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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Carl Zeiss Jena 1950er
Stellen Sie sich einen Großbetrieb vor, in dem quasi kaum noch eine Maschine steht. Ein Teil der Gebäude zerbombt oder ausgebrannt, die anderen leergeräumt. Nach den Demontagen von 1946/47 war die einstmals bedeutendste optisch-feinmechanische Fertigungsstätte der Welt nurmehr noch ein Schatten ihrer selbst. Und als wäre dieser materielle Verlust nicht schon schlimm genug gewesen: Bereits ab Juni 1945 waren erst die Fertigungsunterlagen und später auch fast 50 der führenden technisch-wissenschaftlichen Mitarbeiter nach Westen abtransportiert worden. Die Sowjetische Besatzungsmacht requirierte einige Monate später noch einmal das fünffache solcher Spezialisten [Walther, Zeiss 1905-1945, 2000, S. 294]. Damit war dem Zeisswerk im Frühjahr 1947 nicht nur der Kopf, sondern auch die Hände abgeschnitten worden. Einem der großen Schlüsselbetriebe der Deutschen Rüstungsindustrie, dem auf mittelbare Weise ein gewichtiger Beitrag am Wahnwitz des Zweiten Weltkrieges zugeschrieben werden muß, war nunmehr der Gar ausgemacht worden. Dieses Resultat kann man als Preis dafür ansehen, sich so treulos vom Lebenswerk eines Carl Zeiß und vom Stiftungsgedanken eines Ernst Abbe entfernt zu haben.
Oben: "Für Führer, Volk und Vaterland!" - Über die Rolle der Zeiss'schen Werkstätte im Nationalsozialistischen Verbrecherregime braucht man sich keine Illusionen zu machen.
Unten: Blick auf Teile des zerstörten Zeisswerkes (rechts der Bau 15) am 17. April 1945. Nach Zeitzeugenaussagen waren die Reparaturen und Aufräumarbeiten bereits weit fortgeschritten, als anderthalb Jahre später die sowjetischen Demontagen begannen. Aufgenommen von W. E. Williams; National Archives, College Park, USA. Vielen Dank an Herrn Dr. Volker Tautz für den Hinweis, daß das Original dieser Aufnahme seitenverkehrt digitalisiert wurde.
Vor diesem Hintergrund sollte auch stets die Wiederaufbauphase der folgenden Jahre betrachtet werden. Schrade und Schomerus waren geradezu eine Antithese zu Küppenbender und Consorten, auch wenn sie am Ende nicht verhindern konnten, daß das Jenaer Zeisswerk mehr und mehr zum sozialistischen Vorzeigebetrieb und zum Privilegierungsgaranten für den Machtanspruch der SED-Führung herhalten mußte. Aber unser Blick auf den DDR-Betrieb Zeiss Jena ist eben heute durch die Endphase dieses Staates überprägt, als eine kleine Führungsclique das Land in beinah totaler Manier beherrschte, und neben Günter Mittag nun eben gerade der Kombinatsdirektor Wolfgang Biermann zum Sinnbild dieses Machtmißbrauchs geriet.
Es ist wieder einmal Wolfgang Schröter zu verdanken, daß wir einen eindrucksvollen Einblick in jene Aufbauphase genießen können. Seine Agfacolor-Aufnahmen vom August 1954 zeigen ein gesundetes Zeisswerk, in dem neue, junge und vor allem auch auffallend viele weibliche Fachkräfte tätig sind. Die Photos vermitteln durchaus, was die beinah legendäre Gruppe der „Zeissianer“ ausgemacht hat, ohne daß übermäßige "Schönung" zu befürchten ist. Dieser Geist war also offenbar immernoch da. Und auch die Arbeitsweise erinnert noch an die „gute alte Zeit“. Viel Handarbeit. Kaum Automation. Man beachte, wie damals noch die Fassungen gedreht wurden. Auch das Gravieren der Skalen verlangte sehr viel Erfahrungswissen und Geschick. Wenn heute Sammler nach Unterschieden zwischen Objektiven derselben Gattung suchen, dann sollten sie sich einmal diese Bilder vor Augen führen. Ein anderer Arbeiter, eine anders eingerichtete Maschine – und schon ergeben sich die vielen kleinen Unterschiede in gewissen Abmaßen und im Gravurbild. Objektivbau war damals noch alles andere als Massenfabrikation.
Glaschneider bei der Arbeit. Das aus dem Glaswerk gelieferte Rohmaterial wird in die notwendige Größe geteilt.
Arbeiten an der Linsenschleifmaschine.
Prüfen der auf einer Polierkalotte aufgekitteten Linsen mithilfe eines Probeglases. Anhand der Interferenzerscheinungen kann der Fachmann die Maßhaltigkeit beurteilen.
Drehen und Gravieren der Fassung. Bei diesen Arbeitsgängen wird ganz besonders deutlich, daß wir uns in einer Zeit vor jeglicher rechnergestützten Metallbearbeitung befinden. Hier war viel Erfahrung und Feingefühl nötig. Trotzdem glaube ich nicht, daß diese jungen Damen nur für den Photographen an die Maschine gestellt wurden. Zumindest in der Produktion wurden Frauen nun gleichberechtigt eingesetzt.
Montieren und prüfen der Objektive.
Alle Aufnahmen von Wolfgang Schröter, Deutsche Fotothek.
Man vergleiche einmal diese beiden Werbeanzeigen, um die wirkliche Aufbauleistung bei Carl Zeiss Jena in den 1950er Jahren abschätzen zu können. Die obige vom Beginn, die untere von kurz vor dem Ende dieses Jahrzehnts. Nach und nach hatte man sich in Jena vom Stand des bis 1939 Erreichten emanzipiert. Aber nicht nur die neuen Objektivkonstruktionen per se, sondern auch die auf ein vorher nicht gekanntes Niveau gebrachte mechanische Ausgestaltung der Objektivfassungen nötigen uns heute so einigen Respekt ab. Es genügt wohl, wenn ich darauf hinweise, daß einige dieser 1959 herausgebrachten Objektive über mehrere Jahrzehnte hinweg so geliefert wurden – und zwar ohne daß sie dabei komplett veraltet gewesen wären!
Tessar 4,5/40 mm
Dieses Zusatzobjektiv geht wie das Biotar 75mm auf das Jahr 1938 zurück. Welche Tür die Kleinbild-Exakta damals aufgestoßen haben muß, kann man daran ablesen, wie schnell die Objektivhersteller mit speziell für diese Kamerabauart ausgerichteten Objektiven reagierten. Denn dieses Objektiv ist explizit für die Spiegelreflex geschaffen worden. Der Klappsiegel der einäugigen Reflex braucht aus rein mechanischen Gründen so viel Raum, daß die Schnittweite nicht kürzer als ca. 38mm werden darf, sonst würde dieser schlicht an der Rücklinse anstoßen. Mit 40 mm Brennweite war also zu dieser Zeit die kürzeste Brennweite eines Weitwinkelobjektivs erreicht.
Dieses Tessar 40mm war eines derjenigen Objektive, die in Jena kurz nach dem Kriege neu berechnet und damit der aktuellen Glastechnologie angepaßt worden sind (April 1948). Herausgekommen ist ein Objektiv, das wohl einen der besten Kompromisse zwischen Preiswürdigkeit und Bildleistung darstellt. Es kostete in den 1950er Jahren vergleichsweise moderate 184,- Mark und macht, wenn man von der prinzipbedingt hohen Vignettierung absieht, heute selbst an einem digitalen Vollformatsensor eine gute Figur. Das ist schlicht der Tatsache geschuldet, daß es sich in der Lichtstärke bescheidet. Dadurch konnte man beim Tessartyp bleiben, der sich nicht nur auf dem Papier hoch auskorrigieren ließ, sondern den man auch noch in der Massenfertigung mit konstanter Qualität fabrizieren konnte. Denn es gilt der alte Spruch: Es genügt nicht, ein hochwertiges Objektiv zu berechnen; man muß es auch herstellen können!
In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis, der übrigens auch für andere M42-Objektive aus dieser Zeit gilt (wie dem Biotar 1,5/75 oder dem Flektogon 2,8/35): Diese Objektive haben einen Rand hinter dem Gewindeanschluß, der konisch zuläuft und eigentlich das Ansetzen des Objektives an die Kamera erleichtern sollte. Als ab 1956 bei der Praktica FX2 die Blendenautomatik eingeführt wurde, war dieser Rand im Wege, sodaß der Betätigungsmechanismus im Spiegelkasten abschaltbar ausgeführt wurde. Das wurde bei allen Prakticas mit Tuchverschluß beibehalten. Mit Einführung der L-Reihe 1969 wurde die Abschaltbarkeit aufgegeben, mit der Folge, daß diese alten Objektive mit dem Rand nicht mehr verwendbar waren. Die Kamera blockiert dann regelrecht. Deshalb wurden bei vielen dieser Objektive dieser Rand – mal mehr, mal weniger professionell – nachträglich entfernt oder nur eingekerbt (siehe rechtes Bild). Damit waren diese Objektive auch weiterhin an den neuen Modellen der Praktica verwendbar. Auch für die Benutzung am M42-Adapter der Praktica B (sowie an einigen Adaptern für Digitalkameras) ist diese Modifikation unabdinglich.
Triotar und Sonnar 4/135
Das Triotar 4/135mm ist für mich das rätselhafteste Kleinbildobjektiv von Carl Zeiss Jena. Es gehört zu denjenigen Objektiven, die 1938 im Zuge der aufkommenden Kleinbildspiegelreflex-Sparte neu geschaffen wurden. Ein Jahr später wurde die Konstruktion noch einmal neu berechnet. Rätselhaft ist es für mich deshalb, weil mit dem Sonnar 4/135 bereits seit 1931 ein langbrennweitiges Objektiv mit denselben Daten zur Verfügung stand. Dieses wurde für die Contax Sucherkameras angeboten. Nun könnte man meinen, das Sonnar hätte sich aus irgendwelchen Gründen nicht für die Spiegelreflexkamera geeignet und man habe daher zusätzlich das Triotar geschaffen, das mit seiner langen Schnittweite problemlos an jeder Kleinbildspiegelreflex verwendet werden kann.
Jetzt aber kommt das Verblüffende: Im Jahre 1957 wird das Sonnar 4/135 plötzlich in den Fassungen für die damals üblichen Kleinbildspiegelreflexkameras angeboten. Und zwar nicht, wie man annehmen könnte, nach einer Neuberechnung – nein, in einer Rechnung von 1937! Da fragt man sich doch, wieso man das nicht 20 Jahre vorher gleich so gemacht hat.
Um nicht mißverstanden zu werden: das Triotar 135 ist ein herausragendes Objektiv. Hier hat man alles „herausgeholt“, was mit einer Tripletkonstruktion möglich ist. Im direkten Vergleich sieht man aber, daß das Triotar etwa die Hälfte länger ist als das Sonnar. Und damit ist es als lange Brennweite zum immer dabei haben ziemlich unhandlich geraten. Sonnare sind zwar keine "echten" Teleobjektive (sondern ebenfalls Abkömmlinge des Triplets), aber aufgrund ihrer inneren Brechkraftverteilung haben sie im Vergleich zu ihrer Brennweite eine kurze Baulänge. Da kann das Triotar nicht mithalten. Die drei Linsen befinden sich beim Triotar ganz weit vorn in Objektiv, der Rest des Tubus beinhaltet nichts als Luft. Vielleicht hat man das 1957 eingesehen, als man das gute alte Sonnar wiederentdeckte. Nach dem Wechsel zu diesem wird die Produktion des Triotars nämlich im darauffolgenden Jahr eingestellt.
Das Sonnar 135mm ist dagegen wohl das erfolgreichste Zusatzobjektiv, das Carl Zeiss Jena jemals hergestellt hat. Es wurde von Ludwig Bertele im Jahre 1931 zur Contax I geschaffen und bis zum Ende der Abteilung Photo des Zeisswerks nicht weniger als sechs Jahrzehnte lang hergestellt. Im März 1965 wurde zwar die Lichtstärke leicht auf 1:3,5 erhöht; am Grundaufbau dieses Sonnars änderte sich hingegen nichts. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie man mit möglichst wenig Aufwand ein möglichst hochwertiges Objektiv zustande bringt, das selbst heute, 85 Jahre nach seinem ersten Erscheinen, qualitativ zu überzeugen weiß.
Nachtrag: Mittlerweile meine ich, recht gut erklären zu können, weshalb es neben einem Sonnar 135mm ein Triotar derselben Brennweite gegeben hat. Die Hintergründe dazu habe ich hier und hier näher aufgeschlüsselt. Kurz zusammengefaßt: Das Sonnar war schlichtweg ein Produkt, das zwar aus dem Zeisskonzern stammte, aber eben nicht in der "Zentrale" in Jena entwickelt wurde, sondern bei der Konzerntochter in Dresden – obendrein noch im Stammwerk des ehemaligen Konkurrenten Ernemann. Meinem Eindruck nach waren die damals quasi konkurrenzlosen Sonnare fast ausschließlich als Standarbestückung für Zeiss-Ikon-Kameras reserviert. Jena blieb dabei lediglich die Rolle des Fabrikanten. Wenn die Konzernmutter Carl Zeiss hingegen Objektive für Kamerhersteller außerhalb des Konzerns herstellte, dann dominierten überraschend auffällig Objektive, die (extra) im Jenaer Konstruktionsbüro entwickelt worden waren. Im Falle von lichtstarken Normalobjektiven wurden dann die Sonnare durch Biotare ersetzt und die längerbrennweitigen Sonnare eben beispielsweise durch Triotare. Es spricht Bände, daß dieses Gefüge, das Teils als Konzernstrategie gedeutet werden muß, teils aber offenbar auch gegenseitigen Animositäten entsprang, erst im Laufe der 1950er Jahre aufgelöst werden konnte – anderthalb Jahrzehnte nachdem Ludwig Bertele sein Wirken bei Zeiss Ikon beendet hatte.
Ganz ohne Bewußtsein darüber, daß das Sonnar 4/135 prinipiell auch für die Kleinbildreflexkamera geeignet ist, kann man bei Carl Zeiss Jena nicht gewesen sein. Das beweist dieses 135er Sonnar aus dem Jahre 1949, das eigentlich einer Serie von 600 Objektiven für die Contax Meßsucherkamera entspringt, aber offensichtlich ab Werk für Exakta "umgefaßt" wurde. Man erkennt dies am Ausschnitt im Bajonettring, um die Schärfentiefengravur nicht zu überdecken. Das war eine Verlegenheitslösung, da die Objektivfassung für die Meßsucherkamera (die ja keinen Spiegelkasten hat) ursprünglich länger gewesen ist. Ich kann mir gut vorstellen, daß nach der Verlagerung der Contax-Fertigung in die Ukraine keine 600 Sonnare mehr für die Contax absetzbar waren; zumal auch Zeiss Opton dieses Objektiv frühzeitig im Angebot hatte. Also hat man offenbar Linsengruppen in eine nur notdürftig angepaßte Fassung für Reflexkameras montiert, die auch meßsuchertypisch keine Geradführung hat. Dadurch wirkt das Sonnar geradezu winzig.
Hier sieht man ein Sonnar 4/13,5cm, das im Sommer 1936 hergestellt wurde als die ersten Contax II und Contax III in den Geschäften auftauchten. Typisches Merkmal jener Zeit: Die äußerst schwere Messingfassung mit ihrer Vollverchromung. Bei diesem Exemplar liegt noch Berteles ursprüngliche Rechnung vom 8. Oktober 1931 zugrunde (insgesamt knapp 6000 Stück hergestellt). Ein knappes Jahr später wurde dann eine Neuberechnung vom 14. Januar 1937 in die Produktion eingeführt, die in der DDR bis zum April 1965 verwendet wurde (insgesamt etwa 83.000 Stück). In der Sowjetunion wurde diese Version wohl bis weit in die 90er Jahre verwendet. Zeiss JENA hat das Sonnar 4/135 aber paradoxerweise zum 2. März 1965 nochmals neu gerechnet, obwohl am darauffolgenden Tag die Rechnung des Nachfolgers Sonnar 3,5/135 fertiggestellt wurde. Dieses letzte 4/135 (knapp 22.000 Stück) wurde dann auch nur bis zum Sommer 1969 gefertigt und zwar (von einem Fertigungslos mit 900 Exemplaren abgesehen) alle ausschließlich mit Exakta-Anschluß. Weshalb trotz der weiterentwickelten Version mit der Lichtstärke 1:3,5 noch einmal der lichtschwächere Typ 1:4,0 nicht nur weiterproduziert sondern sogar noch einmal neu gerechnet wurde, scheint mir sehr schleierhaft. Unter Umständen vignettierte diese lichtschwächere Version weniger am einfachen Klappenverschluß der Exa 1a.
Demgegenüber entwickelte sich der besagte Nachfolger 3,5/135 zum absoluten Verkaufsschlager und zum Dauerbrenner. Bis zum Auslaufen der Produktion im Februar 1988 wurde kaum weniger als ⅓ Million (!) dieses Objektivs mit M42-Anschluß hergestellt. Dazu kamen noch knapp 30.000 Stück als Prakticar 3,5/135 mit Praktica B-Anschluß. Berücksichtigt man obendrein noch die Exemplare, die in Oberkochen und Kransogorsk nach 1945 gefertigt wurden, kann man konstatieren, daß Ludwig Berteles 135er Sonnar das erfolgreichste Zusatzobjektiv der Geschichte sein dürfte.
Sonnar 2,8/180 mm
Über das Olympiasonnar muß man ja eigentlich nicht viele Worte verlieren; es wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder gebührend ob seiner Leistung gelobt. Die erste optische Rechnung dieser Legende wurde am 12. Februar 1936 fertiggestellt. Wenn also sein weltberühmter Name davon herrührt, daß dieses Objektiv bereits bei den Winterspielen 1936 zum Einsatz kam, dann muß es sich dabei um Musterobjektive gehandelt haben, denn wie man im „Thiele“ nachlesen kann, wurde die Fertigung der Nullserie am 18. Februar 1936 begonnen – zwei Tage nach der Schlußfeier.
Der regimetreue Bildberichterstatter Lothar Rübelt mit einem Musterexemplar des "Olympiasonnars" auf der namensgebenden Sportveranstaltung [nach Zeiss Ikon: Phototechnik, Heft 2/1936, S. 185]. Auch wenn man dem damaligen Zeitgeist entsprechend die Montierung auf dem Gewehrkolben als besonders chic empfunden haben mag, so war diese wohl kaum dazu geeignet, die Leistungen dieses Objektives voll auszuschöpfen – trotz der ungewöhnlich langen Entfernungmesser-Basis der eingesetzten Contax I. Die Meßsucherkameras Contax II und III wurden dann übrigens zwei Wochen später auf der Frühjahrsmesse 1936 (1. bis 9. März) vorgestellt.
Richtig durchsetzen konnte sich diese Meisterleistung Ludwig Berteles eh erst, nachdem für die Contax Meßsucherkamera ein Spiegelreflexansatz geschaffen worden war. 180mm Brennweite und eine Öffnung von 1:2,8 – das ist nur in Verbindung mit einer Mattscheibeneinstellung wirklich sinnvoll nutzbar. Denn dieses Objektiv war von Anfang an offenblendentauglich, auch wenn es dasjenige Jenaer Objektiv ist, das am meisten neu berechnet worden ist. Nach derjenigen von 1936 gab es eine Rechnung von 1939; 1940; 1949; 1959 und 1969. Ab 1959 war dieses Objektiv explizit auf den Bildkreis des Mittelformates 6x6 und auf die automatische Springblende hin optimiert worden. Die ältere Version mit dem Wechselsockel war eigentlich für das Stummfilmformat 18x24 mm und das Kleinbild 24x36 mm gerechnet. Sie wurde aber in den 1950er Jahren dennoch unter Verwendung eines entsprechenden Adapters der Firma Kurt-Dieter Huffziger (Leipzig) auch an der Praktisix mit bestem Erfolg eingesetzt . Dieser Umstand mag für Zeiss Jena der Auslöser gewesen sein, das Olympiasonnar nicht nur optisch, sondern vor allem auch mechanisch komplett zu überarbeiten. Mit der Vollautomatischen Springblende wurde dieses Objektiv noch einmal auf ein völlig neues Niveau gehoben. Als mittelformatige Portraitbrennweite mit automatischer Springblende ist das Sonnar 180 auch heute noch heiß begehrt. An einer Spiegelcontax und mit Vorwahlblende brauchte man zuvor jedoch einiges an Geduld und Übung, um zu verwertbaren Bildern zu kommen. Kaum hatte man den Blendenring auf den Arbeitswert gedreht, war das Motiv schon wieder aus der Schärfeebene entschwunden... ;-)
Mit dem besagten Adapter von Huffziger begannen Besitzer der Praktisix Ende der 50er Jahre, das alte Sonnar an dieser Mittelformatkamera zu verwenden. Anstelle eines langbrennweitigen Sportobjektivs für Kleinbild- und Normalfilmkameras wurde es nun auf einmal zum gefragten Portraitobjektiv für das 6x6 Format. Dieser zweite Frühling des Olympiasonnars hält bis heute an.
Unten: Ein mit der oben gezeigten Ausrüstung aufgenommenes Bild; 1/500 Sekunde Blende 4; Ektar 100. Man muß schon sehr weit in das Bild hineinzoomen, um an harten Übergängen (z.B. beim Blinklicht in der Mitte des Andreaskreuzes) blaue Ränder infolge chromatischer Abweichung auszumachen. Das ist aber heute auch nur deshalb erkennbar, weil es derart hochauflösendes Farbmaterial gibt, von dem man vor mehr als 60 Jahren noch nicht zu träumen gewagt hätte. Volle Auflösung hier: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/09/Bahn%C3%BCbergang_Blankenfelde.jpg
Dieses 180er Sonnar mit Vorwahlblende kostete in den 50er Jahren stolze 688,- Mark. Damit war es eines der teuersten Zeissobjektive jener Epoche. Aber es war natürlich auch eines der exklusivsten.
Ein Olympiasonnar, das an den Leitz Spiegelkasten "Visoflex" angeschlossen werden kann – das gab es industriell nicht. Diese Ost-West Vereinigung geht auf mein Konto. Dabei ist die Kombination vergleichsweise leicht und liegt gut in der Hand. Das Sucherbild des Visoflex ist mit dem lichtstarken 180er hell und es läßt sich sehr gut scharfstelllen. Es hat zwar auch in geringen Stückzahlen ein sogenanntes Tele-Elmarit 2,8/180 für den Reflexkasten gegeben, das wurde aber offenbar nur in den USA angeboten und von Schneider Kreuznach gefertigt.
Robert Geißler und sein Retrofokus 2/35 mm
Am Schluß noch ein Objektiv, das leider nicht in die Produktion gelangte. Es wurde auch nicht in Jena entwickelt, sondern im VEB Zeiss Ikon Dresden. Erfinder war Robert Geißler, der in der DDR Pionierarbeit auf dem Sektor der Zoomobjektive geleistet hat. Das Zeiss Ikon Pentovar 2/30-120 mm war eines der ersten variofokalen Objektive für das professionelle 35-mm-Kinoformat. Es kam erstmalig in dem bekannten DEFA-Märchenfilm "Die Geschichte vom Kleinen Muck" zum Einsatz [Vgl. Sbrzesny, Peter: Aufnahmen mit dem Pentovar in der Filmpraxis; in: Bild & Ton, Heft 7/1956, S. 180]. Auch das Pentovar 2,8/15-60 mm für die 16-mm-Spiegelreflexkamera AK16 bzw. Pentaflex 16 geht auf Geißler zurück.
Vario-Objektive und Retrofokus-Weitwinkelobjektive zeigen eine enge Verwandschaft zueinander. Beide bestehen aus einem Grundobjektiv mit fester Brennweite, denen ein afokaler Vorsatz zur Veränderung dieser Brennweite vorgesetzt ist. Beim Retrofokus-Weitwinkel wirkt dieser Vorsatz stets verkleinernd. Mit diesem optischen Trick erzielt man eine Schnittweite, die deutlich länger ist als die Brennweite des Gesamtobjektivs, was Voraussetzung ist, um Weitwinkelobjektive an Einäugigen Spiegelreflexkameras verwenden zu können.
Daß im Gegensatz zu den beiden Pentovaren dieses für damalige Verhältnisse sehr lichtstarke Weitwinkelobjektiv nicht mehr in Serie ging, könnte auch am persönlichen Schicksal Robert Geißlers gelegen haben, denn sein diesbezügliches Patent Nr. DD29.575 vom 17. November 1959, das erst Mitte der 60er Jahre veröffentlicht wurde, weist den Erfinder bereits als verstorben aus. Dieses Objektiv mit seinen sieben einzelnstehenden Linsen wäre sehr modern aufgebaut gewesen.
Marco Kröger 2016
letzte Änderung: 26. Februar 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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