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Technikgeschichte der mitteldeutschen Photoindustrie

Ursprünglich war diese Seite erstellt worden, um speziell die Kameras und das Photozubehör aus dem VEB Zeiss Ikon, Dresden, zu zeigen. Im Laufe der Zeit sind aber immer mehr Beiträge dazugekommen, die die Erzeugnisse dieses Betriebes in einen Kontext zur Leistungsfähigkeit der umliegenden Photobetriebe jener Epoche setzen. Trotz Schwerpunkt auf der Zeit nach 1945 wird dabei zur räumlichen Abgrenzung bewußt der Begriff "mitteldeutsch" weiterverwendet, weil er die historisch gewachsene und damit traditionell sehr enge Verknüpfung von Kamera- und Objektivbaubetrieben zwischen dem thüringischen Raum über Sachsen bis hin zum ehemals schlesischen Görlitz am treffendsten zusammenfaßt. Das liegt selbstverständlich auch daran, daß eine "DDR-Photoindustrie" nicht einfach am 7. Oktober 1949 "vom Himmel gefallen" ist. Dieser Umstand verlangt oft nach einem sowohl zeitlichen als auch räumlichen Ausgreifen, wie beispelsweise im Hinblick auf den Rathenower Objektivbau gut zu sehen ist.


In den einzelnen Artikeln zu den Kameras und Objektiven wurde schwerpunktmäßig zunächst ein technikgeschichtlicher Ansatz gewählt, weil der Photogerätebau eben traditionell ein Industriezweig ist, der in den Bereich der Hochtechnologie eingeordnet werden muß. Entsprechend umfangreich ist auch die diesbezügliche Patentliteratur. Dieser technische Aspekt wurde jedoch meines Erachtens in den seit 1990 verschiedentlich veröffentlichten betriebs- bzw. branchengeschichtlichen Darstellungen zur mitteldeutschen Photoindustrie nicht tiefgreifend genug beachtet. Der Grund dafür mag daran liegen, daß die Technikgeschichte nach Bearbeitern verlangt, die gleichermaßen geistes- wie ingenieurswissenschaftliche Begabung zeigen müssen, um das Fachgebiet in aller Tiefe zu durchdringen.  Sowohl der Aufbau jener zentralen Führungsposition, als auch der anschließende schleichende Bedeutungsverlust der mitteldeutschen Photoindustrie auf dem Weltmarkt läßt sich aber in erster Linie als Folge der technischen Konkurrenzfähigkeit und ihres Verlustes erklären. Deshalb ist es unabdinglich, technische Entwicklungen bis ins Detail zu analysieren und mit den Lösungen der Konkurrenzunternehmen in Vergleich zu setzen. Trotzdem haben sich aus diesem zunächst sehr technisch dominierten Ansatz nach und nach auch neue Erkenntnisse zur wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung dieser Branche ergeben – insbesondere auch zur Erklärung des abrupten Verschwindens des ehemaligen Vorzeigebetriebes VEB Zeiss Ikon in der zweiten Hälfte der 50er Jahre. Diese Seiten sind somit auch in dieser Hinsicht als Ergänzung des "Forschungsstandes" gedacht. Zudem habe ich mir es nicht nehmen lassen, im Abschnitt "Basteleien" auch ein paar ungewöhnliche Umbauten von Erzeugnissen dier hiesigen Photoindustrie zu zeigen.

ZeissIkonVEB.DE

Die Seite wird betrieben von Yves Strobelt aus Zwickau in Sachsen. Marco Kröger aus dem schönen Erzgebirge steuert mittlerweile die überwiegende Zahl der Artikel bei. Dabei hat die Seite den Charakter eines fortlaufenden Projektes – ständig kommt irgendetwas Neues hinzu oder Vorhandenes wird überarbeitet. Schauen Sie also am besten immer mal wieder vorbei!

Yves Strobelt Taxona Blitzlichteinrichtung
Marco Kröger Exakta Plastika

Sinn und Zweck der folgenden Seiten ist es, unsere Faszination für alte Phototechnik zu teilen sowie das Interesse an jenen Industriebetrieben zu wecken, die diese Produkte einstmals fabriziert haben. Demgegenüber hat diese Internetseite keinerlei kommerzielle Zielrichtung. Wir kaufen und verkaufen nichts, wir fertigen nichts an für Sie und reparieren auch Ihre Kameras nicht. Die hier dargetanen Äußerungen spiegeln unsere ganz persönliche Auffassung wider. Sämtliche photographische Aufnahmen – so nicht anders angezeigt – stammen von den Verfassern.


Mittlerweile kann man diese Seiten auch mit Mobil-Geräten bequem lesen. Leider ist es nur schwer machbar, eine Internetseite so zu gestalten, daß sie für den PC mit seinem horizontalen Breitbild gleichermaßen wie für das Handy mit seinem sehr länglichen Hochformat gleich gut ausfällt. Ich habe in den letzten Monaten viel Zeit aufgewendet, die Inhalte für beide Endgeräte zu optimieren.


Hätten Sie übrigens gedacht, daß diese Seite trotz ihrer ziemlich speziellen Thematik mittlerweile von über einer Viertelmillion Lesern im Jahr aufgerufen wird? Wir danken für dieses Interesse und die regelmäßigen Anfragen und Rückmeldungen! 

Pentagon - Pentacon

The hint above is manly for our American visitors. ;-) Photographic devices from a region stretching between Jena, Dresden and Görlitz is the topic of this site. You'll find ordinary things and curiosities. Most descriptions are in German, but if you have any questions don't hesitate to write an email. Or you can contact us via the "Praktica DDR" group on facebook organized by Paul Slabbers from the Netherlands, where fans of East-German photo-equipment meet from all over the world. Let us use these "social networks" for reasonable things instead of  pouring hate and derision upon each other!

Nein, diese Dame gehört nicht zu uns! ;-) Montage der Praktica FX2 in den Kamerawerken Niedersedlitz etwa 1957. Photographiert von Max Ittenbach.


Assembly of the Praktica FX2 at Kamerawerke Niedersedlitz in about 1957

Man macht sich heute keine Vorstellung mehr davon, welch ein  aufwendiges Handwerk der Objektivbau vor etwa hundert Jahren gewesen ist. So sah der Ausgangspunkt der Linsenfertigung bei Carl Zeiss Jena (bzw. im Jenaer Glaswerk) in der ersten Hälfte der 1920er Jahre aus. Das Rohglas mußte von erfahrenen Leuten nach Lauterkeit überprüft und danach in möglichst ökonomisch sinnvoll verwertbare Stücke gebrochen werden. Photographiert von Albert Renger-Patzsch.

So wurde Mitte der 1950er Jahre  im Ihagee Kamerawerk  gearbeitet. Derlei Industriearbeitsplätze sind heutzutage quasi ausgestorben. Von Industrie mag man ja eigentlich gar nicht sprechen. Im Grunde genommen sehen wir auf diesem Bild  spezialisierte Handwerker, die in Teilarbeit  gemeinsam ein Produkt herstellen. Das entspricht aber eher der Definition einer vorindustriellen Manufaktur, denn  der einer Fabrik  des Industriezeitalters. Die Ihagee war nicht zuletzt auch aus jenem Grunde massiv vom Konkurrenzdruck betroffen, als nach 1960 hochwertige, sehr gut verarbeitete und technisch fortschrittliche Kleinbildreflexkameras von Firmen  wie Nikon, Canon oder Topcon auf die Märkte  drängten. Photographiert von Werner Wurst.

Konkurrenzdruck für die Ihagee kam aber damals nicht nur aus Japan. Nachdem die Volkseigene Kameraindustrie in einem einzigen Großbetrieb zusammengeschlossen worden war und sich allmählich konsolidiert hatte, konnten hier ab Mitte der 1960er Jahre hoch-rationelle Fertigungsverfahren eingeführt werden, die durch Automation und Fließbandmontage  geprägt waren.   Dem Dresdner Kamerabau war es auf diese Weise  gelungen, sich ein weiteres Jahrzehnt lang eine beachtliche internationale Konkurrenzfähigkeit zu sichern, die dann erst allmählich abhanden kam, als ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre immer mehr Elektronik in den Kameras Einzug hielt. Firmen wie die Ihagee, aber beispielsweise auch die bundesdeutschen Wirgin-Werke ("Edixa"), bei denen man den Eindruck hat, daß an den Messingzahnrädchen so lange gefeilt wurde, bis sie gepaßt haben, waren zu dieser Zeit freilich längst schon eingegangen. (Photographiert von  Erich Höhne und Erich Pohl)

Und hier kann man sich mal ein Bild davon machen, wie wertvoll eine Kleinbildkamera nach dem Kriege gewesen ist. Inserat unter der Rubrik "Tauschgesuche" in der "Fotografie" Heft 4/1953.

Bereits wenige Jahre nach der vollständigen Demontage wurden im VEB Carl Zeiss JENA mit dem Flektogon 2,8/35mm wieder internationale Spitzenobjektive fabriziert - eine wirklich respektable Aufbauleistung! Photographiert von Wolfgang Schröter im August 1954. [Deutsche Fotothek, Datensatz Nummer 71621249]

Zum Geleit

Dresden und der internationale Photomarkt nach 1945

Wer diese Seiten aufmerksam liest, der wird feststellen, daß viele der hier veröffentlichten Beiträge irgendwie um die Ära der späten 1950er Jahre kreisen. Das mag seinen Grund darin haben, daß es sich hierbei um die wichtigste Umbruchsphase der „mitteldeutschen“ Photoindustrie seit dem Ende des Krieges gehandelt hat. Die unmittelbare Nachkriegszeit war nicht nur vom Wiederaufbau geprägt, sondern auch von einem gewissen Nachholen. Denn viele tragende Produkte aus dieser Zeit – wie der Farbfilm oder die Kleinbildreflexkamera – waren Entwicklungen der späten 30er Jahre, die aufgrund des nahenden Kriegsausbruches und der zwangsläufigen Kriegswirtschaft entweder nur sporadisch produziert, oder gar erst einmal auf Eis gelegt wurden. Nun konnte dieses angestaute Potential frei werden und  dieser Prozeß  wurde dabei im Wesentlichen nur durch die ärmlichen Nachkriegsverhältnisse in einem nennenswerten Maße gehemmt.


Aber dieses Startpotential konnte offenbar nicht dauerhaft einen gesamten Industriezweig tragen. Seit etwa Mitte der 50er Jahre war die mitteldeutsche Photoindustrie in den Mühen der Ebene angelangt und es taten sich an vielen Stellen Defizite und Stockungen auf. Was ich damit genau meine, kann und möchte ich in diesem einleitenden Text noch nicht weiter ausführen. Vielmehr wollte ich die Chance nutzen, hier einmal eine zeitgenössische Beurteilung dieser damaligen Lage zu zeigen. Die Redaktion der »Fotografie« hatte Ende des Jahres 1958 bekannte Photo-Fachleute zur Frage zu Worte kommen lassen „Was wünschen Sie sich von der fotografischen Entwicklung im Jahre 1959?“. Der geschätzte Sachbuchautor  Hans Kleffe hat diese Gelegenheit genutzt, nicht irgendwelches Geschwurbel abzuliefern, sondern eine für die damalige Zeit ungewöhnlich unverwandte Einschätzung. Da sie die Lage in Photoindustrie und -handel der beschrieben Umbruchsphase in knapper Form treffend charakterisiert, möchte ich sie an dieser Stelle ungekürzt wiedergeben.


„Unsere Kameraindustrie möge sich mehr Neues einfallen lassen und es schneller in den Handel bringen! Wenn man verfolgt, wieviel Zeit bisher verging zwischen dem Erscheinen wesentlicher Foto-Neuheiten a) auf Messen b) im Innenhandel, so packt einen kaltes Grausen. Vor allem müssen wir in puncto Halbautomatik aufholen. Die WERRA III und IV sollten nun endlich greifbar sein. Darüber hinaus wünsche ich neben der WERRA IV aber eine weitere Halbautomatische mit folgenden Merkmalen: direkt gekuppelter elektrischer B-Messer, bei dem die Einstellung automatisch dadurch geschieht, daß ein Zeiger od. dgl. dem B-Messer-Zeiger nachgeführt wird; ferner gekuppelter Drei-Brennweiten-Meßsucher (möglichst mit Leuchtrahmen; ungefärbtes Sucherbild mit Maßstab 1:1, so daß man nicht ein Auge zukneifen muß), Filterfaktoren ohne rechnen bequem in die Automatik einzubeziehen; Schleuderhebel-Schnellaufzug, gekuppelt mit Filmtransport; Zentralverschluß; Auslöser-Druckrichtung parallel zur optischen Achse; außer Normal- beiderseits auch filzlose Spezialkassetten verwendbar; griffiges Gehäuse, das an beiden Seiten neben dem Objektiv genug Platz zum sicheren Anfassen bietet; B-Taschen-Nase so groß, daß Filter und eine kurze zylindrische Sonnenblende aufgeschraubt bleiben können; Wechselobjektive nicht erst nach Jahren lieferbar (s. Praktisix); auf elegantes Äußere [sic!] darf man mehr Wert legen (denn Kameras sind wie Frauen weiblichen Geschlechts)! Um mehr Produktionskapazität freizumachen, sollte man die Produktion einiger Auch-Kameras einstellen und sich im übrigen darauf vorbereiten, 1960 eine neuartig kastenförmige Kamera obiger Merkmale (also ohne Mattscheibe), jedoch ohne Wechselobjektiv (oder auch mit?) für 6x6 herauszubringen. Bis dahin: bitte importiert die Flexaret V (nicht IV) in bedarfsgerechten Stückzahlen! Die 'fotografie' möge dem 'bloß' schönen (nicht = idyllischen) Bild mehr Beachtung schenken." [Heft 1/1959, S. 2ff]


Dieser Text ist übrigens nicht unbedingt  nur als ein Ausmalen einer baldigst herzustellenden Traumkamera zu verstehen, sondern auch als eine Kritik an dem, was die Volkseigene Kameraindustrie bislang zu bieten hatte. Der Leser in der DDR wußte schon, wie es gemeint war. Auch den kleinen Seitenhieb auf die  in den 50er Jahren andauernde  ideolgische Überprägung der photographischen Ästhetik  (Stichwort Formalismus) dürften alle verstanden haben. Übrigens  vermochte allein der VEB Carl Zeiss Jena mit der Werra V Kleffes technische Forderungen weitgehend zu erfüllen. Eine von engagierten Amateuren und Berufsphotographen erwünschte, wendige 6x6 (Meß-)Sucherkamera war wohl angedacht und unter dem Namen „Ecasix“ auch vorbereitet worden, erschien aber nicht einmal auf einer Messe. Man erkennt aber auch, welche sich zum Teil widersprechenden Forderungen zu jener Zeit an den Kamerabau gerichtet wurden (z.B. Mehrbrennweitensucher UND 1:1-Sucherbild gleichzeitig) sodaß die Industrie regelrecht von solchen Forderungen getrieben wurde – nicht zuletzt auch in Flops hinein. So kann man nur sagen: Glücklicherweise hat die DDR-Kameraindustrie keine professionelle 9x12 Sucherkamera entwickelt, wie es im selben Beitrag Karl Sütterlin und Heinrich Nickel unabhängig voneinander forderten. Wer hätte die kaufen sollen?  Und was hätte sie gekostet?


Allein Georg Fiedler muß ich großen Respekt zusprechen, denn einer seiner Wünsche traf nicht nur punktgenau den Zeitgeist, er hatte beinah etwas prophetisches:


„Im Märchen darf man an die gute Fee im allgemeinen drei Wünsche äußern. Ich suche für farbige Aufnahmen in Innenräumen zur EXAKTA Varex ein Weitwinkelobjektiv mit etwa 25mm Brennweite. Lichtstärke 4 genügt vollkommen. Sicherlich arbeiten schon in Jena oder Görlitz Optiker und Rechner an der Erfüllung dieses Wunsches?“


Genau das taten sie. Wolf Dannberg hatte die Rechnung zum Flektogon 4/25mm gerade fertiggestellt und im September 1959 wurden die ersten Exemplare produziert. Damit zeigte Fiedler, daß er den „richtigen Riecher“ hatte und daß Leute wie Kleffe zu viel in westdeutschen Werbeprospekten blätterten. Denn ein Wetteifern mit den westlichen Sucherkameras sollte sich für den DDR-Kamerabau als Sackgasse erweisen. Nur wußte man dies in den Jahren 58…59…60 in Dresden eben noch nicht und dementsprechend unsicher gestalteten sich diese Jahre.

Und hier mal ein  Fernsehbeitrag zu unserem Thema aus dem Jahre 2011, der insgesamt ziemlich gut gemacht ist. Sehenswert ist er schon allein deshalb, weil Siegfried Böhm noch einmal zu Worte kommt – einer der großen Schlüsselpersonen des Dresdner Kamerabaus, der 2016 kurz nach seinem 95. Geburtstag verstorben ist. Auch der sympathische Gerhard Jehmlich, der leider im Mai 2018 kurz vor seinem 91. Geburtstag verstarb, der sich aber zehn Jahre zuvor mit seinem Pentacon-Buch "verewigt" hat, ist hier noch einmal zu sehen. Natürlich sind auch ein paar ärgerliche Stellen drin, wie die ein oder andere banale "Zeitzeugenaussage". Auch werden notorisch die falschen Bilder gezeigt. So ist zum Beispiel im Originalton richtigerweise von Varianten der Praktica L für Quelle die Rede, gezeigt wird aber eine "Revue" japanischer Provenienz. Da hat schlichtweg die Fachberatung  gefehlt.


Auch die Story mit den "Gemüsehändlern" scheint mir eher eine Anekdote zu sein. Vielmehr war es doch so, daß die ersten Serien der neuen Spiegelcontax (Modell C) gleich in die USA geliefert wurden, weil dort seit fast einem Jahrzehnt keine hochwertigen Kameras  mehr  erhältlich waren und sich ein Nachfragestau gebildet hatte. Vorkriegskameras wie die Leica, Contax II oder Rolleiflex wurden zu horrenden Preisen gebraucht gehandelt. Jeder kann sich heute selbst davon überzeugen, weil zeitgenössische Journale wie "Popular Photography" (1937-2017) mittlerweile bequem vom heimischen Sofa aus recherchierbar sind. Und dort findet sich im Jahre 1950 auch folgende Annonce.

Die Contax S für 475,- Dollar? Das war damals unvorstellbar viel Geld und obendrein noch einmal deutlich teurer als die Contax IIa aus Stuttgart. Dieser viel zu hoch angesetzte Preis ließ sich einfach nicht halten – zumal der Typ C alsbald jene unrühmlichen Probleme mit dem Verschluß zeigte. Zu diesem Preis bekam man die Kameras offenbar nicht los und die angekratzte  Reputation tat bald ihr übriges. Auch während der restlichen 50er Jahre ist der beständige Preisverfall der Spiegelcontax feststellbar, der zum Teil  auch daher hervorgerufen wurde, daß dieselbe Kamera unter verschiedenen Namen nebeneinander im Angebot war. Die US-amerikanischen Zwischenhändler haben sich offenbar gegenseitig kannibalisiert und die aufgelaufenen Lagerbestände nur schwer abbauen können. Ich kann mir übrigens sehr gut vorstellen, daß über diese Zusammenhänge in der DDR Geheimhaltung geherrscht hat. Daher dann die Anekdoten...

Die unmittelbare Nachkriegssituation im "Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten" ist selbst den dort Beheimateten heute nicht mehr bewußt, weil sie nur ganz kurz andauerte und bald vom Konsumrausch der folgenden Jahre überdeckt worden ist. Für die deutsche Photoindustrie ist diese Phase der "unbefriedigten Nachfrage" aber sehr von Belang, weil sie eine wichtige Rolle beim  Wiederaufbau der hiesigen Betriebe gespielt hat. Insbesondere war das in den westlichen Besatzungszonen der Fall, wo Werke wie Leitz oder Franke & Heidecke bald wieder an den Vorkriegsstand anknüpfen konnten. Offensichtlich hatte die lange Durststrecke der 40er Jahre dazu geführt, daß nun unmittelbar nach dem Kriege, als die ersten Lieferungen wieder einsetzten, die Bevölkerung in erhöhtem Maße bereit war, für eine gute Kamera gutes Geld auszugeben. Für die Ostzone war natürlich eine Teilhabe an diesem Nachfragepotential von großer Wichtigkeit, denn im Gegensatz zu "den Russen" kamen aus den USA harte Devisen zurück in die Produktionsstandorte. Die Amis nahmen diese Zeit übrigens mit Humor: "Wir hätten ja diese Aufnahme eher schon gemacht, aber es gab keinen Film" ;-)

Was die Bedeutung der USA als  jener riesige Absatzmarkt für Photoprodukte betrifft, den dieses Land seit der Etablierung der Amateurphotographie ab etwa den 1890er Jahren traditionell dargestellt hat, gibt es noch zweierlei Dinge zu sagen: Erstens fällt auf, daß sich in den USA nach dem Wegbrechen namentlich der deutschen Lieferungen im Zuge des Kriegsausbruchs eine eigene kleine Photogeräteindustrie herausbilden konnte. Man muß dabei allerdings einschränkend von einem "Kontinentalsperren-Effekt" sprechen. Denn so ähnlich, wie nach 1813 die gerade erst etablierten, frühen sächsichen Spinnmühlen wieder größtenteils eingingen, nachdem  die billigeren und qualitativ besseren englischen Garne wieder auf den kontinentalen Markt strömen konnten, so löste sich nun auch die punktuelle Konjunktur für amerikanische Kamera- und Objektivhersteller rasch wieder im Nichts auf. Nun wollte offenbar niemand mehr die "all metal American made" »ciro-flex« kaufen, denn man importierte erstaunlicherweise sogar  die einfache Blechkamera »Reflekta«. Oder eben gleich die Rolleiflex.

Anhand der Anzeige zur »ciro-flex«, die in den späten Kriegsmonaten abgedruckt wurde, erkennt man auch, weshalb die eigene amerikanische Kameraindustrie so schlechte Startbedingungen hatte. Zu dem Zeitpunkt nämlich, als sie vollständig vom europäischen  Konkurrenzdruck befreit war, konnte sie sich gar nicht auf dem Markt entfalten und  langfristig etablieren, weil im Zuge der Totalen Kriegswirtschaft auch in den USA die Konsumgüterproduktion stark eingeschränkt werden mußte. Daher das Versprechen "gleich nach dem Krieg beliefern wir euch". Dieses Kuriosum einer prophylaktischen Reklame sagt viel über das amerikanische Wirtschaftssystem aus, und in welcher absurden Lage es sich damals befand. So trugen im Jahre 1944 die amerikanischen Konsumträume folgende Blüten:

Aber es stellte sich offensichtlich rasch nach dem Kriegsende heraus, daß zumindest in der Stillbildphotographie "All-American-Made" Produkte kaum wirkliche Marktchancen hatten. Hier scheinen neben rein preislichen auch qualitative Gründe eine große Rolle gespielt zu haben. So beherrschen seit den späten 40er Jahren (wieder) die deutschen Kameras die Angebotslisten. Nur im Bereich Schmalfilm und der Massenkameras des unteren Amateursektors konnten die einheimischen Hersteller ihre Position auf dem Inlandsmarkt noch längere Zeit halten. Auch die Photoindustrie der Ostzone war umgehend vertreten, sobald sie überhaupt wieder irgend etwas zu liefern hatte.

Man könnte jetzt hier noch mehr solcher Anzeigen anhäufen. Man würde erkennen, daß erst nach und nach eine "Preisfindung" stattfindet, die den Markt sortiert – und zwar nach eben jenem Mechanismus, den ich oben schon beschrieben habe. Es fällt beispielsweise auf, daß die Primarflex II noch in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre angeboten wird, nachdem die Produktion dieser Kamera lange schon eingestellt worden war. Auch hier hatten sich die US-Importeure offensichtlich mächtig verkalkuliert und sie wurden nun diese Kameras mit ihren Phantasiepreisen nur schleppend los. Die rechte Anzeige (beide aus dem Jahre 1950) zeigt bereits, wo der Hase hinlief: Fünfzig Dollar war der tatsächliche Preis, den man nach Wiederherstellung der Wettbewerbsbedingungen für eine Praktiflex erzielen konnte. Wenn dann eine Spiegelcontax im selben Jahr fast mit dem zehnfachen Preis veranschlagt wurde, dann muß man sich nicht darüber wundern, wenn sie erst in der Auslage verstaubte und anschließend verscherbelt wurde. Ganz ohne das Zutun irgendwelcher Gemüsehändler.


Und nun komme ich zu dem zweiten Punkt, auf den ich eigentlich hinaus wollte: Daß die (offensichtlich) minderwertigeren amerikanischen Kameras unter diesem Preisdruck keine Chance hatten, ist sofort einzusehen. Aber das Marktgeschehen schritt ja unaufhaltsam voran. So wie die deutschen Kameras zuvor die amerikanischen verdrängt hatten, so verdrängten ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre sukzessive und mit unaufhaltsamer Vehemenz die japanischen Gerätschaften die WESTdeutschen vom amerikanischen Markt. Die westdeutschen deshalb zuerst, weil diese Firmen von Balda, Wirgin, Braun bis Voigtländer, etc. mit ihren Sucherkameras einen großen Teil der Mittelklasse abdeckten. Hier übernahmen in Windeseile Firmen wie Minolta, Ricoh, Olympus, Fujica, Konica und so weiter – erst in den USA; und ein paar Jahre später geschah dasselbe auch in Westeuropa. Warum und wieso muß ich hier nicht weiter ausführen, darüber ist bereits genug an anderen Stellen geschrieben worden.


Vielmehr möchte ich noch einmal den Bogen zurück zu Hans Kleffe schlagen, der oben der Ausgangspunkt gewesen war. Immerhin hatte Kleffe ja regelrecht angemahnt, auch solche komplizierten Amateur-Meßsucherkameras herzustellen, wie beispielsweise  die Super- bzw Ambi-Silette von Agfa oder die Super-Paxette von Braun oder gar noch höherer Preisklassen, wie die Modelle von Voigtländer. In einem Aufsatz unter dem Titel "Was ist eine moderne Kamera?" konnte Kleffe seine Vorstellungen kurze Zeit später noch einmal genauer präzisieren [Fotografie Heft 3/1959]. Zwar ist das Urteil dieses Diplompsychologen wertvoll und ernst zu nehmen (sonst würde ich ihn ja nicht zitieren), aber glücklicherweise hat sich der DDR-Kamerabau nicht wirklich nach seinen Forderungen ausgerichtet. Im obigen Video ist ja der "Sucherkamera-Versuch" »Prakti« kurzzeitig zu sehen mitsamt dem Preisschild, auf dem sage und schreibe 580,- Mark zu lesen ist. Damit hätte man weder mit der westdeutschen Industrie konkurrieren können und schon gar nicht mit den Japanern, die spätestens ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre dieses Terrain der Sucherkameras für sich okkupiert hatten. Die Hinwendung zur Kleinbildspiegelreflexkamera war für den Dresdner Kamerabau und dessen internationaler Konkurrenzfähigkeit die einzig richtige Entscheidung. Zur Ehrenrettung Kleffes sollte ich die letzten beiden Sätze seines o.g. Aufsatzes zitieren, mit denen er am Ende doch sein realistisches Urteilsvermögen unter Beweis stellt. Er konstatiert bezüglich der Reflexkamera nämlich folgendes:


"Wenn es gelänge, durch ein neuartiges, aber sehr exaktes Scharfeinstell-Prinzip die Unabdingbarkeit der Mattscheibe aufzuheben - dann wäre das die größte Sensation, die man sich denken kann. Dann könnte man sogar getrost die Frage diskutieren, ob von diesem Moment an die Meßsucherkamera nicht völlig überflüssig geworden ist!"


Er meinte damit zusätzliche Scharfstellhilfen, die die bloße Mattscheibe ablösen würden, was ja anschließend auch geschah. Ganz ausgestorben ist die Meßsucherkamera zwar nie, aber angesichts des Spiegelreflex-Booms der 60er und 70er Jahre sollte sie doch stark in den Hintergrund treten.


Aber auch in diesem Marktsegment der Spiegelreflexkameras gestaltete sich das Überleben alles andere als einfach. Die Einstellung der Praktina, die Suche nach dem richtigen Objektivanschluß, der Irrweg mit der Zentralverschluß-Spiegelreflexkamera Pentina – alles Hinweise darauf, daß  man in Dresden um 1960 sehr mit grundsätzlichen Fragen haderte. Und was sich schon als weiteres Problem am Horizont abzeichnete, das kann man im darauffolgenden Aprilheft der »Fotografie« lesen, in dem Jo Gerbeth seine Eindrücke von der photokina 1958 zusammenfaßte:


"Auch die Japaner hatten in ihrem reichhaltigen Kamera-Angebot, in dem so ziemlich alle bisher bekannten Erfolgsmodelle einen Konkurrenten vorfinden, die einäugige Kleinbild-Spiegelreflex nicht vergessen: Die 'Pentax K' ist eine Schlitzverschluß-Kamera mit fest eingebautem Dachkantprisma und auswechselbarem Normalobjektiv 1:1,8/55 mm  mit Springblende. Diese Kamera macht einen beängstigend soliden Eindruck."  [Gerbeth, Jo: Die Automatisierung schreitet voran; in: Fotografie Heft 4/1959, S. 153; Hervorhebung durch den Verf.]


Mit dieser Einschätzung war die Windrichtung für die nächsten 30 Jahre vorhergesagt und niemand konnte sich mehr herausreden, er hätte von der aufkommenden Brise nichts wissen können...


"Die japanische Kameraindustrie hat ihren Export nach allen Erdteilen von 4,43 Mill. [gemeint ist Mio.!, MK] Dollar im Jahre 1951 auf 13,8 Mill.  Dollar im Jahre 1957 erhöht. Allein im Ablauf von 6 Jahren  hat die japanische Kameraindustrie den Export nach den USA verdoppelt und nach der ganzen Welt verdreifacht. Sie ist damit zu einer ernsten Gefährdung auch der deutschen Kameraindustrie geworden." [aus: Blick  in die Welt, Fotografie  9/1959, S. 338.]

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letzte Änderung: 28. August 2023