar muß auch in diesem Falle von einem regelrechten Preisschnitt in der Größenordnung von durchschnittlich 30 Prozent gesprochen werden, doch diesmal traf das auch auf Spitzenprodukte zu, die eigentlich hauptsächlich für den Export gedacht waren. So wurde beispielsweise der Gehäusepreis der Exakta Varex IIa plötzlich von 911,- Mark auf 595,- Mark gedrückt – also um ziemlich genau ein Drittel. Auch die zugehörigen Normalobjektive wurden in einem vergleichbaren Maße billiger gemacht. Das Biotar 2/58 mit der Halbautomatischen Springblende (sowohl für die Exakta als auch die Praktica) wurde beispielsweise im Preise von 288,- auf 173,- Mark reduziert. Das war in der Preisanordnung Nr. 1875 "Objektive für Aufnahme und Wiedergabe" ebenfalls vom 28. Mai 1960 geregelt worden. Durch die Kombination beider Preisanordnungen war das Spitzenmodell der Exakta mit Biotar über Nacht von 1.199,- auf 768,- Mark – also um ganze 431 Mark – billiger gemacht geworden. Analog gab es auch noch zwei solcher Preisanordnungen für Kinoaufnahme- und Wiedergabegeräte.
Die Preissenkung von 1960 war zugleich von einer großen Verkaufsinitiative des DDR-Photohandels getragen. Diesmal wurden nicht nur Ladenhüter abgestoßen. Die Folge war, daß beispielsweise die begehrte Exakta Varex auf einmal aus den Geschäften verschwand, weil die Bestände leergekauft wurden. Oben: Beispiele aus HO-Fachgeschäften in Karl-Marx-Stadt.
Der zweite große Unterschied zur Preissenkung von 1956 lag aber noch darin, daß es 1960 keine Rationierung mehr gab. Seit 1958 konnte man generell auch ohne Bezugsschein einen hochwertigen Photoapparat kaufen. Bis dahin war ein bezugschein-loser Einkauf zwar in Geschäften beispielsweise der staatlichen Handelsorganisation (HO) möglich, dort wurde aber stets ein kräftiger Aufschlag erhoben ("HO-Akzise"), der den Privatkauf sehr verteuerte. Mit dem Wegfall dieser Beschränkungen fiel die Preissenkung von 1960 gegenüber derjenigen von 1956 für den Durchschnittskonsumenten nun wesentlich attraktiver aus.
Das hatte natürlich sogleich zweierlei Auswirkungen. Eine der beiden ist auf dem Informationsblatt „DDR-Notizen für Herbstmesse 1960“, von dem die obigen Preisinformationen zur Exakta stammen, direkt mit angegeben. Zitat: „[Die] Exakta Varex IIa mit geräuscharmen [sic!] Vorlaufwerk und F-Kontakt hat nach der Preissenkung vom 28. 5. 60 so großen Interessenkreis gefunden, daß Bedarf nur schwer gedeckt werden kann.“ Das läßt erahnen, wie die DDR-Bürger nun offenbar die Lagerbestände der Photofachgeschäfte leerkauften. Ich kann sogar aus der eigenen Familie ein Beispiel geben: Mein Opa, damals gerade 25-jährig, hat sich 1960 eine Praktica IV gekauft, weil sie jetzt plötzlich erschwinglich geworden war.
Dieses Pressephoto von Erich Höhne und Erich Pohl vom Juni 1960 zeigt, daß mit der großen Preissenkung auf Kameras und Objektive auch eine gewisse agitatorische Wirkung erzielt werden sollte [Deutsche Fotothek, Datensatz 70606717].
Und genau das dürfte ja wiederum das politische Kalkül hinter dieser Aktion gewesen sein. Die Bevölkerung sollte sich was leisten können. Allzusehr hinkte man in der DDR dem westlichen Konsumrausch hinterher. Obgleich es das spätere Amt für Preise in dieser Form noch nicht gab, darf man daher davon ausgehen, daß auch diese Preissenkung vom Mai 1960 von politischer Seite her angeordnet wurde. Fraglich ist jedoch, ob sie im Einklang mit der Kamera- und Objektivbauindustrie vorgenommen wurde. Immerhin fällt auf, daß im selben Monat die Produktion der Praktina IIA eingestellt worden ist. In meinem Aufsatz zur Praktina und Praktisix habe ich die Vermutung geäußert und zu begründen versucht, daß im Zuge dieser Preissenkung keine kostendeckende Herstellung dieser sehr aufwendigen Spitzenkamera mehr möglich gewesen ist. Daß der VEB Kamera- und Kinowerke gar nicht erst lange kalkulieren mußte, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, läßt nun darauf schließen, daß die Photo-Betriebe zumindest nicht kalt von diesem Preisschnitt erwischt worden sind. Aber erwischt wurden sie, da bin ich mir ziemlich sicher. Gerade für den neuen Großbetrieb VEB Kamera- und Kinowerke mit seinen vielen Sorgen, die er ohnehin schon hatte, muß dieser massive Eingriff in die Gefüge der Preise, Kosten und Gewinne eine enorme zusätzliche Belastung dargestellt haben.
Dieses Blatt war wohl einmal Teil eines Kaufvertrages. Für uns dokumentiert es heute die Auswirkung der Preissenkung von 1960 aus einem anderen Blickwinkel: Der sprunghafte Wertverfall der Praktina, der diesen privaten Verkäufer offenbar genau so traf, wie den Herstellerbetrieb. Die angesprochene HO-Akzise, die quasi der Preis dafür war, daß man ein Produkt ohne Bezugschein kaufen konnte, wurde erst durch die generelle Beendigung der Konsumgüter-Rationierung im Jahre 1958 abgeschafft.
Auch bei einer abgeschotteten Wirtschaft, wie sie diejenige der DDR dargestellt hat, dürften als Anhaltspunkt für das Preisniveau nicht zuletzt auch die auf den internationalen Märkten erzielbaren Preise ausschlaggebend gewesen sein. Und was jene angeht, läßt sich selbst bei einer solch konkurrenzfähigen Kamera wie der Exakta, die zudem noch über feste Vertretungen mit festen Preislisten exportiert wurde, während der 50er Jahre ein steter Preisverfall nachweisen. Vielleicht müssen die staatlich verordneten Preissenkung der Jahre 1956 und 1960 auch als eine Anpassung der DDR-Preise an das durch westliche Marktmechanismen ausgelöste langsame Sinken des Preisniveaus auf den dortigen Märkten begriffen werden. Und weil es in der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR nun einmal keine Marktmechanismen mit dementsprechenden natürlichen stetigen Anpassungen der Preise an Angebot und Nachfrage gab, geschah das Ganze offensichtlich mit einem Paukenschlag und als Diktat von ganz hoch droben.
Frau Hartmann konnte sich selbst sechs Jahrzehnte später noch gut erinnern, daß sie sich dazumal sehr geärgert hatte, als ein knappes Jahr nachdem sie eine Werra III gekauft hatte deren Ladenpreis von 412,- auf 350,- DDR-Mark gesenkt wurde. Auf der anderen Seite war sie froh, mit Mitte 20 für ihren ersten FDGB-Urlaub an der Ostsee im August 1959 eine eigene Kamera ergattert zu haben. Die Werra III mit der Nummer 296.600 existiert heute noch in einem tadellosen Zustand.
Nun scheint es mir aber hervorhebenswert zu sein, daß für die weitere Geschichte der DDR-Photoindustrie die Wirkung insbesondere des Preisschnittes von 1960 weit über den ursprünglich angestrebten Effekt hinausgegangen ist. Die kurzfristige Anregung der Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung nach Konsumgütern wird wohl nur so lange vorgehalten haben, bis die Verkaufsvitrinen und Lagerbestände leergeräumt waren. Demgegenüber muß man wohl aber davon ausgehen, daß der in der Folge bald einsetzende Verlust an Vielfalt im Programm der DDR-Kameraindustrie genau mit diesem Preisschnitt begonnen hat. So hätte beispielsweise die Altix weiterentwickelt werden müssen (zur Meßsucherkamera nämlich). Aber wenn kurz zuvor die Behörden das Preisniveau a priori um etwa 30% heruntergeschraubt hatten, dann wurde es nun selbst unter den Bedingungen einer Planwirtschaft für einen Betrieb völlig unattraktiv, weder auf diesem niedrigen Preisniveau weiterzuproduzieren, noch die hergestellten Mengen auszuweiten, und schon gar nicht in die Kosten zu investieren, die die Entwicklung eines neuen Modells verschlungen hätten. Staatliche Eingriffe in die Preise haben auch in der DDR grundsätzlich die Betriebe nicht zur Mehrproduktion oder gar zu Investitionen angeregt. Um dennoch ausreichendes Angebot zu sichern, wurden einige Konsumgüter massiv staatlich gestützt.
Der DDR-Kamerabau war bis zum Schluß als "Devisenbringer" einkalkuliert. Das führte daz, daß der DDR-Kamerabau zunehmend nur noch das hochpreisige Segment der Kleinbild-Spiegelreflexlameras bediente, mit dem man insbesondere auf den Westmärkten große Exporterlöse erzielen konnte. Für den Inlandsbedarf wurden dann kleine Kontingente von diesen Spitzenkameras abgezweigt, die aber stets zu knapp ausfielen, weil ja mit den Kameras bevorzugt Devisen verdient werden sollten [Die Exportquote bei Kleinbild-Spiegelreflexkameras beziffert Jehmlich für den Zeitraum 1964 bis 1989 auf über 80 Prozent, wobei fast 63 Prozent im "Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet" abgesetzt wurden, und nicht einmal 20 Prozent im Inland verfügbar waren. Der Rest wurde an die sozialistischen Bruderstaaten geliefert, Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 179.]. Die breite Masse der Photoamateure der DDR wurde dagegen mit den billigen Einheits-Plastekameras des SL-Systems abgespeist, die von vornherein nicht für den Export vorgesehen waren. Der ganze mittlere Teil des Marktes indes – auf dem die jungen japanischen Hersteller mit ihren hochwertigen Sucherkameras übrigens gutes Geld verdienten – war vom DDR-Kamerabau entweder gar nicht erst betreten oder gegen Ende der 60er Jahre bereits wieder vollständig verlassen worden (Werra, Prakti). Und es drängt sich der Eindruck auf, daß die große Preissenkung des Frühjahres 1960 eine wichtige Weichenstellung für diese kommende Strukturentwicklung der DDR-Photoindustrie dargestellt hat.
Die staatliche Festlegung von Preisen war nicht allein auf phototechnische Geräte beschränkt, sondern auch auf photobezogene Dienstleistungen. Das obige Dokument aus dem Jahre 1958 läßt einmal erahnen, welche weitgreifenden Auswirkungen diese Politik auch auf das freie Photographenhandwerk in der DDR gehabt hat.
Marco Kröger
letzte Änderung 12. Juni 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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