Personen

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An dieser Stelle soll in loser Folge an einige wichtige Leute erinnert werden, die für die Mitteldeutsche Photoindustrie Bedeutendes geleistet haben.

Harry Zöllner

Auf diesem Bild aus den 1950er Jahren sieht man Prof. Dr. Harry Zöllner (29. Januar 1912 bis 30. Dezember 2007). Nachdem die Amerikaner die erste unmittelbar nach Kriegsende und anschließend die Sowjets die zweite Riege an Zeiss-Fachleuten in ihre Länder deportiert hatten, war dieser junge Doktor der Physik, der bis zum Kriegsende sein Handwerk bei Voigtländer in Braunschweig ausübte, als einer der wenigen erfahrenen Objektivkonstrukteure auf dem Gebiet der SBZ übrig geblieben. Das bedeutet freilich nicht, daß dieser Mann dritte Wahl gewesen sei – ganz im Gegenteil. Ihm ist es zu verdanken, daß Jena überhaupt als einer der bedeutendsten Objektivbaustandorte der Welt erhalten geblieben ist. Denn kaum hatte Zöllner seine Aufgabe als Leiter des Rechenbüros der Abteilung Photo aufgenommen, wurde das Werk von der Besatzungsmacht bis beinah auf die letzte Maschine demontiert. Doch folgte auf diesen Aderlaß keine Resignation, sondern intensive Wiederaufbauleistung. Während die Techniker den nötigen Park an Produktionsmitteln wiederherstellten, wurden in Zöllners Rechenabteilung bewährte Objektivtypen auf Basis neuer Glasarten optimiert – so unter anderem die weltweit bekannten Tessare. Zu den weiteren Konstruktionsleistungen Zöllners aus den späten 1940er Jahren zählte auch das Biometar sowie das Flektogon als erstes Retrofokus-Weitwinkelobjektiv. Bislang wenig in Fachkreisen thematisiert wurde zudem, daß Dr. Zöllner in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre auch einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau eines sowjetischen Photoobjektivbaus geleistet hat, dessen Portfolio lange Zeit fast ausschließlich aus angepaßten Zeiss- bzw. Zeiss-Ikon-Konstruktionen bestand.

Harry Zöllner Carl Zeiss Jena

Eine große Rolle hat dieser Mann auch bei der Umstellung auf digitale Rechentechnik („OPREMA“) Mitte der 50er Jahre gespielt. Über den Technologieschub, der sich daraus ergab, habe ich in der Sektion Objektive schon einiges berichtet. Zöllner selbst entwickelte in dieser Zeit mit dem Flexon noch einen Nachfolger des Biotar-Normalobjektivs. Auch ein ultralichtstarkes Röntgenobjektiv sowie Reproduktionsobjektive vom Typ Apo-Germinar konstruierte er. Man erkennt aber auch, wie Harry Zöllner die Abteilung Photo mittlerweile durch einen hochtalentierten Mitarbeiterstamm erweitert und gefestigt hatte, der ab Mitte der 1950er Jahre photographische Objektive hervorbringt, die in optischer und mechanischer Hinsicht den Konkurrenten auf dem Weltmarkt teils um Jahre vorauseilen.  

Zöllner: Ernst Wandersleb

Zöllner übernimmt ab Anfang der 60er Jahre immer größere Leitungsaufgaben innerhalb der Abteilung Photo und wird Professor an der TU Ilmenau, konstruiert aber bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1977 noch einige Spezialobjektive für das Großformat und für die Mikrophotographie. Für den Photoamateur veröffentlichte Zöllner über die Jahre hinweg einige wertvolle Aufsätze in den Fachzeitschriften des Landes, in denen er in verständlicher Sprache technische Probleme wie die unterschiedliche Farbwiedergabe verschiedener Objektivtypen behandelte, Einblick in die Arbeit des Objektivkonstrukteurs lieferte oder an die schöpferischen Leistungen seiner Vorgänger erinnerte (siehe Beispiel oben über Ernst Wandersleb). Harry Zöllner muß ganz in der Tradition Ernst Abbes als einer der bedeutendsten Optiker Deutschlands gesehen werden.

Harry Zöllner: Sinus- und Cosinus-Tafeln

Um vor Einführung der digitalen Rechentechnik eine überschlagsmäßige Strahlenverfolgung im Objektiv zu ermöglichen, wurden bei Zeiss Jena diese von Dr. Zöllner eigens herausgegebenen fünfstelligen trigonometrischen Tafeln angewandt [Vgl. Dietzsch, Retrofokus, 2002, S. 110.].

Diesen Mann, über den ich an dieser Stelle leider viel zu wenig sagen kann, möchte ich dennoch hier erwähnt haben, weil man über ihn kaum etwas im Internet findet. Mir ist er aufgefallen durch seinen kleinen Aufsatz "Einiges aus der Arbeit des Optik-Konstrukteurs" in der Fachzeitschrift Bild und Ton, Heft 7/1957. Seine Patentüberlieferung läßt erkennen, daß der Dr. Ing. Robert Tiedeken in den 1930er Jahren in Großhadern bei München gelebt und für das dortige AGFA-Kamerawerk gearbeitet hat. Neben Beleuchtungsoptiken für Farbvergrößerer hat er damals bereits Projektionsobjektive für Filmprojektoren entwickelt [D.R.P Nr. 909.503 vom 25. April 1937].  In diesen beiden Spezialgebieten – Kondensoren und Projektionsobjektive – hat Tiedeken auch nach dem Kriege weitergeforscht; nun allerdings für den VEB Carl Zeiss JENA. Zusammen mit Harald Maenz und Rudolf Wanke schuf er das Projektionsobjektiv "Visionar" [DD22.291 vom 29. Oktober 1958], das nötig wurde, als in der DDR ein eigenes anamorphotisches Breitwandverfahren entwickelt werden sollte, das kompatibel zum amerikanischen Cinemascope sein mußte. Neben dem entzerrenden Vorsatz ("Prokimaskop") benötigte man nun auch ein Projektionsobjektiv, das den gesteigerten Qualitätsanforderungen auch gerecht wurde. Immerhin wurde nun nicht nur das Filmbild um den Faktor zwei gestreckt, sondern gleichsam die optischen Restfehler des Projektionsobjektives. Tiedeken hat dieses neue Visionar in einem Aufsatz  in der Bild & Ton Heft 3/1960 vorgestellt. Aus weiteren Aufsätzen geht hervor, daß Robert Tiedeken auch der Vertreter der optischen Industrie der DDR im (damals noch) gemeinsamen Deutschen Normenausschuß ("DIN") gewesen ist und in diesem Zusammenhang an der Vereinheitlichung von Standards  auf diesem Gebiete beteiligt gewesen ist. So geht maßgeblich die geometrische Reihung der Projektionsbrennweiten des Kinos auf ihn zurück, womit der Übergang zwischen den unterschiedlichen Bildformaten sehr erleichtert wurde. Im Idealfall brauchte man nur zwei Brennweiten, um das Schirmbild beim Formatwechsel auf gleicher Bildhöhe zu halten.


Seine letzte Patentanmeldung stammt vom Juli 1979 und beschäftigt sich mit der Übertragung von Aufnahmen aus der Körperhöhle mittels flexibler Faseroptik.

Robert Tiedeken

Zeiss Visionar

Wie mir Herr Witold Hackemer mitteilte, sollten zudem Robert Tiedekens didaktische Leistungen gewürdigt werden. In den 1950er Jahren führte er interne Schulungen für die Mitarbeiter des Rechenbüros durch, die sehr tiefgreifend gewesen sein sollen und die 1956 ihre Synthese im "Lehrbuch für den Optik-Konstrukteur" gefunden haben. Dieses Grundlagenwerk konnte neben der Vermittlung der theoretischen Einblicke vor allem auch wertvolle praktische Hilfestellungen für den Konstrukteur optischer Systeme bereitstellen. Ein ausstehender zweiter Band konnte trotz der Vorarbeiten indes nicht mehr verwirklicht werden.

Erich Höhne und Erich Pohl

Auf diesen Seiten sind immer wieder einmal photographische Aufnahmen aus der Frühzeit des Dresdner Kamerabaus in den Kontext eingebaut, die von diesen beiden Pionieren des Photojournalismus der DDR stammen. Deshalb möchte ich Erich Pohl (1904 - 1968, unten links) und Erich Höhne (1912 - 1999, rechts) hier einmal gesondert würdigen. Das Bild stammt aus der Deutschen Fotothek der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden, die das gesamte Werk dieser beiden Photographen verwaltet und öffentlich zugänglich macht.

Erich Pohl und Erich Höhne

Karl Nüchterlein

Bei zwei Männern, die die Dresdner Kameraindustrie entscheidend geprägt haben, fallen einem verblüffende Ähnlichkeiten ins Auge: Zum einen vom rein äußeren Erscheinungsbild her; zum anderen was ihren Werdegang als außergewöhnlich begabte Autodidakten betrifft. Der eine, Ludwig Bertele, hat den Objektivbau revolutioniert, der andere den Kamerabau. Karl Nüchterlein (1904 - 1945) hat im Laufe seiner Tätigkeit bei den Kamerawerken des Johan Steenbergen ein Verständnis für Phototechnik entwickelt, das ihn zu ganz außergewöhnlichen Pionierleistungen befähigte. Er muß neben Oskar Barnack und Reinold Heidecke zu den drei bedeutendsten deutschen Kamerakonstrukteuren gezählt werden, deren herausragende Stellung darin lag, daß sie grundlegende Konzepte einer neuen Kameragattung entwickelt haben. Zwar war weder Barnacks Schlitzverschluß-Sucherkamera noch Nüchterleins Einäugige Reflex und noch nicht einmal die Zweiäugige Reflex Heideckes vollkommen neu, aber das Verdienst dieser drei Herren lag darin, ihren jeweiligen Kameratyp zur konstruktiven Reife gebracht und dabei ein technisches Niveau erreicht zu haben, das später nur noch in Nuancen zu verbessern gewesen ist.

Karl Nüchterlein

Bild: Werner Wurst, Sammlung Gary Cullen

Worin Nüchterleins Leistungen bei der Entwicklung der Einäugigen Reflexkamera des modernen Typs im einzelnen bestand, darüber habe ich ausführlich in einem langen Aufsatz zur Patentüberlieferung seiner Exakta-Entwicklungen referiert. Insbesondere seine Kopplung von Filmtransport, Verschluß und Spiegelbewegung sind erwähnenswert, weil er dabei deutlich über das Maß an Komplexität hinausgehen mußte, dem sich Heidecke und Barnack bei deren Kameratypen gegenüber sahen. Wie außergewöhnlich Nüchterleins Fähigkeiten waren, zeigt sich auch daran, wie schwer sich die riesige Zeiss Ikon AG tat, etwas Adäquates auf den Markt zu bringen. Nüchterlein hat offenbar in weitgehender Einzelleistung das geschafft, was beim großen Konkurrenten ganze Konstrukteursgruppen nicht fertigbrachten. Seine Grundlagenpatente stellten sich darüber hinaus wohl als derart essentiell heraus, daß der Weg zu einer ähnlich ausgereiften Reflexkamera seinerzeit zu großen Teilen versperrt wurde.


Bislang wenig beachtet waren zudem seine Bemühungen, auch noch einen Belichtungsmesser in das vielversprechende Einäugige Reflexprinzip zu integrieren. Auch auf diesem Felde der später als "Innenlichtmessung" bezeichneten Technologie war Nüchterlein in einer Weise vorangekommen, daß seine Ihagee zur führenden Kamerabauanstalt der Welt hätte werden können, wenn nicht dieser verbrecherische Krieg alles zunichte gemacht hätte. Doch ebenjener Krieg sollte dem Dresnder Kamerabau nicht nur zehn wertvolle Jahre nehmen, sondern kurz vor dessen Ende auch noch seinen fähigsten Konstrukteur.

Wolf Dannberg

Wer sich heute ein Pancolar oder ein Flektogon an seine Kamera schraubt, der wird sich leider kaum bewußt machen, daß er diese Objektive den Arbeiten des Diplomphysikers Wolf Dannberg (1918 - 1984) verdankt. Es hat durchaus etwas Absurdes, wenn dieser Mann heute nur noch dadurch bekannt ist, weil er im Jahre 1958 "DDR-Fernschachmeister" geworden ist. Dabei droht in Vergessenheit zu geraten, daß Dannberg ohne Übertreibung zu den bedeutendsten Objektivkonstrukteuren des 20. Jahrhunderts zu zählen ist.

Wolf Dannberg Zeiss Jena 1950

Links: Der Schach spielende Wolf Dannberg im Jahre 1950. Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schach_Jena-Erfurt_1950.jpg

Neben einer sehr überschaubaren Gruppe von Kollegen (u.a. Rudolf Solisch und Walter Wöltche [Isco], Günther Lange [Zeiss Oberkochen] Günter Klemt [Schneider], Hans Lautenbacher [Enna] und natürlich Pierre Angénieux) war er einer der Väter des Retrofokus-Weitwinkelobjektivs. Darunter versteht man solcherlei für die Spiegelreflexkamera geeignete Weitwinkelsysteme, die ihre gegenüber der Brennweite stark verlängerte Schnittweite dadurch erzielen, daß einem Grundobjektiv zerstreuende Vorsätze vorgeschaltet werden. Als im Laufe der 1950er Jahre die Bildwinkelleistung solcher Retrofokus-Weitwinkel weit über die bisher erreichten 60 Grad erweitert werden sollte, mußten völlig neue Lösungswege gesucht werden, die höchste Anforderungen an die Rechenarbeiten stellten. Mit seinem DDR-Patent Nr. 23.457 "Afokales Weitwinkel-Vorsatzsystem" vom 22. Juni 1955 hat Dannberg diesbezüglich wertvollste Grundlagenarbeit geleistet, die wenige Jahre später ihre praktische Verwertung in den Retrofokus-Pionieren Flektogon 4/25 mm und Flektogon 2/5,5 mm fand. Eine für etliche Jahre international ohne Beispiel stehende Leistung war dann das unter seiner Führung entwickelte Weitwinkelobjektiv Flektogon 4/20 mm, mit dem erstmals ein Bildwinkel von 90 Grad überschritten werden konnte. Seine zahlenmäßig erfolgreichste Schöpfung dürfte freilich das Pancolar 1,8/50 mm gewesen sein, das über zwei Jahrzehnte hinweg in großen Stückzahlen gefertigt worden ist und bis heute hoch geschätzt wird.

Wolf Dannberg und Abteilung Photo 1956

Wolf Dannberg (zweiter von links) und die Abteilung Photo des VEB Carl Zeiss Jena im Jahre 1956. Als anfänglicher Werksstudent bei Zeiss Jena hatte er sich bis zum Leiter des Rechenbüros unter Harry Zöllner emporgearbeitet.

Keine großen Erfolge waren hingegen Dannbergs Pionierleistungen im Bereich der Spiegellinsenobjektive beschieden (DDR-Patent Nr. 13.303 vom 22. Oktober 1954). Das lag freilich nicht an mangelhafter Konstruktion sondern schlicht daran, daß sich diese Objektivtypen einfach nicht in der photographischen Praxis bewährten. Das herausragend auskorrigierte Spiegelobjektiv 4/500 wies eine derart geringe Schärfentiefe auf, daß damit in der bildmäßigen Photographie kaum etwas anzufangen war. An diesem prinzipiellen Fehler litt auch der Nachfolger 5,6/1000, der aber bis in die 1980er Jahre wenigstens in kleinsten Serien gefertigt wurde. Derlei lichtstarke Spiegellinsenobjektive blieben im Bereich der Photographie auf wenige spezielle Einsatzfälle beschränkt.

Carl Zeiss Jena Spiegelobjektiv
Carl Zeiss Jena Spiegelobjektiv
Carl Zeiss Jena Spiegelobjektiv
Carl Zeiss Jena Spiegelobjektiv

Der kurz vor der Novemberrevolution 1918 in Riga geborene Dannberg, der von seinen Mitarbeitern und Schülern hoch geschätzt wurde, mußte sich noch vor Erreichen des Pensionsalters aus gesundheitlichen Gründen im Jahre 1977 ins Privatleben zurückziehen. Er starb 1984.

Marco Kröger


letzte Änderung 26. April 2024