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Das Pentaprisma
PENTACON - das steht für Pentaprisma Contax (übrigens genauso wie die Bezeichnung Pentax, die sich die japanische Firma Asahi dereinst "ausgeliehen" hatte). Die Vorsilbe "penta" wiederum steht für die Zahl fünf. Nicht fünf Winkel, wie die falsche Bezeichnung "Pentagon-Prisma" suggeriert, sondern fünf Flächen kennzeichnen dieses Umkehrprisma. Es hat neben der lichtein- und lichtaustretenden Fläche, die beide unverspiegelt sind, drei weitere, verspiegelte Glasflächen. Die eine ist dazu da, das kopfstehende Bild aufzurichten, die anderen beiden, die zusammen die sogenannte Dackkante bilden, das Bild umzukehren - daher der wunderbare deutsche Fachbegriff "Umkehrprisma".
Und genau diese Eigenschaft der Bildumkehrung ist der springende Punkt bei der Sache. Die Spiegelreflexkamera ist älter als die Photographie selbst. Man weiß, daß die Camera Obscura mit einem bildaufrichtenden Spiegel im 45 Grad Winkel schon frühzeitig als sog. Zeichenkamera benutzt wurde; das vom Objektiv projizierte Bild also abgezeichnet wurde. Als sich im späten 19. Jhd. die Photographie zu einem Berufszweig entwickelte, wurde dieses Spiegelreflexsystem wiederentdeckt, weil es ein sehr genaues Arbeiten möglich machte: Bis kurz vor dem Auslösen blieb das Bild auf der Mattscheibe sichtbar. Bildausschnitt und Schärfe stimmten genau mit dem überein, was nach dem Auslösen auf der Platte landete. Das mag auch der Grund für einen gewissen Karl Nüchterlein gewesen sein, an diesem Prinzip festzuhalten, als er die Spiegelreflexkamera Anfang der 1930er Jahre neu erfand. Seine Exakta 4,5x6 ist der Urtyp der modernen Spiegelreflex.
Aber ach! All diese Kameras hatten dasselbe eklatante Problem: Das Bild auf der waagerecht liegenden Mattscheibe war seitenverkehrt. Für Berufsphotographen und engagierte Amateure ist das kein Problem, sie gewöhnen sich daran und können mit diesem Schönheitsfehler umgehen lernen. Die Geschichte der Photographie im 20. Jhd. ist aber eine Geschichte der Amateurphotograpie! "You press the button - we do the rest" lautete der Werbespruch des Marktriesen KODAK. Der Erfolg und das langjährige, krisenfeste Bestehen dieses neuen Konsumgütermarktes Amateurphotographie war ganz entscheidend davon abhängig, daß auch Lieschen Müller mit ihrer Kamera so gut umgehen konnte, daß stets ein albumreifes Bild herauskam. Und ob Sie es glauben oder nicht: Ein von oben zu betrachtendes Mattscheibenbild, das überdies noch seitenverkehrt ist, das ist für unser Lieschen gar nichts! Und nicht daß ich in den Verruf gerate, technisch unbedarfte Frauen zu diskreditieren - technisch unbedarfte Männer kommen mit so etwas ebensowenig zurecht. Sie können mir das glauben, ich habe das über viele Jahre beobachten können. "Wo muß ich denn hier durchkucken?" lautete oft genug die Frage. Mit einer Lichtschachtkamera waren solche Photoamateure oftmals hoffnungslos überfordert.
Die Zeiss Ikon AG Dresden hatte in den 1930er Jahren eine eigene Spiegelreflexkamera entwickelt. Diese Contaflex genannte Kamera war eine Fehlentwicklung. Klobig, schwer und für die damaligen Verhältnisse völlig überteuert geriet sie trotz innovativer Details wie den eingebauten Belichtungsmesser zum Flop. Durch das bei ihr angewandte zweiäugige Prinzip, bei dem Aufnahme- und Sucherobjektiv getrennt sind, war die prinzipiell interessante Möglichkeit, Wechselobjektive zu verwenden, genauso schwer zu beherrschen, wie bei den Sucherkameras Contax und Leica. Mit dem Erscheinen der einäugigen Kiné Exakta der Ihagee Dresden ein Jahr später, war die aufwendig und teuer entwickelte Contaflex bereits passé - eine schwere Bürde für den Kamerariesen Zeiss Ikon.
Die Exakta der Ihagee und die Praktiflex der Kamera-Werkstätten Niedersedlitz hatten in den späten 1930er Jahren einen nicht übersehbaren Entwicklungspfad aufgezeigt: Die einäugige Spiegelreflexkamera des modernen Typs war nunmehr das Maß der Dinge. Beide Kameras arbeiteten aber mit der waagerecht liegenden Mattscheibe und einem seitenverkehrten Sucherbild. Genau das war der Punkt, an dem der Zeiss Ikon Konzern wieder eingreifen und Marktanteile zurückerobern konnte. Es müßte nur gelingen, das seitenverkehrte Sucherbild der Spiegelreflex umzukehren und gleichzeitig den Strahlengang dergestalt abzuknicken, daß man quasi wie bei der Sucherkamera meint, "hindurchzuschauen", obgleich man doch in Wirklichkeit nach wie vor eine Mattscheibenabbildung betrachtet.
Wir wissen heute, daß die Zeiss Ikon AG seit Ende der 1930er Jahre an einer einäugigen Kleinbildspiegelreflexkamera mit Geradsichtsucher und seitenrichtigem Sucherbild gearbeitet hat. Wir wissen auch, daß es bei der Konstruktion dieser Kamera enorme Schwierigkeiten gegeben hat, wodurch das Projekt – nichtzuletzt auch wegen des ausgebrochenen Krieges – nur sehr langsam vorankam. Der Hauptgrund mag aber daran gelegen haben, daß der ZI-Chef Heinz Küppenbender unbedingt seinen Metallrolloverschluß der Contax Meßsucherkamera in die neue Reflexkamera „hineinkonstruiert“ haben wollte. Eine Zeichnung aus einer Patentanmeldung aus dem Jahr 1942 zeigt, daß sich der über die kurze Bildfensterseite ablaufende Metallrolloverschluß nicht sinnvoll in die Kamera unterbringen ließ, denn dort wo sich heute bei jeder Spiegelreflexkamera das Sucherprisma und die Bildfeldlinse befinden, ragt bei der als „Syntax“ bezeichneten Konstruktion die obere Verschlußwalze in den Sucherraum. Von diesem Syntax-Projekt ist übrigens außer der Patentschrift nicht viel übrig geblieben. Die nach 1945 geschaffene Spiegelcontax führt zwar die grundlegenden Ideen weiter, aber letztlich entsteht eine völlig neue Kamera: Die erste Serienkamera der Welt, bei der ein Spiegelreflexsystem mit einem Prismen-Geradsichtsucher vereinigt wurde. Nach diesem Prinzip ist jede moderne Spiegelreflexkamera aufgebaut – und zwar bis zum heutigen Tag!
Das Prisma der Spiegelcontax
Die Zeiss Ikon AG in Dresden war eine Tochter des Zeisswerkes in Jena und vollkommen abhängig von dem Willen und den Richtungsentscheidungen der dortigen Konzernleitung - daran darf keinerlei Zweifel aufkommen. Zeiss Jena hat in den 1920er Jahren bestehende Photounternehmen feindlich übernommen und unter Nutzung zum Teil fragwürdiger Methoden dem eigenen Konzern unterstellt. Eine weltweit führende Konkurrenzfirma wie die Heinrich Ernemann AG hat man mit Hilfe von Insiderwissen der Deutschen Bank und Absprachen mit dem Mehrheitsbesitzer Krupp erst heimlich finanziell unterwandert und anschließend den Firmengründer und seinen Sohn dreist über den Tisch gezogen. Es ging darum, Konkurrenten im Objektivbau auszuschalten und gleichzeitig einen großen Teil der (Dresdner) Kamerahersteller dazu zu verpflichten, von nun an nur noch Objektive aus Jenaer Fertigung zu verbauen. Dieses Faktum ist in der Fachwelt viel zu wenig bekannt, obgleich bereits seit anderthalb Jahrzehnten eine einwandfrei gearbeitete Abhandlung zu dieser Thematik vorliegt (Beyermann, Andre: Der Aufbau der Zeiss Ikon AG; in: Technische Sammlungen der Stadt Dresden [Hrsg.]: Zeiss Ikon AG Dresden, Aspekte der Entwicklung des 1926 gegründeten Industrieunternehmens, Thesaurus 3, 2001, S. 9-18.)
Aber wieso erwähne ich das hier? Weil sich freilich Carl Zeiss Jena im Laufe der 1930er Jahre endgültig zum weltweit führenden Hersteller photographischer Objektive emporgeschwungen hatte – nicht zuletzt aufgrund der Übernahme des Ernemannwerks und dessen genialen Konstrukteurs Ludwig Bertele. Zum Bau optischer Präzisionserzeugnisse gehören im wesentlichen drei Bereiche: Die Konstruktion, die Produktion und die Materialbeschaffung. Carl Zeiss Jena hatte in allen drei Gesichtspunkten eine führende Stellung. Ich kann nicht direkt nachweisen, daß die Umkehrprismen für die Spiegelcontax von Zeiss Jena kamen, aber durch mehrere indirekte Verweise (u.a. in der o.a. Literaturquelle an anderem Ort) kann man durchaus darauf schließen. Auch die Tatsache, daß die frühen Aufsatzprismen für die Exakta und die Praktica einen Zeiss Jena Achromaten als Emblem auf der Frontseite trugen, läßt diese Vermutung plausibel erscheinen.
Die Entwicklung des Dachkantprismas der Syntax und später der Contax war nämlich kein Pappenstiel. So etwas muß sorgfältig berechnet und dann später auch mit der entsprechenden Präzision gefertigt werden. Für beides war Zeiss Jena prädestiniert. Aber noch wesentlicher erscheint mir der dritte Punkt zu sein: Ein solches Umkehrprisma kann man nicht aus Fensterglas herstellen. Es braucht einen Glaswerkstoff bestimmter Brechkraft, der nicht „von der Stange“ kommen kann. Ein solches Glas muß zudem mit einer vollkommenen Lauterkeit hergestellt werden, das heißt es muß eine homogene Brechkraft haben, es darf nicht stichig sein und es muß frei von jeglichen Einschlüssen wie Blasen oder Steinchen sein. In diesem Punkt sind die Anforderungen sogar höher, als bei optischem Glas das für Objektivlinsen verwendet wird. Hier werden Bläschen und Einschlüsse bis zu einem gewissen Maße geduldet, weil sie nicht zur Abbildung kommen. Bei einem Sucherprisma ist dies allerdings ausgeschlossen, weil jegliche Fremdkörper durchaus innerhalb des „Fokussierbereichs“ des Auges liegen und damit mehr oder weniger scharf wahrgenommen werden. Bedenkt man ferner, daß für ein solches Prisma ein ziemlich massiver Glaskörper benötigt wird, dann kann man nur erahnen, welche Schwierigkeiten es bereitet hat, solche Prismen serienmäßig herzustellen. Dafür waren die Kompetenzen eines führenden Glasfabrikanten unerläßlich – und wieder war es mit dem Jenaer Glaswerk Otto Schott & Genossen eine Tochterfirma des Zeisskonzerns, die als eine der wenigen weltweit diese Kompetenzen liefern konnte.
Interessant ist die Formgebung des Umkehrprismas für die Spiegelcontax. Sie ist ein Erbe des Syntax-Projektes. Bei den Syntax Versuchskameras wurde der Verschluß der Contax Meßsucherkamera eingebaut. Dieser über die kurze Seite des Bildfensters ablaufende Zweiwellen-Schlitzverschluß ragte mit seiner oberen Welle sehr tief in jenen Raum hinein, der eigentlich zur Unterbringung des Umkehrsystems benötigt wurde. Aus diesem Grunde mußte man, wie man oben auf der Zeichnung sieht, das gesamte Suchersystem nach vorn verschieben und gegen die Waagerechte neigen.
Obwohl die Spiegelcontax gegenüber dem Syntax-Projekt völlig neu konstruiert wurde, hat man den Umstand beibehalten, daß die Mattfläche des Prisma nicht parallel zur optischen Achse des Objektives steht. Offensichtlich waren die während des Krieges entwickelten Prismensysteme gänzlich auf diese Bauart zugeschnitten und ließen sich nun nicht ohne weiteres abändern. Die dem Okular zugewandte Fläche liegt schlichtweg nicht im rechten Winkel zur Mattfläche. Bei späteren Kameras mit Umkehrprisma sind diese Flächen rechtwinklig zueinander und die Bildfeldlinse liegt genau senkrecht in der Kamera, wodurch der Öffnungswinkel des Reflexspiegels ziemlich genau 45 Grad beträgt. Bei der Spiegelcontax beträgt der Winkel zwischen Ein- und Austrittsfläche des Prismas aber nicht 90, sondern 100 Grad. Weil der Einfalls- gleich dem Reflexionswinkel sein muß, um im scharfgestellten Zustand eine gleichmäßig verteilte Schärfe im Sucherbild zu erhalten, verringert sich dieser Winkel von 90 auf 80 Grad. Damit wiederum vergrößert sich der Öffnungswinkel des Klappspiegels von 45 auf 50 Grad. Damit erhöht sich der freie Durchlaß des Spiegelsystems, womit damit das Sucherbild vignettierungsfrei genmacht werden konnte. Ich habe einmal versucht, diesen Umstand graphisch zu verdeutlichen.
Der größere freie Durchlaß wird durch die Länge der blauen Striche verdeutlicht. Durch die schräge Lage der Mattfläche wandert übrigens beim Scharfstellen der Schärfepunkt senkrecht über das Sucherbild. Falls Ihnen diese Kuriosität der Spiegelcontax bislang noch gar nicht aufgefallen ist, dann probieren Sie es doch am besten selbst einmal aus!
Interessant und ungewöhnlich ist auch, daß die Spiegelcontax ursprünglich keine Bildfeldlinse hatte. Vielmehr war die untere Fläche des Prismas mattiert worden. Damit fehlte natürlich jede Kollektivwirkung einer Bildfeldlinse, die das diffus abgestrahlte Licht der Mattscheibe bündelt, in die Augenpupille lenkt und damit das Sucherbild wesentlich aufhellt. Vor allem in den Randbereichen des Contax Suchers ist es deshalb so düster, daß man meist gar nichts erkennt. Um sich wenigstens zu orientieren, wo das Aufnahmefeld endet, hat man die Randflächen der mattierten Prismenfläche mit einer Facette versehen, die ähnlich eines Leuchtrahmensuchers eine helle Begrenzung des Sucherrandes erzeugt.
Um 1956 herum (genau haben wir das noch nicht klären können) setzt in der Dresdner Kameraindustrie eine große Veränderungsbewegung ein. Aufgrund der verschlafenen Weiterentwicklungstätigkeit wird dem VEB Zeiss Ikon Dresden quasi die Konstruktionsabteilung entrissen und den wesentlich erfolgreicher agierenden Kamerawerken Niedersedlitz unterstellt (aber nicht wie bei gewissen Autoren zu lesen, daß die Contax nun in Niedersedlitz produziert worden wäre; so ein Unsinn!). Ich kann nur vermuten, daß die Kamerawerke unter Siegfried Böhm sogleich einige Änderungen und Weiterentwicklungen an der Contax durchgesetzt haben, um die Kamera wenigstens einigermaßen konkurrenzfähig zu halten. Dazu gehörten der Einbau einer Springblendenmechanik nach der Art und Weise, wie sie in der Praktica FX2 bereits realisiert worden war. Zweitens wurde der Sucher umgebaut. Das Prisma wurde wesentlich kürzer und in einem Messingrahmen wurde eine Bildfeldlinse eingekittet. Diese war zwar dünn und hatte nur mäßige Kollektivwirkung – aber immerhin! Damit war es nun auch erstmals möglich die Zeiss Meßkeile in die nun separate Bildfeldlinse zu integrieren; die Contax FM entstand.
Die optisch wirksame Fläche des Sucherbildes beträgt übrigens bei der Contax F genau 21x30mm - also nur ein Bruchteil des realen Negativformates von 24x36mm. Das war ein weiteres Zeichen dafür, daß die Konstruktion der Spiegelcontax in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre langsam als überholt gelten mußte. Noch ahnte man nicht, daß angesichts der eklatanten Entwicklungsrückschritte 30 Jahre nach Formierung der Zeiss Ikon AG Dresden deren Kamerabau dem Ende entgegen ging.
Marco Kröger