zeissikonveb.de
Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Carl Zeiss Jena 1980er
B-Bajonett und nichtproduzierte Neuentwicklungen
1. Die letzte große Produktinitiative aus Jena
Auf der Leipziger Frühjahresmesse 1979 gab es von Seiten Carl Zeiss JENAs einen regelrechten Reigen an neuentwickelten Objektiven, den es in diesem Ausmaß seit fast 20 Jahren nicht mehr gegeben hatte. So wie im Frühjahr 1960 etliche neu- und umkonstruierte Objektive mit der Automatischen Springblende vorgestellt wurden, so waren es 1979 die Neuerscheinungen für das Praktica B-Bajonett, die endlich wieder einmal für Aufsehen im ansonsten sträflich vernachlässigten Photogerätemarkt der DDR sorgten. Ein Teil davon waren bereits bekannte Konstruktionen, die in den letzten Jahren für das M42-Gewinde eingeführt worden waren und nun lediglich auf das neuentwickelte Praktica Bajonett umgebaut wurden. Dazu zählten die Prakticare 2,8/20; 2,4/35; 1,8/50; 1,8/80 und 3,5/135. Daneben standen aber auch einige bemerkenswerte Neukonstruktionen, nämlich ein Prakticar 2,4/28; ein Prakticar 1,4/50; ein Macro-Prakticar 2,8/55; ein Prakticar 2,8/200 und ein Prakticar 4/300. Aber nur das 1,4/50, das 300er und das Makroobjektiv wurden in nennenswerten Stückzahlen gefertigt. 1987 kamen noch zwei Varioobjektive hinzu, die aber auch nur sporadisch produziert wurden und extrem teuer ausfielen.
Dabei hat es nicht an Engagement gefehlt. Es ist nur kaum noch etwas aus diesen Entwicklungsarbeiten produktionswirksam geworden. So hatten Harald Maenz in Zusammenarbeit mit Christine Thiele mit dem Vario-Sonnar 4/80-200 mm ein wirklich zeitgemäßes Telezoom entwickelt, das aber erst kurz vor der Wende in geringen Mengen fabriziert wurde. Auch ihr Prakticar 2,8/200 mm wurde nach kurzer Zeit ersatzlos gestrichen. Auch Eberhard Dietzsch hat noch bis in die Mitte der 1980er Jahre versucht, Zeiss-Photoobjektive so zu verbessern, daß sie mit internationalen Trends mithalten konnten. Das bedeutete namentlich: Wenn überhaupt noch Festbrennweiten, dann mußten diese sehr lichtstark sein und gleichzeitig kompromißlose Abbildungsleistungen aufzuweisen haben. So hatte Dietzsch beispielsweise mithilfe zweier Schritte (1980 und 1984) erreicht, die Leistung "seines" Flektogons 2,8/20 mm zu verbessern und sogar auf die Lichtstärke von mindestens 1:2,4 zu bringen. Mit seinem Patent Nr. DD221.850 vom Januar 1984 sind außerdem Bestrebungen erkennbar, ein lichtstarkes Teleobjektiv (mit etwa den Daten 2,2/200 mm) zu schaffen, das mit einer modernen Innenfokussierung ausgestattet sein sollte. Eberhard Dietzsch muß wohl als einer der bedeutendsten deutschen Photooptiker der Nachkriegszeit bezeichnet werden; eine Einschätzung, die bislang ganz allein dadurch vereitelt worden ist, daß etliche seiner wertvollen Erfindungen nicht mehr in die Fertigung gelangten.
Im September 2024 hat Dr. Eberhard Dietzsch seinen 90. Geburtstag begangen. Seit den späten 1950er Jahren war er bei Zeiss Jena an der Entwicklung im Spezialgebiet der Retrofokus-Weitwinkelobjektive beteiligt. Sein Flektogon 2,8/20 mm von 1971 kam erst verspätet in Produktion, dessen Weiterentwicklungen verschwanden dann gänzlich in der Schublade. Photo: Detlev Vreisleben (2006).
Es stellt sich nun die Frage, wie es trotz der riesigen wirtschaftlichen Bedeutung, die die Photoindustrie für das kleine Land nach wie vor hatte, dazu kommen konnte, daß diese Erfindungen nicht mehr produziert worden sind. Immerhin wurde der absolute Höchstwert an hergestellten Spiegelreflexkameras mit fast 450.000 Stück im Jahre 1984 erreicht, wovon fast zwei Drittel in westliche Länder exportiert wurden. Die Ursache dafür ist darin zu suchen, daß dieses kleine Land mit seiner zentral gelenkten Planwirtschaft in den 80er Jahren sukzessive auf seinen wirtschaftlichen Kollaps zusteuerte und dringende Investitionen in die technische Weiterentwicklung der Betriebe zuzunehmend ausblieben. Diese Lage verschlechterte sich noch, nachdem die DDR-Photoindustrie im Jahre 1985 dem der VEB Carl Zeiss JENA einverleibt worden war. Bei Zeiss war schon zuvor das Interesse am Photoobjektivbau arg geschwunden und es wurde mit dem Gedanken gespielt, die Produktion in Saalfeld einzustellen und gänzlich nach Görlitz zu verlagern. In Jena wurden große Summen in Prestigeprojekte wie die Speicherschaltkreise investiert, oder in Entwicklungen für das Militär und die Stasi.
Die oben gezeigten Ausschnitte aus einem Dokument des Ministeriums für Staatssicherheit von 1984 sollen einmal einen Eindruck vermitteln über die intensive Einbindung dieses Hochtechnologie-Betriebes VEB Zeiss JENA in die Entwicklung und Produktion von Beobachtungstechnik für den DDR-Überwachungsstaat. Auch Dr. Dietzsch hatte für diese Programme Entwicklungsarbeit zu leisten. Es war natürlich illusorisch, daß die beteiligten Konstrukteure und Wissenschaftler sich nicht denken konnten, wofür ihre Entwicklungen wohl am Ende eingesetzt werden würden.
Die dahingehende Schlüsselperson, der Kombinatsdirektor Wolfgang Biermann, wird mit der Aussage vor versammelter Mannschaft zitiert, er habe "kein Interesse an Fotografie" [Vgl. Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 207]. Und da letztlich der Werdegang der DDR mitsamt ihrer Wirtschaft von den Entscheidungen weniger Herren abhing, zu denen Biermann engen Kontakt pflegte und sie wiederum zu ihm, geriet dessen persönliche Auffassung zum Schicksalspruch über die Abteilung Photo des Zeisswerkes. Die Aussage von Gerhard Jehmlich "Der VEB Carl Zeiss Jena hatte allerdings seine führende internationale Bedeutung auf diesem Gebiet in den 1980er Jahren auf jeden Fall kommerziell – und teilweise auch wissenschaftlich – längst verloren" [Jehmlich, Pentacon, 2009, S. 206.] ist so richtig, wie sie ungerecht ist. Ähnlich wie im DDR-Automobilbau, wurden durchaus Spitzenprodukte entwickelt, die jedoch anschließend in der Schublade landeten. Als wäre das noch nicht demotivierend genug für die Objektivkonstrukteure gewesen, mußten diese noch jahrelang um die Anerkennung und finanzielle Vergütung für ihre Erfindungen kämpfen. Ein Beispiel dafür liefere ich in Bezug auf das Prakticar 1,4/50mm.
2. Ein Photomarkt im Umbruch
Trotz einiger Neuerscheinungen zu Beginn des Jahrzehnts war der DDR-Photomarkt der 80er Jahre also weitgehend durch Stagnation geprägt. Die meisten der Objektive, wie beispielsweise das unten gezeigte Exemplar des Flektogons 4/50 mm aus dem Jahre 1989, waren mittlerweile seit durchschnittlich einem Vierteljahrhundert im Programm.
Man kann diesen Gesichtspunkt natürlich auch komplett umkehren und konstatieren: Wie weit fortgeschritten der DDR-Objektivbau in den 60er Jahren gewesen ist, läßt sich daran ablesen, daß seine Erzeugnisse, trotz der zwei bis drei Jahrzehnte, die mittlerweile an ihnen vorübergegangen waren, noch immer einen hohen technischen und qualitativen Stand darstellten und noch nicht komplett veraltet waren. Das mag freilich auch an den speziellen Gegebenheiten in diesem Teil des Konsumgütermarktes gelegen haben. Ein Flektogon ist eben kein Trabant, wenn ich es einmal so formulieren darf. Wenn ein Resümee über die DDR-Photoindustrie im Rückblick einigermaßen versöhnlich ausfällt, weil man bis zum Ende eben doch noch Geräte hergestellt hat, die man nicht unbedingt als "neu hergestellte Oldtimer" bezeichnen mag, wie es beim Trabant der Fall war, dann liegt das daran, daß diese Beurteilung mit dem Stichjahr 1990 abrupt abbricht. Wir wissen heute, daß es aber genau diese 90er Jahre gewesen sind, in denen mit Autofokus und digitaler Kamerasteuerung die Karten in diesem Marktbereich einmal komplett neu durchgemischt wurden. Und die große Frage – eine hypothetische freilich – ist doch, wie die DDR-Photoindustrie auf diese Entwicklungen hätte reagieren sollen. Mit diesem Knackpunkt ist sie schlichtweg nicht mehr konfrontiert worden.
Die Photoindustrie der DDR der 1980er Jahre war also durch einen deutlichen Zwiespalt gekennzeichnet: Einerseits die zunehmende technische Rückständigkeit, andererseits die Tatsache, daß diese Stagnation oft auf einem durchaus hohen qualitativen Niveau stattfand. Auch das oben gezeigte Prakticar 2,8/20 mm ist ein Beispiel dafür. Es geht zwar auf den Anfang der 70er Jahre zurück, mußte aber 15 Jahre später den internationalen Vergleich immer noch nicht scheuen. Auf diese Weise gelang es dem Kamera- und Objektivbau der DDR noch, sich einigermaßen durch die 80er Jahre zu "mogeln". Dabei half ein stabiles Vertriebsnetz in etlichen westlichen Ländern. Die Exportquote ins Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW) erreichte daher zum Teil über 75 Prozent.
Die japanische Firma Minolta hatte zu Jahresbeginn 1985 eine Kamera auf den Markt gebracht, mit der sie die konkurrierenden Hersteller in einen heute kaum noch vorstellbaren Zugzwang trieb. Schließlich war mit dieser Minolta 7000 AF nicht allein die erste echte Autofokus-Spiegelreflexkamera verwirklicht worden, sondern auch andere Details wie der integrierte Transportmotor und die innovative Bedienung mit Tipptasten waren neu. Die übrigen Firmen brauchten zum Teil mehrere Jahre, bis sie die ungeheuer praktische shiftbare Programmautomatik bieten konnten. Auch die gewagte Einführung eines völlig neuen Objektivanschlusses sollte sich bald als richtige Entscheidung herausstellen.
Allerdings mit deutlich fallender Tendenz. Als Problem zeichnete sich ab, daß just zu jener Zeit, da die Praktica BX20 auf den Markt kam, international gesehen die Nachfrage rasch auf den neuen Autofokus umschwenkte. Auch Hersteller wie Nikon oder Pentax wurden von diesem Umschwung ziemlich überrumpelt. Lange hatte man hier noch auf mit der BX20 vergleichbare Kameramodelle sowie auf die bewährten Manuellfokus-Objektive gesetzt. Doch mit Aufkommen des Autofokus ab 1985 waren nicht nur diese traditionellen Kameras überholt, sondern auch die zugehörigen Objektivlinien quasi über Nacht inkompatibel geworden. Da half es auch nichts, wenn Pentax und Nikon betonten, das Bajonett sei dasselbe geblieben. Es stellte sich nämlich als eine Illusion seitens der Hersteller heraus, daß die Kundschaft eines der neuen AF-Gehäuse kaufe, um dann ihre alten manuellen Objektive an ihnen weiterzunutzen. Wer Autofokus kaufte, der wollte auch Autofokus haben. Für die etablierten Hersteller lief das letztlich darauf hinaus, daß sie gezwungen waren, ihr gesamtes Objektiv-Sortiment binnen ziemlich kurzer Zeit umzustellen. Überlagert wurde diese Entwicklung noch durch den simultan ablaufenden Trend hin zum Zoomobjektiv. In diesem Zusammenhang ergab sich sogleich noch die weitere Fehleinschätzung, Autofokuskameras seien in erster Linie für Amateurphotographen interessant. So wunderte man sich bei Nikon, als Berufsphotographen ab 1990 vermehrt mit dem Canon EOS-System und ihren Ultraschallobjektiven zu arbeiten begannen, anstatt die F4 zu kaufen, für die es zunächst fast nur Amateur-Zooms mit AF zu kaufen gab.
Im Sachnummernverzeichnis der DDR Photoindustrie sind als Praktica BY 60 zwei Autofokus-Kameras mit unterschiedlichen Belichtungsautomatiken sowie ein weiteres Modell mit sogenanntem "Power focus" verzeichnet, bei dem die Fokussierung zwar ebenfalls elektromotorisch, jedoch am Kameragehäuse von Hand erfolgt. Das alles erinnert sehr an die Modelle OM 707 und OM 101, die die japanische Firma Olympus ab 1986 herausgebracht hatte. Ob Pentacon sich eine (erneute) Zusammenarbeit mit diesem Hersteller erhoffte, ist nicht bekannt. In soweit waren diese Praktica BY-Kameras jedenfalls reine Illusion...
Mit diesen wenigen Worten sollte hier nur einmal im Ansatz angedeutet werden, in was für eine Bewegung der Photomarkt in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre geraten war. Man hat auch manchmal den Eindruck, die oben genannten Hersteller seien selbst vom Erfolg ihrer Autofokuskameras überrascht gewesen, wenn man ihre zum Teil recht merkwürdige Modellpolitik in den ersten Jahren rekapituliert. Und Kamerabaufirmen übrigens, die diesem Trend zum Autofokus nur halherzig folgten (Contax-Yashica, Olympus) oder gar gänzlich verweigerten (Leica), gerieten nach nur wenigen Jahren zum völligen Außenseiter im Kameramarkt. Es bleibt nun der Phantasie des Lesers überlassen, sich auszumalen, welchen Abstieg die Photosparte des riesigen Kombinates Carl Zeiss Jena in der Folgezeit durchgemacht hätte, wäre die Wende nicht gekommen.
Oben: Noch nach der Währungsunion gebaut: Eines der letzten Olympiasonnare. Optisch war dieses massive Objektiv auf dem technischen Stand der 1960er Jahre, die Grundkonstruktion geht freilich auf die Mitte der 1930er Jahre zurück.
Oben: Exemplar aus der letzten Serie der Pentacon-Six-Normalobjektive von 1989
Oben ein echtes Kuriosum: Das Flektogon 2,8/35 mm, das auf das Jahr 1949 zurückgeht und das damit das erste praktisch verwirklichte Retrofokus-Weitwinkelobjektiv der Welt für Kleinbildkameras gewesen sein dürfte, wurde in einer Fassung mit Exakta-Anschluß noch bis in die 1980er Jahre gefertigt. Offensichtlich waren noch größere Restbestände an vorgefertigten Linsensätzen vorhanden, als 1975 der Nachfolger Flektogon 2,4/35 herausgebracht und sogleich in großen Stückzahlen produziert worden war. Oder es bestand eine anhaltend große Nachfrage, so daß die Fertigung fortgeführt wurde. Die These der Restbestände wird allerdings dadurch genährt, daß trotz des Erkennungsmerkmals der Kreuzrändelfassung keine Mehrschichtvergütung auf die Linsen aufgebracht wurde. Kurios ist dieses Objektiv für mich vor allem deshalb, weil mit Auslaufen der Exa Ia gar keine Kamera mit Exakta-Bajonett mehr gefertigt wurde. Man fragt sich also, wer diese Flektogone gekauft hat. Erst zum Jahresende 1985 (!) gelangen die letzten 500 Stück in die Endmontage. Das letzte Exemplar trägt die Seriennummer 5600, was bedeutet, daß seit 1981 noch einmal 4600 Flektogone 2,8/35mm gefertigt worden waren.
Der Nachfolger Flektogon 2,4/35 "überlebte" das alte 2,8er aber auch nur um drei Jahre, denn bereits zu Jahresende 1988 wurden die letzten 5000 Stück montiert. Von einer "Wende" war da noch nichts in Sicht; damit kann das also nichts zu tun haben. Aber der Markt war damals wohl gesättigt mit solcherlei Festbrennweiten. Immerhin hatte man seit 1975 mehr als 209.000 Flektogone 2,4/35 mit M42-Anschluß gebaut. Darüber hinaus war es beschlossene Sache, die Praktica L-Reihe 1989 endgültig aus dem Programm zu nehmen. Daß der eklatante Rückgang der Nachfrage nach Festbrennweiten trotzdem eine große Rolle gespielt haben wird, erkennt man daran, daß im Herbst 1988 gleichsam die Variante mit B-Bajonett auslief. Immerhin hatte man von diesem Prakticar 2,4/35 mm bis dato beinah 24.500 Stück gefertigt. In einem größeren Exkurs im Aufsatz zu den Pentacon-Objektiven der 1980er Jahre gehe ich ausführlich auf den Trend ein, daß zu jener Zeit gemäßigte Festbrennweiten fast vollständig durch Zoomobjektive substituiert wurden, in denen sie quasi mit enthalten waren. Ein Rückbesinnen auf solche festbrennweitigen Objektive und das Wiederentdecken ihrer qualitativen wie bildgestalterischen Vorteile ist erst seit den letzten Jahren wieder zu verzeichnen. Auch so manche Saalfelder Wertarbeit erlebt auf diese Weise ihre zweite Renaissance...
Oben: In M42-Fassung ein regelrechtes Massenobjektiv, wurden vom Prakticar 3,5/135 mm zwischen Herbst 1980 und Frühjahr 1988 gerade mal etwa 30.000 Stück gebaut. Aber mit 470,- statt 237,- Mark war auch der Preis auf das Doppelte angestiegen. Dafür ist die Fassung nun noch einmal robuster. Ein wirklich wertiges Objektiv.
An diesem Prakticar 135 mm finde ich zudem bemerkenswert, daß es wohl das am längsten hergestellte Wechselobjektiv aller Zeiten sein wird. Es wurde 1931 für die Contax (Meß-) Sucherkamera als Sonnar 4/13,5 cm herausgebracht. Die Konstruktion stammt von Ludwig Bertele und wurde nie verlassen; auch nicht, als 1965 die Lichtstärke auf 1:3,5 geringfügig erhöht wurde. Wir können also ohne Übertreibung von einer 57-jährigen Fertigungszeit sprechen. Aber auch das ist nicht ganz richtig, denn in Krasnogorsk wurde Berteles Sonnar unter der Bezeichnung Jupiter-11 noch mindestens bis in die 1990er Jahre gefertigt.
Doch was Zeiss-Jena-Wechselobjektive speziell für das Praktica B-Bajonett" betrifft, liegen die 30.000 Exemplare des obigen Prakticars 135 mm ja noch vergleichsweise auf dem Niveau der Massenware. Vom hier gezeigten Prakticar 1,8/80 mm wurden in zehn (!) Jahren gerade einmal 4740 Stück fabriziert. Das ist wirklich wenig. Im Prinzip wurde dieses Objektiv nicht verkauft, sondern handverlesenen Interessenten zugeteilt. Man kann daran zweierlei ablesen: Einmal daß das Praktica B-System auf internationalen Märkten für anspruchsvolle Photographen keine Rolle gespielt hat, denn nur solches Klientel kauft sich überhaupt ein lichtstarkes Portraitobjektiv. Zu Zeiten des M42-Anschlusses waren Zeissobjektive durchaus noch von westdeutschen, britischen oder niederländischen Anwendern gekauft worden, die diese beispielsweise an einer Pentax Spotmatic oder Vergleichbarem benutzten. Mit der zunehmenden Verbreitung von herstellerspezifischen Bajonettanschlüssen fielen diese Formen der Fremdnutzung immer mehr weg. Zweitens muß man aber erschüttert konstatieren: Die Nachfrage im Inlandsmarkt oder vonseiten der übrigen Ostblockstaaten scheint in den 80er Jahren kein ausschlaggebender Anlaß für Zeiss Jena mehr gewesen zu sein, ausreichende Mengen eines kostspieligen Konsumgüterproduktes auszustoßen.
Oben: Wie bereits angedeutet, hat es bei den Jenaer Praktica-B-Objektiven auch noch einmal einen bemerkenswerten Fortschritt gegeben was die Vervollkommnung des Fassungsaufbaus betrifft. So übersichtlich und wartungsfreundlich war noch kein Objektiv aus diesem Werk ausgestaltet. Alle für die Funktion kritischen Teile stecken in dem Bajonettsockel ganz links. Die Ansteuerung für die zirkulare Springblende ist in unzähligen kleinen Kugeln gelagert. Das war auf dem Niveau der besten Wechselobjektive aus japanischer Fertigung jener Zeit. Nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal war der veränderliche Spannungsteiler für die elektrische Blendenwertübertragung, der in weitgehend identischer Form auch für die Praktica-B-Kameras übernommen wurde. Der Blendenkörper war (wie in Japan seit Jahren üblich) endlich ein geschlossenes Bauteil, das nach Lösen von drei Schrauben in seiner Gesamtheit ausgebaut und gewartet werden konnte. Alle Übertragungselemente wurden nun wieder aus Metall gefertigt.
3. Aus Jena nichts Neues...
Die beiden Zooms waren bereits das "Ende der Fahnenstange" was die Entwicklung von Photoobjektiven bei Carl Zeiss Jena nach einer ziemlich genau 100 jährigen Tradition angeht. Angespornt durch die großen Erfolge, die der Einsatz der neuen Schott'schen Gläser bei der Entwicklung von Mikroskop-Objektiven gezeitigt hatte, schlug Paul Rudolph um 1887/88 Ernst Abbe den Eintritt in das Geschäftsfeld des Photoobjektivbaus vor. Als 100 Jahre später diese beiden Zooms in Produktion gingen, nachdem ihre Konstruktion bereits einige Jahre "auf Eis gelegen" hatte, geschah dies bereits im Lichte der Resignation gegenüber der Entwicklung auf dem internationalen Markt.
Freilich hat die photooptische Abteilung des VEB Carl Zeiss JENA während der 1980er Jahre ganz außergewöhnliche Hochleistungsobjektive entwickelt. Nur eben nicht für Sie und mich. Nach Durchsicht der Patente besteht für mich kaum ein Zweifel mehr, daß es sich hier ganz und gar um High-Tech für Militär und Geheimdienst gehandelt hat. Eines von den Patenten ist beispielsweise überschrieben mit "Hochauflösendes Teleobjektiv mit Innenfokussierung und großem Öffnungsverhältnis" [Nr. DD248.858 vom 10. März 1983]. Diese Erfindung scheint übrigens so geheim gewesen zu sein, daß man sie zwar in der Recherchefunktion des Deutschen Patentamtes findet, das Dokument dann aber Angaben zu einem Heizungssystem enthält. Um einen einmaligen Irrtum kann es sich nicht handeln, denn bei den Patenten Nr. DD243.808 "Objektiv mit großem Bildwinkel für den infraroten Spektralbereich" vom 5. Oktober 1982 und Nr. DD290.488 "Weitwinkelobjektiv mit veränderlicher Brennweite für den infraroten Spektralbereich" vom 22. Mai 1986 passiert dasselbe. Möglicherweise handelt es sich aber auch um eine fehlerhafte Registration beim DPMA. So zeigen uns wenigstens die Patente Nr. DD300.765 "Hochleistungs-Teleobjektiv für den infraroten Spektralbereich" vom 17. April 1986 und Nr. DD269.692 "Apochromatisches Objektiv" vom 29. Dezember 1987, daß für derartige Belange kein Aufwand zu groß und kein Material zu teuer gewesen ist. Bei ersterem werden Sammellinsen aus Silizium und Zerstreuungslinsen aus Chalkogenidglas C2 eingesetzt, bei letzterem eine eingebettete Sammellinse aus Flußspat.
Als einzig Nennenswertes im Bereich der photographischen Konsumgüterprodukte ist mir noch ein Patent für ein kompaktes Spiegellinsenobjektiv 8/500mm aufgefallen, das Evelyn Koch, Volker Tautz, Günther Benedix und Utz Schneider am 2. September 1987 angemeldet hatten (Nr. DD263.604). Neben Kompaktheit hatten die Erfinder auch besonders auf Streulichtfreiheit Wert gelegt, was man an den exakt bemessenen Störlichtblenden erkennen kann.
Wieso man allerdings gerade an solch einem Projekt Entwicklungsaufwand verschwendete, ist mir schleierhaft. Spiegellinsenobjektive sind vielleicht interessante Spielereien für Objektivkonstrukteure; für den photographischen Praktiker sind sie aber weitgehend unbrauchbar. Der prinzipielle Aufbau dieser Spiegelobjektive bedingt, daß alle Motivteile außerhalb des Schärfebereichs – und der ist bei 500mm Brennweite nur äußerst klein – in Form von Kringeln wiedergegeben werden. Diese aufdringlichen Unschärfefiguren werden als äußerst unästhetisch empfunden und sie schließen die Verwendung derartiger Objekive in künstlerisch anspruchsvollen Bereichen meist aus. Ganz davon abgesehen ist auch die praktische Handhabung sehr schwierig, weil einerseits das dunkle Sucherbild ein Scharfstellen erschwert, andererseits ein Abblenden zur Steigerung der Schärfentiefe prinzipbedingt ausgeschlossen ist. Ganz davon zu schweigen, daß die kompakten Spiegeltele zum Photographieren aus der Hand verleiten, wodurch die Aufnahmen fast immer verrissen werden.
Es darf auch nicht verschwiegen werden, daß zum Zeitpunkt der Entwicklungsarbeiten in Jena derlei Spiegelobjektive auf dem Weltmarkt bereits zu billgsten Preisen ausgestoßen wurden. Massenware aus Fernost, die in der Bundesrepublik zum Beispiel unter der Bezeichnung "Dörr Danubia" (in Fachkreisen: Dörr Dubiosia) vertrieben wurde, hatte den Markt längst überschwemmt. Solche Spiegeltele wurden daraufhin auch von nicht wenigen Amateuren gekauft, verstaubten dann aber alsbald in den heimischen Regalen. Ein derartiges Objektiv von Carl Zeiss Jena wäre also kaum zum einträglichen Geschäft geworden.
4. Zeiss Jena in der Wendezeit
Während sowohl die Quellenlage für die letzten Jahre der DDR genügend reichhaltig war, als auch viele Objektive erhalten geblieben sind, um die Entwicklung in der Spätphase der DDR zu rekonstruieren, so war dies für die sogenannte Wendezeit deutlich schwieriger. Ganz besonders gilt dies für die wenigen Wochen nach der sogenannten Wirtschafts- und Währungsunion vom 1. Juli 1990, als in der noch existierenden DDR die D-Mark eingeführt wurde, und dem finalen Beitritt der DDR zum Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zum 3. Oktober 1990 – also der eigentlichen Wiedervereinigung. Zu dieser Phase gab es einige Spekulationen, doch wenig evidenzbasierte Aufarbeitung. Zentraler Punkt sind Objektive, bei denen statt "CARL ZEISS JENA DDR" nun "CARL ZEISS JENA Made in Germany" aufgraviert wurde. Rein von der Logik her war klar, daß dies erst nach dem Tag der Wiedervereinigung geschehen konnte, denn ansonsten wären Erzeugnisse mit einer falschen Herkunftsbezeichnung produziert worden. An folgendem Beispiel läßt sich diese Ansicht nun bekräftigen:
Im Abschnitt 2 wurde bereits ein MC-Sonnar 2,8/180 gezeigt, das nachweislich noch kurz VOR der Wiedervereinigung hergestellt wurde und trotzdem noch – wie zu erwarten – mit "DDR" gekennzeichnet ist. Auf dem Bild oben ist dagegen ein ansonsten identisches MC-Sonnar zu sehen, das nachweislich NACH dem 3. Oktober 1990 gefertigt wurde [Foto: Pekka Buttler, Helsinki]. Und siehe da: Die Herstellerangabe lautet zwar nach wie vor Carl Zeiss Jena, aber aus "DDR" ist "Made in Germany" geworden. Daß außerdem das Produktionslos, zu dem dieses Objektiv gehört, im "Thiele" gar nicht mehr enthalten ist, zeigt uns etwas über die Vorgänge in der langsam zerfallenden Carl Zeiss Jena GmbH. Kein Mensch kann heute mehr nachvollziehen, welche auf Lager liegenden Teile noch durch wen genau montiert und vertrieben worden sind.
Der Übergang auf die Nachfolgefirma Docter Optics muß wohl fließend gewesen sein. Denn wie das unten abgebildete Tessar 2,8/50 "Made in Germany" zeigt [Bild:Felix Heil], wurden selbst bei diesem bereits 1988 aus der Fertigung genommenen Massenobjektiv noch Restbestände bzw. Ersatzteile montiert und in den Vertrieb gebracht. Daß dies bereits losgelöst von den Strukturen der Zeiss Jena GmbH erfolgt sein wird, muß man aufgrund der völlig vom bisherigen Schema abweichenden Seriennummer mit einer vorlaufenden Null vermuten (die höchste Seriennummer bei Zeiss Jena war 431.020). Hier hat man bei der Aufnahme der Montage genau gewußt, wie viel Rohmaterial noch auf Lager zur Komplettierung ganzer Objektive vorhanden ist. Die Markenbezeichnung "Carl Zeiss Jena" wurde freilich vorerst weiterverwendet.
5. Die Zeiss Prakticare im praktischen Gebrauch
Und wie nimmt sich diese letzte Generation Jenaer Zeissobjektive vier Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen aus? Und zwar nicht adaptiert an irgendeine Digitalkamera, sondern im Verbund mit genau den Kameragehäusen, für die sie damals geschaffen worden sind? Die Antwort lautet: verblüffend gut. Die Zeitautomatik einer Praktica B100, B200, BC1 oder BX20, bei der man also die den Bildeindruck bestimmende Blendenöffnung vorwählt und vor kurz dem Auslösen die automatisch gebildete Verschlußzeit nur noch rasch am Sucherrand kontrolliert, ist auch heute noch absolut praxisgerecht. Diese Kameras sind demnach vom Grundsatz her ähnlich gute Handwerksgeräte, wie die Zeitgenossen Nikon FE, Pentax ME, Minolta XG, usw. Und die Prakticare von Zeiss Jena stellen dabei sehr begehrenswerte Aufnahmeobjektive dar, die mindestens auf dem Niveau vergleichbarer Festbrennweiten sind, die seinerzeit Firmen wie Nikon, Pentax oder Minolta angeboten haben. Das liegt auch an den sehr hochwertigen Fassungen der Zeiss Prakticare, die gegenüber den M42-Varianten deutlich komplexer aufgebaut sind und bei denen höherwertige Materialien verarbeitet wurden (zum Teil kugelgelagerte Blendenmechanismen, in Messing gefaßte Linsengruppen etc.). In diesem Punkt ist das Praktica B System absolut auf Augenhöhe zu den damaligen japanischen Platzhirschen und es ist eine wahre Freude, mit diesen Objektiven zu arbeiten. Allein die bescheidenen Produktionsziffern dieser Objektive – es wurden von den meisten Typen nur ein paar tausend Stück fabriziert – zeigen schon, wo das Dilemma lag: Die Herstellung dieser Objektive scheint für den Betrieb eher eine Last gewesen zu sein, weil dasjenige internationale Klientel, das an diesen Objektiven hätte Interesse haben können, leider nicht mit Praktica-Kameras photographierte.
Doch mit einer neuen Generation an Nutzern dieser historischen Photogeräte haben sich frühere markenbezogenen Vorbehalte weitgehend relativiert. DDR-Technik zu verwenden, ist längst kein Makel mehr – im Gegenteil. So kann selbst die vergleichsweise einfache Praktica B100 richtig Spaß machen und sie reicht in der Praxis vollkommen aus. Bei dem Bild ganz oben wurde das Prakticar 1,8/80 mm bei offener Blende benutzt; in der Mitte das Prakticar 2,8/20 mm bei Blende 5,6. Unten das Prakticar 1,4/50 mm (erste Version) bei Blende 4. Insbesondere letzteres entpuppt sich als echtes Universalobjektiv, das leicht abgeblendet sehr leistungsfähig wird. Für Farbaufnahmen auf Filmmaterial ist allerdings unbedingt sein Nachfolger zu empfehlen!
Absolut empfehlenswert ist zudem das Jena Prakticar 3,5/135 mm. Einmal aus bildästhetischer Sicht heraus, weil eine solche gemäßigte Telebrennweite geradezu aufzwingt, was Sie in jedem Photolehrbuch als Ratschlag lesen können: Ausschnitte suchen! Zweitens handelt es sich um eine äußerst bewährte optische Konstruktion, mit der ganze Generationen an Photographen gearbeitet haben. Drittens ist dieses Objektiv sehr kompakt, weshalb man es problemlos mitnehmen oder sogar standardmäßig an der Kamera belassen kann, ohne aufzufallen. Abschließend noch eine handvoll Bilder mit diesem bemerkenswerten Objektiv vom Sommer 2021. Diesmal in Farbe und an der B200.
Marco Kröger
Letzte Änderung: 2. Oktober 2024
Yves Strobelt, Zwickau
zeissikonveb@web.de
Wir bitten, von Reparaturanfragen abzusehen!