Geschichte

Geschichte

Diese Seiten beschäftigen sich mit bedeutsamen Einzelaspekten der historischen Entwicklung der "Mitteldeutschen Photoindustrie".

Der Sammler und seine Sammlerliteratur eine Polemik.

Die Gilde der Sammler sind für die Geschichte der Photoindustrie in etwa das, was die Heimatforscher für die Regional- und Lokalgeschichte sind: Akribisch suchende, zum Teil besessene Enthusiasten, die aber ihren „Forschungsgegenstand“ oftmals nur unter einem ganz engen Blickwinkel sehen. So wie sich der Heimatforscher nur dafür interessiert, wer in seinem Ort in diesem oder jenem Haus gewohnt hat, wer die Fabrik gebaut und die Schule geleitet hat, so interessiert den Kamerasammler hauptsächlich, was und wieviel sein bevorzugter Hersteller produziert hat und was die Sachen heute wert sind. Was im Nachbarort los war, das ist schon zweitrangig. Welche Bedingungsfaktoren überhaupt dazu geführt haben, daß eine Fabrik gegründet wurde und wie deren Entwicklung gegenüber der Gesamtheit aller anderen Fabriken zu beurteilen ist, diese Gesichtspunkte spielen bei Sammlern wie Heimatforschern meist keine große Rolle. Solch eine rein auf den einzelnen Gegenstand begrenzte Betrachtungsweise hat aber ihre Tücken. Der Anspruch an sich selbst, als Sammler Experte in seinem Themenfeld zu sein, verträgt sich meist nicht mit der Methode, seine Erkenntnisse aus dem reinen Besitz von Sammelgut zu „extrahieren“.


Sammelgut ist gewissermaßen das, was der Historiker (nach Droysen) als Überrest bezeichnet – also historisches Material, das im Gegensatz zu den „klassischen Quellen (wie beispielsweise Akten) nicht bewußt erstellt wurde, um auch zu späterer Zeit den Hergang noch genau nachvollziehen zu können. Vielmehr sind solche Überreste schlichtweg aus der Vergangenheit übriggeblieben und haben die Zeit überdauert. Aus Sicht des Historikers sind Überreste natürlich etwas Hochinteressantes, denn was zufällig übrig geblieben ist, das ist grundsätzlich unverfälscht, authentisch geblieben. Aber genau darin liegt auch das Problem. Der Überrest an sich ist ja nur so etwas wie ein Puzzleteil aus einer vergangenen Realität. Inwieweit dieses Teilchen für die Charakteristik des Ganzen hergenommen werden kann, das muß sorgfältig durchgeführte Quellenkritik erweisen. Und dazu ist es unabdingbar, auch anderes, „klassisches“ Quellenmaterial (wie man es beispielsweise in Archiven findet) sowie die bereits vorhandene Literatur zu Rate zu ziehen.


Aber genau an diesem Punkt wird es kritisch. So etwas schüttelt man nicht aus dem Ärmel. Haltbare Erkenntnisse über die Geschichte der Kameras herauszufinden verlangt nämlich nach ähnlichen handwerklichen Fertigkeiten, wie alte Kameras zu reparieren. Wenn dann noch der problematische Anspruch mancher Sammler dazu kommt, unbedingt als „der große Experte“ in seinem Themenfeld gelten zu wollen, dann beobachtet man in der Sammlerliteratur oft ein Abgleiten ins Fabulieren, Sagendichten sogar bis hin zum bewußten Fälschen. Dazu ein Beispiel: Ein Mann wie Richard Hummel, der über Jahrzehnte hinweg in der Dresdner Kameraindustrie gearbeitet hatte, der wollte nach der Wende ein Buch schreiben, in dem „alles genau drin steht". Der Sammler giert ja geradezu nach einem solchen Buch. Für den Sammler geht es oft nur darum, herauszufinden, wie selten seine Kameras sind und welchen Wert sie haben, wenn er sie kaufen oder wieder verkaufen will. Und der gute Richard Hummel hat dem Sammler natürlich genau ein solches Buch geschrieben. Und wenn man von sich selbst überzeugt ist, der große Experte zu sein und diesen Status bis ins kleinste Detail unter Beweis stellen zu können, dann liefert man eben genau diese begehrten Zahlen. Ohne Lücken und bis auf die Stelle hinterm Komma. Hat man das Problem, für viele dieser Zahlenangaben gar kein exaktes Datenmaterial zur Verfügung zu haben, dann schätzt man diese Zahlen halt. Man ist ja der große Experte und entsprechend von sich selbst überzeugt, das alles irgendwie zu wissen. Außerdem kann man sich ja als Experte nicht die Blöße geben, zugeben zu müssen, daß man doch nicht alles weiß. Also wird fabuliert was das Zeug hält. Es sind mehr als 20 Jahre nach dem Erscheinen der „Spiegelreflexkameras aus Dresden“ mittlerweile an so vielen Stellen erhebliche Diskrepanzen aufgetreten, daß man nicht mehr sagen kann, welchen Datenangaben in diesem Buch überhaupt noch stimmen. Damit ist dieses Machwerk aber am Ende vollkommen wertlos. Eine Abhandlung, die zu ihren Angaben keinerlei Belege liefert und diese Belege daher natürlich auch nicht kritisch diskutieren kann, ist als Standardwerk zu einem Thema von vorn bis hinten komplett ungeeignet. Im Gegenteil. Richard Hummel hat einen großen Schaden angerichtet, weil er mit seinem Buch zweifelhafte Faktenangaben zitierfähig gemacht hat.


Ich verlange ja nicht, daß Sammlerliteratur von nun an nur noch von studierten Geschichtswissenschaftlern verfaßt werden darf. Aber ein Unterschreiten des Mindestmaßes an wissenschaftlichem Arbeiten kann einfach nicht akzeptiert werden. Solche Bücher sind dann das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Daß es auch anders geht, also gut verständliche Bücher auf einer ordentlichen Quellenarbeit aufgebaut sein können, wurde ja mittlerweile bewiesen. Ich möchte beispielhaft auf Gerhard Jehmlichs (1927 - 2018) Abhandlung zum VEB Pentacon Dresden* verweisen, die genau diesen Anspruch zu erfüllen vermag. Zwar enthält auch dieses Buch kleinere Lücken und Fehler, aber das ist ja gar nicht der Punkt. Es geht darum, daß Jehmlich – der von Hause aus kein Historiker ist – PRINZIPIELL sachgemäß mit Quellenmaterial und Literatur gearbeitet hat. Das führt ja erst dazu, daß seine Angaben überhaupt NACHPRÜFBAR sind, und damit auch noch Jahrzehnte später auf Plausibilität und Wahrheitsgehalt untersucht werden können, wenn beispielsweise neue Erkenntnisse hinzukommen, die den bisherigen in Teilen widersprechen. Schließlich sind wir alle keine Verkünder der ewigen Wahrheit. Wir liefern lediglich auf dem derzeitigen Wissensstand basierende Thesen, die – Karl Popper zufolge – sogar die Eigenschaft haben müssen, falsch sein zu können. Unserer Angaben müssen also stets so hergeleitet worden sein, daß sie überhaupt widerlegbar sind und nicht wie ein Glaubensbekenntnis einfach hingenommen werden müssen. Und dafür ist es notwendig, das Ausgangsmaterial überprüfen zu können, auf dem unsere Schlußfolgerungen aufgebaut sind.


Nach genau diesem Prinzip versuchen die folgenden Seiten, neue geschichtliche Erkenntnisse zur Dresdner Kameraindustrie vorzustellen. Weil man auf einer Internetseite nicht praktikabel mit Fußnoten arbeiten kann, bin ich hier etwas kreativer mit dem Quellenverweis umgegangen. Falls Nachfragen bestehen, dann schreiben Sie uns doch.  :-)



*Jehmlich, Gerhard: Der VEB Pentacon Dresden, Geschichte der Dresdner Kamera- und Kinoindustrie nach 1945, Dresden, 2009.

Nachtrag vom Frühjahr 2021

Es ist nun genau fünf Jahre her, daß ich hier diese etwas boshafte Polemik veröffentlicht habe, um den erschütternden Schlendrian anzuprangern, der meiner Ansicht nach weite Teile der Sammlerliteratur diskreditiert. Um so erfreuter war ich, als mir ein Freund neulich einen aktuellen Aufsatz aus einer ebensolchen Sammlerzeitung sandte, bei dem im Vorwort versichert wird, dieser Artikel beruhe ausschließlich auf Primärquellen. Und im Nachwort wird schließlich konstatiert, der Vorteil dieser Primärquellen läge darin, daß man nicht auf Spekulationen angewiesen sei. Das ist doch mal eine erfreuliche Erkenntnis und ein Anzeichen für mich, daß die obige Polemik vielleicht doch nicht ganz umsonst gewesen ist.


Im Übrigen habe ich nie behauptet, daß Spekulationen ich spreche lieber von Vermutungen etwas Unzulässiges wären. Wir schreiben hier ja keine Doktorarbeiten. Es kommt nur darauf an, solche Vermutungen oder Deutungen klar als ebenjene zu kennzeichnen!  Dazu genügt es ja schon, einfache Füllworter wie "offenbar" oder "offensichtlich" in den Satz einzufügen, um nicht in Glaubensdogmen Hummel'scher Art abzugleiten.


Zu Richard Hummel gäbe es natürlich sehr viel mehr zu sagen. Eigentlich wollte ich hier gar nicht weiter auf diesen Mann herumhacken, der ja dieses Handwerk der Geschichtsaufarbeitung schließlich nicht gelernt hatte. Es ist aber die Art und Weise wie er gearbeitet hat, die mich immer wieder ärgert. Die "Heimatforscher-Manier", die er in die offizielle Geschichtsschreibung des Dresdner Photostandortes eingebracht hat, kann man so einfach nicht stehen lassen.


Ich will dafür ein Beispiel geben. Es geht doch bei Richard Hummel nicht nur darum, daß er zweifelhafte Herstellungsziffern zu gewissen Kameras angibt oder daß er behauptet, die Meister-Korelle und die Primarflex II hätten denselben Objektivanschluß, usw. Seine Verdrehungen des geschichtlichen Bildes gehen meiner Ansicht nach weit über dieses Niveau hinaus und erreichen damit prinzipielle Natur. So habe ich mich immer gefragt, weshalb Pentacon im Jahre 1989 (u.a. in den damaligen Reklameveröffentlichungen) "150 Jahre Dresdner Kamerabau" zelebriert hat. Viel eher würde man doch 1889 als das "Wunderjahr" des Dresdner Kamerabaus akzeptieren. Wenn man Hüttig mit dazu nimmt, könnte man allenfalls die Anfänge auf die 1860er Jahre zurückführen. Zeiss Ikon hatte im Jahre 1937 ein Jubiläum von 75 Jahre Kamerabautradition gefeiert, also den Start auf 1862 bezogen. Aber 1839? Wie kam man denn auf dieses schmale Brett?


Die Antwort scheint darin zu liegen, daß sich Richard Hummel in den 80er Jahren im Quellenstudium versucht hat. Herbert Blumtritt, der übrigens Hummels falsche Fährte beinah kritiklos übernimmt, läßt uns dies so wissen. [Vgl. Blumtritt, Dresdner Fotoindustrie, 2000, S. 11f.]. Man muß sich den Vorgang wohl so vorstellen, daß Richard Hummel alte Zeitungen und Zeitschriften nach Annoncen durchgeschaut hat, wann in Dresden zum ersten Male eine photographische Kamera angeboten wurde. Dabei ist er offenbar auf einen Friedrich Wilhelm Enzmann gestoßen, dessen Annonce er zur "Geburtsurkunde des Dresdner Kamerabaus" erklärt [Hummel, Kalendarium zur 150jährigen Geschichte des Dresdner Kamerabaues, 1992, S. 3]. Ich finde das ungeheuerlich. Wir müssen doch davon ausgehen, daß sich nach der öffentlichen Bekanntgabe des Daguerreotypieverfahrens in jeder größeren Stadt Mitteleuropas Tischler oder sonstige Handwerker mit dem Nachbau dieser Daguerre'schen Kamera befaßt haben. Vor diesem Hintergrund Enzmann als besondere Singularität darzustellen und sogar eine Kontinuität mit dem späteren industriellen Kamerabau in Dresden zu behaupten, ist doch reine Willkür, die ganz offensichtlich nur dazu diente, die vielleicht vom Betrieb oder der Partei gewollte außergewöhnlich lange Fertigungstradition herbeizuzaubern. Für mich ist das einfach nur bewußte Geschichtsfälschung.

Oben ist beispielhaft eine Seite gezeigt aus Richard Hummels "Spiegelreflexkameras aus Dresden". Es handelt sich dabei gleichzeitig um das bekannteste Zeugnis dafür, wie Richard Hummel mit ausgedachten Zahlen die Fachwelt in Aufruhr versetzt hat. Insbesondere den Alexander Schulz hat er damit richtig aufs Kreuz gelegt. Der hatte in einem ersten Buch zur Spiegelcontax diese Hummel'schen Zahlen arglos übernommen. Nach massiver Kritik und der Frage, wo denn diese Kameras mit ihren angeblichen Merkmalen geblieben seien, hat Schulz dann später ein zweites Buch geschrieben (auf Englisch), wo er nun aus Verunsicherung gleich alles über den Haufen geschmissen hat mitsamt den Einteilungen in die Modelle A, B und C, die er nun argwöhnisch ebenfalls als Erfindung Hummels annahm. Schulz schrieb mir hierzu im Februar 2016:


"Zunächst muss ich gestehen, dass ich Ihren Artikel nicht zur Gänze, sondern nur quer gelesen habe, wobei mir auffiel, dass Sie noch mit der Contax SA, SB  und SC hantieren, die ganz offensichtlich Hummelsche Interpolationen sind, also Fälschungen. Das können Sie sogar ohne Brille an den dilettantisch gemachten Retuschen der Fotos erkennen, und die Stückzahlen hatte sich Herr Hummel aus den Fingern gesogen."


Diese Modellreihe Contax S Typ A bis C ist allerdings historisch verbürgt; nur Hummels Einteilung in Produktionszeiträume, äußerliche Erkennungsmerkmale und die Stückzahlen sind fiktiv. Man sieht aber an diesem Beispiel gut, wie sehr diese Arbeitsweise Hummels die geschichtliche Aufarbeitung des Dresdner Kamerabaus im Grundsatz vergiftet hat, denn wenn erst einmal der Verdacht auf systematischen Betrug wach wird, dann weiß am Ende einfach niemand mehr, welche der Fakten überhaupt noch glaubhaft sind. Schließlich geht es  ja eben nicht darum, daß Hummel beim Übertragen von Zahlen aus den Quellen lediglich hier und da ein paar kleinere Fehlerchen unterlaufen sind, sondern daß diese Quellen schlichtweg nie existiert haben. Die Frage, ab wann dann Hummel für seine übrigen Zahlen, die er zu jedem Modell angibt, wirklich noch auf echte Produktionsunterlagen von Pentacon zurückgegriffen hat, wird dann zu einer Art Glaubensbekenntnis.


Dr. Schulz deutet aber noch auf ein ganz anderes Problem hin: So müssen wir es doch heute als gesicherte Erkenntnis annehmen, daß nicht nur Photos retuschiert wurden, sondern gar die oben gezeigte Contax S (086) mit ihrer schwarz angemalten Vorderfläche eine Kamera ist, die bewußt nachträglich gefälscht worden ist, um als Repräsentantin der Urmodelle u.a. in solcherlei Buchveröffentlichungen herzuhalten. Zu allem Übel scheint es wohl so zu sein, daß diese historische Manipulation auch noch unter dem Dach des Dresdner Museums vonstatten gegangen ist. Im Angesicht dieser Erkenntnis resümierte Schulz mir gegenüber im Jahre 2016 einigermaßen verbittert:


"Denn bald merkte ich, wie sehr Herr Hummel noch in den Methoden der DDR-Geschichtsschreibung befangen war, welche die Wahrheit nicht durch methodische Forschung zu erkennen suchte, sondern nach einer voreingenommenen Betrachtungsweise hinbog, bis sie ins subjektive Bild passte."

Marco Kröger


letzte Änderung: 2. Januar 2023