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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Domiron, Oreston und Pentacon
Mit dem Primoplan war Meyer-Optik im Jahre 1936 der Pionier des lichtstarken Normalobjektivs für die Kleinbild-Spiegelreflexkamera gewesen. Doch mit dem Aufkommen automatischer Blendenmechanismen bedurfte es einer Neukonstruktion.
1. Das Domiron 2/50 mm
Die Ära der modernen lichtstarken Normalobjektive mit Blendenautomatik aus dem Görlitzer Hause beginnt am 6. November 1958. An diesem Tage nämlich wurde für das Domiron 2/50 mm ein DDR-Gebrauchsmusterschutz für ein "Photographisches Objektiv nach dem Gauß-Typ" beantragt [Nr. DD7916 bzw. DE1.786.978]. Lediglich ein Gebrauchsmusterschutz deshalb, weil solche Doppelgauß-Abwandlungen zu jener Zeit längst schon etabliert waren. Seit Willy Mertés großen Durchbruch im Jahre 1927 war der Boden, auf dem diese Objektivbauart stand, stets auf Neue umgegraben worden. Revolutionäre Neuentwicklung beim klassischen sechslinsigen Planar-Biotar-Typus waren bereits seit dem letzten großen Schub Anfang der 1950er Jahre kaum noch zu erwarten. Daher richteten die Konstrukteure – angespornt durch den großen Bedeutungsgewinn der Einäugigen Kleinbild-Spiegelreflexkamera – das Augenmerk nun immer mehr darauf, eine generelle Leistungssteigerung dieser lichtstarken Normalobjektive mit einer Verlängerung ihrer sogenannten Schnittweite zu verknüpfen. Das war die Voraussetzung dafür, um auch bei diesen Gaußtyp-Objektiven auf die beim Kleinbild übliche Nennbrennweite von 50 mm zu gelangen.
Denn dem Primoplan, das mehr als 20 Jahre lang das lichtstarke Kleinbild-Normalobjektivs bei Meyer-Optik repräsentierte, mußte schließlich seinerzeit aus jenem Grunde eine Brennweite von 58 mm mitgegeben werden, damit hinter der letzten Linse genügend Spielraum für den namensgebenden Schwingspiegel dieser Kameras übrigblieb. Um die Brennweite verkürzen zu können, bedurfte es daher Maßnahmen, die das Verhältnis dieser Brennweite zur sogenannten Schnittweite verbesserten. Der Ausdruck "bildseitige Schnittweite" ist der Fachbegriff für den Luftraum zwischen dem hintersten Linsenscheitel und der Bildebene. Um dieses Ziel zu erreichen, waren verschiedene Objektivhersteller während der 50er Jahre dazu übergegangen, den vor der Blende stehenden Linsenelementen allesamt eine meniskenförmige Gestalt zu geben, das heißt alle erhabenen Krümmungen dem Aufnahmegegenstand zuzuwenden. Beim Domiron 2/50 konnte Wolfgang Hecking auf diese Weise eine Schnittweite erzielen, die 74 Prozent der Brennweite betrug – also 37 mm. Diese Konstruktionsidee stammte freilich nicht von ihm. Sie war nach und nach durch viele verschiedene Patentanmeldungen mehrerer Firmen etabliert worden, sodaß kaum noch Potential übrig blieb, mit dem Hecking eine eigene Erfindungshöhe hätte nachweisen können. Daher war eben nur noch ein Gebrauchsmusterschutz zu erzielen.
Es war also nicht die Formgebung der vorderen Systemhälfte an sich, die beim Domiron neu war, sondern die Verknüpfung dieses Konstruktionsmerkmals mit der aktuellsten Glastechnologie. Das Gebrauchsmuster hebt hervor, daß alle Brechzahlen über 1,645 liegen. Drei der sechs Linsen bestanden aus hochbrechenden Krongläsern: Die Frontlinse aus dem Schwerkron SK21, die Rücklinse aus SK22 und die Linse Nummer fünf aus dem Schwerstkron SSK5. Dazu gesellte sich für die Linse Nummer zwei offenbar das ebenfalls niedrig dispergierende Barit-Flint BaF11. Gut ist außerdem zu sehen, wie insbesondere im hinteren Kittglied zwei Glasarten mit fast identischen Brechzahlen, aber erheblich voneinander abweichenden ny-Werten miteinander kombiniert wurden. Mehr als sechs Jahrzehnte nach Paul Rudolphs Planar-Patent war offensichtlich dieser Kunstgriff nach wie vor aktuell, um das dem Doppelgauß innewohnende Potential zur Beherrschung der chromatischen und sphärochromatischen Bildfehler ausreizen zu können.
Während in der Bundesrepublik für die neuartigen Lanthan-Krongläser eine gesonderte Kategorie im Glaskatalog geschaffen wurde, sind dieselben in Jena in die bereits seit Jahrzehnten bestehende Kategorie der Schwerkron-Gläser eingereiht worden. Es hat daher einige Jahre gebraucht, bis mir bewußt geworden ist, daß die Jenaer Schwerkron-Gläsern SK21 bis 24 im großen und ganzen den Mainzer LaK-Gläser 1 bis 4 entsprechen.
Besonders hervorhebenswert sind die beiden im Domiron verwendeten Schwerkrone. Mit ihnen hatte VEB Jenaer Glaswerk nach dem Zweiten Weltkrieg an die Entwicklung im Bereich moderner optischer Gläser angeknüpft. Es handelte sich dabei um Krongläser, die ihre geringen Farbzerstreuungen mit bisher nicht gekannten Brechzahlen verbanden. Bekannt geworden sind diese neuartigen Glasarten als Lathankrone, da sie ihre speziellen Eigenschaften hauptsächlich durch Einsatz von seltenen Erden wie eben dem Lanthan(III)oxid erzielten. Die genaue Entwicklungsgeschichte dieser neuen Gläser ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Die bisherigen Erkenntnisse geben in etwa folgendes Bild ab: Bei Schott wurden noch während der Besatzungszeit daran gearbeitet, solche Lanthan-Schwerkron-Gläser, deren prinzipielle Zusammensetzung ja bereits seit den 30er Jahren bekannt war, aus dem Labormaßstab herauszuheben und in eine massenfabrikatorische Herstellung zu überführen. Dabei ergaben sich immense Schwierigkeiten, die nach völlig neuen Lösungen verlangten. So verhinderten die nun nötigen, deutlich höheren Schmelztemperaturen, die bislang etablierten Schamotthäfen weiterzuverwenden, sondern es mußte auf Platintigel umgestellt werden, die statt mit Gas elektrisch beheizt wurden. Letzteres war nötig, weil sich herausgestellt hatte, daß bei herkömmlicher Heizung das Platin in mikroskopischen Partikeln in die Schmelze überging, was nur durch hochfrequente Heizströme verhindert werden konnte. Man kann dabei nur vermuten, daß diese erste Generation an Lanthan-Schwerkron-Gläsern bereits produktionsreif entwickelt worden war, noch bevor es bei Schott zu einer völligen Trennung zwischen dem Jenaer und dem Mainzer Standort gekommen ist, denn es fällt auf, daß das Jenaer SK21 in etwa dem Mainzer LaK1 entsprach, das SK22 dem LaK2, usw.
Die ursprünglichen fertigungstechnischen Schwierigkeiten bei diesen neuen Lanthan-Gläsern waren im Laufe der 50er Jahre überwunden worden und sie fanden zunehmend Eingang in den Objektivbau. So brauchte auch das hochwertige Domiron 2/50 den internationalen Vergleich nicht zu scheuen, weil man in Görlitz auf diese modernsten optischen Gläser zurückgegriffen hatte. Das Domiron lag zweifellos auf Augenhöhe mit dem zeitgenössischen Flexon 2/50 mm von Zeiss Jena, das ebenfalls auf dem lanthanhaltigen Schwerkron SK21 bzw SK24 basierte. Aber genau darin lag das Problem. Nach Aussage des ehemaligen technischen Leiters des VEB Feinoptischen Werkes, Herrn Gottfried Kindler (1932 - 2018), sorgte diese ernstzunehmende Görlitzer Konkurrenz dafür, daß das Zeisswerk bereits nach kurzer Zeit die massenhafte Belieferung mit diesen neuen Hochleistungsgläsern wieder unterband. Daraus erklärt sich die nur sehr kurze Bauzeit des Domiron 2/50 bzw. die für ein Normalobjektiv recht geringen Stückzahlen.
Das Domiron, so kurzlebig es auch gewesen sein mag, war dennoch ein wichtiger Schritt für den Görlitzer Objektivhersteller, denn neben der optischen Qualität muß auch die hervorragende mechanische Ausgestaltung dieses Objektives hervorgehoben werden. Die Fassung hatte ein Niveau erreicht, das alles bisher von dieser Firma Gekannte weit übertraf. Neben der anspruchsvollen Vollautomatischen Druckblende und ihrer Abschaltmöglichkeit, die schon mit dem Primotar E einige Monate zuvor eingeführt worden war, ist insbesondere der extrasteile Schneckengang zu erwähnen, der bei einem ungewöhnlich hohem Hub von 12 Millimetern erstmals eine Naheinstellung von 34 Zentimetern bis zur Bildebene ermöglichte, ohne daß auf auszugsverlängerndes Zubehör zurückgegriffen werden mußte.
Dieses hochwertige Objektiv gab es damals nur mit Exakta-Anschluß. Die Exakta, die sich zwar 25 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen bereits auf einem absteigenden Ast befand, verkaufte sich Anfang der 60er Jahre dennoch letztmalig gut in den USA. Und die damit erzielbaren Dollardevisen sollten offenbar mit dem Jenaer Pancolar 2/50 und nicht mit dem Görlitzer Domiron verdient werden. Immerhin fiel das Domiron mit 213,- Mark genau 10% preiswerter aus als das Pancolar.
2. Das Oreston 1,8/50 mm von 1965
Aber schon ein paar Jahre später hatte sich diese Situation komplett gedreht. Mit der Hinwendung des technologischen Leitbetriebes VEB Carl Zeiss Jena auf gänzlich neuartige Tätigkeitsfelder ging dessen Engagement in den klassischen Produktbereichen wie dem Fernglas- und dem Photoobjektivbau immer deutlicher zurück. Andererseits hatte sich nach der nahezu katastrophalen Phase zu Beginn der 60er Jahre mittlerweile der DDR-Photogerätebau erfolgreich neu konsolidiert. Nach Experimenten wie der Pentina oder der Prakti, die auf den avisierten Westmärkten regelrecht ignoriert worden waren, konzentrierte man sich in Dresden nun auf den Bau von Spiegelreflexkameras der Marke Praktica, die international reißenden Absatz fanden.
Ein ungeahnter quantitativer Schub erfolgte aber, als im VEB Pentacon Dresden zum 1. August 1965 für die Montage der Praktica nova eine Fließbandfertigung eingeführt wurde [Bild: Heinz Woost, Deutsche Fotothek, Datensatz 71810371]. Alle 90 Sekunden war eine neue Praktica versandfertig (später wurde die Taktzeit gar auf 72 Sekunden verkürzt). Täglich war mit mindestens 550 Kameragehäusen zu rechnen. Die jährliche Ausstoßmenge ging somit in die Hunderttausende. Das bedeutete im Umkehrschluß, daß nun natürlich auch ebensoviele Normalobjektive bereitgestellt werden mußten. Kurz vor Anlauf der Fließbandmontage der Praktica in Dresden hatte der VEB Feinoptisches Werk Görlitz ein neues Normalobjektiv Oreston 1,8/50 mm entwickelt und zur Frühjahrsmesse 1965 vorgestellt [Vgl. Die Fotografie, 4/1965, S. 125]. Es war bei gleichem Grundaufbau also noch etwas lichtstärker als das Domiron und damit dem internationalen Niveau angepaßt. Die Optik wurde in eine moderne, hochwertige Fassung mit Automatischer Druckblende (ADB) eingebaut. Das war alles ausgesprochen zeitgemäß.
Oben: Die zweite Hälfte der 1960er Jahre war sicherlich die beste Zeit, die der DDR-Photogerätebau jemals erlebt hat. Technische Innovationen, neue Fertigungsverfahren und fortschrittliche Formgestaltung im Bunde mit gesteigerter Bedienungsfreundlichkeit. Die PRAKTICA mat basierte zwar prinzipiell nach wie vor auf der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg herausgebrachten Praktiflex, aber sie war in einer radikalen Weise umgebaut worden. Das war notwendig, um nicht nur eine Innenlichtmessung einzubauen, wie das beispielsweise auch der westdeutsche Hersteller Wirgin bei seinen Edixas tat, sondern um diesen Weg bis zum konsequenten Ende zu beschreiten, und die Innenlichtmessung zu einer gekuppelten Belichtungsautomatik auszubauen. Dazu mußte insbesondere der Schlitzverschluß der Praktica komplett umgestaltet werden. Das Feinoptische Werk Görlitz schaffte es, mit seinem neuen Oreston 1,8/50 Schritt zu halten und dieser Praktica ein wirklich adäquates Normalobjektiv zur Seite zu stellen.
Was für ein hochwertiges Objektiv dieses erste Oreston 1,8/50 gewesen ist, sieht man bei einem Vergleich mit den MTF-Kurven des Jenaer Pancolars 1,8/50mm. Abgeblendet auf den mittleren Wert 1:4,0 sind sich die beiden Objektive nämlich sehr ähnlich. Nur weitgeöffnet (hier meßgerätebedingt 1:2,0) zeigt das teurere Pancolar einen deutlichen Vorsprung bei Kontrast und Auflösung. Die Kurven sehen für uns deshalb etwas ungewohnt aus, weil hier nicht wie heute üblich die Kontrastübertragung in Abhängigkeit von der Bildhöhe, sondern in Abhängigkeit von der zu übertragenden Ortsfrequenz abgetragen ist. "M" steht jeweils für Bildmitte, "R" für Rand. Diese Messungen wurden am 16. 12. 1969 durchgeführt und sind, was den Stand der Meßtechnik angeht, garantiert überholt. Das ist aber insofern belanglos, da uns für diesen Vergleich ja nicht die Absolutwerte der Kontrastübertragung interessieren, sondern lediglich deren damals ermittelte Relation zueinander. [aus: Fotomagazin 2/1970, Seite 50.]
Es wurde offenbar eine kleine Serie des alten Oreston 1,8/50 mm für die neue Exakta RTL 1000 geliefert (oder für sie aufgebraucht). Die Serienauslieferung dieser "Exaktica" erfolgte dann aber mit einem neu entwickelten Oreston 1,8/50, das auch mit Blendenelektrik für die Praktica LLC ausgerüstet werden konnte.
3. Das Oreston 1,8/50 mm von 1969/70
Ab Herbst 1969 kam dann ein weiterer Schub. Die neue Praktica L-Reihe erlaubte durch ihren modularen Aufbau eine rationellere Montage auf kürzeren Fließbändern und damit noch größere Stückzahlen in derselben Zeitspanne. Außerdem wurde mit dem Modell LLC die Blendenelektrik eingeführt. Das verlangte einen veränderten mechanischen Aufbau der Objektive. Im Rückteil mußte genügend Raum für den exponentiellen Spannungsteiler geschaffen werden und dessen Schleifer mußte mit dem Blendenring verknüpft werden. Im Zuge dessen wurde das Oreston 1,8/50 mm noch einmal vollständig umkonstruiert – und zwar optisch und mechanisch. Der Linsenschnitt zeigt, daß nun die zweite und dritte Linse noch stärker meniskenhaft durchbogen sind. Der Aufbau erinnert ein wenig an das ältere Pancolar 1:2,0. Damit hatte man die günstigste Lösung gefunden. Dieses Normalobjektiv wurde nun mehr als 20 Jahre lang millionenfach für die Praktica L- und später auch für die B-Reihe geliefert.
Während aufgrund der guten Quellenüberlieferung zum VEB Carl Zeiss Jena mittlerweile sehr detaillierte Angaben über die Entwicklung der verschiedenen Modelle des Pancolares angegeben werden konnten, ist über den genauen optischen Aufbau der Görlitzer Orestone leider bislang nichts bekannt. Aus den Schutzrechten zum Domiron und dem im Abschnitt 5 besprochenen Pentacon 1,7/50 läßt sich aber mit Gewißheit schließen, daß auch beim Oreston/Pentacon 1,8/50 Lanthan-Schwerkrone der ersten Generation zum Einsatz kamen, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg bei Schott entwickelt wurden. Diese Glasarten SK21 bis SK24 bezeichnet konnten mittlerweile im nötigen Tonnenmaßstab mit sehr konstanten Eigenschaften zur Verfügung gestellt werden.
Als die Praktica L und die LLC auf der Herbstmesse 1969 vorgestellt wurden, hieß das neue Objektiv übrigens noch Oreston. Da jedoch der VEB Feinoptisches Werk Görlitz bereits im Jahr zuvor seine Eigenständigkeit eingebüßt hatte und in das neue Kombinat VEB Pentacon Dresden eingegliedert worden war, verschwand Anfang der 70er Jahre die Markenbezeichnung „Meyer-Optik“ endgültig von den Objektivfassungen. Nach einem kurzzeitigen Experiment mit dem Markennamen "Pentaconar" wurden die Görlitzer Objektive nun schlichtweg als „Pentacon“ bezeichnet. Etwa zum Zeitpunkt des Erscheinens der Praktica EE2 gab es ab 1977 eine schwarze Kreuzrändelfassung mit Mehrschichtvergütung. Diese basierte zunächst noch auf dem Oreston von 1969, wurde aber nach kurzer Zeit überarbeitet und erhielt die unten gezeigte Form mit einem Schieber zum Abschalten der Springblendenautomatik statt der vorigen Abblendtaste. Diese Bauform sollte nun beibehalten und bis in die Wendezeit in extrem großen Stückzahlen gefertigt werden.
Leichte gestalterische Änderungen und mechanische Weiterentwicklungen, gab es in den 70er Jahren noch, wie die Umstellung von einer Abblendtaste zum Abblendschieber, der die Druckblendenautomatik zur Rastblende werden ließ. Dann aber änderte sich bis zum Ende der DDR-Zeit an den M42-Objektiven quasi nichts mehr.
Noch eine persönliche Anmerkung zur Abbildungsleistung des Pentacon 1,8/50 mm: Ich habe dieses Normalobjektiv früher als schlechter angesehen gegenüber dem Pancolar und daher letzteres immer bevorzugt. Bei genauerer Betrachtung lassen sich jedoch kaum grundlegende Differenzen in der Bildqualität feststellen. Beide Optiken sind in Anbetracht eines auf Massenfabrikation ausgelegten Normalobjektivs und der Konstruktion in den späten 1960er Jahren erstaunlich leistungsfähig. Ein tatsächlicher Unterschied besteht allerdings in der Qualität der Fassung. Nicht nur daß beim ziemlich genau 100 Mark teureren Pancolar die Verarbeitung besser ist. Grundlegendes Charakteristikum vieler Pentacon-Objektive ist die Form der Fassungszentrierung mit drei um 120 Grad versetzten Stiftschrauben. Es ist davon auszugehen, daß bei der Produktion der Objektive diese diffizile Justage mit der nötigen Sorgfalt vorgenommen worden ist. Das schließt freilich nicht aus, daß auch mal ein "Montagsobjektiv" das Werk verlassen hat. Bei einem nicht peinlichst genau zentrierten Objektiv ist natürlich das seiner Konstruktion eigentlich inneliegende Potential völlig verdorben. Vor diesem Hintergrund ist anzumerken, daß immer wieder unqualifizierte "Reparateure" die Gewindestifte herausdrehen, um den bildseitigen Linsensatz herauszunehmen, weil die Blende verölt ist. Anschließend werden die derartig "reparierten" Pentacon-Objektive wieder als "frisch instandgesetzt" in den Gebrauchthandel gebracht. Auf diese Weise regelrecht unbrauchbar gemachte Objektive sorgen dafür, daß ahnungslose Anwender dann ob der miesen Abbildungsleistung ihres Exemplars völlig verunsichert sind.
Oben: In etwa synchron mit dem Erscheinen der Praktica EE2 um 1976/77 wurde in Görlitz auf eine dreischichtige Mehrfachvergütung ("MC") umgestellt.
Unten: Durch den für die damaligen Verhältnisse ungewöhnlich steilen Schneckengang, der von der Bildebene aus gemessen Aufnahmeabstände bis herab zu 33 Zentimeter ermöglicht, ist das Oreston bzw. Pentacon 1,8/50 auch für spontane Nahaufnahmen gewappnet. Photographiert von Dörte Krell mit der Praktica PLC3, Adox Silvermax.
4. Das Pentacon Prakticar 1,8/50 mm
Das Görlitzer Oreston 1,8/50, das sich seit seiner Einführung um 1970 bereits mehrere hunderttausend Mal verkauft hatte, wurde Ende der 70er Jahre selbstverständlich auch für die neue Praktica-Generation mit Bajonettanschluß bereitgestellt. Für die neue Praktica B200 wurde eine sehr gefällige Metallfassung entwickelt, deren Entfernungseinstellring mit einem genoppten Gummiring belegt war, der gestalterisch mit dem auffällig strukturierten Kamerabezug harmonierte. Dieser Ring war aus dem sehr widerstandsfähigem Material Chloropren-Kautschuk gefertigt (auch als Neopren bekannt). Als Vorteil brachte das mit sich, daß ein Fräsen des Kreuzrändels entfallen konnte.
Neu waren natürlich das Schnellwechselbajonett sowie die zirkulare Ansteuerung der Springblende (anstatt der bisherigen Druckstößel). Der Blendenring mußte eine genau definierte Position haben, weil die eingestellte Blendenzahl im Sucher eingespiegelt wurde. Wie unten ersichtlich ist, wurde die vordere Objektivgruppe erstmals nicht in die Fassung eingeschraubt, sondern gesteckt und mit dem sogenannten Stirnring verschraubt. Das brachte eine Verringerung des Fertigungsaufwandes mit sich.
Eine Eigenheit der Görlitzer Objektive besteht in der Art und Weise ihrer Fassungszentrierung. Beim M42-Vorgänger waren dazu um die hintere Linsengruppe herum drei um 120 Grad versetzte Madenschrauben vorgesehen. Beim Prakticar sind diese Gewindestifte dagegen im besagten vorderen Stirnring untergebracht und der Rand der Fassung des Vordergliedes ist konisch angefast. Die mechanische Zentrierung des Vordergliedes zum Hinterglied wird nun durch Verstellen dieser Schrauben vorgenommen. Das ist eine diffizile Justage, die nur im Herstellerwerk mit der nötigen Präzision vorgenommen werden kann. Bei der M42-Fassung bestand immer das Problem, daß jemand unfachmännisch diese Schrauben gelöst hatte, um eine verklebte Blende zu reinigen. Damit war stets die Zentrierung des Objektivs ein für alle Mal zerstört. Bei der Prakticar-Fassung ist diese Gefahr deutlich geringer, da sich beim mäßig festen Einschrauben des Strinringes die Vordergruppe mit ausreichender Präzision wieder von selbst positioniert.
Beim Jena Prakticar 1,8/50 mm war eine derartige Justage durch eine offenbar höhere Präzision bei der Fertigung der Fassung nicht nötig. Und da es zwischen beiden Normalobjektiven immer wieder zu Verwechslungen kommt, stelle ich sie unten einmal direkt gegenüber.
Während allerdings das Zeiss Prakticar 1,8/50 bereits 1981 wieder auslief, wurde das Pentacon Prakticar 1,8/50 noch längere Zeit mit jener sehr gefälligen Metallfassung weitergebaut. Für ein in großen Stückzahlen möglichst billig zu fertigendes Normalobjektiv war dies aber auf längere Sicht zu aufwendig, zumal die Praktica-Spiegelreflexkameras auf den Westmärkten zunehmend zur Kaufhaus- und Katalogware degradiert wurden. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre (nach Erscheinen der Praktica BC1) wurde das 1,8/50 daher auf eine rationalisierte Fassung mit weitgreifendem Kunststoffeinsatz umgestellt. Statt aufwendiger Alu-Drehteile bestanden die äußeren Fassungsteile nun aus dem thermoplastisch verformbaren Kunststoff Polycarbonat (und zwar offenbar Makrolon von der BASF), wodurch sie viel billiger und in rascher Folge im Spritzgußverfahren herstellbar waren. Es ist davon auszugehen, daß die Fertigung des Prakticar 1,8/50 "ratio" in der Folgezeit überwiegend in Rumänien erfolgte. Das war wohl auch der Grund, weshalb es neben dem Prakticar 2,4/50 noch bis weit in die 1990er Jahre für die Praktica BX20s lieferbar blieb, als in Görlitz längst schon die Lichter ausgegangen waren...
Das Pentacon Prakticar 1,8/50 "ratio": Die äußeren Fassungsteile wurden weitgreifend durch Kunststoff ersetzt, wodurch das Objektiv spürbar leichter ausfiel. Die größere Kompaktheit ist aber eher auf die Verkürzung des Hubs des Schneckenganges erreicht worden, weshalb nur noch eine Naheinstellung bis 45 cm möglich war. Optisch ist es mit dem seit Ende der 60er Jahre gefertigten Oreston identisch. Es wurde offenbar zu großen Teilen in Rumänien gefertigt.
Das Görlitzer Prakticar 1,8/50 in seiner ursprünglichen Metallfassung bei offener Blende: Der Kontrast ist gemildert, die Schärfe ist sanft, die Ecken vignettieren ein wenig. Aber das ist bei den Normalobjektiven 1:1,8 bzw. 1:1,7 der Mitbewerber aus dieser Zeit auch nicht anders. Bereits bei geringer Abblendung steigt die Bildleistung dieser Gaußtypabwandlungen meist rasch an. Praktica B200, Portra 160.
Dasselbe Pentacon Prakticar 1,8/50 an der Praktica B200. Agfapan APX 400 aus der letzten Leverkusener Produktion. Man sieht, daß sich ein Normalobjektiv im Notfall auch für Portraits nutzen läßt. Die geringen perspektivischen Verzerrungen durch den zu kurzen Aufnahmeabstand fallen meist noch nicht übermäßig auf. Wichtig ist nur, die Blende möglichst weit zu öffnen, um störende Einzelheiten im Bildhintergrund vollständig in Unschärfe aufzulösen, damit dort befindliche Äste oder Straßenschilder nicht aus dem Kopf und Körper "herauszuwachsen" erscheinen.
5. Ein Pentacon 1,7/50 mm asph. ?
In der Zeit, da Meyer-Optik Görlitz gerade vollständig in das Kombinat Pentacon Dresden integriert wurde, arbeiteten Wolfgang Gröger und Otto-Wilhelm Lohberg an einem Nachfolger für das Oreston/Pentacon 1,8/50. Die Lichtstärke sollte nur geringfügig auf 1:1,7 angehoben, dafür jedoch die Bildleistung deutlich verbessert werden; und zwar ohne von den bisher verwendeten Glasarten abgehen zu müssen. Die Patentschrift Nr. DD105.517 vom 6. April 1973 weist in den Linsen 1; 5 und 6 ein Glas aus, das dem Schwerkron SK22 des Jeaner Glaswerks entsprochen haben dürfte. Dieses Lanthankron wurde nachweislich auch im Zeiss Pancolar 1,8/50 von 1967 verwendet und man kann davon ausgehen, daß ebenso das ab 1969 angebotene Oreston 1,8/50 auf diesen LaK-Gläsern der "ersten Generation" aufbaute. Diese konnten mittlerweile preiswert in Massen ausgestoßen werden und der Hersteller war sehr daran interessiert, für einen Nachfolger möglichst keine noch teureren Gläser einsetzen zu müssen. Wie beim Pancolar von 1967 wurde auch bei diesem neuen Pentacon-Normalobjektiv zur Verbesserung der Korrektion eine Luftlinse eingeführt; hier jedoch in der vorderen Systemhälfte (Schutzanspruch 1).
Bemerkenswert ist jedoch, daß diese Objektivkonstruktion parallel auch dahingehend ausgelegt war, den Radius Nummer 6 – also die Konkavseite der dritten Linse – asphärisch auszulegen, um die Kontrastleistung weiter anzuheben (Schutzanspruch 2). Die Deformation dieser Fläche war mit der Beziehung
O = z - 0,03388z² - 0,827u - 0,00012u² + 0,000067u³
angegeben, wobei der Ausdruck z die Pfeilhöhe bezeichnet und u einen Parameter darstellt, der als u = (0,2h)² definiert ist, wobei h den Abstand von der optischen Achse angibt.
Das war natürlich ein sehr moderner Ansatz, der seiner Zeit voraus gewesen wäre. Asphären bei Massenobjektiven waren damals noch international unüblich. Wenig später schon haben aber japanische Firmen beispielsweise Normalobjektive mit der Lichtstärke 1:1,2 auf den Markt gebracht, die tatsächlich sowohl in einer sphärischen wie in einer asphärischen Variante erhältlich waren. Diese ohnehin schon preisintensiven Objektive wurden dadurch noch einmal ein ganzes Stück teurer, ohne daß in der Praxis auf normalen Filmmaterialien immer ein nennenswerter Unterschied zu sehen gewesen wäre. Der weitgreifende Einsatz deformierter Linsenflächen hat sich dann erst in den 90er Jahren durchgesetzt – und zwar verblüffender Weise ausgerechnet in preiswerten Massenzooms, insbesondere um durch eine Verringerung der Linsenzahl eine besonders kompakte Bauweise zu erzielen.
Leider wurde dieses mit einer zusätzlichen Luftlinse versehene, leistungsmäßig verbesserte Pentacon 1,7/50 mm – auch ohne den asphärischen Schliff – nicht in die Produktion überführt. Es blieb bis zum Ende der DDR bzw. der Objektivfertigung bei IOR Bukarest beim 1,8/50 von 1969/70.
Marco Kröger, April 2016
letzte Änderung: 1. Oktober 2024
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