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Phototechnik aus Jena, Dresden und Görlitz
Carl Zeiss Jena 1960er
OPREMA und ZRA1 – Inbegriffe eines Technologieschubs
Im Nachhinein betrachtet, darf man wohl die 1960er Jahre als die "Goldenen Ära" des Objektivbaues im Volkseigenen Betrieb Carl Zeiss Jena bezeichen. Dieser Erfolg beruhte freilich zu wesentlichen Teilen auf technologischen Fortschritten, deren Grundlagen bereits Mitte der 50er Jahre gelegt worden waren. Zwar hatte im Jahre 1949 das Flektogon 2,8/35 mm, das nach der Neuberechnung von 1953 nun erstmals in größeren Stückzahlen gefertigt wurde, für Carl Zeiss Jena den Anschluß an die moderne Objektiventwicklung gebildet. Gleichzeitig wurde mit diesem Objektiv aber auch klar, wie stark man mit der bis hier hin vorherrschenden Methodik, Objektive zu berechnen, an die Grenzen der Machbarkeit gelangt war. Für das sechslinsige Flektogon artete beispielsweise eine einzige Durchrechnung für drei Farben in etlichen tausend einzelnen Rechenoperationen aus, die von einer handvoll Beschäftigten in ziemlich stupider Weise an mechanischen Rechenmaschinen vorgenommen werden mußten. Es war abzusehen, daß zukünftige Objektive immer komplizierter aufgebaut sein werden und die Rechenarbeit daher mit den bisherigen Methoden nicht mehr zu schaffen sein würde.
Aus diesem Grunde wurden im VEB Carl Zeiss JENA im Mai 1954 Arbeiten an einer programmgesteuerten Rechenanlage begonnen, die bereits nach siebeneinhalb Monaten zum Ende desselben Jahres zum Abschluß gebracht werden konnten. Mit der „Optikrechenmaschine OPREMA“ war einer der ersten Industrierechner auf deutschen Boden geschaffen worden. Mit 17.000 Relais, 90.000 Selengleichrichtern, 500 Kilometern Kabel und 55 Quadratmetern reiner Aufstellfläche erreichte man eine Taktfrequenz von gerade einmal 100 Hertz. Und trotzdem war dieses Monstrum ein ungeahnter Fortschritt, denn die Optikrechenmaschine OPREMA vermochte es, komplexe Objektivberechnungen automatisiert und fehlerfrei binnen Milisekunden durchzuführen und dabei 120 Optikrechner von dieser stupiden Arbeit zu befreien. Letztere hätten Tage oder gar Wochen für dieselbe Arbeitsleistung gebraucht und es bestand stets die allzu menschliche Gefahr, daß sich der Fehlerteufel einschleicht. Die OPREMA ermüdete jedoch nie und es stellte sich auch heraus, daß sie fehlerfrei arbeitete. Sie war nämlich ursprünglich aus zwei gleichartigen Rechnern aufgebaut, die eigentlich zur Fehlerkontrolle parallel laufen sollten. Als man aber sicher gehen konnte, daß dies nicht notwendig war, trennte man die beiden Anlagen und hatte daraufhin die doppelte Rechenleistung zur Verfügung.
Interessant übrigens, daß man seinerzeit eine Relaisanlage für zuverlässiger hielt gegenüber einem Rechner auf Röhrenbasis. Für eine derartig geringe Taktfrequenz mag das zutreffend gewesen sein. Durch eine geschickt ausgelegte Konstruktion wurden die Relais zudem stets nur im stromlosen Zustand geschaltet, was den Kontaktverschleiß minimierte. Ein gewichtiger Vorteil war überdies der sehr geringe Energieverbrauch, der bei verblüffend niedrigen 30...40 Watt gelegen habe. Damit hätte man gerade mal eine handvoll Röhren heizen können.
In einem Aufsatz in der Jenaer Rundschau vom Februar 1956 berichtet der Chef der Abteilung Photo, Prof. Harry Zöllner, davon, daß ihm diese OPREMA seit einem Jahr für die Entwicklung von photographischen Objektiven zur Verfügung steht. Das würde bedeuten, daß gleich im Anschluß an die Fertigstellung des Rechners erste Früchte geerntet werden konnten. Eberhard Dietzsch verweist jedoch darauf, daß mit der OPREMA hauptsächlich Strahlrechnungsarbeiten erledigt werden konnten; von einer Bildfehlerbildung oder gar automatischer Korrektion sei man noch weit entfernt gewesen. Ein großer Fortschritt war aber bereits, daß nun auch die sogenannten windschiefen Strahlen, die beim Durchlaufen des optischen Systems kein einziges Mal die Achse schneiden, mit derselben Geschwindigkeit durchgerechnet werden konnten, wie Meridionalstrahlen. Zuvor wurden mit den mechanischen Rechenmaschinen vom Typ "Mercedes Euklid" dafür ganze 20 Minuten je Fläche benötigt! Erst jetzt wurden Objektive wie das völlig neuartige Flektogon 4/25 mit seinen 13 Flächen überhaupt erst beherrschbar. Dietzsch gibt zudem an, daß der praktische Nutzen der OPREMA sogar dadurch weit über das ursprünglich erhoffte Maß hinausging, weil überdies auch Variationen hervorgerufen durch Dezentrierungen und Toleranzen durchgerechnet werden konnten. Den letztlich mit der OPREMA erzielten Erfolg beziffert Dietzsch mit folgendem Vergleich: Ob eine Konstruktion erfolgreich war – also ob sie in Produktion gehen konnte – wurde stets anhand eines Versuchsmusters überpüft. Dabei habe die Ausbeute an produktionsreifen Versuchsobjektiven zwischen 1948 und 1954 bei lediglich etwa 17 Prozent gelegen. 1956 jedoch, im Jahr der ersten vollen Wirksamkeit der OPREMA, sei dieser Anteil bereits auf 70 Prozent gestiegen.
Doch die Anforderungen wuchsen rasch. Bereits ab 1956 wurde mit dem Zeiss Rechenautomat ZRA1 ein Nachfolger entworfen, der auf Ferritkernen, Germaniumdioden und Elektronenröhren basierte [Bild: Universitätsarchiv Halle.]. Er war ab etwa 1959/60 einsatzbereit. Im Gegensatz zur OPREMA wurde dieser Rechner anschließend gar in Serie gefertigt (31 oder 32 Stück?) und kam damit auch anderen Betrieben und Forschungsstätten zugute. Für die Objektiv-Entwicklungsabteilung des VEB Carl Zeiss JENA war die Anhebung der Rechengeschwindigkeit auf anderthalb Flächen je Sekunde aber nicht der einzige Vorteil des neuen Rechners. Durch das veränderte Grundkonzept, den leistungsfähigen Trommelspeicher und die Eingabe per Lochkartenleser waren nun weitergehende Programmierungen machbar:
"Das Optik-Programm wurde wesentlich von Dieter Klein, Klaus Lösche, Hans-Werner Stanko, Dieter Mikolajetz und Gerhard Enke geschaffen. Es zeichnete sich u.a. dadurch aus, daß es eine Variablenkopplung und die Bildung allgemeiner Bildfehler durch Linearkombination von Strahlenaberrationen und/oder Systemparametern gestattete. Dadurch konnten technologische Nebenbedingungen weitgehend berücksichtigt werden. Auf Betreiben von Georg Pradel wurde die automatische Korrektion in den Anfängen erprobt. Diese Entwicklungslinie wurde in Jena konsequent weiterverfolgt bis hin zu ausgereiften Programmsystemen wie AKOS (Automatische Korrektion Optischer Systeme) oder CADOS (Computer Aided Design of Optical Systems) für schnellere Maschinen. Der ZRA1 und das für den ZRA1 bereitgestellte Programmsystem ermöglichte die Weiterentwicklung zu höheren Leistungsparametern von Objektiven." [Dietzsch, Retrofokusobjektive, 2002, S. 117f.
Oben das Bedienfeld des Zeiss Rechenautomaten ZRA1 in der Nahaufnahme. Dieses Exemplar war offenbar der Rechner Nummer 8 aus der Serie. Unten ein Blick auf ein paar der Elektronenröhren des Rechners.
Für diese von Herrn Dietzsch angesprochenen weiterentwickelten Programme waren aber leistungsfähigere Rechner nötig, die in den 70er Jahren sogar aus Großbritannien beschafft werden mußten. Doch bereits der ZRA1 war ein wichtiger Fortschritt und es entstanden im Zeisswerk eine ganze Reihe an Objektivkonstruktionen, deren Eigenschaften mit den bis dahin zur Verfügung stehenden Methoden im Traum nicht denkbar gewesen wären. Vor allem im Weitwinkelbereich war zu Beginn der 60er Jahre nun ein erstaunlicher Technologieschub zu verzeichnen. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit ließen den VEB Carl Zeiss JENA, der schließlich noch zehn Jahre zuvor in Trümmern gelegen hatte und anschließend fast bis auf die letzte Maschine demontiert worden war, während der 1960er Jahre wieder zu einem der weltweit führenden Hersteller photographischer Objektive emporsteigen.
Literatur:
Dietzsch, Eberhard: Die Entwicklungsgeschichte der Retrofokusobjektive vom Typ Flektogon; aus: Jenaer Jahrbuch zur Technik- und Industriegeschichte, Bd. 4, 2002, S. 108ff. (Es existiert zudem ein inhaltlich weitgehend identischer 26-seitiger Sonderdruck dieses Aufsatzes mit abweichenden Seitenzahlen.)
Hellmuth/Mühlfriedel: Carl Zeiss Jena 1945-1990, 2004, S. 175f.
Kämmerer/Kortum: Oprema, die programmgesteuerte Zwillingsrechenanlage des VEB Carl Zeiss Jena; Feingerätetechnik 3/1955, S 103ff.
Zöllner, Harry: Das Foto-Objektiv in Praxis, Entwicklung und Fertigung, Jenaer Rundschau, 2/56, S. 36ff.
Der Fassungsaufbau folgt den Fortschritten der Optik
Auch wenn die Wurzeln der Rechenanlagen OPREMA und ZRA1 bereits in den 50er Jahren lagen, so erreichten die mit ihrer Hilfe neu geschaffenen Produkte erst ab 1960 Marktwirksamkeit. Inzwischen hatten sich aber auch die Anforderungen an die mechanische Auslegung der Objektivfassung geändert. Insbesondere betraf dies die Ausgestaltung der Irisblende, die bei Einäugigen Reflexkameras eine viel größere Rolle spielt als bei Sucherkameras. Denn bei der Spiegelreflex ist das eine Objektiv zunächst Sucher- und nach dem Auslösen Aufnahmeobjektiv. Während bei der Sucherfunktion stets die volle Öffnung benötigt wird, ist nach dem Auslösen fast immer eine kleinere Blendenöffnung gewünscht. Diese Diskrepanz führt dazu, daß bei den Spiegelreflexkameras der einäugigen Bauweise vor der Aufnahme stehts die Blende auf den Arbeitswert geschlossen werden muß. Ein erster großer Fortschritt war daher um 1953 die Umstellung auf die sogenannte Vorwahlblende (VB oder BV), bei der zwar nach wie vor kurz vor dem Auslösen manuell abgeblendet werden mußte, das ganze aber ohne Absetzen der Kamera vom Auge möglich wurde. Ein weiterer riesiger Schritt vorwärts war kurz darauf die Einführung der Halbautomatischen Springblende (SB), bei der dieses Abblenden beim Durchdrücken des Auslösers von alleine vor sich ging. Dazu war in den Kameras Praktina FX, Praktica FX2 und Contax/Pentacon F eine einfache Übertragung zusätzlich eingebaut worden. Zwar mußte der Springblendenmechanismus stets von Hand gespannt werden (daher halbautomatisch), aber mit diesem Manko hätte man sich eigentlich abfinden können.
Doch dann zeichneten sich Entwicklungen ab, die bald die Grenzen dieser Halbautomatischen Blende aufzeigten. So wurde zwar bei der mit dem Federmotor ausgestatteten Praktina FX der Verschluß sofort nach dem Auslösen wieder gespannt, doch das Objektiv blieb abgeblendet. Und in Japan fertigte die Firma Asahi ab 1957 eine Kamera namens Pentax, die mit einem Rückschwingspiegel ausgestattet war. Zwar führte Pentacon erst 1964 mit der Praktica V bzw. der Praktica nova Rückkehrspiegel ein, doch von den SB-Objektiven war man schon zuvor abgegangen. Vielmehr übernahm Zeiss Jena eine Blendenmechanik, die Mitte der 50er Jahre im VEB Feinoptisches Werk Görlitz entwickelt worden war und hier zuerst beim Primotar E 3,5/50 mm Anwendung fand: die Druckblendenmechanik. Bei dieser schloß sich die Blende, sobald der Druckstößel am Objektiv betätigt wurde, und sie öffnete sich selbsttätig wieder, wenn dieser Druck zurückgenommen wurde. Mit dieser einfachen Lösung hatte man erreicht, daß die Blende des Objektivs stets nur dann geschlossen war, wenn das Sucherobjektiv kurzzeitig zum Aufnahmeobjektiv werden mußte. Absolut essentiell wurde diese Automatische Druckblende (ADB) dann, als ab 1965 mit der PRAKTICA mat die Innenlichtmessung bei Arbeitsblende eingeführt wurde. Bei dieser Kamera wäre es schlichtweg unzumutbar gewesen, wenn bei jedem Meßvorgang die zugesprungene Blende wieder von Hand hätte geöffnet werden müssen.
Die Enführung dieser Wechselobjektive mit automatischer Druckblende geschah also bereits sukzessive in der ersten Hälfte der 1960er Jahre. Eine konsequente Umsetzung in einem einheitlichen Erscheinungsbild erfolgte allerdings erst zur Leipziger Frühjahrsmesse 1966, als die Objektivlinie mit dem sogenannten Flach(nuten)rändel eingeführt wurden, die heute dem charakteristischen Erscheinungsbild nach allgemein als Zebra-Fassungen bezeichnet werden. Es waren zwar neue Objektive wie das Pancolar 1,8/50, das Pancolar 1,4/55, das Pancolar 1,4/75 und das Sonnar 3,5/135 dazugekommen, die übrigen Objektive waren jedoch bereits zuvor mit Druckblendenmechaniken ausgerüstet gewesen und auch das Sonnar 2,8/180 gab es bereits längere Zeit mit einem Adapter für die Praktica und die Exakta. Neu waren bei letzterem jedoch der extra steile Schneckengang sowie die Einführung der Automatikblende beim völlig überarbeiteten Sonnar 4/300 mm. Es darf jedoch an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, daß die Adapter für das Praktica-Gewinde nur eine halbautomatische Springblende boten, was zu den oben bereits erwähnten Unzumutbarkeiten bei der Anwendung an Kameras mit Arbeitsblenden-innenmessungen führte. Dieser Umstand wird auch im obigen Aufsatz der Zeiss-Konstrukteure Klupsch und Scharffenberg nicht erwähnt [Vgl. Klupsch/Scharffenberg: Neue Objektive aus Jena, Die Fotografie Heft 4/1966, S. 152.]. Erst die Einführung der Offenblendenmessung bei den Kameras Pentacon Super bzw. Praktica LLC eliminierte dieses Problem.
Ganz am Ende der 1960er Jahre konnten Früchte geerntet werden, die man während der gesamten letzten zehn Jahre gesät hatte: Herausragende optische Konstruktionen in hochmodernen Objektivfassungen – hier am Beispiel des Jena Pancolar 1,8/50mm. Mit der Praktica LLC wurde im Herbst 1969 eine Konzeption für eine Systemkamera in den Markt eingeführt, deren Bedeutung wir erst heute, ein halbes Jahrhundert später in vollem Umfange zu würdigen wissen. Aus den Umwegen und Sackgassen heraus, die man zuvor mit der mechanischen Blendenwertübertragung bei der Pentacon Super gegangen war, kam man in Dresden auf die Idee, die Codierung des nach dem Auslösen zu erwartenden Blendenwertes vollständig zu überarbeiten. Statt einer mechanischen Eingabe des Blendenwertes erfolgte dies nun auf rein elektrischem Wege. Aber das war nur der eine Teil der Idee. Der zweite lag darin, die dafür notwendigen Baugruppen vollständig in das Objektiv zu integrieren. Andere Hersteller arbeiteten auch mit veränderlichen elektrischen Widerständen, um den zu erwartenden Blendenwert schon vor dem Abblenden an die Belichtungsmessung der Kamera weiterzugeben. Sie bauten aber das dazu notwendige Potentiometer in die Kamera ein und mußten anschließend technisch problematische, nur mit großem Aufwand zu fertigende mechanische Übertragungsmittel zwischen Kamera und Objektiv vorsehen, um beide Baugruppen miteinander kommunizieren zu lassen. Bei der Praktica LLC und ihren Meyer- und Zeissobjektiven geschah dies nun auf rein elektrischem Wege, mit all den Vorteilen, die ein solcher Übertragungsweg bietet.
Im Jahre 2019, dem Zeitalter der Spiegellosen Systemkamera, kann man sich gar keine mechanischen Übertragungen zwischen Kamera und Objektiv mehr vorstellen. Auch wenn heute nicht mehr mit analogen Spannungswerten gearbeitet wird: Die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre durch Kooperation des gesamten Photogerätebaus der DDR erstmals verwirklichte elektrische Kommunikation zwischen Kameragehäuse und Objektiv ist zum Vorbild für alle dahingehenden Nachfolger geworden. Und der VEB Carl Zeiss JENA war, was diese Entwicklungen betraf, damals noch stets und ohne zeitlichen Verzug "mit am Ball" gewesen.
Nicht nur bei den oben bereits erwähnten Sonnaren 2,8/180 und 4/300 wurden besonders steile Schneckengänge eingeführt, die einen großen Objektivhub schon bei einer geringen Verdrehung des Entfernungseinstellringes erlaubten, sondern auch bei den beliebten Amateurobjektiven Sonnar 3,5/135 und Flektogon 2,8/35. Diese beiden Objektive boten dadurch eine außergewöhnlich kurze Nahdistanz. Um die bei diesen großen Abbildungsmaßstäben bereits merklichen Veränderungen des Öffnungsverhältnisses der Objektive auszugleichen, wurde die oben im Aufsatz erwähnten automatischen Blendenkorrekturmechanismen eingeführt, die die Irisblende bei Naheinstellung um den entsprechenden Betrag öffneten. Das war zwar gut gemeint, hatte aber nur einen Sinn, wenn das Objektiv an Kameras mit Außenbelichtungsmesser bzw. mit Handbelichtungsmesser verwendet wurde. Da sich aber ab 1968 mit der Praktica Super TL endgültig die Innenlichtmessung durchsetzte, bei der diese Verschiebung des Öffnungsverhältnisses stets von selbst in die Messung einging, waren diese mechanisch aufwendigen Korrekursysteme bald überflüssig und sie wurden daher in den 70er Jahren wieder abgeschafft. Nach bisherigen Erkenntnissen wurden bei Flektogonen 2,8/35 und Sonnaren 3,5/135, die speziell für die Pentacon Super mit ihrer Offenblendenmessung vorgesehen waren, die Blendenkorrektur generell weggelassen, da dieser Mechanismus prinzipbedingt das Meßergebnis verfälscht hätte.
Ab 1963 wurden sukzessive neue Fassungen eingeführt. Neue Fertigungsmethoden ermöglichten, daß die mehrgängigen Steigegewinde der Schneckenzüge nun deutlich steiler ausgeführt werden konnten, was einen stark verlängerten der Auszug des Objektives möglich machte. Beim obigen Flektogon 2,8/35 mm konnte auf diese Weise jetzt bis 18 cm ab der Filmebene an das Motiv herangegangen werden. Als mechanisches Problem ergab sich dabei, daß auch die Übertragung der Springblendenmechanik diesem großen Hub folgen mußte, was neue technische Lösungen erforderte, auf die ich im Folgenden noch näher eingehen werde
Sonnar 3,5/135 mm
Dieses noch auf Ludwig Bertele zurückgehende Objektiv wurde zum 3. März 1965 in seiner Lichtstärke um etwa einer drittel Blendenstufe von 1:4 auf 1:3,5 erhöht, ohne daß sich am Grundaufbau dieses Objektives irgend etwas geändert hätte. Die zweite Veränderung betraf die Fassung. Durch neue Bearbeitungsmaschinen konnte erreicht werden, ganz besonders steile Steigegewinde herzustellen, die einen ungewöhnlich langen Auszug der Entfernungseinstellung möglich machten. Bei diesem Sonnar konnte damit der Auszug auf etwa 16 mm verlängert werden, wodurch die Naheinstellung bis herab auf einem Meter Entfernung verkürzt werden konnte. Dabei ergab sich aber das Problem, weiterhin die Betätigung der Springblendenmechanik zu gewährleisten, weil sich beim Fokussieren natürlich auch der Blendenmechnismus innerhalb des Objektives um diese 16 mm verlagerte. Lösungen wie eine mit einer Längsnut versehene Hohlwelle brachten große Probleme mit sich, weil sie zum Klemmen neigten. Außerdem sollte die Springblendenmechanik weitgehend von Reibung freigehalten werden, damit das Schließen der Blende rasch genug erfolgte.
Paul Klupsch hatte daher einen einfachen Mechanismus entwickelt, der mit einer sogenannten Hebelschwinge arbeitete, deren beliebig lange Gleitkante den Blendentreibring direkt ansteuern konnte. Das zugehörige Patent wurde am 3. August 1965 unter der Nummer DD55.902 angemeldet. Es war eine der Grundlagen dafür, daß Zeiss Jena während der 1960er Jahre auch in mechanischer Hinsicht mit seinen Objektiven der internationalen Konkurrenz weit vorauseilte. Eine zweite wichtige Erfindung, die dafür sorgte, daß sich bei einem solch langen Verstellweg der Verlust an Lichtstärke selbsstätig ausglich, beschreibe ich bei den folgenden Sonnaren 2,8/180 und 4/300 näher.
Die Sonnare 180 und 300 mm
Diese beiden Objektive sollen an dieser Stelle gemeinsam besprochen werden. Sie waren zwar beide nicht neu, sind aber neu gerechnet worden, um sie für das Mittelformat 6x6 zu ertüchtigen und damit eine Nutzung an der seinerzeit international führenden Mittelformat-Spiegelreflexkamera Praktisix zu ermöglichen. Die Neuberechnung hing aber zugleich auch mit der Einführung der Vollautomatischen Springblende zusammen. Es fällt nämlich auf, daß die meisten älteren Systeme einer Neurechnung unterzogen wurden, als ihre Fassungen auf Automatikblende umgestellt werden sollten. Grund dafür ist ein Abbildungsfehler namens Blendendifferenz, der bei guten Springblendenobjektiven auch gut korrigiert sein muß. Man versteht darunter die Eigenheit mancher Konstruktionen, daß sich die Ebene der stärksten Einschnürung des bildseitigen Strahlenganges (wo also die "Punktschärfe" liegt) längs der optischen Achse verschiebt, sobald man die Blendenöffnung verändert. Das ist im Prinzip eine direkte Folge des Kugelgestaltsfehlers optischer Systeme (sphärische Aberration) und der Tatsache, daß dieser Kugelgestaltsfehler durch bloßes Abblenden stark gemildert werden kann.
Mit der Einführung von Springblendenobjektiven konnte über diese Verschiebung der Schärfe nun nicht mehr hinwegsehen werden. Das liegt daran, weil jene prinzipiell und ausschließlich bei offener Blende scharfgestellt werden. Photographiert wird dann aber fast immer mit einem mehr oder weniger abgeblendeten Objektiv, wodurch nun quasi stets und zwangsläufig bei jeder Aufnahme Blendendifferenz auftreten würde. Das konnte natürlich bei hochentwickelten Kamerasystemen nicht mehr geduldet werden und so erforderte die Umarbeitung der Blendenmechanik von Normal- auf Automatikblende auch ein Überarbeiten der optischen Konstruktion. Beispielsweise ist überliefert, daß einer der Gründe dafür, weshalb Prof. Zöllner nach Erscheinen der Praktisix das Tessar 2,8/80 mm so rasch wie möglich durch das neue Biometar ablösen wollte, darin gelegen hat, daß ersteres erheblich mit Blendendifferenz behaftet gewesen sein soll. Beim vierlinsigen Tessar war keine weitere Optimierung mehr möglich; bei anderen Objektiven, die auf Springblende umgerüstet wurden, kann man aber davon ausgehen, daß im Zuge der Neuberechnung ein besonderes Augenmerk auf eine verbesserte Behebung dieses Bildfehlers gelegt wurde.
Das 180er Sonnar mit dem Rechnungsdatum 14. Februar 1959 wurde dann spätestens ab April 1961 in der neuen Springblendenfassung hergestellt, das 300er mit Rechnungsdatum 19. August 1963 dann ab April 1964. Vom 300er wurden aber zunächst nur kleine Serien von wenigen hundert Stück pro Jahr fabriziert. Ich habe ja schon an anderer Stelle erwähnt, daß dessen Produktion ganz offensichtlich sehr arbeitsaufwendig und auch materialmäßig teuer gewesen sein muß. Es gehörte aber auch qualitativ zum Besten was es damals auf dem Weltmarkt zu kaufen gab.
Die Umstellung auf die Springblende ging bei diesen beiden Sonnaren übrigens mit einer Umstellung auf das Steckbajonett der Praktisix einher. Dies bot die prinzipielle Möglichkeit, das jeweilige Objektiv über einen Adapter an verschiedene Kleinbildkameras anzuschließen. Als diese Konzeption erarbeitet wurde, waren das Praktina Bajonett und die Exakta die führenden Systeme. Bei diesen beiden Anschlüssen war es möglich, die BLENDENVOLLAUTOMATIK der Sonnare aufrechtzuerhalten. Schon während der Einführung dieser beiden Sonnare schied aber die Praktina IIA wegen Einstellung der Produktion aus und die Exakta verlor nach und nach an Bedeutung. Also war es das M42-Gewinde, das nun den Dresdner Kamerabau dominierte, ohne daß man sich bei Pentacon wirklich bewußt für diese damals schon veraltete Gewinde-Lösung entschieden hätte. M42 war um 1970 von den besagten drei Anschlüssen schlicht und ergreifend derjenige, der übrig geblieben war.
Was den Adapter von Praktisix auf M42 betrifft, wurde nun allerdings gerade bei diesem Anschluß leider keine Vollautomatik erreicht, sondern die Blende mußte nach dem Auslösen immer manuell geöffnet werden. Das war an sich schon ungünstig, wurde aber noch problematischer, als mit der PRAKTICAmat die Innenlichtmessung bei Arbeitsblende eingeführt wurde. Nun sprang bei jeder Belichtungsmessung die Blende zu und mußte dann wieder manuell geöffnet werden, um scharfstellen zu können. Das war äußerst unpraktisch, wurde aber im Prinzip 20 Jahre lang so gebaut, weil man 1959 nun einmal (unbewußt) diese Richtungsentscheidung getroffen hatte. Eine gewisse Erleichterung brachte die Blendenelektrik, die ja ein Abblenden des Objektives zur Messung unnötig machte. Dafür mußten aber nun aber wiederum mechanische Einrichtungen geschaffen werden, um die Stellung des Blendenrings an den Adapter weiterzugeben, der das Potentiometer für die Blendenelektrik enthielt. Das verkomplizierte das System unnötig, ohne daß man grundsätzlich die nur halbautomatische Springblende in eine vollautomatische umwandeln konnte. Nur das Zuspringen der Blende bei jeder Messung wurde dadurch eliminiert. Aus diesem Grunde wurde in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre beispielsweise mit dem Sonnar 2,8/200 und dem Prakticar 4/300 nun wieder vom Konzept der Adapter abgegangen und eigens zu den jeweiligen Systemen kompatible Objektive entwickelt.
Diese ganze Entwicklung konnte man freilich am Anfang der 1960er Jahre noch nicht absehen. Die Richtungsentscheidungen, die damals in Dresden und Jena getroffen wurden, deuten darauf hin, daß ursprünglich das Schraubbajonett der Praktina IIA als zukünftiger Standard vorgesehen war. Die Objektivanschlüsse der Praktina und Praktisix waren – vom unterschiedlichen Auflagemaß und dem Bajonettdurchmesser abgesehen – voll kompatibel zueinander, sodaß der dazugehörige Adapter quasi nur eine mechanische Verlängerung darstellte. Mit der Einstellung der schwer verkäuflichen Praktina ein Jahr später war diese Ideallösung allerdings gestorben und der Dresdner Kamerabau hatte sich dadurch gewissermaßen unbeabsichtigt eine Konzentration auf das problematische M42-Gewinde auferlegt. Das sollte sich später noch als eine große Bürde herausstellen.
Selten anzutreffen ist diese Kombination des Olympiasonnars mit einem Adapter zur Aufrechterhaltung der automatischen Springblende an der Praktina IIA. Das liegt daran, daß die Serienfertigung des Springblenden-Sonnars erst im September 1962 anlief, währenddessen die Produktion der Praktina schon im Mai 1960 eingestellt worden war. Und weil einer der Gründe für das Aufgeben der Praktina-Reihe darin lag, daß man unbedingt die Bevorratung mit Objektiven ihres Anschlusses los haben wollte, wurden Wechselobjektive für die Praktina während der 1960er Jahre auch nur noch sporadisch ausgestoßen. Bei diesem Exemplar handelt es sich übrigens um die erste Version des Springblenden-Sonnars 180mm, das sich noch durch eine kürzeste Einstellentfernung von 2,2m auszeichnet. Unten die für die damalige Zeit (1962!) hochmodern gefertigten Fassungsteile. Man beachte den kugelgelagerten Blendenkäfig. Diese aufwendige Konstruktion war notwendig, um trotz der massereichen Blendenmechanik die Blendenschließzeit von etwa 25 Millisekunden zu gewährleisten.
Zusammen mit der Springblende wurde außerdem bei vielen damaligen Objektiven sukzessive der extrasteile Schneckengang und eine automatische Blendenkorrektur eingeführt. Letztere sorgte dafür, daß beim beim Naheinstellen der durch den verlängerten Auszug bedingte Lichtverlust automatisch durch eine Öffnung der Blende ausgeglichen wurde. Das war eine praktische Angelegenheit, die besonders beim Flektogon 2,8/35 mm und dem Sonnar 3,5/135 mm mit ihren langen Schneckengängen eine sinnvolle Wirkung hatte, weil bei diesen der Verlängerungsfaktor nicht mehr vernachlässigt werden kann. Zum Patent angemeldet wurde diese Idee am 17. Oktober 1960 [DDR-Patent Nr. 29.092]. Helmut Scharffenberg, Rudolf Paul und Hermann Friebe waren die Erfinder. Grundlage war der schräg verlaufende Schlitz der Blendenführung (Teil 7), die unten anhand der Zeichnung und rechts am praktischen Beispiel dargestellt ist. Diese damals sehr sinnvolle Einrichtung wurde aber rasch obsolet, als in der zweiten Hälfte der 60er Jahre die Innenlichtmessung zum Standard wurde, die diesen Lichtverlust nun automatisch berücksichtigte.
Den extrasteilen Schneckenhang hatte das 180er Springblendensonnar übrigens nicht von Anfang an. Ursprünglich lag die Naheinstellgrenze bei 2,2m und wurde ab der Zebra-Version auf 1,7m verkürzt. Das 300er gab es aber von Anfang an nur in der letztgenannten Version. Für die Pentacon Super wurden sogar einzelne Stücke dieser beiden Sonnare herausgebracht, bei denen ein zusätzlicher Stößel den eingestellten Blendenwert an diese speziell dafür eingerichtete Kamera übermittelte. Das war insgesamt alles sehr modern und international wirklich tonangebend. Insbesondere das 180er Sonnar mit seinem steilen Schneckengang und der dadurch springenden Scharfstellung ist auch heute noch ein begehrenswertes Objektiv für die Pentacon Six. Von der Bildleistung ganz zu schweigen. Unter Umständen muß heute nur einmal der Schneckengang mit einem modernen, synthetischen Fett neu geschmiert werden. Die Originalschmiermittel sind nach 40...50 Jahren meist verbraucht. Wie sowas aussieht, das kann man sich in der Reparatur-Sektion einmal ansschauen. Das Sonnar 180 mm kostete 652,80 Mark für die Praktisix, 734,80 Mark für M42 und Exakta (mit zusätzlichem Adapter) und 747,80 Mark für die Pentacon Super.
Nicht von ungefähr gilt das Sonnar 2,8/180 mm als das Portraitobjektiv des Mittelformates schlechthin. Die Bildwirkung und das Freistellungsvermögen dieses Objektives sind legendär. Photo von Lubomir Arabadjiev, Bulgarien.
Beinah märchenhaft ist die Stimmung, die Artur Popiołek aus Polen mit dem Olypiasonnar an seiner Pentacon Six herbeizaubern konnte (Fomapan 100, Rodinal).
Mit solch einer Ausrüstung wurde im gesamten Ostblock gearbeitet. Auch Dr. Siegmund Jähn hatte diese Zusammenstellung 1978 mit in der Sojus-Kapsel.
Pentovar 2,8/35-100 mm (?)
Zum Abschluß noch ein Objektiv, das man sich zwar hat patentrechtrechtlich schützen lassen, das aber leider nicht auf den Markt gebracht wurde. Wolfgang Naundorf und Harald Maenz hatten mit ihrem Patent Nr. DD48.057 vom 18. Mai 1965 ein "Objektiv mit veränderbarer Brennweite und optischer Kompensation der Bildortverlagerung" entwickelt, das möglicherweise eine Reaktion auf das Voigtländer Zoomar 2,8/36-82mm gewesen sein könnte. Das ist sogar sehr wahrscheinlich, denn die Patentschrift bezieht sich explizit auf ein bekanntes derartiges Objektiv, dessen kürzeste Brennweite kleiner als die ausgezeichnete Bilddiagonale sei und das eine Brennweitenvariation von maximal 2,3-fach aufweise. Beides trifft paßgenau auf das erwähnte Voigtländersche Varioobjektiv zu, das seinerzeit praktisch ohne Konkurrenz war. Es wurde von einem in den USA lebenden Österreicher namens Frank Gerhardt Back entwickelt (DBP Nr. 1.116.427 vom 14. November 1958) und ab 1959 in Braunschweig gefertigt. Naundorf und Maenz wollten mit ihrer Erfindung den Variobereich auf über 1:2,8 ausdehnen und dabei die Verzeichnungsprobleme des Konkurrenzproduktes umgehen.
Wie der Linsenschnitt aus der Patentschrift zeigt, wäre für dieses Zoom mit dem Brennweitenbereich 35 bis 100 Millimeter ein ganz erheblicher Linsenaufwand vonnöten gewesen, wobei ausschließlich hochbrechende Gläser zum Einsatz gekommen wären. Die Linse Nummer sechs hätte sogar aus neuartigem Boratglas bestehen sollen, welches von Werner Vogel und Wolfgang Heindorf erst wenige Jahre zuvor im Jenaer Glaswerk entwickelt worden war (DDR-Patent Nr. 22.535 vom 26. Juni 1959).
Im Patent ist zwar explizit von einem Zoombereich von 35 bis 100 mm die Rede, doch es gibt Anzeichen dafür, daß dieses Varioobjektiv letztlich nicht für das volle Kleinbildformat, sondern für das Halbformat 18x24 mm praktisch umgesetzt wurde. Vorgesehen war es als "Varionar 2,8/25-75 mm" für eine zur Einäugigen Reflexkamera ausgebauten Penti. Diese mit dem Projektnamen "SR24" versehene Kamera kann man als Reaktion auf die ziemlich erfolgreiche Olympus PEN F aus dem Jahre 1963 ansehen. Doch bereits wenige Wochen nach Fertigstellung eines Musterobjektives wurde in Dresden die Entwicklung der Halbformatreflexkamera eingestellt. Im Jahr darauf verschwand daher auch das Projekt dieses Varioobjektivs für immer in der Schublade.
Marco Kröger
Letzte Änderung: 21. August 2024
Yves Strobelt, Zwickau
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