zeissikonveb.de

zeissikonveb@web.de

Praktica L Verschluß

An verschiedenen Stellen im Internet muß man lesen, daß Pentacon bei der Praktica L-Reihe und der Exakta RTL1000 einen Schlitzverschluß von Copal verbaut habe. Das ist natürlich Unsinn und soll hier einmal richtiggestellt werden.

Abstract: Unlike you can read on the internet the Praktica L series and the Exakta RTL1000 were NOT equipped with a focal plane shutter made by Copal. As a matter of fact this shutter was developed by Pentacon on its own during the 1960s and patented correspondingly.

Die Entwicklung des Stahllamellenschlitzverschlusses, wie er seit 1969 in der Praktica L-Reihe eingesetzt wurde, hat eine viel weiter zurückreichende Geschichte, als bislang allgemein bekannt ist. Wenn man bedenkt, daß mit der Konica F im Jahre 1960 das erste Mal eine Kamera mit einem solchen Verschluß vorgestellt wurde und diese zudem fast nur auf dem Japanischen Markt einen gewissen Erfolg verbuchen konnte, so muß man von einer raschen Reaktion der Dresdner Konstrukteure auf diesen neuen Entwicklungspfad sprechen, wenn sie bereits ein Jahr später selbst erste Patentanmeldungen auf diesem Gebiet vorzuweisen hatten. Es liegt nämlich eine DDR-Schutzschrift Nr. 27434 vom 4. Mai 1961 vor, bei der das Grundprinzip des späteren Scherenhebelverschlusses schon erkennbar ist. Horst Strehle, Günter Heerklotz und Hans Zimmet arbeiteten damals an dieser Konstruktion.

Scherenhebelverschluß 1961

In dieser ersten Ausführungsform bestand der Scherenhebelverschluß aus nur zwei Lamellen je Vorhang. Das wäre natürlich auf eine ziemlich voluminöse Bauart hinausgelaufen, die sich kaum in einer üblichen Kameraform hätte unterbringen lassen.

Die hauptsächliche Problematik eines solchen Lamellenverschlusses dreht sich nämlich darum, wie die fächerartig übereinandergelegten Lamellen beweglich gelagert werden, damit sie sowohl im eingefahrenen wie im entfalteten Zustand parallel zueinander liegen. Der Japanische Verschlußhersteller Copal arbeite bei seinem Copal Hi Synchro mit einer sogenannten Parallelkurbelführung. Hier waren die Metalllamellen durch aufwendige Vernietungen an zwei parallelen Hebelarmen befestigt. Es hat sich herausgestellt, daß dieser Aufbau aus verschiedenen Gründen der zweckmäßigste ist. Vor allem als seit Anfang der 1970er Jahre an einer elektronischen Ansteuerung der Lamellenpakete gearbeitet wurde, zeigten sich die platzsparenden Lösungsmöglichkeiten, die dieser Konstruktion innelagen. Heute sind quasi alle Lamellenverschlüsse nach diesem Prinzip aufgebaut.

Copal Pentacon Vergleich

Für die Kamera- und Kinowerke Dresden kam diese Lösung aber durch patent- bzw. lizenzrechtliche Hindernisse nicht infrage. Ihre eigene Entwicklung arbeitete nicht mit parallelen, sondern überkreuzliegenden Traghebeln, vergleichbar mit einer Schere. Es hat sich zwar gezeigt, daß auch nach diesem Prinzip leistungsfähige Lamellenverschlüsse in sehr hohen Stückzahlen mit langer Lebensdauer fabriziert werden konnten, aber der Miniaturisierung dieser Bauweise waren von Anfang an Grenzen gesetzt. Auf der anderen Seite waren die Kamera- und Kinowerke bzw. Pentacon mit dieser Entwicklungsarbeit ganz weit vorn im internationalen Vergleich. An die Konstruktion und industriemäßige Herstellung von Metalllamellenschlitzverschlüssen wagten sich nur wenige Konkurrenzfirmen. Selbst die führenden Japanischen Kamerahersteller verzichteten praktisch vollständig auf Eigenkonstruktionen, kauften die ausgereiften Lamellenverschlüsse der Anbieter Copal oder Seicosha und paßten sie in ihre Kameras ein. So kommt es, daß die Kameras erbitterter Konkurrenten dieselben Schlitzverschlüsse haben.

Copal Pentacon Vergleich

Wie oben begründet hat der Verschluß nach Patent Nr. 27434 den Nachteil, sehr voluminös zu sein. Außerdem befürchtete man die beiden großen Lamellen je Vorhang würden zu schwer, um schnelle Ablaufgeschwindigkeiten zu erreichen. Daher hat man diesen o.g. Verschluß im Bundesdeutschen Patent Nr. 1.145.474 vom 22. Juni 1961 so abgewandelt, daß nur noch eine Lamelle verwendet wird, die das Bildfenster nur teilweise abdeckt. Der Rest des Bildfensters wird mit flexiblem Gummituch verschlossen, das jeweils auf einer Federwalze aufgerollt oder alternativ umgebogen wird. Genau diese Kombination aus Lamellen- und Rolloverschluß wurde 1967 in der Profikamera Pentacon Super verwirklicht. Der große Vorteil dieser Lösung ist, daß tatsächlich hohe Ablaufgeschwindigkeiten erreicht werden und die auftretenden Kräfte im beherrschbaren Maß bleiben. Damit war es möglich bei der Pentacon Super eine kürzeste Verschlußzeit von 500 µs zu erreichen, die erfahrungsgemäß auch ein halbes Jahrhundert später noch sehr exakt eingehalten wird. Der Nachteil bestand aber darin, daß auch dieser Verschluß nicht unbedingt kompakt ausfiel, was zu einer entsprechend voluminösen Kamera führte.

Pentacon Super Verschluß
Pentacon Super Verschluß

Daß diese Verschlußtechnologie offenbar schon im Sommer 1961 bereitstand, gibt zu denken. Welche Entwicklung hätte der Dresdner Kamerabaustandort nehmen können, wenn man zu jener Zeit die Produktion der Praktina nicht eingestellt, sondern diese Kamera entsprechend weiterentwickelt hätte. Wir wissen ja heute in der Rückschau, daß die Dresdner ein hochentwickeltes, professionellen Ansprüchen genügendes Kamerasystem gerade eingestellt hatten, als sich der Markt für solch ein Segment erst voll auszubilden begann. Diese Lücke wurde quasi nahtlos von den in den Startlöchern sitzenden japanischen Herstellern wie Nikon oder Topcon besetzt und war 1968, als die Pentacon Super endlich ausgeliefert wurde, ein für alle mal verloren.

Nicht verloren war hingegen das Marktsegment der anspruchsvollen Amateurreflexkameras. In einer Zeit, als in der Bundesrepublik fast die gesamte Kameraindustrie ihrem Ende entgegenging, entwickelte man in Dresden eine neue Kamerageneration, die mit drei wesentlichen Eigenschaften dem hiesigen Kamerabaustandort für die nächsten 20 Jahre das Überleben sichern sollte. Die Praktica L-Reihe war modern und beinah zeitlos gestaltet, sie war technisch ausgereift, und was am wichtigsten war: Sie war modular aufgebaut und ließ sich in einer Weise rationell fertigen wie keine Dresdner Spiegelreflex zuvor und danach. Dazu trug auch der neuartige Metalllamellenschlitzverschluß bei, der zwar aufwendige Nietgruppen benötigte, aber ansonsten mit wenigen, gut automatisiert herstellbaren Teilen auskam. Der Verschluß der L-Reihe ist im Prinzip eine Weiterentwicklung des bereits beschrieben Scherenhebelverschlusses, nur daß dieser nun mit drei sich übereinanderlegenden, hauchdünnen Stahllamellen arbeitete. Dazu waren im wesentlichen zwei Entwicklungen nötig, die in den DDR-Schutzschriften 67026 und 67027 vom 2. Februar 1968 dargelegt sind. Diese Patente betreffen in der Hauptsache die Aufhängung der Lamellenpakete und deren Parallelführung.

 

Damit war der Scherenhebelverschluß eine vollkommen eigenständige Entwicklung der Dresdner Kamerabauindustrie. Er war nicht die Ideallösung, was sich etwa zehn Jahre später zeigte, als mit der Praktica B200 eine Kamera in Kompaktbauweise entwickelt werden sollte und der Verschluß große konstruktive Probleme bereitete. Für die Praktica BX20 ging man dann sogar zum Parallelkurbelverschluß über. Trotzdem hat sich der Scherenhebelverschluß der L-Reihe als ausgereift und standfest erwiesen. Immerhin wurde er in annähernd fünf Millionen Kameras eingebaut.

 

 

Marco Kröger